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«Wirtschaft ist Politik»


Thomas Rösler im Gespräch mit Arne Schimmer

Die Finanzkrise bzw. die ihr nun folgende Rezession sind Hauptthema der Medien, für 2010 sieht es wirtschaftlich düster aus: Anstieg der Arbeitslosenzahlen, Schrumpfen der Wirtschaft. Astronomisch teure „Konjunkturpakete“, von denen keiner weiß ob sie außer einer weiteren Staatsverschuldung etwas bewirken können, sollen nun die Rettung bringen bzw. die Krise abmildern. Sie sind Ökonom, wie ist ihre Sicht der Dinge?

Arne Schimmer

Zwar melden sich, sobald einige Wochen ohne größere Katastrophen vergehen, seit Beginn der Krise im Sommer 2007 in schöner Regelmäßigkeit die Gesundbeter zurück, die unverzagt vorhersagen, daß das Schlimmste überstanden sei und die internationale Finanzwelt sich auf dem Wege der Gesundung befinde. Solche optimistischen Prognosen gab es allerdings auch im Verlauf der Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933, was heute kaum mehr bekannt ist. Die Finanzkrise wurzelt in der hohen Verschuldung von Unternehmen und Staaten sowie der Konsumenten und insbesondere der Immobilienbesitzer in den Vereinigten Staaten. Um den Zusammenbruch des Weltfinanzsystems zu vermeiden, wurde der Verschuldungsgrad insbesondere der Staaten nochmals erhöht. Das ist so, als würde man einen Alkoholiker dadurch kurieren wollen, indem man ihm immer wieder eine neue Runde Schnaps bestellt. Die Finanzkrise wird nicht ausgestanden sein, bevor die Verschuldungspyramiden nicht in sich zusammengebrochen sind. Dies wird in der Konsequenz aber bedeuten, daß wir in den nächsten Jahren einige Staatsbankrotte erleben werden.

In Anbetracht der Dimension der Finanzkrise wird gerne auf die Krisenjahre 1929-1931 verwiesen, die an der New Yorker Wallstreet ihren Anfang nahmen. Gibt es Zusammenhänge? Welchen historischen Stellenwert messen sie der Finanzkrise bei? Welche Bedeutung hat sie für radikal rechts denkende Aktivisten?

Nun, der Zusammenhang zu 1929 bis 1931 besteht darin, daß große Finanzkrisen nach ähnlichen Mustern verlaufen – deshalb können Krisentheoretiker wie Karl Marx oder Hyman Minsky auch allgemeine Aussagen über solche Ereignisse treffen. Das Grundmuster sieht ungefähr so aus: Staaten, Banken, Unternehmen oder Privatleute geben und nehmen in vermeintlich guten Zeiten exzessiv Kredite und machen sich dabei zunehmend weniger Gedanken über das damit verbundene Risiko. Die Möglichkeit einer Rezession und des damit verbundenen massenhaften Kreditausfalls werden verdrängt. „Dieses Mal ist alles ganz anders“ – so das über die Jahrhunderte gleichlautende Standardargument. So auch diesmal: Nie waren die Risikomodelle angeblich so verläßlich, die Regulierungen so dicht und die Absicherungsgeschäfte angeblich absolut perfekt. Gerade die vermeintliche Unverwundbarkeit erhöht dann die Risikobereitschaft nochmals, bis die Investoren zu einem Schneeballsystem übergehen, bei dem sogar zur Finanzierung der Zinslast Kredite aufgenommen werden. Dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis der Zusammenbruch kommt.

Ich würde die aktuelle Finanzkrise schon als historische Zäsur bezeichnen, denn zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg ist das Herzland des Kapitalismus, die Vereinigten Staaten von Amerika, betroffen. Für die politische Rechte sollte die Finanzkrise ein Ansporn sein, den ideengeschichtlichen Elfenbeinturm zu verlassen und sich mehr mit Fragen der Wirtschaft zu beschäftigen. Es gibt keine zwei getrennten Sphären von Wirtschaft und Politik, denn die gemeinsame Arbeit und Daseinsvorsorge ist ein konstituierendes Element jeder menschlichen Gesellschaft – Wirtschaft ist Politik.

Panik auf der Wallstreet

1929: Panik auf der Wallstreet – Die Folgen
der Weltwirtschaftskrise zogen Europa
in den Abgrund

„Optimistische Prognosen gab es allerdings auch im Verlauf der Weltwirtschaftskrise
von 1929 bis 1933, was heute kaum mehr bekannt ist.“

Die gebetsmühlenartige Forderung von Politik, Medien und Wirtschaft nun nicht nach Schuldigen zu suchen, sondern in erster Linie etwas gegen die Krise zu tun bzw. „zusammenzuhalten“ (also die Spekulanten und Mächtigen der Finanzwirtschaft und die um ihre Arbeitsplätze und Ersparnisse zitternden Arbeitnehmer) reizt natürlich die Frage nach Schuld und Verantwortung zu stellen. Wer hat diese Krise zu verantworten?

