Heinz Guderian
Anm. der VS-Redaktion: Die Schreibweise folgt dem Original!
Vorgeschichte
Molotow war am 3. Mai 1939 als Nachfolger Litwinows sowjetischer Außenkommissar geworden. Er hatte lebhaften Anteil am Abschluß des Nichtangriffsabkommens mit Deutschland vom 23. August 1939, das Hitler den Angriff auf Polen ermöglichte. Die Russen beteiligten sich an der Niederwerfung Polens, indem sie am 18. September 1939 in Ostpolen einmarschierten. Sie schlössen am 29. September 1939 einen Freundschaftsvertrag und ein Wirtschaftsabkommen mit Deutschland, das die deutsche wirtschaftliche Kriegführung wesentlich zu erleichtern bestimmt war. Sie benutzten aber auch diese Gelegenheit, um sich in den Besitz der baltischen Randstaaten zu setzen und am 30. November 1939 Finnland anzugreifen. Während die deutschen Kräfte im Westen gebunden waren, zwangen die Russen Rumänien zur Abtretung Bessarabiens, was wiederum Hitler veranlaßte, am 30. August 1940 die Unabhängigkeit Rumäniens zu garantieren.
Im Oktober 1940 war Hitler durch Verhandlungen mit den Franzosen und mit Franco über die Fortsetzung des Krieges in Anspruch genommen. Anschließend an diese Besprechungen traf er sich mit seinem Freunde Mussolini in Florenz. Auf der Fahrt dorthin wurde er auf dem Bahnhof von Bologna durch die Meldung überrascht, daß sein Bundesgenosse ohne sein Wissen und erst recht ohne seine Zustimmung einen Privatkrieg gegen Griechenland unternommen hatte. Damit wurde das Balkanproblem angeschnitten und der Krieg in einer für Deutschland höchst unerwünschten Richtung ausgeweitet.
Die erste Auswirkung des eigenmächtigen Schrittes Mussolinis war – nach Hitlers Angaben mir gegenüber – das Abspringen Francos von jeder Art von Zusammengehen mit der Achse. Er wollte offenbar mit so unberechenbaren Partnern sich nicht auf eine gemeinsame Politik einlassen.
Die zweite Folge war die zunehmende Spannung zwischen Deutschland und der Sowjetunion. Diese war durch eine Reihe von Vorfällen der letzten Monate, besonders durch die deutsche Rumänien- und Donau-Politik gesteigert worden. Zur Beseitigung eben dieser Spannung erfolgte die Einladung Molotows nach Berlin.
1. Finnland fällt in die Interessensphäre der Sowjetunion.
2. Verständigung über die zukünftige Gestaltung Polens.
3. Anerkennung der sowjetischen Interessen in Rumänien und Bulgarien.
4. Anerkennung der sowjetischen Interessen an den Dardanellen.
Diese Forderungen wurden nach der Rückkehr Molotows nach Moskau von den Russen schriftlich präzisiert.
Hitler war über die sowjetischen Ansprüche sehr entrüstet und hat in der mündlichen Erörterung in Berlin ausweichend geantwortet, auf die schriftlichen Darlegungen Molotows überhaupt nicht. Die Folgerung, die er aus dem Besuch Molotows und seinem Verlauf zog, war die Überzeugung, daß der Krieg mit der Sowjetunion eines Tages unvermeidlich sein würde. Er hat mir wiederholt den Verlauf der Berliner Besprechungen so geschildert, wie ich sie oben wiedergegeben habe. Er hat mit mir allerdings erst 1943 über diese Frage gesprochen, dann aber mehrmals und stets in der gleichen Weise. Ich zweifle nicht, daß er seine damaligen Ansichten zutreffend wiedergab.
Weit entrüsteter als über die russischen Ansprüche äußerte sich Hitler aber über die italienische Politik des Oktobers 1940, und ich glaube, von seinem Standpunkt aus mit vollem Recht. Der italienische Angriff auf Griechenland war ebenso leichtfertig wie überflüssig. Schon am 30. Oktober kam der Angriff ins Stocken. Am 6. November bereits ging die Initiative auf die Griechen über. Wie gewöhnlich, wenn eine schlechte Politik zu militärischen Katastrophen führt, richtete sich auch bei den Italienern der Zorn Mussolinis gegen die Generale, vor allem gegen Badoglio, der vor kriegerischen Abenteuern gewarnt hatte, leider vergeblich. Mitte November wurden die Italiener empfindlich geschlagen. Nun war Badoglio ein Feind des Regimes und ein Verräter. Am 26. November reichte er seinen Abschied ein. Am 6. Dezember wurde Cavallero sein Nachfolger.
Am 10. Dezember erlitten die Italiener eine schwere Niederlage in Afrika, bei Sidi Barani. Es hätte den gemeinsamen Interessen Deutschlands und Italiens mehr entsprochen, auf das griechische Abenteuer zu verzichten und statt dessen die Lage in Afrika zu festigen. Nun bat Marschall Graziani von dort um deutsche Flugzeuge; Mussolini erwog, die Entsendung zweier deutscher Panzer-Divisionen nach Lybien zu erbitten. Im Laufe des Winters gingen Bardia, Derna und Tobruk verloren. Deutsche Truppen unter Rommel stellten die Lage wieder her.
Das Ergebnis der italienischen Eigenmächtigkeiten und Fehler auf dem Balkan war die starke Bindung deutscher Kräfte in Afrika und sodann in Bulgarien, dann in Griechenland und Serbien. Dieser Umstand benachteiligte unsere Stärke auf dem entscheidenden Kriegsschauplatz.
Es hatte sich gezeigt, daß die großzügige Festsetzung des Alpenkammes als Interessengrenze zwischen den Achsenmächten für die Kriegführung unzulänglich war. Die Zusammenarbeit zwischen den Bundesgenossen war so mangelhaft, wie sie nicht sein soll.
Kurz nach dem Besuch Molotows wurden mein nunmehriger Chef des Stabes, Oberstleutnant Freiherr von Liebenstein, und der erste Generalstabsoffizier, Major Bayerlein, zu einer Besprechung zum Chef des Generalstabes des Heeres gerufen, bei der sie die ersten Weisungen über den „Fall Barbarossa“, den Kriegsfall gegen Rußland erhielten. Als sie nach dieser Besprechung zum Vortrag zu mir kamen und die Karte von Rußland vor mir ausbreiteten, traute ich meinen Augen nicht. Was ich nicht für möglich gehalten hätte, sollte Tatsache werden? Hitler, der mit so scharfen Worten die deutsche politische Leitung von 1914 kritisiert hatte, weil sie nicht verstanden habe, uns den Zweifrontenkrieg zu ersparen, wollte nun vor der Beendigung des Krieges gegen England aus eigenem Entschluß gegen Rußland zu Felde ziehen und damit den Zweifrontenkrieg selbst herbeiführen, vor dem ihn alle Soldaten so eindringlich gewarnt hatten, und den er selbst so oft als fehlerhaft bezeichnet hatte?
Ich gab meiner Enttäuschung und Entrüstung sehr deutlichen Ausdruck und überraschte hierdurch wiederum meine beiden Mitarbeiter, die vollkommen in den Gedankengängen des OKH befangen waren und mir zunächst antworteten, daß nach einer Äußerung des Chefs des Generalstabes des Heeres, Halder, damit zu rechnen sei, daß Rußland in einem Feldzug von 8—10 Wochen niedergeworfen würde. Der Kräfteeinsatz in drei nahezu gleichstarken Heeresgruppen, die mit divergierenden Zielen in die Weite des russischen Raumes vorgehen sollten, ohne daß ein klares Operationsziel gesteckt war, konnte vom fachmännischen Standpunkt gleichfalls nicht überzeugen.. Ich ließ meine Bedenken durch meinen Chef des Stabes beim OKH zur Sprache bringen, ohne jedoch das mindeste zu erreichen.
Noch konnte man als Uneingeweihter hoffen, daß Hitler noch nicht endgültig zum Kriege gegen die Sowjetunion entschlossen sei und nur bluffen wolle. Dennoch verging der Winter und das Frühjahr 1941 unter einem entsetzlichen Alpdruck. Das erneute Studium der Feldzüge Karls des Zwölften von Schweden und Napoleons des Ersten brachte alle Schwierigkeiten des Kriegsschauplatzes, der unserer harrte, klar vor das geistige Auge und zeigte auch die Mängel unserer Vorbereitungen für das gewaltige Unternehmen. Die bisherigen Erfolge, besonders der in überraschend kurzer Zeit errungene Sieg im Westen, hatten aber die Geister unserer Obersten Führung so benebelt, daß sie das Wort „unmöglich“ aus ihrem Sprachschatze gestrichen hatten. Alle Männer des OKW und des OKH, die man sprach, zeigten einen unerschütterlichen Optimismus und reagierten auf keine Einwände.
Angesichts der bevorstehenden, schweren Aufgabe widmete ich mich mit besonderem Eifer der Ausbildung und Ausrüstung der meiner Aufsicht unterstellten Divisionen. Ich wies die Truppe nachdrücklich darauf hin, daß der bevorstehende Feldzug wesentlich schwerer werden würde, als der Polen- und der Westfeldzug. Mehr zu sagen war mir aus Geheimhaltungsgründen verwehrt. Ich wollte aber doch verhüten, daß meine Soldaten leichtfertig an die neue, so unendlich schwere Aufgabe herangingen.
Leider bestand, wie bereits angedeutet, das Kraftfahrgerät, der auf Hitlers Befehl neu aufgestellten Divisionen großenteils aus französischen Wagen. Dieses Material war den Anforderungen eines Krieges in Osteuropa in keiner Weise gewachsen. Die unzulängliche Produktion an deutschen Kraftfahrzeugen für den gewaltig gestiegenen Bedarf gestattete uns leider nicht, diesen erkannten Mangel abzustellen.
Über die Herabsetzung der Zahl der Panzereinheiten in der Panzer-Division wurde schon gesprochen. Einen begrenzten Ausgleich für die Herabsetzung der Panzerzahlen gab die vermehrte Einstellung von Panzern III und IV, welche die alten Panzer I und II fast ganz verdrängten. Für den Beginn des Krieges gegen Rußland glaubten wir mit einer technischen Überlegenheit unserer Panzer über die bis dahin bekannten russischen Typen rechnen zu können, welche die uns bekannte gewaltige Überlegenheit der Russen an Zahl – wir gingen mit etwa 3200 Panzern in den Rußlandfeldzug – einigermaßen auszugleichen vermocht hätte. Ein eigenartiger Umstand machte mich allerdings in Bezug auf das Panzergerät stutzig: Noch im Frühjahr 1941 hatte Hitler einer russischen Offizierskommission ausdrücklich gestattet, unsere Panzerschulen und Panzerfabriken zu besichtigen, und hatte befohlen, den Russen alles zu zeigen. Hierbei wollten die Russen beim Betrachten unseres Panzers IV nicht glauben, daß dieser unseren schwersten Typ darstellte. Sie erklärten immer wieder, wir verheimlichten ihnen unsere neuesten Konstruktionen, deren Vorführung ihnen Hitler zugesagt habe. Die Zudringlichkeit der Kommission war so groß, daß unsere Fabrikanten und Waffenamtsoffiziere schließlich sagten: „Die Russen scheinen selbst bereits schwerere und bessere Typen zu besitzen als wir.“ Der Ende Juli 1941 vor unserer Front auftretende Panzer T 34 offenbarte uns die russische Neukonstruktion.
Am 18. April bemerkte Hitler bei einer Vorführung von Panzergerät, an der ich nicht teilnahm, daß das Heereswaffenamt statt der von ihm befohlenen 5-cm-Kanone L 60 eine 5-cm-Kanone L 42 in die Panzer III eingebaut hatte. Er nahm diese Eigenmächtigkeit um so mehr übel, als sie eine Abschwächung seiner Forderung darstellte. Die Firma Alkett in Spandau erfüllte seinen Wunsch bis zum Ende April und nun hatte das Waffenamt erst recht einen schweren Stand. Er hat noch nach Jahren auf diesen Fehlentscheid hingewiesen, wenn man ihm gegenüber das Waffenamt verteidigte.
Unsere Jahreserzeugung an Panzern belief sich übrigens in dieser Zeit auf wenig mehr als 1000 Stück aller Typen. Das war – gemessen an den Produktionsziffern unserer Gegner – sehr wenig. Bereits im Jahre 1933 hatte ich in einem einzigen russischen Panzerwerk eine Tagesproduktion von 22 Panzern des Typs Christie Rußkij festgestellt.
Am 1. März trat Bulgarien dem Dreierpakt bei, am 25. März folgte Jugoslavien. Jedoch bereits am 27. März warf ein Staatsstreich in Belgrad den Plan des Dreierpaktes über den Haufen. Am 5. April schlössen Rußland und Jugoslavien einen Freundschaftspakt j am 6. April begann der Balkan-Feldzug. Ich hatte an diesem Akt des Krieges keinen Anteil. Die dazu kommandierten Panzertruppen bewährten sich erneut und trugen zu seinem schnellen Abschluß bei.
Nur einer freute sich über diese neuerliche Ausweitung des Krieges: Mussolini! Es war sein Krieg, den er sich gegen Hitlers Willen ertrotzt hatte. Für uns ließ aber der Freundschaftspakt zwischen Rußland und Jugoslavien klar erkennen, daß der Bruch mit dem großen Nachbarn im Osten unmittelbar bevorstand.
Am 13. April fiel Belgrad. Am 17. April kapitulierte die jugoslavische Armee, und am 23. April folgte die griechische Armee trotz britischer Hilfe. Ende Mai wurde Kreta mit Hilfe von Luftlandetruppen genommen, leider nicht Malta! Deutschland, Italien, Ungarn, Bulgarien und Albanien erhielten Teile jugoslavischen Gebietes. Ein selbständiger kroatischer Staat wurde neu errichtet; an seine Spitze sollte der Herzog von Spoleto, ein italienischer Prinz, treten; er hat jedoch seinen etwas wackeligen Thron nie bestiegen. Auf Wunsch des Königs von Italien wurde außerdem Montenegro wieder selbständig gemacht.
Da die Abgrenzung des neuen Kroatiens den Volkstumsgrenzen nicht entsprach, entstanden von Anbeginn Reibungen mit Italien. Unerfreuliche Streitereien vergifteten die Atmosphäre in diesem Wetterwinkel Europas immer wieder.
Im Mai und Juni 1941 gelang den Briten die Besetzung Syriens und Abessiniens. Ein deutscher Versuch, im Irak Fuß zu fassen, wurde mit unzulänglichen Mitteln unternommen und scheiterte. Er hätte nur bei folgerichtiger Mittelmeerpolitik Aussicht auf Erfolg gehabt, wie sie sich uns im Sommer 1940 unmittelbar nach dem Westfeldzug darbot. Jetzt war es für diese isolierte Aktion zu spät.
Vorbreitungen
Wenn sich der Balkanfeldzug auch noch so schnell entwickelt hatte, wenn auch die Rücktransporte der beteiligten Truppen, soweit sie für den Rußlandfeldzug bestimmt waren, noch so schnell durchgeführt wurden: eine gewisse Verzögerung des Beginnes unserer Bewegungen in Rußland ist doch wohl eingetreten. Abgesehen davon hatten wir im Jahre 1941 ein ungewöhnlich nasses Frühjahr; der Bug und seine Nebenflüsse wiesen bis in den Mai hinein Hochwasser auf und die sie begleitenden Wiesen waren sumpfig und kaum beschreibbar. Von diesem Umstande konnte ich mich bei meinen Truppenbesichtigungen im polnischen Raume persönlich überzeugen.
Für den Angriff auf die Sowjetunion wurden drei Heeresgruppen gebildet: Die Heeresgruppe „Süd“ unter Feldmarschall von Rundstedt südlich der Pripetsümpfe, die Heeresgruppe „Mitte“ unter Feldmarschall von Bock zwischen den Pripetsümpfen und dem Zipfel von Suwalki, und die Heeresgruppe „Nord“ unter Feldmarschall Ritter von Leeb in Ostpreußen.
Diese drei Heeresgruppen sollten in das russische Gebiet vorgehen mit dem Ziel, die in Grenznähe befindlichen russischen Truppen zu durchstoßen und durch Umfassungen zu vernichten. Die Panzergruppen sollten in die Tiefe des russischen Raumes vordringen, um das Entstehen neuer Fronten zu verhindern. Ein Schwergewicht der Operationen war nicht festgesetzt. Die drei Heeresgruppen wiesen annähernd gleiche Stärken auf, dabei verfügte allerdings die Heeresgruppe „Mitte“ über zwei Panzergruppen, die Heeresgruppen „Süd“ und „Nord“ hingegen nur über je eine.
Die mir unterstellte Panzergruppe 2 trat, ebenso wie die weiter nördlich gebildete Panzergruppe 3 des Generaloberst Hoth, unter den Befehl der Heeresgruppe „Mitte“.
Die Panzergruppe 2 war wie folgt zusammengesetzt:
Befehlshaber: Generaloberst Guderian.
Chef des Stabes: Oberstleutnant Freiherr von Liebenstein.
XXIV. Panzer-Korps (Pz.K.): General d. Pz.Tr. Freiherr Geyr von Schweppenburg.
3. Panzer-Division (Pz.D.): Generalleutnant Model.
4. Panzer-Division: Generalmajor Freiherr von Langermann und Erlencamp. 10. (motorisierte) Infanterie-Division (mot.) I.D.: Generalmajor von Loeper. 1. Kavallerie-Division (K.D.): Generalleutnant Feldt.
XXXXVI. Panzer-Korps: General d. Pz.Tr. Freiherr von Vietinghoff gen. Scheel. 10. Panzer-Division: Generalleutnant Schaal.
SS-Infanterie-Division (mot.) „Das Reich“: Generalleutnant Haußer.
Infanterie-Regiment „Großdeutschland“ (I.R. „G.D.“): Generalmajor von Stockhausen.
XXXXVII. Panzer-Korps: General d. Pz.Tr. Lemelsen.
17. Panzer-Division: Generalmajor von Arnim.
18. Panzer-Division: Generalmajor Nehring.
29. Infanterie-Division (mot.): Generalmajor von Boltenstern.
Der Panzergruppe unterstanden ferner eine Reihe von Armeetruppen, eine Gruppe Nahkampfflieger unter General Viebig, das Flak-Regiment „Hermann Göring“ unter General von Axthelm.
Die Artillerie betreute General Heinemann, die Pioniere General Bacher, die Nachrichtentruppe Oberst Praun, die Aufklärungsflieger Oberstleutnant von Barsewisch (anfänglich Oberst von Gerlach; dieser tapfere Offizier wurde am dritten Angriffstage abgeschossen). Den Jagdschutz über dem Angriffsraum der Panzergruppe übte in den ersten Wochen Oberst Mölders aus.
Meine Panzergruppe erhielt den Auftrag, am Angriffstage beiderseits der Festung Brest-Litowsk den Bug zu überschreiten, die russische Front aufzureißen und in rascher Ausnutzung des Anfangserfolges den Raum Roslawl—Jelnja—Smolensk zu erreichen. Hierbei kam es darauf an, den Gegner am erneuten Festsetzen und Bilden einer Front zu verhindern und so die Voraussetzung für einen entscheidenden Erfolg des Feldzuges noch im Jahre 1941 zu schaffen. Nach dem Erreichen ihres ersten Zieles sollte die Panzergruppe neue Weisungen erhalten. Die Aufmarschanweisung des OKH deutete an, daß dann ein Abdrehen der Panzergruppen 3 (Hoth) und 2 in nördlicher Richtung zur Wegnahme Leningrads in Frage käme.
Die Grenze zwischen dem deutscher Verwaltung unterstehenden Generalgouvernement Polen und dem sowjet-russischen Gebiet wurde durch den Bug gebildet; hierdurch wurde die Festung Brest-Litowsk geteilt, und zwar dergestalt, daß die Zitadelle zu Rußland gehörte. Nur die westlich des Bug gelegenen alten Forts waren in deutscher Hand. Ich hatte die Festung im Polenfeldzug bereits einmal erobert; nun stand ich zum zweitenmal vor der gleichen Aufgabe, allerdings unter schwereren Umständen.
Die Ansichten der obersten deutschen Führung über die Verwendung der Panzerverbände waren trotz der eindeutigen Lehren des Westfeldzuges nicht einheitlich. Dies trat bei verschiedenen Kriegsspielen in Erscheinung, die zur Klärung der Auffassungen und zur Ausbildung der Führer für ihre bevorstehende Aufgabe veranstaltet wurden. Die nicht aus der Panzertruppe stammenden Generale neigten zu der Ansicht, den ersten Einbruch mit Infanterie-Divisionen unter starker Artillerievorbereitung vorzunehmen und die Panzer erst einzusetzen, wenn der Einbruch eine gewisse Tiefe erreicht hatte und sich zum Durchbruch ausgestaltete. Die Panzergenerale hingegen legten Wert darauf, von Anbeginn die Panzer in vorderer Linie zu haben, weil sie gerade in dieser Waffe die Stoßkraft des Angriffs erblickten, von ihrem Einsatz einen schnellen und tiefen Einbruch erwarteten und diesen Anfangserfolg unverzüglich durch die Schnelligkeit der Motoren auszunutzen strebten. Sie hatten in Frankreich erlebt, daß das umgekehrte Verfahren dazu führte, daß im Augenblick des Erfolges die Straßen durch die unendlichen, langsamen, pferdebespannten Kolonnen der Infanterie-Divisionen bedeckt waren, die die Bewegungen der Panzer hemmten. Für sie kam es also darauf an, in den Abschnitten, in denen der Durchbruch erstrebt wurde, die Panzer-Divisionen in die vordere Linie zu nehmen, und dort, wo andere Aufgaben zu lösen waren, z. B. die Eroberung einer Festung, Infanterie-Divisionen einzusetzen.
Dieser Fall war im Angriffsraum der Panzergruppe 2 gegeben. Die Festung Brest-Litowsk, deren Werke zwar veraltet, aber durch den Bug, den Muchawiec und nasse Gräben panzersicher waren, konnte nur durch Infanterie angegriffen werden. Mit Panzern hätte sie nur durch Handstreich genommen werden können, wie es im Jahre 1939 versucht worden war. Hierfür waren aber 1941 die Voraussetzungen nicht mehr gegeben.
Ich entschloß mich daher, beiderseits Brest-Litowsk mit Panzer-Divisionen über den Bug hinweg anzugreifen, für den Angriff auf die Festung selbst aber um Unterstellung eines Infanteriekorps zu bitten. Dieses Korps mußte der 4. Armee entnommen werden, die hinter der Panzergruppe folgen sollte. Die 4. Armee mußte auch für den Flußübergang weitere Kräfte an Infanterie und vor allem an Artillerie vorübergehend zur Verfügung stellen. Um einheitliche Befehlsführung herbeizuführen, bat ich, mir diese Truppen vorübergehend zu unterstellen und erklärte mich bereit, für die gleiche Zeit meinerseits unter den Befehl des Oberbefehlshabers der 4. Armee, des Feldmarschalls von Kluge, zu treten. Diese Regelung der Befehlsverhältnisse wurde von der Heeresgruppe angenommen. Sie bedeutete für mich ein Opfer, denn Feldmarschall von Kluge war ein schwieriger Vorgesetzter. Ich hielt sie aber im Interesse der Sache für notwendig.
Das Angriffsgelände war durch den Bug frontal abgegrenzt. Der Flußübergang angesichts des Feindes war unsere erste Aufgabe. Sein Gelingen konnte durch Überraschung wesentlich erleichtert werden. Da ich nicht mit dem sofortigen Fall der Festung Brest-Litowsk rechnete, mußte ich dafür sorgen, daß der Angriff der beiderseits der Festung vorgehenden Panzerkorps durch diese anfängliche Trennung nicht litt und daß die beiderseits offenen Flanken der Panzergruppe gesichert wurden. Rechts der Panzergruppe lagen nach Überschreitung des Bug die unwegsamen und schwer gangbaren Pripet-Sümpfe, durch welche schwache infanteristische Kräfte der 4. Armee vorgehen sollten. Links der Panzergruppe griffen Teile der 4. Armee, sodann die 9. Armee mit Infanterie an. Diese linke Flanke war hauptsächlich bedroht, weil im Raume von Bialystok eine starke russische Massierung erkannt war, von der man annehmen mußte, daß sie sich nach Erkennen der durch die Panzer in ihrem Rücken entstehenden Gefahr, der Hauptstraße folgend, über Wolkowysk—Slonim der drohenden Einschließung zu entziehen versuchen würden.
Dieser doppelten Flankenbedrohung wollte ich durch zwei Maßnahmen entgegenwirken:
a) durch Tiefengliederung, besonders auf dem am stärksten bedrohten linken Flügel, und
b) durch Verwendung der zur Panzergruppe gehörenden 1. Kavallerie-Division in dem für motorisierte Verbände schwer fahrbaren Sumpfgebiet auf dem rechten Flügel.
Eine weitere Sicherung boten die den Panzer-Divisionen folgenden Infanterie-Divisionen der 4. Armee und weitreichende Luftaufklärung.
Die Panzergruppe erhielt demgemäß folgende
Angriffsgliederung:
Rechter Flügel:
XXIV. Panzer-Korps (Gen. d. Pz.Tr. Frhr. von Geyr.):
255. I.D. (nur für den Bug-Übergang unterstellt) von Wlodawa auf Maloryta,
1. Kavallerie-Division von Slawatycze über Maloryta auf Pinsk,
4. Panzer-Division von Koden gegen die Straße Brest—Kobryn,
3. Panzer-Division von nördlich Koden gegen die Straße Brest—Kobryn,
10. (mot.) I.D. dahinter als zweites Treffen.
Mitte:
XII. A.K. (Gen. d. Inf. Schroth) für die ersten Angriffstage unterstellt, mit 45. I.D. und
31. I.D. aus der Linie nördlich Koden—Neple zur Einschließung von Brest-Litowsk und mit den hierzu nicht benötigten Kräften zum Vorgehen zwischen den Straßen Brest-Litowsk—Kobryn—Beresa Kartuska und Motykaly – Piliszcze—Pruzana— Slonim, um das Gelände zwischen dem XXIV. Panzer-Korps und dem links anschließenden XXXXVII. Panzer-Korps zu säubern und die inneren Flanken beider Panzerkorps zu sichern.
Linker Flügel:
XXXXVII. Panzer-Korps (Gen. d. Pz.Tr. Lemelsen):
18. Panzer-Division und
17. Panzer-Division zwischen Legi und Pratulin zum Vorgehen über Bug und
Lesna auf Widomla—Pruzana—Slonim,
29. (mot.) I.D. dahinter als zweites Treffen,
167. I.D. (nur für den Bug-Übergang unterstellt) westlich Pratulin.
Reserve der Panzergruppe:
XXXXVI Panzer-Korps (Gen. d. Pz.Tr. Frhr. von Vietinghoff) mit
10. Panzer-Division, SS-Division „Das Reich“ und
I.R. „G.D.“ im Räume Radzyn—Lukow—Deblin zurückgehalten, um nach Freiwerden der Bug-Brücken dem XXXXVII. Panzer-Korps hinter dem linken Flügel der Panzergruppe nachgeführt zu werden.
Am 6. Juni besuchte der Chef des Generalstabes des Heeres den Stab der Panzergruppe. Er äußerte hierbei die Ansicht, daß die Aufgabe der Panzer im Stoße in die Tiefe der feindlichen Stellungen bestünde und daß die Panzer-Divisionen für diese Aufgabe intakt erhalten werden sollten, während für den Absprung Infanterie-Divisionen benutzt werden sollten. Aus den bereits erwähnten Gründen sah ich von einer Änderung meiner Anordnungen ab.
über die operativen Absichten der Obersten Führung für die Fortsetzung des Kampfes nach Erreichen der ersten Ziele (für die Panzergruppe 2 des Raumes Roslawl—Jelnja—Smolensk) drangen nur Andeutungen bis zu meinem Stabe. Sie besagten, daß zunächst Leningrad und die Ostseeküste in Besitz genommen werden sollten, um die Verbindung mit den Finnen herzustellen und die Versorgung der Heeresgruppe „Nord“ auf dem Seewege sicherzustellen. Daß derartige Gedankengänge tatsächlich bestanden, wurde durch die Aufmarschanweisung bestätigt, daß die Panzergruppe 3 unter Generaloberst Hoth und unter Umständen auch meine eigene Panzergruppe sich nach Erreichen des Raumes um Smolensk bereitzuhalten hätten, nach Norden abzuschwenken, um die Operationen der Heeresgruppe „Nord“ zu unterstützen. Diese Operation hätte den großen Vorteil gebracht, die linke Flanke der gesamten deutschen Streitkräfte in Rußland ein für allemal zu sichern. Ich glaube, daß dies der beste Plan gewesen wäre, den man hätte anwenden können, aber ich habe leider nie wieder etwas über ihn gehört.
Am 14. Juni versammelte Hitler die Führer der Heeresgruppen, Armeen und Panzergruppen in Berlin, um seinen Entschluß zum Angriff auf Rußland zu begründen und die abschließenden Berichte über die Vorbereitungen entgegenzunehmen, Er führte etwa aus: Er könne England nicht schlagen. Daher müsse er, um zum Frieden zu kommen, auf dem Festland einen siegreichen Abschluß des Krieges erzwingen. Um eine unangreifbare Position auf dem europäischen Festlande zu erringen, müsse Rußland geschlagen werden. – Seine eingehenden Darlegungen über die Gründe, die ihn zum Präventivkrieg gegen Rußland geführt hatten, waren nicht überzeugend. Die Spannungen infolge der Eroberung des Balkans durch die Deutschen, die Einmischung der Russen in Finnland, die Besetzung der baltischen Randstaaten vermochten ebensowenig einen so schwerwiegenden Entschluß zu rechtfertigen, wie die ideologischen Gründe der nationalsozialistischen Parteilehre und gewisse militärische Nachrichten über Angriffsvorbereitungen russischerseits. Solange der Krieg im Westen nicht zum Abschluß gebracht war, mußte jede neuerliche kriegerische Unternehmung zum Zweifrontenkrieg führen, und dem war das Deutschland Adolf Hitlers noch weniger gewachsen, als das von 1914. Die Versammlung nahm denn auch Hitlers Rede schweigend entgegen und ging, da eine Aussprache nicht stattfand, schweigend und in ernster Stimmung auseinander.
Bei der am Nachmittage stattfindenden militärischen Berichterstattung über die Angriffsvorbereitungen wurde ich lediglich gefragt, wieviel Tage ich brauchen würde, um Minsk zu erreichen. Meine Antwort lautete: „Fünf bis sechs Tage.“ Der Angriff begann am 22. Juni und am 27. erreichte ich Minsk, während Hoth, von Suwalki vorgehend, die Stadt bereits am 26. von Norden her besetzte.
Bevor ich mich der Schilderung der Ereignisse bei meiner Panzergruppe zuwende, sei ein kurzer Blick auf die Gesamtlage des deutschen Heeres bei Beginn des entscheidenden Rußlandfeldzuges gerichtet.
Nach den mir zugänglichen Unterlagen verteilten sich die 205 deutschen Divisionen am 22. Juni 1941 folgendermaßen:
38 deutsche Divisionen blieben im Westen,
12 deutsche Divisionen blieben in Norwegen,
1 deutsche Division blieb in Dänemark,
7 deutsche Divisionen blieben auf dem Balkan,
2 deutsche Divisionen waren in Lybien,
145 standen also für den Ostfeldzug zur Verfügung.
Diese Kräfteverteilung bedeutete eine unangenehme Zersplitterung. Besonders der Anteil des Westens mit 38 Divisionen erscheint sehr hoch. Auch Norwegen war mit 12 Divisionen stark ausgestattet.
Der Balkanfeldzug hatte zur Folge, daß die Bewegungen in Rußland erst spät im Jahre beginnen konnten.
Weit verhängnisvoller als diese beiden Umstände wirkte sich aber die Unterschätzung des russischen Gegners aus. Hitler hatte den ihm von militärischer Seite erstatteten Berichten über die militärische Kraft des Riesenreiches, besonders denen unseres vortrefflichen Militärattaches in Moskau, des Generals Köstring, ebensowenig Glauben geschenkt, wie den Meldungen über die industrielle Leistungsfähigkeit und die Festigkeit des staatlichen Zusammenhalts des Systems. Er hatte es hingegen verstanden, seinen unbegründeten Optimismus auf seine unmittelbare militärische Umgebung zu übertragen. Man rechnete im OKW und im OKH so sicher mit dem Abschluß des Feldzuges bis zum Beginn des Winters, daß im Heere nur für jeden fünften Mann Winterbekleidung vorgesehen wurde.
Erst am 30. August 1941 beschäftigte sich das OKH mit der Frage der Winterausrüstung für größere Heeresteile ernstlich. An diesem Tage verzeichnet ein Tagebuch: „Auf Grund der Entwicklung der Lage, die die Durchführung örtlicher Operationen mit begrenzten Zielen auch noch im Winter notwendig machen wird, wird bei der Operationsabteilung eine Vortragsnotiz über die hierfür erforderliche Winterausrüstung ausgearbeitet und nach Vorlage bei Chef Gen.St.d.H. die Organisationsabteilung mit der Durchführung der erforderlichen Maßnahmen beauftragt.“
Die jetzt gelegentlich auftauchende Behauptung, nur Hitler sei an dem Fehlen der Winterbekleidung im Heere 1941 Schuld, kann ich nicht gelten lassen, denn die Luftwaffe und die Waffen-SS waren gut und reichlich damit ausgestattet und hatten sie auch rechtzeitig vorgeführt erhalten. Aber man träumte bei der Obersten Führung davon, Rußland in 8 bis 10 Wochen militärisch niederwerfen zu können und anschließend politisch zum Zusammenbruch zu bringen, und man fühlte sich in diesem Wahn so sicher, daß die Kriegsindustrie des Heeres 1941 bereits mit wesentlichen Teilen auf andere Produktionsgebiete umgestellt wurde.
Man erwog sogar, mit Winterbeginn 60 bis 80 Divisionen des Ostheeres nach Deutschland zu verlegen, weil man mit dem Rest zum Niederhalten Rußlands während des Winters auszukommen glaubte. Diesen Rest wollte man nach Abschluß der Operationen im Herbst in guten Unterkünften in einer Stützpunktlinie überwintern lassen. Alles schien bestens geregelt und sehr einfach. Bedenken wurden optimistisch zurückgewiesen. Die Schilderung der Ereignisse wird zeigen, wie weit man sich mit diesen Gedanken von der harten Wirklichkeit entfernt hatte.
Schließlich muß noch einer Angelegenheit Erwähnung getan werden, die in der Folge dem deutschen Ansehen höchst abträglich wurde.
Kurz vor Beginn der Feindseligkeiten erging ein Befehl des OKW über die Behandlung der Zivilbevölkerung und der Kriegsgefangenen in Rußland unmittelbar an die Korps und Divisionen. Er enthielt Bestimmungen, die die Anwendung des Militär-Strafgesetzes in Fällen von Ausschreitungen gegen die Zivilbevölkerung und gegen Kriegsgefangene nicht mehr unter allen Umständen erforderlich machten, sondern in das Belieben der direkten Disziplinarvorgesetzten stellten. Der Befehl war im höchsten Maße geeignet, die Manneszucht zu schädigen. Offenbar hatte der Oberbefehlshaber des Heeres die gleiche Empfindung gehabt, denn dem Befehl war ein Zusatz des Feldmarschalls von Brauchitsch beigefügt, der besagte, daß der Befehl dann nicht anzuwenden sei, wenn die Gefahr einer Schädigung der Manneszucht bestünde. Da diese Gefahr nach meiner und meiner Kommandierenden Generale übereinstimmenden Auffassung von vornherein gegeben war, habe ich die Ausgabe des Befehls an die Divisionen verboten und seine Rücksendung nach Berlin angeordnet. Der Befehl, der nach dem Kriege eine erhebliche Rolle in den gegen Generale geführten Prozessen unserer ehemaligen Feinde spielte, ist infolgedessen in meiner Panzergruppe nie angewendet worden. Ich habe damals die Nichtbefolgung des Befehls pflichtgemäß dem Oberbefehlshaber der Heeresgruppe gemeldet.
Der gleichfalls unrühmlich bekannt gewordene sogenannte „Kommissarbefehl“ gelangte überhaupt nicht zur Kenntnis meiner Panzergruppe. Er ist anscheinend bereits bei der Heeresgruppe „Mitte“ angehalten worden. Auch der „Kommissarbefehl“ ist bei meinen Truppen nicht angewendet worden.
Rückschauend kann man nur schmerzlich bedauern, daß diese beiden Befehle nicht bereits vom OKH oder OKW angehalten wurden. Vielen tapferen und untadeligen Soldaten wäre bitteres Leid, dem deutschen Namen eine große Schmach erspart geblieben. Gleichgültig ob die Russen der Haager Landkriegsordnung beigetreten waren oder nicht, ob sie die Genfer Konvention anerkannten oder nicht, die deutschen Soldaten mußten nach diesen internationalen Bestimmungen und nach den Gesetzen ihres christlichen Glaubens ihr Verhalten einrichten. Der Krieg lastete auch ohne die scharfen Befehle schwer genug auf der Bevölkerung des feindlichen Landes, und diese war ja an seinem Ausbruch genau so unschuldig wie die unsere.
Die ersten Operationen.
Die nun folgenden Ereignisse habe ich zum Teil unter genauen Zeitangaben über meine Tätigkeit geschildert, um zu zeigen, welchen seelischen und körperlichen Beanspruchungen der Befehlshaber einer Panzergruppe im Feldzuge gegen Rußland genügen mußte.
Nach der Ansprache Hitlers an die Generale vom 14. flog ich am 15. Juni 1941 von Berlin nach Warschau, wo mein Stab untergebracht war. Die Tage bis zum Angriffsbeginn am 22. Juni vergingen mit Besichtigungen der Truppen und Ausgangsstellungen und mit Besuchen der Nachbarn, um das Zusammenwirken sicherzustellen. Der Aufmarsch und die Bereitstellung zum Angriff vollzogen sich reibungslos. Am 17. Juni erkundete ich den Flußlauf des Bug, der unsere vordere Linie bildete. Am 19. besuchte ich das rechts neben meiner Panzergruppe angesetzte III. A.K. unter General von Mackensen. Am 20. und 21. Juni überzeugte ich mich in den vorderen Linien der Korps von der Beendigung der Vorbereitungen. Durch eingehende Beobachtung der Russen erhielt ich die Überzeugung, daß sie nichts von unseren Absichten wußten. Auf dem Hof der Zitadelle von Brest, in den wir Einblick hatten, übten sie nach den Klängen einer Musik Parademarsch in Zügen. Die Uferbefestigungen längs des Bug waren unbesetzt. Die Arbeiten an den Befestigungen hatten in den letzten Wochen kaum wahrnehmbare Fortschritte gemacht. Die Aussichten auf das Gelingen der Überraschung waren also groß, und es entstand die Frage, ob unter diesen Umständen eine Artillerie-Vorbereitung von einer Stunde, wie wir sie vorgesehen hatten, überhaupt notwendig sei. Lediglich aus Vorsicht, um nicht im Augenblick des Flußübergangs durch unerwartete Maßnahmen der Russen vermeidbare Verluste hinnehmen zu müssen, beließ ich es bei der befohlenen Feuervorbereitung.
Am schicksalschweren 22. Juni 1941 begab ich mich um 2,10 Uhr morgens auf den Gruppengefechtsstand beim Beobachtungsturm südlich Bohukaly, 15 km nordwestlich Brest-Litowsk. Es war noch dunkel, als ich um 3,10 Uhr dort eintraf. Um 3,15 Uhr begann unser Artilleriefeuer. Um 3,40 Uhr erfolgte der erste Stuka-Angriff. Um 4,15 Uhr fing das übersetzen der vordersten Teile über den Bug bei der 17. und 18. Panzer-Division an. Um 4,45 Uhr durchfurteten die ersten Panzer der 18. Panzer-Division den Fluß. Sie benutzten dabei die für das Unternehmen „Seelöwe“ erprobte Ausrüstung, die ihnen das Durchwaten von Gewässern bis zu 4 m Tiefe erlaubte.
Um 6,50 Uhr ließ ich mich bei Kolodno mittels eines Sturmbootes über den Bug setzen. Meine Befehlsstaffel, bestehend aus zwei gepanzerten Funkstellen, einigen Geländewagen und Krafträdern, folgte bis 8,30 Uhr. Anfänglich den Panzerspuren der 18. Panzer-Division folgend, fuhr ich an die Lesna-Brücke vor, deren Besitz für das Vorwärtskommen des XXXXVII. Panzer-Korps wichtig war, traf dort aber außer einer russischen Postierung niemand an. Die Russen suchten bei meiner Annäherung das Weite. Zwei meiner Ordonnanzoffiziere ließen sich entgegen meiner Weisung zur Verfolgung hinreißen; sie sind leider beide hierbei gefallen.
Um 10,25 Uhr erreichte die vorderste Panzerkompanie die Lesna und überschritt die Brücke. Ihr folgte der Divisionskommandeur, General Nehring. Ich begleitete nun den weiteren Vormarsch der 18. Panzer-Division bis zum Nachmittag und begab mich um 16,30 Uhr zur Brückenstelle nach Kolodno und von dort um 18,30 Uhr auf meinen Gefechtsstand.
Die Überraschung des Gegners war auf der ganzen Front der Panzergruppe gelungen. Südlich Brest-Litowsk fielen die Brücken über den Bug dem XXIV. Panzerkorps unversehrt in die Hand. Nordwestlich der Festung war der Brückenschlag an den vorgesehenen Stellen im Gange. Der Gegner hatte sich aber von seiner anfänglichen Überraschung bald erholt und setzte sich in seinen Unterkünften zähe zur Wehr. Besonders hartnäckig hielt er die wichtige Zitadelle von Brest mehrere Tage und sperrte dadurch die Bahn und die Straßen über Bug und Muchawiec.
Am Abend kämpfte die Panzergruppe um Maloryta, Kobryn, Brest-Litowsk und Pruzana. Bei letztgenanntem Ort geriet die 18. Panzer-Division in die ersten Panzerkämpfe.
Am 23. Juni verließ ich meinen Gefechtsstand um 4,10 Uhr und begab mich zunächst zum XII. A.K., wo mich General Schroth über den Verlauf des Kampfes um Brest-Litowsk unterrichtete. Von dort fuhr ich zum XXXXVII. Panzer-Korps nach dem 23 km nordnordostwärts Brest-Litowsk gelegenen Dorfe Bildejki. Dort hatte ich eine Aussprache mit General Lemelsen und erhielt Fernsprechverbindung zu meinem Gefechtsstand zur Orientierung über die Gesamtlage. Anschließend begab ich mich zur 17. Panzer-Division, bei der ich um 8 Uhr eintraf und von dem Kommandeur der Schützen-Brigade, General Ritter von Weber, über seine Maßnahmen unterrichtet wurde. Um 8,30 Uhr traf ich General Nehring, 18. Panzer-Division, und anschließend nochmals General Lemelsen. Dann fuhr ich nach Pruzana, wohin der Gefechtsstand der Panzergruppe vorgezogen wurde. Die Führungsabteilung des Stabes traf um 19 Uhr dort ein.
