Arthur Korsenz (Dipl.-Volksw. Klaus-Dieter Ludwig)
Wir leben einen politischen Bruch: der alte Streit zwischen ,rechts’ und ,links’, die soziale Frage betreffend, verliert an Kraft. Die offiziellen Rechten und Linken begeben sich zunehmend in eine ideologische Umarmung, der die politische auf dem Fuß folgt: sie haben Gemeinsamkeiten entdeckt, was den Fortbestand der sogenannten westlichen Zivilisation betrifft, und zwar vor allem in den negativ zu bewertenden Bereichen dieser Zivilisation, in den Bereichen ihrer machtstrukturellen, besonders ihrer egalitären, ökonomistischen und universalistischen ,Werte’.
Dieses Buch will etwas dagegen tun. Die einzelnen Abhandlungen zeigen auf, daß sich eine neue Trennungslinie entwickelt, zwischen den Anhängern des Kosmopolitismus und den Verfechtern der ethnokulturellen Identität. In unserer Zeit der Entfremdung von kultureller Schöpferkraft und Tradition eines Volkes ist es unerläßlich geworden, die Wurzeln der Identität, der geistigen Selbsterhaltung und Selbstentfaltung des Einzelnen sowie der verschiedenen Lebens- und Kulturgemeinschaften zu beschreiben, ferner eine Argumentationsbasis für eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Geist der Entmündigung, Auflösung und Zerstörung herzustellen.
Die neuen Streitgespräche über die Problematik der Einwanderung und der mehrrassischen, mehr- und mischkulturellen Gesellschaft, über den Verlust von kulturellem Erbe und der Tradition eines Volkes sowie über die technische Entwicklung werfen bezeichnenderweise stets als eine entscheidende Frage die nach der Identität auf. Auch die Bedrohungen auf militärischem und wirtschaftlichem Gebiet stehen im Mittelpunkt der Identitätsdiskussion. Im Kampf gegen die universale Mischkultur muß man die nationalen europäischen Identitäten vereinigen, sie als einander ergänzend betrachten und sie nicht gegenüberstellen. Es gilt, die nationale Identität von oben (Europa) zu ergänzen und von unten (die Region) zu verankern. Mut zur Identität verficht das Modell einer heterogenen Welt homogener Völker, und nicht umgekehrt!
Dieser Aufsatz beschäftigt sich mit Fragen wirtschaftlicher Dezentralisierung, und es sei gleich zugegeben, daß er damit auf den ersten Blick in einem populären Trend liegt. Allerorten erschallt der Ruf nach Schaffung kleiner, überschaubarer Einheiten, nach mehr Demokratie; kleine Länder — wobei geringe Größe fälschlicherweise in der Regel mit Schwäche gleichgesetzt wird — genießen mehr Sympathie als Großmächte; Dialekte werden wiederentdeckt; man propagiert die Nachbarschaft als erste Stufe des Gemeinwesens; regionalistische und autonomistische Bewegungen sind sich von vornherein großer Aufmerksamkeit sicher, mögen hinter ihnen in der Realität auch nur einige wenige Leute stehen. Diese ganze Bewegung ist sehr heterogen; wie immer, wenn Neues entsteht, mischt sich Wahres mit Falschem, Sicheres mit Angenommenem.
In der Bundesrepublik Deutschland manifestiert sich diese schier unüberschaubare breite Bewegung gegen alte Formen auf der Suche nach neuen Ordnungen parteipolitisch in erster Linie bei den Grünen, mag deren Führung auch mehr, als es der Sache dienlich ist, eine Affinität zu bestimmten Ideologien des 19. Jahrhunderts zeigen.
Aber gerade bei den Verlautbarungen der Spitzen dieser Partei zeigt sich, daß Dezentralisierung nicht gleich Dezentralisierung ist. Zwar erfreut sich bei den grünen Funktionären alles Streben nach kleineren Einheiten auf ökonomischem, kulturellem oder staatlichem Gebiet großer Zuneigung. Jedoch wird dies kaum rational begründet. Man hebt nicht darauf ab, daß kleine, gut gegliederte wirtschaftliche Einheilen weniger krisenanfällig sind als große industrielle Monostrukturen; man verweist kaum darauf, daß der Mensch von seinem Wesen her überschaubare Räume besser beherrschen kann als kontinentale oder gar globale Gebilde; man stellt nicht heraus, daß eine größere Autonomie von Regionen der bessere Garant für die Pflege und Weiterentwicklung verschiedenartiger Kulturen ist, von denen Europa lebt und deren Vorhandensein und wechselseitigen Beziehungen es unter anderem seinen Vorsprung vor anderen Kontinenten verdankt. Vielmehr werden zur Begründung des Hangs zur Dezentralisierung vorzugsweise nebulöse Begriffe verwendet, deren entlarvendster zweifellos der der ‚Basisdemokratie’ ist. Basisdemokratie, das heißt hier in Wirklichkeit das Mitreden aller über alles, so lange, bis man sich zum mindesten geeinigt hat, die ganze Angelegenheit auf später zu vertagen. Basisdemokratie kann man natürlich nicht fordern, wenn man nicht davon überzeugt ist, daß die Menschen von Natur aus gleich sind, daß Erscheinungen wie Führung, Elite, Hierarchie usw. nur Entartungen des gesellschaftlichen Lebens sind. Hinter der ganzen Dezentralisierungsmanie der grünen Spitzenfunktionäre steckt also im Grunde genommen eine Art utopischer Anarchismus.
Wir wollen gleich zu Beginn betonen, daß wir von einem völlig entgegengesetzten Standpunkt ausgehen, nämlich von der natürlichen Ungleichheit der Menschen, und zwar nicht nur der Ungleichheit der Individuen, sondern auch und im Zusammenhang mit unserem Thema im besonderen von der Ungleichheit der Völker und Rassen. Wir machen uns deshalb auch nicht anheischig, Rezepte für irgendwelche exotische Gegenden zu entwickeln, sondern wir gehen von den Interessen und Notwendigkeiten Europas aus.
Unser Thema ist zunächst die zunehmend miteinander verflochtene Weltwirtschaft, wie sie sich seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts, nur unwesentlich verzögert durch Kriege und Wirtschaftskrisen, relativ rasch entwickelt hat. Wie alle politischen Erscheinungen ist auch die Weltwirtschaft in ihrer gegenwärtigen Form ohne bestimmte ideologische Voraussetzungen nicht denkbar. Wir haben also zu prüfen, welche ideologischen Grundlagen das wirtschaftliche und politische Leben in der Welt bestimmen — wobei wir uns zunächst auf die westliche Welt beschränken.
Unbestritten ist, daß der Westen von der Ideologie des Liberalismus beherrscht wird, daß dieser Liberalismus sich auf Adam Smith und seine Vorläufer als seine Ahnherren beruft. Das eigentliche Wesen, die ideologische Quintessenz des Liberalismus ist nun aber nicht Freihandel, Marktwirtschaft, Konkurrenzdenken, die Vorstellung von einem homo oeconomicus und dergleichen, sondern Zentrum und Ursprung dieser Ideologie zugleich ist die Vorstellung von der grundsätzlichen und natürlichen Gleichheit aller Menschen. Nur wenn gleiche Menschen nebeneinander stehen und sich durch freie Verträge miteinander verbinden, können Einzelinteressen in ein bestimmtes harmonisches Verhältnis zueinander gebracht werden.
Nur wenn Gleichheit gegeben ist, können die Menschen auf dem Markt mit der Folge konkurrieren, daß die Bedürfnisse aller optimal gedeckt werden und das größte Glück der größten Zahl erreicht wird. Dieser Gleichheitsglaube ist natürlich nicht die Folge irgendeiner Verschwörung, sondern er entsprach dem wissenschaftlichen Standard des 18. Jahrhunderts und der Notwendigkeit des damals aufstrebenden Bürgertums, sich gegen die Ansprüche des übermächtigen absolutistischen Staates und seiner teilweise noch feudalen Strukturen durchzusetzen.
Die Situation im 20. Jahrhundert ist allerdings anders zu beurteilen. Bei einer Konkurrenz von Gleichen erfolgt der Ausgleich der Interessen und Machtpositionen über den Markt, so daß keine unkontrollierte Marktmacht entstehen kann. Da jedoch in der Realität die Gleichheit der Menschen nicht gegeben war, entstanden mit dem Abbau der alten Schutzmechanismen wie Zunftordnungen usw. sehr schnell wirtschaftliche Machtkonzentrationen. Diese Entwicklung wurde begünstigt durch das Auftreten eines neuen Faktors, nämlich der modernen Technik, die es den Menschen ermöglichte, größere Räume schneller zu überwinden, Nachrichten schneller zu übermitteln, größere Menschenzusammenballungen beherrschbar und verwaltbar zu machen und größere Mengen von Gütern zu befördern. So entstanden verschiedene Wirtschaftsschwerpunkte, in welchen sich die Marktmächte konzentrierten, zunächst in Europa und dann sehr bald auch in den USA. Verschiedene weltpolitische Ereignisse, in erster Linie die Weltkriege, ließen die USA zur beherrschenden Macht der westlichen Welt auch in wirtschaftlicher Hinsicht aufsteigen, so daß Europa heute, anders als vor dem Ersten Weltkrieg, sich in starker Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten befindet.
Die Vermutung läge nahe, daß man in den wirtschaftlichen Zentren inzwischen von den Fehlern der Vergangenheit gelernt habe und von dem Gedanken der Egalität abgegangen sei. Die Wirklichkeit zeigt jedoch, daß dies nicht der Fall ist. Dabei hat die Entwicklung inzwischen eine gewisse Eigengesetzlichkeit erlangt. Die multinationalen Konzerne in allen möglichen Branchen versuchen sich wie der US-Staat selbst immer mehr Einflußbereiche zu schaffen und ihre Herrschaft dort zu verfestigen. Das ist aber nur möglich, wenn diese abhängigen Gebiete ökonomisch eng an die Vereinigten Staaten gebunden werden. Dies wiederum ist am leichtesten zu erreichen, wenn sich der American Way of Life, das heißt die dortigen Konsum-, Produktions- und sozialen Gewohnheiten durchsetzen. Dieser Sachzwang korrespondiert mit dem offenbar immer noch weitverbreiteten Glauben an die Gleichheit, so daß keiner der führenden Wirtschaftler Skrupel hat, irgendwelche afrikanischen oder südostasiatischen Länder — von Europa ganz zu schweigen — zum Abbild der Vereinigten Staaten zu machen. Die betroffenen Völker befinden sich dabei insofern in einer gefährlichen Lage, als ihre Regierungen in der Regel dieser Entwicklung nicht entgegenarbeiten, da sie davon profitieren. Natürlich wäre es falsch, alles Unheil nur in den Vereinigten Staaten zu sehen, denn wirtschaftliche Nebenzentren, wie zum Beispiel Westeuropa, handeln nicht anders als die Vereinigten Staaten selbst, allerdings entsprechend ihren beschränkteren Möglichkeiten.
Der Angriff der wirtschaftlichen Machtzentren auf die noch nicht dem eigenen Einflußbereich unterworfenen Gebiete der Erde und die Maßnahmen zur Verfestigung dieses Einflusses laufen in verschiedenen Bahnen.
Das Geld, ursprünglich eine segensreiche, den Warenaustausch erleichternde Erfindung, wurde inzwischen weitgehend zu einer Waffe des großen Kapitals umgeschmiedet.
Die Währungsströme rund um die Welt, die an hervorragender Stelle verantwortlich sind für die Devisenkursschwankungen und damit für das wirtschaftliche Schicksal ganzer Länder, bewegen sich heute weitgehend außerhalb des Einflußbereiches der Regierungen. Gleichwohl scheint dies nicht nur eine Frage der Spekulation zu sein, es handelt sich auch um eine Art ausgleichendes Chaos.
Die Vereinigten Staaten haben es aufgrund ihrer weltpolitischen Stellung verstanden, ihre Währung im Laufe der Zeit zur fast alleinigen Reservewährung der westlichen Welt zu machen. Und dies trotz einer immensen Verschuldung des amerikanischen Staates, trotz zeitweise inflationärer Entwicklungen und hoher Arbeitslosigkeitsquoten, trotz stagnierender Wirtschaft. An dieser Vormachtstellung des Dollars wurde bis heute von keiner Seite gerüttelt. Kein Mensch regt sich auch darüber auf, daß der Dollar-Kurs in keiner Weise der tatsächlichen Kaufkraft der amerikanischen Währung entspricht. Es versteht sich von selbst, daß ein Land, dessen Währung zur wichtigsten der westlichen Welt geworden ist und an der alles gemessen wird, seine ohnehin schon hervorragende Stellung dadurch nur verstärken kann. Dazu kommt, daß bei einer derart führenden Währung ein unangemessener Wechselkurs zu sehr bedenklichen Marktverzerrungen und Mißbräuchen führt.
