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Aufsatz- und Artikelsammlung


Julius Evola

Julius Evola


INHALTSÜBERSICHT

Julius Evola: Die Arische Lehre von Kampf und Sieg
Feminismus und heroische Tradition
Die rote Fahne
Das Hakenkreuz als polares Symbol
Meine Begegnung mit Codreanu
Unterredung mit dem Führer der Eisernen Garde
Das Drama des rumänischen Legionarismus
Überwindung des "Übermenschen"
Überwindung des "Aktivismus"
Über die metaphysische Begründung des Rassegedankens
Über das Geheimnis des Verfalls
Träger des Europa Mythos
Über die alt-arische Auffassung des Sieges und des "heiligen Kampfes"
Die Unterwelt des christlichen Mittelalters
Metternich
Reich und Imperium als Elemente der neuen europäischen Ordnung
Gralsmysterium und Kaisergedanke
Europa und der organische Gedanke
Der sakrale Charakter des Königtums
Der Orden der Eisenkrone
Das Zeitalter des soldatischen Ethos
Das Doppelantlitz des Nationalismus
Unsere Antibürgerliche Front
Bürokratie und führende Schicht
Der Heilige Krieg
Rasse und Kultur
Das England von heute – von Juden geformt
Spiele und Sieg
Mann und Frau
Niedergang der traditionstragenden Völker
Die indoeuropäisch-solare Tradition
Der blutdurstige Baron
Rußland und Amerika
Über die geistigen Voraussetzungen einer europäischen Einheit
Der Blick in die Zukunft
Amerikanische "Zivilisation"
Das Mißverständnis des neuen Heidentums
Hitler und die Geheimgesellschaften

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Julius Evola. Aufsatz- und Artikelsammlung


Julius Evola: Die Arische Lehre von Kampf und Sieg (1940)

Edition und Nachwort von Siegling

Der Vortrag wurde in der Abteilung für Kulturwissenschaft des Kaiser Wilhelm-Instituts im Palazzo Zuccari in Rom am 7. Dezember 1940 in deutscher Sprache gehalten (veröffentlicht 1941, Verlag Anton Schroll, Wien).

Julius Evola | Die arische Lehre von Kampf und Sieg | Titelseite

Titelseite

Der Verfall des modernen Abendlandes ist nach Auffassung eines bekannten Kulturkritikers an zwei Hauptmerkmalen deutlich erkennbar: erstens an der pathologischen Entwicklung alles dessen, was Tathandlung ist; zweitens an der Verachtung der Werte des Erkennens und der Beschaulichkeit.

Dieser Kritiker versteht ja unter Erkenntnis nicht Rationalismus, Intellektualismus oder eitles Literatenspiel – und mit Beschaulichkeit meint er nicht Weltentfremdung, Verzicht oder mißverstandene mönchische Abgeschiedenheit. Erkenntnis und Beschaulichkeit bedeuten vielmehr für ihn die normalen und geeigneten Formen der Teilnahme des Menschen an der übernatürlichen, übermenschlichen und überrationalen Wirklichkeit. Trotz dieser Klarstellung liegt der schon angedeuteten Auflassung eine für uns nicht annehmbare Prämisse zugrunde. Es wird nämlich stillschweigend vorausgesetzt, daß jede Tathandlung auf das Gebiet der Stofflichkeit beschränkt und daß höhere Bereich des Geistigen nur auf anderen Wegen als auf dem der Tathandlung zugänglich sei.

Sterbender Krieger

Sterbender Krieger

Sterbender Krieger (um 480 v. d. Z.): An der Frontseite des Athena-Tempels der Insel Aigina im saronischen Golf, die auf die Nymphe Aigina zurückgeht, sind epische Schlachten dargestellt. Die Strenge des hellenischen Stils verleiht dem Todeskampf des Kriegers eine heroische Würde.

An dieser Voraussetzung ist der Einfluß einer Lebensanschauung deutlich erkennbar, die dem Geiste der arischen Rasse wesensfremd ist, die aber so tief in der Denkungsart des ver-christeten Abendlandes wurzelt, daß wir sie sogar im dantischen [Der Dichter und Übersetzer Dante Aligheri, 1265-1321, war Begründer des Italienischen als Nationalsprache. Er war zeitlebens Anhänger der kaiserlichen Partei, die Italien als „Reichsitalien“ und das deutsche Herrschergeschlecht der Staufer im Gegensatz zu den nach Autonomie strebenden italienischen Stadtstaaten als rechtmäßige und von Gott eingesetzte Herrscher anerkannte.] Reichsgedanken wiederfinden. Dem alten Ariertum hingegen war der Gegensatz zwischen Tathandlung und Beschaulichkeit unbekannt. Tathandlung und Beschaulichkeit wurden nicht als Termini eines Gegensatzes aufgefaßt. Sie bezeichneten nur zwei unterschiedliche Wege zu einer gleich geistigen Verwirklichung. Mit andern Worten: man dachte, daß der Mensch nicht nur durch die Kontemplation, sondern auch durch die Aktion die individuelle Beschränkung überwinden und an der übernatürlichen Wirklichkeit teilhaben könne.

Gehen wir von dieser Auffassung aus, dann muß der Verfallscharakter der abendländischen Kultur anders gewertet werden. Den arisch-abendländischen Rassen eignet artgemäß die Tradition der Tat. Diese Tradition ist allmählich auf Abwege geraten. So ist das moderne Abendland dazu gekommen, nur eine verweltlichte, jedes transzendenten Bezugspunktes beraubte und materialisierte Tathandlung zu kennen und zu verherrlichen – eine entweihte Aktion, die notwendig zu Fieber und Manie entarten und zum Tun um des Tuns willen werden mußte, oder zu einem Tun, das nur zeitbedingten Verwirklichungen verhaftet ist. Einer so entarteten Tathandlung stehen in der modernen Welt auch keine asketischen und wirklich beschaulichen Werte gegenüber, sondern nur eine schattenhafte Kultur und ein blasser, konventioneller Glaube. So ist unseres Erachtens die Lage aufzufassen.

