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Das Gold wird einfach gesetzt, e basta!


Interview für die Deutsche Rubrik der «Velesova Sloboda»

Siegling im Gespräch mit Cautes

Wie hast Du Zugang zum Leben und Werk von Julius Evola gefunden? Gab es ein besonderes Ereignis oder zufälliges Leseerlebnis, daß Dich in den Bann gezogen hat? Welches Werk hast Du zuerst gelesen? Welche Idee Evolas hat Dich zuerst angesprochen und überzeugt?

Damals war Evola noch nicht so stark über das Internet und insbesondere über die Plattform des Neofolks verbreitet. Es war eigentlich purer Zufall. Wir hatten uns im Rahmen einer kleinen philosophischen Runde über das Thema „Hyperborea“ unterhalten, als einer sagte, eine der wenigen unverfälschten Ansichten über dieses Thema sei von Julius Evola, die er in „Revolte gegen die moderne Welt“ beschreibe. Kurzum bestellte ich das Buch, sprang ins kalte Wasser, las es und verstand erstmal gar nichts. Ich brauchte nach einem Jahr einen zweiten, intensiveren Versuch und bin seit dem hell begeistert.

Du kennst sicher Oliver Ritters Roman „Ein Tag im Leben des Julius Evola“ [Oliver Ritter: Ein Tag im Leben des Julius Evola. Straelen 2006. Regin Verlag], der meines Erachtens trotz einiger Merkwürdigkeiten und Überzeichnungen, die für einen fiktionalen Text durchaus statthaft sind, gut gelungen ist. Was hältst Du von ihm?

Ich mag Oliver Ritters Bücher, besonders gefiel mir auch „Fiume oder der Tod“ [Oliver Ritter: Fiume oder der Tod. Bliestorf bei Lübeck 2004. Regin Verlag]. Natürlich ist das nichts, was in einem Geschichtsbuch geschrieben stehen kann. Aber der Geist der damals diese Freischärler um D’Annunzio [Der Schriftsteller, Nationalist, Militarist und „Kommandante“ Gabriele D’Annunzio (1863-1938) versammelte 1919 eine Gruppe von Freischärlern um sich, die die laut Pariser Friedensvertrag unter alliierter Verwaltung stehende, aber mehrheitlich von Italienern bewohnte Stadt Fiume in Dalmatien besetzte und dort ein einzigartiges Regime errichtete. D’Annunzio verwirklichte eine anarchistisch-archaische Herrschaft, deren Stilelemente später vom italienischen Faschismus aufgegriffen wurden: Massenaufmärsche, Führerkult, pathetische Ansprachen, Korporatismus (als Dritter Weg zwischen Kapitalismus und Marxismus), ständestaatliche Volksvertretung, zur Schau gestellter Heroismus, Todessymbolik und Todesverachtung der Milizen der Stadt, die bereits den „römischen“, später allgemein als faschistisch betrachteten Gruß anwendeten. Vgl. Richard Schapke: Gabriele D’Annunzio. Philosophie und Politik, Junges Forum 2] herrschte, wird wunderbar dargelegt. Ritters Bücher sind für die Seele – und sie beschreiben auch die Seele des jeweiligen Themas. Besonders das Buch über Evola ist sehr gelungen, da es Evola so beschreibt, als hätte dieser selbst gesprochen, man erkennt, daß Oliver Ritter sich intensiv mit ihm befaßt hat.

Oliver Ritter | Ein Tag im Leben des Julius EvolaOliver Ritter | Fiume oder der Tod

Romane: D’Annunzio und Evola aus der Sicht Ritters, Regin-Verlag

Mir hat besonders das Gespräch zwischen Evola und Benito Mussolini gefallen, das dem Leser das Aufeinanderprallen zweier Willensmenschen –  der eine im radikalen Denken, der andere im radikalen Tun – spannend schildert und dem Leser auch aufzeigt, daß Traditionalismus und Faschismus zwar erhebliche ideologische Schnittmengen aufweisen, aber doch in Konkurrenz zueinander stehen. Für Evola war der italienische Faschismus zu sehr von Elementen und Substraten der Moderne durchsetzt, zu plebejisch das Personal, zu modernistisch das Gesellschaftsverständnis. Dabei hätte – meines Erachtens – der Traditionalismus als Idee nur dann eine Chance auf lebenspraktische und geschichtsmächtige Verwirklichung, wenn er auch das Moderne mit dem jeder Wiedererweckung wert seienden Alten verbindet – wie eben der Faschismus mit seiner Technikbegeisterung samt Anknüpfung an das römische Reich und dem altrömischen Geist. Wie siehst Du das?

Vielfach wird geglaubt, daß Tradition und Fortschritt nicht zusammen passen. Dabei wird das Wort „Tradition“ schlichtweg falsch verstanden. Tradition ist nämlich nicht an Raum und Zeit gebunden. Gerade z.B. der Futurismus der ja offen der „Tradition“ den Kampf an gesagt hat, ist in meinen Augen traditionaler als irgendwelche „völkischen“ Bauern, die leben wie vor 100 Jahren. Da muß ich dem Futurismus Recht geben, daß diese falsch verstandene Tradition nur aus Staub und Moder besteht. Was Evola hauptsächlich am Faschismus kritisierte, war der Kompromiss mit dem Bürgertum. Wenn das Bürgertum bei den großen Visionen, die es nicht versteht, mitreden kann, dann ist bereits alles verloren. Das Bürgertum ist noch vor der Aufklärung und vor der Demokratie das größte aller Übel. Zudem ist ja Evola auch Dadaist gewesen, also Anhänger jener Anti-Kunst welche zur Nullführung strebt. Eine Anti-Kunst auch gegen verkorkste, falsche Traditionalisten. Wie Ritter gut beschreibt, hat Evola eben DADA voll verwirklicht als er am Nullpunkt angekommen ist – damit hat er aber DADA zugleich überwunden. Daß Evola mit „Tradition“ nicht das Konservieren alter Formen meint, zeigt sich schon im Werk „Menschen inmitten von Ruinen“, indem er schreibt, daß nicht die toten verfälschten Formen zu bewahren seien, sondern der ewig bestehende Geist, das überweltliche Sein.