Das XXIV. Panzer-Korps kämpfte sich an diesem Tage längs der Straße Kobryn—Beresa Kartuska auf Sluzk vorwärts. Sein Korpsgefechtsstand ging nach Beresa Kartuska.
Ich gewann den Eindruck, daß beim XXXXVII. Panzer-Korps bereits ernstere Kämpfe mit den aus Richtung Bialystok nach Südosten zurückgehenden Russen bevorstünden, und entschloß mich daher, den nächsten Tag abermals beim XXXXVII. Panzer-Korps zuzubringen.
Am 24. Juni verließ ich also um 8,25 Uhr meinen Gefechtsstand und fuhr in Richtung Slonim los. In diese Stadt war inzwischen die 17. Panzer-Division eingedrungen. Zwischen Rozana und Slonim stieß ich aber auf russische Infanterie, welche durch Feuer die Marschstraße beherrschte. Eine Batterie der 17. Panzer-Division und abgesessene Kraftradschützen führten an der Straße ein nicht sehr eindruckvolles Feuergefecht. Ich mußte eingreifen und brachte durch das Feuer meines M.G. aus dem Befehlswagen den Feind aus seinen Stellungen, so daß ich meine Fahrt fortsetzen konnte. Um 11,30 Uhr traf ich auf dem Gefechtsstand der 17. Panzer-Division am Westrand von Slonim ein, wo ich außer dem Divisionskommandeur, General von Arnim, auch den Kommandierenden General, Lemelsen, antraf. Noch während unserer Aussprache über die Lage erscholl in unserem Rücken lebhaftes Geschütz- und M.G.-Feuer; ein brennender Lkw versperrte die Sicht auf die von Bialystok heranführende Straße und die Lage blieb solange ungeklärt, bis sich aus dem Rauch zwei russische Panzer abzeichneten, die unter lebhaftem Feuer aus Kanonen und M.G. nach Slonim hineinstrebten, verfolgt von deutschen Panzern IV, die gleichfalls lebhaft feuerten. Die Russenpanzer erkannten unsere Ansammlung, und so erhielten wir eine Anzahl von Granaten auf wenige Schritte, daß uns Hören und Sehen verging. Als alte Krieger hatten wir uns sofort zu Boden geworfen; nur der des Krieges ungewohnte, vom Befehlshaber des Ersatzheeres zu uns entsandte, arme Oberstleutnant Feller, der sich nicht schnell genug hingelegt hatte, wurde recht unangenehm verwundet, ebenso der Kommandeur einer Panzerjäger-Abteilung, Oberstleutnant Dallmer-Zerbe, der seiner schweren Wunde nach einigen Tagen leider erlag. In der Stadt gelang es, die russischen Panzer außer Gefecht zu setzen.
Ich besichtigte anschließend die vordere Kampflinie in Slonim und fuhr dann in einem Panzer IV durch Niemandsland zur 18. Panzer-Division. Um 15,30 Uhr war ich wieder in Slonim, nachdem die 18. Panzer-Division den Auftrag erhalten hatte, in Richtung Baranowicze vorzugehen, und der 29. (mot.) I.D. aufgetragen war, ihren Vormarsch in Richtung Slonim zu beschleunigen. Sodann begab ich mich zum Gruppengefechtsstand zurück. Diese Fahrt führte unerwartet durch russische Infanterie, die mit Lastkraftwagen bis dicht an Slonim herangeführt war und gerade im Begriff stand auszuladen. Der neben mir sitzende Fahrer erhielt den Befehl „Vollgas“ und dann ging es durch die erstaunten Russen, die bei der plötzlichen Begegnung keine Zeit zum Schießen fanden. Die Russen müssen mich aber doch erkannt haben, denn sie sagten mich in ihrer Presse tot; deshalb wurde ich veranlaßt, ihren Irrtum durch den deutschen Rundfunk richtigzustellen.
Um 20,15 Uhr war ich wieder bei meinem Stabe. Dort fand ich die Nachricht von heftigen Kämpfen in unserer tiefen rechten Flanke vor, wo das LIII. A.K. seit dem 23. Juni bei Maloryta russische Angriffe erfolgreich abwehrte. Zwischen dem XXIV. Panzer-Korps und dem XXXXVII. Panzer-Korps begannen Teile des XII. A.K. eine lose Verbindung herzustellen, während die linke Flanke der Panzergruppe durch den zunehmenden Druck der von Bialystok zurückströmenden Russen ernstlich bedroht war. Hier mußte durch schnelles Nachführen der 29. (mot.) I.D. und des XXXXVI. Panzer-Korps für Sicherung gesorgt werden.
Zum Glück ahnten wir nicht, daß bereits an diesem Tage Hitler nervös wurde und auf die Gefahr hinwies, daß es den starken russischen Kräften gelingen könnte, an irgend einer Stelle die Umfassung zu sprengen. Hitler erwog, die Panzergruppen anzuhalten und sie vorzeitig gegen die Kräfte im Raume um Bialystok einzudrehen. Dieses Mal erwies sich das OKH noch als stark genug, an dem bisherigen Entschluß festzuhalten und die Umfassung durch Vorgehen auf Minsk zu vollenden.
Wilna wurde genommen, desgleichen Kowno.
Die Finnen besetzten kampflos die Aalands-Inseln. Das nickelhaltige Petsamo-Gebiet wurde durch das deutsche I. Gebirgskorps kampflos besetzt.
Am 25. Juni früh besuchte ich Verwundete im Lazarett, die einem tags zuvor auf unseren Gefechtsstand niedergegangenen Bombenangriff zum Opfer gefallen waren, dem ich durch meine Abwesenheit an der Front entgangen war. Um 9,4fr Uhr fuhr ich sodann zum XII. A.K. nach Linowo, 9 km südlich Pruzana, unterrichtete mich über dessen Lage und setzte meine Fahrt zum XXIV. Panzer-Korps, nach Zarzeczne, 37 km südlich Slonim, fort. Nach Rücksprache mit General Frhr. von Geyr besuchte ich noch die 4. Panzer-Division und war um 16,30 Uhr wieder auf dem Gruppengefechtsstand.
Neue Feindkräfte bewegten sich an diesem Tage aus dem Räume von Bialystok in Richtung auf Slonim, darunter auch Panzer. Die 29. (mot.) I.D. traf auf dem Gefechtsfeld ein und übernahm die Abriegelung gegen die auf Slonim drängenden Russen. Hierdurch wurden die Hauptkräfte der 17. und 18. Panzer-Division, zu beweglicher Verwendung in Richtung Minsk frei. Letztere war bereits im Vorgehen auf Baranowicze begriffen.
Am 26. Juni früh fuhr ich an die Front des XXXXVII. Panzer-Korps, um das Vorgehen auf Baranowicze und Stolpce zu überwachen. Das XXIV. Panzer-Korps erhielt die Weisung, das Vorwärtskommen seines nördlichen Nachbarn zu unterstützen.
Um 7,50 Uhr traf ich bei der 17. Panzer-Division ein und befahl ihr, unverzüglich auf Stolpce anzutreten. Um 9 Uhr war ich auf dem Gefechtsstand der 18. Panzer-Division, wo sich außer dem Divisionskommandeur auch der Kommandierende General aufhielt. Dieser Gefechtsstand lag an der Straße Slonim—Baranowicze bei Lesna, 5 km hinter den vordersten Teilen der Division. Von hier aus trat ich erneut mit dem XXIV. Panzer-Korps in Funkverbindung, um dessen Unterstützung beim Angriff auf Baranowicze sicherzustellen. Diese erfolgte durch Teile, der 4. Panzer-Division, von der eine Kampfgruppe seit 6 Uhr im Vorgehen nach. Norden war.
Um 12,30 Uhr meldete das XXIV. Panzer-Korps die Einnahme von Sluzk. Das. war eine sehr gute Leistung von Führung und Truppe. Ich sandte dem Kommandierenden General einen anerkennenden Funkspruch und begab mich sodann in die vordere Linie der 18. Panzer-Division bei Tartak. Am frühen Nachmittag kam die Nachricht, daß Hoth 30 km nördlich von Minsk stehe.
Um 14,30 Uhr ging ein Befehl der Heeresgruppe ein, der mich anwies, mit der Masse auf Minsk, mit dem XXIV. Panzer-Korps auf Bobruisk vorzugehen. Ich konnte melden, daß das XXIV. Panzer-Korps bereits auf Bobruisk angesetzt sei und das XXXXVII. Panzer-Korps über Baranowicze auf Minsk angriffe. Sodann befahl ich Vorziehen der Führungsstaffel meines Stabes nach Tartak, wo sie um 23,30 Uhr eintraf.
Im Laufe des Nachmittags hatte die 17. Panzer-Division noch gemeldet, daß sie auf brauchbarer Straße im Vorgehen auf Stolpce sei. Sie erreichte ihr Ziel am Abend. Der Divisionskommandeur, General von Arnim, wurde leider bei den Kämpfen dieses Tages verwundet und mußte das Kommando an den General Ritter von Weber abgeben.
Die Panzergruppe wurde neuerdings dem Armee-Oberkommando 4 unterstellt und erhielt von diesem den Befehl zur Sperrung der Linie Zadworze (9 km nördlich Slonim)—Holynka—Zelwa—Zelwianka-Fluß gegen den von Bialystok herandrängenden Feind.
An diesem Tage traf das XXXXVI. Panzer-Korps mit seinen vordersten Teilen auf dem Gefechtsfeld bei Tartak ein und übernahm von diesem Zeitpunkt ab die Verbindung zwischen dem XXIV. und XXXXVII. Panzer-Korps. Alle Kräfte des XXIV. Panzer-Korps wurden hiermit für dessen Hauptaufgabe, den Stoß auf Bobruisk, frei.
Bei der Heeresgruppe „Nord“ gelang der 8. Panzer-Division die Wegnahme Dünaburgs und der dortigen Brücken.
Am 27. Juni erreichte die 17. Panzer-Division den Südrand von Minsk und stellte damit die Verbindung mit der Panzergruppe 3 her, welche bereits am 26. Juni in die von den Russen stark zerstörte Stadt eingedrungen war. Die russischen Kräfte, die sich im Räume Bialystok befunden hatten und vergeblich danach strebten, aus der nunmehr vollzogenen Umklammerung zu entkommen, wurden eingeschlossen. Nur schwachen Teilen war es gelungen, vor Beendigung der Einkesselung nach Osten zu entweichen. Der erste große Erfolg des Feldzuges bahnte sich an.
Für die Fortführung der Operationen kam es nach meiner Meinung darauf an, die Einschließung der Russen bei Bialystok mit einem Minimum an Kräften aus der Panzergruppe durchzuführen und dafür die Infanterie-Armeen zu verwenden, um mit den schnell beweglichen, motorisierten Verbänden dem ersten operativen Ziel des Feldzuges zuzustreben, dem Räume Smolensk—Jelnja—Roslawl. Alle meine Maßnahmen standen in den nächsten Tagen unter diesem Zeichen. Ich befand mich damit im Einklang mit den grundlegenden Befehlen für die Operationen. Diese unbeirrt durch die Wechselfälle der Kämpfe auszuführen, schien mir von ausschlaggebender Bedeutung für das Gelingen des ganzen Feldzuges. Daß damit ein gewisses Risiko verbunden war, war mir klar.
Diese Überlegungen veranlaßten mich, auch am 28. Juni wieder zum XXXXVII. Panzer-Korps zu fahren, um dem am stärksten bedrohten Verband nahe zu sein und im Notfall rechtzeitig eingreifen zu können. Ich traf den Kommandierenden General in Swojaticze (23 km südwestlich Nieswiez), unterrichtete mich über die Lage seiner Divisionen und befahl durch Funkspruch an meinen Stab, den Marsch der 29. (mot.) I.D. nach Norden zu beschleunigen und über den Straßen Nowogrodek—Minsk und Nowogrodek—Baranowicze—Turzec Luftaufklärung anzusetzen. Dann suchte ich noch die 18. Panzer-Division auf, bei der durch Verfahren einer Kolonne einige Störungen des Vormarsches eingetreten waren, die jedoch ohne nachteilige Folgen behoben wurden.
Mein Chef Liebenstein hatte inzwischen eine Abriegelungslinie aus Divisionen verschiedener Korps gegen drohende Ausbrüche des Feindes westlich Kojdanow—Piaseczna (nordwestlich Mir)—Horodyszcze—Polonka angeordnet, eine Maßnahme, die meine Zustimmung fand.
Das XXIV. Panzer-Korps gelangte an diesem Tage bis dicht vor Bobruisk; es hatte seinen Gefechtsstand seit dem 25. in Filipowicze.
Der Gefechtsstand der Panzergruppe wurde am 28. Juni nach Nieswiez, einem Radziwill'schen Schlosse, verlegt, in dem ein höherer russischer Stab gelegen hatte. Von der alten Einrichtung des Schlosses fand sich nur im obersten Stockwerk noch die Photographie einer Jagdgesellschaft mit Kaiser Wilhelm I. als Gast. Die Bevölkerung von Nieswiez bat um die Genehmigung, einen Dankgottesdienst für ihre Befreiung abhalten zu dürfen, eine Bitte, die ihr gern erfüllt wurde.
An diesem Tage hatten erreicht:
3. Panzer-Division Bobruisk, 4. Panzer-Division Sluzk, 10. (mot.) I.D. Siniawka, 1. K.D. den Raum ostwärts Drohiczyn.
17. Panzer-Division Kojdanow, 18. Panzer-Division Nieswiez, 29. (mot.) I.D. den Zelwianka-Abschnitt.
Teile der 10. Panzer-Division den Zelwianka-Abschnitt, Masse dieser Division Siniawka, SS-„Reich“ Beresa Kartuska, I.R. „G.D.“ die Gegend nordostwärts Pruzana.
Die Gruppe Hoth stand mit der 7. und 20. Panzer-Division bei Minsk. In der tiefen rechten Flanke kamen die Kämpfe des LIII. A.K. bei Maloryta zu siegreichem Abschluß. Die Gefahr auf diesem Flügel war damit fürs erste behoben.
Der 29. Juni brachte die Fortsetzung der Kämpfe auf der ganzen Front der Panzergruppe, die besonders am Zelwianka-Abschnitt zu großer Heftigkeit aufflammten und die Besorgnis des AOK 4 erregten, die sich in einer Reihe von Eingriffen bemerkbar machte, die von mir sehr nachteilig empfunden wurden, da ich sie zum Teil zunächst garnicht erfuhr.
Die Heeresgruppe „Nord“ gewann Jakobstadt, Liewenhof und den Südteil von Riga mit der dortigen Eisenbahnbrücke über die Düna.
Den 30. Juni benutzte ich zu einem Flug zur Panzergruppe 3, um mich mit Hoth über das weitere Zusammenwirken ins Benehmen zu setzen. Oberstleutnant von Barsewisdi flog mich selber in einer Kampfmaschine über die Puszcza Nalibocka, ein großes Waldgebiet, aus dem die 4. Armee ständig russische Durchbruchsversuche erwartete. Ich gewann den Eindruck, daß der Feind dort keine nennenswerten Kräfte habe und somit auch keine Gefahr aus dieser Richtung drohe. Mit Hoth vereinbarte ich das Zusammenwirken meiner 18. Panzer-Division mit seinem rechten Flügel beim Vorgehen auf Borissow und beim Gewinnen eines Brückenkopfes über die Beresina bei diesem Ort.
Das OKH erteilte an diesem Tage den Befehl zum Erreichen der Dniepr-Linie mit Kampfkräften.
Das OKH wies die Heeresgruppe auf die entscheidende Bedeutung der Fortsetzung der Operationen in Richtung Smolensk hin und wünschte, daß so rasch wie möglich die Übergänge über den Dniepr bei Rogatsdiew, Mogilew und Orsdia sowie die Übergänge über die Düna bei Witebsk und Polotsk mit kampfkräftigen Teilen in Besitz genommen würden.
Am nächsten Tage, dem 1. Juli, flog ich zum XXIV. Panzer-Korps, weil unsere einzige sonstige Verständigungsmöglichkeit, der Funk, auf die Dauer doch zu dürftig war. Geyr's Eindruck vom Gegner war unseren zukünftigen Absichten günstig. Er hatte vorwiegend mit zusammengerafften Verbänden zu tun. Der gegnerische Zugverkehr war gering. Eine am Vortag über Bobruisk stattgefundene Luftschlacht hatte mit einer Niederlage der Russen geendet. Trotzdem leistete der Gegner, wie stets, zähen Widerstand. Seine Kampftechnik, besonders seine Tarnung war gut, die Führung anscheinend noch nicht wieder einheitlich. Es war dem Korps gelungen, die Brücken über die Beresina bei Swislotsch zu besetzen. Um 9,30 Uhr war eine verstärkte Aufklärungs-Abteilung aus dem Beresina-Brückenkopf ostwärts Bobruisk auf Mogilew angetreten, der die Masse der 3. Panzer-Division mit der Marschrichtung nach Osten folgte, wobei sich General Frhr. von Geyr vorbehielt, seinen Schwerpunkt je nach der Entwicklung der Lage auf Rogatschew oder auf Mogilew – beide am Dniepr – zu legen. Um 10,55 Uhr traten starke Teile der 4. Panzer-Division den Vormarsch von Swislotsch nach Osten an. Die Betriebstofflage machte keine Sorge; Munition, Verpflegung und Sanitätsdienste waren in Ordnung. Die Verluste waren bisher erfreulich gering. Es fehlte jedoch an Brückenkolonnen und Bautruppen. Die Zusammenarbeit mit den Fliegern unter Oberst Mölders war ausgezeichnet. Mit den Nahkampffliegern unter General Fiebig arbeitete die Verbindung nicht schnell genug. Die 1. K.D. hatte sich im Einsatz bewährt.
Die Luftaufklärung stellte im übrigen an diesem Tage fest, daß die Russen im Räume Smolensk—Orscha—Mogilew frische Kräfte versammelten. Wenn die Wegnahme der Dniepr-Linie gelingen sollte, ohne auf das Eintreffen der Infanterie warten zu müssen und damit Wochen zu verlieren, war Eile geboten.
Die Kämpfe an der Einschließungsfront des Kessels von Bialystok gingen indessen mit großer Heftigkeit weiter. In der Zeit vom 26. bis 30. Juni hatte allein das I.R. 71 der 29. (mot.) I.D. die gewaltige Zahl von 36 000 Gefangenen eingebracht – ein Beweis für die Massen, mit denen die Russen durchzubrechen versuchten. Diese Tatsache beeindruckte das AOK 4 so tief, daß es weiterhin an einer dicht besetzten Einschließungslinie festhielt. Feldmarschall von Kluge verbot daher den von mir bereits befohlenen Abmarsch der 17. Panzer-Division in Richtung Borissow, wo die 18. Panzer-Division inzwischen allein angelangt war und einen Brückenkopf über die Beresina gewonnen hatte, von dessen Behauptung die Fortführung der Bewegungen des XXXXVII. Panzer-Korps in Richtung auf den Dniepr wesentlich abhing. Ich habe den Befehl des AOK 4 trotz meiner Bedenken an die Truppe weitergeleitet.
Am 2. Juli überzeugte ich mich bei Mir beim MG-Btl. 5, das die Verbindung zwischen der 17. Panzer-Division und der 29. (mot.) I.D. zu halten hatte, persönlich von dem Zustand der Einschließungsfront und hörte mir die Auffassung der Offiziere über den Gegner an, um zu einer zutreffenden Beurteilung der Lage zu kommen. Dann fuhr ich zu General Lemelsen, befahl ihm und dem dort anwesenden Kommandeur der 29. (mot.) I.D., den Kessel geschlossen zu halten, und begab mich sodann zur 17. Panzer-Division nach Kojdanow. General Ritter von Weber meldete erfolgreiche Abwehr feindlicher Durchbruchsversuche. Von dort fuhr ich nach dem neuen Gefechtsstand der Panzergruppe bei Sinilo, südostwärts Minsk. Bei meinem Eintreffen erfuhr ich, daß bei der Befehlsübermittlung an die 17. Panzer-Division ein Mißgeschick eingetreten war, indem Teile der Division den Befehl zum Verbleib an der Einschließungsfront nicht erhalten hatten und nach Borissow in Marsch gesetzt waren. Ich ließ diese Tatsache sofort dem AOK 4 melden. Zu ändern war sie nicht mehr. Ich wurde für den nächsten Morgen 8 Uhr zum Feldmarschall von Kluge in dessen Hauptquartier Minsk befohlen und wegen des Vorfalls zur Rede gestellt. Nachdem ich die erforderlichen Aufklärungen gegeben hatte, sagte Feldmarschall von Kluge, daß er eigentlich die Absicht gehabt habe, Hoth und midi vor ein Kriegsgericht zu stellen, da bei Hoth das gleiche Mißgeschick eingetreten war und er daher geglaubt habe, einer Generalsfronde gegenüberzustehen. Nun, darüber konnte ich ihn beruhigen. Nach dieser Aussprache fuhr ich zum XXXXVII. Panzer-Korps nach Smolewicze (35 km nordostwärts Minsk) und, weil ich das Generalkommando dort noch nicht antraf, weiter zur 18. Panzer-Division nach Borissow. Dort besichtigte ich den Brückenkopf über die Beresina und sprach die versammelten Kommandeure der Division. Die Division entsandte eine Vorausabteilung auf Tolotschino. Auf dem Rückweg traf ich in Smolewicze den Kommandierenden General und besprach mit ihm den Einsatz der 18. und 17. Panzer-Division. Während dieser Unterhaltung hörten die Funker meines Befehlspanzers die Nachricht vom Angriff russischer Panzer und Flieger auf die Beresina-Übergänge bei Borissow. Das XXXXVII. Panzer-Korps wurde verständigt. Die Angriffe wurden unter schweren russischen Verlusten abgewiesen, aber der Eindruck auf die 18. Panzer-Division war doch nachhaltig genug, weil hierbei die ersten T 34-Panzer auf der Feindseite aufgetreten waren, denen unsere damaligen Geschütze nicht viel anhaben konnten.
Am 2. Juli stand die Panzergruppe wie folgt:
1. K.D. südlich Sluzk, 3. Panzer-Division Bobruisk, Vorausabteilung vor Rogatschew, 4. Panzer-Division Swislotsch, 10. (mot.) I.D. ostwärts Sluzk.
SS-„Reich“ nördlich Balusewicz a. d. Beresina, 10. Panzer-Division Tscherwen, I.R. „GD.“ nördlich Baranowicze.
18. Panzer-Division Borissow, 17. Panzer-Division Kojdanow, 29. (mot.) Stolpce, MG-Btl. 5 südostwärts Baranowicze.
Am 3. Juli hatten die Russen im Kessel von Bialystok kapituliert. Meine ganze Aufmerksamkeit richtete sich nun auf die Fortführung der Bewegungen in Richtung auf den Dniepr.
Den 4. Juli benutzte ich zu einem Besuch beim XXXXVI. Panzer-Korps. Die Fahrt ging von Sinilo über Smolewicze—Tscherwen—Slobodka zum Gefechtsstand der 10. Panzer-Division und von dort zur SS-„Reich“. Auf dem Wege dorthin traf ich den Kommandierenden General, dem ich auf seine Frage nach dem Verbleib des I.R. „G.D.“ nur antworten konnte, daß dieses Regiment als Reserve der 4. Armee noch immer bei Baranowicze festgehalten werde. Dann zur SS-„Reich“ nach St. Retschki. General Hausser berichtete, daß sein Kraftradschützen-Bataillon nach schwerem Kampf einen Brückenkopf über die Beresina bei Brodez (17 km südlich Beresino) gebildet habe. Bei Jakschizy sei die Beresina-Brücke gesprengt, ein übersetzen von Fahrzeugen noch nicht möglich. Die Pioniere seien noch mit dem Fahrbarmachen der sumpfigen Zufahrten beschäftigt. Ich fuhr dorthin und fand die Pioniere fleißig am Werk; sie versprachen, bis zum 5. Juli früh mit ihren Arbeiten fertig zu werden.
An diesem Tage erreichte das XXIV. Panzer-Korps den Dniepr bei Rogatschew und erkämpfte sich weitere Übergänge über die Beresina. Am gleichen Tage standen die Divisionen der Panzergruppe folgendermaßen:
1. K.D. ostwärts Sluzk, 3. Panzer-Division vor Rogatschew, 4. Panzer-Division Starij Bychow, 10. (mot.) I.D. Bobruisk.
SS-„Reich“ Balusewicz, 10. Panzer-Division Beresino, I.R. „G.D.“ ostwärts Stolpce.
18. Panzer-Division ostwärts des Natscha-Abschnittes, Teile 17. Panzer-Division Borissow, Masse dieser Division Minsk, 29. (mot.) I.D. Kojdanowa—Stolpce, MG-Btl. 5 westlich Stolpce.
Am 6. Juli überschritten starke russische Kräfte den Dniepr bei Shlobin und griffen den rechten Flügel des XXIV. Panzer-Korps an. Sie wurden durch die 10. (mot.) I.D. abgewiesen. Weitere Kräfte wurden durch unsere Luftaufklärung im Antransport aus dem Räume Orel—Brjansk in Richtung Gomel gemeldet. Im Räume Orscha wurde ein neues russisches AOK gepeilt. Eine neue Verteidigungsfront am Dniepr schien in der Bildung begriffen. Das mahnte zur Eile.
Bis zum 7. Juli erreichten:
Die Panzergruppe mit dem Gefechtsstand Borissow.
XXIV. Panzer-Korps Bortniki.
1. K.D. Bobruisk, 10. (mot.) I.D. Shlobin, 3. Panzer-Division Rogatschew—Nowij Bychow, 4. Panzer-Division Starij Bychow.
10. Panzer-Division Bjalynicy, SS-„Reich“ Beresino, I.R. „G.D.“ Tscherwen.
18. Panzer-Division Tolotschino, 17. Panzer-Division Senno, 29. (mot.) I.D. Borissow.
Die 17. Panzer-Division war bei Senno in heftige Kämpfe mit starkem Feinde verstrickt, der insbesondere zahlreiche Panzer ins Feuer führte. Auch bei der 18. Panzer-Division waren lebhafte Kämpfe im Gange. Da das XXIV. Panzer-Korps den Dniepr bereits erreicht hatte, mußte ein Entschluß über die Fortführung der Operationen gefaßt werden. Von meinen Vorgesetzten hatte ich keine neuen Weisungen erhalten, mußte also annehmen, daß die Aufmarschanweisung, der zufolge die Panzergruppe 2 den Raum Smolensk—Jelnja—Roslawl erreichen sollte, noch volle Gültigkeit besaß. Ich vermochte auch keinen Grund für eine Abänderung dieser Anweisung zu erkennen. Daß inzwischen die Ansichten Hitlers und des OKH weitgehend auseinander klafften, blieb mir zu diesem Zeitpunkt verborgen. Diese Tatsache habe ich in ihrer ganzen Tragweite erst viel später erfahren. Die Reibungen und Mißhelligkeiten bei Ausführung der bisherigen Operationen werden aber erst verständlich, wenn man einen Blick hinter die Kulissen der deutschen Obersten Führung in diesen Tagen tut.
Hitler hatte aus den Augen verloren, daß er selbst eine schnelle Offensive mit dem Ziele Smolensk befohlen hatte. Er sah während der verflossenen Kampftage nur den Kessel um Bialystok. Feldmarschall von Brauchitsch wagte nicht, der Heeresgruppe „Mitte“ seinen abweichenden Standpunkt zum Ausdruck zu bringen, weil ihm die Auffassung Hitlers bekannt war. Feldmarschall von Bock wünschte nach eigener Äußerung, die Panzergruppen 2 und 3 unter den gemeinsamen Oberbefehl des Feldmarschalls von Kluge zu stellen, um sich von der unmittelbaren Verantwortung für deren Führung zu entlasten. Feldmarschall von Kluge wollte – in Übereinstimmung mit der offiziellen Hitler'schen Ansicht – den Ring um Bialystok dicht besetzen und abwarten, bis die Russen kapituliert hätten, bevor er die Fortsetzung der Bewegungen nach Osten erlaubte. Hoth und ich drängten – im Gegensatz zu dieser Auffassung – mit unseren Panzerkräften im Sinne der ursprünglichen, bis dahin nicht aufgehobenen Anweisung zum Vormarsch nach Osten, unseren ersten Angriffszielen entgegen. Wir wollten – wie gesagt – den Feind bei Bialystok mit einem Minimum an Panzerkräften binden und seine Gefangennahme den uns folgenden Infanterie-Armeen über lassen. Und während das OKH insgeheim hoffte, daß die Befehlshaber der Panzergruppen ihren ursprünglichen Angriffszielen auch ohne Befehl und sogar gegen den Befehl zustreben würden, wagte es nicht, den Oberbefehlshabern der Heeresgruppen und Armeen eine Andeutung zu geben, um sie zu dem gewünschten Entschluß zu bringen.
So kam es, daß die Panzergruppe 2 befahl, den Einschließungsring um Bialystok mit einem Minimum an Kräften zu halten, mit allen irgend verfügbaren Truppen aber den Feind über die Beresina und den Dniepr zu verfolgen. Feldmarschall von Kluge gab Gegenbefehle, die alle an der Einschließung beteiligten Truppen in ihren Stellungen festhielten und sie auf Befehle zur Fortsetzung der Bewegungen in ostwärtiger Richtung warten ließen. Ein Teil der Truppen erhielt diese Befehle nicht rechtzeitig und setzte die Bewegungen auf die Beresina fort. Dem Ganzen geschah in diesem Falle glücklicherweise kein Schaden hierdurch, aber unerfreuliche Spannungen und Auseinandersetzungen waren die Folge.
Der Übergang über den Dniepr.
Am 7. Juli stand ich vor dem Entschluß, ob ich den bisherigen raschen Vormarsch fortsetzen und den Übergang über den Dniepr mit den Panzerkräften allein erzwingen sollte, um meine ersten Ziele so schnell zu erreichen, wie es im Sinne des ursprünglichen Feldzugsplanes lag, oder ob ich angesichts der russischen Maßnahmen zur Verteidigung der Flußlinie den Vormarsch unterbrechen und für den Kampf um den Flußabschnitt das Herankommen der Infanterie-Armeen abwarten müßte.
Für den sofortigen Angriff sprach die augenblickliche Schwäche der russischen Verteidigung, die erst im Aufbau war. Zwar bestanden stark besetzte Brückenköpfe bei Rogatschew, Mogilew und Orscha; die Versuche, Rogatschew und Mogilew durch Handstreiche zu nehmen, waren daher auch gescheitert. Zwar waren die Antransporte russischer Verstärkungen gemeldet, eine starke, russische Massierung entstand im Räume um Gomel, eine schwächere nördlich Orscha, bei Senno; bei dem letztgenannten Orte waren bereits heftige Kämpfe im Gange. Aber bis zum Eintreffen der Infanterie mußten etwa 14 Tage vergehen. Bis dahin mußte die russische Verteidigung erheblich stärker werden. Ob es dann noch der Infanterie gelingen würde, eine wohl organisierte Flußverteidigung über den Haufen zu werfen und anschließend wieder zum Bewegungskrieg zu kommen, war fraglich. Noch mehr in Frage gestellt wurde das Erreichen unserer ersten operativen Ziele und die Beendigung des Feldzuges noch im Herbst 1941. Gerade hierauf aber kam es an.
Ich war mir der Schwere des Entschlusses voll bewußt. Mit der Gefahr starker Gegenwirkung gegen die nach überschreiten des Dniepr bei allen drei Panzer-Korps entstehenden offenen Flanken habe ich gerechnet. Trotzdem war ich so durchdrungen von der Wichtigkeit und Lösbarkeit der mir gestellten Aufgabe und zugleich so überzeugt von der ungebrochenen Leistungsfähigkeit und Angriffskraft meiner Panzertruppen, daß ich den sofortigen Angriff über den Dniepr und die Fortsetzung der Bewegungen auf Smolensk befahl.
Hierzu ordnete ich an, die Kämpfe auf beiden Flügeln bei Shlobin und Senno abzubrechen und sich dort mit Beobachtung des Gegners zu begnügen.
Die Räume für den Flußübergang wurden durch die stark besetzten russischen Brückenköpfe bestimmt: für das XXIV. Panzer-Korps wurde im Einvernehmen mit General Frhr. von Geyr Starij Bydiow und als Angriffstag der 10. Juli bestimmt, für das XXXXVI. Panzer-Korps Schklow, für das XXXXVII. Panzer-Korps Kopys, zwischen Mogilew und Orscha, und als Angriffstag der 11. Juli. Alle Bewegungen und Bereitstellungen waren sorgfältig zu tarnen; es wurde nur bei Nacht marschiert. Die Luftherrschaft über dem Bereitstellungsraum sicherten die Jäger des tapferen Oberst Mölders, der seine Gefechtslandeplätze unmittelbar hinter der vordersten Linie einrichtete. Wo er sich zeigte, war die Luft in Kürze rein.
Den 7. Juli benutzte ich zu Besuchen beim XXXXVII. Panzer-Korps, um die Absichten für den Dniepr-Übergang mündlich zu erläutern. Unterwegs sah ich mir einen erbeuteten russischen Panzerzug an. Dann ging es zum Generalkommando nach Natscha (30 km ostwärts Borissow), von dort nach Tolotschino zur 18. Panzer-Division, die im Gefecht mit russischen Panzern stand. General Nehring wurde auf die Wichtigkeit des Freikämpfens des Raumes um Kochanowo, westlich Orscha, und der Einengung des dortigen russischen Brückenkopfes für die bevorstehenden Operationen hingewiesen. Der Truppe, die wieder einen hervorragenden Eindruck machte, konnte ich meine besondere Anerkennung aussprechen.
Am 8. Juli besuchte ich das XXXXVI. Panzer-Korps zu dem gleichen Zweck wie tags zuvor das XXXXVII. Das Korps hatte bei der SS-„Reich“ noch Kämpfe auf dem Westufer des Dniepr.
Der 9. Juli zeichnete sich durch besonders heftige Aussprachen über die beabsichtigte Operation aus. Zunächst erschien am frühen Morgen Feldmarschall von Kluge auf meinem Gefechtsstand und ließ sich über die Lage und meine Absichten unterrichten. Er war ganz und gar nicht mit dem Entschluß zum sofortigen Dniepr-Übergang einverstanden und verlangte sofortiges Abbrechen dieser Operation und das Abwarten der Infanterie. Ich war tief betroffen und verteidigte meine Maßnahmen nachhaltig. Schließlich, nach Darlegung der bereits angeführten Gründe, sagte ich ihm, daß die Vorbereitungen bereits zu weit gediehen seien, um sie noch rückgängig machen zu können, daß die Truppen des XXIV. Panzer-Korps und XXXXVI. Panzer-Korps großenteils schon in ihren Ausgangsstellungen massiert seien, und ich diese Massierung nur kurze Zeit aufrechterhalteten könne, ohne von der russischen Luftwaffe gefunden und angegriffen zu werden. Im übrigen sei ich von dem Gelingen des Angriffes durchdrungen und erwartete – wenn überhaupt – von dieser Operation die Entscheidung des Rußlandfeldzuges noch in diesem Jahre. Feldmarschall von Kluge war durch meine zielbewußten Darlegungen sichtlich beeindruckt. Mit den Worten: „Ihre Operationen hängen immer an einem seidenen Faden!“ gab er widerwillig seine Zustimmung zu meinem Vorhaben.
Nach dieser erregten Aussprache fuhr ich zum XXXXVII. Panzer-Korps, das in schwieriger Lage einer besonderen Stütze zu bedürfen schien. Um 12.15 Uhr war ich auf dem Gefechtsstand Krupka bei General Lemelsen. Dieser bezweifelte, daß es der 18. Panzer-Division und einer aus Panzerjägern und Aufklärern gebildeten Kampfgruppe des Generals Streich möglich sein werde, den Raum von Kochanowo zu nehmen, weil die Truppe zu abgekämpft sei. Ich bestand auf meinem Befehl und ordnete an, daß die 18. Panzer-Division nach Erfüllung ihres Auftrages – ebenso wie die 17. Panzer-Division nach Abschütteln des Gegners bei Senno – nach Südosten auf den Dniepr abzudrehen sei. Vom Generalkommando fuhr ich zur Front. Unterwegs begegnete ich dem General Streich und gab ihm die erforderlichen Weisungen. Dann traf ich Nehring, der im Gegensatz zur Auffassung seines Korps erklärte, daß die Einnahme der befohlenen Bereitstellungsräume keine Schwierigkeiten machen würde. Anschließend sprach ich den Kommandeur der 29. (mot.) I.D., der ebenfalls erklärte, seinen Auftrag – Kopys zu erreichen – ohne weiteres ausführen zu können. Den Divisionen wurde eingehämmert, noch in dieser Nacht den Dniepr und die befohlenen Bereitstellungsräume zu erreichen.
Die 17. Panzer-Division bestand an diesem Tage noch heftige Kämpfe mit feindlichen Panzern, die mit dem Verlust von 100 Russenpanzern ein für die tapfere Division günstiges Ergebnis zeitigten.
Am Abend des 9. Juli standen:
Gruppengefechtsstand Borissow (wurde am 10. 7. nach Tolotschino verlegt). 1. Kavallerie-Division im Flankenschutz südostwärts Bobruisk, 3. Panzer-Division im Räume Shlobin—Rogatschew—Nowij Bychow in der Versammlung nach Norden, 4. Panzer-Division bei Starij Bychow, 10. (mot.) I.D. bei Starij Bychow an der Übergangsstelle.
10. Panzer-Division südlich Schklow, SS „Reich“ bei Pavlowo, Teile südlich Mogilew zum Flankenschutz rechts, I.R. „GD.“ bei Bjalynicy.
18. Panzer-Division südlich Tolotschino, 17. Panzer-Division bei Zamosja, 29. (mot.) I.D. südwestlich Tolotschino in der Versammlung in Richtung Kopys.
Die uns folgende Infanterie hatte an diesem Tage mit schwachen Vorausabteilungen die Linie Bobruisk—Swislotsch—Borissow, mit der Masse die Linie Sluzk—Minsk erreicht.
Hoth hatte Witebsk genommen, Höppner Pleskau.
Am 10. und 11. Juli vollzog sich der Dniepr-Übergang sodann planmäßig und unter geringen Verlusten.
Nachdem das XXIV Panzer-Korps am 10. mittags gemeldet hatte, daß sein Übergang bei Starij Bychow gelungen sei, begab ich mich am 10. nachmittags nochmals zum XXXXVII. Panzer-Korps, um mich von der Bereitstellung und der Kampfkraft der Truppe zu überzeugen. General Streich hatte seine Sicherungslinie gegenüber dem russischen Brückenkopf westlich Orscha erreicht. Nordwestlich Orscha war eine weitere Sicherungsgruppe unter Oberst Usinger gebildet worden. Die Aufklärungs-Abteilung der 29. (mot.) I.D. hatte nach rechts Verbindung mit der SS „Reich“ hergestellt. Die 18. Panzer-Division war in ihrer Bereitstellung. Die 17. Panzer-Division war um 10 Uhr mit ihren Anfängen an der Autobahn bei Kochanowo angelangt. Teile dieser Division standen bereits südwestlich Orscha im Gefecht auf dem Westufer des Dniepr. Die 29. (mot.) I.D. hatte ihre Räume erreicht. Ich legte dem Divisionskommandeur noch einmal ans Herz, daß der rasche Durchstoß auf Smolensk nach geglücktem Flußübergang von äußerster Wichtigkeit sei. Somit war auch beim XXXXVII. Panzer-Korps die schwierige Versammlung und Bereitstellung gelungen, und ich sah den Ereignissen des kommenden Tages mit Zuversicht entgegen.
Für das Vorgehen nach überschreiten des Dniepr waren folgende Aufträge erteilt:
Das XXIV. Panzer-Korps sollte gegen die Straße Propoisk—Roslawl vorgehen. Es hatte auf die Sicherung seiner rechten Flanke gegen Shlobin—Rogatschew und seiner linken Flanke gegen Mogilew Bedacht zu nehmen.
Dem XXXXVI. Panzerkorps wurde aufgetragen, über Gorki—Potschinok auf Jelnja vorzugehen und dabei seine rechte Flanke gegen Mogilew zu sichern.
Das XXXXVII. Panzer-Korps erhielt Smolensk als Hauptziel und dazu den Auftrag der Flankensicherung links gegen die Dniepr-Linie zwischen Orscha und Smolensk, sowie gegen Orscha selbst. Der Feind bei Orscha wurde außerdem westlich und nordwestlich des Dniepr durch die Gruppen Streich und Usinger beobachtet.
Am Abend des 10. Juli erschien der italienische Militär-Attache, General Marras, der mir aus Berlin bekannt war, bei meinem Stabe zu Besuch. Er war von Kapitän z. S. Bürkner begleitet. Ich lud die beiden Herren ein, mich am nächsten Tage zu dem beabsichtigten Dniepr-Übergang bei Kopys zu begleiten. Außer diesen Besuchern erschien an diesem Abend Oberstleutnant von Below, der Luftwaffenadjutant Hitlers, um sich nach der Lage bei der Panzergruppe zu erkundigen.
Am 11. Juli verließ ich bei strahlendem Sonnenschein in Begleitung meiner beiden Gäste um 6.10 Uhr meinen Gefechtsstand Tolotschino, der im Jahre 1812 bereits Napoleon I. als Quartier gedient hatte, um mich an den Dniepr bei Kopys zu begeben und dem Übergang des XXXXVII. Panzer-Korps beizuwohnen. Die Fahrt längs der dem Fluß zustrebenden Kolonnen war infolge des dichten Staubes recht beschwerlich. Menschen, Waffen und Motoren litten in gleicher Weise unter dieser wochenlang anhaltenden Plage. Insbesondere wurden die Zylinder der Panzermotoren so ausgeschmirgelt, daß ihre Leistung erheblich absank. Auf dem Gefechtsstand der 29. (mot.) I.D., dicht bei Kopys, traf ich den Kommandierenden General und den Divisionskommandeur und wurde über die Lage unterrichtet. Die Regimenter 15 und 71 hatten den Fluß bereits überschritten und den Waldrand östlich Kopys erreicht; wir sahen sie im Vorgehen gegen etwa zwei feindliche Divisionen (russisches LXVI. A.K. mit 18. und 54. Schützen-Division). Schwaches Artillerie-Störungsfeuer lag auf dem Gelände des Gefechtsstandes, das außerdem durch Minen verseucht war. Man konnte das Vorgehen unserer Infanterie gut beobachten, ebenso den Brückenbau dicht unter unserem Standort. Nachdem mich der italienische Attache verlassen hatte, ließ ich mich im Sturmboot auf das Ostufer des Flusses übersetzen, um mich von den Fortschritten der Truppe zu überzeugen. Meine Absicht, von Kopys zum XXXXVI. Panzer-Korps zu fahren, ließ sich nicht verwirklichen, da noch keine gesicherte Landverbindung nach Schklow geschaffen werden konnte.