Ist die Rückkehr zu den Ursprüngen das Losungswort jeder gegenwärtigen Erneuerungsbewegung, so soll uns als unerläßliche Aufgabe das Wiederbewußtwerden um die alt-arische Auffassung der Tathandlung gelten. Diese Auffassung soll verwandelnd wirken und im neuen, rassenbewußten Menschen lebendige Kräfte aufrufen. Eben in die Gedankenwelt des alten Ariertums wollen wir heute einen kurzen Ausflug wagen, mit dem Ziel, einige Grundbegriffe unserer gemeinsamen Tradition wieder ans Licht zu bringen, unter besonderer Berücksichtigung der Bedeutung von Kampf, Krieg und Sieg.

Im Allgemeinen war für den Altarier der Krieg das Gleichnis eines ewig dauernden Kampfes zwischen metaphysischen Mächten [vgl. Corneliu Codreanus traditionale Sicht des Krieges, niedergelegt im „Handbuch für die Nester“: „Kriege werden von jenen gewonnen, die es verstanden, aus den Lüften, aus dem Himmel, die mysteriösen Kräfte der unsichtbaren Welt zu beschwören und sich ihrer Hilfe zu sichern (…) Letztens hängen Siege nicht von materieller Vorbereitung und materiellen Kräften der Kriegführenden ab, sondern von ihrer Fähigkeit, sich der Hilfe der spirituellen Mächte zu sichern“]. Auf der einen Seite stand das olympische Lichtprinzip, die uranische und sonnenhafte Wirklichkeit; auf der anderen die rohe Gewalt, das Titanisch—Tellurische, das Barbarische im klassischen Sinne, das Weiblich-Dämonische. In tausend mythischen Erscheinungsformen kehrt das Motiv dieses metaphysischen Kampfes in allen Überlieferungen arischen Ursprungs immer wieder.

Jeder materielleKampf wurdemehroder wenigermitdem Bewußtsein erlebt, daß er eine Episode jenes Gegensatzes bedeutete. Da aber das Ariertum sich als Miliz des olympischen Prinzips betrachtete, so ist auch die Legitimation oder höhere Weihe des Anspruchs auf Vorherrschaft und des Reichsgedankens selbst bei den alten Ariern auf diese Auffassung zurückzuführen, wobei der anti-säkulare Charakter derselben deutlich in den Vordergrund tritt.

Im traditionsbegründeten Weltbild wurde jede Wirklichkeit zum Symbol. Dies gilt für den Krieg auch vom subjektiven und innerlichen Standpunkt aus. So konnten Krieg und Gottes Weg zu ein und derselben Sache verschmelzen. Allen sind die bezeichnenden Zeugnisse geläufig, die uns in dieser Hinsicht die nordisch-germanischen Überlieferungen bieten. Dabei ist hervorzuheben, daß diese Traditionen, wie sie bis auf uns gekommen sind, fragmentarisch und vermischt sind, oder die Materialisierung höherer, oft zu Volksaberglauben herabgesunkener ur-arischer Überlieferungen bilden. Nichtsdestoweniger können wir einige führende Motive festlegen.

Vor allem – wie allgemein bekannt – ist Walhalla [Halle des germanischen Schlachten- und Todesgottes Wotan/Odin] der Sitz himmlischer Unsterblichkeit, die hauptsächlich den auf dem Schlachtfeld gefallenen Helden vorbehalten ist. Der Herr dieser Stätte, Odhin—Wotan, wird in der Ynglingasaga [Saga eines nordischen Herrschergeschlechts, das sich von Odin als Stammvater ableitete. Die Ableitung von einer Gottheit und die damit einhergehende Rechtfertigung der Herrschaftsansprüche durch göttlichen Ursprung waren in der germanischen Welt weit verbreitet, so führten sich die fränkischen Merowinger des Frühmittelalters auf den göttlichen Urvater Merowech zurück. Eine englische Übersetzung der Saga findet sich im Weltnetz.] vorgeführt als derjenige, der mit seinem symbolischen Opfer am Weltbaum Ygdrasil den Kriegern den Weg gewiesen hat, der zum göttlichen Wohnsitz hinaufführt, wo unvergängliches Leben blüht. Gemäß dieser Überlieferung ist in der Tat kein Opfer oder Kult dem höchsten Gott genehmer, keines trägt reichere überweltliche Früchte, als dasjenige Opfer, welches man dadurch bringt, daß man kämpfend auf dem Schlachtfelde fällt.

Aber mehr noch: hinter der unklaren volkstümlichen Vorstellung des «wilden Heeres» steckt folgender Gedanke: durch die Krieger, die, indem sie fallen, Odhin ein Opfer darbringen, wird die Schar derjenigen vermehrt, deren dieser Gott bedarf zum letzten Kampf gegen Ragnarökkr [Weltende, Weltenbrand, Götterdämmerung und zugleich Endzeitkampf des germanischen Mythos. Das althochdeutsche Wort Muspilli für diese Endzeit erinnert an „Muspilheim“, das Land des Feuers des germanischen Mythos] d. h. gegen das Verhängnis der «Verdunkelung des Göttlichen», das seit fernen Zeiten drohend über der Welt liegt.

Legionär gegen Keltenkrieger

Legionär gegen Keltenkrieger

Legionär gegen Keltenkrieger (2. Jh. v. d. Z): Der Bildhauer hat die wesentlichen Merkmale des “barbarischen” Kriegers, nämlich Leidenschaft, Wildheit und Todesverachtung herausgearbeitet, während dem Legionär Gleichmut, Unerschrockenheit und Disziplin zugeschrieben werden. Der Krieger mit langem Haar und verzerrtem Gesicht trägt ein langärmeliges Gewand und ein langes Schwert. Im Hintergrund ist neben der Stammesbehausung eine Eiche zu sehen. Haartracht, Kleidung und Bewaffnung des Kriegers, sowie die Eiche, ein heiliger Baum der Kelten, deuten auf einen keltischen Krieger hin. Aber auch ein Germane ist denkbar. Der Legionär wird durch einen Brustpanzer (Lederschuppen) und den Legionärshelm geschützt.