Es gibt einige Instrumente, mit deren Hilfe man die Schuldner und ihre Volkswirtschaften unter Kontrolle halten kann. Eines der hervorragendsten Instrumente dafür ist der Internationale Währungsfonds. In diesen Fonds zahlten die beteiligten Länder ursprünglich unterschiedliche Quoten ein, und zwar 25 % in Gold und 75 % in eigener Währung. Benötigt nun eines dieser Länder Devisen, so gewährt der Fonds ihm diese aus seinen eigenen Beständen, und zwar bis 200 % der Quote. Dabei sind die ersten 25 % naturgemäß problemlos, mit wachsenden Krediten steigen die Auflagen zwecks Überwindung der der Kreditaufnahme zugrundeliegenden Schwierigkeiten. Bemerkenswert ist, daß diese Sonderziehungsrechte zum Zwecke der Intervention am Devisenmarkt erst in einem anderen Land gegen die Interventionswährung US-Dollar eingetauscht werden müssen. Wie leicht vorauszusehen war, hat sich auch im Rahmen des Internationalen Währungsfonds ein starkes Ungleichgewicht zwischen den höher entwickelten Industrieländern und den anderen Staaten entwickelt. Letztere können nur bei Wohlverhalten im Sinne des IWF mit weiterer Hilfe aus den reichen Ländern rechnen. Nach aller bisherigen Erfahrung stellen die Wünsche oder — je nach dem Grad der Verschuldung — Forderungen des IWF in erster Linie auf die Stabilisierung der Währung ab, während andere Gesichtspunkte, zum Beispiel solche sozialer Art oder eine Neuordnung der Markt Verhältnisse betreffend, sehr weit hintenan bleiben. Instrument und Motor zugleich zur Weltbeherrschung sind die international operierenden multinationalen Konzerne. Über ihre Wirkungsweise und über die Gefahr, daß hier Machtstrukturen nicht in, sondern neben den bestehenden Staaten im Entstehen begriffen sind, ist schon so viel geschrieben worden, daß wir uns weitere Ausführungen hierüber ersparen können. Es sollte aber noch einmal festgehalten werden, daß ein Staat wie die USA wirtschaftlich immerhin mit einer Vielzahl von Produkten auf die Welt einwirkt. Ein multinationaler Konzern aber, vor allem wenn er einen wesentlichen Lebensbereich des Menschen zu erobern sich anschickt, kann von einer gewissen Größe und Durchsetzungskraft an, wichtige Verhaltensweisen des Menschen universell bestimmen, man denke an den schon fast sprichwörtlichen Einfluß von Coca Cola, mehr aber noch von Fast-Food-Restaurants wie Mac Donald’s usw.
Die multinationalen Konzerne werden meist an erster Stelle genannt, wenn es um das Phänomen des sogenannten Neokolonialismus geht, »las heißt um die ökonomische Unterwerfung schwachindustrialisierter Länder mit anderen, subtileren, aber dafür um so wirksameren Methoden, als sie von den alten Kolonialmächten angewandt wurden. Durch den Zustrom ausländischen Kapitals und Know-hows, in der Regel über die multinationalen Konzerne, wurden in zahlreichen Entwicklungsländern Industrien geschaffen, die sich in erster Linie am Export und an der Produktion langlebiger Konsumgüter für höhere Einkommensbezieher im Ausland ausrichteten. Dabei bemüht sich das internationale Kapital, in erster Linie die dynamischen Branchen zu beherrschen, gleich ob ihre Produkte in erster Linie für den Export oder für den Binnenmarkt vorgesehen sind. Die einheimische Industrie ist auf die Produktion von nichtdauerhaften Gütern angewiesen, und zwar für Bevölkerungsschichten mit geringer Kaufkraft. Dieser Markt ist wenig ausdehnungsfähig; Wachstum können wir in erster Linie bei den von den internationalen Konzernen beherrschten Marktsektoren beobachten. Wahrend die heimische Industrie von Inflation und innerstaatlichen Krisen bedroht ist und ein geringeres Lohnniveau anbieten kann, sind die internationalen Konzerne krisenfester, können hohe Löhne zahlen, ziehen die fähigsten Arbeiter an sich, und die Kluft zwischen Arm und Reich wird so laufend vergrößert. Uwe Holtz hat am Beispiel Brasiliens diese Entwicklung nachgewiesen und gleichzeitig darauf aufmerksam gemacht, daß der Markt für die oberen 20 % der Bevölkerung Brasiliens größer ist als der Skandinaviens und deshalb die Attraktivität für die multinationalen Konzerne offensichtlich sei1.
Neokolonialismus beherrscht aber auch die sogenannte Entwicklungshilfe. Schon die Wahl dieses Wortes ist bezeichnend: Es wird nämlich vorausgesetzt, daß auf dieser Erde überall dieselben Normen zu gelten haben. Während aber „der Prozeß europäisch neuzeitlicher Modernisierung ein außerordentlich komplexer Vorgang ist, der alle Grundlagen des menschlichen Verhaltens tangiert und sich aus spezifischen Verhaltensvoraussetzungen herleitet, die sich seit Jahrhunderten in Europa entwickelten“, haben andere Kulturkreise eine völlig andere Entwicklung genommen2. Entwicklungshilfe also in dem Sinne, exotische Gegenden zum nordamerikanisch-europäischen Standard zu verhelfen, bedeutet nichts weiter als Verhaltensmanipulation auf allen Ebenen, an dessen Ende der Verlust der ethnischen Individualität und der Eigenart fremder Völker steht.
Gehen wir ins Detail, so sehen wir zum Beispiel, daß die Lebensmittelhilfe der USA in erster Linie dazu dient, von den Empfängerländern Gegenleistungen, die bisher verweigert wurden, zu erhalten. Die Produktion durch die einheimischen Bauern wird durch laufende Lebensmittellieferungen verhindert, und dadurch wird nicht zuletzt der einheimischen US-Landwirtschaft geholfen. Die Verschuldung der Empfängerstaaten nimmt immer mehr zu, wobei die Schraube noch dadurch angezogen wird, daß im Anfang zwar einheimische Währungen für die Bezahlung der Hilfe angenommen werden, später aber nur noch in US-Dollar bezahlt werden kann3.
Etwas anders stellt sich der US-amerikanische Neokolonialismus in Westeuropa dar. Wirtschaftlich prosperieren die westeuropäischen Staaten in der Regel noch, liegen jedenfalls zum allergrößten Teil erheblich über dem Standard der sogenannten Entwicklungsländer. Der Einfluß US-amerikanischen Kapitals in den westeuropäischen Volkswirtschaften ist zwar nicht zu übersehen, jedoch haben zum Beispiel amerikanische Management-Methoden bei uns noch kaum reüssiert. Die enge Verwandtschaft zwischen Europäern und den weißen Amerikanern hat sogar dazu geführt, daß amerikanische Manager sich sehr schnell zum Teil wieder europäischen Normen zuwenden. Jedoch hat diese Verwandtschaft auch einen negativen Aspekt insofern, als Elemente der Sprache, kultureller Äußerungen oder der Lebensgewohnheiten von den Europäern leichter übernommen werden. Dieses Hinausgreifen bestimmter Anschauungen und Formen des Wirtschaftens und der sehr reale Machtanspruch des internationalen Kapitals mit seinem Hauptsitz in den USA haben für die Existenz der Menschheit verheerende Folgen. Es kämpfen hier nicht mehr Völker miteinander, von denen gegebenenfalls ein Volk unterliegt und auf seinen Trümmern neue Kulturen entstehen, sondern die Welt wird einem einheitlichen Einfluß unterworfen, die nationalen Kulturen und Gewohnheiten verschwinden; überall gilt der gleiche Standard — wenn er auch nicht erreicht wird, so wird er doch zumindestens angestrebt oder gar verehrt — , angepaßte Verhaltensweisen werden zerstört, Sitten, Gebräuche und religiöse Vorstellungen zersetzt.
Das betrifft natürlich auch die ökonomischen Verhaltensweisen spätestens dann, wenn die eigene Volkswirtschaft voll in den Sog der liberalistischen Wirtschaftsordnung geraten ist. „In Wirklichkeit gehen die Gefahren nicht von irgendeinem Dämon Technik aus, den es nicht gibt, sondern sie sind die Folge des Gebrauchs, den der Mensch von den wunderbaren Möglichkeiten der Natur macht. Der eigentliche Grund liegt darin, daß der Kapitalismus gezwungen ist, den Mehrwert zu optimieren, und nicht den Gebrauchswert. Wenn schon die auf dem Markt angebotenen Waren einen Gebrauchswert haben müssen, um Käufer zu finden, so ist für die kapitalistische Wirtschaft doch ihre wichtigste Eigenschaft, daß sie verbraucht werden. Je kurzlebiger ein Produkt, um so gewinnbringender ist es. Viele neue Erfindungen sind technisch keine neuen Erfindungen, sie sind nur die Erfindung eines neuen Konsumbedürfnisses, oder wie man auch sagt: die Entdeckung einer Marktlücke. Daß nicht der Gebrauch, sondern der Verbrauch das A und O der kapitalistischen Wirtschaft ist, gilt nicht nur auf dem Sektor der eigentlichen Konsumgüterindustrie, es gilt auch für den Konsum aller Arten von technischen Ausrüstungen und Maschinen. Das Tempo der technologischen Entwicklung ist so groß, daß ganze Industrieanlagen schon als veraltet gelten, bevor sie in Betrieb genommen worden sind. Man nennt das den ,moralischen Verschleiß’, der weit wirksamer und schnell ist als jeder Verschleiß durch normale Abnützung.“4
Nun gibt es immer noch Leute, die dem verderblichen Einfluß der westlichen Ideologien dadurch entgehen wollen, daß sie sich dem Marxismus in die Arme werfen. Aber der Marxismus ist nur das Kind des Liberalismus: So wie dieser geht auch er von der Gleichheit der Menschen aus; so wie beim Liberalismus ist auch die utopische Gesellschaftsvorstellung des Marxismus ohne Gleichheit nicht denkbar und möglich. Infolgedessen sind auch seine imperialistischen Bestrebungen und seine Wirkungen von denen des Liberalismus zwar graduell unterschieden, prinzipiell aber durchaus gleich. Und wie der Liberalismus ist auch der Marxismus eine universalistische Weltanschauung, geht auch er von einer weltweiten menschlichen Gesellschaft aus und propagiert eine universalistische internationale Rechtsordnung. Dementsprechend erhebt die UdSSR ebenso wie die USA einen Anspruch auf universale Einmischung und setzt ihre eigenen Interessen mit denen der Menschheit gleich.
In Europa setzt die marxistische Vormacht ihren gleichmacherischen Kolonialismus mit rüderen Methoden als der Westen, allerdings auch augenfälliger, durch. Was IWF und verwandte Organisationen auf wirtschaftlichem Sektor für den Westen sind, ist — im europäischen Raum — der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe für die UdSSR.
Nachdem dieser Rat 1949 gegründet worden war, verlor die sowjetische Führung zunächst das Interesse an ihm, und zwischen 1950 und 1954 fanden überhaupt keine Ratstagungen statt: Der Grund war darin zu suchen, daß Stalin Osteuropa militärisch wie politisch beherrschte. Erst nach der Aufweichungswelle infolge des neuen Kurses stand die Sowjetunion vor der Notwendigkeit, die Satelliten-Staaten wirtschaftlich wieder enger an sich zu binden, da der neue Kurs zu einer gewissen Eigenständigkeit wirtschaftlicher Art geführt hatte und die Gefahr bestand, daß die 1945 zerschlagenen Beziehungen zum Westen wieder aufgenommen würden. Durch Vorspiegelung der Gleichberechtigung konnten die Länder wieder für die Zusammenarbeit gewonnen werden. Chruschtschow stellte die Dominanz der Sowjetunion erneut her — ideologisch, wirtschaftlich durch Verschuldung der kleineren Länder, militärisch wegen der inneren labilen Lage, durch Stärkung des Geheimdienstes usw. Unter dem Stichwort ‚internationale sozialistische Arbeitsteilung’ wurden den einzelnen Ländern Produktionsbereinigungen aufgezwungen und sie zur Spezialisierung auf bestimmte Produkte veranlaßt. Die damit einhergehende Einseitigkeit und Unausgewogenheit der binnenwirtschaftlichen Produktion begründete in wirtschaftlicher Hinsicht erst die Abhängigkeit der Satelliten-Staaten von der Sowjetunion.