Inzwischen hatte sich herausgestellt, daß die 17. Panzer-Division südlich Orscha auf so starken Feind gestoßen war, daß es unzweckmäßig schien, aus dem bereits gewonnenen, kleinen Brückenkopf heraus auf dem Ostufer weiter anzugreifen. Der an Ort und Stelle führende Regimentskommandeur, Oberst Licht, hatte sich daher richtigerweise entschlossen, den Brückenkopf wieder zu räumen. Die 17. Panzer-Division sollte nunmehr über Kopys hinter der 29. (mot.) I.D. nachgezogen werden.
Auf der Rückfahrt zum Gruppengefechtsstand traf ich bei Kochanowo den Feldmarschall von Kluge und berichtete ihm über die Entwicklung der Lage. Er bestätigte die von mir erteilten Befehle, und ich bat ihn meinerseits das Herankommen der Vorausabteilungen der Infanteriekorps an den Dniepr zum Absperren der stark besetzten russischen Brückenköpfe zu beschleunigen. Auf meinem Gefechtsstand traf ich den Chefadjutanten Hitlers, Oberst Schmundt, und hatte eine Aussprache über die Lage der Panzergruppe mit ihm.
Nach kurzem Aufenthalt in Tolotschino brach ich um 18,15 Uhr zum XXXXVI. Panzer-Korps nach Schklow auf. Die Wege waren schlecht, die Brücken notdürftig wieder in Stand gesetzt. Um 21,30 Uhr war ich dort. Starkes Artilleriefeuer und mehrfache feindliche Bombenangriffe auf die Brückenstelle der 10. Panzer-Division hatten den Übergang schwieriger gestaltet, als beim XXXXVII. Panzer-Korps. Auch bei der SS „Reich“ war die Brücke durch Luftangriffe beschädigt worden. Trotzdem war der Übergang gelungen und bereits eine Vorausabteilung auf Gorki angesetzt worden. Ich wies das Korps auf die Notwendigkeit nächtlichen Vorgehens hin, um die Wirkung der Überraschung auf den Gegner auszunützen, und fuhr sodann zur 10. Panzer-Division, um mich vom Antreten der Vorausabteilung zu überzeugen. Dies erwies sich auch als sehr notwendig, denn die Truppe war tatsächlich bei meinem Eintreffen noch nicht unterwegs. Nach schwieriger Nachtfahrt war ich am 12. 7. um 4,30 Uhr früh wieder in Tolotschino.
Am 11. Juli hatten die Divisionen der Panzergruppe erreicht: 1. Kavallerie-Division Shlobin—Rogatschew, 4. Panzer-Division und 10. (mot.) I.D. bei und nördlich Starij Bychow einen Brückenkopf ostwärts des Dniepr, 3. Panzer-Division den Raum südlich Mogilew im Flankenschutz gegen den russischen Brückenkopf.
10. Panzer-Division und I.R. „G.D.“ südlich Schklow, SS »Reich“ bei Schklow einen Brückenkopf ostwärts des Dniepr.
29. (mot.) I.D. ostwärts Kopys einen Brückenkopf über den Dniepr, 18. Panzer-Division westlich Kopys, 17. Panzer-Division südwestlich Orscha. Die Gruppen Streich und Usinger sicherten westlich und nordwestlich Orscha gegen den russischen Brückenkopf.
Die Masse der Infanterie hatte die Linie ostwärts Sluzk – ostwärts Minsk, ihre Vorausabteilungen die Beresina erreicht. Hoth stand bei Witebsk.
Am 12. Juli wurde der Übergang fortgesetzt. Ich flog an diesem Tage zum XXIV. Panzer-Korps. Der Besuch dauerte 8 Stunden; danach empfing ich Schmundt.
Beim OKH bestand an diesem Tage noch kein klares Bild darüber, ob der Gegner in der Lage sein würde, vor den Panzergruppen der Heeresgruppe „Mitte“ weiterhin hartnäckigen Widerstand zu leisten, oder ob er sich absetzen würde. Es wünschte jedenfalls, daß die beiden Panzergruppen versuchen sollten, die sich im Gebiet westlich Smolensk bildende Front aufzureißen und die dort auftretenden Kräfte zu zerschlagen. Es wurde darüber hinaus erwogen, ob gegebenenfalls Teile der Panzergruppe 3 (Hoth) in Richtung Nordosten abzudrehen seien, um die vor dem rechten Flügel der 16. Armee stehenden Feindkräfte durch Umfassung zu vernichten.
Smolensk – Jelnja – Roslawl
Am 13. Juli verlegte ich meinen Gefechtsstand auf das Ostufer des Dniepr, nach Sjachody (6 km südostwärts Schklow). Ich besuchte an diesem Tage die 17. Panzer-Division am Dniepr; diese tapfere Division hatte seit Beginn der Bewegungen 502 feindliche Panzer vernichtet. Anschließend sah ich Teile der SS „Reich“ beim Flußübergang und sprach die Generale Haußer und von Vietinghoff. Das Vorgehen der SS bedurfte der Beschleunigung und der Aufklärung in Richtung Monastirschtschina südlich Smolensk, weil sich nach den Ergebnissen der Luftaufklärung südwestlich Gorki russische Durchbruchsversuche in Richtung auf den Dniepr abzeichneten.
Die vorzüglich geführte 29. (mot.) I.D. kam an diesem Tage bis auf 18 km an Smolensk heran.
157Unser neuer Gefechtsstand, auf den ich um 17 Uhr zurückkehrte, hatte den Vorzug großer Frontnähe. Lebhaftes Feuer aus südlicher Richtung ließ auf schwere Kämpfe beim I.R. „G.D.“ schließen, das unsere Flanke gegen Mogilew decken sollte. In der Nacht kam dann ein Notschrei: I.R. „G.D.“ hat sich verschossen. Das noch nicht an den Kampf in Rußland gewöhnte Regiment wollte neue Munition. Es erhielt aber keine; damit hörte die nervöse Schießerei auf, und es trat Ruhe ein.
Beim OKH tauchte an diesem Tage erstmals der Gedanke auf, die Panzergruppe 2 nach Süden oder Südosten einzudrehen. Grund hierfür war die Entwicklung der Lage bei der Heeresgruppe „Süd“, die am Dniestr angelangt war. Gleichzeitig beschäftigte sich das OKH an diesem Tage mit der Führung des Afrika-Feldzuges durch Rommel, sowie mit den Grundlagen für die Fortführung der Operationen durch Lybien, wie auch durch die Türkei und Syrien in Richtung auf den Suez-Kanal. Die Bearbeitung einer Operation aus dem Kaukasus in Richtung Persischer Golf wurde eingeleitet!
Am 14. Juli setzte ich das XXXXVI. A.K. mit der SS .Reich“ auf Gorki an und begab mich dann selbst dorthin. Die 10. Panzer-Division erreichte Gorki und Mstislawl nach erheblichen Kämpfen und bedauerlichen Verlusten, besonders an Artillerie. Die 29. (mot.) I.D. war in gutem Fortschreiten auf Smolensk, die 18. Panzer-Division hatte den Dniepr überschritten und ging zur Sicherung der linken Flanke der 29. (mot.) I.D. von Krasnyj nach Norden und Nordosten vor.
Das XXIV. Panzer-Korps hatte seinen Brückenkopf in Richtung Wolkowitschi erweitert und die 1. Kavallerie-Division nach Starij Bychow nachgezogen.
Beim OKH wurden an diesem Tage die ersten Unterlagen für die spätere Kräfteverteilung und Gliederung der im Osten als Besatzungstruppen zu belassenden Verbände bearbeitet. Hierbei wurde von dem Gedanken ausgegangen, in den wichtigsten Industriegebieten und an den wesentlichsten Verkehrsknotenpunkten Kräftegruppen einzusetzen, die in der Lage wären, neben Besatzungsaufgaben durch Vorstoß beweglicher Kräfte in die Weite der nicht durch Truppen belegten Räume sich neu bildenden Widerstand schnell zu zerschlagen. Im Zusammenhang hiermit wurden die Kräfteverteilung des deutschen Heeres im europäischen Raume nach Abschluß der „Barbarossa“-Operation, sowie der Heeresumbau und die mögliche Heeresverminderung überprüft.
Mit diesen Gedankengängen entfernte man sich beträchtlich von der harten Wirklichkeit. Vorerst kam es darauf an, die „Barbarossa“-Operation zu baldigem und erfolgreichem Abschluß zu bringen und die Arbeit hierauf zu konzentrieren.
Am 15. Juli früh hatte ich auf meinem Gefechtsstand den Besuch des Feldmarschalls von Kluge. Sodann fuhr ich zum XXXXVI. Panzer-Korps nach Gorki und von dort zum XXXXVII. Panzer-Korps nach Swjerowitsch (12 km südwestlich Krasnyj). Die 29. (mot.) I.D. hatte den Südrand von Smolensk erreicht, die 18. Panzer-Division den Dniepr nördlich Krasnyj. Die Russen gingen auf der Autobahn von Orscha nach Smolensk mit vier bis fünf Kolonnen nebeneinander zurück. Die 17. Panzer-Division hatte auf dem Ostufer des Dniepr den Ost- und Südteil von Orscha in der Hand. Um 17 Uhr war ich bei Nehring, dessen 18. Panzer-Division in schwerem Kampf bei Gusino stand und der beträchtliche Verluste seiner rückwärtigen Dienste bei Dobryn (24 km südostwärts Orscha) meldete, wo der Feind versuchte, sich der Einschließung durch Ausbrechen nach Osten zu entziehen. Um 17,40 Uhr Weiterfahrt in Richtung Smolensk. Unterwegs Fliegerangriff auf die Generalstaffel, ohne Verluste. Um 19,15 Uhr vor Smolensk Aussprache mit dem 1. Generalstabsoffizier der 29. (mot.) I.D., dem tüchtigen Major Franz, welcher meldete, daß die Division in gutem Vorwärtskommen bei Smolensk sei, allerdings unter fühlbaren Verlusten. Bereits jetzt machte sich der berechtigte Wunsch nach Ersatz an Mannschaften und Gerät geltend. Um 23 Uhr traf ich auf dem inzwischen nach Gorki vorverlegten Gruppengefechtsstand ein.
Am 16. Juli nahm die 29. (mot.) I.D. Smolensk. Sie hatte damit als erste das ihr gesteckte Operationsziel erreicht. Das war eine hervorragende Leistung. Vom Divisionskommandeur, General von Boltenstern, bis zum letzten Schützen hatten alle Angehörigen ihre Pflicht als tapfere Soldaten getan.
Am 16. Juli standen im übrigen:
1. Kavallerie-Division südostwärts Starij Bychow, 4. Panzer-Division zwischen Tscherikow und Kritschew, 3. Panzer-Division zwischen Tschausy und Moljatitschi, 10. (mot.) I.D. südlich Mogilew.
10. Panzer-Division zwischen Chislawitschi und Potschinok, SS „Reich“ dahinter, I.R. „G.D.“ nördlich Mogilew.
29. (mot.) I.D. Smolensk, 18. Panzer-Division bei Krasnij—Gusino, 17. Panzer-Division bei Ljady—Dubrowo.
Die Vorausabteilungen der Infanterie erreichten den Dniepr. Sie waren aus den Aufklärungsabteilungen und den wenigen motorisierten Einheiten zusammengestellt, über welche die Infanterie-Divisionen verfügten. Ihre Kampfkraft war also gering.
Seit dem 13. Juli hatten heftige Gegenangriffe der Russen eingesetzt. Aus Richtung Gomel gingen etwa 20 Divisionen gegen die rechte Flanke der Panzergruppe vor, während gleichzeitig aus Mogilew in südlicher und südostwärtiger Richtung und aus Orscha nach Süden Ausfälle aus den eingeschlossenen russischen Brückenköpfen gemacht wurden. Alle diese Aktionen standen unter der Leitung des Marschalls Timoschenko und hatten offenbar zum Ziel, den gelungenen Dniepr-Übergang noch nachträglich zum Scheitern zu bringen.
Am 16. Juli wurden weitere Antransporte russischer Kräfte auf Gomel und Klinzy, sowie starker Verkehr ostwärts Smolensk erkennbar. Mit Fortsetzung der russischen Bemühungen war also zu rechnen. Trotz dieser schwierigen Lage hielt ich an dem Entschluß fest, die mir gesteckten Ziele schnell zu erreichen. Die Korps setzten unbeirrt ihren Vormarsch fort.
Am 17. Juli flog ich zum XXIV. Panzer-Korps und besuchte die in heftigem Kampf gegen russische Angriffe stehende 1. Kavallerie-Division auf dem rechten Flügel am Dniepr.
An diesem Tage erreichten:
1. Kavallerie-Division südlich Starij Bychow, 10. (mot.) I.D. westlich Tscherikow,
4. Panzer-Division Kritschew, 3. Panzer-Division Lobkowitschi.
10. Panzer-Division zwischen Potschinok und Jelnja, SS „Reich“ Mstislawl, I.R. „G.D.“ Rekotka.
29. (mot.) I.D. Smolensk, 18. Panzer-Division Katyn—Gusino,
17. Panzer-Division Ljady—Dubrowno.
Bei und ostwärts Mogilew, ostwärts Orscha, nördlich und südlich Smolensk traten starke Feindgruppen auf. Hoth gelangte in den Raum nördlich Smolensk. Die uns folgende Infanterie schloß am Dniepr auf.
Der Heeresgruppe „Süd“ gelang es, Brückenköpfe über den Dniestr zu bilden.
An diesem Tage erhielt ich zugleich mit Hoth und Richthofen das Eichenlaub zum Ritterkreuz, als Fünfter im Heere, als 24. in der Wehrmacht.
Am 18. Juli befand ich mich beim XXXXVII. Panzer-Korps. Die 17. Panzer-Division war aus ihrer Flankenschutz-Aufgabe ostwärts Orscha in den Raum südlich Smolensk gezogen, um den von Süden gegen die Stadt vorgehenden Russen entgegenzutreten. Bei den Kämpfen, die sich hier entwickelten, wurde der tapfere Führer dieser Division, General Ritter von Weber, tödlich verwundet.
In den folgenden Tagen nahm das XXXXVI. Panzer Korps Jelnja und die Umgebung dieser Stadt gegen zähen russischen Widerstand in befestigten Stellungen. Die Kämpfe in der rechten Flanke und im Rücken der Korps gingen weiter.
Bis zum 20. Juli erreichten:
1. Kavallerie-Division südostwärts Starij Bychow, 10. (mot.) I.D. westlich Tscherikow, 4. Panzer-Division Tscherikow—Kritschew, 3. Panzer-Division Lobkowitschi.
10. Panzer-Division Jelnja, SS „Reich“ Kusino, I.R. .G.D.“ westlich Chislawitschi.
17. Panzer-Division südlich Smolensk, 29. (mot.) I.D. Smolensk,
18. Panzer-Division Gusino.
Die russischen Gegenangriffe beim XXIV. Panzer-Korps und auf Smolensk dauerten an; neue Angriffe entwickelten sich bei Jelnja. Die uns folgende Infanterie überschritt den Dniepr. Hoth war im Begriff, nordostwärts Smolensk starke russische Kräfte einzuschließen. Hierzu bedurfte es der Mitwirkung der Panzergruppe 2 von Süden, in Richtung auf Dorogobush. Ich hatte den lebhaften Wunsch, ihm zu helfen, und begab mich am 21. Juli zum XXXXVI. Panzer-Korps, um die erforderlichen Bewegungen zu veranlassen. Der Süd- und Westteil von Smolensk lag unter feindlichem Artilleriefeuer, so daß ich die Stadt in einem Bogen querfeldein umfahren mußte. Gegen Mittag erreichte ich bei Sloboda ein Regiment der 17. Panzer-Division, das die Südostflanke sicherte. 45 km südostwärts Smolensk traf ich sodann den Gefechtsstand des XXXXVI. Panzer-Korps in Kisseljewka, unterrichtete mich über die Lage und besichtigte sodann die Stellungen des I.R. „G.D.“ südlich Bhf. Waskowo, 35 km nördlich von Roslawl, gegenüber zur Zeit noch schwachem Feind mit Artillerie. Alle Kräfte des XXXXVI. Panzer-Korps waren in Kämpfe verstrickt und im Augenblick gebunden. Ich entschloß mich daher, I.R. „G.D.“ durch die in den nächsten Tagen bei Gusino am Oberlauf des Dniepr entbehrlich werdende 18. Panzer-Division abzulösen, um das XXXXVI. Panzer-Korps in die Lage zu versetzen, mit Nachdruck zur Unterstützung Hoth's einzugreifen. Vom Gefechtsstand des XXXXVI. Panzer-Korps aus gab ich durch Funkspruch die erforderlichen Befehle. Dieses Korps sollte alle verfügbaren Kräfte in Richtung Dorogobush ansetzen, der Nahkampfführer der Flieger die im Gange befindlichen russischen Gegenangriffe südostwärts Jelnja aus Richtung Spasz-Djemjenskoje abwehren. Während der Rückfahrt erhielt ich mehrere Funksprüche meines Stabes, die auf Veranlassung höherer Stellen den Einsatz der SS „Reich“ in Richtung Dorogobusch dringend machten. Es konnte jedoch im Augenblick nicht mehr getan werden, als durch das XXXXVI. Panzer-Korps bereits veranlaßt war. Auch vom XXXXVII. Panzer-Korps, bei dem ich auf dem Rückweg noch einmal vorsprach, war zur Zeit nicht mehr zu erreichen. Alles hing davon ab, bald die 18. Panzer-Division aus dem Flankenschutz bei Gusino herauszuziehen und dadurch die Kräfte zum Vorgehen nach Norden frei zu machen. Aber gerade hier griff Feldmarschall von Kluge in seiner Sorge um die linke Flanke der Panzergruppe längs des Dniepr wiederholt persönlich ein und hielt die 18. Panzer-Division fest, wieder, wie bei Bialystok, ohne mich von seinen unmittelbaren Eingriffen in Kenntnis zu setzen. Für den Angriff auf Dorogobusch fehlten infolgedessen leider die Kräfte. Abends durch feindliches Artilleriefeuer bei Smolensk, das meinen wackeren Kraftradmelder Höllriegel aus dem Sattel warf – zum Glück, ohne ihn zu verletzen – zum Gruppengefechtsstand Chochlowo, westlich der Stadt.
Die Stadt Smolensk hatte durch die um sie geführten Kämpfe wenig gelitten. Die 29. (mot.) I.D. war nach der Eroberung der südlich des Dniepr gelegenen Altstadt am 17. Juli über den Fluß gegangen und hatte auf dem Nordufer das Industrieviertel der Stadt genommen, um die Verbindung mit Hoth zu erleichtern. Gelegentlich eines Stellungsbesuches in diesen Tagen sah ich mir die Kathedrale an. Sie war unversehrt. Beim Betreten überraschte den Besucher ein Gottlosenmuseum, mit dem der Eingang und die linke Hälfte des Gotteshauses ausgestattet war. Am Tor stand die Figur eines Almosen erflehenden Bettlers aus Wachs. Innen stellten lebensgroße Wachsfiguren die bürgerlichen Stände in beachtlicher Übertreibung dar, um zu zeigen, wie sie das Proletariat benachteiligt und ausgebeutet hätten. Schön war das nicht. Die rechte Hälfte der Kirche war dem religiösen Gebrauch überlassen. Man hatte wohl versucht, die silbernen Altargeräte und Leuchter zu bergen, war aber bis zu unserem Erscheinen nicht mehr fertig geworden. Jedenfalls lag dieser große Schatz auf einem Haufen in der Mitte des Raumes. Ich ließ nach einem Russen fahnden, dem ich die Verantwortung für die wertvollen Geräte übergeben könnte. Man fand den Küster, einen alten Mann mit großem weißem Bart, den ich durch einen Dolmetscher beauftragte, die Kostbarkeiten unter seine Obhut zu nehmen und zu entfernen. Die wertvollen, vergoldeten Holzschnitzereien der Ikonostase waren unversehrt. Was später aus der Kirche geworden ist, weiß ich nicht. Wir haben uns damals jedenfalls bemüht, sie zu erhalten.
Am 23. Juli traf ich in Talaschkino, 15 km südlich Smolensk, den an General Ritter von Webers statt mit der Führung der 17. Panzer-Division beauftragten General Ritter von Thoma, einen unserer ältesten und erfahrensten Panzeroffiziere, der sich durch seine eiserne Ruhe und hervorragende Tapferkeit bereits im ersten Weltkrieg und in Spanien ausgezeichnet hatte und sich nun erneut bewährte. Die Division hielt die Verbindung zwischen dem XXXXVI. und XXXXVII. Panzer-Korps aufrecht und sicherte am Dniepr gegen die von der 4. Armee immer noch befürchteten russischen Durchbruchsversuche nach Süden. Im Walde 11 km westlich Jelnja lag der Gefechtsstand des XXXXVI. Panzer-Korps. General Vietinghoff berichtete über die russischen Gegenangriffe auf Jelnja, die von Süden, Osten und Norden unter sehr starker Artillerie-Unterstützung vor sich gingen. Wegen des erstmals auftretenden Munitionsmangels konnte das Korps nur die wichtigsten Ziele bekämpfen. Vietinghoff wollte, sobald I.R. „G.D.“ durch die 18. Panzer-Division abgelöst sei, in Richtung Dorogobush zur Unterstützung Hoth's antreten. Bisher waren alle Versuche, über den Usha-Abschnitt nordwestlich Jelnja in Richtung Swirkolutschje vorwärtszukommen, gescheitert. Die in unseren Karten als „gut“ eingetragene Straße Glinka—Klimjatino bestand tatsächlich garnicht. Die Wege nach Norden waren sumpfig und für Kraftfahrzeuge nicht passierbar. Alle Bewegungen mußten sich zu Fuß vollziehen und waren daher sehr anstrengend und zeitraubend.
Sodann fuhr ich zur 10. Panzer-Division, wo General Schaal eine eindrucksvolle Schilderung der bisherigen Kämpfe um Jelnja gab. Seine Truppen hatten an einem Tage 50 Feindpanzer abgeschossen, waren dann aber an den gut ausgebauten Stellungen der Russen festgefahren. Er rechnete mit dem Ausfall eines Drittels seiner Fahrzeuge. Die Munition mußte in einem Landmarsch von 450 km herangebracht werden.
Schließlich noch zur SS „Reich“ nördlich Jelnja. Die Division hatte tags zuvor 1100 Gefangene gemacht, war aber zwischen Jelnja und Dorogobush nicht vorwärts gekommen. Starke russische Bombenangriffe hatten das Vorgehen verzögert. Ich begab mich zu den vordersten Postierungen, den Kraftradschützen unter dem tapferen Hauptsturmführer Klingenberg, um einen persönlichen Eindruck von Gelände und Lage zu gewinnen. Das Ergebnis war die Überzeugung, daß das Eintreffen von I.R. „G.D.“ abgewartet werden müsse, bevor der Angriff in Richtung Dorogobush anfangen könne.
Um 23 Uhr auf dem neuen Gruppengefechtsstand 2 km südlich Prudki.
Die starken russischen Angriffe setzten sich in den nächsten Tagen mit unverminderter Heftigkeit fort. Trotzdem konnten auf dem rechten Flügel noch Fortschritte erzielt werden, während in der Mitte die 18. Panzer-Division und die ersten Infanterie-Divisionen als willkommene Verstärkungen eintrafen. Die Versuche, in Richtung Dorogobush vorwärtszukommen, scheiterten allerdings völlig.
Aus den Aufklärungsergebnissen der letzten Tage ergab sich, daß mit dem Auftreten von 4 neuen russischen Armee-Stäben ostwärts der Linie Nowgorod-Sewerskj – westlich Brjansk—Jelnja—Rshew—Ostaschkow, in weichet die Russen schanzten, zu rechnen ist.
Bis zum 25. Juli erreichten:
1. Kavallerie-Division den Raum südostwärts Nowij Bychow, 4. Panzer-Division Tschernikow—Kritschew, 10. (mot.) I.D. Tschewikow, 3. Panzer-Division Lobko-witschi.
263. I.D., MG-Batl. 5, I.R. „G.D.“, 18. Panzer-Division und 292. I.D. den Raum südlich Prudki und den Flugplatz Schatalowka, auf dem unsere Nahkampfflieger eingefallen waren, und den wir deshalb gegen Beschuß durch russische Artillerie und Granatwerfer sichern mußten. 10. Panzer-Division Jelnja, SS „Reich“ nördlich Jelnja.
17. Panzer-Division Tschenzowo und südlich, 29. (mot.) I.D. südlich Smolensk, 137. I.D. Smolensk.
Feindliche Kavallerie trat bei Bobruisk an der Rollbahn auf.
Am 26. Juli setzten die Russen ihre Angriffe bei Jelnja fort. Ich beantragte die Zuführung der 268. I.D., um die Front im Jelnja-Bogen zu verstärken und den Panzern die ihnen nach den anstrengenden Märschen und Kämpfen dringend nötige Ruhe und Zeit zum Überholen des Geräts geben zu können. Mittags bei der 3. Panzer-Division gratulierte ich Model zum wohlverdienten Ritterkreuz und ließ mir von ihm über den Zustand seiner Division berichten. Anschließend bei der 4. Panzer-Division Zusammentreffen mit den Generalen Frhr. von Geyr und Frhr. von Langermann. Gegen Abend kam die Nachricht, daß die Russen bei der 137. I.D. in den Brückenkopf Smolensk auf dem Nordufer des Dnjepr eingebrochen waren.
Die Funkaufklärung hatte ergeben, daß zwischen der russischen 21. Armee in Gomel, der 13. Armee in Rodnja und der 4. Armee südlich Roslawl ein Zusammenhang bestand.
Bei Hoth war es an diesem Tage gelungen, den Kessel ostwärts Smolensk von Norden her zu schließen. Die Reste von etwa 10 russischen Divisionen gerieten damit in die Gewalt der Panzergruppe 3. In unserem Rücken wurde der noch bei Mogilew befindliche, starke Feind vernichtet.
Nach Rückkehr auf den Gefechtsstand erhielt ich um 22 Uhr die Aufforderung der Heeresgruppe, am nächsten Tage um 12 Uhr zu einer Besprechung auf dem Flugplatz Orscha zu sein. Diese Aussprache war um so nötiger, als sich in den letzten Tagen Verschiedenheiten in den Auffassungen über die Lage herausgestellt hatten, die dringend der Klärung bedurften. Während nämlich die 4. Armee die Bedrohung des Raumes von Smolensk für sehr ernst ansah, waren wir bei der Panzergruppe der Auffassung, daß der gefährlichere Feind nunmehr im Süden bei Roslawl und ostwärts bei Jelnja stünde. Infolge des Festhaltens von Verbänden am Dniepr westlich von Smolensk waren in den letzten Tagen im Räume von Roslawl Krisen und Verluste verursacht worden, die sich hätten vermeiden lassen. Das Verhältnis zwischen dem Oberbefehlshaber der 4. Armee und mir hatte sich infolgedessen in unerwünschtem Maße verschärft.
Am 27. Juli flog ich, begleitet von dem Chef meines Stabes, Oberstleutnant Frhr. von Liebenstein, über Orscha nach Borissow zum Stabe der Heeresgruppe, um neue Weisungen für die Fortführung der Operationen einzuholen und über den Zustand der Truppe zu berichten. Ich erwartete, die Stoßrichtung auf Moskau oder allenfalls auf Brjansk zu erhalten, erfuhr aber zu meiner Überraschung, daß Hitler einen Stoß der 2. Armee und der Panzergruppe 2 auf Gomel – für die Panzergruppe 2 also in südwestlicher Richtung, in der Richtung auf die Heimat – befohlen habe, um die dort befindlichen 8—10 russischen Divisionen einzukesseln. Uns wurde gesagt, der Führer stehe auf dem Standpunkt, große Umfassungsoperationen seien eine falsche Generalstabslehre, die im Westen Berechtigung gehabt habe. Hier aber komme es darauf an, durch Bilden kleiner Kessel die lebendige Kraft des Feindes zu vernichten. Alle an der Besprechung Beteiligten waren der Ansicht, daß dadurch der Feind immer wieder Zeit erhielte, Neuformationen aufzustellen, mit seinen unerschöpflichen Kräften rückwärtige Linien auszubauen, und daß der Feldzug auf diese Weise nie zu dem so dringend notwendigen, schnellen Abschluß gebracht werden könne.
Auch das OKH war wenige Tage vorher ganz anderer Ansicht gewesen. Zum Beweise meiner Behauptung sei nachstehende Eintragung aus einer mir zugänglichen, dienstlichen Quelle angeführt; sie stammt vom 23. Juli 1941 und lautet: „Der Entschluß für den weiteren Ansatz zur Fortsetzung der Operationen geht von der Auffassung aus, daß mit dem Erreichen des durch die Aufmarschanweisung gegebenen 1. Operationszieles die Masse des operationsfähigen russischen Heeres geschlagen ist. Es wird andererseits damit gerechnet, daß der Gegner mit Hilfe seiner starken personellen Reserven und durch weiteren rücksichtslosen Einsatz es möglich machen wird, in den für ihn wichtigen Richtungen dem weiteren deutschen Vorgehen zähen Widerstand entgegenzusetzen. Hierbei wird der Schwerpunkt des feindlichen Widerstandes in der Ukraine, vor Moskau und vor Leningrad zu erwarten sein.
Absicht des OKH ist, die noch vorhandenen oder sich neu bildenden feindlichen Kräfte zu zerschlagen und durch rasche Inbesitznahme der wichtigsten Industriegebiete in der Ukraine westlich der Wolga, im Gebiet Tula—Gorki—Rybinsk— Moskau und um Leningrad dem Feind die Möglichkeit einer materiellen Wiederaufrüstung zu nehmen. Die sich hieraus für die Heeresgruppen im einzelnen ergebenden Aufgaben und die im großen vorgesehene Kräfteverteilung werden zunächst durch o. a. Fernschreiben festgelegt und in einer Weisung näher ausgearbeitet.“
Gleichviel welchen Entschluß Hitler nun endgültig fassen würde, für die Panzergruppe 2 war es notwendig, zunächst einmal mit dem gefährlichsten Feind in der rechten Flanke abzurechnen. Ich trug daher dem Oberbefehlshaber der Heeresgruppe meinen Entschluß zum Angriff auf Roslawl vor, um von diesem Straßenknotenpunkt aus die Wege nach Osten, Süden oder Südwesten in gleicher Weise zu beherrschen, und bat um die Unterstellung der hierzu notwendigen Kräfte.
Der Panzergruppe 2 wurden in Genehmigung meines Antrages unterstellt:
a) für den Angriff auf Roslawl das VII. A.K. mit der 7., 23., 78. und 197 I.D., das IX. A.K. mit der 263., 292. und 137. I.D.
b) für die Ablösung der ruhe- und instandsetzungsbedürftigen Panzer-Divisionen im Jelnja-Bogen das XX. A.K. mit der 15. und 268. I.D.
Die 1. Kavallerie-Division war inzwischen der 2. Armee unterstellt worden.
Die Unterstellung der Panzergruppe unter die 4. Armee wurde aufgehoben. Meine Truppen führten für die nächste Zeit die Bezeichnung „Armeegruppe Guderian“.
Der Angriff zur Beseitigung der Flankenbedrohung von Roslawl wurde folgendermaßen angesetzt:
Das XXIV. Panzer-Korps hatte mit zwei Divisionen, der 10. (mot.) I.D. und der 7. I.D. vom VII. A.K. den Schutz der tiefen rechten Flanke gegen den vom Feinde besetzten Raum Klimowitschi—Miloslawitschi zu übernehmen. Mit der 3. und 4. Panzer-Division hatte es den Auftrag, Roslawl zu nehmen und von dort Verbindung mit dem von Norden zwischen Oster-Bach und Desna angesetzten IX. A.K. sicherzustellen.
Das VII. A.K. hatte mit der 23. und 197. I.D. über Petrowitschi—Chislawitschi im Anschluß an die 3. Panzer-Division gegen die Straße Roslawl—Stodolischtsche— Smolensk vorzugehen. Die 78. I.D. folgte in zweiter Linie.
Das IX. A.K. sollte mit der 263 I.D. zwischen der genannten Chaussee und dem Oster-Bach, mit der 292. I.D. zwischen Oster-Bach und Desna von Norden nach Süden mit Schwerpunkt links gegen die Straße Roslawl—Jekimowitschi—Moskau vorgehen. Den Schutz seiner linken Flanke hatte die von Smolensk herangezogene 137. I.D. zu übernehmen. Außerdem wurde es durch Teile des XXXXVTI. Panzer-Korps, besonders durch dessen Artillerie, verstärkt.
Der Angriff wurde für das XXIV. Panzer-Korps und VII. A.K. auf den 1. August, für das IX. A.K., welches nicht glaubte, rechtzeitig fertig werden zu können, auf den 2. August angesetzt.
Die nächsten Tage waren der Vorbereitung des Angriffs gewidmet. Insbesondere mußten die neu unterstellten Infanteriekorps, welche bisher kaum gegen die Russen im Gefecht gestanden hatten, mit meinen Angriffmethoden bekannt gemacht werden. Da sie noch nie mit Panzern in so enge Fühlung gekommen waren, gab es gewisse Zweifel, besonders beim IX. A.K., dessen vortrefflicher Kommandierender General Geyer mir als mein früherer Vorgesetzter aus dem Truppenamt des Reichswehrministeriums und aus dem Wehrkreis V, zu welchem Würzburg gehört hatte, sehr gut bekannt war. General Geyer war bekannt durch seinen „messerscharfen Verstand“, den schon General Ludendorff im ersten Weltkrieg rühmend erwähnt hat. Er durchschaute nun natürlich die Schwächen meines Angriffverfahrens und brachte sie bei der Aussprache mit den Kommandierenden Generalen zur Sprache. Ich versuchte, seine Bedenken gegen meine Taktik mit den Worten zu beseitigen: „Dieser Angriff ist Mathematik!“ was besagen sollte: „Sein Erfolg ist gewiß.“ General Geyer war aber keineswegs überzeugt, daß dem so sein würde, und ich hatte in der kleinen russischen Schulstube, in welcher die Zusammenkunft stattfand, eine schweren Stand gegen meinen alten Chef. Erst auf dem Gefechtsfeld sah er die Richtigkeit des befohlenen Verfahrens ein und hat dann mit großer persönlicher Tapferkeit wesentlich zum Erfolg des Angriffs beigetragen.
Am 29. Juli überbrachte Oberst Schmundt, der Chefadjutant Hitlers, mir das Eichenlaub zum Ritterkreuz und benutzte die Gelegenheit zu einer Aussprache über meine Ansichten. Er führte aus, daß es für Hitler drei Ziele gäbe:
1. Nordost, d.h. Leningrad. Dieses müsse auf alle Fälle genommen werden, um die Ostsee frei befahrbar zu machen für die Zufuhr aus Schweden und den Nachschub für die Heeresgruppe Nord.
2. Moskau, dessen Industrie wichtig sei, und
3. Südosten, also die Ukraine.
Aus seinen Darlegungen ergab sich, daß Hitler noch nicht endgültig zum Angriff auf die Ukraine entschlossen war. Ich legte Schmundt daher dringend ans Herz, bei Hitler für den Durchstoß geradeaus auf Moskau, das Herz Rußlands, einzutreten und ihm abzuraten, kleine Schläge zu führen, die uns nur Verluste brächten, aber nichts entschieden. Außerdem bat ich, die neuen Panzer und die Ersatzteile nicht zurückzuhalten, da sonst dieser Feldzug nicht rasch beendet werden könne.
Am 30. Juli wurden 13 Angriffe auf Jelnja abgewiesen.
Am 31. Juli kam der zum OKH entsandte Verbindungsoffizier, Major von Below, zurück und brachte mir folgende Orientierung: „Die für den 1. Oktober gesteckten Ziele Onega-See—Wolga werden nicht mehr für erreichbar gehalten. Man glaubt mit Sicherheit, die Linie Leningrad—Moskau und südlich erreichen zu können. OKH und der Chef des Generalstabes stehen vor einer sehr undankbaren Aufgabe, da alle Operationen von ganz oben geleitet würden. Der endgültige Entschluß über die Weiterführung der Operationen sei noch nicht gefaßt.“
Von dem endgültigen Entschluß über die Weiterführung der Operationen hing nun allerdings alles ab, selbst eine Einzelfrage, ob der über unsere Front hinausragende Stellungsbogen von Jelnja gehalten werden solle, wenn nicht in Richtung Moskau weiter vorgegangen würde, weil dieser Bogen die Gefahr dauernder, starker Verluste barg. Der Nachschub an Munition für den hier entstehenden Stellungskrieg war unzulänglich. Kein Wunder, denn die Entfernung vom leistungsfähigen Eisenbahnendpunkt betrug 750 km. Die Bahn war zwar schon bis Orscha auf deutsche Spur umgenagelt, sie war aber wenig leistungsfähig. Für die noch nicht umgenagelten Strecken fehlte es an russischen Lokomotiven.
Immerhin war noch Hoffnung vorhanden, daß Hitler zu einem anderen Entschluß käme, als uns bei der Besprechung in Borissow am 27. Juli bei der Heeresgruppe „Mitte“ gesagt worden war.
Am 1. August begann der Angriff auf Roslawl beim XXIV. Panzer-Korps und VII. A.K. Ich begab mich am frühen Morgen zunächst zum VII. A.K., konnte aber längs der Vormarschstraße die Gefechtsstände des Korps und der 23. I.D. nicht finden. Auf der Suche nach ihnen erreichte ich gegen 9 Uhr die Reiterspitze der 23. I.D. Da weiter vorne kein Stab mehr sein konnte, hielt ich an und ließ mir von den Reitern berichten, was sie bisher vom Feinde wahrgenommen hätten. Sie waren sehr erstaunt über diesen unerwarteten Besuch. Dann ließ ich das Infanterie-Regiment 67 unter Oberstleutnant Frhr. von Bissing, meinem langjährigen Hausgenossen aus Berlin-Schlachtensee, an mir vorbeimarschieren. Die Bemerkungen der Soldaten, als sie mich erkannten, verrieten gleichfalls freudiges Erstaunen. Auf dem Wege zur 3. Panzer-Division geriet ich sodann auf der Marschstraße der 23. I.D. in einen Bombenangriff eigener Flieger, der ernste Verluste hervorrief. Die erste Bombe schlug 50 m vor meinem Wagen ein. Mangelhafte Ausbildung und ungenügende Fronterfahrung junger Leute hatten trotz deutlicher Kennzeichnung der Truppe und klarer Befehle über die von uns belegten Straßen zu diesem bedauerlichen Vorfall geführt. Abgesehen hiervon hatte sich der Vormarsch der 23. I.D. ohne ernsthaften Widerstand vollzogen.
Nachmittags war ich bei den vordersten Teilen der 3. Panzer-Division hart westlich des Oster-Abschnittes südlich Choronjewo. General Model meldete, daß er die Brücken über den Bach unzerstört genommen und dabei eine feindliche Batterie erobert habe. Ich sprach einer Reihe von Bataillons- und Abteilungskommandeuren an Ort und Stelle meinen Dank für die Leistungen der Truppe aus.
Abends sprach ich noch beim Generalkommando XXIV. Panzer-Korps vor, um mich über das Gesamtergebnis des Tages zu unterrichten, und war um 2 Uhr morgens wieder auf dem Gruppengefechtsstand. Die Fahrt hatte 22 Stunden gedauert.
Das Hauptziel des Angriffs, Roslawl, war genommen!
Am 2. August begab ich mich vormittags zum IX. A.K. Vom Gefechtsstand des I.R. 509 der 292. I.D. konnte man das Zurückgehen der Russen beobachten. Ich setzte die Truppe zum Vorgehen nach Süden an und wies Einwendungen des Korps hiergegen zurück. Dann fuhr ich zum I.R. 507, das mit einer Vorausabteilung auf Kosaki angesetzt wurde. Schließlich begab ich mich noch zu den Regimentern und zum Stabe der 137. I.D. und versah sie mit der Weisung, während 'der Nacht weiter zu marschieren, um die Moskauer Chaussee bald zu erreichen. Um 22,30 Uhr war ich auf meinem Gefechtsstand zurück.
Sehr überzeugend waren die Leistungen des IX. A.K. am 2. August nicht gewesen. Daher entschloß ich mich, am 3. August erneut bei diesem Korps zu weilen, um das Vorgehen in Fluß zu bringen und den Erfolg des Angriffs sicherzustellen. Ich fuhr zunächst zum Gefechtsstand der 292. I.D. bei Kowali und von dort zum I.R. 507. Auf diesem Wege traf ich den Kommandierenden General und hatte mit ihm eine eingehende Aussprache über die Kampfführung. Beim I.R 507 marschierte ich sodann zu Fuß bei der vordersten Kompanie mit und verhinderte auf diese Weise ohne viele Worte unnötige Halte. Drei Kilometer vor der großen Moskauer Straße erkannte man durchs Glas Panzer nordostwärts Roslawl. Alles hielt prompt. Ich ließ darauf von dem Sturmgeschütz, das die Infanteriespitze begleitete, weiße Leuchtzeichen abschießen, das Zeichen für eigene Truppen: «Hier bin ich!“ und erhielt die Antwort durch das gleiche Signal von der Moskauer Straße. Es waren meine Panzermänner vom Panzer-Regiment 35 der 4. Panzer-Division!
Nun setzte ich mich in meinen Wagen und fuhr zu meinen Panzern. Die letzten Russen warfen die Gewehre fort und flohen, und an der Moskauer Chaussee, an der gesprengten Brücke über den Ostrik-Fluß, kletterten die Männer der 2. Kompanie des Panzer-Regiments 35 über Balken und Bretter, um mich zu begrüßen. Es war die Kompanie, die bis vor kurzem noch mein ältester Sohn geführt hatte. Er besaß das Herz seiner Soldaten, und sie übertrugen ihr Vertrauen und ihre Zuneigung auf mich. Oberleutnant Krause, der nunmehrige Kompanieführer schilderte seine Erlebnisse und ich beglückwünschte die Kompanie zu ihren Leistungen.
Der Kessel um die Russen bei Roslawl war hiermit geschlossen. 3—4 russische Divisionen mußten in ihm eingeschlossen sein. Es kam nur darauf an, den Ring zu halten, bis die Russen sich ergaben. Als daher eine halbe Stunde später General Geyer gleichfalls an Ort und Stelle erschien, wies ich ihn eindringlich auf die Wichtigkeit des Haltens der Moskauer Chaussee hin. Die 292. I.D. sollte die Einschließung mit der Front nach Westen zum Kessel hin, die 137. I.D. mit der Front nach Osten längs der Desna sichern.