Das arische Motiv des metaphysischen Kampfes kommt also schon hier deutlich zum Ausdruck. In der Edda heißt es denn auch: «So groß auch die Zahl der in Walhalla versammelten Helden ist, es werden ihrer nie genug sein, wenn der Wolf hervorbrechen wird» – der Wolf ist hier das Sinnbild finsterer und wilder Mächte, die zu bändigen und zu unterwerfen der Kultur der Asen [die höchste germanische Götterfamilie] gelungen war.

Ganz ähnlich ist die iranisch—arische Auflassung vom Mithra, dem «Krieger ohne Schlaf», der an der Spitze der fravashi, seiner Getreuen, gegen die Feinde des arischen Lichtgottes ankämpft. Wir werden gleich näher auf die fravashi einzugehen haben und ihre Entsprechung zu den Walküren der nordischen Überlieferung feststellen. Zunächst möchten wir jedoch noch den allgemeinen Begriff des «heiligen Kampfes» mittels einiger weiter übereinstimmender Zeugnisse klären.

Es soll nicht erstaunen, wenn wir uns vor allem auf die islamische Tradition beziehen. Die islamische Tradition steht hier am Platze der arisch-iranischen. Die Idee des «heiligen Kampfes» – wenigstens was die hier zu betrachtenden Elemente anbetrifft – kam zu den arabischen Stämmen aus der persischen Gedankenwelt: Sie hatte also gleichsam die Bedeutung der späteren Renaissance eines alt-arischen Erbgutes und kann unter diesem Gesichtpunkt ohne weiteres verwendet werden [1939; 1].

Dies vorausgeschickt werden in der in Frage stehenden Tradition zwei «heilige Kriege» unterschieden, bzw. der «große» und der «kleine heilige Krieg». Diese Unterscheidung rührt von einem Ausspruch des Propheten her, der auf der Rückkehr von einer kriegerischen Unternehmung sagte: «Vom kleinen sind wir zum großen heiligen Krieg zurückgekehrt». Der große heilige Krieg gehört in diesem Zusammenhang der geistigen Ordnung an. Der kleine heilige Krieg ist dagegen der physische Kampf, der materielle, in der Außenwelt ausgefochtene Krieg. Der große heilige Krieg ist der Kampf des Menschen gegen die Feinde, die er insich trägt. Genauer gesagt, ist der Kampf des übernatürlichen Elements im Menschen gegen alles, was triebhaft, leidenschaftsbedingt, chaotisch, den Kräften der Natur hörig ist. Dies ist auch die Idee, die in einem Text alt-arischer Kriegerweisheit – in der Bhagavadgita [Der „Gesang des Erhabenen“ ist einer der vielen Einschübe des indischen Versepos Mahabarata. Möglicherweise ist die Bhagavadgita um 100 v.d.Z bis 100 n.d.Z. entstanden, die in dieser niedergelegten philosophischen Lehren dürften jedoch sehr viel älter sein. Die „Gita“ beinhaltet philosophische, metaphysische und mystische Lehren, die dem Krieger Arjuna durch den Gott Krishna in Menschengestalt zu teil werden. Arjuna ist der Held des Krieges der zwei Sippen der Kaunavas und der Pandavas, der von Zweifel befallen sich an seinen Wagenlenker Krishna wendet. Angesiedelt ist die „Gita“ kurz vor dem Beginn der Schlacht. In einem Dialog ruft Krishna seinen Schützling nicht nur zum entschlossenen Kampf auf, sondern zeigt ihm seine Existenz als Krieger und Mensch in der göttlichen Ordnung auf und verweist auf die unzerstörbare und unsterbliche Seele, die weder durch Klingen zerschnitten oder zerstückelt, noch durch Speere durchbohrt werden kann. Krishnas Ratschläge beziehen sich unter anderem auf die notwendige und göttlich legitimierte Befolgung der Pflichten seiner Kaste und die Möglichkeit, den ewigen Kreislauf der Wiedergeburten zu verlassen und so zu einer höheren Existenzstufe zu gelangen. Später, im Getümmel der blutigen Schlacht, wird sich Krishna den kämpfenden Kriegern als das personifizierte Absolute zu erkennen geben.

Dem kämpfenden Geschlechte“ – So leitete der Indologe J. Wilhelm Hauer (1881-1962) seine Interpretation der „Gita“ ein. Hauers Bahn brechende Interpretation ordnet diese in den Kontext der indogermanischen und heroischen Tradition ein und läßt ihre Kernaussage auch dem Leser der Moderne verständlich werden: Die Annahme und Bewältigung der Tragik des Lebens als Sinnschöpfung des arisch-nordischen Menschen. Hauer in der Einleitung: „Der Drang nach Beschauung und Weltabkehr ist nur eine Seite des indo-arischen Wesens. Ihr in polarer Spannung zugeordnet ist eine ungeheure Tatkraft, die in männertrotzenden Kriegen, im Bau von großen Reichen und Kulturen sich durch die Jahrtausende hindurch immer neu auswirkte. Wer je einmal vor dem dreigesichtigen Śiva des Felsentempels auf der Insel Elefanta im Meere von Bombay gestanden ist, der hat etwas empfunden von dem unerhörten Kraftdrängen der indischen Seele. Das starke nordische Bluterbe der in Indien seit etwa dem 3. Jahrtausend vor Christus einwandernden Arier ist nicht verborgen geblieben. Lange genug ging der Kampf hin und her um die Frage, ob nordisches Blut in den Indo-Ariern pulse. Sie ist schrittweise entschieden worden (…) Die religionsvergleichende Forschung hat gezeigt, daß die ältesten Überlieferungen Altindiens in urindogermanische Zeit weisen. Heute steht auch fest, daß die rassischen Züge der Indo-Arier sich geschichtlich mit jener Rasse verknüpfen, die dem bestimmenden Einfluß in der indogermanischen Welt gehabt hat, mit der nordischen. Vgl. J. Wilhelm Hauer: Eine indo-arische Metaphysik des Kampfes und der Tat. Die Bhagavadgita in neuer Sicht. Stuttgart 1934, S.1f.] – zum Ausdruck kommt: «Durch die Verwirklichung dessen, was jenseits, des Verstandes ist, bekräftige Dich durch Dich selbst und tötenden Feind in Gestalt des schwer besiegbaren Wunsches». Vorbedingung für das innere Befreiungswerk ist, daß ein solcher Feind vernichtend geschlagen, wird [1939; 2].