Werk aus Julius Evolas DADA-Phase: Arte Astratta (Zürich, 1920)

Werk aus Julius Evolas DADA-Phase: Arte Astratta (Zürich, 1920)

Aus: Alexander Graeff: Spiritualität, Avantgarde und Faschismus.
Julius Evola zwischen Futurismus und Dadaismus, Ikonen-Magazin (Nr.7, 2005)

Auch die Ritualszene in einem Mithräum Roms, in dem Evola und seine Anhänger den Geist Roms via eines okkulten Rituals wieder erwecken und heraufbeschwören wollen, finde ich äußerst interessant. Glaubst Du daß dieses Ritual jemals stattgefunden hat? Immerhin war Evola mit seiner Gruppe UR ein Akteur der italienischen Okkultszene [Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der „magischen Phase“, die Evola 1927-1929 mit seiner Gruppe „UR“ durchlebte]. Was weißt Du über Evolas Wirken im Rahmen der Gruppe UR?

Das Ritual schien ja nicht erfolgreich gewesen zu sein oder fand nie in diesem Rahmen statt, sonst wäre die Geschichte wohl anders verlaufen. Ritter beschreibt ja wie der Geist vor dem Bild Mussolinis weg gewichen ist. Daß Evolas Zeit in der Gruppe von UR sein Gesamtwerk formte, steht fest, vor allem da die Ausführungen seiner folgenden Werke nur logische Schlüsse dieser Basis sind. Die Gruppe von UR wiederum formte ihr Wissen und ihre rituelle Praxis aus dem ewigen Wissen, der ewigen Wahrheit, der Tradition. Die Gruppe von UR spielt für mich eine sehr wichtige Rolle, gerade auch in unserer Tätigkeit für die Heliokratie, bei der wir häufig auf das von UR übersetzte Mithras-Ritual [Vgl. Julius Evola: Der Weg der Selbstverwirklichung nach den Mithras-Mysterien, Rom o.J. in: Julius Evola: Über das Initiatische. Aufsatzsammlung. Sinzheim 1998] als Quelle und Inspiration zurückgreifen.

Mithras tötet den Stier

Mithras tötet den Stier

Was mich an Evola neben seinen Werken und Ideen fasziniert ist das „komplette“ und erfüllte Leben, indem sich eine oder gar mehrere Epochen bündeln: Sizilianischer Adliger, Weltkriegsoffizier, Dadaist, Philosoph und Denker, Beteiligter am Faschismus, Zeuge des Weltkriegs. Und schließlich sein Tod, den er wunschgemäß von seinen Anhängern in Sichtweite des Standorts des alten Janus-Tempels in Rom aufgerichtet empfing, um dann zu Asche verbrannt in einer Gletscherspalte des Monte Rosa versenkt zu werden. Als Rechter in der seelenlosen, modernen, gemästeten und verwahrlosten Massengesellschaft empfindet man doch geradezu eine Sehnsucht nach einem solchen Leben, oder? Wie kann man heute als in oben genannte gesellschaftliche und staatliche Zustände zwangsintegrierter „Bürger“ im Sinne Evolas „anders“ leben? Ist Evolas „Den Tiger reiten“ eine Hilfe für uns? Immerhin bietet es konkrete Vorschläge!

Einen Schlüsselsatz läßt sich schon aus den Buchtiteln des Barone formen: „Die große Lust inmitten von Ruinen den Tiger zu reiten“. Es ist aber eigentlich klar, daß vom Kali Yuga aus nicht schrittweise das goldene Zeitalter wieder erreicht werden kann. Vielmehr wird dies mit einer Art „Knall“ eintreten. Das Gold wird einfach gesetzt, e basta! Ähnlich wie in diesem Zwiegespräch zwischen dem Duce und dem Baron auf das Du vorhin zu sprechen kamst. Für den Faschismus hätte eben im Sinne Evolas einfach ein geistiger Akt gesetzt werden müssen und nicht der Versuch unternommen werden, Stück für Stück die Gesellschaft und das Bürgertum beeinflussen zu wollen. Die Futuristen waren unter anderem Leute, die von politischen Strategien eher gelangweilt waren. Man merkt also, daß die Kunst eine wichtigere Rolle im Rahmen der wahren, ewig geltenden Tradition spielt, als politische Konzepte. Evola zeigt ja viele Wege auf, wie man der Transzendenz näher kommt. Sei dies durch Askese, durch den Krieg, mit Hilfe der Alchemie, ja sogar durch den Sexus. Während für Einzelne oder kleinere Gruppen noch Hoffnung auf solche Annäherungen an die Transzendenz besteht, gilt es den Rest der Welt in den Abgrund laufen zu lassen, denn jedes Aufhalten verzögert nur den Neubeginn des goldenen Zeitalters.

Die Asche Evolas wird im Eis des Monte Rosa vergraben

Endpunkt eines außergewöhnlichen Lebens:
Die Asche Evolas wird im ewigen Eis
des Monte Rosa vergraben (1974).

Welche Bedeutung mißt Du Evolas zyklischem Weltbild zu, das er als geistiges indogermanisches Erbe ansieht?

Dies ist ja nicht nur Evolas Weltbild. Die Lehre von den vier Zeitaltern mit immer wiederkehrenden Elementen von Aufstieg, Blütezeit und Fall ist fast überall zu finden, sowohl im Werdegang der verschiedenen Kulturen als auch im kleinen Rahmen. Man kann sie sogar auf die heutige Wirtschaft anwenden. Ich verstehe nicht, wie die moderne Geschichtsschreibung dies so konsequent außer Acht lassen kann. Die Lehre der Weltzeitalter und eines geistigen Verfalls dürfte sogar dem größten Materialisten klar sein. Wenn dieser auch den Geist als Schwäche verneint, muß er doch anerkennen, daß ein dauerhafter geistiger Rückgang zu verzeichnen ist, ein Verfallsweg des über dem Menschen stehenden zum puren Menschlichen.

Könntest Du Dich noch etwas ausführlicher über den Dadaismus und Evolas Rolle als Dadaist äußern? So wie ich Dich verstehe, war die bewußte und aktive Negation der tradierten Kunst als Bestandteil der überkommenen bürgerlichen Welt die Vorbedingung, um von einem künstlerisch-kulturellen „Nullpunkt“ überhaupt zu einer Basis zu gelangen, von der aus die Idee der Tradition gedacht bzw. geistig aufgerichtet werden konnte? Laut Ritters Roman strebte Evola allerdings auch den persönlich-psychischen „Nullpunkt“ an: durch Drogen- und sexuelle Exzesse – ist das richtig? Wenn ja, welcher Zusammenhang ergibt sich daraus?