Die Ursachen der Krise liegen im System, nicht in Einzelpersonen. Seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts läuft die sogenannte dritte industrielle Revolution. Der Einsatz von EDV, Mikroelektronik, Nanotechnik und Robotern macht menschliche Arbeit zunehmend überflüssig. Der daraus folgende massenhafte Arbeitsplatzabbau läßt die Binnenmärkte abschmelzen und führt zu einer zunehmenden Weltmarktorientierung des Kapitals und einer Zerstörung aller kleinräumigen wirtschaftlichen Strukturen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene. Durch die immer stärkere Auslagerung betriebswirtschaftlicher Funktionen und deren Verstreuung in Regionen mit niedrigen Lohnkosten verwandelten sich vormals nationale Unternehmen in rasantem Tempo in transnationale Konzerne, was wiederum zu einem Zerfall nationalstaatlicher Strukturen führt, die durch den internationalen Standortwettbewerb immer weniger finanzierbar werden. Mit der Auflösung ganzer Volkswirtschaften in transnationale Betriebswirtschaften, die aus einem Gewirr ausgelagerter und über den Globus verstreuter Tochterfirmen, Subunternehmen und Sub-Subunternehmen bestehen, wird auch der Staat mehr und mehr zu einer sich zersetzenden leeren Hülle. Die Zahl der gescheiterten Staaten nimmt zu, Anomie macht sich breit. Eine nationale Kapitalismuskritik muß diese Prozesse analysieren und darf sich nicht an falschen Feindbildern abarbeiten.

US-Präsident Obama hat die Amerikaner auf eine lange Rezession eingestimmt: Anstieg der Arbeitslosigkeit, Kreditkrise. Die Staatsverschuldung wird astronomische Höhen erreichen. Zeichnet sich nun der Abstieg der USA als Weltmacht ab?

Ja, das denke ich schon. Mit der Finanzkrise ist ja auch das im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts entstandene angelsächsische Akkumulationsmodell gescheitert, das darauf abzielt, aus dem eingesetzten Kapital eine maximale Rendite herauszuholen, was eine Ablösung der Unternehmermentalität durch die Dominanz der Finanzansprüche bewirkt hat. Dieses Leitbild ist in der Finanzkrise gescheitert.

Auch der vor der Finanzkrise herrschende Verschuldungskreislauf – kurz gesagt: die Ersparnisse der Europäer und Asiaten werden von den USA verkonsumiert – ist endgültig zusammengebrochen. Die neue Weltmacht China wird versuchen, ihre unter Abwertungsdruck stehenden Dollarbestände loszuwerden und in werthaltige Aktiva einzutauschen. Die USA werden große Probleme bei ihrer Staatsfinanzierung bekommen, was natürlich auch ihre Fähigkeit beeinträchtigen wird, Kriege auf fernen Kontinenten zu führen. Es könnte sein, daß wir jetzt die Götterdämmerung der letzten Weltmacht erleben.

Was verstörend wirkt, ist die gleichmütige Abgestumpftheit mit der dies alles, insbesondere von den Arbeitnehmern, hingenommen wird. Es hat sich doch folgendes gezeigt: Selbst in der Phase des angeblichen „Aufschwungs“ vor der Finanzkrise wurden die Arbeitnehmer nicht am Profit beteiligt, die Löhne stagnierten, was aufgrund der Teuerung von Energie und anderen Lebenshaltungskosten einem Reallohnverlust gleichkam. Seit 1997 steigen die Reallöhne nicht mehr. Nun sind hohe Lohnforderungen aufgrund der Wirtschaftslage nicht mehr opportun. Der Lohnverzicht, die Scheu sich krank zu melden, die Anpassung der Arbeitnehmer an Technisierung und Rationalisierung durch Flexibilität, Mehrarbeit und Verzicht auf Urlaubstage wurde im Grunde durch einige „falsche“ bzw. „betrügerische“ Mouseclicks an den internationalen Finanzhandelsplätzen grenzenübergreifend ausgelöscht. Meine Beobachtung ist: Die Arbeitnehmer handelten im Glauben „der deutschen Wirtschaft helfen zu müssen“ und waren noch in einem alten „volkswirtschaftlichen“ Denken verhaftet, dem der Fünfziger- bis Achtzigerjahre, in der dies noch so möglich war. Viele begreifen nicht, daß in der Globalisierung solche realwirtschaftlichen Anstrengungen nur noch begrenzte Auswirkungen auf die nationalen Volkswirtschaften haben. Wie sehen sie das? Wie ist es zu erklären, daß selbst die meisten Linken an dem Wirtschaftssystem festhalten wollen und stattdessen lieber ein wenig „mehr Staat“ bzw. kleine Regulierungen im Finanzgeschäft fordern?

Das liegt wahrscheinlich in erster Linie darin, daß die Linke voll im politischen System angekommen ist und es ein allgemeines historisches Gesetz ist, daß derjenige, der die Macht errungen hat, dann plötzlich konservativ wird und auf Besitzstandswahrung aus ist. Ein Jürgen Elsässer [Anmerkung: Der Blog des Linken ist äußerst lesenswert – Geheimtipp!] beispielsweise wettert zurecht gegen die Latte Macchiato-Linke, die sich mit allem beschäftigt, was dem Kapital nicht weh tut, und sich nur noch für Popkultur, Antifa und Gender-Mainstreaming beschäftigt. Das sind Themen, die heute für denjenigen, der sie für sich reklamiert, ungeheuer karrierefördernd wirken, und zwar gerade deswegen, weil sie gar nichts mehr mit den wirklichen Problemen im Lande zu tun haben.

Dabei sollte aber nicht übersehen werden, daß es neben dieser angepaßten Linken auch eine kritische Linke gibt, die sich sehr wohl noch mit der Systemfrage beschäftigt.