Auf meinen Gefechtsstand zurückgekehrt, erfuhr ich, daß beim VII. A.K. bereits 3700 Gefangene, 60 Geschütze, 90 Panzer und ein Panzerzug erbeutet waren.
Inzwischen tobten bei Jelnja die schweren Kämpfe unter erheblichem Munitionsverbrauch weiter. Wir gaben unsere letzte Reserve, die Sicherungskompanie des Gruppengefechtsstandes dorthin ab.
Am 3. August hatten erreicht: 4. Panzer-Division Roslawl,
7. I.D. und 3. Panzer-Division westlich Klimowitschi, 10. (mot.) I.D. Chislawitschi, 78. I.D. Ponetowka, 23. I.D. Roslawl, 197. I.D. nördlich Roslawl, desgleichen MG-Btl. 5.
263. I.D. südlich Prudki, 292. I.D. Kosaki, 137. I.D. die Ostflanke an der Desna.
10. Panzer-Division, 268. I.D., SS „Reich“, I.R. „G.D.“ um Jelnja, 17. Panzer-Division nördlich Jelnja, 29. (mot.) I.D. südlich Smolensk, 18. Panzer-Division Prudki.
Das Generalkommando XX. A.K. traf gerade ein.
Für den 4. August früh wurde ich zum Hauptquartier der Heeresgruppe befohlen, um zum erstenmal seit Beginn des Rußlandfeldzuges Hitler Vortrag zu halten. Wir standen vor einem entscheidenden Wendepunkt des Krieges!
Moskau oder Kiew?
Die Besprechung mit Hitler fand in Nowy Borissow im Hauptquartier der Heeresgruppe „Mitte“ statt. Zugegen waren Hitler und Schmundt, Feldmarschall von Bock, Hoth und ich, sowie als Vertreter des OKH Oberst Heusinger, Chef der Operationsabteilung. Wir hatten Gelegenheit, nacheinander unseren Standpunkt vorzutragen und zwar einzeln, so daß niemand wußte, was der Vorredner gesagt hatte. Alle Generale der Heeresgruppe urteilten übereinstimmend, daß die Fortsetzung der Offensive auf Moskau entscheidend wäre. Hoth meldete den 20. August als den frühesten Zeitpunkt ihres Beginns bei seiner Panzergruppe; ich gab den 15. August als solchen an. Dann begann in Gegenwart aller Hitler zu sprechen. Er bezeichnete als sein erstes Ziel das Industriegebiet um Leningrad. Ob sodann Moskau oder die Ukraine erstrebt werden sollte, wurde noch nicht endgültig entschieden. Hitler schien der letzteren Lösung zuzuneigen, weil sich jetzt auch bei der Heeresgruppe „Süd“ ein Erfolg anzubahnen schien, weil er ferner glaubte, die Rohstoffe und Lebensmittel der Ukraine für die weitere Kriegführung nötig zu haben, und schließlich, weil er glaubte, die Halbinsel Krim als „Flugzeugträger der Sowjetunion gegen die Erdölfelder Rumäniens“ ausschalten zu müssen. Bis zum Einbruch des Winters hoffte er im Besitz von Moskau und Charkow zu sein. Eine Entscheidung über diese, für uns wesentlichste Frage der Kriegführung wurde an diesem Tage nicht getroffen.
Die Besprechung wandte sich dann Einzelfragen zu. Für meine Panzergruppe war wichtig, daß eine Räumung des Jelnja-Bogens abgelehnt wurde, weil sich noch nicht übersehen ließ, ob dieser Vorsprung nicht doch als Ausgangsstellung für den Angriff in Richtung Moskau benötigt würde. Ich betonte, daß der starke Verschleiß unserer Motoren durch die ungeheure Staubplage deren Erneuerung dringlich mache, wenn man noch in diesem Jahre weitreichende Operationen mit Panzern zu führen gedächte. Auch der Ersatz der ausgefallenen Panzer aus der Neuerzeugung sei dringlich. Hitler sicherte nach einigem Hin und Her 300 Panzermotoren für die ganze Ostfront zu, eine Zahl, die ich als völlig ungenügend bezeichnete. Neue Panzer wurden uns überhaupt nicht zugebilligt, weil Hitler sie für Neuformationen in der Heimat zurückhalten wollte. Bei der Debatte hierüber hielt ich ihm die starke Überlegenheit der Russen an Panzern entgegen, der wir nur gewachsen wären, wenn die Verluste bald ausgeglichen würden. Hierbei entfuhr Hitler der Satz: „Wenn ich gewußt hätte, daß die Panzerzahlen der Russen, die Sie in Ihrem Buch erwähnt haben, tatsächlich stimmen, dann hätte ich – glaube ich – diesen Krieg nicht angefangen.“ Ich hatte in meinem 1937 erschienenen Buch „Achtung! Panzer!“ die Zahl der in Rußland bereits damals vorhandenen Panzer mit 10 000 angegeben, mit dieser Ziffer aber den Widerspruch des Chefs des Generalstabes des Heeres Beck und der Zensur erregt. Es kostete Mühe, diese Ziffer drucken zu lassen; ich konnte aber nachweisen, daß die mir zur Verfügung stehenden Nachrichten von 17 000 Russenpanzern sprachen und ich also mit meiner Angabe für die Veröffentlichung sehr vorsichtig gewesen war. Man kann ja nicht durch die Politik des Vogels Strauß eine heraufkommende Gefahr bannen; gerade dies aber hatten sowohl Hitler, wie auch sehr maßgebende Ratgeber auf politischem, wirtschaftlichem und auch militärischem Gebiet immer wieder getan. Die Folgen dieses gewaltsamen Verschließens der Augen vor der harten Wirklichkeit wurden verheerend, und wir müssen sie nun tragen. —
Auf dem Rückflug beschloß ich, den Angriff in Richtung auf Moskau auf alle Fälle vorzubereiten.
Auf meinen Gefechtsstand zurückgekehrt, erfuhr ich, daß das IX. A.K. aus Besorgnis vor einem russischen Durchbruch bei Jermolino am Südostrande des Kessels die Moskauer Chaussee freigegeben hatte und daß die Gefahr bestünde, daß die Russen aus dem am 3. August geschlossenen Kessel ausbrechen könnten. Am 5. August früh eilte ich daher zum VII. A.K., um von dort aus die Moskauer Chaussee entlang zu fahren und die Lücke von Süden her wieder zu schließen. Unterwegs traf ich Teile der zum Einsatz bei Jelnja bestimmten 15. I.D. und unterrichtete den Divisionskommandeur kurz über die dortige Lage. Dann ging es zur 197. I.D., wo mir der Divisionskommandeur, General Meier-Rabingen, meldete, daß der Kessel nicht mehr geschlossen sei und die Russen die Moskauer Chaussee jedenfalls mit Feuer beherrschten. Bei der 4. Panzer-Division erfuhr ich, daß die Panzer des Regiments 35 abgelöst seien. Ich machte sofort durch Funkspruch das XXIV. Panzer-Korps für die Sicherung der Moskauer Chaussee verantwortlich und fuhr dann zum VII. A.K. Dieses Korps hatte die Aufklärungs-Abteilung der 23. I.D. bereits beauftragt, einen Ausbruch der Russen aus dem Kessel zu verhindern. Mir schien diese Maßnahme aber unzulänglich, und ich begab mich daher mit dem Chef des Stabes des VII. A.K., Oberst Krebs,[1] einem alten Kameraden von den Goslarer Jägern, nach Roslawl. Dort traf ich die Panzer-Kompanie des Oberleutnants Krause (2./35) auf dem Abmarsch ins Ruhequartier; der Kompanieführer selbst war noch am Feinde. Die Kompanie hatte bis zum Morgen feindliche Durchbruchsversuche abgewehrt, mehrere Geschütze abgeschossen und einige hundert Gefangene gemacht. Dann war sie befehlsgemäß abgerückt. Ich drehte die wackere Kompanie sofort um und befahl ihr, die alte Linie wieder zu besetzen. Dann setzte ich das II. I.R. 332 an die Ostrik-Brücke in Marsch, alarmierte schließlich noch bei Roslawl verfügbare Flak-Artillerie und fuhr dann selbst an die Front. Ich traf gerade in dem Augenblick an der Ostrik-Brücke ein, als eine Gruppe von etwa 100 Russen sich vom Norden her der Brücke näherte. Sie wurde vertrieben. Die Panzer überschritten die in •den letzten Tagen wieder fahrbar gemachte Brücke und verhinderten ein Ausbrechen des Gegners. Nachdem die Verbindung mit der 137. I.D. durch die Panzer hergestellt war, fuhr ich zum Gefechtsstand des VII. A.K. zurück, übertrug die Aufsicht über die gefährliche Stelle an der Moskauer Chaussee dem bewährten, ausgezeichneten österreichischen General Martinek, dem Artillerieführer des VII. A.K., und flog im Storch auf meinen Gefechtsstand. Das IX. A.K. wurde von dort angewiesen, für Verbindung mit der Gruppe Martinek zu sorgen.
Mein Stab erhielt nun von mir den Auftrag, den Vormarsch auf Moskau dergestalt vorzubereiten, daß die Panzerkorps auf dem rechten Flügel längs der Moskauer Chaussee angesetzt werden konnten, während die Infanteriekorps in der Mitte und auf dem linken Flügel vorgeführt werden sollten. Ich wollte mit Schwerpunkt rechts die zur Zeit recht dünne, russische Front beiderseits der Moskauer Chaussee durchstoßen und über Spasz Djemjenskoje auf Wjasma aufrollen, hierdurch Hoth's Vorgehen erleichtern und den Vormarsch auf Moskau in Fluß bringen. In Verfolg dieses Gedankens sträubte ich mich am 6. August, einem Wunsch des OKH stattzugeben, Panzerdivisionen für den Angriff auf Rogatschew, am Dniepr weit hinter meiner Front gelegen, abzugeben. Meine Aufklärung stellte an diesem Tage fest, daß im weiten Umkreis um Roslawl kaum noch Feind vorhanden war. In Richtung Brjansk und nach Süden stand 40 km weit kein Feind mehr. Dieser Eindruck bestätigte sich am nächsten Tage.
Bis zum 8. August ließ sich das Ergebnis der Schlacht von Roslawl einigermaßen übersehen. Wir hatten 38 000 Gefangene gemacht und 200 Panzer und ebensoviele Geschütze erbeutet. Ein sehr erfreuliches und beachtliches Ergebnis.
Bevor jedoch der Angriff auf Moskau oder irgend eine andere Operation unternommen werden konnte, mußte noch eine Voraussetzung erfüllt werden: die Sicherung unserer tiefen, rechten Flanke bei Kritschew. Die Bereinigung dieser Flanke war auch unerläßlich, um die Angriffshandlungen der 2. Armee gegen Rogatschew zu ermöglichen. Die Heeresgruppe versprach sich außerdem, ebenso wie die Panzergruppe, daß durch sie die Abgabe von Panzerkräften an die 2. Armee und der mit den weiten Märschen (Roslawl—Rogatschew = 200 km, hin und zurück = 400 km) verbundene Verschleiß an Gerät unnötig gemacht würde. Beide Stäbe sahen das große Ziel in der Fortsetzung der Bewegungen auf Moskau. Trotz dieser klaren Erkenntnis kamen noch wiederholte Anforderungen der Heeresgruppe – anscheinend auf Drängen des OKH – „einige Panzer in Richtung Propoisk abzugeben“. Alle diese Erörterungen wurden durch den Entschluß des Generals Frhr. von Geyr erledigt, der den ständigen Belästigungen in seiner rechten Flanke durch Angriff auf den Feind südlich Kritschew, bei Miloslawitschi, den Boden entziehen wollte. Ich stimmte diesem Entschluß zu und erreichte auch die Genehmigung der Heeresgruppe, die auf die Abstellung von Panzern nach Propoisk verzichtete.
Am 8. August begab ich mich zu den Korps und Divisionen bei Roslawl und südlich, und am 9. August nahm ich am Angriff des XXIV. Panzer-Korps bei der 4. Panzer-Division teil. Die Angriffe des Panzer-Regiments 35 und des Schützen-Regiments 12 verliefen mustergültig und wurden durch die Artillerie des Oberst Schneider sachgemäß unterstützt.
Für die Haltung der Bevölkerung war kennzeichnend, daß Frauen aus einem Dorf im Kampfgelände mit Brot, Butter und Eiern auf Holztellern an mich herantraten und nicht eher ruhten, als bis ich etwas genossen hatte. Leider hielt diese günstige Stimmung der Bevölkerung gegenüber den Deutschen nur so lange an, wie die wohlwollende Militärverwaltung regierte. Die sogenannten „Reichskommissare“ haben dann in kurzer Zeit verstanden, jede Sympathie für die Deutschen abzutöten und damit dem Partisanenunwesen den Boden zu bereiten.
Aus mir nicht bekannten Gründen wurde am 10. August die bisher in der Reserve des OKH zurückgehaltene 2. Panzer-Division nach dem Westen, also nach Frankreich, abbefördert.
Das Vorgehen der 2. Armee auf Gomel litt in den letzten Tagen unter grundlosen Wegen; diese Tatsache animierte gerade nicht zum Folgen in die gleiche Gegend.
Bis zum 10. August hatten erreicht:
7. I.D. den Raum südlich Chotowitschi, 3. und 4. Panzer-Division im Angriff die Gegend südwestlich Miloslawitschi, 10. (mot.) I.D. Miloslawitschi, 78. I.D. Sloboda, Vorausabteilung Bucäian, 197. I.D. Ostrowaja, Vorausabteilung Aleschnja.
29. (mot.) I.D. Roslawl, 23. I.D. nördlich Roslawl in Ruhe, 137. I.D. und 263. I.D. die Desna-Front.
268., 292. und 15. I.D. den Jelnja-Bogen.
10. Panzer-Division westlich Jelnja, 17. Panzer-Division nordwestlich Jelnja, 18. Panzer-Division ostwärts Prudki, SS „Reich“ nordwestlich Jelnja, desgleichen I.R. „G.D.“ zur Auffrischung.
Bisher hatten alle Maßnahmen der Panzergruppe dem Gedanken Rechnung getragen, daß sowohl die Heeresgruppe als auch das OKH die Operation in Richtung Moskau als entscheidend ansahen. Ich hatte trotz der Besprechung vom 4. August in Nowy Borissow immer noch gehofft, daß auch Hitler sich dieser – wie mir schien – so natürlichen, ja selbstverständlichen Auffassung anschließen würde. Am 11. August mußte ich diese Hoffnung zu Grabe tragen. Mein Angriffsplan mit Schwerpunkt über Roslawl in Richtung Wjasma wurde vom OKH abgelehnt und als „ausgefallen“ bezeichnet. Einen besseren Plan hat das OKH nicht hervorgebracht, statt dessen aber eine unendliche Kette von Schwankungen in den nächsten Tagen, die jede vorausschauende Planung der nachgeordneten Kommandostellen unmöglich machten. Die Heeresgruppe hatte sich anscheinend mit der Ablehnung meiner Angriffsabsichten abgefunden, obwohl sie noch am 4. August eindeutig dafür eingetreten war. Leider erfuhr ich damals nicht, daß Hitler wenige Tage später dem Gedanken eines Angriffs auf Moskau zustimmte, seine Zustimmung allerdings von der Erfüllung gewisser Voraussetzungen abhängig machte. Jedenfalls hat das OKH den kurzen Augenblick der Zustimmung Hitlers damals nicht, zu nutzen gewußt. Wiederum einige Tage später hatte sich das Blatt erneut gewendet.
Am 13. August besuchte ich die Front an der Desna ostwärts Roslawl, beiderseits der Moskauer Chaussee. Wehen Herzens sah ich die von der Truppe in der sicheren Erwartung des unmittelbar bevorstehenden Vormarsches auf die russische Hauptstadt überall angebrachten Schilder und Wegweiser mit der Inschrift „Nach Moskau“. Die Soldaten, die ich in der vorderen Linie der 137. I.D. sprach, redeten nur von dem baldigen Wiederaufnehmen der Bewegungen in ostwärtiger Richtung.
Am 14. August gingen die Kämpfe beim XXIV. Panzer-Korps im Raume um Kritschew siegreich zu Ende. Die Zerschlagung von drei russischen Divisionen brachte 16 000 Gefangene und große Beute an Geschützen. Kostjukowitschi wurde genommen.
Nachdem mein Angriffsvorschlag abgelehnt war, schlug ich folgerichtig vor, den nunmehr nicht benötigten und ständige Verluste fordernden Jelnja-Bogen aufzugeben. Die Heeresgruppe und das OKH lehnten aber auch diesen Vorschlag ab. Die fade Begründung, „dem Feind gehe es noch viel schlechter als uns“, stieß am Wesen des Vorschlages, dem Sparen von Menschenleben, vorbei.
Am 15. August hatte ich Mühe, dem Ansinnen meiner Vorgesetzten zu widerstehen, die den Erfolg des XXIV. Panzer-Korps zum Vorgehen auf Gomel benutzen wollten. In meinen Augen hätte es sich bei diesem Marsch nach Südwesten um ein Zurückgehen gehandelt. Die Heeresgruppe versuchte, uns eine Panzerdivision für diesen Zweck zu entziehen, berücksichtigte aber nicht, daß man mit einer Division nicht durch den Feind hindurch operieren kann. Man hätte also das ganze XXIV. Panzer-Korps ansetzen und dessen linke Flanke durch weitere Kräfte sichern müssen. Das XXIV. Panzer-Korps hatte zudem bisher seit Beginn der Bewegungen am 22. 6. noch keinen Tag Ruhe gehabt und bedurfte dringend einer Pause zur Instandsetzung der Panzer. Nachdem es gelungen war, die Heeresgruppe zu beruhigen, erfolgte eine halbe Stunde später der Befehl vom OKH, doch eine Panzer-Division auf Gomel zu entsenden. Dem XXIV. Panzer-Korps wurde nunmehr befohlen, mit der 3. und 4. Panzer-Division in vorderer Linie, mit der 10. (mot.) I.D. dahinter, nach Süden in Richtung Nowo Sybkow und Starodub anzutreten, um nach erfolgtem Durchbruch die rechte Flügel-Division auf Gomel abdrehen zu können.
Am 16. August nahm die 3. Panzer-Division den Straßenknotenpunkt Mglin. Die Heeresgruppe „Mitte“ mußte das XXXIX. Panzer-Korps mit der 12. Panzer-Division, der 18. und 20. (mot.) I.D. an die Heeresgruppe „Nord“ abgeben.
Ich übergehe die verschiedenen Schwankungen in der Auffassung der Heeresgruppe „Mitte“, die sich in den Ferngesprächen der nächsten Tage erkennen ließen. Am 17. August blieb der rechte Flügel des XXIV. Panzer-Korps vor starkem Widerstand hängen, während die beiden linken Divisionen, die 10. (mot.) I.D. und vor allem die 3. Panzer-Division über den Eisenbahnknotenpunkt Unetscha hinaus gut vorwärts kamen. Hiermit wurde die Bahn Gomel-Brjansk unterbrochen und ein tiefer Einbruch erzielt. Wie konnte er genutzt werden? Man hätte annehmen sollen, daß die 2. Armee nun in Anlehnung an meinen rechten Flügel mit starkem linken Flügel zum Angriff auf Gomel antreten würde. Dies geschah jedoch merkwürdigerweise nicht. Starke Kräfte der 2. Armee marschierten vielmehr von deren linkem Flügel nach Nordosten ab, weit hinter der Front des XXIV. Panzer-Korps entlang, während dieses in schwerem Kampf bei Starodub—Unetscha stand. Ich wandte mich an die Heeresgruppe, um zu erreichen, daß die Verbände der 2. Armee zunächst einmal den Feind in unserer rechten Flanke angriffen. Dies wurde mir auch zugesagt, aber meine Erkundigungen beim AOK 2, ob es einen entsprechenden Befehl erhalten habe, ergaben im Gegenteil, daß die Heeresgruppe selbst die Verschiebungen in nordostwärtiger Richtung befohlen hatte. Dabei wäre entschlossenes Handeln umso angebrachter gewesen, als bereits seit dem 17. August der Eindruck bestand, daß der Feind Gomel geräumt habe. Bereits an diesem Tage hatte das XXIV. Panzer-Korps den Befehl erhalten, dem Feind bei Unetscha und Starodub den Weg nach Osten zu verlegen.
Am 19. August gewann die Panzergruppe 1 bei der Heeresgruppe „Süd“ einen kleinen Brückenkopf über den Dniepr bei Saporoshje. Bei der 2. Armee wurde Gomel genommen. Bei meiner Armeegruppe erhielt das XXIV. Panzer-Korps den Auftrag, über die Linie Klinzy—Starodub auf Nowosybkow durchzustoßen, während das XXXXVII. Panzer-Korps mit dem Schutz der Ostflanke des XXIV. Panzer-Korps beauftragt wurde. Es stieß bei Potschep auf stärkeren Widerstand.
Der Oberbefehlshaber des Heeres machte unter dem Datum des 18. August einen Vorschlag für die Fortführung der Operationen an der Ostfront an Hitler.
Am 20. August wehrte das XXIV. Panzer-Korps aus der Linie Surash—Klinzy— Starodub feindliche Angriffe ab. Teilkräften gelang der Durchbruch nach Osten südlich von Unetscha. Angriffe auf Jelnja wurden abgewiesen.
Am 20. August ordnete der Feldmarschall von Bock fernmündlich an, nicht mehr in südlicher Richtung auf Potschep am Sudost, am linken Flügel der Panzergruppe 2, „weiterzubohren“. Er wünschte alle Teile der Panzergruppe bei Roslawl in Ruhe zu legen, um für den von ihm erhofften Vormarsch auf Moskau über frische Kräfte verfügen zu können. Er wußte nicht, weshalb die 2. Armee nicht schneller vorwärts gegangen sei; er habe immer zur Eile getrieben.
Am 21. August wurden beim XXIV. Panzer-Korps Kostobobr, 40 km südlich Starodub, beim XXXXVII. Panzer-Korps Potschep genommen.
Am 22. August wurde der Befehl über das XX., IX. und VII. A.K. an die 4. Armee abgegeben. Der Gefechtsstand der Panzergruppe wurde nach Schumjatschi, westlich Roslawl verlegt, um der Masse der Divisionen näher zu sein. An diesem Tage erfolgte um 19 Uhr eine Anfrage der Heeresgruppe, ob es möglich sei, mit verwendungsbereiten Panzerverbänden im Räume Klinzy—Potschep aufzumarschieren zu einer Operation am linken Flügel der 2. Armee in südlicher Richtung zum Zusammenwirken mit der 6. Armee der Heeresgruppe „Süd“. Es ergab sich, daß ein Befehl vom OKH oder OKW vorlag, nach welchem ein schneller Verband sich an dem Angriff der 2. Armee beteiligen sollte. Ich erklärte der Heeresgruppe, daß ich die Verwendung der Panzergruppe in dieser Richtung für grundfalsch, ihre Teilung aber geradezu für ein Verbrechen hielte.
Für den 23. August wurde ich zu einer Besprechung zur Heeresgruppe befohlen, an der der Chef des Generalstabes des Heeres teilnahm. Dieser teilte mit, daß Hitler sich nunmehr entschlossen habe, weder die Operation in Richtung Leningrad noch die in Richtung Moskau auszuführen, sondern sich zunächst in den Besitz der Ukraine und der Krim zu setzen. Der Chef des Generalstabes, Generaloberst Halder, machte einen tief erschütterten Eindruck über das Fehlschlagen seiner Hoffnungen auf eine Weiterführung der Operationen auf Moskau. Es wurde lange verhandelt, was geschehen könne, um den „unabänderlichen Entschluß“ Hitlers dennoch zu ändern. Wir waren uns alle darüber einig, daß die nunmehr befohlene Richtung auf Kiew zwangsweise zu einem Winterfeldzug führen müsse und alle die Schwierigkeiten herbeiführen würde, die zu vermeiden das OKH allen Grund hatte. Ich führte die bereits jetzt hervorgetretenen Wege- und Versorgungsschwierigkeiten an, die sich dem Unternehmen der Panzer in südlicher Richtung entgegenstellen mußten, und äußerte Zweifel, ob das Panzergerät den neuen Strapazen und einem anschließenden Winterfeldzug in Richtung Moskau gewachsen sein würde. Ferner wies ich auf den Zustand des XXIV. Panzer-Korps hin, das seit Beginn der Bewegungen in Rußland noch keinen Tag der Ruhe und Instandsetzung gehabt habe. Mit diesen Hinweisen erhielt der Chef des Generalstabes die Handhabe für einen nochmaligen Einspruch gegen den Entschluß Hitlers. Feldmarschall von Bock verstand mich auch und machte daher nach langem, fruchtlosem Hin und Her den Vorschlag, ich solle den Generaloberst Halder ins Führerhauptquartier begleiten und gegebenenfalls als fronterfahrener General die angeführten Gründe Hitler unmittelbar vortragen, um eine letzte Aktion des OKH zu unterstützen. Dieser Vorschlag wurde angenommen; wir starteten am späten Nachmittag und landeten in der Dämmerung auf dem Flugplatz Lötzen in Ostpreußen.
Nach der Landung meldete ich mich beim Oberbefehlshaber des Heeres. Feldmarschall von Brauchitsch empfing mich mit den Worten: „Ich verbiete Ihnen, mit dem Führer die Frage Moskau zu erörtern. Der Ansatz nach Süden ist befohlen, es handelt sich nur noch um das Wie. Jede Erörterung ist nutzlos.“ Daraufhin bat ich um die Erlaubnis, zu meiner Panzergruppe zurückfliegen zu dürfen, da unter diesen Umständen eine Auseinandersetzung mit Hitler zwecklos sein würde. Dies wollte Feldmarschall von Brauchitsch aber auch nicht. Er befahl mir, zu Hitler zu gehen und über die Lage bei meiner Panzergruppe Vortrag zu halten, „ohne jedoch Moskau dabei zu erwähnen!“
Ich begab mich also zu Hitler und trug in Gegenwart eines großen Kreises von Zuhörern, darunter Keitel, Jodl, Schmundt und anderen, leider jedoch ohne Brauchitsch und Halder oder einen anderen Vertreter des OKH, über die Lage bei meiner Panzergruppe, über ihren Zustand und über die Geländegestaltung vor. Nachdem ich geendet hatte, fragte Hitler: „Halten Sie Ihre Truppen nach den bisherigen Leistungen noch einer großen Anstrengung für fähig?“
Ich antwortete: „Wenn den Truppen ein großes, jedem Soldaten verständliches Ziel gesteckt wird: Ja!“
Darauf Hitler: „Sie meinen natürlich Moskau!“
Ich: „Ja. Erlauben Sie mir, meine Gründe zu nennen, nachdem Sie dieses Thema angeschnitten haben.“
Hitler stimmte zu, und ich setzte gründlich und eindringlich alle die Gründe auseinander, die für die Fortsetzung der Operationen in Richtung Moskau und gegen Kiew sprachen. Ich führte aus, daß es vom militärischen Standpunkt aus nun darauf ankäme, die feindlichen Streitkräfte, die in den letzten Kämpfen schwer gelitten hätten, vollends zu schlagen. Ich schilderte ihm die geographische Bedeutung der Hauptstadt Rußlands, die in ganz anderer Weise als z. B. Paris, die Verkehrs- und Nachrichtenzentrale, der politische Mittelpunkt, ein wichtiges Industriegebiet sei, und deren Fall außerdem voraussichtlich einen ungeheueren moralischen Eindruck auf das russische Volk, aber auch auf die übrige Welt machen müsse. Ich wies auf die Stimmung der Truppe hin, die nichts anderes erwarte, als den Vormarsch auf Moskau, und die hierfür mit Begeisterung alle Vorbereitungen bereits getroffen habe. Ich versuchte darzulegen, daß uns nach Erringen des militärischen Sieges in der entscheidenden Richtung und über die feindlichen Hauptkräfte die Wirtschaftsgebiete der Ukraine umso eher zufallen müßten, als die Eroberung der Verkehrsspinne Moskau den Russen die Möglichkeit von Kräfteverschiebungen von Norden nach Süden außerordentlich erschweren würde. Ich gab zu bedenken, daß die Truppen der Heeresgruppe „Mitte“ für ein Vorgehen in Richtung Moskau bereitstünden, während sie für die beabsichtigte Operation in Richtung Kiew zeitraubende Bewegungen in südwestlicher Richtung machen müßten, also in Richtung auf die Heimat, daß bei einem anschließenden Vorgehen auf Moskau die gleichen Entfernungen – Roslawl— Lochwiza = 450 km – abermals zurückgelegt werden müßten, mit abermaligem Verschleiß von Kraft und Gerät. Ich schilderte den Zustand der Wege in dem mir zugewiesenen Vormarschraum auf Grund der bereits bis Unetscha gemachten Erfahrungen, die bestehenden Nachschubschwierigkeiten, die beim Abdrehen nach der Ukraine von Tag zu Tag größer werden müßten. Schließlich wies ich auf den schweren Nachteil hin, der entstehen müßte, wenn die Operationen nicht so schnell, wie erwartet, beendet werden könnten, sondern in die Schlechtwetterperiode hineinreichen würden. Dann würde es für den geplanten, letzten Schlag auf Moskau in diesem Jahre zu spät werden. Ich schloß mit der Bitte, alle anderen Erwägungen, mochten sie noch so berechtigt erscheinen, hinter der zwingenden Notwendigkeit zurückzustellen, zuerst eine militärische Entscheidung zu erzwingen. Alles andere würde uns dann zufallen.
Hitler ließ mich ausreden, ohne auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen. Dann ergriff er das Wort, um in eingehenden Darlegungen auseinanderzusetzen, weshalb er zu einem anderen Entschluß gekommen sei. Er bezeichnete die Rohstoffe und die Ernährungsbasis der Ukraine als lebensnotwendig für die Fortsetzung des Krieges. In diesem Zusammenhang erwähnte er erneut die Wichtigkeit der Krim, die „als Flugzeugträger der Sowjetunion im Kampfe gegen die rumänischen Ölfelder“ ausgeschaltet werden müßte. Ich vernahm zum ersten Male den Satz: „Meine Generale verstehen nichts von Kriegswirtschaft.“ Hitlers Ausführungen gipfelten in dem strikten Befehl, zum Angriff auf Kiew als nächstem strategischem Ziel unverzüglich anzutreten. Was ich später noch oft erleben sollte, trat hier für mich zum ersten Male in Erscheinung: Alle Anwesenden nickten zu jedem Satze Hitlers und ich stand mit meiner Ansicht allein. Offenbar hatte er die Rede zur Begründung seines merkwürdigen Entschlusses schon öfters gehalten. Ich bedauerte sehr, daß weder Feldmarschall von Brauchitsch noch Generaloberst Halder mich zu diesem Vortrag begleitet hatten, von dessen Ausgang doch auch ihrer Ansicht nach so viel, vielleicht die Entscheidung des Krieges abhing. Angesichts der gegen mich gerichteten Einheitsfront des OKW habe ich an diesem Tage auf weiteres Streiten verzichtet, weil ich damals noch glaubte, dem Oberhaupt des Reiches nicht in Gegenwart seiner ganzen Umgebung eine erregte Szene liefern zu können.
Nachdem die Entscheidung zugunsten des Angriffs auf die Ukraine erneut bestätigt war, bemühte ich mich, sie nun wenigstens in der besten Weise zur Ausführung zu bringen. Daher bat ich Hitler, von der bis dahin geplanten Teilung meiner Panzergruppe abzusehen und zu befehlen, daß die ganze Panzergruppe an die neue Aufgabe zu setzen sei, um einen raschen Erfolg noch vor Eintritt der Herbstwitterung zu erzielen, weil die Herbstregen das straßenlose Land grundlos machen und die Bewegungen motorisierter Verbände lahmlegen würden. Die Erfüllung dieser Bitte wurde mir zugesagt.
Es war lange nach Mitternacht, als ich mein Quartier erreichte. Noch an diesem 23. August war durch das OKH der Befehl an die Heeresgruppe „Mitte“ erteilt worden, daß es nunmehr darauf ankäme, „noch möglichst starke Kräfte der russischen 5. Armee zu vernichten und der Heeresgruppe „Süd“ den Dniepr-Übergang baldmöglichst zu öffnen. Hierzu soll, möglichst unter Generaloberst Guderian, eine Kräftegruppe gebildet werden, die mit rechtem Flügel über Tschernigow vorzutreiben ist.“ Von diesem Befehl wußte ich bei meinem Vortrag vor Hitler nichts. Audi Generaloberst Halder hatte im Laufe des 23. keine Gelegenheit genommen, mich über ihn zu informieren. Am Morgen des 24. August begab ich midi zum Chef des Generalstabes des Heeres und berichtete über den Fehlschlag des letzten Versuches, Hitler doch noch umzustimmen. Ich glaubte, Halder nichts überraschendes damit zu sagen, erlebte aber zu meinem Erstaunen einen Nervenzusammenbruch bei ihm, der ihn zu völlig ungerechtfertigten Beschuldigungen und Verdächtigungen verleitete. Nur aus diesem Nervenzustand Halders erklären sich die von ihm geführten Telefongespräche mit der Heeresgruppe „Mitte“ über mich und die völlig unzutreffenden Darstellungen untergeordneter Angehöriger dieses Stabes in Nachkriegsveröffentlichungen. Besonders böse war er über mein Bestreben, die nun einmal befohlene Operation von Anbeginn mit ausreichenden Kräften unternehmen zu wollen. Er zeigte hierfür nicht das geringste Verständnis und hat es auch in der Folge zu verhindern gewußt. Wir trennten uns, ohne eine Verständigung erreicht zu haben. Ich flog zu meiner Panzergruppe zurück mit dem Befehl, die Bewegungen in Richtung auf die Ukraine am 25. August zu beginnen.
Am 24. August wurde beim XXIV. Panzer-Korps Nowosybkow genommen und der Feind bei Unetscha—Starodub geworfen.
Die Schlacht um Kiew.
Der Befehl Hitlers vom 21. August 1941, der die Grundlage für die bevorstehenden Operationen bildete, hatte in seinen wichtigsten Teilen folgenden Wortlaut:
„Der Vorschlag des Heeres für die Fortführung der Operationen im Osten vom 18. 8. stimmt mit meinen Absichten nicht überein.
Ich befehle folgendes:
1. Das wichtigste noch vor Einbruch des Winters zu erreichende Ziel ist nicht die Einnahme von Moskau, sondern die Wegnahme der Krim, des Industrie- und Kohlen-Gebiets am Donez und die Abschnürung der russischen Ölzufuhr aus dem Kaukasus-Raum, im Norden die Abschließung Leningrads und die Vereinigung mit den Finnen.
2. Die operativ selten günstige Lage, die durch das Erreichen der Linie Gomel— Potschep entstanden ist, muß zu einer konzentrischen Operation mit den inneren Flügeln der Heeresgruppen Süd und Mitte unverzüglich ausgenutzt werden. Ihr Ziel muß sein, die Sowjet. 5. Armee nicht nur durch alleinigen Angriff der 6. Armee hinter den Dniepr zu drücken, sondern diesen Feind zu vernichten, bevor er hinter die Linie des Desna—Konotop—Sula-Abschnitt ausbrechen kann. Dadurch wird die Sicherheit für die Heeesgruppe Süd gegeben, östlich des mittleren Dniepr Fuß zu fassen und die Operationen in Richtung Rostow—Charkow mit der Mitte und dem linken Flügel weiterzuführen.
3. Von der Heeresgruppe Mitte sind hierfür ohne Rücksicht auf spätere Operationen so viele Kräfte anzusetzen, daß das Ziel, die Vernichtung der 5. russischen Armee, erreicht wird und die Heeresgruppe dabei in der Lage bleibt, feindliche Angriffe gegen die Mitte ihrer Front in kräftesparender Stellung abzuwehren.
4. Die Einnahme der Halbinsel Krim ist von allergrößter Bedeutung für unsere gesicherte Ölversorgung aus Rumänien ...“
Dieser Befehl, dessen Wortlaut mir bei meinem Vortrag vom 23. 8. noch unbekannt war, bildete die Unterlage für die nunmehr seitens des OKH und der Heeresgruppe „Mitte“ an meine Panzergruppe erteilten Weisungen. Die herbste Enttäuschung für mich war das Ausscheiden des XXXXVI. Panzer-Korps aus der Panzergruppe. Entgegen der Zusicherung Hitlers bestimmte die Heeresgruppe dieses Korps zur Reserve hinter der Front der 4. Armee im Räume Roslawl— Smolensk. Ich mußte mit den von vornherein als unzulänglich erkannten und bezeichneten Kräften des XXIV. und XXXXVII. Panzer-Korps in die neue Bewegung eintreten. Mein Einspruch hiergegen verhallte bei der Heeresgruppe ungehört.
Als erstes Angriffsziel wurde mir Konotop gesetzt. Die weiteren Weisungen über das Zusammenwirken mit der Heeresgruppe „Süd“ blieben vorbehalten.
Bei der gegenwärtigen Gruppierung der Panzergruppe war es unvermeidlich, dem bereits im Räume um Unetscha befindlichen XXIV. Panzer-Korps die Aufgabe erneuten Durchbruchs durch die Russen zu stellen und ihm gleichzeitig die Sicherung der rechten Flanke gegen den von Gomel nach Osten abfließenden Feind zu übertragen. Dem XXXXVII. Panzer-Korps wurde der Auftrag erteilt, mit der einzigen, sofort verfügbaren Division, der 17. Panzer-Division die linke Flanke der Panzergruppe durch Angriff auf die südlich Potschep auf dem Ostufer des Sudost-Flusses stehenden beträchtlichen russischen Kräfte zu schützen. Der Sudost-Fluß war im übrigen kein Hindernis, auf das man sich in der trockenen Jahreszeit verlassen konnte.
Bereits jetzt deckte die 29. (mot.) I.D. an der Desna und am oberen Sudost einen Raum von 80 km. Ostwärts Starodub stand der Feind noch auf dem Westufer des Sudost-Abschnittes, in der Flanke des XXIV. Panzer-Korps. Nach Ablösung der 29. (mot.) I.D. durch Infanterie betrug die Flanke von Potschep bis zum ersten Angriffsziel Konotop 180 km, und dort fing die Hauptoperation und somit die Hauptbedrohung erst an. Die Stärke des Feindes in der Ostflanke war nur sehr lückenhaft aufzuklären gewesen. Jedenfalls mußte damit gerechnet werden, daß die Kräfte des XXXXVII. Panzer-Korps durch die Aufgabe des Flankenschutzes voll beansprucht würden. Die Kampfkraft der Angriffsspitze litt ferner unter der Tatsache, daß das XXIV. Panzer-Korps ohne Ruhe und Auffrischung an die neue Operation herangehen mußte, nachdem es eine unaufhörliche Folge schwerer Kämpfe und Märsche zu überstehen gehabt hatte.
Am 25. August gingen vor:
Das XXIV. Panzer-Korps mit der 10. (mot.) I.D. über Cholmy und Awdejewka, mit der 3. Panzer-Division über Kostobobr—Nowgorod Sewerskij auf die Desna, während die 4. Panzer-Division zunächst das Westufer des Sudost vom Feinde säuberte und nach Ablösung durch Teile des XXXXVII. Panzer-Korps der 3. Panzer-Division folgen sollte.
Das XXXXVII. Panzer-Korps mit der 17. Panzer-Division über Potschep auf das Südufer des Sudost zum Angriff in Richtung Trubtschewsk, um sodann durch Übergang auf das linke Ufer der Desna und Vorstoß längs dieses Flusses nach Südwesten dem XXIV. Panzer-Korps den Übergang über den breiten Strom zu erleichtern. Die übrigen Kräfte dieses Korps waren noch im Anmarsch aus dem Räume von Roslawl.
Für meine Person begab ich mich am frühen Morgen des 25. August zur 17. Panzer-Division, um dem Angriff über den Sudost und den südlich davon fließenden Rog beizuwohnen. Die Fahrt ging auf elenden Sandwegen unter Reibungen und dem Ausfall mehrerer Fahrzeuge vor sich. Bereits um 12,30 Uhr mußte ich von Mglin Ersatz an Befehlspanzern, Personenkraftwagen und Krafträdern anfordern. Das eröffnete die heitersten Aussichten für die Zukunft. Um 14,30 Uhr erreichte ich den Gefechtsstand der 17. Panzer-Division 5 km nördlich Potschep. Der Kräfteeinsatz für den schwierigen Angriff schien mir zu gering bemessen und zu schmal. Daraus mußte sich ein im Verhältnis zum XXIV. Panzer-Korps zu langsames Vorwärtskommen ergeben. Der Divisionskommandeur, General Ritter von Thoma, und der bald darauf eintreffende Kommandierende General wurden auf diesen Umstand hingewiesen. Um einen Eindruck vom Feinde zu bekommen, begab ich mich in die vordere Linie des Schützen-Regiments 63 und machte einen Teil des Angriffs zu Fuß mit. Die Nacht verbrachte ich in Potschep.
Am 26. August früh suchte ich mit meinem Adjutanten, Major Büsing, eine vorgeschobene Artillerie-Beobachtungsstelle auf dem Nordufer des Rog auf, um mich von der Wirkung unserer Stuka-Bomben auf die russische Flußverteidigung zu überzeugen. Die Bomben lagen gut, die tatsächliche Wirkung war minimal. Immerhin gestattete der moralische Eindruck, der die Russen in ihren Schützenlöchern niederhielt, den Flußübergang fast ohne Verluste. Durch leichtfertiges Verhalten eines Offiziers wurde unser Aufenthalt von russischen Beobachtern erkannt und unter wohlgezieltes Granatwerferfeuer genommen. Ein Treffer in unmittelbarer Nähe verwundete 5 Offiziere, darunter Major Büsing, der auf Tuchfühlung neben mir saß. Wie durch ein Wunder blieb ich unverletzt.
Uns gegenüber standen Russen der 269. und 282. Division. Nachdem ich noch dem Übergang über den Rog und dem Fertigstellen einer Brücke beigewohnt hatte, fuhr ich nachmittags über Mglin zum neuen Gruppengefechtsstand Unetscha. Unterwegs erhielt ich die erfreuliche und überraschende Meldung, daß die 3. Panzer-Division die 700 m lange Desna-Brücke ostwärts Nowgorod Sewerskij durch schneidiges Zupacken der Panzer unter Oberleutnant Buchterkirch (Panzer-Regiment 6) unversehrt genommen habe. Dieser Glücksumstand sollte unsere demnächstigen Operationen wesentlich erleichtern.