Jedoch ist die Lage nicht so düster, wie man zu meinen glaubt. Zwar ist es in Westeuropa nur eine — wenngleich wohl wachsende — Minderheit, die sich gegen die Vormundschaft des internationalen Kapitals und der USA wehrt, jedoch ist diese Opposition in eine internationale Bewegung eingebettet. Spektakulärster Fall des Widerstandes gegen die US-amerikanischen Weltherrschaftspläne und die Machenschaften der US-amerikanischen Wirtschaft ist der Iran. Selbstverständlich sind die dortigen Führungsmethoden nicht für Europa zu empfehlen; das kann auch gar nicht sein, da es sich ja eben um den Iran, und nicht um Europa handelt und alle Voraussetzungen ganz andere sind als hier. Es bleibt aber festzuhalten, daß erstmals ein großes Land bewußt aus dem Pferch der östlichen und westlichen Supermacht ausgebrochen ist und versucht, seinen eigenen Weg, nicht zuletzt auch in wirtschaftlicher Hinsicht, zu gehen. Nur so ist auch erklärbar, warum der Iran von den Vereinigten Staaten — und hinter vorgehaltener Hand natürlich auch von der Sowjetunion — mit soviel größerem Haß verfolgt wird als irgendwelche Diktatoren Afrikas oder Südamerikas, die zwar gegen allerhand Menschenrechte verstoßen mögen, dem Wirtschaftsimperialismus der USA und der mit ihnen verbündeten Länder jedoch nicht gefährlich werden.
Ein anderes, bei uns sehr viel unpopuläreres Beispiel für das Bemühen eines Landes, sich — mit allerdings sehr unvollkommenen Methoden — aus dem Würgegriff des internationalen Kapitals zu befreien, ist das Uganda zu Zeiten Idi Amins. Dieser hatte bei seinem Machtantritt eine Landwirtschaft vorgefunden, die primär für den Export arbeitete, also Güter herstellte, die für die einheimische Bevölkerung überhaupt nicht brauchbar waren. Die Exporterlöse blieben jedoch in erster Linie bei einer kleinen Händlerschicht, meistens nicht-ugandischer Herkunft, hängen. Idi stellte die Landwirtschaft zunächst auf die Produktion von Nahrungsmitteln für die eigene Bevölkerung um, jagte konsequenterweise die indische Händlerschicht aus dem Land und konnte immerhin den Erfolg verbuchen, daß Uganda zu seiner Zeit eines der wenigen schwarzafrikanischen Staaten war, in dem jeder Einheimische, soweit er nicht im Gefängnis saß, abends auf eine ausreichende Mahlzeit hoffen durfte. Daß Idi Amin politische Gegner den Krokodilen im Viktoriasee vorzuwerfen pflegte, ändert nichts an dieser Tatsache. Seine wirtschaftlichen Maßnahmen weisen aber darauf hin, warum nur er und nicht andere, die sich ebenso rüder Methoden bedienten, in der ganzen sogenannten freien Welt ein äußerst schlechtes Image hatte.
Jedoch nicht nur die Menschen, sondern auch die Natur wehrt sich auf Dauer gegen eine Ordnung, die unwissenschaftlich und naturfeindlich ist. Da ist zunächst das Überfüllungsproblem. „Wird ein Umweltmedium als öffentliches Gut zu einem einzigen Verwendungszweck genutzt, so muß ab irgendeinem Punkt die Kapazitätsgrenze dieses öffentlichen Gutes bei zunehmender Benutzerzahl überschritten werden, und die Benutzer rivalisieren in der Benutzung dieses Gutes und beeinträchtigen dessen Qualität.“5 Die Nutzung der Umwelt als öffentliches Konsumgut und die Inanspruchnahme als Standort für ökonomische Aktivitäten stehen in Konkurrenz. Auch um den ökonomischen Standort besteht Verwendungskonkurrenz, so daß sich hier natürliche Grenzen zeigen, die zu überschreiten aus verschiedenen Gründen nicht möglich ist. Schließlich setzen auch die Knappheit und Endlichkeit der Ressourcen sowie die Umweltverschmutzung der wirtschaftlichen Aktivität, dem Wachstum um jeden Preis, Grenzen. Allerdings können sich die wirtschaftlichen Mächte — vernünftiges Denken vorausgesetzt — innerhalb dieser Grenzen etablieren, so daß es letztlich doch wieder auf den Menschen ankommt, ob er seine Freiheitsräume verteidigen kann und verlorene wiedergewinnt.
Man mag dem bisher Gesagten entgegenhalten, daß die weltwirtschaftlichen Beziehungen unter liberalistischem oder marxistischem Vorzeichen zwar für die Völker in erster Linie negative Folgen haben, daß aber dennoch eine Weltwirtschaft — und da jede Wirtschaft einer Ordnung bedarf, also auch eine Weltwirtschaftsordnung — als ein positives Ganzes immerhin denkbar sei. Um dies beurteilen zu können, müssen wir uns vor Augen halten, daß jede Wirtschaft von bestimmten Determinanten abhängig ist.
Zunächst sind das einmal die natürlichen Gegebenheiten, also die klimatischen Voraussetzungen, Bodenbeschaffenheit, Vorhandensein von Bodenschätzen, natürliche Verkehrsadern usw. Es dürfte offensichtlich sein, daß sie sich zum Beispiel in einer niederdeutschen Marschlandschaft notwendigerweise andere Wirtschaftsformen entwickeln mußten als im Niltal, in der Sahara oder im tropischen Regenwald. Eine andere Determinante ist die technische Entwicklung, die im engen Zusammenhang mit Bildung und Bildungsfähigkeit innerhalb einer Volkswirtschaft zu sehen ist. Ein Arbeiter kann von der Schaufel auf einen Bagger umsteigen, wenn er sein Bildungsniveau der neuen Technologie angepaßt hat. Voraussetzung dafür ist aber, daß er überhaupt in der Lage ist, das Bildungsniveau entsprechend anzupassen. Die technische Entwicklung, vor allem auf dem Gebiet des Verkehrs und der Kommunikation, hat sicher zu einer weitgehenden gegenseitigen Befruchtung verschiedener Völker und Kulturkreise geführt. Sie muß jedoch nicht notwendigerweise zu einer gegenseitigen Angleichung führen. Entscheidend ist, ob es möglich ist, daß die verschiedenen Traditionen, die Volkscharaktere und die spezifischen Fähigkeiten der Völker Gelegenheit haben, sich mit einer neuen, eventuell von außen übernommenen, Technik auf ihre Weise zu verbinden. Es haben wohl Ostasiaten und Europäer die Buchdruckerkunst beherrscht, aber niemand kann sagen, daß es deshalb zu einer Nivellierung der kulturellen Äußerungen gekommen sei.
Als weitere Determinante ist die Ideologie zu nennen, die in einem bestimmten wirtschaftlich relevanten Raum vorherrschend ist. Daß das Entstehen von Ideologien unter Umständen von ökonomischen Gegebenheiten abhängig sein kann, hat Marx sehr richtig erkannt. Nur ist es in der Absolutheit und Einseitigkeit, wie Marx es ausgeführt hat, falsch. Das kanonische Zinsverbot des Mittelalters kann beim besten Willen nicht auf irgendwelche ökonomischen Gegebenheiten zurückgeführt werden; es hat aber seinerseits — begründet aus der christlichen Lehre — eine nicht abzuschätzende Wirkung auf die wirtschaftliche Entwicklung Europas und das Zusammenleben verschiedener Völker in diesem Kontinent mit sich gebracht.
Auch andere außerhalb der Ökonomie oder außerhalb des Wirkungsfeldes einer Volkswirtschaft liegende Ereignisse können das Bild einer Wirtschaft beeinflussen. Hierher gehören die Völkerwanderungen der alten Zeit ebenso wie die gegenwärtige Völkerwanderung, nämlich das Hineinsickern der farbigen südlichen Völker in Europa aufgrund der in der Heimat herrschenden ökonomischen Bedingungen. Zwar beeinflussen diese Menschen noch nicht das Bild unserer Volkswirtschaften, jedoch wird das sicher in ein oder zwei Generationen der Fall sein, wenn diese Entwicklung nicht rechtzeitig abgestoppt wird. Im Mittelpunkt aber jedes wirtschaftlichen Handelns steht der Mensch: Hr ist Produzent und Konsument, er ist Arbeiter und Händler, er ist der agierende und reagierende, der wirkende und leidende Teil in einer Volkswirtschaft. Vom Menschen hängt daher das Bild der Wirtschaft in erster Linie ab. Nun sind aber die Menschen nicht gleich. Sie sind als Individuen nicht gleich, es gibt in jeder Population Intelligente und weniger Intelligente, es gibt Starke und Schwache, es gibt Führungspersönlichkeiten und solche, die sich leicht unterordnen, es gibt schöpferische und nur nachvollziehende Menschen. Ähnlich ist das Verhältnis zwischen den Rassen, die in unterschiedlich langen Zeiten in verschiedenen Räumen, unter unterschiedlichen klimatischen und geologischen Bedingungen entstanden sind, bei denen deshalb ganz verschiedene Ausleseprozesse wirksam waren. Es wäre daher verwunderlich, wenn das Produkt überall gleich wäre. Die Durchschnittswerte der Kassen und Rassengruppen zeigen deshalb auf allen Gebieten zum Teil liefgreifende Unterschiede. Wenn aber Menschen unterschiedlich veranlagt und unter diesem oder jenem Aspekt des Wirtschaftens unterschiedlich befähigt sind, müssen sich notwendigerweise verschiedene Formen der Wirtschaft herausbilden.
Diese Determinanten, die wir hier nicht erschöpfend aufgezählt haben, sind weder global als einheitliche Größe vorhanden, noch im zeitlichen Ablauf der menschlichen Geschichte immer gleich. Ist aber eine Wirtschaft von diesen Determinanten abhängig, so ist eine einheitliche Weltwirtschaftsordnung weder zeitlich noch räumlich denkbar.
Wie schon erwähnt wurde, wird man häufig mit pessimistischen Auffassungen konfrontiert, was den Widerstand gegen die nun schon seit vielen Jahrzehnten andauernde Entwicklung angeht. Vor allem bezieht sich dieser Pessimismus auf Westeuropa, wo die Bevölkerung zugegebenermaßen schon weitgehend dem Sog des US-amerikanischen Lebensstils verfallen ist. Jedoch haben wir auch darauf hingewiesen, daß der Widerstand dagegen wächst. Zwar hat er im Augenblick noch keine Mehrheiten. Zwar speist er sich aus ganz verschiedenen Quellen, die uns zum Teil aus anderen Gründen recht suspekt sind. Es ist aber zunächst von sekundärer Bedeutung, welches die ursprünglichen Motive für den Widerstand gegen die US-amerikanische Dominanz sind; entscheidend ist, daß erst einmal das Denken über diese Dominanz und ihre Folgen angeregt wird. Andererseits ist es aber nicht notwendig, Mehrheiten zu gewinnen. Ein altes soziologisches Gesetz besagt vielmehr, daß bestimmte Denkrichtungen — ebenso wie Modeströmungen und dergleichen — von führenden sozialen Schichten ihren Ausgang nehmen und dann sozusagen herabsickern in die große Masse der Bevölkerung, bis sie dort populär geworden sind. Infolgedessen ist es durchaus begrüßenswert, daß heute das, was eine gewisse Presse oberflächlich ‚Anti-Amerikanismus’ nennt, sich zunächst bei sogenannten linken Lehrern, Soziologen usw. verbreitet.
Die Tatsache, daß die liberalistische Ideologie naturwidrig und lebensfeindlich ist, führt notwendigerweise dazu, daß sie mit Realitäten in Konflikt kommen muß, da es Brüche und Fehlentwicklungen, die nicht vorauszuplanen sind. Die Krise ist also dem liberalistischen System immanent. Gleiches gilt — dieser Gedanke ist bei uns dank einer weitverbreiteten nichtmarxistischen Presse sehr viel populärer — für den Marxismus. Diese Brüche und Krisen sind aber weitere Verbündete für jeden Widerständler.