In der linksradikalen TAZ (Berlin) war jüngst ein Interview zu lesen, das meines Erachtens symptomatisch ist. In diesem äußerte ein linker Ökonom auf die Frage, ob die Einführung einer „Tobin-Steuer“ (benannt nach James Tobin, der 1972 eine Steuer auf alle Devisengeschäfte vorschlug) auf Finanztransfers und eine stärkere staatliche Regulierung des Finanzmarktes in Deutschland möglich sei – dies sei nur sehr eng begrenzt möglich, da der Kapitalismus „westlicher“, also angelsächsischer Provenienz, an dem sich die Finanzwelt und Weltwirtschaft orientiere, viel zu dominant sei und Deutschland keinen eigenen bzw. alternativen Weg mehr gehen könne. Das sind doch düstere Aussichten! Wie soll nun eine Änderung des Wirtschaftssystems erfolgen? Braucht Deutschland nicht andere Länder, die zu einer revolutionären wirtschaftlichen Neuorientierung bereit sind (eventuell durch eine tief greifende politische Veränderung) als Verbündete? Das würde dann auch bedeuten, daß ohne eine national orientierte „Partnerregierung“ jede national gewendete Wirtschaftspolitik zum Scheitern verurteilt ist…

Das ist absolut richtig. Wirtschaftspolitische Alternativen zur Finanzblasen-Ökonomie der Wall-Street können erst dann zu einer realpolitischen Option werden, wenn die Hegemonie der US-Supermacht gebrochen ist. Dieser Prozeß ist derzeit schon in vollem Gange. Eine nationale Regierung in Deutschland würde starke außenpolitische und außenwirtschaftliche Partner brauchen. Alain de Benoist hat schon zu Beginn des Irak-Kriegs im Jahr 2003 und des durch ihn ausgelösten Zerwürfnisses zwischen den USA und einigen wichtigen europäischen Verbündeten von einem „großen westlichen Schisma“ gesprochen, das mit dem Irak-Krieg sichtbar geworden sei und das auf einer anderen Weltsicht und einem anderen Rechtsverständnis der europäischen Nationen beruhe und sich für eine Achse „Paris – Berlin – Moskau“ stark gemacht.

Carl Schmitt hat einmal die Feststellung gemacht, daß die politische Welt ein Pluriversum, und kein Universum ist, für ihn war mit dem Versailler Diktat auch die Epoche europäischer Staatlichkeit zu Ende. Seit Versailles lebt die Welt in einem permanenten Ausnahmezustand, der dafür sorgt, daß die Kriege nun zu „humanitären Interventionen“ geworden sind, der die Welt aber nicht friedlicher gemacht hat. Das alles hat Carl Schmitt schon in den zwanziger und dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts vorausgesehen und damals schon die Alternative zu einer vereinheitlichten Welt unter US-Hegemonie formuliert: Großraum gegen Universalismus.

In der radikalen Rechten wird oftmals von der „Raumorientierten Volkswirtschaft“ gesprochen. Linke Kritiker bzw. Antifa-Aktivisten kritisieren diese als Propaganda-Phrase und verweisen auf das angebliche Fehlen konkreter Inhalte. Was ist unter dieser zu verstehen? Ist der Begriff „Raumorientierte Volkswirtschaft“ überhaupt akzeptabel für Sie? So wie ich diese verstehe, bedeutet sie nicht die grundsätzliche Abkehr vom Kapitalismus bzw. von der Marktwirtschaft, sondern will dessen Grundzüge erhalten, also: Recht auf Eigentum, freies Unternehmertum, keine Verstaatlichung von Betrieben, Exportorientierung – ist dies richtig? Falls ja: Was unterscheidet dann das rechte radikale „mehr Staat“ vom linksliberalen bzw. sozialdemokratischen „mehr Staat“? Auf welche ökonomischen Vordenker kann sich die radikale Rechte überhaupt berufen? Welche sollte man als „normaler“ politischer Aktivist unbedingt kennen?

Also die Kritik an dem Begriff der „raumorientierten Volkswirtschaft“ kann man insofern gelten lassen, als der Begriff noch nicht die Frage nach der Eigentumsordnung beantwortet, die ja für jede Wirtschaftsordnung konstituierend ist. In diesem Punkt sind die Begriffe „Kapitalismus“ für eine auf Privateigentum basierende Wirtschaftsordnung, „Sozialismus“ für eine staatsgelenkte Wirtschaftsordnung, die gemischte Eigentumsformen zuläßt, und „Kommunismus“ für eine Ordnung, die kein Privateigentum an Produktionsmitteln zuläßt, etwas präziser, auch wenn man anmerken muß, daß der Nationalökonom Werner Sombart schon in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts 260 damals bekannte Definitionen von Sozialismus zählte. Man muß also immer damit leben, daß Begriffe bis zu einem gewissen Grad interpretationsoffen sind.

Der Begriff der „Raumorientierten Volkswirtschaft“ ist meines Erachtens dennoch gelungen. Die Globalisierung verschärft nicht nur unerbittlich den Standortwettbewerb zwischen den Nationen, sondern auch regionale Konkurrenzen und Ungleichgewichte – insbesondere in Mitteldeutschland ist das ein wichtiges Thema, wie die Debatte über „Leuchttürme“, „Metropolregionen“ und „Entleerungsräume“ beweist. Das Konzept einer „Raumorientierten Volkswirtschaft“ ist notwendig in einer Zeit, in der auch innerhalb der Binnenwirtschaft eines Landes die sozialräumlichen Disparitäten ständig zunehmen und nur noch einzelne Metropolen boomen, während jahrhundertealte Kulturlandschaften wegen Abwanderung und Überalterung in ihrem Bestand bedroht sind.

