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Der 20. Juli


Otto Skorzeny

»Sturmbannführer Skorzeny! Sturmbannführer Skorzeny!« Ein Offizier lief an dem auf einem Berliner Bahnhof stehenden Schnellzug nach Wien entlang und rief meinen Namen. Es waren kaum fünf Minuten verflossen, seit wir uns, Radl und ich, in unserem reservierten Schlafwagenabteil installiert hatten. Wir wollten eben nach Wien fahren, um dort ein neues Kommando unserer besten Kampfschwimmer aufzustellen. Es sollte Tito, der auf die Insel Viz geflüchtet war, auf seinem neuen Befehlsstand besuchen.

Ich drehte die Scheibe herunter und rief den Offizier an, der schon an unserem Abteil vorbei war. Es war ein Leutnant aus General Jüttners Stab, ein Verbindungsoffizier zum Amt VI Schellenberg. Er war ganz außer Atem und konnte mir kaum zurufen, daß ich dringendst in meinem Berliner Büro erwartet würde. Radl reichte schon meinen Koffer durchs Fenster. Ich sagte meinem Adjutanten, er solle allein nach Wien reisen und dort sein Bestes tun. Wir schrieben den 20. Juli 1944, und es war 18.10 Uhr. Zwar hatten wir im Laufe des Nachmittags erfahren, daß Hitler knapp einem Attentat entgangen war. Aber der Ernst der Lage wurde uns erst teilweise durch eine Rundfunkmeldung um 18.45 Uhr klar. Ich wußte nicht, daß Himmler und der Gestapochef Müller schon um 13 Uhr Experten zur Wolfsschanze geschickt hatten und daß die gesamte Reichspolizei seit 14 Uhr alarmiert war. Auf «dem Bahnsteig hörte ich dann, daß es Tote und Verletzte gegeben habe und die Lage in Berlin noch nicht überschaubar sei.

Von der Militärdienststelle am Bahnhof rief ich sofort Fölkersam an, der sich in Friedenthal befand. Fölkersam sollte das SS-Jägerbataillon 502 in Alarmzustand setzen und die erste Kompanie sofort marschbereit melden. Ich fuhr dann nach Berlin-Schmargendorf in die Berkaerstraße, wo meine Intendantur saß. Viertel vor sieben unterbrach plötzlich der Rundfunk seine Sendung und brachte eine Sondermeldung:

»Auf den Führer wurde heute ein Sprengstoffanschlag verübt. Aus seiner Umgebung wurden hierbei schwer verletzt: Generalleutnant Schmundt, Oberst Brandt, Mitarbeiter Berger. Leichtere Verletzungen trugen davon: Generaloberst Jodl, die Generale Körten, Buhle, Bodenschatz, Heusinger, Scherff, die Admirale Voss, v. Puttkamer, Kapitän zur See Assmann und Oberstleutnant Borgmann. Der Führer selbst hat außer leichten Verbrennungen und Prellungen keine Verletzungen erlitten. Er hat schon wieder seine Arbeit aufgenommen und, wie vorgesehen, den Duce zu einer längeren Aussprache empfangen. Kurze Zeit nach dem Anschlag traf auch Reichsmarschall Göring beim Führer ein.«

Ich machte mir Gedanken über den Sinn dieses Kommuniques. Wer hatte wohl das Ding gedreht? Gelang es dem Feind bereits in die Wolfsschanze, das FHQu, einzudringen? Zehn Monate vorher hatte ich noch in Rastenburg zu Oberst Strewe gesagt, daß das FHQu nicht hundertprozentig gegen den Überraschungsangriff eines entschlossenen Gegners mit einem wirklich ingeniösen Plan gesichert sei. In den Büros der Berkaerstraße zirkulierten die eigenartigsten Gerüchte. Die Beamten standen bis zu den Zähnen bewaffnet da und gingen so ungeschickt mit ihren MPs um, daß ich eine Gänsehaut bekam und Oberführer Schellenberg auf diesen unmöglichen Zustand hinwies. Seit dem 12. Februar 1944 standen der militärische und politische Nachrichtendienst unter einer zentralen Leitung. Gewisse Agenten des Admirals Canaris begingen allzu offenen Verrat und wurden als Doppelagenten entlarvt; er selbst wurde kaltgestellt. GFM Keitel ließ ihn trotzdem noch zum »Chef des Sonderstabes für den Wirtschaftskrieg« ernennen, dessen Amtssitz in Eiche bei Potsdam lag. Schellenberg »erbte« die ganze Organisation Ausland Abwehr – die dann »Amt Mil« getauft wurde –, blieb aber der Chef des Amtes VI des RSHA.

Schellenberg hatte eine grünliche Gesichtsfarbe. Auf seinem Schreibtisch lag eine Pistole.

»Sie sollen nur kommen«, sagte er, »ich werde mich zu verteidigen wissen! So leicht kriegen sie meine Haut nicht!« »Will Ihnen denn jemand so übel?«

»Skorzeny, die Lage ist ernst. Ich habe an alle männlichen Angestellten MPs verteilen lassen. Wir werden uns bis aufs Äußerste verteidigen.«

»Wissen Sie«, sagte ich zu ihm, »was Sie da angeordnet haben, scheint mir sehr unvorsichtig. Die Leute können überhaupt nicht mit Schußwaffen umgehen und werden sich noch selbst erschießen. Eben ließ ich einen Ihrer Unteroffiziere in den Keller schicken: er hielt seine MP wie einen Sonnenschirm!«

Schellenberg teilte mir mit, daß sich das Zentrum der Verschwörung offenbar in der Bendlerstraße befinde, und fragte, ob ich nicht eine meiner Kompanien zu »unserem« Schutz herbeibeordern könne.