Zum Widerstand gehört auch, daß man sich ein Gegenbild zu dem derzeitigen Zustand der Weltwirtschaft und der von dieser Weltwirtschaft betroffenen Volkswirtschaften zu machen versucht. Wir wollen prüfen, ob ein solches Modell nicht aufgrund unserer bisherigen Erkenntnisse zu entwickeln ist.
Da es keine Weltwirtschaftsordnung geben kann und jeder Versuch, eine solche herzustellen, nur bedeutet, daß eine bestimmte Ordnung ihre Dominanz über andere ausübt und Völker und Kulturen zerstört, wäre es zunächst notwendig, daß sich ein begrenztes Gebiet, dessen Menschen biologisch und kulturell eng miteinander verwandt sind, auf eigene Füße stellt.
Die Schwierigkeit beginnt allerdings schon, wenn wir über den Umfang des begrenzten Gebietes sprechen. Einigkeit dürfte wohl darüber bestehen, daß die Bundesrepublik Deutschland bei aller wirtschaftlichen Potenz zu schwach ist, eine solche Aufgabe zu erfüllen. Aber auch ein vereinigtes Deutschland — BRD + DDR — wäre dazu wohl zu schwach. So wie sich die politische Lage heute darstellt, ist es auch völlig abwegig, auf eine baldige Vereinigung dieser beiden Staaten zu hoffen. Daran ändern auch alle gut gemeinten Vorschläge, Pläne, Utopien nichts, da diese fast ausschließlich von Leuten stammen, die keinerlei politische Macht haben und infolgedessen keinen Einfluß auf den Gang der Ereignisse. Es ist zwar nicht undenkbar, daß einmal eine Konstellation entsteht, in welcher die beiden genannten Staaten auf neutraler Grundlage zusammengefügt werden. Solange sich diese Möglichkeit aber noch nicht einmal entfernt am Horizont abzeichnet, ist es müßig, sich über die Folgerungen aus dieser Situation Gedanken zu machen. Nach Lage der Dinge bleibt es zunächst bei Westeuropa, das sich zusammenschließen und zu einem eigenständigen politischen Faktor entwickeln muß. Es sei zugegeben, daß die heutigen Regierungen Westeuropas keinerlei Ansatzpunkt erkennen lassen, eine solche Entwicklung voranzutreiben, daß an fast keinem Punkt dieses westlichen Zipfels unseres Kontinents Menschen in verantwortlicher Stellung erkennbar sind, die den Willen haben, Europa wieder die Machtstellung in der Welt zurückzugeben, die ihm gebührt. Aufgabe aller verantwortungsbewußten Menschen muß daher sein, ausgehend von solchen Zielsetzungen wie die hier entwickelten, zunächst für eine innenpolitische Umgestaltung der Verhältnisse zu sorgen.
Unter der Voraussetzung, daß es zu der Herstellung eines solchen handlungsfähigen Europas gekommen ist, müßte sich das Verhältnis zu dem osteuropäischen Block auf zwei Ebenen gestalten. Auf der oberen Ebene spielen sich die selbstverständlichen diplomatischen Beziehungen ab, wobei wir keinen Zweifel daran lassen sollen, daß zu den hervorragendsten Zielen dieser diplomatischen Bemühungen gehören muß, offenen bewaffneten Auseinandersetzungen aus dem Wege zu gehen. Auf einer zweiten Ebene jedoch muß Westeuropa diejenigen nationalen und sozialen Bewegungen Osteuropas unterstützen, die das dortige Regime destabilisieren und ändern wollen. Wirtschaftspolitisch heißt das selbstverständlich, daß man die Feinde der Vormacht des Ostblocks, der Sowjetunion, zu stärken versucht, während man im Handel mit dem Ostblock auf bestimmten wichtigen Gebieten restriktiven Maßnahmen den Vorzug geben muß.
Europa müßte sich zunächst vom Dollar abkoppeln, das heißt es müßte den Dollar als eine Fremdwährung wie jede andere betrachten und behandeln. Dies ist allerdings nur möglich, wenn ausländische Handelspartner bereit sind, die europäische Währung zu akzeptieren. Dies wiederum aber ist nur möglich, wenn Europa über eine hinreichende ökonomische Stärke verfügt. Aufgrund der Eigenschaften des europäischen Menschen, der in Europa liegenden natürlichen Ressourcen und des technischen Standards kann daran zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein Zweifel bestehen. Man muß allerdings aufpassen, daß dieser natürliche Vorsprung nicht verwässert wird. Selbstverständlich wird man damit rechnen müssen, daß bei einer Abwendung vom Dollar als Leitwährung Gegenmaßnahmen von anderer Seite getroffen werden. Es muß demnach die innere Ordnung Europas so beschaffen sein, daß es jederzeit in der Lage ist, seinen Bewohnern auch gewisse Entbehrungen abzuverlangen. Ist die Bevölkerung dazu nicht in der Lage, oder glauben Politiker, sie sei dazu nicht in der Lage, können alle weiteren Bemühungen von vornherein eingestellt werden. Es muß daher zu den ersten Erziehungsmaximen eines europäischen Staates gehören, dem Bürger klarzumachen, daß man einen erhöhten materiellen Wohlstand, wie ihn die Bundesrepublik Deutschland zur Zeit genießt, und ein freies und unabhängiges Leben in der Welt zur gleichen Zeit nicht haben kann.
Solange man einen starken Außenhandel pflegt, wird man an irgendeinem Punkt immer wieder auf das Problem der Leitwährung stoßen. Will sich Europa von Krisen auf internationalen Märkten fernhalten und selber für Krisen gerüstet sein, so muß es sich deshalb stärker dem Gedanken der Autarkie zuwenden. Wie man sieht, bestehen hier hinsichtlich der Landwirtschaft überhaupt keine Probleme. Selbst wenn unsere Landwirtschaft mit weniger Chemie auskommen muß, was aus Gründen des Umweltschutzes und der menschlichen Gesundheit nicht nur wünschenswert, sondern notwendig ist, würde die Nahrungsmittelproduktion im europäischen Raum immer noch genügen, um alle hier lebenden Menschen ausreichend zu versorgen. Der Verzicht auf Lebensmitteleinfuhren würde zum Beispiel die USA viel härter treffen, die hier einen ihrer Hauptabnehmer haben. Somit könnte Europa für den Kauf von Getreide, das es eigentlich nicht braucht, seine Konditionen z. T. wenigstens diktieren. Rohstoffe fast aller Art sind in Europa ebenfalls reichlich vorhanden. Selbstverständlich darf der Gedanke der Autarkie nicht dazu führen, daß man sich auch wissenschaftlich von der übrigen Welt abkoppelt. Man muß jedoch bedenken, daß im wohlverstandenen Eigeninteresse, auch der anderen Staaten, der wissenschaftliche Austausch eben immer nur ein Austausch sein kann, das heißt ein do ut des, also niemals eine Einbahnstraße.
Natürlich wird es nie zu einem völligen Erliegen des Außenhandels kommen. Zwar setzt die Industrie aller europäischen Länder die überwiegende Masse ihrer Produkte in Europa ab, es bleibt aber doch ein Teil, der bisher nach Übersee exportiert wurde und der im eigenen Land nicht untergebracht werden kann. Auf der anderen Seite benötigen wir bestimmte Rohstoffe, die in Europa entweder nicht in ausreichendem Maße vorhanden sind oder bei denen wir gezwungen sind, die eigenen Vorräte zu schonen. Um hier unüberschaubaren Verflechtungen zu entgehen und sich dem Sog des internationalen, primär US-amerikanischen Kapitals zu entziehen, wird vorgeschlagen, das Prinzip des multilateralen Waren- und Kapital-Verkehrs durch ein System bilateraler Verrechnungsabkommen zu ersetzen. Wenn man selber Marktmacht ausübt, woran bei einem vereinigten Europa kein Zweifel bestehen dürfte, kann man sich dann auch seine Handelspartner nicht nur nach ökonomischen, sondern auch nach militärischen und politischen Gesichtspunkten aussuchen. Natürlich müssen wir uns darüber im klaren sein, daß dies auf längere Sicht ein weiteres Schrumpfen des Welthandels bedeutet.
Parallel zu diesen Maßnahmen müßte ein gesteuerter und vorsichtiger Kuckzug aus bestimmten internationalen Organisationen einsetzen. Auf wirtschaftlichem Gebiet gehört dazu in erster Linie IWF, Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, Weltbank usw. Es muß aber der Zukunft, den jeweiligen Gegebenheiten und Opportunitäten im wohlverstandenen eigenen Interesse überlassen bleiben, ob überhaupt, in welchem Umfange und wann ein solcher Rückzug vonstatten gehen sollte.
Zu diesem Rückzug aus den internationalen Organisationen gehört ohne Zweifel auch die Einstellung — über das notwendige Tempo kann jetzt noch nichts gesagt werden — von Entwicklungshilfe und anderen Zahlungen und Tributen. Vielmehr sollten auf lange Sicht irgendwelche Zahlungen nur erfolgen, wenn man sich dafür auf der anderen Seite auch politische oder wirtschaftliche Vorteile einhandeln kann.
Die Folgen eines solchen Rückzuges wären allerdings schwerwiegend. Obwohl an der Notwendigkeit kein Zweifel bestehen sollte, kann man doch über das Tempo schon aus militär- und machtpolitischen Gründen nichts sagen. Entscheidend ist die Entwicklung der Waffentechnik in den nächsten Jahren. Gelingt es, das Defensivwaffensystem auszubauen und zu verstärken — und zwar nicht nur in den USA, sondern auch gerade in Europa — so würde von dieser Seite keine große Gefahr drohen. Natürlich muß Europa versuchen, die bestehenden Blöcke zu destabilisieren, einmal um seinen Einflußbereich Richtung Osten auf die dort liegenden Teile Europas auszuweiten, zum anderen im Interesse seiner eigenen Sicherheit.
Differenzierter muß man die Sache im Hinblick auf die Entwicklungsländer sehen. Es gibt ja bekanntlich nicht, ‚das Entwicklungsland’, so daß man hier von Fall zu Fall entscheiden muß. Für viele Staaten, die unter dieser unsinnigen Vokabel zusammengefaßt werden, gilt jedoch, daß sie übervölkert sind, daß sich Teile ihrer Bevölkerungen zur Wanderung nach Norden aufgemacht haben und daß sie politisch äußerst labile Systeme haben. Es ist also notwendig, daß Europa, wenn es schon den Welthandel hat schrumpfen lassen, so doch zumindest politisch hier Einfluß behält. Und so wie die Dinge auf dieser Welt nun einmal liegen, kann das eben auch heißen: Einfluß durch Geld. Primär sollte uns aber daran gelegen sein, in diesen Staaten diejenigen Kräfte zu stärken, die ihrerseits auf eine größere Unabhängigkeit von den Supermächten hinarbeiten und so mit uns zu einer Zusammenarbeit zu kommen versuchen. Die Lage würde sich allerdings wieder anders darstellen, wenn wir — zum Beispiel in Süd- oder Südostasien — die Bildung eines militärischen Blocks beobachten müßten, der sich eines Tages gegen Europa wenden könnte. Von einer solchen Situation sind wir jedoch wahrscheinlich noch weit entfernt.
Von den wirtschaftlichen Auswirkungen eines Rückzuges aus dem Weltmarkt für Europa mutmaßen nur diejenigen Schlimmes, die weiterhin an den Mythos von den Segnungen und der Unabdingbarkeit des Welthandels glauben.
Am wichtigsten ist zunächst die Nahrungsmittelversorgung. Hier hat man bereits 1938/39 festgestellt, daß das damalige Großdeutschland zu 84 % Selbstversorger war, das Altreich, also die deutschen Provinzen ohne Österreich, zu 83 %. Ein mitteleuropäischer Wirtschaftsblock einschließlich Skandinavien, den Benelux-Staaten, Südosteuropa und dem Baltikum konnte sich zu 90 % selbst versorgen, zusammen mit Rußland zu 96 %6.