Es gibt verschiedene Strömungen die zu einem solchen „geistigen“ Nullpunkt führen können. Es geht dabei ja vor allem darum sich sämtlichen Werten zu entreißen um von einem reinen, unbefleckten Kern ausgehen zu können. Das kann im weiteren Sinne mittels der Kunst wie z.B. Dadaismus, Futurismus oder auch Heutzutage z.B. mittels Black Metal, in dem ich einige verwandte Attribute erkenne, erreicht werden. Auf der anderen Seite natürlich auch mit Philosophien wie z.B. Nietzsches Nihilismus. Allerdings sind diese Formen die zu einem solchen Nullpunkt führen können eben dann als Sprungbrett zu nutzen und dies zur genau richtigen Zeit wenn der Nullpunkt erreicht ist, wird dieser überschritten – so führt das eben zu solchen „spontanen Selbstauflösungen“ wie die Dadaisten Roms, die sich vom Fensterbalken herunten fallen lassen, denn DADA will es so. Beim Nullpunkt muß diese Negation dann überwunden werden. Für Evola war das der Beginn. Ab diesem Zeitpunkt hatte er wirklich mit seiner „Magie als Wissenschaft vom Ich“ begonnen.

Es gibt in „Den Tiger reiten“ das Kapitel „Exkurs über die Drogen“. Ich zitiere: „Diese persönliche Gleichung und die besondere Art, in der Drogen- und Rauschmittel wirken (hier läßt sich der Alkohol einschließen), führen den Einzelnen zur Entfremdung von sich selbst. Sie drängen ihn in eine passive Öffnung für Zustände hinein, die ihm die Illusion höherer Freiheit, von Trunkenheit und unbekannter Gefühlsintensität geben, die aber im Grunde alle den Charakter der Auflösung tragen und in keiner Weise „weiterführen“. Um sich von solchen Erfahrungen ein anderes Ergebnis zu erwarten, bedarf es eines außergewöhnlichen Maßes spiritueller Handlungsfähigkeit. Es bedarf einer inneren Haltung, die derjenigen, die von dem Bedürfnis gekennzeichnet ist, vor Spannungen zu fliehen, geradezu entgegengesetzt ist.“

Das sollte eigentlich die Frage, wie Evola zu Drogen und generell zu Exzessen aller Art steht beantworten. Es gilt eben nicht alles immer für die gesamte Menschheit. Es sind eben nicht alle gleich und damit meine ich explizit die Ungleichheit in den eigenen Kulturkreisen. Wenn die Priesterkaste Gebrauch von Drogen macht, heißt das noch lange nicht, daß jeder dahergelaufene Bürger jetzt auch Drogen nehmen soll. Die Gleichheit respektive Ungleichheit der Menschen scheint mir sowieso eine immer wieder falsch verstandene Thematik zu sein. Dr. Robert Mäder spricht von dem göttlichen Prinzip, der Ungleichheit in der Gleichheit. Er bezieht dies als Beispiel auf die Familie in dem Vater, Mutter und Kind allesamt vor Gott den gleichen Wert haben. Sie sind Menschen, aber sie sind auch ungleich, denn der Vater ist der Vater, die Mutter die Mutter und das Kind das Kind. Es gibt Gesetze die für alle drei als Menschen gelten, aber eben auch Gesetze und Rechte die ausschließlich für den Vater gelten, ebenso solche die nur für die Mutter oder eben nur für die Kinder gelten. Ein Volk von Gleichen, in dem alle „homogene“ Brüder sind, ist die letzte Verfallsform einer Gesellschaft in der eben jeder glaubt sich jedes Vorrecht heraus zu nehmen. Die Mutter glaubt Vater sein zu dürfen, der Bauer glaubt König zu sein und Jugendliche glauben, sie dürfen von Substanzen gebrauch machen, die der Priesterkaste vorbehalten sind.

Um aber wieder auf Evola und deine Frage zurück zu kommen. Evola hat sicherlich mit Drogen experimentiert. Er hatte sicherlich auch „sexuelle Exzesse“ obwohl diese wie in „Metaphysik des Sexus“ beschrieben werden, eben einen weiteren Weg darstellen um an der Transzendenz anzuknüpfen. Drogen und Exzesse waren Anfangs in der Dandy- und DADA-Phase vielleicht noch Mittel zu diesem Nullpunkt und dessen Abgrund, dem Evola aber auch nur haarscharf entkam. Später jedoch waren sie Mittel die explizit zu transzendentalen Erfahrungen beigetragen haben. Alles in allem ist aber nochmals zu betonen, daß Evola nicht einfach irgendeiner gewesen ist und aus dieser Perspektive muss das auch gesehen werden damit man da für sich selbst nicht falsche Schlußfolgerungen zieht.

Könntest Du kurz auf die Bewegung des Futurismus eingehen?

Der Futurismus wurde 1909 durch Filippo Tomaso Marinetti begründet. Er war die wohl radikalste Kunstströmung der bekannten Menschheitsgeschichte (DADA ausgenommen, da DADA sich eben nicht als Kunst, sondern als Antikunst versteht). Oberflächlich gesagt ging es beim Futurismus um den Kampf gegen die verstaubten pseudotraditionellen und bürgerlichen Werte. Der Futurismus wollte Aggression, Geschwindigkeit und Dynamik. Er wollte die Schönheit der Zerstörung besingen, das Männliche und Heroische. Die Spitze war die Erschaffung des mechanischen Riesen Gazourmah, der ohne fremde (weibliche) Hilfe, nur durch den Akt des Willens geboren wurde, der gegenüber weiblichen Reizen unempfindlich, sich selbst reproduzieren kann. Gazourmah wird in Marinettis afrikanischem Roman beschrieben, als Sohn des Herrschers Mafarka, der allein alle seine Feinde besiegte und der des Herrschens ohne kämpferische Herausforderungen leid war. So wollte er sich einen mechanischen Sohn konstruieren, der mit seinen Flügeln dem Bild des Ikarus ziemlich nahe steht, jedoch aber selbst die Sonne zu unterwerfen im Stande ist.

Die Futuristen verstehen ihre Kunst als eine Funktion des Lebens. Er beschränkt sich eben nicht nur auf das Erschaffen von Medien aller Art sondern hat den Anspruch die Welt komplett und radikal umzuwälzen. Anfangs gab es auch eine Futuristische Partei. Später nach diversen Streitigkeiten und Widerversöhnungen wurde Marinetti den Posten als Kulturminister im faschistischen Italien angeboten. Kurz vor Kriegsende ging Marinetti noch an die Ostfront im Rahmen einer „Expedition“ und kam als kranker Mann zurück nach Italien und starb.