Krishna und Arjuna

Krishna und Arjuna

Krishna und Arjuna (6. Jh. v. d. Z.): Dieses Relieffragment stellt eine Szene aus der Bhagavadgita dar (Dialog zwischen dem Gott Krishna und dem Krieger Arjuna). Der gekrönte und mit Kette, Ohrringen und Armreif geschmückte Krishna ist sitzend dargestellt, seine vier Arme symbolisieren göttliche Allmacht. Neben oder hinter ihm steht der Krieger Arjuna, der Pfeil und Bogen in den Händen hält. Die offenen Münder der beiden verdeutlichen die Gesprächssituation, Krishnas erhobener Zeigefinger seine Stellung als göttlicher Lehrmeister.

Im Rahmen einer heroischen Tradition dient jedoch der kleine heilige Krieg – d. h. der Krieg als äußerlicher Kampf – nur als Weg, durch dessen Vermittlung eben dieser große heilige Krieg zu verwirklichen ist. Aus diesem Grunde treten in den Texten «Heiliger Krieg» [1939; 3] und «Weg Gottes» oft als Synonyme auf. So lesen wir im Koran: «Es kämpfen auf dem Wege Gottes – d. h. im heiligen Krieg – diejenigen, welche das irdische Leben dem zukünftigen opfern: denn dem, der auf dem Wege Gottes kämpft und getötet wird, oder dem, der siegt, werden wir hohen Preis schulden». Und weiterhin: «Und diejenigen, die auf Gottes Weg getötet werden – nimmer leitet er ihre Werke irre. Er wird sie leiten und ihren Herzen Frieden schenken. Und einführen wird er sie ins Paradies, das er ihnen zu wissen getan». Hier wird auf den physischen Tod im Kriege angespielt, dem der sogenannte mors triumphalis – der «siegreiche Tod» – der klassischen antiken römischen Überlieferungen genau entspricht. Doch dieselbe Lehre kann auch im symbolischen Sinne verstanden werden. Wer im «kleinen» Krieg einen «großen heiligen Krieg» zu erleben verstanden hat, hat eine Kraft in sich erzeugt, die ihn in den Stand setzt, die Krise des Todes zu besiegen. Doch auch ohne physisch getötet worden zu sein, kann man mittels der Askese der Tathandlung und des Kampfes den Tod erleben, kann man innerlich gesiegt und ein «Überleben» verwirklicht haben. Esoterisch gedeutet, sind in Wirklichkeit «Paradies», «himmlisches Reich» und ähnliche Bezeichnungen nichts anderes als symbolisch für das Volk geprägte; Versinnbildlichungen transzendenter Bewußtseinszustände, auf einer höheren Ebene als Leben und Tod.

Diese Betrachtungen dürfen auch als Prämisse gelten, um dieselbenBedeutungsgehalteunter dem äußeren christlichen Mantel wiederzufinden, den die heroische nordisch-abendländische Überlieferung in den Kreuzzügen überzuwerfen gezwungen war, um nach außen hin in Erscheinung treten zu können. Viel mehr, als man im allgemeinen zu glauben geneigt ist, hatte in der Kreuzzugsideologie die Befreiung des Tempels, die Eroberung des «heiligen Landes» Berührungspunkte mit der nordisch-arischen Tradition, die sich auf das mystische Asgard [Heimstatt der germanischen Götter] bezieht, auf das ferne Land der Asen und Helden, wo der Tod nicht herrscht und die Bewohner sich eines unsterblichen Lebens und eines übernatürlichen Friedens erfreuen. Der heilige Krieg erschien als ein durchaus geistiger Krieg, so daß er buchstäblich von den Predigern mit einer «Läuterung, gleichsam dem Feuer des Purgatoriums noch vor dem Tode» verglichen werden konnte. – «Welcher Ruhm für Euch, aus dem Kampfe nicht anders denn mit Lorbeeren gekrönt hervorzugehen. Doch wieviel größer der Ruhm, sich auf dem Schlachtfeld eine unsterbliche Krone zu erringen» – so sprach zu den Templern ein Bernhard von Clairvaux [Der 1118 gegründete Templerorden ist eng mit dem Abt des Klosters Clairvaux, Bernhard, verbunden. 1115 wird Bernhard im Alter von 25 Jahren Abt im Kloster Clairvaux und nahm als Befürworter der Kreuzzugsidee auf die Ordensregel des Ritterordens entscheidenden Einfluß. In seinem „Buch an die Tempelritter und Lob der neuen Ritterschaft“ wies Bernhard dem Ritterstand ein neues Ideal: Heroischer Kampfeswille und Befolgung des Ritterideals einem höheren Sinn, dem Streiten für Gott, zu widmen. Dieser Aufruf verdichtet sich in der Losung Bernhards, die neuen Ritter müßten als Männer „wilder als Löwen und frommer als Lämmer sein“. Diese Losung wird noch 1200-1210 im Parzival des Wolfram von Eschenbach aufgegriffen, einem Werk in dem Ritter, nicht Geistliche als Gralspriesterschaft eine zentrale Rolle einnehmen. Es besteht keinen Zweifel, daß sich das kulturell in einer Sackgasse befindliche Rittertum durch die von Bernhard vertretene Neuorientierung neue, vor allem spirituelle Impulse, bekam. 1146 machte sich Bernhard, der über eine ungeheure Ausstrahlung verfügte, im französischen Verzelay erneut als Prediger für einen Kreuzzug bemerkbar. Aus ganz Frankreich eilten Menschen herbei, um die Predigt auf einem Feld außerhalb der Stadt zu hören. Bernhards Worte sind nicht überliefert, aber die ungeheure Wirkung löste eine Welle der Begeisterung aus, die zahllose Männer dazu bewegte noch vor Ort das Kreuzzugsgelübde abzulegen.]