»Ja, natürlich! Ich bin wirklich zerstreut! Mein Bataillon ist schon im Alarmzustand. Ich hätte sofort daran denken müssen. Aber darf ich wissen, wer der Feind ist?«

»Ich sage Ihnen, alles wird in der Bendlerstraße ausgebrütet. Es ist ein Komplott. Sie werden vor nichts zurückschrecken!« »Um wen geht es denn? Wer komplottiert denn gegen wen?« »Es wird angeblich ein Putsch vorbereitet, und Panzer sollen in den Straßen von Berlin rollen. Stellen Sie sich das vor, Skorzeny, Panzer!« »Beruhigen Sie sich, Oberführer! In der Zwischenzeit, bis meine Kompanie anrückt, werde ich mich informieren.«

Es war wohl gegen 19 Uhr. Telefonisch wies ich Fölkersam an, sofort die 1. Kompanie unter Befehl von Hauptmann Fucker in die Berkaerstraße marschieren zu lassen. Fölkersam selbst und Oberjunker Ostafel sollten schnellstens zu mir kommen, was sie in einer Rekordzeit schafften. Fölkersam blieb in der Berkaerstraße, und ich fuhr mit Ostafel zu einem »Streifzug« durch das Regierungsviertel. Alles war ruhig.

»Bis jetzt scheint es nicht mehr als eine Operettenrevolte zu sein«, meinte ich zu Ostafel, »aber fahren wir mal zu den Panzern!«

Beim Panzerkorps hatte ich viel Freunde und kannte Oberst Bolbrinker, den Stabschef der Panzerinspektion, die ihren Sitz am Fehrbelliner Platz hatte. Dort hatte ich gleich den Eindruck, daß etwas nicht stimme. Auf den breiten, sternförmig auf den Platz zulaufenden Straßen standen je zwei Panzer in Bereitschaft. Stehend in meinem Wagen, grüßte ich die Offiziere; man ließ mich passieren, und ich kam zu Oberst Bolbrinker, der mich sofort empfing und recht ratlos war. Er gehorchte einem Befehl aus der Bendlerstraße und hatte alle Panzer aus der Panzerschule Wünsdorf nach Berlin befohlen, sie jedoch um den Fehrbelliner Platz konzentriert, um die Truppe in seiner Hand zu behalten. Er sollte bewaffnete Aufklärung in Richtung Lankwitz und zur Kaserne Lichterfelde losschicken, dem Quartier der Leibstandarte Adolf Hitler.

»Das soll einer schlau werden!«, sagte der Oberst. »Haben Sie das vorhin im Radio gehört? Ein Bombenanschlag gegen den Führer! ... Unglaublich! Nicht wahr? . . . Oberst Gläserner, der Kommandeur der Panzerschule von Krampnitz, kommt nicht aus der Bendlerstraße zurück. Die Waffen-SS-Einheiten hätten einen Putsch geplant, und es gäbe bereits Zusammenstöße. Was halten Sie davon?«

»Herr Oberst, ich gehöre selbst zur Waffen-SS und glaube unter keinen Umständen, daß meine Kameraden ein Komplott gegen den Führer und gegen das Reich geplant haben. Allerdings vermute ich, daß gewisse Leute es eben versuchen, einen richtigen Bürgerkrieg auszulösen und das Heer gegen die Waffen-SS auszuspielen.« Der Oberst war überrascht. »Ein Bürgerkrieg? Wieso?«

Ich erklärte Bolbrinker, daß die Leibstandarte sehr heftig reagieren werde, wenn die Panzereinheiten, die auf seinen Befehl schon von Wünsdorf nach Berlin marschiert waren, jetzt nach Lichterfelde eine bewaffnete Aufklärung durchführen wollten. In jedem Fall müsse das vermieden werden. Dieser Befehl sei sinnlos. Der Oberst war gleicher Meinung und sagte mir, daß seine Panzer noch nicht weiter vorgerückt seien: er habe sie um den Fehrbelliner Platz konzentriert. Dann schlug ich dem Oberst vor, mit zwei seiner Offiziere nach Lichterfelde zu fahren. Er war damit einverstanden. Wir fuhren sofort los und empfahlen im Vorbeifahren den Panzeroffizieren, nichts Weiteres zu unternehmen, bis neue Anweisungen kämen. Kurz danach erteilte Bolbrinker den Befehl, daß die Panzereinheiten nur noch Befehlen des Inspekteurs der Panzertruppen, General Guderian, zu folgen hätten. Wir rasten im Auto zu meiner alten Kaserne nach Lichterfelde. Dort hatte ich eine Unterredung mit Oberführer Mohnke, der kurze Zeit später zum Generalmajor der Leibstandarte befördert wurde. Wir kamen für ihn wie vom Himmel gesandt. Goebbels hatte ihn gegen 19 Uhr alarmiert und gewarnt, daß bestimmte Teile der Armee behaupten würden, der Führer sei tot, und versuchen würden, die Macht an sich zu reißen und Befehle zu erteilen. Die Putschisten würden außerdem verbreiten, daß die SS – und besonders die Waffen-SS – den Gewaltakt im FHQu durchgeführt hätte. Daher hatte Oberführer Mohnke seine Geschütze und Maschinengewehre im Hof der Leibstandarten-Kaserne in Stellung gebracht; seine Leute standen kampfbereit. Wir sprachen uns offen über die Lage aus.

»Liebe Kameraden«, sagte Mohnke, »zum Glück sind Sie gekommen. Denn wenn die Panzer hier erschienen wären, hätte es gekracht, und die Sache hätte zweifellos einen blutigen Verlauf genommen!«

Ich bat ihn, keinesfalls mit seinen Truppen die Kaserne zu verlassen, denn es konnte sein, daß der eine oder andere Panzer trotzdem vor der Kaserne auftauchte. Die Waffen-SS werde auf keine derartige Provokation reagieren. Er war damit einverstanden. Einer der Verbindungsoffiziere Bolbrinkers blieb bei Mohnke; der andere ging seinem Chef Bericht erstatten. Es war etwa 21 Uhr. Später erfuhr ich, daß Oberst Gläserner von den Verschwörern gefangengehalten wurde, es ihm jedoch gelang, aus der Bendlerstraße zu entweichen und Oberst Bolbrinker zu benachrichtigen, der dann auf keinen weiteren Befehl der Bendlerstraße mehr hörte.