Futuristische Ikone: Tullio Crali: Sturzflug über der Stadt, 1939

Futuristische Ikone: Tullio Crali: Sturzflug
über der Stadt, 1939

Interessant ist auch Dr. Armin Mohlers Schrift „Der faschistische Stil“ [Armin Mohler: Der faschistische Stil, in: Liberalenbeschimpfung. Drei politische Traktate. Essen 1990], in der er kurz auf das Treffen von Gottfried Benn [Gottfried Benn, bedeutender deutscher Lyriker, 1886-1956] und Marinetti eingeht.

Aufschlußreich ist, daß Benn den Italiener nicht auf eine gemeinsame Gesinnung oder eine Gemeinschaft der Ideen anspricht. Nach ihm ist es vielmehr Deutschlands wie Italiens Aufgabe, „an dem untheatralischen, an dem großartig kalten Stil mitzuarbeiten, in den Europa hineinwächst“. Benn lobt am Futurismus, daß er „die stupide Psychologie des Naturalismus hinter sich warf, das faul und zäh gewordene Massiv des bürgerlichen Romans durchstieß und mit der funkelnden und rapiden Strophik Ihrer Hymnen“ – Benn spricht Marinetti direkt an – „auf das Grundgesetz der Kunst zurückging: Schöpfung und Stil.“ Schon die Angriffe sind interessant. Es geht gegen die Psychologie, das Theatralische im Sinne der Guckkasten-Bühne, gegen das Kleinteilig-Gründliche der bürgerlichen Kultur. Und mit den positiven Wertungen ist bereits ein erheblicher Teil des faschistischen Sentiments voraus genommen: kalter Stil, rapid, funkelnd, großartig. Das, worauf Benn den Gast im weiteren Verlauf der Rede anspricht, sind denn auch nicht Inhalte im gewohnten Sinne – es ist eine bestimmte Dynamik, ein Rhythmus: „Mitten in einem Zeitalter stumpf gewordener, feiger und überladener Instinkte verlangten und gründeten Sie eine Kunst, die dem Feuer der Schlachten und dem Angriff der Helden nicht widersprach... Sie forderten die Liebe zur Gefahr, die Gewöhnung an Energie und Verwegenheit, den Mut, die Unerschrockenheit, die Rebellion, den Angriffspunkt, den Laufschritt, den Todessprung und dies nannten Sie die schönen Ideen, für die man stirbt.“

Die oft falsch interpretierte Anti-Tradition des Futurismus bezieht sich wie oben erwähnt auf das passive Konservieren von Vergangenem. Stattdessen wollte der Futurismus aktiv sein. Er wollte das, was wir unter „traditional“ verstehen, leben. Klar führte der Futurismus schlußendlich auch wieder nur zu einem Nullpunkt und muß so in letzter Konsequenz überwunden werden.

Faschistische Impression: Faschistische Jugend (GIL) exerziert in Rom

Faschistische Impression: Faschistische Jugend (GIL)
exerziert in Rom

Was verstehst Du unter „Heliokratie“?

Dazu kann ich Dir eigentlich einfach nur das Heliokratische Manifest zeigen, an dessen Verfassung ich beteiligt war. Es handelt sich dabei nicht um etwas speziell Neues und Einzigartiges. Aber es ist ein Versuch wieder etwas traditionale Frische in dieses Zeitalter zu bringen:

Heliokratisches Manifest:

In Europa geht ein Gespenst um -, es ist das Gespenst der Heliokratie. Diese hehre Wortschöpfung bedeutet wörtlich "Sonnenherrschaft" und legt damit zugleich die Grundlagen wie auch die Zielsetzung jener damit zusammenhängenden Idee fest, welche mit den Attributen traditional, sakral, solar, hierarchisch sowie transzendental umrissen werden kann, wobei diese Attribute einer näheren Definition bedürfen.

So verstehen wir unter "Tradition" die überzeitlichen, d.h. jenseits von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft stehenden, unveränderlichen Dreh- und Angelpunkte, die an die Metaphysik gebunden sind und von der Mehrheit der Menschheit in erster Linie aufgrund der Befangenheit in Raum und Zeit nicht als solche erkannt werden können.

Unter "heilig" (sakral) verstehen wir die Annäherung an die Reinheit des göttlichen Willenszentrums und des kosmischen Urlichts, wobei uns diesbezüglich eine – im weitesten Sinne – neuplatonische, bzw. gnostische Auffassung, also die Erkenntnis des Göttlichen, zugrunde liegt.

Als "solar" (sonnenhaft) bezeichnen wir den heroischen Triumph, welcher die Idee über die Materie stellt, da sie im "Feuer des Willens" die Abhängigkeit der irdisch gebundenen Welt von der darüber stehenden Wirklichkeit erkannt hat.

"Hierarchie" verstehen wir im wortwörtlichen Sinne: als "Vorherrschaft des Heiligen". Nebenbei bemerkt, leitet sich aus der Hierarchie auch die Erkenntnis jener absoluten Widersinnigkeit ab, allen Menschen alles erklären zu wollen.

Die "transzendentale Realität" schließlich ist der Ursprung und Zweck unseres Seins, das jenseitige Sehnen, das Streben, das Kämpfen – in einem Zustand des steten Erwachens – nach den feinstofflichen Sphären der Unsterblichkeit und darüber hinaus zum gleißend durchstrahlenden Urlicht, entgegen dem hinab ziehenden Strome der Materie mit all seinen Verstrickungen. Die Transzendenz ist die Leiter des nur Menschlichen zum Göttlichen.

Aus diesen Erläuterungen kann die Schlußfolgerung gezogen werden, daß die Heliokratie an eine – auf Grundlage okkulter Mysterien und Initiationen – organisch existierende Aristokratie glaubt, und in logischer Konsequenz den Gedanken an eine solare Sakralmonarchie als Brücke zwischen Himmel und Erde zum Mittelpunkt erhebt. Deswegen wird jeglicher Atheismus von der Heliokratie radikal verworfen.

Nationalismus und Sozialismus lehnt die Heliokratie entschlossen ab, da diese all zu menschlichen, von der Aufklärung geprägten Vorstellungen, der reinen und höheren Idee nicht genügen!