Erst gegen Mitternacht traf ich auf dem neuen Gefechtsstand ein. Dort war inzwischen am Nachmittag General Paulus, der Oberquartiermeister I aus dem OKH und operative Mitarbeiter Halders erschienen um sich zu unterrichten. Vollmachten zu Entscheidungen hatte er nicht. Paulus hatte sich in meiner Abwesenheit mit Oberstleutnant Frhr. von Liebenstein über die Lage unterhalten und sich danach mit dem OKH in Verbindung gesetzt, dem er einheitliche Befehlsführung über die linken Flügelkorps der 2. Armee und die Panzergruppe sowie den Einsatz der 1. Kavallerie-Division am linken Flügel der Panzergruppe vorschlug. Er erhielt die mysteriöse Antwort, daß die Unterstellung von Teilen der 2. Armee zur Zeit nicht in Frage komme und die Bewegungen der 2. Armee „nur taktisch zu bewerten seien“. Die 1. Kavallerie-Division blieb bei der 2. Armee, die ihren Schwerpunkt nach rechts legte. Die Panzergruppe erhielt einen Tadel, weil sie „ausholende Bewegungen“ mache. Der Feind an der Desna war aber zu stark, um unbeachtet in der tiefen linken Flanke stehengelassen zu werden, wie dem OKH anscheinend vorschwebte. Er mußte geschlagen werden, bevor wir weiter nach Süden vorgehen konnten. Am nächsten Morgen hatte ich noch eine Aussprache mit Paulus, um ihn in meine Gedankengänge einzuweihen. Ur hat sie auch getreulich dem Chef des Generalstabes des Heeres vorgetragen, ohne bei der herrschenden Animosität damit Eindruck zu machen.
Am 26.August abends stand der linke Flügel der 2. Armee dicht südlich Nowosybkow, die Trennungslinie zur 2. Armee lief von Klinzy über Cholmy auf Sosniza (nordostwärts Makoschino an der Desna), die zur 4. Armee von Surash über Unetscha—Potschep—Brassowo.
Vom XXIV. Panzer-Korps standen die 10. (mot.) I.D. bei Cholmy und Awdejewka, die 3. Panzer-Division an der Desna-Brücke südlich Nowgorod Sewerskij, die 4. Panzer-Division im Kampf mit Feind südostwärts Starodub.
Beim XXXXVII. Panzer-Korps kämpfte die 17. Panzer-Division bei Semzy, südlich Potschep, die 29. (mot.) I.D. sicherte die linke Flanke der Panzergruppe zwischen Potschep und Shukowka. Sie zog ihre Kräfte mit dem Herankommen der Infanterie-Divisionen des XII. und LIII. A.K. nach dem rechten Flügel zusammen. Die 18. Panzer-Division hatte im Anmarsch von Norden mit den vordersten Teilen Roslawl durchschritten.
Senkrecht zu den Bewegungen der Panzergruppe marschierten von Westen nach Osten die 167. I.D. über Mglin, die 31. I.D. nördlich davon, die 34. I.D. über Kletnja, die 52. I.D. über Perelasy, die 267. und 252. I.D. auf der Straße Kritschew—Tscherikow—Propoisk. Alle diese Divisionen gehörten zur 2. Armee. Wäre nur ein Teil von ihnen bei Beginn der Offensive auf Kiew in südlicher Richtung angesetzt worden, so hätte man dem XXIV. Panzer-Korps die wiederholten Krisen seines rechten Flügels ersparen können.
Am 26. August versteifte sich der Widerstand des Gegners vor der 2. Armee an der Desna. Um zu einem schnellen Erfolg zu gelangen, erbat ich das Nachführen des XXXXVI. Panzer-Korps. Meine Bitte wurde von OKH abgelehnt.
Am 29. August griff der Gegner das XXIV. Panzer-Korps mit starken Kräften unter Einsatz von Fliegern von Süden und Westen an. Das Korps war gezwungen, den eigenen Angriff der 3. Panzer-Division und 10. (mot.) I.D. einzustellen. Die 4. Panzer-Division wurde nach Erledigung ihres Auftrages, der Säuberung des westlichen Sudost-Ufers, über Nowgorod Sewerskij an die 3. Panzer-Division herangezogen. Ich überzeugte mich an diesem Tage selbst beim XXIV. Panzer-Korps, sodann bei der 3. und 4. Panzer-Division vom Stande der Dinge und entschloß mich, dem XXIV. Panzer-Korps für den 30. die Beseitigung der Flankenbedrohung von rechts, für den 31. die Fortsetzung des Angriffs nach Südwesten aufzutragen, während das XXXXVII. Panzer-Korps den Angriff auf dem Ostufer des Sudost und später der Desna in Richtung Nowgorod Sewerskij fortsetzen sollte. Um 18 Uhr flog ich mit dem Storch zu meinem Gefechtsstand zurück. Der Ia der Panzergruppe, Oberstleutnant Bayerlein, begleitete mich hierbei zum letzten Male; er war nach Afrika versetzt. Sein Nachfolger wurde Major Wolf.
Bis zum 31. August wurde der Brückenkopf über die Desna wesentlich erweitert, die 4. Panzer-Division über den Fluß gezogen. Die 10. (mot.) I.D. gelangte nördlich Korop über die Desna, wurde aber durch einen heftigen russischen Gegenangriff wieder über den Fluß zurückgeworfen und außerdem in ihrer rechten Flanke von starkem Feind angegriffen. Durch Einsatz der letzten Kräfte, der Mannschaften einer Bäckerei-Kompanie, gelang es mit Mühe, eine Katastrophe des rechten Flügels zu verhindern. Beim XXXXVII. Panzer-Korps griffen die Russen mit der 108., und ab 1. September auch mit der 110. Panzer-Brigade von Trubtschewsk nach Westen und Nordwesten an und bedrängten die tapfere 17. Panzer-Division hart. Die 29. (mot.) I.D. war über die Brücke von Nowgorod Sewerskij nachgezogen worden und dann nach Norden vorgegangen, um die Nordflanke des vom XXIV. Panzer-Korps gebildeten Brückenkopfes zu sichern und der 17. Panzer-Division vorwärts zu helfen. Die 18. Panzer-Division hatte die 4. Panzer-Division am Sudost-Abschnitt zwischen der Einmündung dieses Flusses in die Desna und Potschep abgelöst. Bisher waren seit Beginn der Bewegungen am 25. 8. beim XXIV. Panzer-Korps 7 500, beim XXXXVII. Panzer-Korps 12 00» Gefangene eingebracht worden.
Angesichts der Angriffe auf beiden Flanken und des starken russischen Druckes in der Front, besonders bei der 10. (mot.) I.D., schien es mir zweifelhaft, ob die vorhandenen Kräfte zur Fortsetzung des Angriffs genügen würden. Ich bat daher die Heeresgruppe erneut um Freigabe des XXXXVI. Panzer-Korps. Fürs erste wurde aber am 30.8. nur das I.R. „G.D.“ freigegeben, dem dann am 1.9. die 1. Kavallerie-Division und am 2. 9. die SS-„Reich“ von Smolensk aus folgten. Ein 10 km tiefer Einbruch der Russen bei der 23. I.D. südlich Jelnja führte zum Einsatz der 10. Panzer-Division in frontalem Gegenstoß. I.R'. „G.D.“ wurde nach Nowgorod Sewerskij geleitet, die SS-„Reich“ nach dem rechten Flügel des XXIV. Panzer-Korps. I.R. „G.D.“ traf am 2. September im Brückenkopf von Nowgorod Sewerskij ein, die SS-„Reich“ vom 3. September an auf dem rechten Flügel.
Das tropfenweise Freigeben der Kräfte hatte mich am 1. September zu einem Funkspruch an die Heeresgruppe veranlaßt, in welchem ich um Freigabe des ganzen XXXXVI. Panzer-Korps und darüber hinaus um Zuführung der 7. und 11. Panzer-Division und der 14. (mot.). I.D. bat, von denen ich wußte, daß sie zur Zeit nicht eingesetzt waren. Mit diesem ausreichenden Maß an Kräften wäre meiner Ansicht nach die Operation gegen Kiew zu einem schnellen Ende zu bringen gewesen. Die unmittelbare Folge des Funkspruchs war die Freigabe der SS-„Reich“. Darüber hinaus aber hatten die Funküberwachungsstellen des OKH den Spruch mitgehört, und er schlug nun haushohe Wellen. Dies zeigte sich am 3. September gegenüber dem Verbindungsoffizier des OKH, Oberstleutnant Nagel, führte zu einem Vortrag bei Hitler und zu Maßnahmen des OKW, die für mich recht bedauerlich waren. Hiervon wird noch die Rede sein.
Am 2. September erschien Feldmarschall Kesselring, Befehlshaber einer Luftflotte, zu einer Aussprache bei der Panzergruppe. Er brachte die Nachricht, daß es bei der Heeresgruppe „Süd“ anscheinend vorwärts ginge, und sie mehrere Brückenköpfe über den Dniepr gewonnen habe, über die zukünftige Operationsrichtung herrschte Unklarheit; die Ansichten schwankten zwischen Charkow und Kiew.
An diesem Tage wurden die Generale Model und Ritter von Thoma leicht verwundet.
Am 3. September fuhr ich an den rückwärtigen Teilen der 10. (mot.) I.D. und an den zum Kampf eingesetzten Männern der Bäckerei-Kompanie entlang zu den Kraftradschützen der SS-„Reich“ bei Awdejewka. Westlich dieses Ortes stand der Feind, gegen den die SS-Aufklärungs-Abteilung vorging. Anfänglich herrschte ein ziemliches Durcheinander, das sich aber unter der zielbewußten Führung des Divisionskommandeurs, General Hausser, bald klärte. Diesen traf ich in Awdejewka und trug ihm auf, sich für den 4. September zum Angriff auf Sosnitza bereitzustellen. Das von Roslawl her neu eingetroffene MG-Bataillon 5 wurde ihm unterstellt.
Mittags war ich bei der 10. (mot.) I.D., die in den letzten Tagen schwere Kämpfe mit bitteren Verlusten zu bestehen hatte. Sie erfuhr durch den Einsatz der 4. Panzer-Division auf dem Südufer der Desna eine gewisse Entlastung. Insbesondere hatte der Russe die bereits beobachteten Vorbereitungen für den Übergang über den Fluß eingestellt. Der 10. (mot.) I.D. hatten in den letzten Tagen die 10. russische Panzer-Brigade, die 293., 24., 143. und 42. Division gegenübergestanden, also eine ungeheure Überlegenheit. Ich unterrichtete den Divisionskommandeur, General von Loeper, über die Lage und den Auftrag der benachbarten SS-„Reich“ und stellte die Mitwirkung des rechten Flügels der 10. (mot.) I.D. für den Angriff der SS für den nächsten Tag sicher. Dann begab ich mich in den vom II./I.R. 20 gehaltenen Brückenkopf südlich der Desna, dessen Besatzung einen guten Eindruck machte, und sprach anschließend das I. Bataillon des gleichen Regiments, das vor einigen Tagen den Rückschlag in dem Brückenkopf erlitten, die Scharte aber alsbald wieder ausgewetzt hatte. Auch dieses Bataillon machte einen guten Eindruck, und ich konnte ihm meine Überzeugung aussprechen, daß es auch in Zukunft seine Pflicht erfüllen würde.
Durch Funkspruch erfuhr ich von meinem Stabe, daß die 1. Kavallerie-Division der Panzergruppe wieder unterstellt sei und in Richtung auf den rechten Flügel der SS-„Reich“ herangeführt werde. Dann suchte ich nochmals den Divisionskommandeur der SS-Division auf, um zu veranlassen, daß die Nachschubeinrichtungen der 10. (mot.) I.D. durch die SS-„Reich“ gesichert würden, und begab mich zu meinem Gefechtsstand zurück. Dort erfuhr ich, daß die in unserer bisherigen Stoßrichtung liegenden Orte Borsna und Konotop unser nächstes Angriffsziel blieben. Das Generalkommando XXXXVI. Panzer-Korps mit der Hälfte der Korpstruppen wurde der Panzergruppe wieder unterstellt. Die beiden Korps in der Front meldeten je 2 500 Gefangene, der zum Rückenschutz gebildete Verband des Pioniergenerals Bacher machte 1 200 Gefangene. Das XXIV. Panzer-Korps wies eindringlich auf die zunehmende Bedrohung der immer länger werdenden Südflanke und die zunehmende Schwäche der Keilspitze hin. Krolewez fiel in unsere Hand.
An diesem Tage nahm der Verbindungsoffizier des OKH, Oberstleutnant Nagel, an einer Besprechung bei der Heeresgruppe in Borissow teil, zu welcher der Oberbefehlshaber des Heeres erschienen war. Nagel hatte dort meine Beurteilung der Lage vorgetragen,- er wurde daraufhin als „Lautsprecher und Propagandist“ bezeichnet und sofort abgelöst. Ich habe sehr bedauert, daß dieser klarblickende Offizier, der übrigens ein hervorragender Kenner der russischen Sprache war, dafür bestraft wurde, daß er pflichtgemäß die an der Front herrschende Ansicht vortrug.
Damit aber nicht genug. Am Abend setzte Regenwetter ein, das in kurzer Zeit die Wege grundlos machte und zwei Drittel der anmarschierenden SS-„Reich“ festlegte.
Den 4. September brachte ich an der Front bei der 4. Panzer-Division zu, wo ich auch General Frhr. von Geyr traf. Um 75 km Weges zurückzulegen, brauchte ich 4% Stunden, so aufgeweicht waren die Wege durch den kurzen Regen. Die 4. Panzer-Division war im Begriff, in Richtung Korop-Krasnopolje anzugreifen. Der Gegner vor dieser Division hatte sich bisher zäh gewehrt, auch gegen unsere Panzer. Nach dem Einsatz von Stuka schien jedoch der Hauptwiderstand nunmehr gebrochen. General Frhr. von Geyr hatte aus Beutepapieren den Eindruck gewonnen, daß die Fortsetzung des Angriffs in Richtung Sosnitza besonders erfolgversprechend sein würde, weil man hier auf die Naht zwischen der russischen 13. und 21. Armee treffen würde. Es sei möglich, daß man dort überhaupt eine Lücke vorfände. Die 3. Panzer-Division meldete Fortschritte. Ich suchte sie auf und traf sie im Vorgehen über Mutino und Spaßkoje auf den Sejm-Aschnitt. Auch General Model hatte den Eindruck, auf eine weiche Stelle, wenn nicht gar auf eine Lücke des Gegners gestoßen zu sein. Ich wies Model an, nach überschreiten des Sejm bis zur Bahn Konotop—Bjelopolje vorzustoßen und diese Bahn zu unterbrechen. Während der Rückfahrt gab ich die Befehle für den nächsten Tag durch Funksprüche an meinen Stab. Ich erfuhr meinerseits, daß ein Eingreifen Hitlers in die Operationen der Panzergruppe zu erwarten sei.
Ein Fernspruch der Heeresgruppe hatte mitgeteilt, das OKW sei unzufrieden mit den Operationen der Panzergruppe, insbesondere mit dem Ansatz des XXXXVII. Panzer-Korps auf dem Ostufer der Desna. Eine Beurteilung der Lage und der Aussichten wurde gefordert. Nachts kam dann bereits der Befehl des OKH, der die Einstellung des Angriffs des XXXXVII. Panzer-Korps und dessen Überführung auf das Westufer des Flusses anordnete. Dies alles erfolgte in sehr schroffer Form, die mich betroffen machte. Die Wirkung des Befehls auf das XXXXVII. Panzer-Korps war niederschmetternd. Das Generalkommando und die Divisionen standen unter dem Eindruck des reifenden Erfolges. Das Herausziehen und der Neuansatz auf dem anderen Desna-Ufer mußten mehr Zeit erfordern als die Durchführung des Angriffs. Für die allein von diesem Korps seit dem 25. 8. eingebrachten 155 Geschütze, 120 Panzer und 17 000 Gefangene, zu denen sich noch 13000 Gefangene beim XXIV. Panzer-Korps gesellten, kam kein Wort der Anerkennung.
Am 5. September wurde die 1. Kavallerie-Division nach Pogar geleitet und der 4. Armee unterstellt. Wir hätten sie lieber beweglich auf unserem linken Flügel im Flankenschutz beim XXXXVII. Panzer-Korps verwendet gesehen. So wurde ihre Beweglichkeit im stehenden Flankenschutz am Sudost-Abschnitt nicht ausgenutzt.
Die SS-„Reich“ nahm an diesem Tage Sosnitza.
Bei der 4. Armee wurde die Räumung des Jelnja-Bogens angeordnet, nachdem die Verluste nunmehr eingetreten waren, die ich im August durch rechtzeitiges Ausweichen hatte vermeiden wollen.
Den 6. September benutzte ich wieder zu einem Besuch der SS-„Reich“. Sie befand sich im Angriff auf die Eisenbahnbrücke über die Desna bei Makoschino. Ich bemühte mich, ihr hierzu Luftwaffenunterstützung zu verschaffen. Die Division war infolge der schlechten Wege noch nicht versammelt. Unterwegs traf ich eine Reihe von Formationen teils auf dem Marsch, teils in den Wäldern rastend. Die Truppe machte einen besonders disziplinierten Eindruck und verlieh ihrer Freude, wieder bei der Panzergruppe zu sein, lebhaften Ausdruck. Nachmittags wurde die Brücke genommen, ein weiterer Übergang über die Desna gewonnen. Meine Fahrzeugstaffel mußte mehrfach feindliches Artilleriefeuer durchfahren, erlitt aber keine Verluste. Auf der Rückfahrt begegneten wir Teilen der 1. Kavallerie-Division und wegen der schlechten Wege zu Fuß vormarschierenden SS-Einheiten. Beim Divisionsgefechtsstand angelangt, gab ich den Befehl, den Brückenkopf über die Desna so zu erweitern, daß die Division von dort aus zum Angriff auf dem Westufer des Sejm antreten könne, um das Vorgehen des XXIV. Panzer-Korps über diesen Abschnitt zu erleichtern.
Am 7. September gelang der 3. und 4. Panzer-Division das Bilden von Brückenköpfen auf dem Südufer des Sejm. Die Heeresgruppe befahl an diesem Tage ein Vorgehen gegen die Linie Neshin—Monastirschtschino, mit dem Schwerpunkt auf Neshin. Dieser Befehl wurde am 8. September früh 5,25 Uhr durch die Weisung „Neue Richtung Borsna—Romny, Schwerpunkt rechts“ abgeändert. An diesem Tage besprach der Oberbefehlshaber des Heeres in Gomel beim AOK 2 mit mir die für Anfang Oktober geplante neue Operation in Richtung Moskau. Abgesehen hiervon kam Feldmarschall von Brauchitsch noch einmal auf die Kämpfe des XXXXVII. Panzer-Korps in Richtung Trubtschewsk zu sprechen, beanstandete meinen Funkspruch vom 1. 9. mit der Bitte um Verstärkung, weil er vom OKW hätte mitgehört werden können, und meinte, die Panzergruppe habe ihre Operationen damals unnötig ausgeweitet. Ich rechtfertigte meine Maßnahmen mit der Meldung, daß der starke Feind in meiner linken Flanke nicht unbeachtet bleiben konnte und geschlagen werden mußte. Wir hatten bis zu diesem Tage 40 000 Gefangene gemacht und 250 Geschütze erbeutet. Unsere Anfänge näherten sich der Bahn Bachmatsch—Konotop.
Die 2. Armee nahm an diesem Tage Tschernigow. Sie erhielt die Stoßrichtung auf Neshin—Borsna.
An diesem Tage verließ uns Oberstleutnant Nagel und sein Nachfolger, Major von Kahlden traf ein. Er hat seine Mission mit dem gleichen Takt und Verständnis wahrgenommen, wie vordem Nagel und zeitweise Below.
Bei der Heeresgruppe „Nord“ stellten sich die Panzergruppe 4 und die 18. Armee zum Angriff auf die äußeren Befestigungen von Leningrad bereit. Der Angriff sollte am 9. 9. beginnen.
Am 9. September überschritt das XXIV. Panzer-Korps den Sejm. Ich wohnte den Kämpfen dieses Tages bei der 4. Panzer-Division bei und sah Einheiten der Schützen-Regimenter 33 und 12 im Vorgehen auf Gorodischtsche. Stuka unterstützten die Angriffsspitzen der Schützen und des Panzer-Regiments 35 wirkungsvoll. Die geringen Gefechtsstärken aller Verbände bewiesen aber, daß die Truppen nach den anstrengenden und verlustreichen Kämpfen von 2% Monaten dringend der Auffrischung bedurft hätten. Leider konnte davon vorläufig nicht die Rede sein. Am späten Nachmittag erfuhr ich beim Generalkommando XXIV. Panzer-Korps durch General Frhr. von Geyr, daß auch die SS im Angriff stehe, daß ferner die 3. Panzer-Division die Absicht habe, in Richtung Konotop vorzugehen. Gefangenenaussagen ergaben, daß zwischen der russischen 13. und 21. Armee die 40. Armee eingeschoben sei. Die Munitionslage war leidlich, die Betriebsstofflage gespannt.
Abends flog ich mit dem Storch zurück zum Gefechtsstand nach Krolewetz. Dort war inzwischen von der Heeresgruppe mitgeteilt, daß die 1. Kavallerie-Division nicht am Sudost-Abschnitt stehen bliebe, sondern weiter nach Norden verschoben werden müsse. Die 18. Panzer-Division konnte also nicht der Panzergruppe nachgezogen werden; zur Ausnutzung des Erfolges am Sejm hätte es frischer Kraft bedurft. Am Abend kam die erfreuliche Nachricht, daß das XXIV. Panzer-Korps zwischen Baturin und Konotop tatsächlich die weiche Stelle der feindlichen Front getroffen habe, und daß eine Vorausabteilung der 3. Panzer-Division auf dem Vormarsch nach Romny, unserm Angriffsziel sei. Die Division gelangte damit in den Rücken des Feindes. Nun kam es darauf an, diesen Erfolg rasch auszunutzen, bei dem Kräftemangel, den schlechten Wegen und besonders angesichts der bereits 240 km tiefen Südostflanke keine leichte Aufgabe. Da mir Reserven nicht zur Verfügung standen, blieb mir nur übrig, durch persönliches Erscheinen dem Vorgehen der 3. Panzer-Division das nötige Gewicht zu verleihen. Ich entschloß mich daher, am 10. September wieder an die Front zu fahren.
Bei meinem Eintreffen in Ksendowka berichtete General Frhr. von Geyr, daß die 3. Panzer-Division Romny genommen und einen Brückenkopf über den Romen-Fluß gebildet habe. Die 3. Panzer-Division war an Konotop vorbeigestoßen, ohne die Stadt zu nehmen. Die 4. Panzer-Division befand sich im Vorgehen auf Bachmatsch, die SS-„Reich“ auf Borsna. Aus den Aussagen Gefangener ergab sich, daß die in der Ukraine fechtenden russischen Verbände zwar noch die Kraft hatten, sich zu verteidigen, daß aber ihre Angriffskraft gebrochen war. General Frhr. von Geyr wurde angewiesen, für die baldige Besetzung des wichtigen Bahnhofs von Konotop zu sorgen, über den unser Nachschub geleitet werden mußte, sowie die 4. Panzer-Division von Bachmatsch nach Süden und die SS-„Reich“ von Borsna auf Kustowzy anzusetzen. Letztere Division sollte Verbindung mit der 2. Armee aufnehmen. Danach setzte ich meine Fahrt zur 3. Panzer-Division fort.
An der Sejm-Brücke erlebten wir einen russischen Bombenangriff, auf der Marschstraße lag Artilleriefeuer. Der Weg wurde durch Regenwetter immer schlechter und steckte voll liegen gebliebener Fahrzeuge. Die Kolonnen waren auf ein Vielfaches ihrer sonstigen Marschlänge auseinandergezogen. Die Zugmaschinen der Artillerie mußten bereits die Lkw schleppen.
In Chmeljow ließ ich beim Stabe der 3. Panzer-Division Unterkunft für die Nacht vorbereiten, da mit einer Rückfahrt an diesem Tage nicht mehr zu rechnen war. Dann fuhr ich weiter nach Romny. Nördlich der Stadt bildet der Romen einen starken Abschnitt, der überdies durch Panzergräben und Drahthindernisse der Russen gesichert war. Daß die Russen diesen starken Abschnitt nicht hatten halten können, bewies, daß das Erscheinen der 3. Panzer-Division sie völlig überrascht hatte, und daß mit diesem Stoß der Durchbruch vollzogen war. Unmittelbar vor Romny traf ich General Model, der Einzelheiten berichtete. Die Stadt war in seiner Hand, jedoch trieben sich noch Versprengte in den Gärten herum, und man konnte sie nur im gepanzerten Fahrzeug durchqueren. Um 17 Uhr sollte eine Säuberungsaktion beginnen. Im Nordteil der Stadt stieß ich auf eine Gruppe von Stabsoffizieren beim Befehlsempfang unter Oberst Kleemann. Sie war besonders durch die russischen Fliegerangriffe gestört worden, denen keine genügende Abwehr entgegengeflogen werden konnte, weil die Russen aus einer Gutwetterzone starteten, während unsere Flugplätze in einer Schlechtwetterzone lagen, die den Start an diesem Regentage unmöglich machte. Wir wurden sodann auch prompt von drei russischen Fliegern mit MG-Feuer angegriffen, während die Bomben anderwärts fielen.
Von Romny aus funkte ich die Direktiven für den nächsten Tag an meinen Stab, durch die das inzwischen eingetroffene XXXXVI. Panzer-Korps mit der ihm unterstellten 17. Panzer-Division und I.R. „G.D.“ auf Putiwl—Schilowka (17 km südlich Putiwl) angesetzt wurde. Für Model wurde starker Jagdschutz erbeten.
An diesem Tage wurde Bachmatsch genommen. I.R. „G.D.“ erreichte Putiwl. Wir erhielten den Auftrag der Heeresgruppe, uns zum Angriff auf den Udaj-Abschnitt beiderseits Priluki bereitzuhalten.
Die Heeresgruppe „Süd“ bereitete den Übergang über den Dniepr bei Krementschug vor, von wo aus sie nach Norden vorgehen sollte, um uns bei Romny die Hand zu reichen.
Die ganze Nacht hindurch goß es in Strömen. Die Rückfahrt gestaltete sich daher am 11. September recht beschwerlich. Als erste gingen die Krafträder verloren. Auch mein sehr guter Vierrad-angetriebener Geländewagen blieb stecken. Unsere Befehlspanzer und eine von der Artillerie entliehene Zugmaschine machten uns wieder flott. In 10 km-Tempo ging es durch den Schlamm nach Girowka, wo ich den Regimentsstab des Oberstleutnants Audörsch antraf; wegen der gestörten Fernsprechverbindungen versuchte ich vergeblich mich über die Lage zu unterrichten. Schließlich erfuhr ich von Kraftradschützen der 3. Panzer-Division, daß Konotop in unserer Hand sei. 6 km nördlich Girowka stieß ich auf die Aufklärungs-Abteilung der 10. (mot.) I.D. Um 14 Uhr begegnete ich sodann in Konotop dem General von Loeper, sagte ihm über die Ereignisse bei Romny Bescheid und war um 15,30 Uhr beim XXIV. Panzer-Korps. Dort erfuhr ich die Einnahme von Borsna durch die SS-„Reich“. Das Korps erhielt die Weisung, mit rechtem Flügel über Monastyrischtsche, mit linkem über Pirjatin auf Romny vorzugehen. Das XXXXVI. Panzer-Korps wurde über Putiwl nach Süden angesetzt.
Um 18,30 Uhr war ich auf meinem Gefechtsstand. Ich hatte am 10. 165 km in 10 Stunden, am 11. 130 km in 10% Stunden zurückgelegt. Die aufgeweichten Wege gestatteten kein schnelleres Vorwärtskommen. Diese zeitraubenden Fahrten hatten mir einen genügenden Einblick in die uns von nun an bevorstehenden Schwierigkeiten verschafft. Nur wer das Leben auf diesen Schlammkanälen bis hin zu den vordersten Einheiten selbst erlebt hat, kann sich eine Vorstellung von der Beanspruchung der Truppe und des Geräts machen, die Lage an der Front richtig beurteilen und zutreffende Folgerungen aus den Geschehnissen ziehen. Daß unsere militärischen Spitzen keine Erfahrungen in dieser Hinsicht sammelten und unseren Berichten anfänglich keinen Glauben schenken wollten, hat sich bitter gerächt und uns unsägliche Opfer und manche vermeidbaren Rückschläge gekostet.
Die Heeresgruppe teilte an diesem Abend mit, daß die Panzergruppe 1 unter Generaloberst von Kleist wegen des Schlammes ihre Ziele nicht erreicht hatte. Wir müßten weiter nach Süden vorgehen. Wer die oben geschilderten Wegeverhältnisse kannte, wunderte sich darüber nicht.
Die 17. Panzer-Division erreichte am 10.9. Woronesh—Gluchow und am 11.9. Gluchow.
Während am 12. September die Panzergruppe 1 ihren Vormarsch über Semenowka auf Lubny antrat, stieß die 3. Panzer-Division auf Lochwiza vor und gewann die Ssula-Brücke hart nördlich dieses Ortes. Die 2. Armee näherte sich, durch schlechte Wege behindert, Neshin.
Bei der Heeresgruppe „Nord“ glaubte man, einen entscheidenden Einbruch in die Leningrader Verteidigungsfront erzielt zu haben.
Am 13. September lehnte die Heeresgruppe „Mitte“ unsern Antrag, die 18. Panzer-Division, die noch immer am Sudost-Abschnitt unsere tiefe linke Flanke sicherte, durch Infanterie abzulösen, mit dem Bemerken ab, sie käme für die Entscheidung doch zu spät. Die ungeklärte Lage unserer Ostflanke und die aus ihr möglicherweise drohenden Gefahren, die das Entstehen einer schwachen Reserve dringend notwendig machten, wurden nicht berücksichtigt.
Die Panzergruppe 1 nahm Lubny.
Am 14. September verlegte meine Panzergruppe ihren Gefechtsstand nach Konotop. Das schlechte Wetter hielt an. Die Luftaufklärung versagte völlig. Die Erdaufklärung blieb im Schlamm stecken. Die zur Flankensicherung bestimmten Verbände des XXXXVI. und XXXXVII. Panzer-Korps wurden nahezu unbeweglich.
Die Unsicherheit in der langen Sudostflanke wuchs von Tag zu Tag. Um jedenfalls die Verbindung mit der Panzergruppe Kleist sicherzustellen, entschloß ich mich, trotz der bestehenden Schwierigkeiten zum XXIV. Panzer-Korps zu fahren. Der Weg führte über Krolowez—Baturin—Konotop—Romny nach Lochwiza. General Frhr. von Geyr, den ich in Mitschenki (6 km südostwärts Baturin) traf, berichtete, daß sich, der Gegner anscheinend bei Lochwitza staue, und daß es darauf ankäme, die noch bestehende Lücke zu Kleist bald zu schließen. Er hatte hierzu angeordnet, daß seine Divisionen den Ssula-Abschnitt erreichen und sperren sollten. Bei Ssentscha, 11 km südlich Lochwiza, waren starke russische Ansammlungen erkannt. Ich setzte meine Fahrt durch Romny fort, in dem sich eine sonntäglich gekleidete Menschenmenge friedlich bewegte. Nächst Potschep und Konotop war Romny die besterhaltene russische Stadt, die ich bisher getroffen hatte. Bei Einbruch der Dunkelheit war ich bei Model in Lochwiza. Er hatte bisher nur ein Regiment seiner Division dorthin bringen können; der Rest wand sich noch weit rückwärts durch den Schlamm. Er berichtete, daß die starken russischen Ansammlungen sich großenteils aus Nachschubeinheiten zusammensetzten. Nur teilweise seien diese Verbände kriegsgemäß ausgerüstet. Die erkannten russischen Panzer seien wahrscheinlich aus rückwärtigen Werkstätten zusammengekratzt, um den Rückzug zu decken. In dem gewaltigen Kessel um Kiew mußten sich Teile von fünf Armeen, der 21., 5., 37., 26. und 38. befinden.
Feindliche Angriffe auf unsere Südostflanke südlich Putiwl und bei Jampol konnten abgewiesen werden.
Ich blieb die Nacht mit Büsing und Kahlden im Schulhaus von Lochwiza und verständigte durch Funk Liebenstein, für beschleunigtes Vorziehen der 10. (mot.) I.D. nach Romny zu sorgen, um die rückwärtigen Teile der 3. Panzer-Division für Lochwiza frei zu machen. Das Schulhaus war ein solider Bau mit zweckmäßiger Einrichtung, wie überhaupt die Schulen in Sowjetrußland fast durchweg in guter Verfassung waren. Für Schulen, Krankenhäuser, Kinderheime und Sportstätten war viel getan. Diese Einrichtungen wurden sauber und ordentlich gehalten; Ausnahmen bestätigten – wie allerwärts – die Regel.
Am frühen Morgen des 15. 9. suchte ich die Voraus-Abteilung der 3. Panzer-Division unter Major Frank auf, die südlich von Lochwiza am Vortage die Russen nach Westen zurückgeworfen und in der Nacht 15 Lkw mit russischen Schützen teils abgeschossen, teils gefangen genommen hatte. Von Franks Beobachtungsstelle nördlich Lubny hatte man einen sehr guten Überblick über das Gelände und konnte russische Nachschubkolonnen im Marsch von Westen nach Osten sehen. Diese Bewegung wurde durch Artilleriefeuer angehalten. Beim II. Bataillon des Schützen-Regiments 3 traf ich Model, der mir seine Absichten vortrug. Anschließend sah ich eine Reihe von Verbänden der 3. Panzer-Division, und sprach dann mit Oberstleutnant Munzel, dem Kommandeur des Panzer-Regiments 6. Munzel verfügte an diesem Tage nur über 1 Panzer IV, 3 Panzer III und 6 Panzer II, also über 10 Panzer seines ganzen Regiments. Diese Zahlen geben ein erschütterndes Bild der Ruhe- und Instandsetzungsbedürftigkeit der Truppe. Sie beweisen, daß die braven Männer ihr letztes hergegeben hatten, um das ihnen gesteckte Ziel zu erreichen.
Durch Funkspruch wies ich Liebenstein an, dem XXIV. Panzer-Korps aufzutragen, die SS-»Reich“ nach Süden bis an den Udaj-Abschnitt zwischen Kustowzy und Perewolotschnoje und anschließend die 4. Panzer-Division auf Ssrebnoje—Beresowka anzusetzen. Die 10. (mot.) I.D. sollte auf Glinsk, westlich Romny vorgehen. Dann nahm mich südlich Romny ein Storch zum Rückflug ins Hauptquartier der Panzergruppe auf.
Die 17. Panzer-Division war an diesem Tage in Richtung auf Putiwl angetreten.
Abends traf ich in Konotop mit Liebenstein zusammen, der inzwischen im Flugzeug bei der Heeresgruppe gewesen war, um in die uns bevorstehenden neuen Aufgaben in Richtung Moskau eingewiesen zu werden. Die neue Operation sollte dem Ziele dienen, „die letzten kampfkräftigen Teile der Heeresgruppe Timoschenko zu vernichten“. ¾ des deutschen Heeres seien hierzu angesetzt. Liebensteins erneut vorgebrachte Bitte um Freigabe der 18. Panzer-Division wurde von Feldmarschall von Bock mit dem Bemerken abgelehnt, er habe Generaloberst Halder gefragt, was wichtiger sei, die Südsache oder die Vorbereitung des neuen Unternehmens, worauf Generaloberst Halder das letztere genannt habe.
Am 16. September verlegten wir unseren vorgeschobenen Gefechtsstand nach Romny. Die Einkreisung der Russen machte Fortschritte. Wir traten in Fühlung mit der Panzergruppe Kleist. Die SS-„Reich“ nahm Priluki. Das AOK2 wurde für die neue Aufgabe aus der Front gezogen. – Romny war vor der Schlacht von Poltawa im Dezember 1708 einige Tage das Hauptquartier König Karls des Zwölften von Schweden gewesen. —
Den 17. September benutzte ich zu einem Besuch der 4. Panzer-Division in Ssrebnoje. Da zwischen ihr und der rechts daneben angesetzten SS-„Reich“ noch keine sichere Fühlung bestand, beschloß ich, zu dieser Division hinzufahren. Der Weg führte durch Niemandsland. In den Wäldern beiderseits des Weges sah man zahlreiche frische, russische Lagerspuren. Dicht vor Perewolotschnoje bemerkte ich zwei drohend auf uns gerichtete Geschützrohre,- wir durchlebten einige peinlich gespannte Minuten, bis ich feststellen konnte, daß die Bedienung geflohen war und die Bespannung hinter dem nächsten Heuschober hatte stehen lassen. In der Mitte des Ortes stieß ich auf die im Kampf um den Udaj-Übergang stehenden Kraftradschützen der SS. Von hier ging es nach Kustowzy, gleichfalls am Udaj gelegen, wo andere Teile der SS fochten. Oberst Bittrich erstattete Bericht über das Gefecht. Dann folgte eine Rückfahrt von 100 km durch Niemandsland über Iwaniza—Jaroschewka nach Romny. Der Weg war entsetzlich schlecht, so daß ich erst gegen Morgen beim Gruppengefechtsstand eintraf.
Am 17. 9. verabredeten wir mit der Panzergruppe Kleist die Ablösung der 3. Panzer-Division durch die 25. (mot.) I.D., um der braven Panzer-Division endlich die Möglichkeit zum Überholen ihrer Fahrzeuge zu geben.
An diesem Tage machten sich russische Anstrengungen fühlbar, in unserer Ostflanke offensiv zu werden. Die 10. (mot.) I.D. und das I.R. „G.D.“ hatten heftige Kämpfe im Räume von Konotop zu bestehen. Vor unserem Brückenkopf über die Desna bei Nowgorod Sewerskij verstärkte sich der Gegner. Die russischen Bahnen, die von Osten auf Kiew heranführten, waren zwar mehrfach durch unsere Bomber unterbrochen worden; die Russen bewiesen aber eine große Gewandtheit in ihrer Wiederherstellung, so daß mit dem baldigen Auftreten frischer Kräfte aus der über Gebühr gedehnten Flanke zu rechnen war.
Bei der Heeresgruppe „Nord“ wurde der Angriff auf Leningrad nach Gewinnen von Djetzkoje Sselo, dem früheren Zarskoje Sselo, eingestellt. Die Masse der eingesetzten Panzer-Divisionen setzte sich zur Verwendung bei der Heeresgruppe „Mitte“ nach Süden in Marsch (Stab der Panzergruppe 4, Generalkommando XXXXI, LVI. und LVII, 3. (mot.) I.D., 6., 20. und später 1. Panzer-Division).
Der 18. September brachte uns bei Romny eine Krise. Seit dem frühen Morgen war aus der Ostflanke Gefechtslärm zu hören, der sich im Laufe des Vormittags verstärkte. Frischer Feind – die 9. russische Kavallerie-Division und eine weitere mit Panzern – ging in drei Kolonnen von Osten auf Romny vor und kam bis auf 800 m an den Rand der Stadt heran. Von einem der hoch gelegenen Wachttürme des Gefängnisses am Stadtrande von Romny konnte ich den feindlichen Angriff einwandfrei beobachten. Das XXIV. Panzer-Korps wurde mit seiner Abwehr betraut. Zur Verfügung standen zwei Bataillone der 10. (mot.) I.D. und einige Flak-Batterien. Unsere Luftaufklärung hatte gegen überlegenen Feind einen schweren Stand. Oberstleutnant von Barsewisch, der persönlich flog, entging mit knapper Not den russischen Jägern. Auf Romny erfolgte ein beachtlicher Fliegerangriff. Schließlich gelang es aber, die Stadt und unseren vorgeschobenen Gefechtsstand zu halten. Jedoch hielten die russischen Antransporte auf der Strecke Charkow—Sumy, sowie die Ausladungen bei Sumy und Shurawka an. Zu ihrer Abwehr wurden durch das XXIV. Panzer-Korps Teile der SS-„Reich“ und der 4. Panzer-Division aus der Kesselfront herausgezogen und nach Konotop und Putiwl in Marsch gesetzt. Die bedrohliche Lage von Romny veranlaßte uns, am 19. September den Gruppengefechtsstand nach Konotop zurückzuverlegen. General Frhr. von Geyr bemühte sich, uns den Entschluß hierzu zu erleichtern, indem er funkte: „Es wird der Panzergruppe von der Truppe nicht als Feigheit ausgelegt, wenn sie ihren Gefechtsstand aus Romny verlegt.“ In Konotop lagen wir außerdem günstiger für die bevorstehende neue Operation in Richtung Orel—Brjansk. Das XXIV. Panzer-Korps wünschte den Angriff auf den neu von Osten herankommenden Gegner zu verschieben, um ihn mit versammelten Kräften packen zu können. Leider konnte ich auf diesen begreiflichen Wunsch nicht eingehen, weil die Mitwirkung der SS-„Reich“ bei diesem Unternehmen voraussichtlich nur noch für wenige Tage gesichert war; sie sollte unter dem XXXXVI. Panzer-Korps zusammen mit I.R. „G.D.“ zur Panzergruppe 4 in den Raum von Roslawl abgegeben werden. Außerdem mahnten neue Ausladungen bei Seredina Buda und neue Antransporte über Sumy nach Norden zur Eile. An diesem Tage fiel Kiew. Das XXXXVIII. Panzer-Korps der Panzergruppe 1 nahm Gorodischtsche und Belousowka.
Der 20. September brachte geringe Erfolge gegen den Feind im Osten, aber fortgesetzte Kämpfe an der Kesselfront bei der 3. Panzer-Division, vor der sich der Stab der russischen 5. Armee befand, sowie weiter südlich bei der 25. (mot.) I.D., wo Teile des Feindes durchgebrochen zu sein schienen.
Seit dem 13.9. hatten wir 30 000 Gefangene gemacht.
Ich besuchte am 20. 9. das XXXXVI. Panzer-Korps. General von Vietinghoff schilderte die Schwierigkeiten des Durchkämpfens von Gluchow nach Süden in den letzten Tagen. Besonders tapfer hatten auf russischer Seite die Charkower Kriegsschüler unter der Führung ihrer Lehrer gefochten. Verminungen und schlechtes Wetter hatten verzögernd gewirkt. Bei Putiwl, Schilowka und bei Bjelopolje wurde noch heftig gekämpft. Ich suchte das I.R. „G.D.“ ostwärts Schilowka auf, das unter neuer Führung des Oberst Hörnlein tapfer focht. Bjelopolje wurde genommen.
Am 21. September verstärkte sich der feindliche Druck bei Gluchow. Nördlich dieser Stadt wurden russische Ansammlungen gemeldet. Ein eigener Angriff wurde in Richtung auf Nedrigailow begonnen.
Die Panzergruppe 1 meldete 43 000 Gefangene, die 6. Armee 63 000 Gefangene seit Beginn der Schlacht um Kiew.