Von der Kaserne der Leibstandarte rief ich Fölkersam an. Die 1. mot. Kompanie aus Friedenthal war inzwischen angekommen. Ich wies Fölkersam an, sie für alle Fälle vor dem Gebäude der Berkaerstraße bereitzuhalten. Mein Adjutant meldete mir, daß ein Alarmplan kurz vor 16 Uhr vom Wehrkreisbefehlshaber von Berlin ausgelöst worden sei. Schon am 15. Juli war eine Alarmübung in gleicher Weise vom Generalstab des Wehrkreises III, Berlin, durchgeführt worden. Es handelte sich darum, Sicherheitsmaßnahmen für den Ernstfall eines Luftlandeunternehmens der Alliierten gegen die Hauptstadt zu treffen. Aber die Befehle, die seit 17 Uhr aus der Bendlerstraße kamen, waren nicht mehr reine Übungssache: es war eine geheime Mobilisierung zu einem Militärputsch! Wer stand dahinter? Für mich war völlig klar, daß das Attentat gegen Hitler im Zusammenhang mit dem Durcheinander stand, das hier in Berlin herrschte. Im Laufe der Nacht wurde mir dann bestätigt, daß die Verschwörer tatsächlich versucht hatten, ihr Vorgehen durch das Auslösen des Befehles Walküre zu tarnen: Walküre sah gewisse Sondermaßnahmen vor, die in Gang gesetzt werden sollten, fände ein plötzlicher Einbruch feindlicher Kräfte statt oder eine möglicherweise die Staatssicherheit gefährdete allgemeine Revolte ausländischer Arbeiter. Ich hörte auch, daß die »Übung« vom 15. Juli nur das Resultat eines Irrtums war, den ein Teil der Verschwörer selbst begangen hatte: sie nahmen an, daß der Bombenanschlag an diesem Tag ausgeführt würde. Nach meinem Gespräch mit Fölkersam entschloß ich mich, nach Wannsee zu fahren, wo sich der Stab General Students befand. Dort lag aber noch kein Alarmbefehl vor. Ich fuhr sofort in die mir bekannte Wohnung General Students in Lichterfelde. Der General war zu Hause und empfing mich. Es war schon 21 Uhr vorbei. Er saß im Hausanzug, eine halbverdunkelte Lampe über sich, vor einem Berg von Akten auf der Gartenterrasse. Seine Frau war bei ihm und nähte. Der General empfing uns sehr liebenswürdig. Als ich erklärte, daß wir uns aus Dienstgründen hier befänden, empfahl sich die Hausfrau, und ich berichtete dem General in knapper Form, was mir von den Ereignissen dieses Tages bekannt war. Er schüttelte ungläubig den Kopf: »Aber nein, mein lieber Skorzeny, das hört sich ja richtig nach Abenteuerroman an! Ein Putschversuch? Ein Militärkomplott? Das ist völlig unmöglich! Es handelt sich nur um Mißverständnisse, das ist alles!« Da klingelte das Telefon. Reichsmarschall Hermann Göring war am Apparat. Er teilte General Student mit, daß der Bombenanschlag gegen Hitler von einem Stabsoffizier der Bendlerstraße durchgeführt worden war, der wirklich davon überzeugt sei, daß er mit seiner Bombe Hitler getötet habe. Daraufhin seien von der Bendlerstraße Befehle gekommen, die anfangs zum Teil auch befolgt wurden. Nur Befehle, die aus dem FHQu und dem OKW stammten, sollten von jetzt an befolgt werden. Göring empfahl, Ruhe zu bewahren, um Zusammenstöße möglichst zu vermeiden. Der Führer sei unversehrt und werde im übrigen im Laufe der Nacht selbst zum deutschen Volk sprechen.

Der General wurde bleich. Er drehte sich zu mir um und sagte: »Sie hatten recht.« Er meldete Göring von meinem Vorgehen und meiner Anwesenheit bei ihm, legte auf und sagte:

»Das ist tatsächlich unglaublich! Selbst oberflächlich betrachtet, sieht die Lage ernst aus. Ich werde sofort unseren Truppen Alarmbefehl geben und ihnen verbieten, Befehle zu befolgen, die nicht direkt von mir kommen.« »Herr General«, sagte ich zu ihm, »die Panzer und die Waffen-SS verhalten sich schon ruhig. Ich schlage Ihnen vor, daß Sie mit Oberst Bolbrinker und Oberführer Mohnke Verbindung aufnehmen.« »Richtig! Wir werden Verbindungsoffiziere austauschen.« Ich verabschiedete mich von General Student und kehrte auf schnellstem Wege in die Berkaerstraße zurück. Es war schon 22.30 Uhr vorbei. Fölkersam meldete mir, daß vom OKH tatsächlich ab 16.30 Uhr Befehle an die Wehrkreisstellen und an die Front gingen! Man hielt Hitler für tot! Es wurde also Hochverrat begangen!

Fölkersam, Fucker, Ostafel und ich waren angewidert. Die Wehrmacht kämpfte an drei Fronten gegen die stärksten Armeen der Welt. An der Ostfront war Rumänien von der Roten Armee bedroht; diese war in die baltischen Länder eingebrochen und hatte im Frontabschnitt Mitte Pinsk, Bialystok, und Brest-Litowsk genommen! An der Westfront beherrschten die Westalliierten Meer und Himmel und bauten ihren Brückenkopf weiter aus. Der Hafen von Cherbourg und der zerbombte Hafen von Saint-Lô waren augenblicklich in ihren Händen. In Italien standen sie nach der Einnahme von Arezzo schon vor Pisa.

Ich wurde vom FHQu angerufen – wahrscheinlich auf Initiative von Reichsmarschall Göring. Ich erhielt den Befehl, »mit meinen gesamten Truppen« sofort zur Bendlerstraße zu rücken, um dort das Wachbataillon der Division Großdeutschland, das von dem schon anwesenden Major Remer kommandiert wurde, zu unterstützen. Ich wies darauf hin, daß ich in der Berkaerstraße derzeit nur eine Kompanie hatte. Ich würde mit dieser zur Bendlerstraße marschieren.