Es sieht heute nicht viel anders aus. Der Selbstversorgungsgrad der Bundesrepublik Deutschland mit Nahrungsmitteln betrug zum Beispiel 1983 über 90 % — wenn man die tierische Produktion aus Auslandsfuttermitteln abzieht (ohne daß aus den uns zugänglichen Quellen genauer gesagt wird, woher diese Futtermittel stammen), beträgt die Selbstversorgung 75 %. Ähnlich günstig sieht es für Gesamteuropa aus, das bekanntlich zu den großen Überschußerzeugern auf dem Gebiet der Landwirtschaft zählt. Gleiches gilt für den Außenhandel. Etwa 65 % der Einfuhren als auch der Ausfuhren der Bundesrepublik Deutschland betreffen europäische Länder. Das trifft mit wenigen Abweichungen ebenso auf die anderen europäischen Länder zu, wenn man von dem Sonderfall Sowjetunion vielleicht einmal absieht. Der Handel mit ausgesprochenen Entwicklungsländern spielt dagegen so gut wie überhaupt keine Rolle. Man fühlt sich an Dahrendorf erinnert, der einmal bemerkte, wenn alle Entwicklungsländer über Nacht im Meer versinken würden, würde das für das Bruttosozialprodukt der Industriestaaten einschließlich Europas eine Minderung von ungefähr 1 % ausmachen. Man würde also, mit anderen Worten, dieses Verschwinden wirtschaftlich überhaupt nicht bemerken.
Wir haben schon darauf hingewiesen, daß der Rückzug auf Autarkie nicht das Erliegen jeglichen Handels bedeutet, daß vielmehr ein maßvoller Austausch von Gütern und — damit zum Teil verbunden — eine wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Kulturkreisen weiterhin sinnvoll sein wird. Es wird deshalb auch nicht zu einer Stagnation der Entwicklung kommen, die es übrigens so nie gelte he n hat. Auch zu einer Zeit, als sich über Europa die lähmende Macht der Kirche ausbreitete, hat es im Gefolge der Kreuzzüge, durch die Einführung von Feuerwaffen und anderen neuen Techniken immer eine technische Entwicklung gegeben, und der Eindruck der Stagnation der damaligen Zeit resultiert in erster Linie daraus, daß die neuen Technologien infolge des geringen Standes der Verkehrstechnik nur langsam wanderten. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, daß die Müsse der wissenschaftlichen Entdeckungen und der technischen Erfindungen aus Europa und von Europäern stammt, daß gerade Europa der große Lieferant für technische Innovationen gewesen ist.
Auf großen Widerstand werden unsere Vorschläge aber bei denjenigen stoßen, denen das Schicksal der sogenannten Dritten Welt besonders angelegen ist. Das unbestreitbare Elend in afrikanischen, asiatischen und südamerikanischen Ländern hat jedoch Ursachen, die sicher zum Teil durch europäische Einflüsse verursacht worden sind, die aber andererseits durch einen weitgehenden wirtschaftlichen Rückzug der Europäer aus jenen Gebieten auch wieder behoben werden könnten, wenn auch unter großen Opfern. Da ist zunächst einmal das Problem der Übervölkerung dieser Länder. Ohne Zweifel ist es in allererster Linie dadurch entstanden, daß unter europäischer Herrschaft bzw. durch sonstigen europäischen Einfluß die natürlichen Bevölkerungsregulative in diesen Ländern — Hunger, Seuchen, Krieg — weitgehend ausgeschaltet wurden. Der Hunger wurde durch verbesserte Anbaumethoden und durch die europäische Organisation der Verteilung weitgehend besiegt; um die Seuchen kümmerten sich europäische Ärzte und Missionare, die dauernden Stammeskriege wurden durch die Kolonialmacht unterbunden. Hinzu kam, daß durch die Zersetzung der einheimischen Kulturen, die durch Sitten und Gebräuche erzeugten Bevölkerungsregulierungen weitgehend ausgeschaltet wurden. Aus alledem resultierte eine ungeheuere Bevölkerungsexplosion, die auch nach der Unabhängigkeit dieser Länder nicht nachließ, da nun nicht mehr Kolonialverwaltungen, sondern besonders humanitär eingestellte Organisationen und Einzelmenschen in den Industrieländern dafür sorgten, daß möglichst viele Menschen am Leben bleiben. Zwar wird gesagt, daß hm einem gewissen zivilisatorischen Standard an die Geburtenzahlen zurückgehen werden, und man verweist in diesem Zusammenhang auf das Beispiel Westeuropas. Jedoch ist im Augenblick nicht abzusehen, woher dieser zivilisatorische Standard kommen soll, nachdem die dekolonisierten Gebiete mit vielen europäischen Einrichtungen überhaupt nichts anfangen können und diese dem Verfall überlassen; und man vergißt weiterhin, daß es auch in Europa nach der Bevölkerungsexplosion im ausgehenden 18. und 19. Jahrhundert lange Zeit gedauert hat, bis sich die Bevölkerungszahlen auf einem höheren Niveau wieder einpendelten. Es dürfte auf der Hand liegen, daß, wenn man so weiterwurstelt wie bisher, zumindest Afrika und Asien ihre Bevölkerungsmassen eines Tages überhaupt nicht mehr ernähren können und sich dann notgedrungen die Einwanderung in die nördlichen Industrieländer verstärken muß. Stoßen diese Einwanderer dann in unseren Staaten auf eine von falsch verstandenem Humanismus, christlicher Fernstenliebe und Egalitarismus geprägte Bevölkerung, wird der Zusammenbruch Europas als des schöpferischen Weltmittelpunktes nicht mehr fern sein.
Die Folgerung ist klar: Man soll, von gewissen, nicht humanitär begründeten Ausnahmen abgesehen, die Entwicklungsländer sich selbst überlassen und in Kauf nehmen, daß sie sich auf die Menschenzahlen, die sich selbst ernähren können, zurückhungern. Bei Lichte betrachtet ist dies auch humanitärer, als wie bisher fortzufahren. Rettet man heute 10 indische Kinder vor dem Hungertod, sind in der nächsten Generation aus diesen 10 indischen Kindern vielleicht mehr als 30 Menschen entstanden, die von Europa möglicherweise noch ernährt werden können, in der darauffolgenden Generation sind es vielleicht 100 und die Hungerkatastrophe wird so mit jedem Jahr des Zuwartens größer und schrecklicher.
Auch der oft gehörte Einwand, daß man sich in den Entwicklungsländern humanitär engagieren müsse, um dort der Sowjetunion nicht das Feld zu überlassen, sticht nicht. Sieht man einmal von Südamerika als einem Sonderfall ab — dort wohnen ja schließlich zu einem großen Teil europäisch-stämmige Menschen —, so gilt, daß die breiten Bevölkerungsmassen in Südostasien oder in Afrika ohnehin politisch nichts zu sagen haben, da Demokratien in unserem Sinne dort kaum existieren. Es genügt also, sich mit den führenden Gruppen — Regierung und Opposition — gut zu stellen. Vor allem aber würde ein stärkeres Engagement der Sowjetunion zum Beispiel in Schwarz-Afrika die Kräfte dieses Landes, die ohnehin durch die Rüstungsanstrengungen schon bis aufs äußerste angespannt sind, restlos überfordern. Ich bringe noch einen Gedanken ins Spiel: Auch in Europa hat es zu allen Zeiten überlegene und unterlegene Produzenten gegeben. Nur konnten erstere nicht so leicht alle Konkurrenz aus dem Felde schlagen wegen der ursprünglich sehr hohen Transportkosten. Im Laufe der Geschichte ist das Verkehrsnetz in Europa organisch mit der Entwicklung des Industriewesens gewachsen. So war es möglich, daß es in bestimmten Gebieten einen natürlichen Schutz des schwächeren Produzenten Hab. In den Entwicklungsländern ist jedoch durch den Einfluß der Europäer die Entwicklung des Transportwesens stark vorangetrieben worden, so daß es heute den modernsten Teil der Volkswirtschaft darstellt. Diese laufende Verbesserung der Infrastruktur bietet keinen natürlichen Schutz des schwächeren Produzenten. Daraus ergibt sich eine überwältigende Überlegenheit derjenigen Betriebe, die mit westlichen Produktionsmethoden arbeiten. Die Folge ist, daß die schwächeren Betriebe ihre Arbeit einstellen. Da es andere Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem Dorf aber nur in ganz beschränktem Umfange — wenn überhaupt — gibt, ziehen die arbeitslosen Massen in die Städte in der meist vergeblichen Hoffnung, dort ihren Lebensunterhalt fristen zu können. Schuhmacher führt als ein Beispiel für solche Entwicklungen die Seifensiederei in Indien und ihre Eliminierung durch Seifenfabriken an,7 die nach europäischen Methoden arbeiten.
Nachdem sich nun in zahlreichen Fällen gezeigt hat, daß nach der Unabhängigkeit das europäisch initiierte Verkehrswesen verrottet und auch neuere Verkehrsbauten meist kein langes Leben haben — klassisches Beispiel: die Uhuru-Bahn von Sambia an den indischen Ozean — steht zu vermuten, daß bei einer Einstellung europäischer Entwicklungshilfe der natürliche Schutz einheimischer, schwächerer Produzenten durch hohe Transportkosten sich in relativ kurzer Zeit wieder einstellt.
Um aus der Fülle der Beispiele noch ein drittes herauszugreifen — in dem Maße, in dem die Europäer sich auf ihre eigene landwirtschaftliche Produktion besinnen und den Verbrauch überseeischer Genußmittel, Genußgifte und dergleichen entschieden drosseln, gewinnen die Entwicklungsländer wieder Land, um für ihren eigenen Bedarf zu produzieren. Dies wird sich sicher nicht für irgendwelche Handelsbilanzen, von denen der einfache Bauer sowieso nichts hat, positiv auswirken als vielmehr für die Ernährungslage der eigenen Bevölkerung.
Trotz einer mit viel Grausamkeit und viel individuellem Elend befrachteten Übergangszeit werden also die Vorteile für die Entwicklungsländer aus einem weitgehenden wirtschaftlichen Rückzug der europäischen Mächte überwiegen.
Der Rückzug auf ein begrenztes Gebiet setzt natürlich eine bestimmte Ordnung dieses begrenzten Gebietes voraus, die es in die Lage versetzt, auch nach einer weitgehenden Umgestaltung der Wirtschaft und der Handelsströme und angesichts einer Welt, die ihm nicht wohlgesonnen ist — das ist sie übrigens heute, trotz des Welthandels, auch
nicht — zu bestehen.
Wir wollen deshalb im folgenden einige Gesichtspunkte herausstellen, die für die innere Ordnung des begrenzten Gebietes Europa entscheidend sein sollten. Dazu gehören die Dezentralisierung, das Verhältnis von Planung und Lenkung, das Verhältnis von Arbeit und Kapital, die Einschränkung der Mobilität der Arbeitskräfte, vor allem aber die Frage des Verhältnisses von Wirtschaft und Politik.
Es ist eine Legende, daß in zurückliegenden Zeiten nur machtpolitische oder sittlich-moralische oder auch egoistische Gesichtspunkte bei politischen Entscheidungen eine Rolle spielten. Wenn es um den Besitz eines Erzbergwerks oder eines Hafens ging, so waren immer auch wirtschaftliche Entscheidungen im Spiel. Jedoch blieb es unserer Zeit, vom Liberalismus und vom Marxismus beherrscht, also von Weltanschauungen, die das Wirtschaftsleben in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellen, vorbehalten, daß wirtschaftliche Gesichtspunkte eine ganz dominierende Rolle gewinnen. Dem kommen entgegen die Auffassung von Staat als einem Versorgungsträger und das die meisten heutigen Politiker kennzeichnende monokausale Denken. Wenn der Staat primär die Aufgabe hat, seine Bürger zu versorgen, muß er vor allem um eine gut funktionierende Wirtschaft bemüht sein; infolgedessen sind alle Entscheidungen primär unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu behandeln. Daß Menschen auch andere Bedürfnisse haben, ist diesem Denken ebenso unwesentlich wie die Tatsache, daß alle Teilbereiche der Wirklichkeit, in der sich der Mensch bewegt, miteinander verbunden sind. Vernetztes Denken und monokausales Denken sind nicht aufhebbare Gegensätze.