Am 22. September fuhr ich erneut an die Front über Putiwl in Richtung Rylsk, um die Sicherungen in diesem bedrohten Abschnitt zu überprüfen. In Wjasenka traf ich den Stab der 17. Panzer-Division mit dem von seiner Verwundung bei Stolpce genesenen General von Arnim, der seit einigen Tagen den General Ritter von Thoma abgelöst hatte. Der Gegner griff Gluchow und Cholopkowo von Osten und Nordosten an und hatte die Verteidiger teilweise eingeschlossen. Zwei neue russische Divisionen waren vor der Front der 17. Panzer-Division festgestellt. Auf der Rückfahrt zum Gefechtsstand des XXXXVI. Panzer-Korps mußten wir durch einen erheblichen russischen Feuerüberfall hindurch, zum Glück ohne Verluste. Ich verabschiedete mich sodann mit herzlichem Dank von General von Vietinghoff, der zu seiner neuen Einsatzfront bei der Panzergruppe 4 abfuhr, und unterstellte die 17. Panzer-Division unmittelbar der Panzergruppe, das I.R. „G.D.“ der 17. Panzer-Division. Die 17. Panzer-Division erhielt den Auftrag, den Feind bei Gluchow zu schlagen. Sie hat diesen Befehl ausgeführt.
Die Gefangenenzahl um Kiew stieg auf 290 000 insgesamt.
Vom 23. September an begannen die Umgruppierungen für die neue Operation. Der Schwerpunkt der Panzergruppe 2 hierfür wurde in den Raum von Gluchow und nördlich gelegt.
Durch Angriff der 4. Panzer-Division und der SS-„Reich“ wurde der Feind bei Kamlitscha nach Osten zurückgeworfen. Starke Belegung der Strecke Brjansk—Lgow deutete auf das Heranführen weiterer russischer Verstärkungen hin.
Am 24. September flog ich zur abschließenden Besprechung über die neue Offensive zum Stab der Heeresgruppe „Mitte“ nach Smolensk. Der Oberbefehlshaber des Heeres und der Chef des Generalstabes waren zugegen. Bei dieser Besprechung wurde festgelegt, daß die Hauptoffensive der Heeresgruppe am 2. Oktober, der Angriff der Panzergruppe 2 am äußersten rechten Flügel aber bereits am 30. September beginnen solle. Diese zeitliche Staffelung erfolgte auf meine Bitte, weil in dem zukünftigen Angriffsraum der Panzergruppe 2 keine feste Straße vorhanden war und ich die voraussichtlich nur noch kurze Spanne Zeit der guten Witterung ausnutzen wollte, um vor Einbruch der Schlammperiode wenigstens die feste Straße bei Orel zu erreichen, die Querverbindung von Orel nach Brjansk herzustellen und mir damit gesicherte Nachschubverhältnisse zu schaffen. Außerdem bewog mich dazu die Überlegung, daß ich eine starke Unterstützung durch die Luftwaffe nur erwarten konnte, wenn ich den Einsatz der Flieger zwei Tage vor dem Angriff der übrigen Armeen der Heeresgruppe „Mitte“ bewerkstelligen konnte.
Die nächsten Tage mußten ausgenutzt werden, die Kesselschlacht bei Kiew abzuschließen und die Versammlung meiner Korps für den neuen Angriff, ihre Erholung nach den anstrengenden Märschen und Kämpfen der verflossenen Monate, und für die Instandsetzung des Geräts durchzuführen. Mehr als drei Tage konnten den braven Truppen ohnehin nicht gewährt werden, und selbst diese kurze Spanne der Erholung haben nicht alle Verbände genießen dürfen.
Die heftigen feindlichen Angriffe ostwärts Gluchow und gegen den Brückenkopf von Nowgorod Sewerskij mit offenbar frischen feindlichen Kräften füllten die nächsten Tage aus. Am 25. September griff der Feind Bjelopolje, Gluchow und Jampol an, konnte aber abgewiesen werden. Zahlreiche Gefangene fielen in unsere Hand.
Die Heeresgruppe „Nord“ meldete an diesem Tage an das OKH, daß sie mit den ihr verbliebenen Kräften den Angriff auf Leningrad nicht fortsetzen könne.
Bis zum 26. September wurden die Kämpfe um den Kessel von Kiew zum siegreichen Abschluß gebracht. Die Russen kapitulierten. 665 000 Mann gerieten in Gefangenschaft. Der Oberbefehlshaber der Südwestfront und sein Stabschef fielen in den Schlußkämpfen beim Versuch durchzubrechen. Der Oberbefehlshaber der 5. Armee geriet in unsere Gefangenschaft. Ich hatte mit ihm eine interessante Unterhaltung, bei der ich ihm einige Fragen vorlegte:
1. Wann haben Sie den Anmarsch meiner Panzer in Ihren Rücken erfahren? Antwort: Etwa am 8. September.
2. Warum haben Sie daraufhin Kiew nicht geräumt?
Antwort: Wir hatten den Befehl zur Räumung und zum Rückzug nach Osten von der Heeresgruppe erhalten und waren bereits auf den Rückzug, als ein Gegenbefehl uns zwang, wieder Front zu machen und Kiew unter allen Umständen zu verteidigen.
Die Ausführung des Gegenbefehls hatte die Vernichtung der russischen Heeresgruppe Kiew zur Folge. Damals wunderten wir uns sehr über solchen Eingriff. Der Feind hat ihn in dieser Form nicht wiederholt. Wir aber haben leider selbst die trübsten Erfahrungen mit gleichartigen Eingriffen machen müssen.
Die Schlacht bei Kiew bedeutete unzweifelhaft einen großen taktischen Erfolg. Ob aber der taktische Erfolg auch große strategische Wirkungen auslösen würde, blieb zweifelhaft. Alles hing davon ab, ob es den Deutschen gelingen würde, noch vor Eintritt des Winters, ja vor Eintritt der herbstlichen Schlammperiode entscheidende Ergebnisse zu erzielen. Zwar mußte der geplante Angriff zur engen Einschließung Leningrads bereits aufgegeben werden. Aber das OKH erwartete, daß der Gegner nicht mehr in der Lage sein würde, vor der Heeresgruppe „Süd“ eine geschlossene, noch zu ernsthaftem Widerstand befähigte Abwehrfront aufzubauen. Es wollte noch vor Eintritt des Winters mit dieser Heeresgruppe das Donez-Becken gewinnen und den Don erreichen.
Der Hauptschlag aber sollte mit der verstärkten Heeresgruppe „Mitte“ auf Moskau geführt werden. Blieb dazu noch die Zeit?
DIE SCHLACHT BEI OREL UND BRJANSK
Für die Offensive auf Orel—Brjansk – die notwendige Vorstufe des Angriffs auf Moskau – erhielt die Panzergruppe 2 eine neue Gliederung:
Das XXXXVI. Panzer-Korps wurde mit der SS-„Reich“ und dem I.R. „G.D.“ an die Panzergruppe 4 in Richtung Roslawl abgegeben.
Die 1. Kavallerie-Division trat wieder unter den Befehl der Panzergruppe 2. Außerdem wurden der Panzergruppe 2 unterstellt:
Das XXXXVIII. Panzer-Korps unter General der Panzertruppen Kempf mit der 9. Panzer-Division, der 16. und 25. (mot.) I.D.,
das Höhere Kommando XXXIV unter General Metz mit der 45. und 134. I.D. und
das Höhere Kommando XXXV unter General Kämpfe mit der 293., 262., 296. und 95. ID.
Ich entschloß mich, den Angriff mit dem Schwerpunkt über Gluchow auf Orel zu führen und hierzu das XXIV. Panzer-Korps dort einzusetzen. Rechts vom XXIV. Panzer-Korps wurde das XXXXVIII. Panzer-Korps über Putiwl angesetzt, links vom XXIV. Panzer-Korps das XXXXVII. Panzer-Korps von Schostka aus. Der Schutz der Flanken sollte durch das Höhere Kommando XXXIV rechts, durch das Höhere Kommando XXXV und die 1. Kavallerie-Division links wahrgenommen werden, welche sämtlich den Panzer-Korps rückwärts gestaffelt folgen sollten.
Für die Versammlung zum Angriff hatte ich angeordnet, daß das XXXXVIII. Panzer-Korps über Sumy und Nedrigailow unter Angriff auf den dort gemeldeten Gegner den Versammlungsraum bei Putiwl erreichen solle. Hierdurch wollte ich mir von vornherein eine gesicherte rechte Flanke schaffen. Mit dieser kühnen Idee hatte ich aber doch die Widerstandskraft der Russen außerhalb des Schlachtfeldes von Kiew unterschätzt. Das XXXXVIII. Panzer-Korps vermochte – wie noch zu schildern ist – den ihm entgegenstehenden Feind nicht zu werfen, sondern mußte den Kampf abbrechen und hinter der Front des I.R. „G.D.“ entlang seinen Versammlungsraum erreichen. Das Abbrechen des Gefechts gestaltete sich bei der 25. (mot.) I.D. schwierig: eine Anzahl Fahrzeuge ging leider verloren. Ich hätte besser getan, dem Rate Liebensteins zu folgen und von vornherein hinter der Front entlang zu marschieren. Allerdings wäre hierzu ein früheres Eintreffen der Infanterie des Höheren Kommandos XXXIV erforderlich gewesen. Mit dieser aber war erst in 5 Tagen zu rechnen.
Man hatte uns endlich 100 neue Panzer für die Auffrischung unserer Panzer-Divisionen zugesagt. Leider wurden 50 von ihnen nach Orscha fehlgeleitet, so daß sie zu spät kamen. Auch der Brennstoff kam nicht in der erforderlichen Menge an.
Die stärkste Massierung der Kräfte für die Gesamtoperation fand im Raume um Roslawl statt. Dort standen bei Beginn des Angriffs hinter der Front: 1. Panzer-Division, SS-„Reich“, 3. (mot.) I.D. und I.R. „G.D.“. Dort wurden auch die bisher in Reserve zurückgehaltene 2. und 5. Panzer-Division eingesetzt. Man kann zweifeln, ob die Massierung der Panzerkräfte in der Front des Angriffs richtig war. Nach meiner Ansicht hätte sich ein Belassen des XXXXVI. Panzer-Korps bei der Panzergruppe 2 besser gelohnt. Auch die ausgeruhten beiden Panzer-Divisionen wären besser zum Flankenstoß als zum Frontalangriff angesetzt worden.
Am 27. September suchte ich das XXXXVIII. Panzer-Korps auf, um mir ein Bild von seinem Zustand zu machen. Nach kurzer Aussprache beim Generalkommando in Romny fuhr ich zur 9. Panzer-Division unter General Hubitzki nach Krasnaja (10 km südostwärts Nedrigailow), und von dort über Nedrigailow zurück.
Am 28. und 29. September ergab sich klar, daß der Versuch des XXXXVIII. Panzer-Korps, direkt auf Putiwl vorzugehen, gescheitert war. Dessen Angriff wurde daher in dem bisherigen Raum abgebrochen. Ein Täuschungserfolg ist bei Schtepowka wahrscheinlich erreicht worden, indem der Gegner über unsere wahre Stoßrichtung im unklaren blieb. Hinter dem Sicherungsschleier des noch in seiner alten Stellung befindlichen I.R. „G.D.“ wurde das XXXXVIII. Panzer-Korps nach Norden verschoben.
Am 30. September traten an:
Das XXXXVIII. Panzer-Korps aus dem Räume Gadjatsch—Schtepowka über Nedrigailow auf Putiwl, mit der 9. Panzer-Division voraus, sodann mit der 25. und 16. (mot.) I.D., diese beiden erst nach Ablösung durch die Infanterie des Höheren Kommandos XXXIV, das XXIV. Panzer-Korps mit der 3. und 4. Panzer-Division in vorderer Linie, mit der 10. (mot.) I.D. dahinter, von Gluchow längs und südostwärts der Straße nach Sewsk—Orel.
Das XXXXVII. Panzer-Korps mit der 18. und 17. Panzer-Division von Jampol mit dem rechten Flügel auf Sewsk. Die 29. (mot.) I.D. sollte links rückwärts gestaffelt auf Seredina Buda folgen.
Der Flankenschutz der beiden Höheren Kommandos war im Anmarsch, teils über Kostobobr, teils über Romny. Die 1. Kavallerie-Division stand auf dem Westufer des Sudost-Abschnittes beiderseits Pogar.
Unser Angriff traf den Feind überraschend. Besonders das XXIV. Panzer-Korps kam gut vorwärts, bis in die Höhe von Chinel. Das XXXXVII. Panzer-Korps nahm Shurawka und drang weiter nach Nordosten vor.
Ich begab mich am 30. September früh nach Gluchow, wo wir unseren neuen Gefechtsstand einrichteten. Von dort wies ich General Kempff auf die Notwendigkeit hin, bald Kräfte zum Schutz der Ostflanke des XXIV. Panzer-Korps im Raume um Putiwl bereitzuhalten. Kempff meldete seinerseits, daß die Russen in den Kämpfen bei Schtepowka zwei Bataillone des I.R. 119 überrascht und ihnen die Fahrzeuge abgenommen hätten. Es hatte sich um einen Angriff mit schweren Panzern gehandelt. Das war ein unangenehmer Verlust. Teile der 9. Panzer-Division mußten nochmals kehrtmachen, um die Lage wieder herzustellen. General Frhr. von Geyr meldete, daß die Stuka wegen schlechten Wetters nicht hätten starten können. Er vermutete im übrigen, nur feindliche Nachhuten vor sich zu haben, während General Lemelsen von völliger Überraschung des Gegners berichtete.
Der Heeresgruppe wurde gemeldet, daß das Herausziehen des I.R. „G.D.“ sich hinauszögere, weil das Korps Kempf von starkem Feind angegriffen werde und die Anfänge des Höheren Kommandos XXXIV erst am 1.10. abends zu seiner Ablösung zur Verfügung stünden. Bis zum Eintreffen der Masse der Infanterie-Divisionen würde es noch weitere vier Tage dauern.
Die Bevölkerung von Gluchow bat uns um die Erlaubnis, ihr Gotteshaus wieder benutzen zu dürfen. Wir gaben es gerne frei.
Am 1. Oktober nahm das XXIV. Panzer-Korps Sewsk. Der Durchbruch durch die feindliche Front war gelungen. Die Vorwärtsbewegung wurde nachdrücklich fortgesetzt, soweit der Brennstoff reichte. Ich fuhr von Gluchow über Essman nach Sewsk zur 4. Panzer-Division. Längs der Vormarschstraße lagen zerschossene Russenfahrzeuge aller Art, ein Beweis, daß der Gegner durch unseren Angriff überrascht wurde. Auf einem Windmühlenhügel in der Nähe der Marschstraße sah ich die Generale Frhr. von Geyr und Frhr. von Langermann. Wesentliche Teile der 4. Panzer-Division hatten Sewsk bereits erreicht. Das Gelände zeigte die Spuren heftigen Kampfes. Tote und verwundete Russen waren zu sehen, und auf dem kurzen Wege von der Straße bis zur Windmühle machte ich mit meiner Begleitung 14 unverwundete Russen, die sich im hohen Grase verborgen gehalten hatten, zu Gefangenen, darunter einen Offizier, der noch einen Fernsprechanschluß nach Sewsk bediente. 4 km nördlich Sewsk, das bereits in unserer Hand war, traf ich Oberst Eberbach, den tapferen Führer der Panzer-Brigade der 4. Panzer-Division. Er bejahte meine Frage, ob er den Vormarsch noch bis Dmitrowsk fortsetzen könne. Infolgedessen ordnete ich die weitere Verfolgung an, obwohl mir die Generale vorher irrtümlich berichtet hatten, daß sie aus Brennstoffmangel den Vormarsch einstellen müßten. Während der Besprechung mit Eberbach fielen mehrfach russische Bomben auf die Vormarschstraße und nach Sewsk hinein. Ich fuhr dann noch bis zu den vordersten Teilen der siegreichen Panzer und dankte den Männern unter Major von Jungenfeldt für ihr tapferes Verhalten. Auf dem Rückweg teilte ich dem Kommandierenden General meinen Befehl zur Fortsetzung des Vormarsches mit. Die Angriffsspitze des XXIV. Panzer-Korps legte an diesem Tage 130 km zurück!
Die Vorausabteilungen unseres rechten Nachbarn, der 6. Armee, trafen bei Gadjatsch ein, weitere waren auf Mirgorod im Vorgehen, um die Lücke zwischen uns und der 17. Armee zu schließen.
Am 2. Oktober wurde der Angriff mit Wucht fortgesetzt. Ein vollendeter Durchbruch wurde erzielt und die 13. russische Armee nach Nordosten zurückgeworfen. Ich besuchte die 10. (mot.) I.D. und das zu ihr gehörige I.R. 41 unter Oberst Traut. Erfreulich geringe Verluste in diesen Tagen! Aber wenn man nach dem Gesamtverlust seit Beginn der Bewegungen fragte, kamen doch ernste Ziffern heraus. Die Truppe hatte einigen Ersatz erhalten, aber dieser brachte zwar den guten Willen, jedoch nicht die Kampferfahrung und Härte der alten Leute mit.
Die 4. Panzer-Division nahm Kromy und erreichte damit die feste Straße nach Orel.
Die gesamte Heeresgruppe „Mitte“ befand sich seit dem Morgen dieses Tages in erfolgreichem Angriff, der durch gutes Wetter begünstigt wurde. Unser linker Nachbar, die 2. Armee, durchbrach die Sudost—Desna—Stellung gegen zähen Widerstand.
Am 3. Oktober erreichte die 4. Panzer-Division Orel. Damit hatten wir auf der festen Straße Fuß gefaßt und einen wichtigen Eisenbahn- und Straßenknotenpunkt gewonnen, der unsere Basis für die weiteren Unternehmungen werden sollte. Die Eroberung der Stadt vollzog sich so überraschend für den Gegner, daß die elektrischen Bahnen noch fuhren, als unsere Panzer eindrangen. Die von den Russen offenbar sorgsam vorbereitete industrielle Räumung konnte nicht durchgeführt werden. Zwischen den Fabriken und dem Bahnhof lagen allerwärts die Maschinen und Kisten mit Werkzeugen und Rohstoffen an den Straßen.
Das XXXXVII. Panzer-Korps erhielt die Richtung auf Brjansk.
Die 6. Armee rechts von uns wurde mit ihrem rechten Flügel auf Charkow, mit dem linken über Sumy und Bjelgorod angesetzt. Dies war für die Sicherung unserer rechten Flanke bedeutungsvoll. Die Panzergruppe 4 hatte den Feind durchbrochen und ging auf Mosalsk—Spass Djemjenskoje vor, um die westlich Wjasma stehenden Feindkräfte zu umfassen. Die Panzergruppe 3 gewann einen Brückenkopf über den oberen Dniepr bei Cholm.
Der 4. Oktober brachte den vorderen Teilen des XXIV. Panzer-Korps die Einnahme von Moin an der Straße nach Tula. Die 3. und 18. Panzer-Division gingen auf Karatschew vor. Die 17. Panzer-Division bildete einen Brückenkopf über die Nerussa und gewann damit die Möglichkeit weiteren Vorgehens nach Norden.
Unser linker Nachbar überschritt die Bolwa. Die Bahnlinie Suchinitschi—Jelnja wurde erreicht. Die Panzergruppe 3 nahm Bjeloi. Im rückwärtigen Gebiet der Heeresgruppe machten sich die ersten Partisanen bemerkbar.
Da ich am nächsten Tage das XXXXVII. Panzer-Korps besuchen wollte, sandte ich meine Fahrzeugstaffel voraus nach Dmitrowsk, wo sie mich auf dem Storchlandeplatz erwarten sollte. Auf diese Weise sparte ich die lange Fahrt auf den schlechten Wegen und traf am 5. Oktober, 10,30 Uhr, bei General Lemelsen ein. Die 18. Panzer-Division wurde über die Straße Orel—Brjansk nach Norden angesetzt, während die 17. Panzer-Division den Auftrag erhielt, sich durch Handstreich in den Besitz von Brjansk zu setzen. Von Lemelsens Gefechtsstand Lobanowo flog ich im Storch zum Generalkommando XXIV. Panzer-Korps nach Dmitrowsk. General Frhr. von Geyr klagte über die schlechte Betriebsstofflage, von deren Regelung allerdings der weitere Verlauf der Bewegungen entscheidend beeinflußt wurde. Erbeutet hatten wir leider nur wenig. Aber da der Flugplatz Orel in unsere Hand gefallen war, richtete ich an den Befehlshaber der Luftflotte 2 die dringende Bitte, uns dorthin auf dem Luftwege die notwendige Versorgung von 500 cbm zuzuführen. Von der regen Tätigkeit der russischen Luftwaffe erhielt ich übrigens an diesem Tage ein eindrucksvolles Bild. Unmittelbar nach meiner Landung auf dem Flugplatz Sewsk, auf dem gerade etwa 20 deutsche Jäger eingefallen waren, erfolgte ein russischer Bombenangriff, dem bald darauf ein weiterer auf den Korpsgefechtsstand folgte, so daß uns die Fensterscheiben um die Ohren flogen. Ich begab mich sodann auf die Vormarschstraße der 3. Panzer-Division. Auch hier erlebten wir eine Reihe russischer Bombenabwürfe durch Ketten von 3—6 Flugzeugen, allerdings aus großer Höhe und daher einigermaßen unwirksam. Für den 6. Oktober wurde uns durch die Luftflotte eine Verstärkung an Jägern zugesagt, so daß wir auf eine Besserung der Lage rechnen konnten.
An diesem Tage erhielt die Panzergruppe 2 die Bezeichnung „2. Panzerarmee“.
Die 25. (mot.) I.D. wurde nach Sewsk zur Verfügung der Armee heranbefohlen. Das XXXXVIII. Panzer-Korps nahm Rylsk, das XXIV. erweiterte seinen Brückenkopf über die Susha nördlich Orel, das XXXXVII. nahm Karatschew.
Unser rechter Nachbar hoffte am 6.10. die Linie unserer Sicherungen am Psiol zu erreichen. Links von uns gingen XXXXIII. und XIII. A.K. auf Suchinitschi vor. Juchnow fiel in deutsche Hand.
Am 6. Oktober wurde unser Gefechtsstand nach Sewsk verlegt. Die 4. Panzer-Division wurde südlich Mzensk von russischen Panzern angegriffen und erlebte böse Stunden. Zum ersten Male zeigte sich die Überlegenheit des russischen T 34 in krasser Form. Die Division hatte betrübliche Verluste. Der beabsichtigte rasche Vormarsch auf Tula mußte vorerst unterbleiben.
Erfreulich war dagegen, daß die 17. Panzer-Division Brjansk und die dortige Brücke über die Desna nehmen konnte und damit die sichere Aussicht auf Verbindung mit der westlich der Desna vorgehenden 2. Armee schuf. Unser Nachschub hing sehr wesentlich von der Herstellung der Straßen- und Bahnverbindung Orel—Brjansk ab. Die Einkesselung des im Raume zwischen Desna und Sudost fechtenden Feindes zeichnete sich ab. Nördlich Borschtschew wurde ein Brückenkopf über die Nawlja gewonnen.
Erfreulich war weiter die bisherige Ruhe in unserer offenen Flanke, wo das Korps Kempf langsam durch den Morast nach Dmitrijeff aufschloß, während das Höhere Kommando XXXIV unter General Metz nach Rylsk kam.
Die 1. Panzerarmee der Heeresgruppe „Süd“ erhielt die Richtung auf das Asow-sche Meer. Unser rechter Nachbar beabsichtigte, in Richtung auf Schtepowka vorzugehen. Bisher noch dort gebundene Teile der 25. (mot.) I.D. wurden somit frei und dem Korps Kempf nach Putiwl nachgeführt. Unser linker Nachbar nahm Shisdra und erhielt die Richtung auf Brjansk, um zum Zusammenwirken mit der 2. Panzerarmee zu gelangen.
In der Nacht vom 6. zum 7. Oktober fiel der erste Schnee dieses Winters. Wenn er auch nicht lange liegen blieb, so verwandelte er doch die Wege in der bekannt kurzen Frist in grundlose Schlammkanäle, auf denen sich unsere Fahrzeuge nur im Schneckentempo und unter übermäßiger Abnutzung bewegen konnten. Wir wiederholten unsere, bereits früher erhobene Bitte um Winterbekleidung, erhielten aber nur den Bescheid, daß sie rechtzeitig zugewiesen würde und wir überflüssige Mahnungen unterlassen sollten. Ich habe dann noch mehrfach gemahnt, aber ihr Eintreffen an der Front in diesem Jahre nicht mehr erlebt.
Das XXXXVIII. Panzer-Korps bewegte sich zu Fuß durch den Schlamm auf Dmitrijeff. Russische Gegenangriffe auf Brjansk scheiterten. Die 29. (mot.) I.D. erreichte die Rewna-Mündung.
Unser rechter Nachbar näherte sich Schtepowka, der linke wies das LIII. A.K. von Westen auf Brjansk. Hierdurch hofften wir auf Erleichterung der Lage des XXXXVII. Panzer-Korps und auf Freimachen des Nachschubweges Roslawl— Brjansk—Orel. Die 2. Armee nahm weiter nördlich Suchinitschi und Meschtschewsk. Bei Wjasma schlössen die 4. und 9. Armee etwa 45 russische Verbände ein. Die 10. Panzer-Division nahm Wjasma.
Nach der Auffassung des OKH wurde durch diese günstige Entwicklung das Weiterführen der Operationen auf Moskau ermöglicht. Man wollte verhindern, daß die Russen sich westlich Moskau noch einmal zu gegliederter Verteidigung festsetzten. Für die 2. Panzerarmee schwebte dem OKH der weitere Vormarsch über Tula auf die Oka-Übergänge zwischen Kolomna und Serpuchow vor – ein allerdings sehr weites Ziel! Diesem Streben sollte das Vorgehen der Panzergruppe 3 nördlich um Moskau herum entsprechen. Der Oberbefehlshaber des Heeres fand bei der Heeresgruppe „Mitte“ volle Übereinstimmung mit seinen Gedankengängen.
Am 8. Oktober flog ich mit dem Storch über unserer „Straße“ von Sewsk über Dmitrowsk nach Orel, wo ich die vorausgeschickte Fahrzeugstaffel traf. Das Verkehrsbild auf der „Straße“ gab bis Kromy ein trübes Bild; von dort ab hatten wir feste Straße bis Orel, auf der allerdings bereits jetzt ein Bombentrichter am andern lag. General Frhr. von Geyr berichtete, daß der Feind vor der 4. Panzer-Division sich verstärkt habe; eine Panzer-Brigade und eine Infanterie-Division waren neu festgestellt. Die 3. Panzer-Division marschierte nach Norden mit dem Auftrag, Bolchow zu nehmen. Die 4. Panzer-Division hatte für den 9.10. den Auftrag, Mzensk zu nehmen. Sehr unerfreulich war der Bericht über die Wirkung und besonders über die veränderte Taktik der russischen Panzer. Gegen den T 34 hatten unsere damaligen Abwehrwaffen nur unter besonders günstigen Umständen Wirkung. Mit der kurzen 7,5-cm-Kanone des Panzers IV mußte man den T 34 von rückwärts angreifen, um ihn durch die Grätings über dem Motor zu erledigen. Ihn schußgerecht vor das Rohr zu bekommen, war ein Kunststück. Die Russen griffen uns frontal mit Schützen an und setzten die Panzer gegen unsere Flanken an, und zwar in Massen. Sie hatten etwas gelernt. Die Schwere der Kämpfe übte allmählich ihre Wirkung auf unsere Offiziere und Soldaten aus. General Frhr. von Geyr beantragte erneut die beschleunigte Beschaffung von Winterbekleidung aller Art. Es fehlte vor allen Dingen an Stiefeln, Hemden und Strümpfen. Der Ernst dieser Berichte stimmte bedenklich. Ich entschloß mich, sofort die 4. Panzer-Division aufzusuchen, um unmittelbare Eindrücke zu erhalten. Auf dem Gefechtsfeld des 6. und 7. Oktober schilderte der Kommandeur der an der Front sichernden Kampfgruppe den Verlauf der Kämpfe. Die beiderseits ausgefallenen Panzer standen noch an Ort und Stelle. Die Beschädigungen der Russen waren wesentlich geringer als die der unseren.
Nach Orel zurückgekehrt, traf ich Oberst Eberbach, der mir gleichfalls den Verlauf der letzten Gefechte schilderte, dann abermals General Frhr. von Geyr und den Kommandeur der 4. Panzer-Division, Frhr. von Langermann. Zum erstenmal während dieses anstrengenden Feldzuges machte Eberbach einen mitgenommenen Eindruck, und es war nicht die körperliche, sondern die seelische Erschütterung, die man ihm anmerkte. Daß unsere besten Offiziere durch die letzten Kämpfe so stark beeindruckt waren, mußte stutzig machen.
Welch Gegensatz zu der Hochstimmung, in die sich das OKH und das Oberkommando der Heeresgruppe „Mitte“ versetzt fühlten! Hier tat sich eine Kluft der Anschauungen auf, die später kaum zu überbrücken war, zumal die 2. Panzerarmee damals von der siegestrunkenen Einstellung ihrer Vorgesetzten nichts erfuhr.
Abends meldete das Höhere Kommando XXXV, daß nördlich Sisemka – westlich Sewsk – verstärkter Feinddruck zu spüren sei. Man konnte hieraus schließen, daß die südlich Brjansk eingeschlossenen Russen versuchen würden, nach Osten auszubrechen. Ich setzte mich mit der unverändert am Westufer des Sudost stehenden 1. Kavallerie-Division in Verbindung, ob sie keine Veränderung im Verhalten des Feindes wahrgenommen habe. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch befahl ich der Division, sich durch Angriff in den Besitz des Ostufers des Flusses zu setzen. Dabei mußte sich herausstellen, ob der Gegner noch hielt oder im Abbauen war. Die 1. Kavallerie-Division gewann alsbald einen Brückenkopf.
Am Abend rief die Heeresgruppe an und teilte mit, daß sie uns die Sorge um die linke Flanke dadurch abnehmen wolle, daß sie das Höhere Kommando XXXV der 2. Armee unterstelle. Ich erhob Einspruch, da nur einer an der Einschließungsfront des Trubtschewsker Kessels südostwärts der Desna befehligen könne. Auch die Sorge um die rechte Flanke sollte uns durch Unterstellung des Höheren Kommandos XXXIV unter die 6. Armee abgenommen werden, welche damit Kursk zu nehmen hätte. Dieser Vorschlag, der anscheinend vom OKH oder OKW ausging, schien gleichfalls zur Zeit nicht ausführbar, weil sonst unser Flankenschutz rechts entfiel. Zwar war an diesem Tage Dmitrijeff genommen, aber die schlechten Wege behinderten das Aufschließen der rückwärtigen Teile des XXXXVIII. Panzer-Korps und verlängerten die Krise.
Am 9. Oktober erfolgte der tags zuvor angekündigte russische Durchbruchsversuch bei Sisemka. Die 293. I.D. wurde auf ihrem rechten Flügel heftig angegriffen und über Sisemka und Schilinka zurückgedrückt. Da die 25. (mot.) I.D., welche als Reserve der Panzerarmee dienen sollte, noch nicht heran war, mußte das I.R. 41 der 10. (mot.) I.D. vorerst die Lücke zwischen der 29. (mot.) I.D. und der 293. I.D. schließen. Das XXXXVIII. Panzer-Korps, welches durch Weisung der Heeresgruppe „Mitte“ auf Kursk und Liwny angesetzt war, erhielt nunmehr den Befehl, alles Verfügbare nach Sewsk zu ziehen. Um 12 Uhr traf der Kommandeur der 25. (mot.) I.D., General Clössner, in Sewsk ein und übernahm den Befehl über die zwischen der 29. (mot.) I.D. und der 293. I.D. fechtenden Einheiten. Während hier ein heftiger Kampf tobte, war die 1. Kavallerie-Division mit der Masse ihrer Truppen ohne ernstlichen Widerstand über den Sudost gelangt und im Vorgehen auf Trubtschewsk. Sie hatte sich vom Feinde täuschen lassen und suchte nun, das Versäumte nachzuholen. Im Laufe des Tages bildeten sich längs der Straßen Trubtschewsk – Sewsk, Trubtschewsk – Orel und Trubtschewsk – Karatschew Hauptdruckstellen heraus, jedoch gelang es nur geringen Teilen der Russen, über die Straße Seredina Buda—Sewsk zu entkommen, dabei leider wahrscheinlich dem Stabe der 13. russischen Armee.
Bei dichtem Schneetreiben wurde der Gefechtsstand der Panzerarmee nach Dmitrowsk verlegt. Die Wege wurden durch das Wetter immer trostloser. Zahllose Fahrzeuge blieben auf der sogenannten „Rollbahn“ stecken.
Trotz allem wurde Bolchow genommen. Die 18. Panzer-Division schloß nördlich Brjansk im Zusammenwirken mit der 2. Armee (XXXXIII. A.K.) die dort kämpfenden Russen ein.
Gleichzeitig mit diesen Ereignissen bereitete der Südflügel der Ostfront das Vorgehen auf Taganrog und Rostow vor. Die vordersten Teile unseres Nachbarn, der 6. Armee, näherten sich Achtyrka und Sumy.
Links von uns wurde die Ugra in Richtung Moskau überschritten, Gschatsk genommen.
Der 10. Oktober brachte uns neue Weisungen der Heeresgruppe: Die Wegnahme von Kursk, die Erledigung des Kessels von Trubtschewsk, die vollständige Abriegelung des sich bildenden Kessels nordostwärts Brjansk und den Vorstoß auf Tula, natürlich alles sofort. Liebenstein erkundigte sich ganz richtig nach der Dringlichkeit dieser offenbar von einer höheren Stelle ausgehenden Forderungen. Wir erhielten aber keine Antwort.
Die nächsten Wochen standen nun ganz im Zeichen der Schlammperiode. Die Räderfahrzeuge konnten nur mit Hilfe der Kettenfahrzeuge bewegt werden. Diese wurden durch die damit verbundene Überlastung, auf die sie nicht konstruiert waren, übermäßig abgenutzt. Da es an Kuppelungen und Ketten zum Zusammenkoppeln der Fahrzeuge fehlte, wurden Bündel von Stricken aus Flugzeugen über den steckengebliebenen Fahrzeugen abgeworfen. Die Versorgung Hunderter solcher Fahrzeuge und ihrer Besatzungen mußte von nun an wochenlang auf dem Luftwege erfolgen. Die Wintervorbereitungen waren ohnehin kläglich. Das seit etwa 8 Wochen angeforderte Glysantin für das Kühlwasser der Motoren war ebenso wenig eingetroffen, wie die Winterbekleidung für die Truppe. Dieser letztgenannte Umstand bereitete dem Soldaten in den folgenden schweren Monaten die größten und dabei leicht vermeidbaren Schwierigkeiten und Leiden.
Die feindlichen Durchbruchsversuche bei der 29. (mot.) I.D. und der 293. I.D. dauerten an. Der 4. Panzer-Division gelang es, in Mzensk einzudringen.
Rechts von uns nahm die 6. Armee Sumy, links gelangte das XIII. A.K. an und über die Ugra westlich von Kaluga. Auch hier machte sich die Wetterverschlechterung nachteilig fühlbar.
Am 11. Oktober versuchten die Russen, beiderseits Nawlja aus dem Trubtschewsker Kessel auszubrechen. Zwischen der 29. und 25. (mot.) I.D. klaffte eine nur notdürftig durch das MG-Bataillon 5 gesperrte Lücke, gegen die der Feind vordrang. Gleichzeitig entwickelten sich beim XXIV. Panzer-Korps heftige Ortskämpfe in Mzensk, nordostwärts Orel, in das die 4. Panzer-Division eingedrungen war, aber wegen des Schlammes nicht schnell genug unterstützt werden konnte. Zahlreiche russische Panzer vom Typ T 34 traten auf und verursachten starke deutsche Panzerverluste. Die bisherige, materielle Überlegenheit unserer Panzer verkehrte sich bis auf weiteres in das Gegenteil. Die Aussichten auf rasche, durchschlagende Erfolge schwanden dahin. Ich verfaßte über diese, für uns neue Lage einen Bericht an die Heeresgruppe, in welchem ich die Vorzüge des T 34 gegenüber unserem Panzer IV klar schilderte und daraus die Folgerungen für unsere künftigen Panzerkonstruktionen zog. Der Bericht gipfelte in dem Antrag, alsbald eine Kommission an meine Front zu entsenden, die sich aus Vertretern des Heeres-Waffenamts, des Rüstungsministeriums, der Panzerkonstrukteure und der panzerbauenden Firmen zusammensetzen sollte. Mit dieser Kommission sollte an Ort und Stelle und unter dem Eindruck der zerschossenen Panzer auf den Gefechtsfeldern über die Bedingungen beraten werden, die an die Neubauten zu stellen wären. Auch die beschleunigte Fertigung einer schweren Panzerabwehrkanone mit genügender Durchschlagskraft gegen die Panzerung des T 34 wurde gefordert. Die Kommission erschien am 20. November bei der 2. Panzerarmee. Am 11. Oktober wurde der Armee das I.R. „G.D.“ angekündigt, welches auf Befehl Hitlers zur Abdichtung der verhältnismäßig dünnen Linien der 18. Panzer-Division nordostwärts Brjansk an der Straße Karatschew—Chwastowitschi eingesetzt werden sollte. Uns wurde ferner mitgeteilt, daß eine Neugliederung beabsichtigt sei, durch welche die 2. Armee rechts neben uns gesetzt werden sollte und ihr die Höheren Kommandos XXXIV und XXXV unterstellt würden, während wir dafür Teile der 2. Armee erhalten sollten. Man konnte daraus auf Fortsetzung der Bewegungen nach Nordosten schließen. Die Kämpfe zur Verengerung der Kessel setzten sich fort. Am Südflügel der Ostfront endete die Schlacht am Asow'schen Meer mit einem deutschen Sieg, der 100 000 Gefangene, 212 Panzer und 672 Geschütze als Beute brachte. Die oberste Führung rechnete mit der Vernichtung der 6., 12., 9. und 13. russischen Armee und glaubte, die Voraussetzung geschaffen zu haben, den Angriff auf den Unterlauf des Don fortzusetzen. Die SS-„A.H.“ stand 20 km nordwestlich Taganrog. Langsamer gestaltete sich das Vorgehen der 17. Armee südlich Charkow und der 6. Armee bei Sumy. Hier zwangen frische russische Kräfte mit Panzern stellenweise zum Übergang zur Abwehr. Das wirkte sich auf meinen rechten Flügel nachteilig aus. Da die 11. Armee zur Eroberung der Krim nach Süden abgedreht war, flatterte der Stoß der Heeresgruppe „Süd“ fächerförmig auseinander.
Im Norden der Heeresgruppe „Mitte“ verlangsamten sich die Bewegungen durch Schneetreiben. Die Panzergruppe 3 erreichte die obere Wolga bei Pogoreloje.
Die Schneefälle dauerten auch am 12. Oktober an. Wir saßen immer noch in dem kleinen Nest Dmitrowsk mit dem entsetzlichen Lehmbrei auf den Straßen und warteten auf die angekündigten neuen Weisungen des OKH für die Umgliederung. Der große Kessel südlich Brjansk und der kleine nördlich dieser Stadt war geschlossen, aber die Truppen lagen im Schlamm bewegungsunfähig fest, auch das XXXXVIII. Panzer-Korps, das ich bei Beginn der Bewegungen so gerne über Sumy auf der festen Straße vorgeführt hätte und das nun mühsam auf Fatesh vordrückte. Bei Mzensk dauerten die Kämpfe mit frischem Feind an. Die Infanterie des Höheren Kommandos XXXV wurde auf die Notwendigkeit des Säuberns der Waldgebiete des Trubtschewsker Kessels hingewiesen. Nicht nur wir, auch die Heeresgruppe „Süd“ blieb nunmehr mit Ausnahme der 1. Panzerarmee im Schlamm stecken. Der 6. Armee gelang die Einnahme von Bogoduchow, nordwestlich von Charkow. Nördlich von uns fiel Kaluga in die Hand des XIII. A.K. Die Panzergruppe 3 nahm Stariza und ging in Richtung Kalinin weiter vor.
Das OKH erließ Weisungen zur Abschließung von Moskau, die uns aber nicht erreichten.
Am 13. Oktober setzten die Russen ihre Durchbruchsversuche zwischen Nawlja und Bortschewo fort. Das XXXXVII. Panzer-Korps mußte durch Teile der 3. Panzer-Division und 10. (mot.) I.D. des XXIV. Panzer-Korps verstärkt werden. Trotzdem gelang es angesichts der Unbeweglichkeit unserer Einheiten einer Gruppe von etwa 5 000 Russen, sich bis in die Gegend von Dmitrowsk durchzuschlagen, wo sie gestellt werden konnte.
Die Panzergruppe 3 drang in Kalinin ein. Die 9. Armee erreichte den Westrand von Rshew.
Am 14. Oktober verlegten wir unser Hauptquartier nach Orel, wo wir im Sowjet-Gebäude eine gute Unterkunft fanden. Die Bewegungen beider Parteien blieben in den nächsten Tagen gering. Mit Mühe stellte sich das XXIV. Panzer-Korps mit der 4. und 3. Panzer-Division im Schlamm bei und nordwestlich Mzensk zum Angriff über die Susha bereit, während das XXXXVII. Panzer-Korps nach Abschluß der Kesselschlacht längs der Straße Orel—Karatschew—Brjansk gesammelt und geordnet wurde. Das I.R. „G.D.“ wurde dem XXIV. Panzer-Korps unterstellt und nach Mzensk zugeführt. Das XXXXVIII. Panzer-Korps nahm Fatesh mit Hilfe von Teilen der 18. Panzer-Division, die über Kromy auf der festen Straße herangeführt worden waren, und stellte sich anschließend zum Angriff auf Kursk von Nordwesten her bereit, während das Höhere Kommando XXXIV von Westen auf Kursk vorgehen sollte, um die in diesem Räume stehende, starke russische Kräftegruppe des Generals Jefremoff zu schlagen und damit eine ständige Bedrohung unserer rechten Flanke auszuschalten. Unter heftiger russischer Gegenwehr gelang der 6. Armee die Einnahme von Achtyrka. Im übrigen stockte das Vorgehen der Heeresgruppe „Süd“ infolge des Schlammes.
Auch bei der Heeresgruppe „Mitte“ litt der Angriff unter der Witterung. Borowsk – 80 km vor Moskau – fiel dem LVII. A.K. in die Hand. Am 15. Oktober nahm die 6. Armee Krasnopolje, ostwärts Sumy.
Zur Vorbereitung des Vormarsches über Mzensk besuchte ich am 16. Oktober die 4. Panzer-Division.
Die Rumänen nahmen an diesem Tage Odessa. Das XXXXVI. Panzer-Korps näherte sich Moshaisk.
Am 17. Oktober kapitulierte der Kessel nördlich Brjansk. über 50 000 Gefangene, 400 Geschütze wurden im Zusammenwirken mit der 2. Armee erbeutet, die Masse der 50. russischen Armee vernichtet. Feindliche Gegenangriffe auf Fatesh.