Es war kurz vor Mitternacht. Wir rasten in größter Eile durch die Straßen. Die Gebäude waren durch die feindlichen Terrorangriffe zerstört und sahen wirklich gespensterhaft aus. Unsere eigenen Gedanken waren auch nicht optimistisch. Mein breiter Kübelwagen fuhr dem etwa 20 LKW starken Konvoi voran. Fölkersam saß neben mir, und ich glaube, er war es, der aussprach, was wir alle dachten:

»Wenn ich daran denke, wie viele tapfere Kameraden durch die Schuld dieser Burschen gefallen sind! ...«

Wir kamen an der Kreuzung Tiergarten/Bendlerstraße an. Ein Auto steht vor uns und ein zweites, das eben den Hofeingang des Bendlerblocks verläßt, kommt uns entgegen. Beide Wagen stoppen. Ich wartete kurz und stieg dann aus. Im ersten Auto saß Dr. Ernst Kaltenbrunner, der die Stelle Heydrichs im RSHA (Reichssicherheitshauptamt) übernommen hatte. Im anderen Auto saß ein General. Es war General Fromm, der Chef des Ersatzheeres, wie ich später erfuhr. Ich stand beiseite und hörte eben, wie dieser zu Kaltenbrunner sagte:

»... ich bin müde und fahre jetzt nach Hause. Ich bin dort jederzeit erreichbar!«

Es wird sich aber zeigen, daß General Fromm nicht nach Hause fuhr, sondern zu Dr. Goebbels.

Beide Männer drückten sich die Hände. Der Weg war frei: los! Ich ließ den Konvoi anfahren, bewegte meine Taschenlampe und rief: »Major Remer!«

Major Hans Otto Remer, der Kommandeur des Wachbataillons der Division Großdeutschland war seit dem Anfang des Krieges achtmal verwundet worden. Vor ein paar Wochen hatte ihn Hitler mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet. Um 16.30 Uhr erhielt er die Anweisung, die Operation Walküre in Gang zu bringen. Im Hauptquartier am Berliner Platz war General v. Kortzfleisch, der Komm. Gen. des Wehrkreises Berlin-Brandenburg, abwesend. Er war von den Verschwörern in der Bendlerstraße verhaftet worden. General v. Hase, der Kommandeur der Berliner Garnison, erläuterte Remer, daß Hitler wahrscheinlich tot sei und die Waffen-SS versuche, die Macht zu übernehmen. Folglich müsse das Wachbataillon das Regierungsviertel blockieren und für die Sicherheit des Generalstabes des Ersatzheeres in der Bendlerstraße sorgen. Remer wunderte sich:

»In diesem Falle, Herr General, ist es nach der Verfassung Reichsmarschall Göring, der den Führer ersetzen wird und der die Befehle geben muß.« Unten im Melderaum hatten U.St.Fhr. Roehrig und Scharführer Tegeder den Verrat schon gegen 17 Uhr gespürt und die Befehle der Putschisten um 18 Uhr zusammenhanglos weitergeleitet. Roehrig gelang es sogar, gegen 20 Uhr Herr des gesamten Meldesystems – Telefon, Fernschreiber und Funk – zu werden und Hauptmann Schlee, einen Offizier Major Remers, zu warnen. Remer hatte seinen Kommandoposten bei Dr. Goebbels in der Hermann-Göring-Straße installiert. Schlee, der das Kommando über die Absperrtruppen rings um den Bendlerblock hatte, gab ihm Kenntnis von den Befehlen, die Olbricht, Hoepner und Stauffenberg erließen. Jetzt stand lest, daß die Dienststelle Olbricht der Mittelpunkt der Verschwörung war.

Aber in der Zeit, in der ich Oberst Bolbrinker, Oberführer Mohnke und General Student alarmierte, handelte man schon im Innern des riesigen Gebäudes auf eigene Faust und verlangte von den Verschwörern Erklärungen. So waren Olbricht und v. Stauffenberg gezwungen, General Fromm zu entwaffnen und einzusperren. Dieser wußte von dem Komplott und war auch bereit, die Verschwörer zu decken, sofern sie Erfolg hätten. Er hatte aber mit Marschall Keitel kurz vor 17 Uhr telefoniert und von diesem erfahren, daß Hitler nicht tot sei, sondern sich in einer Unterredung mit Mussolini und Marschall Graziani befinde. Fromm wollte infolgedessen mit seinen Untergebenen nichts mehr zu tun haben. Er wurde entwaffnet und eingeschlossen – zusammen mit den Generalen Kunze, Strecker und Specht – und sofort durch den ehemaligen General Hoepner ersetzt, der seit Januar 1942 degradiert und abgesetzt war! Man konnte keine schlechtere Wahl treffen!

Es war ein Österreicher, Oberstleutnant Pridun, der den Gegenputsch in der Bendlerstraße organisierte, zusammen mit den Obersten v. d. Heyde, Kuban und Herber. Aber es mangelte an Waffen. Hauptmann Fließbach fuhr zum Waffenlager von Toepchin bei Wünsdorf. Erst spät gelang es ihm, Waffen und Munition, MPs und Granaten in einem Lastwagen herbeizuschaffen, die dann erst nach 21 Uhr ausgegeben wurden. Oberst v. d. Heyde betrat mit zwanzig Offizieren und Unteroffizieren das Büro Olbrichts und forderte ihn auf, sich zu ergeben. Es folgte eine kurze Schießerei, bei der Stauffenberg verletzt wurde. General Fromm wurde von einer anderen Gruppe befreit und erklärte die Generale Beck, Olbricht, Hoepner, Oberst Stauffenberg für verhaftet. FM v. Witzleben und Gisevius hatten sich schon abgesetzt. Generaloberst Beck versuchte Selbstmord zu begehen, verletzte sich lediglich zweimal und erhielt schließlich von einem Unteroffizier den Gnadenschuß.

General Fromm hatte sich in sein Büro zurückgezogen und verkündete: »Ich habe eben ein Kriegsgericht einberufen, das den General Olbricht, den Oberst Mertz v. Quirnheim, diesen Oberst dort, den ich nicht mehr kennen will (er zeigte auf Stauffenberg) und den Leutnant da (womit er Leutnant v. Haeften, den Adjutanten Stauffenbergs, meinte) zum Tode verurteilt hat.«

Das »Urteil« wurde sofort im Hof des Gebäudes bei Scheinwerferlicht durch ein Peloton von Unteroffizieren des Ersatzheeres vollstreckt. Es war ungefähr 23.15 Uhr. General Fromm liquidierte störende Zeugen. Ich will an dieser Stelle einen Bericht und einen Brief zitieren. Dem Buch des ehemaligen Rüstungsministers Speer1 nach soll »die Erhebung durch die Panzerbrigade des Obersten Bolbrinker niedergeschlagen« worden sein. Er, Speer, sei »im Auto zur Bendlerstraße gekommen, um mich den kurz nach Mitternacht stattfindenden Erschießungen zu widersetzen«. Er schreibt:

»Bolbrinker und Remer saßen in meinem Auto. Die Bendlerstraße war im völlig abgedunkelten Berlin durch Scheinwerfer hell erleuchtet: ein unwirkliches und gespenstisches Bild.«

Dieses Bild soll gleichzeitig »theatralisch wie eine Filmkulisse« gewirkt haben. Das Auto von Speer wurde von einem SS-Offizier an der Ecke Tiergartenstraße aufgehalten. Unter den Bäumen sah er dann »Skorzeny, den Mussolini-Befreier, der mit Kaltenbrunner, dem Chef der Gestapo, spricht«. Nur war nicht Kaltenbrunner der Chef der Geheimen Staatspolizei, sondern Müller; aber es scheint, daß man immer die Gestapo nennen muß, wenn man jemandem eins auswischen will. »So schemenhaft wie diese dunklen Gestalten wirkte auch ihr Benehmen.«

Plötzlich, sieh da, »als gegen den hell erleuchteten Hintergrund der Bendlerstraße ein mächtiger Schatten sichtbar wurde«, kam General Fromm »allein, in voller Uniform«. Er wandte sich an Speer »mit gequälter Stimme« und gab ihm den Tod Olbrichts, Stauffenbergs und so weiter bekannt. Es stehen so viele unwahrscheinliche Dinge in diesem Buch, daß ich mich verpflichtet fühle, auf einige einzugehen: die Panzer des Obersten Bolbrinker haben überhaupt nichts niedergeschlagen und kamen gar nicht zum Einsatz. Der Grund dafür ist bekannt. Auch war die Bendlerstraße durch keinen einzigen Scheinwerfer erhellt. Dann erinnere ich mich nicht, Speer an diesem Abend gesehen zu haben, und wenn er sagt, daß ich mit ihm gesprochen habe, so war ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht zur Stelle, denn General Fromm befand sich noch im Bendlerblock. Ich glaube auch nicht, daß Oberst Bolbrinker und Major Remer im Lancia Speers Platz genommen haben. Und schließlich hatte ich anderes zu tun, als auf der Straße zu stehen und mich im Schatten der Bäume zu unterhalten.

Richtig ist, daß der wirkliche Gestapochef, Müller, auf Befehl Himmlers gegen 17.30 Uhr eine Art Untersuchungskommission in den Bendlerblock schickte. Diese Kommission wurde von Dr. Piffrader geleitet und bestand aus vier Leuten: zwei Gestapobeamten und zwei Unterführern. Dr. Piffrader sollte General Olbricht und seinen Chef des Stabes v. Stauffenberg verhören und herausfinden, weshalb dieser so überstürzt Rastenburg verlassen hatte. Himmler, der sich in diesem Moment im FHQu aufhielt, war bekannt, daß das Ersatzheer schon den Befehl zur Durchführung des Planes Walküre gegeben hatte. Ich verstehe daher nicht, weshalb Müller, der ebenfalls davon unterrichtet sein mußte, nur vier Mann losschickte. Olbricht setzte sie auch gleich unter Verschluß, und Dr. Kaltenbrunner, der Chef des RSHA, kam in eigener Person, um sie abzuholen – so wenig ernst nahm man den Putsch!

Kaltenbrunner wußte in diesem Augenblick noch nicht, daß Graf Helldorf, der Polizeichef Berlins, und Arthur Nebe, der Kripochef, auch dem Verschwörerkreis angehörten.

Speer behauptet in seinem Buch, daß er zur Bendlerstraße fuhr, um gegen die Vollstreckungen zu protestieren. Abgesehen davon, daß dazu seine Kompetenzen nicht ausreichten, soll das im Jahre 1969, als sein Buch erschien, heißen, daß er 1944 »Widerstand geleistet hatte«. Ich fragte Hans Remer, heute Generalmajor a. D., was er vom Bericht Speers halte. Nachstehend seine Antwort:

»... Herr Speer ist nur dadurch zum Bendlerblock gekommen, daß ich ihn gebeten habe, mich von meinem Gefechtsstand in der Goebbelsschen Dienstwohnung zum Bendlerblock zu fahren. Ich hatte kurz zuvor die Meldung erhalten, daß im Bendlerblock Erschießungen stattfänden. Da im Augenblick mein Wagen nicht greifbar war, ich aber eiligst zwecks Verhinderung von Erschießungen zum Bendlerblock wollte, bat ich Speer, mich dorthinzufahren. Er tat das auch umgehend mit seinem weißen Lancia-Sportwagen. Wenn Sie also so wollen, war Speer nichts anderes als mein Fahrer, wenn auch ein prominenter! Wir sind von niemandem angehalten worden. Ich traf im Durchgang zum Bendlerblock Fromm mit einer kleinen Begleitung, nach meiner Meinung war das unmittelbar nach der Erschießung Stauffenbergs und anderer.

Fromm kannte mich. Er sagte zu mir: Endlich ein anständiger Offizier von Großdeutschland! Was wissen Sie von der Lage? Ich sagte ihm, daß ich von Hitler alle Vollmachten für Berlin hätte und für die Sicherheit der Regierung und für die Wiederherstellung der legitimen Ordnung verantwortlich sei. Ich schlug Fromm vor, wenn er Genaueres über die politische Situation wissen wolle, zu Goebbels zu fahren, wo ich auch meinen Gefechtsstand errichtet habe.

Ich erinnere mich, daß nach diesem Gespräch Speer und Fromm noch miteinander sprachen. Wie Fromm und Speer dann wieder in die Goebbelssche Dienstwohnung kamen, weiß ich nicht. Ich war lediglich sehr verwundert, als ich eine halbe Stunde später dort eintraf, daß der auf dem Flur hängende Mantel von Fromm von SS-Männern durchsucht wurde. Was nun Ihre Frage anbetrifft, war der Bendlerblock, wie üblich, abgedunkelt. Nach der kurzen Unterredung mit Fromm bin ich dann in den ersten Stock gegangen und habe mich ganz allgemein informiert. Anschließend habe ich mich im Pförtnerhaus mit Hauptmann Schlee, dem Kompaniechef der wachhabenden Kompanie, unterhalten und ihm genaue Anweisungen erteilt. Wir müßten uns demnach in dieser Zeit getroffen und uns abgesprochen haben. Jedenfalls bin ich anschließend allein wieder zu meinem Gefechtsstand in die Goebbelssche Wohnung gefahren, wo ich wenig später Himmler antraf und ihm persönlich Bericht erstattete.«

Es wurde mit Major Remer vereinbart, daß er die Absicherung außerhalb des Gebäudes übernehmen würde und ich die Absicherung im Innern. So wurde es auch durchgeführt.