Der «absolute Ruhm» – derselbe, der dem Herrn in Himmelshöhen, in excelsis Deo, von der Theologie zugeschrieben wird – wurde auch dem Kreuzfahrer verheißen. Auf dieser Grundlage stellte sich Jerusalem, das erträumte Ziel des «kleinen heiligen Krieges», in einem doppelten Aspekte dar, als irdische Stadt und als himmlische Stadt, und der Kreuzzug als Auftrag einer wahrhaft zur Unsterblichkeit führenden Leistung. Die militärischen Wechselfälle der Kreuzzüge [Der mit der Eroberung Jerusalems 1099 endende 1. Kreuzzug muß als einer der größten militärischen Leistungen der Weltgeschichte begriffen werden. In der Tat ist das Überwinden aller Krisen und das Ertragen aller Opfer des Kreuzzugheeres, der „Pilger in Waffen“, in zahllosen Schlachten gegen Türken und Araber insbesondere durch die spirituelle Ausrichtung des Kriegszieles und der Verheißung besonderer göttlicher Gnade bei Erreichen dieses, erklärt werden.] verursachten zunächst Überraschung, Verwirrung und sogar Schwanken des Glaubens. Doch dann hatten sie nur die Wirkung, die Idee heiligen Kampfes von jedem Rückstand an Materialität zu läutern. Der unglückliche Ausgang eines Kreuzzuges wurde der vom Unglück verfolgten Tugend verglichen, deren Wert nur in Bezug auf ein nicht irdisches Leben beurteilt und belohnt werden kann. Damit wurde – jenseits von Sieg oder Niederlage das Werturteil auf die geistige Seite der Tat konzentriert [1939; 4]. So galt der heilige Krieg an sich, unabhängig von seinen sichtbaren Ergebnissen, als ein Mittel, um mit dem aktiven Opfer des menschlichen Elements eine überpersönliche Vollendung zu erlangen.

Dieselbe Lehre kommt in einem bekannten indo-arischen Text – der Bhagavadgita – metaphysisch gesteigert zum Ausdruck. Das Mitleid und die humanitären Gefühle, die den Krieger Arjûna davon abhalten, gegen den Feind ins Feld zu ziehen, werden von dem Gott: «Feigheit, unwürdig eines Adligen und vom Himmel entfernend» genannt. Die Verheißung lautet: «Getötet – wirst Du das Paradies haben; siegreich wirst Du über die Erde herrschen. Deshalb stehe entschlossen auf, zur Schlacht! «Die innereEinstellung, dieden kleinen Krieg in den schon besprochenengroßen heiligen Krieg verwandeln vermag, wird folgenderweise klar umschrieben: «Indem Du jede Handlung mir weihst – sagt der Gott – und Dein Geist im höchsten Ich-Zustand verweilt, fern jedem Gedanken des Besitzes, befreit vom Fieber des Geistes, kämpfe!» In eben klaren Ausdrücken heißt es von der Reinheit dieser Handlung: sie muß um ihrer selbst willen gewollt werden, jenseits von jedem materiellen Zweck, jenseits von jeder Leidenschaft und von jeder menschlichen Triebfeder. «Indem Du Lust und Leid, Vorteil und Verlust, Sieg und Niederlage im Werte gleichsetzest, bewaffne Dich für die Schlacht: so wirst Du keinen Makel auf Dich laden». Als weitere metaphysische Begründung erklärt der Gott den Unterschied zwischen dem, was absolute Geistigkeit und als solches unzerstörbar ist – und dem, was als körperliches und menschliches Element nur illusorisch ein Dasein hat. Einerseits wird die metaphysische Unwirklichkeit dessen zum Bewußtsein gebracht, was man als vergängliches Leben und sterblichen Leib verlieren oder dessen Verlust man bei anderen bedingen kann. Andererseits wird Arjûna zum Erlebnis jener Erscheinungsform des Göttlichen geführt, als einer Macht, die in unwiderstehlicher Absolutheit mitreißt. Der Größe dieser Kraft gegenüber erscheint jede bedingte Daseinsform als Negation. Wo immer diese Verneinung aktiv verneint wird d. h. wo im Ansturm jedes begrenzte Dasein fortgerissen oder vernichtet wird, gelangt deshalb diese Macht zu furchtbarer Offenbarung. Auf dieser Grundlage läßt sich die Energie genau umschreiben, die geeignet ist, die heroische Verwandlung des Einzelnen zu bewirken. Ist der Krieger imstande, in der schon angedeuteten Reinheit und Unbedingtheit zu handeln, so sprengt er die Fesseln des Menschlichen, er beschwört das Göttliche herauf als metaphysische Kraft der Zerstörung des Endlichen, er zieht diese Kraft aktiv auf sich, in ihr findet er seine Verklärung und Befreiung [1939; 5] [Stichwort Epiphanie (griech. „Erscheinung“): Die Literatur der griechischen Antike kannte als Motiv die Erscheinung einer Gottheit oder eines Helden auf dem Schlachtfeld und ihre Integration in das Kampfgeschehen. Der Historiker Victor Davis Hanson sieht den Ursprung dieses Motivs in der Desorientierung bzw. Bewältigung physischer und psychischer Streßsituationen durch den Krieger: „Throughout Greek battle number of men not only became confused and disoriented under the strain of killing, but also lost their senses to such a degree that they had not longer known what was going on, suffering from what we might call „battle fatigue“ or „battle shock“. In nearly every greek battle we hear of epiphanies, stories of gods and heroes who at a certain moment descend to fight alongside a particular contigent. Most are described as occurring either before or after the battle, and thus can be explained as faked prebattle stratagems to encourage morale, or post-mortem mythmaking to explain some superhuman or unbelievable achievement of arms. Yet a few seem almost hallucinatory and may not be later, deliberate creations of fantasy. Rather, under the stresses of battle, men claimed to have seen images before their eyes during actual fighting.” Vgl. Victor Davis Hanson: The Western Way of War. Infantry battle in classical Greece. Oxford 1989, S.192. Folgt man Evola, der die tatsächliche Manifestation des Göttlichen durch den Krieger in der Schlacht für mehr als eine literarische Anfügung oder die Folge physischen Stresses ansieht, sind Hansons Ausführungen von besonderer Bedeutung.].