Am 18. Oktober begann der Angriff der 11. Armee auf die Krim. Die 1. Panzerarmee ging nach Eroberung von Taganrog auf Stalino vor. Die 6. Armee nahm Graiworon.
Nördlich der 2. Panzerarmee fiel Malojaroslawez in die Hand der 19. Panzer-Division. Moshaisk wurde genommen.
Am 19. Oktober begann die 1. Panzerarmee sich zum Vorgehen auf Rostow bereitzustellen. Sie drang in Stalino ein. 17. und 6. Armee errangen Erfolge in Richtung auf Charkow und Bjelgorod. Schlechtes Wetter behinderte die Verfolgung. Das Gleiche galt für die Heeresgruppe „Mitte“. Das XXXXIII. A.K. nahm Lichwin. Es trat für 24 Stunden unter die 2. Panzerarmee.
Am 20. Oktober kapitulierte der Trubtschewsker Kessel. Der Schlamm legte die ganze Heeresgruppe fest.
Die 1. Panzerarmee brach in Stalino ein. Die 6. Armee näherte sich Charkow. Sie kämpfte sich am 21. Oktober durch den Schlamm bis an den Westrand der Stadt heran.
Am 22. Oktober scheiterte der Angriff des XXIV. Panzer-Korps über Mzensk hinaus an der ungenügenden Zusammenfassung der Artillerie- und Panzerwirkung. Er wurde am 23. unter Vereinigung aller verfügbaren Panzer bei der 3. Panzer-Division nordwestlich Mzensk wiederholt und gelang nun. In der Verfolgung des geschlagenen Feindes wurde am 24. Oktober Tschern genommen. Ich hatte an beiden Angriffstagen teilgenommen und mich von den Schwierigkeiten überzeugt, die durch den nassen Boden und die ausgedehnten russischen Verminungen hervorgerufen wurden.
Die 18. Panzer-Division hatte am 22. Oktober Fatesh genommen.
Am 24. Oktober besetzte die 6. Armee das vom Feinde geräumte Charkow und Bjelgorod. Links von uns fiel Belew an der Oka in die Hand des XXXXIII. A.K.
Am 25. Oktober wohnte ich dem Vormarsch des I.R. „G.D.“ auf Tschern und den Kämpfen der Gruppe Eberbach um den Nordteil dieses Ortes bei.
Mit dem 25. Oktober können die Kämpfe bei Brjansk als abgeschlossen bezeichnet werden. An diesem Tage trat die bereits angekündigte Neugliederung der Armee des rechten Flügels der Heeresgruppe „Mitte“ in Kraft. Die Höheren Kommandos XXXIV und XXXV, sowie das XXXXVI1I. Panzer-Korps – ohne die 25. (mot.) I.D. – wurden an die 2. Armee abgegeben. Die 1. K.D. ging in die Heimat nach Ostpreußen, um dort in die 24. Panzer-Division umgewandelt zu werden. Die 2. Panzerarmee erhielt dafür das XXXXIII. A.K. unter General Heinrici mit der 31. und 131. I.D. und das LIII. A.K. unter General Weisenberger mit der 112. und 167. I.D. Später wurde der Armee noch die 296. I.D. unterstellt. Die 25. (mot.) I.D. blieb bei der 2. Panzerarmee.
Aufgabe der 2. Panzerarmee war nunmehr der Vorstoß auf Tula, während die neue 2. Armee nach Osten angesetzt wurde, also wieder auseinanderstrebend.
Mit der siegreich beendeten Doppelschlacht von Brjansk und Wjasma war abermals ein großer taktischer Erfolg bei der Heeresgruppe „Mitte“ errungen. Ob sie noch die Kraft zu weiterem Angriff besaß, um den taktischen Sieg operativ zu nutzen, war die ernsteste Frage, die der Krieg der obersten Führung bisher gestellt hatte.
Der Vorstoß auf Tula und Moskau.
Die 2. Panzerarmee setzte nun den Vormarsch auf Tula fort. Die einzige Straße Orel—Tula, auf der sich diese Bewegung vollziehen mußte, war der Beanspruchung durch schwere Fahrzeuge und Panzer in keiner Weise gewachsen und brach nach wenigen Tagen zusammen. Zudem hatten die Russen, Meister in der Zerstörung, auf ihrem Rückzug alle Brücken gesprengt und an geeigneten Stellen umfangreiche Minenfelder beiderseits der Straße angelegt. Kilometerlange Knüppeldämme mußten gebaut werden, um den spärlichen Nachschub zur Truppe zu schaffen. Die Stärke der vormarschierenden Einheiten hing weniger von der verfügbaren Truppenzahl ab, als von der Möglichkeit, sie mit Brennstoff zu versorgen. Daher wurde die Masse der noch verfügbaren Panzer durch das XXIV. Panzer-Korps unter dem Befehl des Oberst Eberbach vereinigt und mit dem I.R. „G.D.“ zu einer Vorhut zusammengestellt, die nun in Richtung Tula in Bewegung gesetzt wurde. Das LIII. A.K. erreichte am 26. Oktober die Oka, das XXXXIII. A.K. erweiterte den Oka-Brückenkopf der 31. I.D. bei Belew. Unser rechter Nachbar lenkte sein XXXXVIII. Panzer-Korps auf Kursk. Links von uns, vor der 4. Armee, Gegenangriffe der Russen, die zum Übergang zur Abwehr zwangen.
Am 27. und 28. Oktober begleitete ich den Vormarsch Eberbachs. Am 27. spielte das OKW mit dem Gedanken, uns auf die Meldung von russischen Antransporten von Osten auf Woronesh abzudrehen. Dorthin führten aber keine Straßen. Jedenfalls mußten wir als Voraussetzung einer solchen Operation erst im Besitz von Tula sein. Ich bat Liebenstein, den Vorgesetzten diesen Gedanken auszureden. Die Nacht vom 27. zum 28. Oktober blieb ich in Tschern, in einem verlassenen, völlig verwanzten, kleinen Kinderhospital. Unser Anfang hatte die Gegend von Plawskoje erreicht. Das LIII. und XXXXIII. A.K. erweiterten ihre Oka-Brückenköpfe. Die 4. Armee wies heftige russische Angriffe ab.
Am 28. Oktober erfuhr ich durch Liebenstein den Verzicht des OKW auf das Abdrehen nach Woronesh. Der Vormarsch auf Tula wurde fortgesetzt. Aus Brennstoffmangel ließ Eberbach ein Bataillon „G.D.“ auf die Panzer aufsitzen. Wir kamen bis Pissarewo, 30 km südlich Tula. Aufklärer des XXXXIII. A.K. erreichten Odojewo. Die Nacht verbrachte ich wieder in Tschern, um am nächsten Morgen mit dem Storch zum Armeehauptquartier zurückzufliegen.
Am 28. Oktober erfuhren wir noch vom Wunsche Hitlers, die Oka-Brücken ostwärts von Serpuchow „durch schnelle Abteilungen in die Hand zu bekommen“. Wir konnten nur so viel vortreiben, wie sich versorgen ließ. Auf der völlig zusammengebrochenen Straße Orel—Tula erreichten unsere Fahrzeuge gelegentlich eine Höchstgeschwindigkeit von 20 km. „Schnelle Abteilungen“ gab es nicht mehr. Hitler lebte in einer Illusion.
An diesem Tage gewann die 1. Panzerarmee einen Übergang über den Mius, die 17. Armee den Donez.
Am 29. Oktober kam die Panzerspitze bis auf 4 km an Tula heran. Der Versuch, die Stadt durch Handstreich zu nehmen, scheiterte durch starke Abwehr an Pak und Flak unter erheblichen Verlusten an Panzern und Offizieren.
Der stets sachlich und nüchtern urteilende Kommandierende General des XXXXIII. A.K., Heinrici, suchte mich auf und schilderte die schlechte Versorgungslage seiner Truppen, die unter anderem seit dem 20. Oktober kein Brot mehr erhalten konnten.
Bis zum 30. Oktober war das LIII. A.K. von Westen her an die Straße Orel—Tula herangekommen. Das Korps war unter General Weisenberger nach Beendigung der Kesselschlacht von Brjansk am 19. Oktober mit der 167. I.D. über Bolchow—Gorbatschewo und mit der 112. I.D. über Belew-Arsenjewo—Zarewo herangezogen. Es hatte auf diesem Marsche unter den Unbilden der Schlammperiode zu leiden und konnte nicht alle Fahrzeuge, besonders nicht seine schwere Artillerie mitführen. Die motorisierten Teile des Korps mußten den Umweg über Orel—Mzensk auf der „festen“ Straße machen. Die uns seit dem 27. Oktober gemeldeten russischen Transporte von Osten veranlaßten midi, das LIII. A.K. zur Sicherung der rechten Flanke gegen die Linie Jepifan—Stalinogorsk anzusetzen.
Der Zustand der Straße Orel—Tula war inzwischen so schlecht geworden, daß für die vor Tula angelangte 3. Panzer-Division, welche der Gruppe Eberbach gefolgt war, Versorgung aus der Luft angeordnet werden mußte.
Angesichts der Unmöglichkeit im Frontalangriff bei Tula weitere Fortschritte zu erzielen, schlug General Frhr. von Geyr vor, die Stadt ostwärts zu umgehen. Ich pflichtete ihm bei und befahl die Fortsetzung des Angriffs in Richtung Dedilowo und die Wegnahme der Übergänge über den Schat. General Frhr. von Geyr war im übrigen der Auffassung, daß die Möglichkeit der Verwendung motorisierter Truppen bis zum Eintreten des Frostes erschöpft sei. Er hatte damit sicher recht. Man konnte nur sehr langsam Gelände gewinnen, und nur auf Kosten des Geräts. Bei dieser Lage gewann die Wiederherstellung der Eisenbahn Mzensk—Tula erhöhte Bedeutung. Die Arbeiten machten trotz redlichen Bemühens nur langsam Fortschritte. Der Mangel an Lokomotiven veranlaßte mich, auf Aushilfen zu sinnen und die Beschaffung von Schienenautos vorzuschlagen! ich konnte aber keine erhalten.
Das XXIV. Panzer-Korps gelangte am 1. November bis westlich Dedilowo.
Als sich am 2. November die Anfänge des LIII. A.K. Teploje näherten, stießen sie überraschend auf Feind. Es handelte sich um eine starke russische Kräftegruppe von zwei Kavallerie-Divisionen, fünf Schützen-Divisionen und einer Panzer-Brigade, die längs der Straße Jefremow—Tula offenbar mit der Absicht vorgingen, den vor Tula festliegenden Verbänden des XXIV. Panzer-Korps in Flanke und Rücken zu stoßen. Die Russen waren vom Auftreten des LIII. A.K. offenbar ebenso überrascht, wie dieses über das ihre. Es kam zu einer vom 3. bis 13. November dauernden Schlacht im Räume um Teploje, in der es dem LIII. A.K. nach Verstärkung durch die Panzer der Brigade Eberbach gelang, den Feind zu schlagen und unter Verlust von mehr als 3 000 Gefangenen und einer großen Zahl von Geschützen in Richtung auf Jefremow zurückzuwerfen. Die Bewegungen der Truppe wurden zwar durch den in der Nacht vom 3. zum 4. November einsetzenden Frost erleichtert, dem standen jedoch die Erfrierungen gegenüber, unter denen die Truppe zu leiden begann. Zur Sicherung der tiefen Flanke der Panzerarmee im Räume Mzensk—Tschern und ostwärts wurden die inzwischen von Karatschew nachgezogenen, ungepanzerten Teile der 17. Panzer-Division verwendet. An der Ausbesserung der Straße Orel—Tula arbeiteten ständig Pioniere, Bau-Bataillone und Reichsarbeitsdienstgruppen.
Das XXXXVIII. Panzer-Korps nahm in diesen Tagen Kursk.
Am 5. November empfing ich einen kurzen Besuch des Feldmarschalls von Bock. Die Heeresgruppe war am 4. November zu der Ansicht gekommen, daß die Russen das Gebiet westlich des Don zwischen Woronesh und Stalinogorsk plangemäß räumten und hatte diese Ansicht dem OKH gemeldet. Durch die Ereignisse bei der 2. Panzerarmee fand dieser Glaube keine Stütze mehr. Bei Teploje griff der Feind vielmehr an!
Am 6. November flog ich an die Front. Meine Eindrücke von diesem Fluge gab nachstehender Brief wieder: „Für die Truppe ist es eine Qual und für die Sache ein großer Jammer, denn der Gegner gewinnt Zeit und wir kommen mit unseren Plänen immer tiefer in den Winter. So bin ich also recht traurig gestimmt. Der beste Wille scheitert an den Elementen. Die einzigartige Gelegenheit, einen ganz großen Schlag zu führen, entschwindet immer mehr, und ich weiß nicht, ob sie je wiederkehrt. Wie das noch werden soll, weiß Gott allein. Man muß hoffen und darf den Mut nicht sinken lassen, aber es ist gegenwärtig eine harte Prüfung ...“
„Hoffentlich kann ich bald etwas frohere Töne anschlagen. An sich liegt mir das Klagen nicht. Aber zur Zeit ist es schwer, guter Laune zu sein.“
Am 7. November traten bei uns die ersten, schweren Frostschäden auf. Von der 1. Panzerarmee hörten wir, daß sie seit dem 5. im Angriff auf Rostow am Don stehe.
Das LIII. A.K. machte am 8. November bei Teploje Fortschritte. Das XXIV. Panzer-Korps wies feindliche Angriffe aus Tula ab.
Am 9. November machten sich auch ostwärts und westlich Tula feindliche Angriffsabsichten fühlbar. Das XXIV. Panzer-Korps ging infolgedessen nach Abgabe der Panzer-Brigade Eberbach an das LIII. A.K. zur Abwehr über. Die 17. Panzer-Division – ohne ihre Panzer – wurde dem XXIV. Panzer-Korps unterstellt und nach Plawskoje nachgezogen. Da sich ostwärts Tschern neuer Feind zeigte, wurde die Division im Räume Mzensk—Tschern durch andere Teile des XXXXVII. Panzer-Korps im Flankenschutz ersetzt. Wie gespannt die Lage um Tula in diesen Tagen bereits war, geht daraus hervor, daß die 4. Panzer-Division mit vier schwachen Schützen-Bataillonen einen Raum von 35 km westlich Dedilowo decken mußte, um die Verbindung zwischen dem LIII. A.K. und der bei Tula kämpfenden 3. Panzer-Division sicherzustellen.
Am 12. November sank die Temperatur auf —15 Grad, am 13. auf —22 Grad. An diesem Tage fand in Orscha eine Besprechung der Armeechefs der Heeresgruppe „Mitte“ unter Leitung des Chefs des Generalstabes des Heeres statt, bei der der „Befehl für die Herbstoffensive 1941“ ausgegeben wurde. Dieser Befehl setzte der 2. Panzerarmee die Stadt Gorki – früher Nishnij Nowgorod – rund 600 km von Orel entfernt, als Ziel. Liebenstein meldete sofort, daß die Armee unter den gegebenen Umständen nur noch bis Wenew kommen könne. Wir waren ja nicht mehr im Mai und in Frankreich! Ich teilte die Auffassung meines Chefs des Stabes vollkommen und berichtete zunächst schriftlich an den Oberbefehlshaber der Heeresgruppe, daß die Panzerarmee nicht mehr in der Lage sei, diesen Befehl auszuführen. Bei Abfassung meines Berichts konnte ich mich auf die frischen Eindrücke einer Frontfahrt stützen, die mich am 13. und 14. November zum LIII. A.K. und XXIV. Panzer-Korps geführt hatte.
Am 13. November startete ich mit dem Storch von Orel, geriet jedoch nördlich von Tschern in einen Schneesturm, der mich zur Landung auf dem Feldflugplatz Tschern zwang. Von dort fuhr ich mit dem Wagen bei 22 Grad Kälte nach Plawskoje zu General Weisenberger. Es war der letzte Tag der Schlacht um Teploje, und Weisenberger berichtete über seine Erfahrungen. Er erhielt die Richtung auf Wolowo—Stalinogorsk und die Zusicherung, die Panzer-Brigade Eberbach solange zu behalten, bis die 18. Panzer-Division zur Sicherung seiner rechten Flanke gegen die auf Jefremow ausgewichenen Russen heran sei. Die Gefechtsstärken der Infanterie waren auf rund 50 Mann je Kompanie abgesunken. Das Fehlen der Winterbekleidung wurde immer fühlbarer.
Beim XXIV. Panzer-Korps machte sich die Glätte unangenehm bemerkbar, weil die Panzer ohne Kettenstollen an den vereisten Hängen nicht mehr bergauf fahren konnten. General Frhr. von Geyr glaubte nicht, vor dem 19. 11. zum Angriff antreten zu können. Er benötigte dazu die Panzer-Brigade Eberbach und Brennstoff für 4 Tage; vorhanden war nur ein Tagessatz! Ich glaubte, den Beginn der Bewegungen bereits auf den 17. 11. festsetzen zu sollen, um im Einklang mit den Bewegungen des LIII. A.K. zu bleiben und den Gegner am Bilden einer neuen Front in Linie Wolowo—Dedilowo zu hindern. Außerdem wurde das XXXXIII. A.K. westlich Tula angegriffen und bedurfte der Entlastung. Die rechte Flanke sollte durch das XXXXVII. Panzer-Korps mit der 18. Panzer-Division, der 10. und 29. (mot.) I.D. gesichert werden. Ich blieb die Nacht in Plawskoje.
Am 14. November vormittags besuchte ich die 167. I.D. und sprach mit einer Reihe von Offizieren und Soldaten. Die „Versorgung der Truppe war schlecht. Schneehemden, Stiefelschmiere, Wäsche und vor allem Tuchhosen fehlten. Ein großer Teil der Männer lief in Drillichhosen, und das bei 22 Grad Kälte! Strümpfe und Stiefel wurden gleichfalls dringend gebraucht. Mittags bei der 112. I.D. bot sich das gleiche Bild. Unsere Männer hatten sich russische Mäntel und Pelzmützen beschafft und waren nur noch an den Hoheitsabzeichen als deutsche Soldaten zu erkennen. Was die Panzerarmee an Bekleidungsvorräten noch besaß, ging unverzüglich an die Front. Es war bei dem Bedarf allerdings nur ein Tröpfchen auf den „kalten“ Stein.
Eberbach hatte etwa noch 50 Panzer in seiner stolzen Brigade. Die Zahl der Panzer von drei Divisionen hätte 600 betragen müssen. Die Glätte machte große Schwierigkeiten, da die Kettenstollen noch nicht eingetroffen waren. Infolge der Kälte beschlugen die Optiken; die Salbe, die das verhinderte, war gleichfalls nicht eingetroffen. Das Anlaufen der Panzermotoren mußte durch Anzünden von Feuern unter den Wannen erleichtert werden. Der Betriebsstoff fror teilweise, das öl wurde dick. Auch bei dieser Truppe fehlte die Winterbekleidung und das Glysantin.
Das XXXXIII. A.K. meldete verlustreiche Kämpfe.
Zur Nacht abermals in Plawskoje.
Am 15. November setzten die Russen ihre Angriffe auf das XXXXIII. A.K. fort.
Am 16. November besuchte mich General Heinrici: Frostschäden, Kleidernot, Verlausung!
Am 17. November erhielten wir Nachrichten über das Auftreten von Sibiriern bei Uslowaja und über weitere Ausladungen an der Strecke Rjasan—Kolomna. Die 112. I.D. geriet an die frischen Sibirier. Als nun gleichzeitig aus Richtung Dedilowo feindliche Panzer gegen die Division vorgingen, war die geschwächte Truppe dieser Belastung nicht mehr gewachsen. Man möge bei der Beurteilung ihrer Leistungen berücksichtigen, daß jedes Regiment bereits 400 Mann durch Erfrierungen verloren hatte, daß die Maschinenwaffen infolge der Kälte nicht mehr schössen, und daß unsere 3,7 cm-Pak sich gegen den russischen T 34 als unwirksam erwies. Es kam hier zu einer Panik, die sich bis Bogorodisk auswirkte. Diese erstmals im Rußlandfeldzuge auftretende Panik war ein ernstes Warnungszeichen, daß die Kampfkraft unserer Infanterie am Ende war und starken Belastungen nicht mehr ausgesetzt werden konnte. Durch Abdrehen der 167. I.D. auf Uslowaja konnte das LIII. A.K. die Lage bei der 112. I.D. aus eigener Kraft wiederherstellen.
Inzwischen wurde die tiefe Flanke der Panzerarmee durch die herankommenden Einheiten des XXXXVII. Panzer-Korps gesichert. „Wir nähern uns unserm Endziel nur schrittweise bei eisiger Kälte und bei schlechtester Unterkunft für die arme Truppe. Die Nachschubschwierigkeiten auf der Eisenbahn wachsen ständig. Sie sind die Hauptursache unserer Not, denn ohne Betriebsstoff können die Autos nicht fahren. Wir wären sonst dem Ziele schon um vieles näher. Dennoch erringt die brave Truppe einen Vorteil nach dem anderen und kämpft sich in bewundernswerter Geduld durch alle Widrigkeiten hindurch. Man muß immer wieder dankbar sein, daß unsere Männer so gute Soldaten sind ...“ (aus einem Brief vom 17.11.41.).
Während also die winterlichen Operationen fortgesetzt wurden, kümmerten wir uns um die Ernährung der Heimat, der Armee und der russischen Zivilbevölkerung. Nach der reichen Ernte des Herbstes 1941 fand sich überall im Lande eine Menge Brotgetreide. Auch an Schlachtvieh herrschte kein Mangel. Von der 2. Panzerarmee konnte bei der jämmerlichen Bahnlage nach der Heimat nicht viel abbefördert werden. Für die Truppe wurde der Bedarf gesichert und sodann der russischen Zivilbevölkerung in den Städten, zumal in Orel, der Bedarf bis zum 31. März 1942 zu eigener Verwaltung ausgehändigt. Maueranschläge in Orel machten diese Fürsorge bekannt, um die Bevölkerung in dieser Hinsicht zu beruhigen. Die russische Regierung hatte in dem fruchtbaren Gebiet der schwarzen Erde riesige Getreidesilos angelegt, in denen die goldene Frucht gelagert war. Wenn auch ein Teil dieser Speicher auf dem Rückzug von den Russen zerstört war, so konnte doch ein Teil erhalten und auch aus den bereits brennenden Silos noch viel gerettet werden, was zum mindesten der Bevölkerung zugute kam.
In Orel wurden einige Fabriken, deren Maschinenpark von den Russen nicht mehr hatte abtransportiert werden können, wieder in Betrieb genommen, um den Bedarf der Armee zu decken und der Bevölkerung wieder Arbeit und Brot zu geben. Hierzu gehörten eine Blechwarenfabrik, Leder- und Filzbearbeitungswerkstätten zur Schuhfabrikation.
Für die Stimmung der russischen Bevölkerung war übrigens eine Unterhaltung kennzeichnend, die ich mit einem alten, zaristischen General in Orel in diesen Tagen hatte. Er sagte: „Wenn Ihr vor 20 Jahren gekommen wäret, dann hätten wir Euch mit Begeisterung empfangen. Aber nun ist es zu spät. Wir fingen gerade an wiederaufzuleben, und nun kommt Ihr und werft uns um 20 Jahre zurück, so daß wir wieder von vorne anfangen müssen. Jetzt kämpfen wir für Rußland, und darin sind wir einig.“
Am 18. November trat die 2. Panzerarmee zu dem am 13.11. in Orscha befohlenen Angriff an. Es gingen vor:
vom XXXXVII. Panzer-Korps
die 18. Panzer-Division auf den Fabrikort Jefremow, der am 20.11. nach harten Straßenkämpfen genommen und gegen starke Gegenangriffe gehalten wurde,
die 10. (mot.) I.D. auf Jepifan—Michailow,
die 29. (mot.) I.D. auf Spaskoje—Gremjatschi, mit dem Auftrag, die Ostflanke der Armee gegen die aus dem Räume Rjasan—Kolomna erwarteten frischen russischen Kräfte zu sichern;
die 25. (mot.) I.D., die zur Zeit noch durch eine Druschaktion des OKW festgehalten wurde, sollte als Korpsreserve folgen, sobald sie freigegeben wurde.
vom LIII. A.K.
die 167. I.D über Stalinogorsk auf Wenew,
die 112. I.D. in den Raum um Stalinogorsk, wo sie wegen ihres mangelhaften Kräftezustandes zur Ablösung durch die aus dem Räume von Karatschew heranzutransportierende 56. I.D. der Heeresgruppe-Reserve stehen blieb und einen Brückenkopf über den Don ausbauen sollte;
das XXIV. Panzer-Korps mit der 17., 3. und 4. Panzer-Division, dem I.R. „G.D.* und der im Anmarsch von Süden befindlichen
296. I.D. mit dem Auftrag, Tula durch beiderseits umfassenden Angriff zu nehmen.
Vor der Front dieses und des LIII. A.K. ging eine Kampfgruppe der 17. Panzer-Division auf Kaschira vor, um sich in den Besitz der dortigen Oka-Brücke zu setzen und das Herankommen feindlicher Verstärkungen aus dem Räume von Moskau zu verhindern;
das XXXXIII. A.K., mit der 31. und 131. I.D. über Lichwin und Kaluga herangekommen, zwischen Upa und Oka, mit dem Auftrage, diesen Raum vom Feinde zu säubern und zwischen Tula und Aleksin die Verbindung zwischen 2. Panzerarmee und 4. Armee sicherzustellen.
Die 2. Armee, welche rechts der 2. Panzerarmee in unserer tiefen rechten Flanke stand, hatte den Befehl, ostwärts Orel nach Osten vorzugehen. Mit einer Unterstützung durch diese Armee war also nicht zu rechnen. Sie stellte in diesen Tagen russische Schanzarbeiten westlich der Straße Jelez—Jefremow fest und schloß daraus, daß die seinerzeit gehegte Hoffnung auf Abmarsch der Russen hinter den Don fehlgeschlagen sei.
Links der 2. Panzerarmee sollte die 4. Armee über die Oka nördlich von Aleksin und in Richtung auf Serpuchow angreifen. Diese Armee zählte etwa 36 Divisionen.
Im Gegensatz zur 4. Armee verfügte die 2. Panzerarmee nur über 12½ stark mitgenommene Divisionen. Die Infanterie war immer noch ohne Winterbekleidung und nahezu bewegungsunfähig. Ihre Tagesleistungen betrugen 5, höchstens 10 km! Ob die Armee der ihr gestellten Aufgabe noch gewachsen war, erschien mehr als fraglich.
Mit wirksamer Luftwaffenunterstützung gelang am 18. November die Wegnahme von Jepifan durch das XXXXVII. Panzer-Korps und von Dedilowo durch das XXIV. Panzer-Korps, das am 19.11. Bolochowo erreichte. Am 21. 11. fiel Uslowaja dem LIII. A.K. in die Hand, am 24. 11. Wenew dem XXIV. Panzer-Korps, welches hierbei 50 russische Panzer abschoß. Das XXXXIII. A.K. marschierte langsam auf die Upa los. Während sich diese Bewegungen vollzogen, trat seit dem 21.11. starker, neuer Feind, die 50. russische Armee mit der 108. Panzer-Brigade, der 299. Schützen-Division, der 31. Kavallerie-Division und weiteren Kräften vor den vorderen Teilen des XXXXVII. Panzer-Korps auf. Die Lage wurde erneut ernst.
Bei der Heeresgruppe „Süd“ erreichte am 19. November die 1. Panzerarmee nach langen Mühen in Schlamm und Eis den Nordrand von Rostow am Don und stand dort in schweren Kämpfen. Rostow fiel am 21,11. vollständig in ihre Hand. Die Don-Brücken waren von den Russen zerstört. Die Armee rechnete mit baldigen Gegenangriffen und ging zur Verteidigung über. Am 20. 11. nahm das XXXXVIII. Panzer-Korps bei der 2. Armee Tim, wo es bereits am 23.11. von einem russischen Gegenangriff betroffen wurde.
„Die eisige Kälte, die elenden Unterkünfte, die mangelhafte Bekleidung, die hohen Verluste an Menschen und Material, der klägliche Brennstoffnachschub machen die Kriegführung zu einer Qual, und ich werde je länger je mehr bedrückt durch die ungeheure Verantwortungslast, die trotz aller schönen Worte niemand mir abnehmen kann.
Drei Tage war ich nun wieder vorne, um mir ein einwandfreies Bild von den Zuständen an der Front zu machen, und nun will ich, wenn die Kampflage es gestattet, Sonntag zur Heeresgruppe zum Vortrag über die Gestaltung der nächsten Zukunft, über die noch nichts verlautet. Wie sich die Leute das denken, weiß ich nicht, auch nicht, wie wir bis zum nächsten Frühjahr wieder in Ordnung sein sollen ...“ (aus einem Brief vom 21.11.1941.).
Am 23. November nachmittags entschloß ich mich, den Oberbefehlshaber der Heeresgruppe „Mitte“ persönlich aufzusuchen und um Abänderung meines undurchführbar gewordenen Auftrages zu bitten. Ich trug dem Feldmarschall von Bock den Ernst der Lage der 2. Panzerarmee vor, schilderte den erschöpften Zustand der Truppe, vor allem der Infanterie, das Fehlen der Winterbekleidung, das Versagen des Nachschubes, die geringen Panzer- und Geschützzahlen, die Bedrohung der tiefen, ungenügend gesicherten Ostflanke durch die Ausladungen frischer russischer Kräfte aus dem fernen Osten im Räume Rjasan—Kolomna. Feldmarschall von Bock erwiderte, daß er meine früheren Berichte bereits im Wortlaut dem OKH übermittelt habe, und daß dieses über die wirkliche Lage an der Front zutreffend unterrichtet sei. Er ließ sich darauf telefonisch mit dem Oberbefehlshaber des Heeres verbinden und forderte mich unter überreichen eines Kopfhörers auf, das Gespräch mitanzuhören. Nach Wiederholung meines Lageberichts erbat er vom Oberbefehlshaber des Heeres Abänderung meines Auftrages, Aufhebung des Angriffsbefehls und Übergang zur Abwehr in geeigneter Winterstellung,
Der Oberbefehlshaber des Heeres war offenbar nicht mehr frei in seinen Entschlüssen. Seine Antworten wichen den wesentlichen Schwierigkeiten aus; er lehnte meine Anträge ab und befahl die Fortsetzung des Angriffs. Auf erneutes Drängen, wenigstens ein erreichbares, nicht zu fernes Ziel in einer verteidigungsfähigen Linie zu nennen, gab er schließlich die Linie Michailow—Zaraisk an und erklärte die gründliche Zerstörung der Bahnlinie Rjasan—Kolomna für wichtig.
Dieses Ergebnis meines Fluges zur Heeresgruppe war unbefriedigend. Am gleichen Tage hatte ich den Verbindungsoffizier des OKH bei meinem Stabe, den Oberstleutnant von Kahlden, zur Berichterstattung zürn Chef des Generalstabes des Heeres gesandt. Er sollte gleichfalls den Versuch machen, die Einstellung des Angriffs zu erwirken, kam aber ohne Ergebnis zurück. Man kann aus der ablehnenden Haltung des Oberbefehlshabers des Heeres und seines Generalstabschefs nur folgern, daß sie selbst, und nicht nur Hitler, die Fortsetzung der Offensive wollten. Jedenfalls wußten die maßgebenden militärischen Stellen über die höchst unsichere Lage bei meiner Armee nun Bescheid, und ich mußte damals annehmen, daß sie auch Hitler zutreffend unterrichten würden.
Am 24. November nahm die 10. (mot.) I.D. Michailow. Die 29. (mot.) I.D. gewann über Jepifan nach Norden über 40 km Boden. Am 25. November näherte sich die vorgeschobene Kampfgruppe der 17. Panzer-Division Kaschira. Unser rechter Nachbar nahm Liwny.
Am 26. November erreichte das LEU. A.K. den Don, überschritt den Fluß bei Ivanozero mit der 167. I.D. und griff nordostwärts des genannten Ortes, bei Danskoj die dort stehenden Sibirier an. Die tapfere Division nahm 42 Geschütze und eine Anzahl Fahrzeuge und machte 4 000 Gefangene. Von Osten her ging die 29. (mot.) I.D. des XXXXVII. Panzer-Korps gegen den gleichen Gegner vor, und es gelang, ihn einzuschließen.
Ich befand mich an diesem Tage beim LIII. A.K. und entschloß mich nun, am 27. November über das Generalkommando XXXXVII. Panzer-Korps zur 29. (mot.) I.D. zu fahren. Am Morgen erfuhr ich in Jepifan durch General Lemelsen, daß es bei der 29. (mot.) I.D. während der Nacht zu einer Krise gekommen sei. Die Masse der 239. sibirischen Schützen-Division war unter Zurücklassen ihrer Geschütze und Fahrzeuge nach Osten ausgebrochen. Die dünne Einschließungslinie der 29. (mot.) I.D. hatte den Durchbruch nicht verhindern können und schwere Verluste erlitten. Ich begab mich über den Divisionsstab zu dem am härtesten betroffenen Infanterie-Regiment 71. Zunächst war ich des Glaubens, eine Vernachlässigung des Aufklärungs- und Sicherungsdienstes hätte das Unglück verursacht. Die Berichte des Bataillonskommandeurs und der Kompanieführer an Ort und Stelle ließen jedoch klar erkennen, daß die Truppe ihre Pflicht getan hatte und nur der Übermacht erlegen war. Die zahlreichen Toten, die alle in voller Uniform mit der Waffe in der Hand gefallen waren, bewiesen in erschütternder Sprache die Wahrheit der Meldungen. Ich bemühte mich, die sehr bedrückten Männer aufzurichten und über ihr Mißgeschick hinwegzubringen. Die Sibirier waren – wenn auch ohne ihre schweren Waffen und Fahrzeuge – entwischt, und wir hatten nicht die Kraft gehabt, sie zu halten. Das war das betrübliche Ergebnis des Tages. Die sofort eingeleitete Verfolgung durch die Kraftradschützen der 29. (mot.) I.D. blieb ergebnislos.
Meine Weiterfahrt führte mich zu der Aufklärungs-Abteilung, sodann zum Schützen-Regiment 33 der 4. Panzer-Division und für die Nacht zum XXIV. Panzer-Korps. Nur wer die endlosen Weiten der russischen Schneeflächen in diesem Winter unseres Unheils gesehen hat, über welche der eisige Wind strich und jede Unebenheit des Bodens verwehte, nur wer Stunden um Stunden durch Niemandsland gefahren ist, um dann auf dünne, nur zu dünne Sicherungen schlecht gekleideter, schlecht ernährter Männer zu treffen, wer im Gegensatz hierzu die vorzüglich für den Winter ausgerüsteten, gut genährten, frischen Sibirier gesehen hat, kann die nun folgenden, ernsten Ereignisse richtig beurteilen.
Oberst Balck, damals Sachbearbeiter für Panzertruppen im OKH, hatte mich auf dieser Fahrt begleitet. Ich bat ihn, dem Oberbefehlshaber des Heeres über seine Eindrücke Vortrag zu halten.
Unsere dringendste Aufgabe war nun die Wegnahme von Tula. Ohne den Besitz dieses Verkehrsknotenpunktes und Flugplatzes war ein Weiterführen der Operationen nach Norden oder Osten in Richtung auf die nächsten Ziele nicht denkbar. Meine Besuche bei den Kommandierenden Generalen dienten der Vorbereitung dieses Angriffs, über dessen Schwierigkeiten ich mir klar war. Wir wollten die Stadt durch doppelte Umfassung zu Fall bringen: mit dem XXIV. Panzer-Korps von Norden und Osten, mit dem XXXXIII. A.K. von Westen. Das LIII. A.K. sollte während dieser Operation die Nordflanke gegen Moskau sichern, das XXXXVII. Panzer-Korps die ausgedehnte Ostflanke gegen die Antransporte aus Sibirien. Die 10. (mot.) I.D. dieses Korps' hatte nach Erreichen von Michailow am 27.11. – wie befohlen – Sprengtrupps gegen die Eisenbahn Rjasan—Kolomna entsandt, die jedoch leider ihr Ziel nicht erreichten; die russische Gegenwehr war zu stark. Infolge der Einwirkung der Kälte fiel die Artillerie der 18. Panzer-Division auf dem Marsch nach Jefremow zum großen Teil aus. Am 29. November bereits machte sich erstmals überlegener Druck des Feindes auf die 10. (mot.) I.D. geltend. Skopin mußte deshalb geräumt werden.
Auch die Angriffskraft der Truppen des XXIV. Panzer-Korps hatte durch die monatelangen Kämpfe schwer gelitten. Die Korps-Artillerie zählte nur noch 11 Rohre.
Im Süden der Ostfront begannen am 27.11. überlegene russische Angriffe auf Rostow; die Lage dort wurde gespannt. Vor der 2. Armee rechts von uns verstärkte sich der Feind. Auf dem linken Flügel meiner Armee erreichte das XXXXIII. A.K. die Straße Tula—Aleksin. Es stieß auf starken Feind, der alsbald zum Gegenangriff schritt.
Bei der 4. Armee erreichte die 2. Panzer-Division Krasnaja Polnaja, 22 km nordwestlich von Moskau.
Am 28. November drangen die Russen wieder in Rostow ein. Die 1. Panzerarmee mußte die Räumung der Stadt ins Auge fassen.
Unsere Fortschritte beim XXXXIII. A.K. blieben gering. Die Heeresgruppe verzichtete an diesem Tage auf die vom OKH und OKW gesteckten, weiten Ziele und befahl vorerst: „Durchschlagen der Schlacht bei Tula.“
Am 30. November äußerte das OKW Bedenken, ob die Kräfte für den Angriff auf Tula genügend zusammengefaßt seien. Ihre Verstärkung hätte sich nur durch Vermindern des Flankenschutzes beim XXXXVII. Panzer-Korps erreichen lassen. Dies aber erschien mir angesichts der zunehmenden Bedrohung von Osten zu riskant. Am gleichen Tage aber trat auf dem äußersten Südflügel der deutschen Ostfront ein Ereignis ein, welches unsere Gesamtlage blitzartig beleuchtete: die Heeresgruppe „Süd“ räumte an diesem Tage Rostow. Ihr Oberbefehlshaber, Feldmarschall von Rundstedt wurde am nächsten Tage durch Feldmarschall von Reichenau ersetzt. Das war das erste Läuten! Aber es wurde keine Warnung, weder für Hitler und das OKW, noch für das OKH.
Die Gesamtverluste der Ostfront seit dem 22. Juni 1941 beliefen sich bereits jetzt auf 743 000 Mann; das waren 23 % der durchschnittlichen Gesamtstärke von 3½ Millionen Mann.
Am gleichen 30. November verstärkte sich der Feind vor meiner Nordflanke bei Kaschira. Der Eindruck entstand, daß er Kräfte aus der Mitte seiner Front westlich Moskau nach den bedrohten Flanken verlegte.
Ich erfuhr den Tod des Obersten Mölders, meines Kampfgefährten vom Sommer, und war sehr betrübt über diesen schmerzlichen Verlust eines unserer besten Soldaten.
Zunehmender Bandenkrieg auf dem Balkan machte den Einsatz immer stärkerer Kräfte dort unten erforderlich.
Die Räumung Rostows und die Zurückverlegung der Front der 1. Panzerarmee hinter den Mius-Abschnitt wurde auch nach Ansicht des neuen Oberbefehlshabers der Heeresgruppe »Süd“, des Feldmarschalls von Reichenau, unabwendbar. Die Entfernung Rundstedts erwies sich innerhalb von 24 Stunden als überflüssig.
Inzwischen wurde die Bereitstellung meiner Armee zum Angriff dergestalt durchgeführt, daß im Zusammenwirken mit dem gleichzeitig beabsichtigten Vorgehen der 4. Armee am 2. Dezember angetreten werden konnte. Am 1. Dezember aber erfuhren wir, daß die 4. Armee erst am 4. Dezember antreten würde. Ich hätte den eigenen Angriff gerne gleichfalls verschoben, um gleichzeitig mit der 4. Armee zu handeln und das Herankommen der 296. I.D. abzuwarten. Das XXIV. Panzer-Korps glaubte aber, nicht länger in seiner dicht gedrängten Bereitstellung warten zu können, und daher entschloß ich mich, mit diesem Korps bereits am 2. anzutreten.
Wir hatten uns in Jasnaja Poljana, dem Gut des Grafen Tolstoj, einen vorgeschobenen Gefechtsstand eingerichtet, den ich am 2. Dezember aufsuchte. Jasnaja Poljana lag dicht hinter dem Regimentsgefechtsstand des I.R. „G.D.“, 7 km südlich Tula. Das Gut bestand aus zwei Wohngebäuden, dem „Schloß“ und dem „Museum“, beide im Landhausstil der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts gehalten, und aus einer Reihe von Wirtschaftsgebäuden. Ich bestimmte das „Schloß“ zum ausschließlichen Gebrauch der Familie Tolstoj. Im „Museum“ wurde unsere Unterkunft eingerichtet. Soweit noch Möbel und Bücher aus Tolstoj'schem Besitz vorhanden waren, wurden sie in zwei Zimmer zuammengetragen und die Türen versiegelt. Wir begnügten uns mit einfachen, selbstgezimmerten Möbeln aus rohen Brettern. Die Heizung erfolgte mit Holz aus dem nahen Walde. Kein Möbelstück wurde verheizt, kein Buch oder Schriftstück berührt. Alle gegenteiligen russischen Behauptungen der Nachkriegszeit gehören ins Reich der Fabel. Ich habe das Grab Tolstoj's selbst besucht. Es befand sich in guter Verfassung. Kein deutscher Soldat hat es berührt. Bis zum Verlassen des Gutes ist es dabei geblieben. Leider hat sich die russische Propaganda der haßerfüllten Nachkriegszeit nicht vor gröblichen Entstellungen der Wahrheit gescheut, um unser angebliches Barbarentum zu beweisen. Es leben aber noch genug Zeugen für die Richtigkeit meiner Darstellung. Wohl aber hatten die Russen die Umgebung des Grabes ihres großen Schriftstellers vermint!
Am 2. Dezember glückte der 3. und 4. Panzer-Division sowie dem I.R. „G.D.“ der Durchbruch durch die vordersten feindlichen Stellungen. Der Angriff kam dem Gegner überraschend. Er wurde am 3. Dezember bei starkem Schneefall und Wind fortgesetzt. Die Wege vereisten, die Bewegungen wurden erschwert. Die 4. Panzer-Division sprengte die Bahn Tula—Moskau und erbeutete 6 Geschütze; sie erreichte schließlich die Straße Tula—Serpuchow. Damit war aber auch die Kraft der Truppe und der Betriebsstoff am Ende. Der Feind wich nach Norden aus. Die Lage blieb gespannt.