Wenn man die Realität dieser Vernetzung sieht, kann man jedoch auch die Neuordnung der Wirtschaft nur sehen als Teil einer Neuordnung aller menschlichen Lebensbereiche. Der ökonomische Sektor steht nicht isoliert für sich. Man kann deshalb auch nicht wirtschaftspolitische Ziele aufstellen, ohne daß diese in einem organischen Zusammenhang mit den Zielen anderer Lebensbereiche stehen. Wir stellen einen solchen Zusammenhang her, indem wie die Zielsetzungen für einen Teilbereich aus übergeordneten Zielsetzungen ableiten. Versuchen wir auf diese Weise eine Hierarchie der Entscheidungen aufzustellen, so stoßen wir zuletzt auf Grundentscheidungen, die rational nicht ableitbar sind. Diese lauten: 1. Das Überleben der menschlichen Art soll gesichert werden; 2. Die physische und bewußtseinsmäßige Fortentwicklung der Menschen soll gefördert werden. Aus diesen Grundentscheidungen leiten wir allgemein-politische Entscheidungen ab, aus diesen erst Entscheidungen für die Teilbereiche, zum Beispiel auch für die Wirtschaft.
Daraus ergibt sich zwingend, daß die allgemeine Politik Priorität haben muß, daß die Wirtschaft nur Hilfsmittel für die Politik ist, daß sie bei der Betrachtung dessen, was den Menschen not tut, nur eine untergeordnete Rolle spielen kann. Um uns nicht mißzuverstehen: Selbstverständlich muß die ausreichende Versorgung der Bevölkerung für jeden Politiker eine Selbstverständlichkeit sein. Natürlich sind Dinge, die über die Grundversorgung hinausgehen, anzustreben, natürlich ist ein gewisser Wohlstand, auch ein gewisser Luxus nichts Schlechtes, er kann sich sogar, zum Beispiel auf das kulturelle Leben, positiv auswirken. Jedoch darf das niemals Priorität genießen. Ein Staat, der den Wohlstand seiner Bevölkerung — wie heute zum Beispiel in der Bundesrepublik Deutschland — zum erstrangigen Ziel seines Handelns macht, ist bei der ersten ernsthaften Probe auf sein Überleben zum Untergang verurteilt, da für den Wohlstand niemand Opfer zu bringen bereit ist. Menschen handeln und opfern in erster Linie aus geistigen Impulsen heraus, für einen Staat, der diese Grundtatsache vernachlässigt, lohnt es sich nicht, sich einzusetzen.
Wenn wir der Dezentralisierung auf weltwirtschaftlichem Gebiet das Wort geredet haben, so liegt es nahe, nun im innerstaatlichen Rahmen damit fortzufahren. Tatsächlich sprechen viele Beweggründe dafür, einen europäischen Staat und auf unterer Ebene auch die einzelnen National-Länder zu dezentralisieren. Dem entspricht das Wesen des Menschen, der gegliederte, unterscheidbare und in sich überschaubare Räume bevorzugt, und zwar nicht nur im geographischen, sondern durchaus auch im politischen Bereich. Man führt dies darauf zurück, daß der Mensch ursprünglich in einem Savannenbereich entstanden sein soll.
In den letzten Jahrhunderten haben sich die europäischen Menschen immer mehr von Obrigkeiten und tradierten Glaubensvorstellungen emanzipiert. Nostalgiker verweisen darauf, daß etwa ein Bauer um 1500 sehr viel gebildeter gewesen sei als die Einwohner unserer Länder heute, da er mehr mit seiner Umwelt und der Natur im Einklang lebte. Sicher ist es richtig, daß den Menschen von heute viele Kenntnisse und Fähigkeiten verlorengegangen sind, und dies ist nicht nur bedauerlich, sondern unter Umständen auch gefährlich. Jedoch haben die Beseitigung des Analphabetismus, der Ausbau unseres Nachrichtensystems, die verbesserte Schulbildung gleichwohl einen viel höheren Grad von Allgemeinbildung mit sich gebracht — ungeachtet der Tatsache, daß diese Bildung oft recht einseitig verläuft. Daher ist der Mensch mit sehr viel mehr Rüstzeug zum Bewältigen seiner Umwelt und seiner zwischenmenschlichen Beziehungen ausgestattet, als dies früher der Fall gewesen ist. Es muß da selbstverständlich vieles korrigiert werden, und es ist auch nicht von der Hand zu weisen, daß neueste Kommunikationsmittel, zum Beispiel das Fernsehen, wieder zu einer größeren geistigen Verarmung des Menschen führen. Per Saldo bleibt aber, daß der Durchschnittsmensch von mehr Dingen mehr versteht als frühere Menschen und deshalb auch glaubt, zum Beispiel in politischen oder in wirtschaftlichen Fragen, eher mitsprechen zu können. Das ist die Ursache des Trends zur Demokratisierung in ganz Europa, der sich nur um den Preis einer Verdummung der Massen wieder umkehren läßt. Nun läuft Demokratie bei uns heute so ab, daß in regelmäßigen Abständen die Wähler zur Wahl gerufen werden und dort über Dinge abstimmen sollen, von denen sie in ihrer Vielfalt niemals etwas verstehen können, ganz einfach aus dem Grunde, weil kein Volk nur aus Genies besteht. Etwas anderes ist es jedoch in kleinen Einheiten, zum Beispiel auf dem Dorf oder in einem eng bemessenen Stadtviertel. Hier stehen im allgemeinen Dinge an, von denen sich der Einzelne in etwa ein Bild machen und über die er dann auch guten Gewissens abstimmen kann. Einem solchen natürlichen, dem Menschen angemessenen Selbstbestimmungs- und Willensbildungsprozeß stehen alle monumentalisierenden politischen Bereichsbildungen entgegen, wie sie zum Beispiel auch bei den jüngsten Gebietsreformen in Westdeutschland entstanden sind. Das, was hierzulande als Ausfluß der Demokratie daherkommt, ist tatsächlich undemokratisch im tiefsten Sinne des Wortes.
Dezentralisierung liegt aber auch im Zuge der historischen Entwicklung. 1871 gab es in Europa 21 Staaten, 1914 30, heute 34, wobei einige wieder verschwunden und von den Imperialismen verschlungen sind. Im Mittelalter entstanden 27 volkssprachliche Schriftsprachen, im 16. Jahrhundert 11, wobei 2 wieder verschwanden. Im 19. Jahrhundert 19, wir zählen heute 60. Deutschland und Italien schlugen zwar zeitweilig einen umgekehrten Weg ein, weil hier die Dynastien keine nationale Basis hatten, jedoch zeigt sich heute auch in Westdeutschland ein Erstarken des föderalen Prinzips und in Italien ein Aufbegehren der Regionen und der unterdrückten Randvölker gegen die Zentral macht in Rom.8 Ähnliches gilt für die anderen romanischen Länder, die von ihrer Historie her zum Zentralismus neigen, während die nordeuropäischen Staaten immer schon großzügiger gegenüber ihren regionalen und nationalen Eigentümlichkeiten sind, mag auch hier das Verhältnis zwischen England und Irland eine unrühmliche Ausnahme bilden.
Was für die allgemeine Politik gilt, gilt auch für die Wirtschaftspolitik. Da ist einmal der Unternehmensbereich. Hier ist nach Möglichkeit dem überschaubaren Betrieb der Vorzug zu geben, mag dies auch nicht in jedem Fall möglich sein. Gleiches gilt aber auch für die Strukturierung einer Region. Dort, wo wirtschaftliche Monokulturen herrschen, wo sich Menschen zusammenballen, ist die Krisenanfälligkeit der Region, aber auch die Unzufriedenheit der in ihr lebenden Menschen bedeutend größer, als wenn man diese Fehlentwicklungen vermeidet. Wir haben heute in Westdeutschland das abschreckende Beispiel des Saarlandes oder des Ruhrgebietes und können dem das sehr viel gesünder strukturierte Gebiet in Württemberg entgegenhalten, ungeachtet der Tatsache, daß auch hier sicher vieles noch verbesserungsbedürftig ist.
Die technische Entwicklung schafft immer mehr Voraussetzungen für eine wirksame Dezentralisierung sowohl im regionalen als auch im unternehmerischen Bereich. Besonders gilt dies für den Fortschritt bei den Kommunikationsmitteln. Bei einigem guten Willen ist es heute schon möglich, daß die Zentralen großer Unternehmungen, Banken, Versicherungen usw. ihren Sitz in irgendwelchen kleineren Städten in der Provinz nehmen, da die technischen Hilfsmittel bereits heute zur Verfügung stehen, jederzeit mit irgendwelchen Geschäftspartnern auf jede Weise zu kommunizieren, Konferenzen abzuhalten usw. Manche der Entwicklungen, die uns heute angeboten werden, mögen sich sicher als technologische Sackgasse erweisen, zum Beispiel der vom Bundespostministerium so sehr protegierte Bildschirmtext. Im großen und ganzen kann man aber sagen, und die letzten Jahre und Jahrzehnte gelegen es, daß die Entwicklung noch lange nicht abgeschlossen ist und wir uns mit großen Schritten der Möglichkeit nähern, die Metropolen zu entlasten, den Massenverkehr mit seinen unguten Begleiterscheinungen einzuschränken und zu einem Ausgleich zwischen der Provinz und den Ballungsgebieten zu kommen.
Wir hatten schon daraufhingewiesen, daß es sicher Techniken gibt, die nur im Bereich eines großen Unternehmens realisieren lassen. Aber auch auf anderem Gebiet gibt es Bereiche, in denen eine Zentralisierung unumgänglich notwendig ist. Dies dürfte zum Beispiel in dem wirtschaftspolitisch besonders relevanten Gebiet der Ordnung des Geldverkehrs der Fall sein. Eine Abkoppelung Europas vom Dollar setzt voraus, daß das Nebeneinander vieler Währungen in Europa — mögen diese im einzelnen auch eine respektable Stellung in der Welt Innen — abgeschafft wird zugunsten einer einheitlichen europäischen Währung. Dies wiederum setzt eine Zentralnotenbank voraus, deren Gliederung im gewissen Maße föderalistisch sein kann, so wie dies für das Verhältnis zwischen Bundesbank und Landeszentralbanken gilt. Eine europäische Zentralnotenbank setzt aber wiederum eine gewisse Einschränkung der nationalen Autonomien auf bestimmten wirtschaftspolitischen Gebieten voraus. Zum Beispiel muß eine einheitliche rechtliche, finanzpolitische und statistische Basis für ganz Europa geschaffen werden. Die Schwierigkeiten, die entstehen, wenn die Geld- und Kredit-Politik zwar supranational, die Fiskal-Politik aber von den Nationen gestaltet wird, liegen auf der Hand.
Es wird des öfteren gegen die Schaffung einer europäischen Währung eingewandt, daß sie gar nicht zu realisieren sei, da wegen der unterschiedlichen wirtschaftlichen Struktur in den einzelnen europäischen Gebieten diese Währung eine unterschiedliche Kaufkraft haben würde. Dies ist natürlich kein Gegenargument. Auch der Dollar hat in den einzelnen Regionen der Vereinigten Staaten eine unterschiedliche Kaufkraft. Dasselbe gilt übrigens auch für ein viel kleineres Gebiet, zum Beispiel die Bundesrepublik Deutschland. Es ist eine allgemeine bekannte Erscheinung, daß die DM etwa im Rhein-Main-Gebiet eine geringere Kaufkraft hat als schon in den nicht weit entfernten Kurorten der Rhön, von ländlichen Gebieten ganz zu schweigen.
Eine Betonung der Dezentralisierung bei gleichzeitiger Anerkennung der Notwendigkeit der Zentralisierung in bestimmten Sektoren bedeutet natürlich auch, daß die Planungssouveränitäten ausgewogen sein müssen. Dieses Thema soll noch erörtert werden. Da Wirtschaft aber mit einem lebendigen Organismus zu vergleichen ist, da sie vielfältigen, ständig wechselnden Einflüssen ausgesetzt ist und da sich dadurch auch die wirtschaftspolitischen Notwendigkeiten ändern, kann ein wirtschaftspolitisches Modell kein statisches Modell sein. Deshalb wird das Ausmaß von Dezentralisierung und Zentralisierung, von regionaler und zentraler Planung stets Änderungen unterworfen sein, die wirtschaftspolitisch handelnden Menschen müssen flexibel bleiben und sich dem jeweils Notwendigen anpassen. Zeiten des allgemeinen Friedens erfordern weniger Zentralismus, kriegerische Zeiten mehr. Um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein, muß die staatliche Organisation so beschaffen sein, daß schnelle Änderungen jederzeit möglich sind.