Ich war schon oft aus Dienstgründen in die Bendlerstraße gekommen. Gemeinsam mit Fölkersam, Ostafel und zwei meiner anderen Offiziere gingen wir in den ersten Stock, wo sich die Büros von Olbricht und Stauffenberg befanden. Es herrschte immer noch große Aufregung. An allen Ecken tauchten bewaffnete Offiziere auf. Ich versuchte die Gemüter zu beruhigen und informierte mich bei den Obersten Pridun und Herber, die ich persönlich kannte, über die Ereignisse des Nachmittags. Dann betrat ich das Büro Stauffenbergs. Ein mir bekannter Offizier der Luftwaffe sagte mir, daß der Chef der Funkabteilung für heute nacht auf Befehle warte. Ich wies ihn an, alles, was im Zusammenhang mit Walküre stand, zu annullieren und wieder eine normale Verbindung zum FHQu, den Wehrkreisen und den Generalstäben der verschiedenen Fronten herzustellen, sowie einen Telefonabhördienst einzurichten, vor allem für Ferngespräche. Trotzdem bekam ich nicht das FHQu an den Apparat.

Ich stellte fest, daß man schon seit gut zehn Stunden putschte und gegenputschte und die Arbeit darüber in Vergessenheit geraten war. Das wichtigste war nun, den gewaltigen Verwaltungsapparat wieder in Bewegung zu setzen, und so ließ ich die Abteilungsleiter antreten und sagte ihnen: »Die Hauptsache ist jetzt, alle Befehle des Alarmplans Walküre rückgängig zu machen. Millionen unserer Kameraden kämpfen schwer. Denken Sie an sie! An allen Fronten wird Nahrungsmittelnachschub, Munition und Verstärkung gebraucht. Jeder von Ihnen muß sich heute nacht bemühen, die verlorene Zeit nachzuholen!«

Da wies mich ein Oberst darauf hin, daß verschiedene dringende Entscheidungen über Nachschubfragen von General Fromm oder General Olbricht oder Oberst v. Stauffenberg entschieden und unterschrieben werden müßten. »Gut! Ich übernehme die Verantwortung, zu unterschreiben und dringende Anweisungen zu erteilen. Sie werden das Ihrige tun. An die Arbeit, meine Herren!«

Ich setzte mich an Stauffenbergs Schreibtisch. In einem der Schubfächer lagen der echte Walküre-Plan und zwei Würfel und ein Würfelspiel in Vierfarbdruck. Das Spiel stellte den Weg dar, den ein Korps der Heeresgruppe Süd während des Rußlandfeldzuges genommen hatte. Die in den verschiedenen Feldern stehenden Erklärungen waren so zynisch und niederträchtig, daß ich ganz erschüttert war.

Gegen ein Uhr früh sprach endlich Hitler zum deutschen Volk. Er erklärte, «laß er unversehrt sei, »obwohl die Bombe, die Oberst Graf v. Stauffenberg legte, zwei Meter von mir entfernt explodierte«. Er sagte weiterhin: »Welches Schicksal Deutschland getroffen hätte, wenn der Anschlag gelungen wäre, das vermögen sich vielleicht die wenigsten auszudenken. Ich selbst danke der Vorsehung und meinem Schöpfer nicht deshalb, daß er mich erhalten hat – mein Leben ist nur Sorge und ist nur Arbeit für mein Volk –, sondern danke ihm nur deshalb, daß er mir die Möglichkeit gab, diese Sorgen weiter tragen zu dürfen und in meiner Arbeit weiter fortzufahren so gut, wie ich das vor meinem Gewissen verantworten kann ... Ich darf besonders Sie, meine alten Kampfgefährten, noch einmal freudig begrüßen, daß es mir wieder vergönnt war, einem Schicksal zu entgehen, das nichts Schreckliches für mich bedeutete, sondern das den Schrecken für das deutsche Volk gebracht hätte.

Ich ersehe darin einen Fingerzeig der Vorsehung, daß ich mein Werk weiterführen muß und daher weiterführen werde.«

Hitler beabsichtigte, schon um 21 Uhr zu sprechen. Das war aber nicht möglich, weil der Rundfunk-Aufnahmewagen sich in Königsberg befand. Es war schon merkwürdig: an einem solchen Tage hatte das FHQu nicht die Möglichkeit, sich über Funk an das Volk zu wenden.

Zwei Stunden später, am 21. Juli gegen 3 Uhr morgens, gelang es mir endlich, telefonische Verbindung mit dem Stab Generaloberst Jodls aufzunehmen. Er war am Kopf verwundet und mein Freund Oberst v. Below am Hals. Die Generale Körten und Schmundt waren tödlich verletzt; Oberst Brandt war tot. Ich bat, man möge mich durch einen kompetenten General ablösen. Man werde am Vormittag Entsprechendes unternehmen, hörte ich, und in der Zwischenzeit solle ich auf meinem Posten bleiben. Ich blieb dann über dreißig Stunden – manchmal schläfrig in meinem Sessel, trotz dem Kaffee, den mir die Sekretärinnen Stauffenbergs kochten. Es gab Berichte und Telegramme zu lesen. Ich diktierte den Sekretärinnen Olbrichts und Stauffenbergs und unterschrieb hinausgehende Befehle »i. A.« (im Auftrag). Um die Mittagszeit rief mich GenOb Jodl selbst aus Rastenburg an und hieß mich noch ein paar Stunden weitermachen. Ich sollte das OKW benachrichtigen, wenn »eine besonders wichtige Entscheidung zu treffen« sei. Ich antwortete ihm, daß es mir in manchen Fällen nicht möglich sei, zu unterscheiden, was eine wichtige Entscheidung sei und was nicht. »Skorzeny«, sagte Jodl, »ich weiß genau, daß es Ihnen vor der Stabsarbeitsroutine graust; aber darum geht es nicht. Machen Sie weiter, es wird schon alles richtig sein: heute abend oder spätestens morgen früh werden Sie abgelöst.«

In den ersten Stunden meines Aufenthalts in der Bendlerstraße, als noch große Aufregung herrschte, rief mich Fölkersam vom zweiten Stock an, daß man einen bestimmten Nachrichtengeneral der Luftwaffe suche. Dieser Mann saß mir gegenüber am Tisch. Eben hatte er sich mir freiwillig zur Verfügung gestellt und um Befehle gebeten. »Bitte geben Sie mir Ihre Pistole«, sagte ich.