Die Aufklärung des 4. Dezember ergab starken Feind nördlich und südlich des an die Straße Tula—Serpuchow vorgestoßenen Angriffskeils. Bei der 3. Panzer-Division entwickelten sich schwere Kämpfe im Waldgelände ostwärts Tula. Die Fortschritte an diesem Tage waren gering.
Entscheidend für die Gesamtlage bei Tula waren aber die Fragen, ob das XXXXIII. A.K. noch genügend Angriffskraft besaß, um den Ring um die Stadt zu schließen und die Verbindung zur 4. Panzer-Division nördlich Tula herzustellen, ob ferner der Angriff der 4. Armee wenigstens so viel Druck auf den Gegner ausüben würde, um das Abziehen von Kräften in Richtung Tula zu verhindern.
Ich hatte mich am 3. Dezember zum XXXXIII. A.K. nach Grjasnowo begeben, um einen persönlichen Eindruck vom Kräftezustand der Truppe zu gewinnen. Am 4. Dezember früh fuhr ich auf den Gefechtsstand der 31. I.D. und von dort zum I.R. 17 und zu dessen III. (Jäger) Bataillon, meinen alten Goslarer Jägern, aus deren Reihen ich hervorgegangen, und deren 11. Kompanie ich 1920—22 geführt hatte. Eine eingehende Aussprache mit den Kompanieführern galt der ernsten Frage, ob die Truppe noch genügend Angriffskraft für den bevorstehenden Auftrag besaß. Die Offiziere brachten ihre Sorgen klar zum Ausdruck, bejahten allerdings die Frage nach der Angriffsfähigkeit: „Einmal wollen wir den Feind schon noch aus seinen Stellungen stoßen.“ Ob die anderen Einheiten des XXXXIII. A.K. von der gleichen Tatkraft beseelt waren, wie meine alten Goslarer Jäger, bleibe dahingestellt. Der Eindruck, den ich hier erhielt, ließ mich den Angriff noch einmal wagen.
Die Rückfahrt war endlos und durch Schneewehen und vereiste Hänge gefährlich. Schließlich rollte mein Befehlspanzer in eine Rachel, eine der bekannten Schluchten, die durch Auswaschungen tief in den lehmigen Boden gefurcht waren, und aus der es in der Dunkelheit für die Fahrzeuge kein Hinauskommen gab. Zum Glück traf ich auf dem anderen Hange ein Nachrichtenfahrzeug meines Oberkommandos, das mich noch im Laufe der Nacht nach Jasnaja Poljana brachte.
Am 4. Dezember hatte sich das XXXXIII. A.K. zum Angriff bereitgestellt, hatte die 296. I.D. unter General Stemmermann ihren mühevollen Marsch in Richtung Tula fortgesetzt. Zum Angriff kam es an diesem Tage für sie nicht mehr. Aber das Thermometer fiel auf —35 Grad. Die Luftaufklärung meldete starken Feind im Vorgehen aus Kaschira nach Süden. Starker russischer Jagdschutz verhinderte näheren Einblick.
Am 5. Dezember versuchte das XXXXIII. A.K. anzugreifen, kam aber über Anfangserfolge bei der 31. I.D. nicht hinaus. Die 296. I.D. erreichte die Upa erst in der Dunkelheit in stark erschöpftem Zustande. Ich hatte mir ein Regiment persönlich angesehen. Bei der 29. (mot.) I.D. griff der Russe nordostwärts Wenew mit Panzern an. Die Flanken- und Rückenbedrohung für die nördlich Tula stehenden, im strengen Frost von —50 Grad nahezu unbeweglich gewordenen Truppen des XXIV. Panzer-Korps wurde bedrohlich und zwang zu der Überlegung, ob sich die Fortsetzung des Angriffs noch lohne. Dies konnte nur dann der Fall sein, wenn die 4. Armee gleichfalls – und zwar erfolgreich – angriff. Davon war aber leider keine Rede. Das Gegenteil trat vielmehr ein. Die Mitwirkung der 4. Armee an der Oka beschränkte sich auf ein Stoßtruppunternehmen mit zwei Kompanien, die nach Durchführung ihrer Aufgabe wieder in ihre Ausgangsstellung zurückgingen. Diese Episode übte keinerlei Einfluß auf den Feind vor dem XXXXIII. A.K. aus. Die 4. Armee war zur Abwehr übergegangen!
Angesichts der Bedrohung von Flanke und Rücken und der durch die abnorme Kälte eingetretenen Unbeweglichkeit der Truppen entschloß ich mich in der Nacht vom 5. zum 6. Dezember zum erstenmale in diesem Kriege zum Abbrechen des Angriffs, eines isolierten Angriffs, und zum Zurücknehmen der weit vorgestoßenen Teile in die allgemeine Linie oberer Don—Schat—Upa zur Verteidigung. Kein Entschluß des Krieges war mir bis dahin so schwer gefallen, wie dieser. Die Übereinstimmung der Ansichten mit meinem Chef des Stabes, Liebenstein, und mit dem ältesten Kommandierenden General, Frhr. von Geyr, half darüber nicht hinweg.
In der gleichen Nacht meldete ich meinen Entschluß dem Feldmarschall von Bock fernmündlich. Seine erste Frage lautete: „Wo haben sie eigentlichen Ihren Gefechtsstand?“ Er glaubte mich wohl in Orel, zu weit von den Ereignissen entfernt. Aber diesen Fehler haben Panzergenerale nie begangen. Ich stand den Ereignissen nahe genug, und meinen Soldaten auch, um sie zutreffend beurteilen zu können. Die Lage zeigte nicht nur bei meiner 2. Panzerarmee ein so ernstes Gesicht. In der gleichen Nacht vom 5. zum 6. Dezember mußten auch die 4. Panzerarmee von Höppner und die nördlich Moskau bis auf 35 km an den Kreml herangekommene 3. von Reinhardt den Angriff einstellen, weil die Kräfte fehlten, um das auf nächste Entfernung winkende große Ziel zu erreichen. Bei der 9. Armee gingen die Russen beiderseits Kalinin sogar zum Angriff über. Unser Angriff auf Moskau war gescheitert. Alle Opfer und alle Anstrengungen der braven Truppe waren umsonst gebracht. Wir hatten eine böse Niederlage erlitten, die sich in den nächsten Wochen durch die Starrheit der Obersten Führung verhängnisvoll auswirkte, weil die Männer des OKW und OKH im fernen Ostpreußen trotz aller Berichte sich keinen Begriff von der wahren Lage ihrer Truppen im Winterkrieg bildeten. Diese Unkenntnis führte zu immer neuen Überforderungen.
Ein rechtzeitiges und ausreichendes Absetzen in eine Stellung, die durch das Gelände begünstigt wurde und bereits befestigt war, schien das beste und kräfteschonendste Mittel zu sein, um die Lage wiederherzustellen und bis zum Frühjahr zu festigen. Im Bereich der 2. Panzerarmee bot sich die im Oktober teilweise ausgebaute Susha—Oka-Stellung hierfür geradezu an. Aber gerade hierzu wollte sich Hitler nicht bereitfinden. Ob außer Hitlers Starrsinn die Außenpolitik bei den Entscheidungen dieser Tage eine ausschlaggebende Rolle gespielt hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich möchte es aber annehmen, denn am 8. Dezember erfolgte der Eintritt Japans in den Krieg, dem am 11. Dezember die deutsche Kriegserklärung an die Vereinigten Staaten von Amerika folgte. Der Soldat wunderte sich in diesen Tagen, daß Hitler zwar an die USA den Krieg erklärte, daß aber Japan seinerseits nicht gleichfalls eine Kriegserklärung an die Sowjetunion ergehen ließ. Infolge dieser Unterlassung blieben die russischen Kräfte aus dem Fernen Osten zur Verwendung gegen die Deutschen frei. Sie wurden in bisher nicht gekannter Geschwindigkeit und in dichter Zugfolge an unsere Fronten gefahren. Nicht eine Erleichterung, sondern eine erneute Belastung von schwer übersehbaren Ausmaßen war die Folge dieser eigentümlichen Politik. Die Soldaten hatten sie zu büßen.
Der Krieg war nun wahrlich „total“ genug. Das wirtschaftliche und militärische Potential des größten Teiles der Erde vereinte sich gegen Deutschland und seine schwachen Verbündeten.
Doch zurück nach Tula. Das Absetzen vom Feinde gelang in den folgenden Tagen plangemäß beim XXIV. Panzer-Korps, während starker Druck von Kaschira sich beim LIII. A.K. auswirkte und beim XXXXVII. Panzer-Korps in der Nacht vom 7. zum 8. Dezember Michailow durch russischen Überfall unter erheblichen Verlusten der 10. (mot.) I.D. verloren ging. Rechts von uns verlor die 2. Armee an diesem Tage Jelez; der Gegner drang auf Liwny vor und verstärkte sich vor Jefremow.
Meine damalige Ansicht ergibt sich aus einem Brief vom 8. Dezember: „Wir stehen vor der traurigen Tatsache, daß die obere Führung den Bogen überspannt hat, den Meldungen über die sinkende Kampfkraft der Truppe nicht glauben wollte, immer neue Forderungen stellte, für die harte Winterszeit nicht vorsorgte und nun durch die russische Kälte von —35 Grad überrascht wurde. Die Kraft der Truppe hat nicht mehr genügt, um den Angriff auf Moskau siegreich durchzuführen, und so habe ich mich am 5.12. abends schweren Herzens entschließen müssen, den aussichtslos gewordenen Kampf abzubrechen und in eine bereits vorher ausgewählte, verhältnismäßig kurze Linie zurückzugehen, die ich mit dem Rest an Kraft hoffe, gerade noch halten zu können. Der Russe drängt lebhaft nach und man muß noch auf allerhand peinliche Zwischenfälle gefaßt sein. Die Verluste, zumal an Kranken und Erfrierungen waren schlimm, und wenn auch hoffentlich ein Teil dieser Ausfälle nach einiger Ruhe wieder zur Truppe zurückkehrt, so ist doch im Augenblick nichts zu wollen. Die Ausfälle an Kraftfahrzeugen und Geschützen durch Frostschäden übersteigen alle Befürchtungen. Wir helfen uns notdürftig mit Panjeschlitten; aber diese leisten naturgemäß sehr wenig. Unsere braven Panzer haben wir zum Glück, soweit sie überhaupt noch liefen, erhalten können. Wie lange sie aber bei dieser Kälte benutzbar bleiben, wissen die Götter.
Das Unglück fing mit Rostow an; es war bereits ein Menetekel. Trotzdem fuhr man hier fort, anzugreifen. Mein Flug zur Heeresgruppe am 23.11. zeitigte weder Ergebnis noch Klärung; es wurde fortgewurstelt. Dann brach mein nördlicher Nachbar nieder; mein südlicher war ohnehin nicht sehr kampfkräftig, so daß mir schließlich keine Wahl blieb, denn alleine kann ich die ganze Ostfront nicht umschmeißen, noch dazu bei —35 Grad.
Ich hatte noch Balck gebeten, meine Beurteilung der Lage dem Oberbefehlshaber des Heeres vorzutragen, weiß aber nicht, ob er dazu kam.
Gestern besuchte mich Richthofen.[2] Wir hatten eine lange Aussprache unter vier Augen und stellten fest, daß wir gleicher Ansicht über die Gesamtlage waren. Anschließend sprach ich mich mit General Schmidt aus, der mit mir am gleichen Ort sitzt und die rechte Nachbararmee führt. Auch er stimmt mit mir überein. Ich stehe also jedenfalls mit meiner Meinung nicht allein, was aber völlig belanglos ist, da ja doch niemand danach fragt......
Ich hätte selbst nicht geglaubt, daß man eine geradezu glänzende Kriegslage in zwei Monaten so verb....... kann. Wenn man rechtzeitig den Entschluß gefaßt hätte, abzubrechen und sich für den Winter in geeigneter Linie zur Verteidigung und wohnlich einzurichten, konnte nichts Gefährliches passieren. So ist alles auf Monate ein einziges Fragezeichen.... Es geht mir nicht um mich, sondern um viel mehr, um unser Deutschland, und da ist mir bange. –
Am 9. Dezember erweiterte der Gegner seinen Erfolg bei Liwny im Raume der 2. Armee und schloß Teile der 45. I.D. ein. Bei meiner Armee setzte sich das XXXXVII. Panzer-Korps nach Südwesten ab; das XXIV. wies russische Angriffe aus Tula ab.
Am 10. Dezember berichtete ich brieflich an Schmundt, den Chefadjutanten des Führers, und an den jüngeren Keitel, den Chef des Heerespersonalamtes, über unsere Lage, um zu verhindern, daß man sich dort weiterhin in Illusionen bewege. Am gleichen Tage schrieb ich an meine Frau: „Hoffentlich kommen meine (oben erwähnten) Briefe noch rechtzeitig an die richtige Adresse, denn noch könnte bei klarer Erkenntnis und festem Willen geholfen und manches gerettet werden. Man hat den Gegner, die Weite seines Landes und die Tücken des Klimas erheblich unterschätzt, und das rächt sich nun.... Nur gut, daß ich wenigstens am 5. 12. aus eigenem Entschluß abbrach, sonst wäre eine Katastrophe unvermeidlich geworden.“
Am 10. Dezember wurden russische Ausladungen bei Kastornaja und Jelez beobachtet. Bei der 2. Armee erweiterte der Gegner seinen Einbruch und überschritt die Straße Liwny—Tschernowa. Bei meiner Armee verteidigte die 10. (mot.) I.D. Jepifan. Das LIII. A.K. und XXIV. Panzer-Korps erreichten die Don— Senat—Upa-Linie.
Zwischen der 296. und 31. I.D. entstand in diesen Tagen eine unangenehme Lücke.
Am 11. Dezember setzten sich die Korps unseres rechten Nachbarn weiter nach Westen ab. Jefremow war bedroht und wurde am 12. Dezember aufgegeben.
Zum Schließen der Lücke beim XXXXIII. A.K. sollte die 4. Armee die 137. I.D. abgeben. Das Eintreffen dieser Division mußte aber bei der weiten Entfernung und schlechten Witterung noch einige Zeit dauern. Alle verfügbaren, beweglichen Kräfte der Armee mußten am 12. Dezember dem in Not geratenen rechten Nachbarn zugeführt werden.
Am 13. Dezember setzten sich die rückläufigen Bewegungen bei der 2. Armee fort. Die Absicht der 2. Panzerarmee, die Linie Stalinogorsk—Schat—Upa zu halten, ließ sich unter diesen Umständen nicht verwirklichen, zumal die 112. I.D. nicht mehr die erforderliche Widerstandskraft besaß, um dem Angriff frischer russischer Kräfte standzuhalten. Die Rückzugsbewegung mußte hinter den Abschnitt der Plawa fortgesetzt werden. Auch bei der links von uns befindlichen 4. Armee, zumal bei den Panzergruppen 4 und 3 konnten die Stellungen nicht gehalten werden.
Am 14. Dezember traf ich den Oberbefehlshaber des Heeres, Feldmarschall von Brauchitsch in Roslawl. Feldmarschall von Kluge war gleichfalls zugegen. Zu diesem Treffen mußte ich eine 22-stündige Autofahrt im Schneesturm zurücklegen. Ich schilderte dem Oberbefehlshaber des Heeres eingehend die Lage meiner Truppe und erbat und erhielt die Genehmigung, mit der Armee auf die Linie der Susha und Oka auszuweichen, die in den Oktoberkämpfen einige Zeit hindurch unsere vordere Linie gebildet hatte und seither einen gewissen Ausbau aufwies. Bei dieser Gelegenheit wurde die Frage erörtert, wie die zwischen dem XXIV. Panzer-Korps und dem XXXXIII. A.K. klaffende Lücke von etwa 40 km geschlossen werden könnte. Die 4. Armee hatte zu diesem Zweck die 137. I.D. an die 2. Panzerarmee abgeben sollen. Feldmarschall von Kluge hatte aber fürs erste nur 4 Bataillone unter dem Divisionskommandeur in Bewegung gesetzt. Ich bezeichnete dies als völlig ungenügend und bat um unverzügliche Zusendung der fehlenden Hälfte. Bei den Kämpfen dieser Division zur Herstellung des Anschlusses fiel der tapfere General Bergmann. Die verhängnisvolle Lücke konnte nicht beseitigt werden.
Das Ergebnis der Besprechung von Roslawl war folgender Befehl: „Die 2. Armee wird dem Oberbefehlshaber der 2. Panzerarmee unterstellt. Beide Armeen sollen die Stellung vorwärts Kursk – vorwärts Orel—Plawskoje—Aleksin, nötigenfalls die Oka halten.“ Ich durfte mit Recht annehmen, daß der Oberbefehlshaber des Heeres diese Ermächtigung Hitler mitteilen würde; aber die späteren Ereignisse lassen zum mindesten zweifelhaft erscheinen, ob dies geschah.
An diesem Tage wirkte sich bei der 2. Armee ein am 13. Dezember begonnener, tiefer russischer Einbruch über Liwny in Richtung Orel aus, bei dem die 45. I.D. eingeschlossen und teilweise vernichtet wurde. Glatteis erschwerte alle Bewegungen. Erfrierungen verursachten stärkere Ausfälle als das feindliche Feuer. Das XXXXVII. Panzer-Korps mußte zurückgenommen werden, da sein rechter Nachbar, die 293. I.D. der 2. Armee von Jefremow zurückging.
Am 16. Dezember kam auf meine dringende Bitte der in unserer Nähe weilende Schmundt für eine halbe Stunde auf den Flugplatz Orel, wo wir uns sprachen. Ich gab ihm eine ernste Darstellung der Lage und bat um Übermittlung an den Führer. Für die Nacht rechnete ich mit einem Anruf Hitlers und der Antwort auf meine, Schmundt mitgegebenen Anträge. Bei dieser Unterredung erfuhr ich durch
238Schmundt den bevorstehenden Wechsel im Oberkommando des Heeres, den Abgang des Feldmarschalls von Brauchitsch. In dieser Nacht schrieb ich: „Nachts liege ich viel schlaflos und zermartere mir das Gehirn, was ich noch tun könnte, um meinen armen Männern zu helfen, die in diesem wahnsinnigen Winterwetter schutzlos draußen sein müssen. Es ist furchtbar, unvorstellbar. Die Leute beim OKH und OKW, die die Front nie gesehen haben, können sich keinen Begriff von diesen Zuständen machen. Sie drahten immer nur unausführbare Befehle und lehnen alle Bitten und Anträge ab.“
In dieser Nacht erfolgte dann der erwartete Anruf Hitlers, der zum Aushalten aufforderte, Ausweichbewegungen untersagte und Zuführung von Mannschaftsersatz – wenn ich nicht irre – von 500 Mann! – auf dem Luftwege versprach. Hitlers Anrufe wiederholten sich bei sehr schlechter Verständigung. Was die Ausweichbewegungen betraf, so waren sie auf Grund der Besprechung mit Feldmarschall von Brauchitsch in Roslawl bereits in der Durchführung begriffen und ohne weiteres nicht aufzuhalten.
Am 17. Dezember suchte ich die Kommandierenden Generale des XXIV. und XXXXVII. Panzer-Korps sowie des Uli. A.K. auf, um mich erneut über den Zustand der Truppe zu unterrichten und über die Lage auszusprechen. Die drei Generale waren der Auffassung, daß es mit den vorhandenen Kräften nicht möglich sei, eine nachhaltige Verteidigung ostwärts der Oka durchzuführen. Es käme darauf an, die Kampfkraft der Truppe zu erhalten, bis durch Zuführung frischer Kräfte eine Verteidigung aussichtsreich sei. Sie berichteten, daß die Truppe an der obersten Führung zu zweifeln beginne, die den letzten, verzweifelten Vorstoß in vollkommen falscher Feindeinschätzung befohlen habe. „Wenn wir noch beweglich wären und die früheren Gefechtsstärken hätten, wäre es ein Kinderspiel. Glatteis erschwert alle Bewegungen. Der Russe ist für den Winter eingerichtet und ausgerüstet und wir haben nichts.“
Die 2. Armee befürchtete an diesem Tage einen Durchbruch auf Nowosil.
Angesichts dieser Lage entschloß ich mich, mit Genehmigung, der Heeresgruppe, ins Führerhauptquartier zu fliegen und Hitler die Lage meiner Armee persönlich zu schildern, da alle schriftlichen und telefonischen Darlegungen nichts gefruchtet hatten. Die Aussprache wurde für den 20. Dezember festgesetzt. Bis zu diesem Tage hatte sich Feldmarschall von Bock krank gemeldet und war im Kommando über die Heeresgruppe „Mitte“ durch Feldmarschall von Kluge ersetzt worden.
Am 18. Dezember wurde der 2. Armee befohlen, die Linie Tim—Liwny—Werchowje zu verteidigen und in den nächsten Tagen im Anschluß an den rechten Flügel der 2. Panzerarmee bis in die Linie Bolschaja Reka—Susha zurückzugehen. Die 2. Panzer-Armee sollte sich in die Linie Mogilki—Werch, Plawy—Ssorotschenka—Tschunina—Kosmina absetzen.
Das XXXXIII. A.K. wurde der 4. Armee unterstellt.
Am 19. Dezember bezogen das XXXXVII. Panzer-Korps und das LIII. A.K. die Plawa-Stellung. Ich entschloß mich, das XXXXVII. Panzer-Korps in die Linie Oserki – nordwestlich Podissiniowke zurückzunehmen und das XXIV. Panzer-Korps im Raume um Orel als Armeereserve zu versammeln, um ihm eine kurze Ruhe zu verschaffen und sodann eine operative, bewegliche Kraft zur Verfügung zu haben.
Die 4. Armee wurde auf ihrem rechten Flügel stark angegriffen und stellenweise zurückgeworfen.
Meine erste Entlassung.
„Mönchlein, Mönchlein, Du gehst einen schweren Gang!“ Dieses Wort, abgewandelt auf unsere Lage, bekam ich von meinen Kameraden zu hören, als ich meinen Entschluß bekannt gab, zu Hitler zu fliegen. Ich war mir auch darüber klar, daß es nicht leicht sein würde, Hitler zu meiner Auffassung zu bringen. Damals besaß ich aber noch das Vertrauen zu unserer Obersten Führung, daß sie vernünftigen Darlegungen zugänglich wäre, wenn sie von einem fronterfahrenen General vorgetragen würden. Dieses Vertrauen begleitete mich auf dem Flug von der winterlichen Front nördlich Orel nach dem fernen Ostpreußen mit dem gepflegten und gut geheizten Führerhauptquartier.
Am 20. Dezember um 15,30 Uhr landete ich auf dem Flugplatz Rastenburg zu meiner etwa 5 Stunden währenden Aussprache mit Hitler, die nur zwei kurze, halbstündige Unterbrechungen erfuhr, zum Abendessen und zum Vorführen der Wochenschau, die sich Hitler immer selbst anzusehen pflegte.
Gegen 18 Uhr wurde ich in Gegenwart von Keitel, Schmundt und einigen anderen Offizieren von Hitler empfangen. Weder der Chef des Generalstabes des Heeres noch ein anderer Vertreter des OKH nahm an diesem Vortrag bei dem nunmehrigen Oberbefehlshaber des Heeres, zu welchem sich Hitler nach der Ablösung des Feldmarschalls von Brauchitsch gemacht hatte, teil. Ich stand somit – wie am 23. August 1941 – dem Gremium des OKW allein gegenüber. Während Hitler sich zur Begrüßung auf mich zu bewegte, empfand ich zum ersten Male mit Befremden einen starren, feindseligen Blick, einen Zug in seinen Augen, der in mir die Überzeugung entstehen ließ, daß er von anderer Seite gegen mich voreingenommen sei. Die düstere Beleuchtung des kleinen Raumes verstärkte den unbehaglichen Eindruck.
Der Vortrag begann mit meiner Schilderung der operativen Lage der 2. Panzerarmee und der 2. Armee. Sodann ging ich auf die Absicht ein, beide Armeen in die Susha-Oka-Stellung abschnittsweise zurückzuführen, die ich, wie erwähnt, am 14. Dezember in Roslawl dem Feldmarschall von Brauchitsch unterbreitet und für die ich dessen Genehmigung erhalten hatte. Ich war überzeugt, daß Hitler darüber unterrichtet sei. Um so größer war meine Überraschung, als er mit Heftigkeit ausrief: „Nein, das verbiete ich!“ Ich meldete, daß die Bewegung bereits im Gange sei, und daß es vorwärts der genannten Flußlinie keine geeignete Dauerstellung gäbe. Wenn er Wert darauf lege, die Truppe zu erhalten und eine Dauerstellung für den Winter zu gewinnen, dann bliebe ihm gar keine andere Wahl.
Hitler: „Dann müssen Sie sich in den Boden einkrallen und jeden Quadratmeter Boden verteidigen!“
Ich: „Das Einkrallen in den Boden ist nicht mehr überall möglich, weil er 1—1½ m tief gefroren ist, und wir mit unserem kümmerlichen Schanzzeug nicht mehr in die Erde kommen.“
Hitler: „Dann müssen Sie sich mit schweren Feldhaubitzen eine Trichterstellung schießen. Wir haben das im ersten Weltkrieg in Flandern auch getan.“
Ich: „Im ersten Weltkrieg hatten unsere Divisionen in Flandern Abschnittsbreiten von 4—6 km und zu ihrer Verteidigung zwei bis drei Abteilungen schwerer Feldhaubitzen mit verhältnismäßig reichlicher Munition. Meine Divisionen haben 20—40 km Frontbreite zu verteidigen und ich besitze je Division noch 4 schwere Haubitzen mit je etwa 50 Schuß. Wenn ich sie zum Schießen von Trichtern verwenden wollte, so würde ich mit jedem Geschütz 50 flache Mulden von Waschschüsselgröße und rund herum einen schwarzen Fleck erzeugen, aber niemals eine Trichterstellung! In Flandern hat es nie solche Kältegrade gegeben, wie wir sie jetzt erleben. Ich brauche meine Munition außerdem zur Abwehr der Russen. Wir bringen ja nicht einmal spitze Stangen für den Leitungsbau unserer Fernsprecher in den Boden j selbst die Löcher hierfür müssen gesprengt werden. Woher sollen wir die Sprengmunition für den Stellungsbau in solchem Ausmaß nehmen?“
Hitler bestand aber auf der Ausführung seines Befehls zum Halten, wo wir gerade stünden.
Ich: „Dann bedeutet dies den Übergang zum Stellungskrieg in ungeeignetem Gelände, wie an der Westfront des ersten Weltkrieges. Wir werden dann die gleichen Materialschlachten und die gleichen ungeheueren Verluste erleben, wie damals, ohne eine Entscheidung erkämpfen zu können. Schon in diesem Winter werden wir durch eine solche Taktik die Blüte unseres Offizier- und Unteroffizierkorps und den für beide geeigneten Ersatz opfern, und dieses Opfer wird ohne Nutzen sein und außerdem unersetzlich.“
Hitler: „Glauben Sie, die Grenadiere Friedrichs des Großen wären gerne gestorben? Sie wollten auch leben, und dennoch war der König berechtigt, das Opfer ihres Lebens von ihnen zu verlangen. Ich halte mich gleichfalls für berechtigt, von jedem deutschen Soldaten das Opfer seines Lebens zu fordern.“
Ich: „Jeder deutsche Soldat weiß, daß er im Kriege sein Leben für sein Vaterland einzusetzen hat, und unsere Soldaten haben bisher wahrhaftig bewiesen, daß sie bereit sind, dieses Opfer auf sich zu nehmen. Man darf dieses Opfer aber nur verlangen, wenn sich der Einsatz lohnt. Die mir erteilte Weisung muß aber zu Verlusten führen, die in gar keinem Verhältnis zu den erreichbaren Ergebnissen stehen. Erst in der von mir vorgeschlagenen Susha-Oka-Stellung findet die Truppe aus den Herbstkämpfen herrührende Stellungsbauten und Schutz gegen die Witterung. Ich bitte zu bedenken, daß nicht der Feind uns viele blutige Verluste zugefügt hat, sondern daß die abnorme Kälte uns doppelt so viel Leute kostet, als das feindliche Feuer. Wer die Lazarette mit den Erfrorenen gesehen hat, weiß, was das zu bedeuten hat.“
Hitler: „Ich weiß, daß Sie sich sehr eingesetzt haben und viel bei der Truppe waren. Ich erkenne das an. Aber Sie stehen den Ereignissen zu nahe. Sie lassen sich zu sehr von den Leiden des Soldaten beeindrucken. Sie haben zuviel Mitleid mit dem Soldaten. Sie sollten sich mehr absetzen. Glauben Sie mir, aus der Entfernung sieht man die Dinge schärfer.“
Ich: „Selbstverständlich ist es meine Pflicht, die Leiden meiner Soldaten zu mildern, so gut ich kann. Das ist aber schwer, wenn die Männer jetzt noch immer keine Winterbekleidung haben und die Infanterie großenteils in Drillichhosen herumläuft. Stiefel, Wäsche, Handschuhe, Kopfschützer fehlen entweder ganz oder befinden sich in trostloser Verfassung.“
Hitler brauste auf: „Das ist nicht wahr. Der Generalquartiermeister hat mir gemeldet, daß die Winterbekleidung zugewiesen ist.“
Ich: „Freilich ist sie zugewiesen, aber sie ist noch nicht eingetroffen. Ich verfolge ihren Weg genau. Sie liegt jetzt auf dem Bahnhof in Warschau und kommt von dort seit Wochen infolge von Lokomotivmangel und Verstopfung der Strecken nicht weiter. Unsere Anforderungen im September und Oktober wurden schroff zurückgewiesen, und jetzt ist es zu spät.“
Der Generalquartiermeister wurde geholt und mußte meine Darstellung bestätigen. – Göbbel's Bekleidungsaktion zu Weihnachten 1941 war die Folge dieser Aussprache. Ihr Ergebnis kam im Winter 1941/42 nicht mehr in die Hände der Soldaten. —
Dann wurde die Frage der Gefechts- und Verpflegungsstärken erörtert. Infolge der starken Ausfälle an Kraftfahrzeugen während der Schlammperiode und durch die große Kälte reichte der Transportraum für den Nachschub weder bei der Truppe noch bei den Kolonnen. Da kein Ersatz der ausgefallenen Tonnage geliefert wurde, mußte sich die Truppe mit den Mitteln des Landes selbst helfen. Diese bestanden in Panjewagen und -schlitten, die ein ganz geringes Fassungsvermögen hatten. Viele derartige Vehikel waren erforderlich, um die fehlenden Lastkraftwagen zu ersetzen. Sie erforderten ein Vielfaches an Menschen zu ihrer Bedienung. Hitler stellte nun die Forderung, die nach seiner Ansicht übermäßig ausgestatteten Nachschubeinheiten und den Troß der Truppe rücksichtslos zu verringern, um Gewehre für die Front freizumachen. So weit sich dies ohne Gefährdung der Versorgung durchführen ließ, war es selbstverständlich schon geschehen. Ein Mehr ließ sich nur durch Verbesserung der anderen Nachschubmittel, insbesondere der Eisenbahn erzielen. Es hielt schwer, diese einfache Tatsache Hitler begreiflich zu machen.
Dann kam das Gespräch auf die Unterkünfte. Wenige Wochen zuvor war in Berlin eine Ausstellung gezeigt worden, die die Fürsorgemaßnahmen umfaßte, welche das OKH für den Winter beabsichtigt hatte. Der Feldmarschall von Brauchitsch hatte sich nicht nehmen lassen, Hitler persönlich zu führen. Die Ausstellung war wunderschön und auch in der Wochenschau zu sehen. Leider aber besaß die Truppe nichts von diesen schönen Dingen. Infolge des ununterbrochenen Bewegungskrieges hatte nichts gebaut werden können, und das Land bot sehr wenig. Unsere Unterkünfte waren jammervoll. Auch hierüber herrschte bei Hitler Unklarheit. Bei diesem Teil der Aussprache war der Rüstungsminister Dr. Todt zugegen, ein verständiger Mann mit gesundem, menschlichem Empfinden. Tief beeindruckt von meiner Schilderung der Zustände an der Front, machte er mir zwei Schützengrabenöfen zum Geschenk, die er im Begriffe war, Hitler vorzuführen, und die als Modell für die Truppe dienen sollten, um sie mit den Mitteln des Landes selber herzustellen. So erhielt ich wenigstens ein positives Ergebnis der langen Unterredung.
Während des Abendessens saß ich neben Hitler und benutzte die Gelegenheit, ihm Einzelheiten über das Leben an der Front zu schildern. Die Wirkung dieser Darlegungen war aber nicht so, wie ich geglaubt hatte. Hitler sowohl wie seine Umgebung hielten sie offenbar für übertrieben.
Nach Tisch, als die Aussprache fortgesetzt wurde, schlug ich daher vor, in das OKW und in das OKH Generalstabsoffiziere zu versetzen, die diesen Krieg in Frontstellungen erlebt hätten. Ich sagte: „Aus der Reaktion der Herren des OKW habe ich den Eindruck gewonnen, daß unsere Meldungen und Berichte nicht richtig verstanden und Ihnen infolgedessen auch nicht richtig vorgetragen werden. Ich halte daher für notwendig, fronterfahrene Offiziere in die Generalstabsstellen des OKH und OKW zu versetzen. Nehmen Sie einen Wechsel der Wache vor. In den beiden Stäben hier oben sitzen die Offiziere seit Kriegsbeginn, also über zwei Jahre, ohne die Front gesehen zu haben. Dieser Krieg ist so verschieden vom ersten Weltkrieg, daß eine Fronttätigkeit im ersten Weltkrieg keine Kenntnis des jetzigen vermittelt.“
Damit hatte ich nun in ein Wespennest gestochen. Hitler erwiderte entrüstet: .“Ich kann mich jetzt von meiner Umgebung nicht trennen.“
Ich: „Sie brauchen sich auch von Ihren persönlichen Adjutanten nicht zu trennen; darauf kommt es nicht an. Wichtig ist dagegen eine Neubesetzung der maßgebenden Generalstabsstellen mit Offizieren, welche frische Fronterfahrungen, besonders im Winterkrieg besitzen.“
Auch diese Bitte wurde schroff abgelehnt. Meine Aussprache endete mit einem großen Mißerfolg. Als ich den Vortragsraum verließ, sagte Hitler zu Keitel: „Diesen Mann habe ich nicht überzeugt!“ Damit war ein Bruch vollzogen, der nie mehr geheilt werden konnte.
Am nächsten Morgen rief ich vor dem Start zum Rückflug nochmals den General Jodl, den Chef des Wehrmachtführungsstabes an, um ihm zu wiederholen, daß die gegenwärtigen Methoden zu unerträglichen Menschenopfern führen müßten, die nicht zu verantworten seien. Reserven, und diese sofort, seien erforderlich, um die Lage in einer vom Gegner abgesetzten, rückwärtigen Stellung zu festigen. Dieser Anruf hatte keine erkennbare Wirkung.
Am 21. Dezember flog ich nach dem Ferngespräch mit Jodl nach Orel zurück. Auf Hitlers Befehl wurde meine linke Armeegrenze an die Einmündung der Shisdra in die Oka verlegt. Mit dieser Änderung wurde die Verantwortlichkeit der Panzerarmee in unerwünschtem Ausmaße erweitert. Der Rest des Tages war ausgefüllt mit der Bearbeitung und Ausgabe der Befehle, die den Absichten Hitlers Rechnung tragen sollten.
Um die Ausführung dieser Befehle sicherzustellen, fuhr ich am 22. Dezember zu den Divisionen des XXXXVII. Panzer-Korps. Nach kurzer Aussprache beim Generalkommando begab ich mich nach Tschern zur 10. (mot.) I.D. und erläuterte dem Divisionskommandeur, General von Loeper, den Zweck des Befehls und die Gründe, die Hitler zu ihm veranlaßt hatten. Anschließend besuchte ich in den .Nachmittagsstunden die 18. und 17. Panzer-Division zu dem gleichen Zweck. Gegen Mitternacht war ich nach eisiger Fahrt wieder in Orel. Die wesentlichsten Kommandeure waren nun jedenfalls von mir persönlich über die durch Hitlers Befehle herbeigeführte Änderung der Sachlage eingehend unterrichtet, und ich glaubte, den Ereignissen der nächsten Tage mit gutem Gewissen entgegensehen zu können.
Der 23. Dezember verging mit der Unterrichtung der anderen Kommandierenden Generale. Das LIII. A.K. meldete, daß nun auch die 167. I.D. stark angeschlagen sei. Die 296. I.D. wich auf Belew aus. Die Widerstandskraft dieses Korps war nur noch gering zu bewerten. Zwischen seinem linken Flügel und dem XXXXIII. A.K. klaffte nach wie vor eine große Lücke, die mit den vorhandenen, abseits der Wege nahezu unbeweglichen Kräften bei der Unwegsamkeit des Geländes nicht geschlossen werden konnte. Ich entschloß mich daher, die 3. und 4. Panzer-Division auf der Chaussee Tula—Orel nach Orel zurückzunehmen, dort in dreitägiger Ruhe kurz wiederherzustellen und beide Divisionen unter dem Generalkommando XXIV. Panzer-Korps über Karatschew—Brjansk nach Norden gegen die Flanke des über die Oka vordringenden Gegners zum Angriff vorzuführen. Tiefe feindliche Einbrüche bei der 2. Armee zwangen jedoch zum Abdrehen eines Teils dieser Kräfte nach dem neu entstandenen Krisenpunkt und verzögerten die Versammlung in Richtung Lichwin. Unbewegliche Teile des XXIV. Panzer-Korps wurden zu einer Sicherheitsbesatzung für Orel zusammengefaßt.
Den 24. Dezember benutzte ich zum Besuch einer Reihe von Weihnachtsfeiern in den Lazaretten. Ich konnte manchem braven Soldaten eine kleine Freude bereiten. Aber es war ein wehmütiges Beginnen. Ich verbrachte den Abend allein bei meiner Arbeit, bis Liebenstein, Büsing und Kahlden kamen und mir in kameradschaftlicher Gesinnung einige Zeit Gesellschaft leisteten.
Am 24. Dezember verlor die 2. Armee Liwny. Nördlich Lichwin überschritt der Feind die Oka. Auf Befehl des OKH wurde die 4. Panzer-Division auf Belew in Marsch gesetzt, um den Gegner aufzuhalten. Der von mir geplante einheitliche Gegenangriff des XXIV. Panzer-Korps drohte sich in Teilhandlungen aufzulösen.
In der Nacht vom 24. zum 25. Dezember verlor die 10. (mot.) I.D. durch umfassenden russischen Angriff Tschern. Der Erfolg der Russen war überraschend groß, weil die links der 10. (mot.) I.D. fechtenden Teile des LIII. A.K. nicht mehr hielten, so daß dem Gegner hier der Durchbruch gelang. Teile der 10. (mot.) I.D. wurden in Tschern eingeschlossen. Ich meldete dieses unglückliche Ereignis unverzüglich der Heeresgruppe. Feldmarschall von Kluge machte mir die heftigsten Vorwürfe, die darin gipfelten, ich müßte die Räumung von Tschern befohlen haben, und zwar nicht erst in dieser Nacht, sondern mindestens schon 24 Stunden vorher. Das Gegenteil war der Fall gewesen. Ich hatte – wie geschildert – persönlich den Befehl Hitlers zum Halten des Ortes überbracht. Also wies ich den mir gemachten, ungerechtfertigten Vorwurf entrüstet zurück.
Am 25. Dezember gelang es den eingeschlossenen Teilen der 10. (mot.) I.D., den russischen Ring zu durchbrechen und mit mehreren hundert Gefangenen die eigenen Linien zu erreichen. Der Abmarsch in die Susha-Oka-Stellung wurde befohlen. Am Abend kam es erneut zu einer scharfen Auseinandersetzung mit Feldmarschall von Kluge, der mir vorwarf, ihm eine falsche, dienstliche Meldung erstattet zu haben, und mit den Worten den Fernsprecher anhängte: „Ich werde über Sie dem Führer berichten.“ Dies ging denn doch zu weit. Ich teilte dem Chef des Stabes der Heeresgruppe mit, daß ich nach einer solchen Behandlung nicht mehr gewillt sei, meine Armee weiter zu führen und um Enthebung vom Kommando bitten würde. Diesen Entschluß führte ich unverzüglich telegrafisch durch. Feldmarschall von Kluge kam mir indessen beim OKH zuvor, indem er meine Ablösung beantragte, die ich am Morgen des 26. Dezember unter Versetzung in die Führerreserve des OKH von Hitler auch erhielt. Mein Nachfolger wurde der Oberbefehlshaber der 2. Armee, General Rudolf Schmidt.
Am 26. Dezember verabschiedete ich mich von meinem Stabe und erließ einen kurzen Tagesbefehl an meine Truppen. Am 27. Dezember verließ ich die Front, blieb die Nacht in Roslawl, die Nacht vom 28. zum 29. in Minsk, die Nacht vom 29. zum 30. in Warschau, vom 30. zum 31. in Posen, und traf am Sylvester in Berlin ein.
über den Abschiedsbefehl an meine Soldaten kam es noch zu einer Auseinandersetzung zwischen Feldmarschall von Kluge und meinem Stabe. Die Heeresgruppe wollte die Herausgabe des Befehls verhindern, weil Feldmarschall von Kluge befürchtete, er könne eine Kritik der Vorgesetzten enthalten. Der Befehl war natürlich einwandfrei; Liebenstein sorgte dafür, daß meine Männer wenigstens meinen Abschiedsgruß erhielten. Der Abschiedsbefehl hatte folgenden Wortlaut:
Der Oberbefehlshaber der 2. Panzerarmee. A. H. Q., den 26. 12. 1941.
Armee-Tagesbefehl.
Soldaten der 2. Panzerarmee!
Der Führer und Oberste Befehlshaber der Wehrmacht hat mich mit dem heutigen Tage des Kommandos enthoben.
In dem Augenblick, in dem ich von Euch scheide, gedenke ich der 6 Monate gemeinsamen Kampfes für die Größe unseres Landes und den Sieg unserer Waffen, gedenke ich in Ehrfurcht all derer, die Blut und Leben für Deutschland dahingaben. Euch, meinen Kampfgefährten, danke ich aus tiefstem Herzen für alle Treue, Hingabe und echte Kameradschaft, die Ihr in dieser langen Zeit immer aufs Neue bewiesen habt. Wir waren miteinander auf Gedeih und Verderb verbunden, und es war meine größte Freude, für Euch sorgen und für Euch eintreten zu dürfen.
Lebt wohl!
Ich weiß, Ihr werdet wie bisher tapfer streiten und trotz Wintersnot und Übermacht siegen. Meine Gedanken begleiten Euch auf Euerem schweren Gang.
Ihr geht ihn für Deutschland!
Heil Hitler!
gez. Guderian.
(Aus dem Buch: Heinz Guderian. Erinnerungen eines Soldaten)
[1] meinem Vertreter vom Frühjahr 1945.
[2] Feldmarschall der Luftwaffe.