Das Problem der Mobilität der Arbeitskräfte stellt sich für uns in erster Linie dar als das Problem der Einwanderung südländischer Volke i Davon ist nicht nur Westeuropa betroffen. Auch in die USA vollzieht sich ein ständiger Einwanderungsstrom von mexikanischen und anderen mittel- und südamerikanischen Menschen. In Jugoslawien findet eine langsame Wanderung von südlichen Völkern — Mazedonier, Albaner — nach Norden statt. Die Sowjetunion und andere osteuropäische Länder sind von dieser Wanderung wegen der geschlossenen Grenzen und der restriktiven Innenpolitik zur Zeit weniger bedroht. Jedoch erheben sich in allen mediterranen Ländern die gleichen Klagen wie in Nordeuropa. Neger wandern nach Oberägypten und in nördlicher gelegene Gebiete ein, Oberägypter nach Unterägypten, Unterägypter nach Süditalien — man muß immer hinzusetzen: auch in die nördlicher gelegenen Gebiete —, die Süditaliener schließlich wandern nach Oberitalien oder nach Mittel- und Nordeuropa. Von dieser neuen Völkerwanderung, deren Bedeutung unseren in Vier-Jahres-Perioden denkenden Politikern offensichtlich noch nicht aufgegangen ist, sind bereits viele Millionen Menschen betroffen.
Obwohl die Mehrheit der nach Deutschland, Frankreich und anderen I andern einwandernden Menschen immer noch Gastarbeiter sind, von denen hier und da immer noch gehofft wird, daß sie eines Tages nach Mause zurückkehren, schwillt die Zahl der sogenannten Asylanten an, die offen zu erkennen geben, daß sie sich dauernd in Europa niederlassen wollen.
Natürlich ist es richtig, daß Deutschland schon immer ein Einwanderungsland war. Während aber frühere Einwanderer — Hugenotten, Polen im Ruhrgebiet usw. — immer aus Völkern stammten, die den Deutschen nahe verwandt waren und die deshalb keine Schwierigkeit hatten, sich innerhalb von wenigen Generationen zu assimilieren, handelt es sich bei den heutigen Zuwanderern in der Masse um Menschen, die aus ganz anderen rassischen und kulturellen Kreisen kommen. Für die Umkehrung dieses Wanderungsprozesses gibt es eine Reihe guter Gründe. Zunächst sind da die Engpässe in der heimischen Infrastruktur nennen — Wohnungen, Schulen, Straßen, Energieversorgung, Müllabfuhr und dergleichen. Zum zweiten — und das gilt um so mehr, je fremder uns diese Einwanderer sind — gibt es erhebliche Unterschiede im Bildungsstand zwischen der europäischen und der zuwandernden Bevölkerung; dieser Unterschied verstärkt sich mit steigenden Anforderungen des Produktionsprozesses. Das heißt nicht, um irgendwelchen Empörungsschreien sogleich zuvorzukommen, daß die Zuwanderer von Natur aus dümmer sind als die Europäer; ihre geistige Struktur Ml nur eine andere, und sie sind auf andere Kulturzusammenhänge ausgerichtet als auf die technische Zivilisation, wie sie sich in Europa entwickelt hat. Das Zusammentreffen von Gruppen unterschiedlicher kultureller, ethnologischer und wirtschaftlicher Herkunft ist aber immer in der Lage, gefährlichen sozialen Sprengstoff zu liefern. Je größer die Gruppe der Fremden ist, mit um so größerer Wahrscheinlichkeit entstehen soziale Konflikte. Das kommt nicht von ungefähr und hat nichts mit Intoleranz der einheimischen Bevölkerung zu tun. Die zuwandernden Menschen stammen vielmehr aus Bevölkerungsgruppen, die sich in langen Entwicklungsprozessen an Umweltbedingungen angepaßt und die den heimatlichen Verhältnissen entsprechende soziale Verhaltensweisen entwickelt haben, die sich jedoch sehr erheblich von den hiesigen unterscheiden. Eine Integration dieser Bevölkerungsgruppen in unsere Bevölkerung — selbst wenn sie wünschenswert wäre, was sie nicht ist — ist deshalb nicht möglich. Sie ist auf lange Sicht nur durchzuführen, wenn man die Schaffung einer entwurzelten Mischlingsbevölkerung auf primitiver zivilisatorischer Stufe in Kauf nimmt.
Es soll aber nicht vergessen werden, daß die Wanderung auch Nachteile für die Herkunftsländer mit sich bringt. In Süditalien versuchte man in den vergangenen Jahrzehnten, durch Ansiedlung von Unternehmen das wirtschaftliche Niveau zu heben. Allerdings ging man dabei nicht zielgerichtet vor, nahm auf die besonderen Bedürfnisse des Landes keine Rücksicht, so daß in erster Linie kapitalintensive Unternehmen mit geringem Beschäftigungseffekt angesiedelt wurden. Parallel dazu fand ein Wachstum der einheimischen Bevölkerung statt. Dies führte zu einer Abwanderung aus der Landwirtschaft wie auch aus den Städten. 1972/73, zur Zeit der sehr starken Auswanderung nach Deutschland, war die Hälfte aller Auswanderer jünger als 30 Jahre. Daraus resultierte eine anormale Struktur der Bevölkerung Süditaliens. Zudem wandern in der Regel die Leute mit der stärksten Initiative ab, die schwach Motivierten, die Leistungsschwachen, die weniger Intelligenten bleiben zurück. Daneben zeigt das Beispiel Süditalien auch, daß die Überweisungen der Auswanderer in das Heimatland in der Regel keinen wirtschaftsfördernden Aspekt haben, da sie meist für konsumtive Zwecke verbraucht werden. Ähnliches beobachtet man in der Türkei. Die Abwanderer sind bezüglich Lebensalter und Schulbildung den anderen einheimischen Arbeitskräften in der Regel überlegen. In den letzten Jahren fand eine gewisse Rückwanderung statt. Die türkische Regierung hätte diesbezüglich vor allem das Ziel haben müssen, die Rückwanderer ihren neuen und verbesserten Fähigkeiten entsprechend einzusetzen. Jedoch ist die Mehrzahl der Heimkehrer nicht wieder in die Industrie gegangen, sondern sie suchte sich selbständig zu machen, meist jedoch in Gewerbezweigen, die wenig produktiv sind und für die weitere wirtschaftliche Entwicklung des Landes von untergeordneter Bedeutung sind.
Natürlich kann und soll eine gewisse Wanderung von Arbeitskräften im europäischen Rahmen nicht verhindert werden. Man muß dabei aber selektiv vorgehen. Die Einwanderung von nicht-europäischen Menschen muß strikt unterbunden werden; Ausnahmen darf es nur für solche geben, die sich hier in Ausbildung befinden oder im Dienst ihres Heimatlandes oder der einheimischen Industrie stehen. Aber auch innerhalb Europas müssen die Wanderungen eingeschränkt werden. Im Vordergrund muß stehen, daß nicht irgendeine Region ausblutet, die heimische Kultur, das eigene Volk dadurch bedroht wird, und auf der linderen Seite dafür woanders ungesunde Ballungsgebiete entstehen. So wird sich der Einsatz von Arbeitskräften in Gebieten fremder Kultur in erster Linie auf Inhaber höherer Positionen in der Wirtschaft beschränken.
Viel wichtiger als die Wanderung von Arbeitskräften ist die Wanderung des Kapitals. Die gezielte Einrichtung von Industrien in den Hauptabwanderungsgebieten unter Beachtung einer gesunden Struktur muß zu den Hauptanliegen einer europäischen Wirtschaftspolitik gehören. Es wird dagegen des öfteren eingewandt, daß es sich auf längere Sicht nicht verhindern ließe, daß die ins Ausland verbrachten Industrien eines Tages zu unserer Konkurrenz heranreifen. Man vergißt aber hier den Unterschied zwischen Investitionen in Europa und in Übersee. Investitionen in Italien oder in Spanien sollten für uns nichts anderes bedeuten, als wenn heute ein norddeutscher Unternehmer Niederlassungen in Bayern oder Württemberg gründet.
Bei der Frage von Planung und Lenkung geht man immer wieder von dem Gegensatzpaar der sogenannten freien Marktwirtschaft und der zentralen Verwaltungswirtschaft aus. Abgesehen davon, daß die Wirklichkeit Planungsmodelle in reiner Form überhaupt nicht kennt, ist unbestritten, daß beide Modelle — auch in der vorhanden abgeschwächten Form — zu erheblichen Fehlentwicklungen führen. Es hat deshalb allerorten das Suchen nach einem dritten Weg eingesetzt. Ein solcher dritter Weg könnte eine Form ständischer Ordnung mit besonderem Gewicht von Selbstverwaltungskörpern sein. Eucken glaubte aufgrund seiner Beobachtungen nachweisen zu können, daß sich diese Selbstverwaltungskörper entweder zu festgefügten Verbänden monopolistischer Prägung entwickeln oder zu ausführenden Organen zentraler Planstellen werden. Bei berufsständischer Ordnung fehle ihnen das Interesse an Maßnahmen, die ihren eigenen Interessen oder den Interessen der von ihnen vertretenen Mitglieder zuwiderlaufen.9
Das jugoslawische Modell hat sich in Westdeutschland eine Zeitlang bei der linken großer Beliebtheit erfreut. Hier geht man von der Zielsetzung aus, die Entfremdung der Arbeiter von den Bedingungen und Resultat ihrer Arbeit aufzuheben, ebenso die Entfremdung der geistigen Potenzen der Arbeit von der Arbeit selbst. Die gesamtwirtschaftliche Planung hat indikativen Charakter, es werden gesamtwirtschaftliche Größen gesetzt, der Staat behält sich zentral die Entwicklung bedeutender Wirtschaftszweige und Einrichtungen, die Entwicklung der Infrastruktur und von zurückgebliebenen Gebieten vor. Gewisse Kompetenzen, zum Beispiel für die in Jugoslawien notwendige Devisenbewirtschaftung, wurden regional an die Republiken delegiert. Es zeigte sich jedoch, daß krisenhafte Wirtschaftserscheinungen zu immer mehr Eingriffen des Staates führten. Die Entfremdung wurde nicht überwunden, es kam zu Ungleichgewichten und Krisen. Politiker, geprägt von regionalen Interessen, konnten auf den ihnen zugewiesenen Gebieten unsinnige Projekte durchsetzen, die ineffizient waren. In den selbstverwalteten Betrieben befürworteten die Arbeiter Preiserhöhungen ihres Betriebes, kartellähnliche Organisationen und damit marktbeherrschende Positionen zu Lasten der Verbraucher.10
Nicht nur den Gegnern der zentralen Verwaltungswirtschaft, sondern auch den Gegnern eines dritten Weges — von dem es ja bekanntlich sehr viele verschiedene Modelle gibt — ist eigen, daß sie jede staatliche Lenkung ablehnen, da sie der Auffassung huldigen, die mehr oder weniger ideologisch geprägten Entscheidungen des Staates ließen sich rational nicht nachvollziehen und nähmen so Offenbarungscharakter an. Die Kritiker vergessen dabei, daß bei staatlicher Lenkung nicht Bedarfsstrukturen und individueller künftiger Bedarf entscheidend sein darf, sondern die sich aus den allgemeinpolitischen Zielsetzungen ableitenden Notwendigkeiten. Die Menschen mögen fehlerhaft sein, jedoch sind diese Entscheidungen nicht Sache von Massenabstimmungen, sondern von Eliten, in deren Hand die wirtschaftspolitische Macht gehört und deren Notwendigkeit und Existenz von uns bejaht wird. Lenkung des Staates heißt aber auf der anderen Seite, daß dieser sich vor tiefgreifenden Eingriffen und vor einer Verzettelung im Detail hüten muß. In Friedenszeiten hat der Staat zwei Hauptaufgaben: 1. Er muß die wirtschaftlichen Machtgruppen auflösen und ihre Funktionen begrenzen zugunsten seiner eigenen Souveränität. 2. Er hat Ordnungsformen der Wirtschaft zu gestalten, muß aber den Bürgern die Erwerbstätigkeit überlassen. Die Gestaltung der Ordnungsformen betrifft die Gebiete Wissenschaft, Planung, Erziehung, Innenpolitik, Justiz, Finanzen und bestimmte von außenpolitischen Maximen abzuleitende Handlungen, wie zum Beispiel Nationalisierung ausländischer Industrien und dergleichen.11 Eine solche Planung ist notwendig, da es einen sich selbst regulierenden Markt nur auf begrenzten Gebieten gibt und vor den Aufgaben der Zukunft (Familie, Probleme der Technik, Umweltschutz usw.) die profitorientierten Unternehmen aus Mangel an Voraussicht wie an Interesse in der Regel versagen. Der „sich selbst regulierende“ Wettbewerb wird weder mit seinen eigenen Voraussetzungen (Forschung, Entwicklung, Berufsvorbildung) fertig noch mit den Folgen des Produktionsübermaßes. Auch die pluralistische Gesellschaft als Ganzes läßt wegen der Vielfalt der widerstreitenden Interessen und der mangelnden Einsicht diese Fähigkeit vermissen.