Gigantomachie

Gigantomachie

Götter kämpfen gegen Giganten (um 525 v. d. Z.): Auf einem Skulpturenfries des marmornen Schatzhauses in Delphi sind kämpfende Götter und Giganten dargestellt. Beide Parteien tragen die für griechische Hopliten typischen Waffen und Rüstungen. Diese Gigantomachie steht am Anfang der griechischen Mythologie und ist vergleichbar mit dem Kampf der nordisch-germanischen Asen gegen die Riesen und andere Mythoswesen, die Chaos und Unordnung symbolisieren.

Das suggestive diesbezügliche Losungswort eines anderen, doch derselben Tradition zugehörigen Textes lautet: «Das Leben wie ein Bogen; die Seele wie ein Pfeil; als die zu durchbohrende Zielscheibe der absolute Geist. Mit diesem Geist sich verbinden, wie der abgeschnellte Pfeil in sein Ziel eindringt».

Ist darin die höchste Form metaphysischer Rechtfertigung von Kampf und Heldentum zu erblicken, so ist es sehr bezeichnend, daß eine solche Lehre in der Bhagavadgita als Teil eines ur-arischen, sonnenhaften Erbgutes dargestellt wird. Sie wurde nämlich von der «Sonne», dem Urgesetzgeber der Arier, Manu, erteilt und nachher von einer Dynastie sakraler Könige bewahrt. Durch die Jahrhunderte ging diese Lehre verloren und dann wird sie von der Gottheit nicht einem Priester, sondern einem Vertreter des Kriegeradels, Arjûna, wieder offenbart.

Was wir bisher dargestellt haben, gestattet uns auch zum Verständnis des innerlichsten Bedeutungsgehaltes vorzustoßen, der einer weiteren Gruppe klassischer und nordischer Überlieferungen zugrunde liegt. Als Ausgangspunkt darf uns dabei die Beobachtung dienen, daß in solchen Überlieferungen bestimmte symbolische Vorstellungen in eigenartiger Vermengung auftreten: es sind die Vorstellung der Seele als Dämon, Doppelgänger, Genius und Verwandtes; die Vorstellung von dionysischen Wesenheiten und der Todesgöttin, endlich die Vorstellung von einer Siegesgöttin [Die antiken Göttinnen Victoria und Nike], die oft auch in der Gestalt einer Schlachtengöttin erscheint.

Zum Verständnis dieser Zusammenhänge wollen wir vor allem klarstellen, was die Seele, aufgefaßt als Dämon, Genius oder Doppelgänger, zu bedeuten hat. Der antike Mensch symbolisierte im Dämon oder Doppelgänger eine tiefliegende Kraft, die sozusagen das Leben des Lebens ist, da sie insgeheim die gesamten leiblichen und seelischen Vorgänge leitet, zu denen das gewöhnliche Bewußtsein nicht gelangt, die aber doch das Dasein und das Schicksal des Einzelnen in hohem Grade bedingen. Zwischen dieser Wesenheit und den mystischen Kräften der Rasse und des Blutes dachte man sich eine enge Verbindung. So erscheint uns zum Beispiel der Dämon in vieler Hinsicht den Laren [römische Hausgötter, die in kleinen Tempeln des Hauses verehrt wurden] gleich, den mystischen Wesenheiten eines Stammes oder einer Sippe, von denen aber z.B. Makrobius [Der römische Autor Ambrosius Theodosius Macrobius, der zur Zeit der Herrschaft des Kaisers Honorius (395-423) lebte, ist vor allem durch sein Werk „Saturnalia“ (benannt nach den römisch-heidnischen Feiertagen), das in der ganzen Spätantike und im Mittelalter rezipiert wurde, bekannt geworden. In den Saturnalien kommen mythologische und philosophische Grundfragen zur Sprache. Interessant ist, daß Macrobius auch die Äußerungen entschiedener Vertreter des römischen Heidentums aufgreift, das im Gegensatz zum Christentum stand (seit 391 römische Staatsreligion). Macrobius kommt in den Saturnalien zum Schluß, daß jeder göttliche Kult in der Sonnenverehrung wurzelt.] sagt: «Sie sind die Götter, die uns am Leben erhalten – sie nähren unseren Leib und leiten unsere Seele».