Ziel der „Raumorientierten Volkswirtschaft“ ist es, die wirtschaftliche Aktivität wieder in die Regionen zurückzuverlagern. Eine Kernaussage der Vertreter der „Raumorientierten Volkswirtschaft“ lautet: „Eine florierende Wirtschaft braucht Nähe, geographisch, sozial, kulturell. Das heißt: sie braucht eine funktionierende Gesellschaft, eine soziokulturelle Gemeinschaft, ein Volk, eine Nation, aber auch eine Ordnung und einen Staat.“ Das schließt natürlich auch mit ein, daß es in einer raumorientierten Volkswirtschaft keine Verabsolutierung des Privateigentums gibt und der Begriff somit kein Deckmäntelchen für die Restauration kapitalistischer Verhältnisse ist. Die raumorientierte Volkswirtschaft ist eine gemischte Wirtschaftsordnung, in der es öffentliches Eigentum insbesondere an den Schlüsselindustrien, im Finanzsektor und im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge gibt.

Wenn Sie fragen, auf welchen ökonomischen Vordenker sich die radikale Rechte berufen kann, dann kann ich nur antworten, daß man sich gerade im Bereich der Wirtschaftstheorie bloß nicht anhand der herkömmlichen Rechts-Links-Gesäßgeographie bilden soll. Empfehlenswert sind die Bücher von Alain de Benoist, in denen er sich mit ökonomischen Fragen beschäftigt, wie Abschied vom Wachstum und Schöne vernetzte Welt [beide Werke sind 2009 erschienen]. Unter den deutschsprachigen Autoren ist insbesondere Jürgen Schwab hervorzuheben, der zu den wenigen nationalen Theoretikern gehört, die sich in großer Gründlichkeit mit ordnungspolitischen Fragen auseinandersetzen. Seine Werke würde ich als Grundlagenlektüre für jeden bezeichnen, der sich mit wirtschaftspolitischen Fragen auseinandersetzen möchte. Im Umfeld der NPD-Theoriearbeit sollte man unbedingt Lennart Aaes Texte zur Raumorientierten Volkswirtschaft lesen.

Die behauptete „unheimliche“ Allianz zwischen der roten (sozialistischen) und der goldenen Internationale des Kapitals ist in radikal rechten Kreisen sehr populär. Mir fällt diesbezüglich ein Aphorismus von Nicholas Gomez Davila ein: „Der Marxist haßt das Kapital aufgrund eines Ödipus-Komplexes, der Reaktionär aus Xenophobie“. Ist nicht allein die Tatsache, daß die Gesetze zur Deregulierung des Finanz- und Arbeitsmarktes in der Schröder-Ära und von einer betont linken Bundesregierung beschlossen wurden, nicht ein augenfälliges Indiz für diese Allianz? Arbeiten beide politischen Kräfte nicht daran, ein Welt- und Menschenbild zu verwirklichen: Ein-Welt-Ordnung, weltweite Massenkultur, Planierung kultureller Identitäten, Konsumismus, offene Grenzen, die Verbreitung „westlicher Wert“ als Edel-Nihilismus?

Das sehe ich etwas anders. Eine Allianz zwischen der roten und der goldenen Internationale des Kapitals gibt es meines Erachtens nur in diversen Verschwörungstheorien. Man kann der Sowjetunion sicherlich vieles vorwerfen, aber doch wohl nicht, daß sie nicht eine Vorgabe konsequent umgesetzt hätte: Nämlich die Wirtschaft unter den Primat der Politik zu stellen.

Es gibt eher eine andere Parallele zwischen Liberalismus und Marxismus: Beide behaupten, daß das Politische eines Tages ganz im Ökonomischen aufgeht. Dem liberalen Wunschbild einer einheitlichen Welt, in der der zwischenstaatliche Handel zwischenstaatliche Kriege verunmöglicht, entspricht die Vision einer klassenlosen Gesellschaft, die im materiellen Überfluß lebt, und in der es keine Politik im herkömmlichen Sinne und keinen Staat mehr gibt, da alle Individuen völlig frei und emanzipiert leben.

Es gibt hier sicherlich eine Ähnlichkeit in den utopischen Zielvorstellungen, aber das bedeutet nicht, daß sich Kommunismus und Liberalismus auch in ihrer Wirtschafts- und Eigentumsordnung irgendwie ähnlich wären oder sie eine „Allianz des Kapitals“ bilden würden.

Rote und goldene Internationale

Rote und goldene Internationale – eine Fiktion?

„Es gibt hier sicherlich eine Ähnlichkeit in den utopischen Zielvorstellungen, aber das bedeutet nicht,
daß sich Kommunismus und Liberalismus auch in ihrer Wirtschafts- und Eigentumsordnung irgendwie ähnlich wären
oder sie eine „Allianz des Kapitals“ bilden würden.“

In der Zeitschrift „Sezession“ (Nr.27, 2008), die die Finanz- und Wirtschaftskrise als Schwerpunkt thematisiert, hat sich Thomas Hoof dezidiert mit der bereits frühen Kritik deutscher Volkswirtschaftler im 19. Jahrhundert am „englischen“ Kapitalismus bzw. an der englischen Nationalökonomie auseinandergesetzt und weist auf eine über 150 Jahre dauernde Kritik bedeutender deutscher Ökonomen an der englischen Nationalökonomie hin, Tenor: Geistlosigkeit, die Proletarisierung der englischen Gesellschaft als Schreckensbild, Wachsen der Privatmögen statt der Produktivkräfte des ganzen Volkes, Besitzgedanke statt Leistungsgedanke (das deutsche Wort „Vermögen“ bedeutet gleichzeitig „Können“) usw. – haben wir es hier mit einem weithin verschwiegenen Strang der Wirtschaftsgeschichte zu tun, den konforme Ökonomen gar nicht mehr kennen oder bewußt verschweigen?