Streben ohne Kämpfen gibt es nicht. Der Kampf jedoch soll um des Kampfes Willen gefochten werden und nicht um die Verachtung des Gegners. Ebenso wird der Gegner als Teil der Einheit angesehen, ohne diesen es nicht möglich wäre, zur „Sonne“, dem Symbol für das Göttliche, zu gelangen. Verachtung und Haß sind Elemente, die isoliert in die Welt der "Zweiheit" – in welcher sich zwei Pole von niederen Naturkräften hin und her reißen lassen – gehören und die somit undenkbar für den Heliokraten sind.

Die Gemeinsamkeit in der Heliokratie besteht nicht zwingend durch deckungsgleiche Konzepte oder Strukturen, sondern durch die Sprache der Symbole und Anspielungen. Die rationelle Kommunikation von Worten vermag nicht die Erkenntnis des Göttlichen zu erklären, da dieses gänzlich nicht menschlich ist. Worte können in unzähligen Variationen interpretiert werden, Symbole jedoch wirken auf jene, welche sie zu deuten imstande sind, als unmittelbare Träger der Erkenntnis.

Die Heliokratie ist eine grundsätzlich andere Geisteshaltung als die Moderne hervorgebracht hat. Sie erschöpft sich nicht in einem irdischen Aktionismus sondern ist die unbewegte Bewegung, die durch die Transzendenz auf die Metaphysik ausgerichtet ist. Wahre Tradition ist nicht ein Nachtrauern an alte und verstaubte Schöpfungen, sondern wurde schon immer an das Überzeitliche und Überweltliche geknüpft.

Wenn ich Dich richtig verstanden habe, übst Du mit anderen eine rituelle Praxis aus? Könntest Du etwas genauer beschreiben, wie diese aussieht? Verstehst Du diese als Anknüpfung an Evolas „magische Phase“?

Rituelle Praxis ist vielleicht übertrieben. Im Rahmen der Heliokratie haben wir uns an diversen Veranstaltungen mittels einer „Zeremonie“ präsentiert aber sehr auf exoterische Art und Weise. Natürlich bin ich bestrebt auch eigene, eben esoterische Erfahrungen zu machen.

Was hat es mit dem von Ur übernommenen „Mithras-Ritual“ auf sich? Geht dieses wirklich auf den antiken Mithras-Kult zurück?

Die Gruppe von UR beschreibt dies als die Übersetzung des vollständigen Rituals aus dem großen Pariser Zauberpapyrus. Eines der einzigen vollständigen initiatischen Überlieferungen aus unserem Kulturkreis.

Übrigens wurden Teile der deutschen Übersetzung dieses Rituals auch für unser neues Album (Menegroth: Gazourmah) verwendet. Das Lied „Mithras Initiation“ beinhaltet sowohl die Einleitung dieses Rituals als auch einzelne Textelemente aus den verschiedenen Logos des Ritus. Für die Sprachaufnahmen stand uns Josef Maria Klumb von „Von Thronstahl“ zur Verfügung. 

Menegroth: Gazmourah

Black Metal im Zeichen von Traditionalismus
und Heliokratie: Menegroth. Gazourmah

In diesem Zusammenhang fällt mir Evolas Werk „Magie als Wissenschaft vom Ich“ [Julius Evola/Gruppe von UR: Magie als Wissenschaft vom Ich. Grundlegung der Initiation (Band I) und Schritte der Initiation (Band II). Interlaken 1985] ein, das nach einem Leitfaden für eine Persönlichkeitsentwicklung (im traditionalen Sinne?) klingt. Stimmt das? Wie schwer ist, diesen Weg erfolgreich zu gehen?

Das Material in diesen drei Bänden ist unentbehrlich für diejenigen, die noch heute Fähigkeit und Absicht besitzen solche Erfahrungen zu machen. Die Abhandlungen dieser Bücher sind sicherlich nicht für das breite Publikum bestimmt. Die Autoren legten auch besonderen Wert darauf, daß hier die Magie mehr als „praktische Metaphysik“ definiert wird und eigentlich gar nichts mit dieser großen Anzahl verschiedener Spielarten gemeinsam hat, die man heute als Spiritualismus oder Esoterik bezeichnet. Diese reichen vom vulgären Spiritismus über den englisch-indischen Theosophismus bis hin zum „Okkultismus“, zur Anthroposophie und anderen ähnlichen Strömungen. In all dem sehen wir Abweichungen, die mit der authentischen, traditionalen, initiatischen Lehre nichts zu tun haben, sondern eine wilde Mischung aus Bruchstücken von antiken Wahrheiten, modernen Geistesverirrungen, visionären Strömen und schlechtester Philosophie darstellen, wozu noch eine passende moralische und evolutionär-humanitäre Sauce kommt. Die Organisatoren dieser Bände legen größten Wert darauf, dem Leser das ganz klare Gefühl eines unüberbrückbaren Gegensatzes zu diesen verworrenen und nachgeäfften Formen zu vermitteln, die nur den Sumpf und den Mangel an Prinzipien in unserer Zeit widerspiegeln.“

Evolas Werk „Das Mysterium des Grals“ geht meiner Meinung nach in seinem Gesamtwerk etwas unter. Dabei ist es eine erste profunde Auseinandersetzung mit dem europäischen Mythos schlechthin. Immerhin wurde diese Spur später von der SS verfolgt, ich denke an Otto Rahn und seine Studien, die zum Ausnahmewerk „Kreuzzug gegen den Gral“ [Otto Rahn: Kreuzzug gegen den Gral, Freiburg im Breisgau 1933] führten? Welche Einsichten hat Dir dieses Werk vermittelt?

Der Heilige Gral symbolisiert das verloren gegangene, traditionale und heroische Zeitalter. Er zeigt mythologisch schon seine Entsprechung: Er beinhaltet das noble Blut, den Stein Luzifers oder wird mit „der Frau“ [die laut Evola nicht eine reale Frau ist, sondern eine Imagination, die für eine esoterische Initiation steht.] gleichgestellt.