Es darf gesagt werden, daß zwischen dem Dämon und dem gewöhnlichen Bewußtsein eine Beziehung besteht wie zwischen individuierendem und individuiertem Prinzip. Das erstere ist nach der Lehre der Alten eine überindividuelle Kraft, daher Geburt und Tod überlegen. Das letztere d. h. das individuierte, durch den Körper und die Außenwelt bedingte Bewußtsein, ist auf normalem Wege der Auflösung oder einem schattenhaften Überleben bestimmt. In der alt-nordischen Tradition hat die Vorstellung von der Walküre [Die Walküre des germanischen Mythos wählt die in der Schlacht gefallenen Krieger aus und geleitet sie zum Sitz Wodans. Vgl. das mittelhochdeutsche Verb „kiesen“ (auswählen) und seine Substantivierung „kür(e)“ bzw. „kure“ (Wahl). Demnach ist eine Walküre eine auf der „Wallstatt“, dem Schlachtfeld, Wählende. Eine weltbekannte künstlerische Adaption gelang Richard Wagner (1813-1883) mit seiner Oper „Die Walküre“, uraufgeführt in München 1870.] ungefähr dieselbe Bedeutung wie die vom Dämon. Die Vorstellung der Walküre verschmilzt in vielen Texten mit derjenigen der fylgya d.h. mit einer im Menschen wirkenden geistigen Wesenheit, deren Macht sein Schicksal anheim gestellt ist. Und jene kynfylgya ist die Walküre – wie die altrömischen Laren – die mystische Kraft eines Blutes. Dasselbe gilt für die fravashi der iranisch-arischen Überlieferung. Die fravashi – führt ein bekannter Orientalist aus – «ist die innerste Macht jedes menschlichen Wesens, ist dasjenige, was es aufrecht erhält und bewirkt, daß es geboren wird und besteht».

Gleichzeitig stehen die fravashi, wie die römischen Laren, mit den Urkräften eines Stammes in Verbindung und sind – wie die Walküren – Schrecken erregende Kriegsgöttinnen, die Glück und Sieg verleihen. Dies ist die erste Zusammenstellung, die wir zu ergründen haben. Was kann diese rätselhafte Kraft, die die tiefliegende Seele der Rasse und das Transzendentale im Einzelnen ist, mit der Kriegsgöttin gemein haben? Um sich über diesen Punkt klar zu werden, soll man sich erinnern, daß das indogermanische Altertum eine sozusagen aristokratische und exklusive Auffassung von der Unsterblichkeit hatte. Nicht alle entrinnen der Selbstauflösung, jenem schattenhaften Überleben, wofür Hades und Niflheim [Die Unterwelt des griechischen Mythos, das Land der Eis- und Frostriesen des germanischen Mythos] alte symbolische Verbildlichungen waren. Die Unsterblichkeit ist ein Vorrecht weniger und nach arischer Auffassung hauptsächlich ein heroisches Vorrecht. Das Weiterleben – und zwar nicht als Schatten, sondern als Halbgott – ist nur denen gewährt, die eine besondere geistige Tat von der einen zur anderen Natur erhoben hat. Hier können wir leider nicht alle Belege anführen, die folgende Behauptung rechtfertigen: technisch aufgefaßt bestand eine solche geistige Handlung darin, den Selbstsinn vom gewöhnlichen menschlichen Bewußtsein, das beschränkt und individuiert ist, in eine tiefe, überindividuelle, individuierende Kraft zu wandeln, die jenseits von Geburt und Tod steht und von der wir gesagt haben, daß ihr die Vorstellung des «Dämons» entspricht1.

Doch der Dämon steht jenseits aller endlichen Formen, in denen er sich offenbart, und dies nicht nur, weil er die Urkraft eines ganzen Stammes ist, sondern auch vom Gesichtspunkt der Intensität aus. Der brüske Übergang vom gewöhnlichen Bewußtsein zu der, durch den Dämon symbolisierte Kraft hätte daher eine zerstörerische Krise zur Folge; wie ein Blitzschlag infolge eines für den menschlichen Kreislauf zu hoch gespannten Potentials. Nehmen wir nun an, daß unter ganz außergewöhnlichen Umständen der Dämon sozusagen trotzdem im Einzelnen durchbrechen und so seine zerstörerische Transzendenz fühlen lassen kann: dann hätte man eine Art aktiven Erlebens des Todes, und es wird damit die zweite Zusammenstellung klar, bzw. warum die Gestalt des Doppelgängers oder Dämons in den alten mythischen Vorstellungen mit der Gottheit des Todes verschmelzen konnte. In der nordischen Überlieferung sieht der Krieger seine Walküre eben im Augenblick des Todes oder der Todesgefahr.

Gehen wir weiter. In der religiös bestimmten Askese sind Abtötung, Verzicht aufs eigene Ich, Elan der Hingabe an Gott die bevorzugten Mittel, mit deren Hilfe man es unternimmt, die eben angedeutete Krise zu verursachen und erfolgreich zu überwinden.

Ausdrücke wie «mystischer Tod» oder «dunkle Nacht der Seele» usw., die auf diese Zustände hinweisen, sind allen bekannt. Dagegen ist im Rahmen einer heroischen Tradition der Weg zu demselben Ziel der aktive Aufschwung, die dionysische Entfesselung [Der griechische Gott Dionysos steht für das rauschhafte und ekstatische Ausleben der menschlichen Triebe] des Tatelementes. In der niederen Stufe der entsprechenden Phänomenologie sehen wir so zum Beispiel den Tanz als heilige Technik verwandt, um durch die seelische Ekstase tief erliegende Kräfte hervorzurufen und einzusetzen. In das zu dionysischem Rhythmus entfesselte Leben des Einzelnen senkt sich ein anderes Leben ein, gleichsam wie das Auftauchen seiner abgründigen Wurzel: «Wildes Heer», Furien, Erinnyen und andere analoge, geistige Naturen sind symbolische Verbildlichungen dieser Kraft. Sie entsprechen daher einer Erscheinungsform des Dämons in seiner Schrecken erregenden und aktiven Transzendenz. Auf einer höheren Stufe stehen die sakralen Kampfspiele [Die römischen Gladiatorenkämpfe sind eine entartete Form kultischer Kämpfe zu Ehren der Götter, die im republikanischen Rom anläßlich von Totenfeiern stattfanden.]. Noch höher steht der Krieg. Damit sind wir wieder zu der alt-arischen Auffassung des Kampfes und der kriegerischen Askese zurückgeführt.