Der von Ihnen erwähnte Aufsatz von Thomas Hoof in der „Sezession“ ist wirklich ganz ausgezeichnet und kann auch noch als Lektüreempfehlung für jeden nachgereicht werden, der sich für „rechte“ Wirtschaftstheorie interessiert. Die Deutschen haben ja nach 1945 einen ganz großen Bruch in ihrer Wissenschaftstradition hingelegt – natürlich auch im Bereich der Wirtschaftswissenschaften, wo es heute beinahe nur noch Monetaristen und Keynesianer gibt. Die angelsächsische wirtschaftswissenschaftliche Tradition ist sehr formal, mathematisch und quantitativ geprägt – ein Beispiel dafür ist das „Gesetz der komparativen Kostenvorteile“ von David Ricardo, nach dem jedes Land nur solche Güter produzieren soll, bei denen es Kostenvorteile vor anderen Ländern hat. Dieses Gesetz von David Ricardo könnte man als Leitsatz der heutigen Globalisierung bezeichnen, und es hat die einzelnen Volkswirtschaften zu industriellen Monokulturen verwandelt, die nur noch gewisse, für den Export bestimmte Güter herstellen. Demgegenüber hatten die Deutschen die Wissenschaftstradition einer politischen Ökonomie, die in Zusammenhängen denkt und die das Ökonomische und seine Auswirkungen und seine Beziehungen zum Politischen, zur Kultur und zur Gesellschaft untersucht. Dafür stehen beispielhaft solche Namen wie Friedrich List, Karl Marx oder Werner Sombart. Zu nennen ist hier auch der deutsche Wirtschafts- und Agrarwissenschaftler Johann Heinrich von Thünen, der als früher Wirtschaftsgeograph das Modell der Thünenschen Ringe und damit sozusagen das Grundkonzept der raumorientierten Volkswirtschaft und ihres Konzepts der räumlichen Nähe entwickelte. Dieser Denker wurde dann von Lennart Aae für die nationale Theoriebildung wiederentdeckt und aktualisiert.

David RicardoJohann Heinrich von Thünen

Ökonomen und Vordenker:
David Ricardo (1772-1823) und
Johann Heinrich von Thünen (1783 - 1850)

Ich würde jetzt nicht soweit gehen, zu behaupten, daß dieser Strang der Wirtschaftswissenschaft heute bewußt verschwiegen wird, sondern daß das Kappen dieser Wissenschaftstradition ein Aspekt des großen Traditionsabfalls seit 1945 ist. „The winner takes it all“ – das gilt fatalerweise auch für kulturelle und wissenschaftliche Traditionen.

Ohne wieder einmal in den historischen Rückspiegel zu gucken, ist dies nicht also ein alter Konflikt: Angelsächsischer Kapitalismus gegen deutschen Volkswirtschaftsgedanken? Ein Konflikt, der womöglich auch eine Ursache des II. Weltkriegs war?

Da gibt es sicherlich wie schon vorhin angesprochen einen Dualismus zwischen dem angelsächsischen Akkumulationsmodell, das darauf abzielt, aus dem eingesetzten Kapital eine maximale Rendite herauszuholen und in dem es prioritär um die Bedienung der Renditeerwartungen der Anteilseigner geht, und dem deutschen Volkswirtschaftsgedanken, der auf Markregulierung, Staatsorientierung und sozialstaatlichen Einrichtungen beruht und in dem Institutionen eine viel größere Rolle spielen als im angelsächsischen Modell. Selbst in Schlagwörtern wie dem „Rheinischen Kapitalismus“ oder der „Sozialen Marktwirtschaft“ hallt noch etwas von diesem ökonomischen Dualismus nach.

Man muß wohl kein Historiker sein, um zu erkennen, daß die beiden Weltkriege gegen das Deutsche Reich nicht einem reinen, humanitär inspirierten Idealismus der Alliierten entsprangen, sondern daß es darum ging, mit dem Deutschen Reich einen wirtschaftlichen und politischen Konkurrenten auszuschalten.

[Anmerkung: Der deutsche Wirtschaftswissenschaftler Werner Abelshauser: schreibt: „Diese monolithische Perspektive des Blockdenkens (im Ost-West-Konflikt bzw. kaltem Krieg – VS) ließ rasch in den Hintergrund treten, daß der Zweite Weltkrieg auch als Bruderkrieg zwischen unterschiedlichen Zweigen der kapitalistischen Großfamilie ausgetragen wurde und die Beseitigung korporativistischer Besonderheiten des deutschen Wirtschaftssystems weit oben auf der Liste amerikanischer Kriegsziele stand.“. Vgl. Werner Abelshauser: Kulturkampf. Der deutsche Weg in die Neue Wirtschaft und die amerikanische Herausforderung. Berlin 2003, S.7]

Durch stetes „Outsourcing“ von produzierendem Gewerbe und der Dominanz des Finanzmarktes ist Großbritannien, das Mutterland der Industrialisierung, zu einer Industriebrache geworden, die kaum noch über eine eigene produzierende Wirtschaft verfügt – es dominieren die Sektoren Dienstleistung und Finanzmarkt, oftmals miteinander verschränkt. Viele ökonomisch konservativ oder radikal rechts eingestellte Beobachter sind sich darin einig, daß die englische Volkswirtschaft allein deswegen schon kein Vorbild für Deutschland sei kann, das seine produzierende Industrie unbedingt erhalten sollte. Dennoch ist Großbritannien kein armes Land, der Wohlstand ist mit dem Deutschlands zu vergleichen, auch gab es in Großbritannien im Gegensatz zu Deutschland enorme Lohnsteigerungen und Wirtschaftswachstum. Ist Großbritannien damit vielleicht doch ein „verkanntes“ Vorbild, das die Stichhaltigkeit jeder Kritik widerlegt?