Der Gral ist jenes geistige dritte Auge, das Luzifer nach seinem Sturz – und somit seinem Verlust des geistigen Bezuges – verlor oder ist eben der Kelch mit dem Blut Christi. Hier ist der Sinn derselbe, der Besitz des Grals ist der Besitz der Verbindung zum Göttlichen und somit auch die Legitimation der äußeren Macht. Der Gral ist die Braut, die man sich erobert und bei ihrem Besitz der Herr im Geiste wird, er ist das erneuernde heilige Blut, die erneute sonnenhafte Wesenheit nach der Initiation. Die äußere Macht ist das Resultat, denn der Gralszyklus ist ghibellinisch, also königlich. Die innere Macht begründet die äußere, sprich die Templer, die sich auch auf dieses Prinzip bezogen, bezogen dies direkt auf den Gral, da der Gralsmythos reinste ghibellinische Wahrheit ist.

Evola hat in den Dreißigerjahren vor der SS mehrfach referiert und ist auf positive Resonanz gestoßen, bis man ihm aus teilweise irrationalen Gründen bzw. aufgrund der Angst Subalterner Einfluß zu verlieren, den weiteren Zugang und eine Mitarbeit verweigert hat. Die SS als „Kshatriya-Orden“ mußte doch Evolas Vorstellung eines Ordens traditionaler Prägung nahe gekommen sein. War es Verhängnis, daß diese Zusammenarbeit nicht zustande kam oder wäre diese Zusammenarbeit ein Verhängnis für Evola und seine Idee gewesen?

Das Problem beim Nationalsozialismus im Allgemeinen ist, daß er von der Rechten maßlos überbewertet und von der Linken als luziferisch, metaphysische Größe, die das absolut Böse verkörpert und somit schlicht undiskutierbar ist, gewertet wird. Der Nationalsozialismus ist natürlich weder noch. Es gab durchaus Strömungen in Ihm die zumindest versucht haben, wie oben erwähnt den Gral, also dieses verlorene, traditionale, wieder zu finden. Aber der Kreis derer, die tatsächlich solche Absichten hatten, war extrem klein.

Selbst im Ordensgedanken der SS waren verschiedene „Kräfte“ am Werk. Während die Minderheit wohl tatsächlich für Evolas Ideen brauchbar gewesen wäre, haben sich doch auch stark tellurische Energien breit gemacht, die am Ende den Schicksalsweg der SS und auch des ganzen Nationalsozialismus gelenkt haben. Gerade auch der Einfluß der Ariosophie, der rein biologische Rassismus, die antisemitische Propaganda die im Endeffekt nur dazu führte, daß man am Juden das haßte, was man selbst – oder zumindest zum Teil noch – war.

Daß Evola im Ordensgedanken der SS viele positive Aspekte gesehen hat, ist nachvollziehbar, aber die Wandlung in einen wirklich traditionalen Kriegerorden war wohl unmöglich.

Ich finde Ritters Werk „Fiume oder der Tod“ auch sehr bewegend – D’ Annunzios Gründung des Stadtstaates Fiume an der Adriaküste also eher eine traditionale Unternehmung statt Geburtsstunde des Faschismus?

Es war sicher ein Abenteuer, sowohl politisch als auch im kriegerischen Sinne, was diese Besetzung von Fiume ja auch so sympathisch macht. D’Annunzio ist sowohl tiefgründiger Künstler als auch Krieger und das macht ihn fähig, zumindest das Traditionale erspüren zu können.

Ich stimme Dir in der Ablehnung des Bürgertums zu und verweise auf den Aufsatz Unsere Antibürgerliche Front, in dem er auch die historischen Wurzeln des Bürgertums ausgehend vom Hoch- und Spätmittelalter als „Krebsgeschwür“ beschreibt, daß dem ökonomischen Prinzip in der Gesellschaft rücksichtslos zur absoluten Herrschaft verhilft. Eigentlich wird diese Sicht aktuell durch einen Höhepunkt bestätigt: die Wall-Street-Krise zeigt, daß die Finanzzentren in New York und London als überstaatliche Mächte in verbrecherischer Weise über alle staatlichen Ordnungen triumphieren. Allerdings bleibt doch anzumerken, daß in der gesellschaftlichen Realität der Gegenwart überhaupt nur Menschen für die Idee der Tradition gewonnen werden können, die aus der Schicht des Bürgertums stammen, in dieser sozialisiert worden sind und damit die Kulturfertigkeiten erlernt haben, um überhaupt denken und sich Wissen aneignen zu können. Das überwiegend bildungsferne Proletariat bzw. die nun vorherrschende völlig materialistisch ausgerichtete „Dienstleisterschicht“ und der degenerierte und überkommene Adel scheiden doch nun von vorneherein aus, oder? An dieser Stelle eröffnet sich für mich ein weiteres großes Problem der Tradition: War Evola – aus aristokratischem Dünkel? – nicht völlig unfähig zu erkennen, daß im Zuge der Industrialisierung auf Massenbasis mit dem Proletariat als neu entstandenen Gesellschaftsschicht eine Größe aufgetreten ist, der man Rechnung tragen mußte („Soziale Frage“) und die man nicht einfach so negieren konnte und kann, wenn man neu- und umgestalten will, auch im Sinne der Tradition? Der Faschismus hat sich dieser Größe gestellt…

Wie sagt Nicolas Gomez Dávila [kolumbianischer Reaktionär, 1913-1994. Davila ist vor allem durch seine Aphorismen bekannt geworden, die eine gleichzeitig ätzende und sehr geistreiche Kritik an der Moderne darstellen] so schön: "Die Französische Revolution wurde nicht gegen den Feudalismus, sondern gegen dessen Fehlen durchgeführt." Und genau dieses „Fehlen“ ist beim zeitgenössischen Adel der Fall. Mag das Traditional auch völlig korrekt sein, daß im ewigen und metaphysischen der Adel in seiner Ehre und Fähigkeiten unantastbar ist, jedoch wurden im Kali Yuga bereits alle Werte wie wild durch einander gemischt. Nur noch wenig ist von diesem metaphysischen Adel zu sehen und zu spüren. Das heißt aber noch lange nicht, das man dem Pöbel die Krone aufzusetzen hat und das Zepter in die Hand zu drücken. Vielmehr muß der Adel seinen Gral wieder finden und sich aufs Neue beweisen und wenn das auch heißen könnte, daß aus einer unerwarteten Klasse sich einer Erheben könnte, der Excalibur aus dem Stein zieht und so seine wahre, geistige Abstammung offenbart.