Auf dem Gebiete der Planung der verschiedensten Art muß zwischen Rahmenplanung und Regionalplanung unterschieden werden. In die Rahmenplanung müssen berufsständische Verbände eingebunden sein, ungeachtet der kritischen Anmerkungen Euckens. Es ist nämlich durchaus denkbar, daß die Planungsautonomie der berufsständischen Verbände so begrenzt und gestaltet werden kann, daß schädliche Einflüsse von dieser Seite aus vermieden werden können. Zur Rahmenplanung gehört zum Beispiel die Einführung von günstigen Krediten und Steuererleichterungen für erwünschte Produktionen, die Kontrolle bestimmter Industriezweige — umweltschädliche Industrien, Banken usw. Die Rahmenplanung kann durch die Regionalplanung für weniger entwickelte Gebiete ergänzt werden, aber auch, die geographischen Regionen übergreifend, durch Familienplanung. Da wir nicht in einer Welt der Harmonie leben, muß im übrigen der wirtschaftspolitische Aufbau des Staates so organisiert sein, daß jederzeit eine Umschaltung auf mehr Zentralismus in Zeiten der Krise möglich ist.
Bei der Diskussion um gesellschaftspolitische Fragen hat man sich immer wieder mit dem behaupteten oder möglichen Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital auseinanderzusetzen, wobei wir hier unter Arbeit jede schöpferische Tätigkeit des Menschen, unter Kapital aber, das liier als Begriff pars pro toto verwandt wird, den Kapitaleigentümer verstehen. Jede Arbeit bedient sich des Kapitals als Mittel zum Zweck. Arbeit ist insofern auf das Vorhandensein von Kapital angewiesen. Aber auch das Kapital ist wiederum von der Arbeit abhängig, da es ja im hl aus sich selbst heraus entsteht. Solche Redensarten wie „das Kapital arbeitet“ oder „ich lasse mein Geld für mich arbeiten“ verführen dazu, die Rolle der Arbeit bei der Entstehung des Kapitals außer acht zu lassen. Kapital wird immer durch Arbeit geschaffen und erhält seinen Sinn nur dadurch, daß sich die Arbeit seiner bedient. Wir haben es also mit dem Verhältnis von Arbeit und Kapital mit einer polaren Struktur zu tun.
Reproduziert man den Begriff Kapital jedoch auf den Kapitaleigentümer, und in diesem Sinne wird das Gegensatzpaar heute immer gebraucht, m ergibt sich, daß die Kapitaleigentümer wohl auf die Arbeiter angewiesen sind, die Arbeiter jedoch sehr wohl auf die Kapitaleigentümer verzichten können, die austauschbar sind und durchaus identisch mit den Arbeitnehmern, dem Staat oder anderen gesellschaftlichen Institutionen sein können. Da Arbeit das schöpferische Element ist, durch welches Kapital erst geschaffen wird und wirksam werden kann, da andererseits die Frage des Eigentums an Kapital von untergeordneter Bedeutung erscheint, liegt es nahe, der Arbeit Priorität einzuräumen. Zu demselben Ergebnis kommen wir, wenn wir die verschiedenen Interessen an der Existenz eines Unternehmens gegeneinander abwägen. In der modernen Industriegesellschaft haben wir es vielfach mit Eigentümern zu tun, deren Kapital auf viele Unternehmen verteilt oder deren Haftung von vornherein beschränkt ist, was es mit sich bringt, daß der Untergang eines Unternehmens zwar ärgerlich ist, aber nicht unbedingt zu Einschränkungen in der Lebenshaltung führen muß. Die Interessen des Arbeiters sind jedoch in der Regel weitgehender. In je höherem Maße seine Lebensgrundlage von der Bezahlung der erbrachten Arbeit abhängt, desto mehr muß ihm an der Weiterexistenz des Unternehmens gelegen sein. Auch von den unterschiedlichen Interessenlagen her ist demnach der Arbeit Priorität zuzuerkennen.
Dieses Problem der Priorität berührt im wesentlichen drei Bereiche: die Leitung des Unternehmens, die Verteilung des Ertrages und die Eigentumsverhältnisse am Vermögen des Unternehmens. Die gegenwärtige Situation ist unbefriedigend. Die Leitung der Unternehmen gehl einseitig von der Kapitalseite aus, und zwar bei allen Gesellschaftsformen. Die Tatsache, daß in größeren Unternehmen das Management aufgrund seiner Funktion und seines Sachverstandes Machtbefugnisse gewonnen hat, die in den Regelungen des Gesetzgebers ursprünglich nicht vorgesehen waren, die Tatsache weiterhin, daß in den Eigentümerversammlungen der Kapitalgesellschaften Kräfte Einfluß gewonnen haben, die mit den Kapitaleigentümern nicht identisch sind (Depot-Stimmrecht der Banken!), ändert an dieser grundsätzlichen Tatsache nichts. Es müssen also neue Formen für die Leitung und die Verteilung von Erträgen und Vermögen gefunden werden.12
Ein sich wirtschaftlich in starkem Maße auf sich selbst zurückziehendes Europa kann natürlich nicht in der Welt als isolierte Insel existieren sondern es muß vielfältige politische Beziehungen aufrechterhalten und ausbauen und sich nach Bündnispartnern umsehen.
Im Vordergrund stehen für viele noch die Beziehungen zur Sowjetunion und zu Osteuropa. Es wurde schon angedeutet, daß die Gefahr au dem Osten heute viel übertrieben wird. Zwar ist es eine unbestreitbare Tatsache, daß die Sowjetunion nach wie vor imperialistisch agiert und daß sie selbstverständlich daran interessiert ist, Westeuropa unter ihn Kontrolle zu bekommen. Ein vereintes Europa auf einer neuen geistigen Grundlage wäre jedoch auch in der Lage, diejenigen Mittel zu entwickeln, die abschreckend auf einen etwaigen Angreifer wirken könnten. Dies um so mehr, als man in anderen Teilen der Welt noch Verbündete gewinnen kann. Auf der anderen Seite soll nicht verkannt werden, daß die Sowjetunion und die mit ihr zwangsweise verbündeten Satelliten-Staaten selbst unter erheblichen inneren Schwierigkeiten leiden. Diese Schwierigkeiten zu verstärken, durch subversive Aktionen, durch ein bestimmtes wirtschaftspolitisches Vorgehen und durch die Ausstrahlungskraft einer neuen westeuropäischen Ordnung, muß eines der Hauptanliegen westeuropäischer Politik sein. Vor allem muß den Völkern Osteuropas einschließlich der Sowjetunion immer wieder das Gefühl vermittelt werden, daß sie ein integraler Bestandteil Europas sind und daß sie von der europäischen Entwicklung nicht ausgeschlossen werden.
Viele Menschen, die sich mit der Zukunft Europas beschäftigen, verweisen auf Afrika als den natürlichen Ergänzungsraum dieses Kontinents Sie meinen dabei in erster Linie Schwarz-Afrika. Es ist sicher richtig, daß dieser Teil Afrikas eine wirtschaftliche und geopolitische Ergänzung Europas darstellt. Auf der anderen Seite soll nicht verkannt weiden, daß Schwarz-Afrikaner als Verbündete Europas immer nur von untergeordneter Bedeutung sein können, da sie eine völlig andere Mentalität haben und Fähigkeiten, die den Erfordernissen der von uns entwickelten Kulturzone kaum entsprechen. Dies gilt um so mehr, je mehr wir den Afrikanern Gelegenheit geben, ihre eigenen Vorstellungen vom Zusammenleben zu verwirklichen. In den weltpolitischen Konkurrenzkämpfen, die sicher noch sehr lange Zeit anhalten werden — denn der Übergang zu einer harmonisierten Weltordnung ist nicht sichtbar — wird Afrika immer einen schwachen Weltteil bilden, um dessen Besitz außerafrikanische Mächte kämpfen. Europäischer Einfluß in Afrika kann deshalb nicht in einem Bündnis unter Gleichberechtigten bestehen, sondern in einer — wie auch immer gearteten — Beherrschung Schwarz-Afrikas durch Europa.
Anders sieht es mit Asien aus. Ist schon Schwarz-Afrika in sich homogen, so gilt dies in noch viel stärkerem Maße für Asien. Trotz aller Fremdheit kann man sagen, daß die Asiaten von ihrer Mentalität und ihren Fähigkeiten her den Europäern näherstehen als die Schwarz-Afrikaner. Auch aufgrund ihres kulturellen und zivilisatorischen Niveaus sind sie eher prädestiniert, sich mit Europa, zumindest zeitweilig, zu verbünden. Dauerhafte Feindschaft kann nur dort entstehen, wo diese Länder aufgrund ihres Bevölkerungsdrucks gezwungen sind, Bevölkerungsanteile nach Europa zu exportieren. Dies ist nicht der Fall bei Staaten, die in der Lage sind, ihre Bevölkerungsentwicklung in einem gewissen erträglichen Rahmen zu stabilisieren. Dazu gehören in erster Linie China und Japan.
Immer stärker in den Vordergrund spielen sich die islamischen Länder. Mag auch die Wohlfahrt derjenigen Staaten, die einseitig vom Ölexport abhängig sind, in naher Zukunft wieder nachlassen und mögen einige der berühmten Scheichtümer wieder in einen archaischen Zustand zurückversinken, so werden andere, von der Natur besser ausgerüstete Länder doch in Zukunft aufgrund der Dynamik des wiedererwachten Islams eine große Rolle spielen. Durch vielfältige kulturelle, zum Teil auch biologische Beziehungen sind wir mit diesen Ländern verbunden. Da sie — weit mehr als zum Beispiel Schwarz-Afrika — mit uns auch geographisch korrespondieren, eignen sie sich in ganz besonderem Maße als Bündnispartner. Dies gilt zumal, weil die Opposition sowohl gegen den US-amerikanischen als auch gegen den sowjetischen Imperialismus dort am ausgeprägtesten ist. Diese Gebiete sollten auch außerhalb Europas bei Investitionen und bei der Hilfe zu einer eigenständigen Existenz bevorzugt werden.
Bei der Frage nach etwaigen Bündnispartnern werden leider diejenigen Länder meist völlig außer acht gelassen, die von Europäern besiedelt sind, jedoch außerhalb des europäischen Raumes Hegen. Es sind dies die amerikanischen Staaten, Australien und Neuseeland, sowie Süd-Afrika. Bündnisse mit diesen Ländern setzen allerdings voraus, daß sie sich nicht nur vom sowjetischen, sondern auch vom US-amerikanischen Imperialismus abwenden. Dies gilt nicht zuletzt auch für die Bevölkerung der USA selber. Wenn man die Auffassung teilt, daß die Umwelt auf das seelische und geistige Leben eines Menschen einen ungleich geringeren Einfluß ausübt als die Vererbung, muß man notgedrungen auch anerkennen, daß die historisch gesehen kurze Herrschaft des American Way of Life bei diesen Bevölkerungen, eine intensive Umerziehung vorausgesetzt, nur geringe Spuren hinterlassen wird. Während aber zum Beispiel in den islamischen Ländern der natürliche Widerstand gegen die Bedrohungen von außen im Wachsen begriffen ist und bereits breite Bevölkerungsschichten erfaßt hat, sind es in den amerikanischen und den anderen von uns genannten Ländern nur kleinste Gruppen, die sich augenblicklich zum Widerstand aufraffen Es wäre Aufgabe Europas, diese Gruppen in ihrem Kampf gegen du Herrschaft der liberalistischen Mächte im eigenen Lande zu stärken.
Es mag also deutlich werden, daß Europa keinesfalls ein Land werden darf, das sich einem friedlichen Dahinvegetieren verschrieben hat. Vielmehr muß, bei allem Bestreben zur Verhinderung eines Kriege, Wehrhaftigkeit und gute Bewaffnung, vor allem aber die geistige Aufrüstung — wichtiger sein als ein Leben in wirtschaftlichem Luxus. Dies in erster Linie ist der Sinn unserer Forderung nach dem Primat der Politik über die Wirtschaft.
Anmerkungen