Sie nehmen in Ihrer Frage einen Teil der Antwort schon vorweg. Das britische „Wirtschaftswunder“, das eng mit dem Schlagwort des Thatcherismus verbunden ist, beruht ja vor allem darauf, daß der Dienstleistungs- und Finanzsektor zulasten des Industriesektors einen immer höheren Anteil an der nationalen Wertschöpfung einnahm. Diese Entwicklung wurde in den achtziger Jahren durch eine Deregulierung des Finanzplatzes London forciert, so daß London gerade für den Devisenhandel oder auch als Marktplatz für Verbriefungen und Derivate eine enorme Bedeutung gewann, die der von New York nur wenig nachstand. Aber alles hat natürlich seine Schattenseiten. Das überdurchschnittlich hohe Wirtschaftswachstum Großbritanniens in den vergangenen beiden Jahrzehnten kam nicht zuletzt aus dem Finanzsektor, mit dem Zusammenbruch des Finanzsektors seit 2007 hat sich diese Entwicklung nun aber umgekehrt, und Großbritannien gehört zu den am stärksten von der Finanzkrise betroffenen Ländern, so daß einige Auguren das Land ja schon als Kandidaten für einen Staatsbankrott handeln.

Meines Erachtens ist die Entwicklung der britischen Wirtschaft in den vergangenen beiden Jahrzehnten ein Beispiel für die volkswirtschaftlichen Risiken, die entstehen, wenn die Wirtschaft eines Landes zu einseitig auf einer Säule beruht. Großbritannien ist auch deshalb kein verkanntes Vorbild, weil sich nirgendwo sonst in Europa die Überreste einer Klassengesellschaft noch so stark konserviert haben wie dort.

In seinem Aufsatz „Unsere Antibürgerliche Front“ hat sich Julius Evola zur Entwicklung des Kapitalismus aus dem mittelalterlichen kommunalen Bürgertum wie folgt geäußert: „Es ist der Bürger, der es allmählich dazu gebracht hat, daß heute ein Anspruch als das natürliche Ding von der Welt erscheint, der in anderen – normalen – Zeiten als absurde Häresie gegolten hätte: daß nämlich die Wirtschaft unser Schicksal ist, der Gewinn unser Lebenszweck, das Feilschen und Handeln ein ‚Tun’, die Umrechnung jedes Wertes in die Begriffe des ‚Rentierens’, der prosperity, des Komforts, in Werte der Spekulation, von Angebot und Nachfrage das Wesen unserer Zivilisation ausmacht.“ Was halten sie von Evolas Einschätzung?

Mit dem mittelalterlichen städtischen Bürgertum bildete sich beispielsweise in den italienischen Stadtstaaten des 15. und 16. Jahrhunderts eine soziale Schicht, die von Handel und Geldanlagen und nicht mehr vom feudalen Besitz lebte. Damit wurde in ersten Ansätzen eine Entwicklung eingeleitet, die dann schließlich zum Untergang der ständisch-feudalen Ordnung des Mittelalters führte. Solche historischen Betrachtungen sollten aber nicht den Blick darauf verstellen, daß mittlerweile auch die bürgerlichen Gesellschaften des 19. Jahrhunderts völlig untergegangen sind und einer globalen und kulturell und sozial nivellierten Massengesellschaft, die auf massenhaftem Konsum beruht, Platz gemacht haben. Das wird sehr gut in der Studie von Panajotis Kondylis „Der Niedergang der bürgerlichen Denk- und Lebensform. Die liberale Moderne und die massendemokratische Postmoderne“ nachgezeichnet. Dieser großartige Denker wird auf der politischen Rechten noch viel zu wenig rezipiert.

Quadriga des Brandenburger Tors

Quadriga des Brandenburger Tors:
Symbol einer untergegangenen Epoche

„Solche historischen Betrachtungen sollten aber nicht den Blick darauf verstellen,
daß mittlerweile auch die bürgerlichen Gesellschaften des 19. Jahrhunderts völlig untergegangen sind und einer globalen
und kulturell und sozial nivellierten Massengesellschaft, die auf massenhaftem Konsum beruht, Platz gemacht haben.“

Nun ist Evola zeit seines Lebens Philosoph geblieben, dessen Werke zwar ungeheures Wissen über das kulturelle Erbe des Indogermanentums, über Spiritualität und Mythologie vermittelt haben, der aber bis auf „Den Tiger reiten“ eine konkrete Handlungsanweisung zur Überwindung der Moderne schuldig geblieben ist. Zudem ist Evolas Idee der integralen Tradition kaum vollends zu verwirklichen. Hinzu kommt noch, daß er in Bezug auf den historischen Faschismus offenkundig eher die mangelnde Verwirklichung seiner Lehre angeprangerte, statt in konstruktiver Weise zumindest die Wiederbelebung traditioneller Ideen und Kulturmuster durch ihn zu begrüßen und zu begleiten. Welchen Wert für die radikale Rechte kann man ihm überhaupt beimessen? Zu welchen Einsichten sind sie durch die Beschäftigung mit seinen Werken gekommen?

Evolas Bücher Revolte gegen die moderne Welt und Cavalcare la tigre habe ich während des Studiums gelesen und beide haben großen Eindruck auf mich gemacht. Der Gedanke, den historischen Entwicklungsprozeß der vergangenen Jahrtausende nicht als Evolution, sondern als Abfall und Rückentwicklung, also als Involution, zu interpretieren, hat schon etwas Bezwingendes. Jeder Fortschritt auf dem einen Gebiet wird mit einem Rückschritt auf einem anderen Gebiet bezahlt, und wenn man einen mittelalterlichen Dom betritt, dann bekommt man ja einen Eindruck davon, welche seelischen Kräfte noch in diesen Menschen wirkten, die uns Heutigen völlig verschlossen sind.