Er gab mir seine Waffe. Ich legte diese auf den Tisch und verließ den Raum. Dieser Mann solle verhaftet werden, meldete man mir. Ich wartete noch eine oder zwei Minuten. Ein Hauptmann des Heeres fragte mich, wo sich dieser General befinde.

»Bleiben Sie vor dieser Türe«, antwortete ich ihm.

Ich trat ein. Die Pistole lag noch an ihrem Platz. Der General sagte:

»Ich danke Ihnen. Aber meine religiösen Anschauungen verbieten es mir, mir selbst das Leben zu nehmen.«

»Ja. Ich verstehe.«

Ich öffnete die Türe, und der Hauptmann kam herein. Beide verließen den Raum.

Am Morgen des 22. Julis erschienen Himmler und General Jüttner in der Bendlerstraße. Hitler hatte den sonderbaren Einfall gehabt, den Reichsführer zum Befehlshaber des Einsatzheeres zu ernennen, um Fromm zu ersetzen. In Wahrheit trug Jüttner die gesamte Verantwortung, denn Himmler war es nicht gegeben, etwas von militärischen Problemen zu verstehen. Fölkersam, Ostafel und ich kehrten nach Friedenthal zurück, wo wir hundemüde ankamen und fünfzehn Stunden ohne Unterbrechung schliefen. Es muß der 23. Juli gewesen sein, als mich Schellenberg anrief. Er machte immer noch einen nervösen Eindruck und verkündete, daß er eben zwei Telefongespräche geführt habe. Eines mit Reichsführer Himmler und das andere mit Heinrich Müller, dem Gestapochef. Admiral Canaris sei stark in die Verschwörung verwickelt, und Schellenberg solle seine Verhaftung durchführen.

»Ich befinde mich in einer unangenehmen Situation«, sagte Schellenberg. »Der Reichsführer, der einen Befehl von oben befolgt, wünscht, daß der Admiral mit gewissem Respekt behandelt wird. Anderseits würde ich es unter den gegebenen Umständen schätzen, wenn mir ein Kommando Ihrer Einheit zur Verfügung stehen würde. Sie würde mir als Begleitkommando dienen, denn ich habe eine Aufgabe zu lösen, auf die ich lieber verzichten würde. Man müßte auch mit Widerstand rechnen.«

Ich antwortete Schellenberg, daß, wenn es nur darum gehe, Admiral Canaris zu verhaften, ein Offizier und sein Chauffeur vollkommen ausreichend sein müßten.

1946 erklärte mir Schellenberg im Gefängnis Nürnberg, daß er mir zu unendlichem Dank verpflichtet wäre, wenn ich bezeugen könne, daß er beim 20. Juli teilweise auf der Seite der Verschwörer gestanden habe. Ich lehnte ab. Warum hätte ich auch eine falsche Zeugenaussage machen sollen? Sicherlich war es im Jahre 1946 bei weitem leichter, Widerstand zu leisten, als im Juli 1944. Was ich über Admiral Canaris erfuhr, war viel zu wichtig, um es nicht auch meinem Stabschef Fölkersam weiterzugeben. Wie schon bekannt, hatte er der Brandenburg angehört und dort gute und loyale Dienste geleistet. Seit er in Friedenthal war, drückte er oft Zweifel an den Leistungen der Abwehr aus. Manche Kommandos fielen in völlig unerklärliche Hinterhalte, und die Division Brandenburg als normale Heereseinheit einzusetzen, war geradezu unglaublich und unverständlich! Ich für meinen Teil wußte, was ich von Canaris zu halten hatte. Sein Bericht über »den festen Willen«, den die italienische, königstreue Regierung zeigte, »den Krieg an unserer Seite weiterzuführen« (30. Juli 1943), war eine äußerst ernste Angelegenheit. Zum Glück hatte GFM Kesselring diesem Bericht keine Bedeutung beigemessen. Der gute Admiral wollte uns dann auf ein Inselchen bei Elba schicken, um dort den Duce zu suchen, der sich jedoch auf Sta. Maddalena befand. Sogar GFM Keitel und Hitler glaubten ihm lange Zeit. »Ist es überhaupt möglich«, sagte Fölkersam, »einen modernen Krieg zu gewinnen, wenn der Chef des Nachrichtendienstes gemeinsame Sache mit dem Feind macht?«

Das fragte ich mich auch und stellte mir eine weitere Frage: Was wäre passiert, wenn ein anderer, gut getarnter Verschwörer an meiner Stelle in der Bendlerstraße gesessen hätte?

Die Verschwörer hatten in Berlin eine totale Unfähigkeit an den Tag gelegt. Sie hätten den Alarmplan Walküre ab 14 Uhr in Gang setzen müssen und sich vorher vergewissern sollen, daß und welche Truppen ihnen folgten. Olbricht hatte dem Oberst Fritz Jäger befohlen, Goebbels zu verhaften. Aber man suchte vergeblich nach Polizisten, die mitmachen wollten. Major Remer wollte nichts davon wissen. Jäger landete schließlich bei den Landesschützen, die sich drückten, dann bei den Soldaten der Feuerwerkerschule, die sich weigerten.

Inzwischen plante der arme Hoepner, daß 350 000 Nazis verhaftet werden müßten. Von wem denn? Von den Feuerwerkern?

Wir von der Waffen-SS sollten dem Heer »eingegliedert« werden, das heißt, unter das Kommando des FM v. Witzleben gestellt werden. Jeder Offizier oder Soldat, der sich weigerte, dem Befehl eines über ihm stehenden Offiziers ohne Befehlsgewalt zu gehorchen, würde sofort als Verräter angesehen und an die Wand gestellt werden.