Wie Du bereits gesehen hast, ist für unsere Beschäftigung mit Evola seine Begegnung mit Corneliu Codreanu, dem Führer der Eisernen Garde von entscheidender Bedeutung, da Evola offenkundig in ihm und seiner Bewegung so etwas wie eine praxistaugliche Verwirklichung seiner Idee sah. Immerhin hat er sich in mindestens drei Texten zu dieser Ausnahmepersönlichkeit geäußert. Im Vorwort der bislang unveröffentlichten Aufsatzsammlung Über das Initiatische [Julius Evola: Über das Initiatische. Aufsatzsammlung. Sinzheim 1998]wird auf die Begegnung zwischen Evola und Codreanu näher eingegangen, so schreibt ein gewisser T. Hansen, den bekannten Religionswissenschaftler und Mitglied von Codreanus Garde, Mirca Eliade, [rumänischer Religionswissenschaftler und Schriftsteller, 1907-1986, Schlüsseltexte: Das Heilige und das Profane und Von Zalmoxis bis Dschingis Khan. Religion und Volkskultur in Südosteuropa. Die Mitgliedschaft des jungen Eliade in Codreanus Garde war lange ein Geheimnis. Eliade stand im engen Kontakt mit Evola, der später kritisch zur Kenntnis nahm, das Eliade zwar zahlreiche seiner Ideen und Einflüsse aus der traditionalen Lehre aufnahm und für seine Forschungen fruchtbar machte, diese aber in Rücksicht auf das akademische und politische Establishment verschwieg. Im Regin-Verlag erscheint im September 2009 das sicher aufschlußreiche Werk von Claudio Mutti: Mirca Eliade und die Eiserne Garde] zitierend, daß „Evola nach einem Gespräch von zehn bis zwölf Stunden zurückkam, völlig überwältigt von der spirituellen Kraft des Capitans, wie auch vom Adel seines Glaubens und den Ideen, die ihn zum Kampfe trieben und der italienische Professor begann die Themen aufzuzählen, die sie besprochen hatten. Über Politik nicht ein Wort“.

Ergibt sich hier nicht die Möglichkeit einer weitaus größeren Beeinflussung Codreanus durch Evolas traditionaler Lehre als gemeinhin angenommen? Damit wäre so etwas wie eine Praxistauglichkeit des Traditionalismus bewiesen, oder?

Daß die Legionäre Rumäniens unter Codreanu dem traditionalen Rittertum sehr ähnlich gewesen sind ist unbestritten. Dennoch ist auch diese „Bewegung“ nur eine Art letzter Versuch gewesen, Tradition in diesem Zeitalter um zu setzten. Codreanu hat sehr hohes Potential gehabt und hätte sich die Garde weiter durchsetzten können, wer weiß? Aber gerade hier liegt der Hund begraben. Sie konnte sich eben nicht durchsetzten. Es lag, wenn man so sagen möchte, ein Fluch auf ihr, der Fluch des Kali Yuga. Für mich bleibt der Capitanul aber ein leuchtendes Beispiel eines wirklichen Ritters dessen Licht selbst in tiefster Finsternis strahlt.

Corneliu Codreanus Garde war ein wahrhafter Unterschied zu den modernen politischen Organisationen. Die Garde nahm nur einen gewissen Menschentypus auf und baute stark auf schon längst totgeglaubte Werte. Der Gardist mußte z.B. – wie Codreanu sagte – einen komplett anderen Menschentypus darstellen und „die Befriedigung in den Freuden des Kampfes und des Opfer(s)“ für eine höhere Sache sehen. Die Garde hatte nie ein festes politisches Programm, sie lehnte ein solches sogar strikt ab und wollte nicht dadurch Wähler gewinnen. Es gab auch keine große Propaganda im Wahlkampf. Die Gründung und Einigung der Mitglieder der Garde baute schlicht auf dem auf, was sie auf höherer Ebene (im Fühlen des Hohen) verband. Sie sahen sich immer als von Gott eingesetzt und niemals als Organisation welche nur oberflächlich etwas verändern wollte. Sie strebten eine geistige Änderung an. Codreanu unterschied sich auch selbst von der modernen Welt wie kein Anderer. Er nahm Hunger, Entbehrung und Armut in Kauf und starb beinahe den Hungertod, jedoch steckte er soviel Mittel wie möglich in die Garde, da er diese als übergeordnet, als sein höheres Selbst sah. Er sagte, daß der geistige Reichtum dem Materiellen immer übergeordnet ist und es besser sei, geistig reich zu sein. Der Glaube ist der Garde das Wichtigste gewesen, denn gerade dieser formt das Überirdische und Übermaterielle aus.

Du sprichst vom Eintreten des „Goldenen Zeitalters“ als einer Art „Knall“. Ist dies nicht völlig ahistorisch und unhaltbar, wenn man die Geschichte als die vielschichtiger Übergänge begreifen gelernt hat? Mir fallen da Begriffe ein wie „Herbst des Mittelalters“ ein – alles nur eine Frage des Glaubens? Sind dann nicht alle Versuche, etwas „in die richtige Richtung“ zu bewegen, vergeblich, sinnlos? Erübrigt sich im Kali Yuga jedes an wahren Werten ausgerichtetes Handeln?

Auf gewisse Dinge haben wir als Menschen keinen Einfluß. Wären wir Götter, wäre dies wohl anders. Also was müssen wir tun um nicht mehr menschlich zu sein sondern eben göttlich? Oder zumindest als Menschen das Göttliche „zu beeinflussen“? Das Streben nach der Transzendenz oder auch das Streben nach der alchemistischen Transformation der Metalle (menschlich) in Gold (göttlich), dem großen Werk welches aber auch nicht jedem bestimmt ist, denn das Risiko, wie Prometheus zu fallen, ist enorm.

Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, um auf den Philosophen Claus Dettelbacher zu verweisen [Claus Dettelbacher: Im Maulbeerhain. Die Lehre von den vier Weltzeitaltern. Einführung in die Spuren zyklischer Zeit. Rezeption, Schnittstellen, Geschichtsphilosophie. Mit ständiger Rücksicht auf Julius Evola. Kurzversion: www.ensatlantic.com]. Dettelbacher hat sich mit der Idee der Weltzeitalter in verschiedenen Kulturen auseinandergesetzt und geht dabei auch auf Evola ein, er äußert – grob zusammengefaßt – folgende Gedankengänge: Evola sehe z.B. das Mittelalter aus der Sicht der Lehre der vier Weltzeitalter viel zu positiv, nämlich bereits als „goldenes Zeitalter“. Er erkenne nicht oder nur teilweise, daß dieses höchstes ein „Abendrot“ und nicht „die Sonne“ gewesen sei – ein Zeitalter des Geistes, der jedoch in Klostermauern eingesperrt blieb. Desweiteren gebe es keinerlei Material, das die vor der Antike liegenden Zeitalter in irgendeiner Weise anschaulich machen könnte. Es stehe eine unüberwindliche Schranke zwischen der Antike und der Zeit davor. Zudem sei es Teil der indischen Überlieferung des Yuga-Systems, daß man auch kleinere kulturelle Zyklen in Aufstieg, Blüte und Verfall unterteilen könne. Damit sei aber ein Erkennen, eine Zuordnung der „großen“ Yugas für den Menschen unmöglich.