Evola zählt allerdings nicht zu meinen „Hausgöttern“. Obwohl ich zyklischen Theorien gegenüber aufgeschlossen bin, erscheint mir Evolas Denken insgesamt doch zu schematisch und zu ahistorisch. Ich habe insgesamt doch zu viel Respekt vor der Majestät der Geschichte, um sie nur als Abfall- und Niedergangsprozeß von einem Idealzustand zu betrachten.

Sie sind für die Zeitschrift „Hier & Jetzt“ mitverantwortlich. Sie ist meines Erachtens ein Novum, zumindest was das „Entstehungsmilieu“ angeht. Provokant gefragt: Man war interessante Artikel über Phänomene der Geschichte, Fragen der Zeit und Denkfiguren auf hohem intellektuellen Niveau, scharfzüngig und pointiert geschrieben, bislang  mehr aus dem Umfeld „Junge Freiheit“, „Sezession“ und „Institut für Staatspolitik“ gewohnt und weniger aus dem der NPD. Ist diese Beobachtung einseitig? Wann wurde die Gründung von „Hier & Jetzt“ ins Auge gefaßt? Welche Schwierigkeiten hatten sie zu überwinden? Hat sich „Hier & Jetzt“ mittlerweile wirtschaftlich eine Basis verschafft, oder muß noch „gekämpft“ werden?

Die Theoriearbeit im Umfeld der NPD sollte nicht unterschätzt werden, die ist nämlich besser als ihr Ruf. Ich erinnere hier nur an die hervorragende NHB-Zeitschrift „Vorderste Front“, die in den neunziger Jahren erschien und deren Ausgaben bis heute eine lohnende Lektüre geblieben sind, oder an Jürgen Schwabs Buch „Deutsche Bausteine“, das 1999 im Deutsche-Stimme Verlag erschienen ist. Theoretisch interessierte und auch begabte Köpfe gab es schon immer im Umfeld der NPD.

Gerade weil es mit der „Sezession“ und der „Jungen Freiheit“ schon Periodika gibt, die nationalkonservativen Autoren bzw. Autoren der Neuen Rechten ein Forum bieten, fehlt so etwas für den politischen Bereich, der sich als national bzw. nationalrevolutionär bezeichnet. Hier besteht eine Lücke, die durch die „Hier & Jetzt“ sachsenpublizistik.de geschlossen werden soll. Natürlich gibt es auch in der „Deutschen Stimme“ immer wieder sehr gute Aufsätze über politische Theorie, aber eine nationale Theoriezeitschrift gibt es bislang nicht. Um die Gründung der „Hier & Jetzt“ hat sich vor allem der langjährige Chefredakteur und Graphiker Johannes Nagel verdient gemacht, der nun leider ausgeschieden ist. Nagel war Kopf und Seele der Zeitschrift, man muß nun sehen, wie sie sich ohne ihn entwickelt.

Nun „leben“ Magazine wie Ihres, das sich ganz bewußt als radikal rechts bezeichnet, in unserem freien Rechtsstaat ziemlich gefährlich. Gab und gibt es seitens der Behörden Anstrengungen, Ihre Arbeit zu zerstören und das Erscheinen von „Hier & Jetzt“ zu verhindern? Welche Nah- und Fernziele streben Sie mit „Hier & Jetzt“ an?

Bis jetzt gibt es die üblichen Erwähnungen in den sogenannten „Verfassungsschutzberichten“ – das war erwartbar. Das Ziel der „Hier & Jetzt“ ist es, eine gute Theoriezeitschrift für den politischen Bereich zu machen, der sich als national bzw. nationalrevolutionär bezeichnet. Wenn wir das Ziel erreichen und das Erscheinen der Zeitung verstetigen können, dann ist viel erreicht worden.

Unser Weltnetz-Projekt hat sich die Aufgabe gemacht, Deutsche und Russen, die sich als „rechts“ definieren, zusammen zu führen und eine Verbindung zu schaffen, die vielleicht eines Tages über bloße Freundschaftsbeziehungen hinaus, Früchte trägt. Nun steht Rußland bei radikalen Rechten in Deutschland hoch im Kurs, die im Vergleich zu Deutschland größere Bewegungsfreiheit auf russischer Seite, das starke und weit verankerte Nationalgefühl und das militärische und kulturelle Potential, eine mögliche Gegenkraft zur USA und zur Amerikanisierung Westeuropas bilden zu können, läßt Rußland als möglichen strategischen Partner erscheinen. Wie sehen sie diese Möglichkeit? Welches Rußlandbild haben sie?

Mein Rußlandbild ist – wie bei so vielen Deutschen – durch die Dostojewskilektüre geprägt worden. Ich habe in der Zeit, in der man wohl am intensivsten liest, also so mit 15 oder 16 Jahren, Romane wie „Der Spieler“, „Schuld und Sühne“ und „Der Idiot“ gelesen. Rußland, das war vor 100 Jahren für viele Deutsche noch das Reich der Seele, so wie Deutschland vor 100 Jahren noch für viele Deutsche das „heilig Herz der Völker“ war, wie Hölderlin es ausdrückte.

Das mag man jetzt als naive politische Romantik abtun, aber ich hoffe, daß solche Vorstellungen noch in den Herzen möglichst vieler Russen und vieler Deutscher lebendig sind, denn nur wenn wir uns auf unser bestes geistiges Erbe beziehen und es für die Gegenwart fruchtbar machen, wird für unsere Nationen ein Weg aus der Krise denkbar und begehbar sein.