Karl Goerdeler hatte sich zum Reichskanzler ernannt und Stauffenberg sich selbst zum Generalmajor und Staatssekretär im Kriegsministerium. Es gab zwei Außenministeraspiranten: wenn man mit dem Westen verhandelte, wäre es Ulrich v. Hassel, für den Osten wäre Schulenburg zuständig gewesen. Man hatte wohl noch nie von der bedingungslosen Kapitulation sprechen hören, die auch für die Verschwörer galt!

Es war klar, daß durch den Tod Hitlers nur ein Chaos entstehen konnte. Dies war die Ansicht des Großadmirals Dönitz, der Feldmarschälle v. Rundstedt, v. Manstein, des Generals Guderian und aller Frontgenerale. Admiral Heye sagte zu mir nach dem 20. Juli:

»Sie wissen, daß ich ein Monarchist aus Tradition bin. Ich habe jedoch dem Führer Treue und Gehorsam geschworen. Außerdem, wenn bei der Marine ein Schiff auf ein Riff läuft, steht es nicht in den Gesetzen der Marine, den Kapitän ins Meer zu werfen. Er kommandiert weiterhin an Bord, bis mit Gottes Hilfe die Besatzung das rettende Ufer erreicht hat. Erst dann kommt er vor ein normales Seegericht. Im übrigen braucht man wohl nicht dreiundzwanzig Personen mit einer Bombe ins Jenseits zu befördern, nur um eine Person zu beseitigen.«

Gewiß, die Männer des 20. Julis, deren einziges, wenn auch utopisches Ziel es war, Deutschland zu retten, verdienen Achtung, denn sie riskierten dabei ihr Leben. Aber das Ergebnis ihrer Tat war katastrophal. Andererseits muß man zugeben, daß Himmler trotz seinem ganzen Polizeiapparat sehr schlecht unterrichtet war. Es ist ihm erst spät aufgegangen, daß das Attentat das Startsignal zu einem Putsch war. Er dachte, daß die Urheber des Anschlags die Arbeiter wären, die in der Nacht vom 19./20. Juli den bei einer zufälligen Bombardierung getroffenen Bunker reparierten. Der Führer war nicht dieser Meinung. Nach der Explosion ließ er sofort Stauffenberg suchen, aber nicht, um ihn zu verhören oder zu verhaften, sondern in der Befürchtung, daß der Oberst verletzt sein und irgendwo bewußtlos liegen könnte. Auf diese Weise erst wurde das eigenartige Benehmen Stauffenbergs erkannt, und man verdächtigte ihn auch. Man glaubte, daß er sich hinter die sowjetischen Linien geflüchtet hätte, die nur 100 km östlich von Rastenburg lagen. Der von dieser Möglichkeit wenig überzeugte Himmler wies den Gestapochef Müller an, Dr. Piffrader zum. Flugplatz von Rangsdorf zu schicken, um den Oberst bei der Landung zu verhaften. Das Auto, in dem Stauffenberg und Haeften saßen, kreuzte jedoch das von Piffrader auf der Straße zum Flugplatz.

Viele Verschwörer wurden in diese traurige Affäre gezogen, ohne überhaupt die Ziele der Anführer gekannt zu haben. Die Verschwörer hielten ihre Vorstellungen für Realitäten und behaupteten, daß es nach dem Verschwinden Hitlers möglich sein würde, mit dem Westen zu verhandeln. Das Schlimmste war, daß Olbricht Befehle an die Front durchgeben ließ, wo sie im Osten wie im Westen das Durcheinander nur noch vergrößerten. Hin Ehrentribunal des OKW bestimmte, wer von den am Komplott beteiligten angeklagten Offiziere seinen Dienstgrad behielt und wer nicht. Das Gericht bestand aus dem Vorsitzenden GFM Gerd v. Rundstedt, GFM Keitel und den Generalen Guderian, Schrodt, Kriebel und Kirchheim. Nur die degradierten und aus dem Militärstand ausgestoßenen Offiziere kamen vor das Volksgericht. Das Attentat hatte Hitler tief getroffen, nicht körperlich, sondern moralisch.

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Das Mißtrauen, das er schon seit langem gegen bestimmte Generale hegte, verwandelte sich in offene Feindschaft. Es wurde ihm klar, daß Canaris, Oster und Lahousen schon seit Anfang des Krieges Verrat begangen hatten, und die Tatsache, daß FM Rommel Teil an der Verschwörung hatte, traf ihn zutiefst. Der Gedanke, daß noch mehr Verräter in Schlüsselpositionen der Wehrmacht sitzen mochten, verfolgte ihn Tag und Nacht. Auch die Medikamente, die ihm sein Arzt Dr. Morell verschrieb, konnten ihn nicht beruhigen. Im Gegenteil: Mehr denn je stand er auch unter dem schlechten Einfluß von Martin Bormann.

Ich selbst wurde von Hitler immer sehr herzlich empfangen, was bei vielen Offizieren nicht der Fall war. General Guderian, der die Stelle des Generals Zeitzier als Generalstabschef des Heeres einnahm, sagte mir: »Der Bombenanschlag hat auf die Moral des Führers die schlimmsten Auswirkungen. Er ist übertrieben mißtrauisch geworden. Mit ihm zu diskutieren, wird immer schwieriger. Die Folgen des 20. Julis sind in jeder Hinsicht schrecklich.«

Man muß zugeben, daß Hitler außerordentliche Anstrengungen machte, um seine Verzweiflung zu unterdrücken und das Schicksal zu bezwingen. Aber nach den Erklärungen Roosevelts und Morgenthaus sollte Deutschland nach seiner »bedingungslosen Kapitulation« an allen Fronten eine drittklassige Agrarlandschaft ohne jede Industrie werden – und nach den Versicherungen des sowjetischen Schriftstellers Ilja Ehrenburg »eine verbrannte Trümmer wüste«!

Hatten wir keine andere Wahl, als den Kampf bis zum bitteren Ende weiterzuführen, um wenigstens möglichst viele deutsche Soldaten vor der Gefangenschaft in Rußland zu bewahren?


[1] Erinnerungen. Berlin


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