Dettelbacher nimmt nun keine völlig evola-kritische Haltung ein, sondern schreibt auch:

„Die Negativismen Evolas (…) können auch den ausklingenden Pol des ausklingenden Kali Yugas kennzeichnen. Wie die Kälte der Nacht an ihrem Ende am größten wird, so könnten die Attribute des Kali Yuga ihre stärkste Ausprägung erreichen, in einer Zeit, da dieses bereits schon beinahe zu Ende ist. Ist das, was Evola beklagt nicht vielmehr das Ende des vorhergehenden Goldenen Zeitalters (Satya Yuga), als die Präsenz des Eisernen. Der Unterschied ist fein, liegt aber darin, daß das Ende des letzten Goldenen Zeitalters nicht mit dem Beginn des Eisernen Zeitalters gekommen ist, sondern daß das Goldene Zeitalter bis zum Ende des Eisernen fortwirkt. Zumindest in der Erinnerung der Menschheit ist das der Fall. Der Aufstieg zu einem neuen Satya Yuga schafft eine neue Vision und zerstört erst die rückwärtsgerichteten geisthaften Verbindungen zu der alten goldenen Vergangenheit. Denn das neue Goldene Zeitalter kann niemals eine Wiederholung des alten sein. Vielmehr ist es wie eine Oktave verschoben zur alten Welt: Die Töne werden gleich benannt, doch nur ein grobes Gitter aus Zeit und Qualität hält sie in ihrem Gefüge.

Was sagst Du zu diesen Gedankengängen? Macht es überhaupt Sinn, sich gedanklich so mit der Lehre der vier Yugas auseinanderzusetzen?

Also erstens wäre mir neu, daß Evola im Mittelalter das goldene Zeitalter sieht. Daß aber die Blütezeit des Mittelalters um einiges traditionaler als die Blütezeit der Moderne ist, ist unbestreitbar. Es sind ja immer diese Konstanten der Blütezeit der jeweiligen Zeitalter die in einem immer mehr verflossenem Zustand an die Transzendenz an knüpfen. Das Wissen um diese Zeitalter und deren zyklischen Verlauf ist insofern wichtig um zu verstehen wo wir stehen und dem entsprechend uns auch auf diese Ausgangslage einzustellen. Wie wir uns dann verhalten sei dahin gestellt. Ob wir uns dem widersetzen oder ob wir den Strom der nach unten zieht weiter beschleunigen. Am Besten wäre wohl beides. Zum einen diesen Vorgängen ihren Lauf zu lassen und zum anderen selbst innerlich Widerstand zu leisten.

Nun gibt es gerade aus den Reihen der radikalen Rechten dezidierte Kritik an Evola und seiner Idee der Tradition. In der Zeitschrift „Sezession“ setzte sich Hans Thomas Hakl [Hans Thomas Hakl: Die integrale Tradition, in: Sezession, Nr.11, Oktober 2005, S.20-28] mit der integralen Tradition kritisch auseinander. Zitat: „Die Konzeption eines traditionalen organischen Staates mögen ästhetisch berücken, archetypischen Sehnsüchten genügen und für manche die ewige Sinnfrage lösen, aber daß sie unser Leben hier auf Erden verbessern, bezweifele ich. Sie beachten nämlich nicht die unweigerliche Fehlbarkeit des Menschen. Und diese würde, so fürchte ich, statt zur erwarteten kosmischer Harmonie in kurzer Zeit zu einem üblen Totalitarismus führen. Zwangsmaßnahmen würden unweigerlich ergriffen werden müssen, sobald ernste Gefahr für die hochgesteckten spirituellen Ziele droht. Kein Staat kann heute mehr für sich allein existieren und sich abschotten. Wirtschaft und Kommunikation sind nun einmal miteinander vernetzt. Widerläufige Meinungen sind damit unvermeidbar. Und eine letzte Frage: Wo sind denn heute die Menschen, die freiwillig die für diese Ziele notwendigen Opfer bringen?“ – Was sagst Du zu dieser Kritik?

Ein traditionales Reich „inmitten von Ruinen“ ist natürlich nicht möglich. Im Moment müssen wir uns darauf konzentrieren als Einzelne die Tradition zu erfassen und zu erkennen. Jetzt auf Gedeih und Verderb ein solches System einzuführen würde auch gar nicht unserem Zeitalter entsprechen. Allerdings ist natürlich das Streben nach der Transzendenz nicht unbedingt daran gebunden ob es im hier und jetzt ein goldenes System gibt oder nicht. Auch hat dieses Streben nichts mit der Verbesserung des heutigen Lebens hier auf Erden zu tun. So etwas spielt nun mal einfach keine Rolle. Thomas Hakl zielt wohl aber auch mehr darauf ab, all diesen übermäßigen „Bewegungen“ eine Schranke zu weisen. Wir wollen keine Bewegung sein, keinen Umsturz oder Revolution der Niederen, sondern als Unbewegte bewegen.

Cautes, vielen Dank für dieses Gespräch. Richte noch ein Schlußwort an unsere Leser!

Die Idee ist die Wirklichkeit, die über jeder rationalen und emotionalen-menschlichen Realität triumphiert.

Die Metaphysik eröffnet sich jenseits der Vernunft, sie ist wahrlich kein menschliches Wissen.

Cautes (September 2009)


Weiterführende Literatur:

Hans Ulrich Gumbrecht u.a. (Hg.): Der Dichter als Kommandante. D’Annunzio erobert Fiume. Paderborn 1996.
Giano Accame: Marinetti und der Futurismus.
Filippo Tomaso Marinetti: Das futuristische Manifest (1909)
Internet (ständig aktualisierte Informationen über den Traditionalismus und seine Denker):
Eiserne Krone (Blog)
Kshatriya (Blog)
Corneliu Codreanu. Eiserne Garde (1939)

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