Eine multipolare Großraumordnung ist nur mit einem starken Rußland und einem starken Deutschland denkbar. Während Rußland sich aber schon deutlich vom Einfluß der USA emanzipiert hat, läßt eine solche Entwicklung in Deutschland leider noch auf sich warten.

In dem Internetportal „Godenholm“ (benannt nach der gleichnamigen fiktiven Insel aus einer Erzählung Ernst Jüngers Aufsatz) haben Sie in einem Aufsatz Jüngers Idee einer steten Weltentwicklung durch vom Menschen nicht steuerbare Heraufkünfte verschiedener Zeitalter (Stichworte: Erdrevolutionen, Weltrevolutionen, Zeitalter des Titanismus) geschildert. Diese Idee weist durchaus eine Nähe zu Evolas Lehre von den Weltzeitaltern auf. Kann eine solche Weltsicht bei der Dominanz eines linearen Denkens überhaupt mehr sein als Betrachtungen eines Literaten und Philosophen, existent, aber nicht geschichtsmächtig? Ernst Jünger ist in rechten radikalen Kreisen auch heute noch ein fester Begriff, jedoch scheint es, daß jüngere Aktivisten über rudimentäre Kenntnisse über sein Leben und Werk nicht wirklich hinausgelangt sind. Auch wenn eine kurze Antwort schwer fällt, welche Bedeutung hat Ernst Jünger noch heute? Mit welchen Werken sollte man sich als „normaler“ politisch Aktiver unbedingt beschäftigt haben?

Zweifellos waren sowohl Evola als auch Jünger zyklische Denker – sowohl in dem Werk von Ernst Jünger wie auch in dem seines Bruders Friedrich Georg spielt das Motiv der Wiederkehr eine wichtige Rolle. Wo Evola einen geistigen Abstieg des Menschen, der immer stärker den Kontakt zu jeder metaphysischen Wirklichkeit verliert, konstatiert, da beschäftigt sich Jünger in seinem Großessay „An der Zeitmauer“ mit einer astrologischen Spekulation über die sogenannten Weltenjahre im Zyklus der Präzession, die nach Jünger eine unterschiedliche Qualität aufweisen. Das klingt jetzt etwas nach „New Age“-Esoterik, aber Jünger knüpft hier an Überlegungen aus dem „Arbeiter“ an, nach denen mit dem Prozeß der Industrialisierung und Technisierung des Planeten, den Jünger mit dem Begriff der „totalen Mobilmachung“ beschreibt, eine Zeitenschwelle überschritten wurde, hinter die es kein Zurück mehr gibt.

Ernst Jünger

„Preußischer Anarchist“: Ernst Jünger

Wie in Ihrer Frage schon angedeutet, glaubt Jünger nicht, daß dieser Prozeß nur vom Menschen gesteuert werden kann, sondern daß hier Schicksalsmächte wirken. In seinem Spätwerk äußert Jünger dann immer wieder die Hoffnung, daß die totale Selbstermächtigung des Menschen über die Natur mit den Mitteln der Technik, die Jünger in seiner mythologischen Weltsicht als „Herrschaft der Titanen“ bezeichnet, nur ein Interim ist und von einer neuen Vergeistigung abgelöst wird. Solche geschichtsphilosophischen Spekulationen reichen natürlich in den Bereich „letzter Fragen“ hinein und sind damit auch nicht unmittelbar geschichtsmächtig.

Auf die Frage, welche Bedeutung Ernst Jünger heute noch haben kann, möchte ich antworten, daß man durch sein Werk an seiner inneren Unabhängigkeit teilhaben kann, die sich dieser „preußische Anarchist“ durch ein Jahrhundert hinweg und auch gegenüber stärksten äußeren Anfechtungen bewahrt hat. Sein umfangreiches Werk gleicht einem verästelten Flußdelta, dessen Erkundung aber eigentlich an jeder Stelle spannend und gewinnbringend ist. Er hat eine ganz eigene Syntax und einen ganz eigenen Stil, der sich unmittelbar einprägt. Besonders faszinierend finde ich die Vermischung von traumartigen Stücken mit realistischen Beschreibungen in seiner Prosa und seinen Tagebüchern, also das, was die Germanisten recht treffend mit dem Begriff „Magischer Realismus“ beschreiben. Ein solches Leseerlebnis sollte man sich nicht entgehen lassen.

Wer wissen will, was und wie der Erste Weltkrieg war, der sollte seine Tagebuchaufzeichnungen „In Stahlgewittern“ lesen, um auch eine Buchempfehlung abzugeben.

Haben Sie noch ein Schlußwort für unsere Leser in Rußland und Deutschland?

Ich hoffe, daß Rußland und Deutschland im 21. Jahrhundert nicht in einer einförmigen und nur vom Konsum bestimmten Welteinheitszivilisation aufgehen, sondern sich ihr eigenes Wesen und ihre nationale Identität bewahren.

Ich hoffe, daß sich zwischen Rußland und Deutschland im 21. Jahrhundert eine starke Freundschaft und eine gute Zusammenarbeit entwickeln, denn frühere Epochen, in denen dies der Fall war, waren immer gute Zeiten für unsere Nationen.

Oktober 2009

Literatur:

Panjotis Kondylis: Der Niedergang der bürgerlichen Denk- und Lebensformen. Die liberale Moderne und die massendemokratische Postmoderne. Weinheim 1991.

Werner Abelshauser: Kulturkampf. Der deutsche Weg in die Neue Wirtschaft und die amerikanische Herausforderung. Berlin 2003.


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