Auf dem Höhepunkt der Gefahr und des heldischen Kampfes wurde die Möglichkeit derartiger übernormaler Erlebnisse anerkannt. Schon der lateinische Ausdruck «ludere» – spielen, kämpfen scheint die Idee des Lösens zu enthalten (Bruckmann) [Karl Brugmann (1849-1919), Indogermanist und Sprachwissenschaftler, der in Leipzig Indogermanische Sprachwissenschaft lehrte und das Standardwerk „Grundriß der vergleichenden indogermanischen Sprachwissenschaft“ (5Bde.) herausgab.]. Es ist dies eine von den vielen Anspielungen auf die dem Kampfe innewohnende Fähigkeit, tiefere verborgene Kräfte von der individuellen Begrenzung zu entbinden und frei hervortreten zu lassen. Daraus entspringt der Grund für die dritte Gleichsetzung: der Dämon, die Laren, das individuierende Ich usw. sind nicht nur mit den Furien, Erinnyen und anderen entfesselten dionysischen Naturen identisch, die ihrerseits mit der Todesgöttin viele Züge gemeinsam haben; sie sind gleichbedeutend auch den Sturmjungfrauen der Schlachten, den Walküren und fravashi. Die fravashi heißen zum Beispiel in den Texten «die Schrecklichen, die Allmächtigen», «diejenigen, die im Sturm angreifen und den Sieg dem geben, der sie anruft» – besser gesagt: dem, der sie in sich selbst heraufbeschwört.

Von hier bis zur letzten Gleichsetzung ist nur ein kurzer Schritt. Die gleichen kriegerischen Wesenheiten nehmen schließlich in den arischen Überlieferungen die Gestalt der Siegesgöttinnen an, eine Verwandlung, die nichts anderes als die glückliche Vollendung der in Frage stehenden inneren Erlebnisse kennzeichnet. Ebenso wie der Dämon oder Doppelgänger eine tiefliegende, überindividuelle Macht in ihrem Latenzzustand gegenüber dem gewöhnlichen Bewußtsein bedeutet; wie die Furien und Erinnyen [Rachegöttinnen des griechischen Mythos] eine besondere Erscheinungsform dämonischer, Entfesselungen und Ausbrüche widerspiegeln – und Todesgöttinnen, Walküren, fravashi usw. sich auf dieselben Zustände beziehen, soweit sie durch Kampf und Heldentum ermöglicht werden – ebenso ist die Siegesgöttin der Ausdruck des Triumphes des Ichs über diese Macht. Sie kennzeichnet den sieghaften Aufschwung zu einem Zustand jenseits der Gefahr von Ekstasen und unterpersönlichen Zersetzungsformen, einer Gefahr, die stets hinter dem frenetischen Augenblick der dionysischen und auch der heldischen Handlung lauert. Der Aufschwung zu einem geistigen, wirklich überpersönlichen Zustand, der frei, unsterblich, innerlich unzerstörbar macht, das sogenannte Einswerden der Beiden (der beiden Elemente des menschlichen Wesens), drückt sich also in diesem Gebilde des mythischen Bewußtseins aus.

Jetzt gehen wir zum Hauptgedanken dieser alten heroischen Traditionen über bzw. zur mystischen Auffassung des Sieges. Die Grundvoraussetzung ist, daß eine wirkliche Entsprechung zwischen Physischem und Metaphysischem, zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem da gedacht wurde, wo die Taten des Geistes überindividuelle Züge aufweisen und sich durch Tathandlungen und reale Tatsachen äußern. Eine geistige Verwirklichung wurde auf dieser Grundlage als die geheime Seele gewisser kriegerischer Unternehmungen erahnt, deren Krönung der wirkliche Sieg ist. Dann wird der materielle militärische Sieg zur Entsprechung für eine geistige Tatsache, die den Sieg dort, wo Äußeres und Inneres zusammenhängen, hervorgerufen hat. Der Sieg erscheint als greifbares Zeichen für eine Weihe und mystische Wiedergeburt, die sich im selben Punkte vollzogen haben. Die Furien und der Tod, denen der Krieger stofflich auf dem Schlachtfelde standgehalten hat, begegnen ihm auch innerlich, im Geistigen, in Form eines gefahrdrohenden Aufbruchs der Urkräfte seines Wesens. Indem er über diese triumphiert, ist der Sieg sein.

In diesem Zusammenhang erklärt es sich, warum in der traditionsgebundenen Welt jeder Sieg einen sakralen Bedeutungsgehalt gewann. So bot der auf den Schlachtfeldern bejubelte Heerführer das Erlebnis der Anwesenheit einer mystischen, ihn verwandelnden Kraft. So ist der tiefe Sinn eines im Ruhm und in der «Göttlichkeit» der Sieger durchbrechenden überirdischen Charakters zu begreifen, wie auch der Umstand, daß die alt-römische Zeremonie des Triumphes weit eher sakrale als militärische Züge hatte.

Triumph des Kaisers Tiberius

Triumph des Kaisers Tiberius

Triumph des Kaisers Tiberius (regierte 14 – 37 n. d. Z.) als göttlicher Sieger: Auf dem Silberpokal (aus dem Schatz von Boscoreale) ist der Kaiser im Kampfwagen abgebildet. Auf dem Wagen sind Götterfiguren zu sehen. Über dem Haupt des Kaisers wird ein Lorbeerkranz gehalten. Legionäre, ebenfalls mit Lorbeer bekränzt, folgen im Triumphzug.

Die in den alt-arischen Traditionen so wiederkehrende Symbolik von Viktorien, Walküren und ähnlichen Wesenheiten, die die Seele der Krieger in die «Himmel» führen, wie auch der Mythos eines siegreichen Helden, wie der dorische Erakles, der von Nike der «Siegesgöttin» – den Kranz erhält, der ihn teilhaftig werden läßt an der olympischen Unsterblichkeit – diese Symbolik erscheint uns jetzt in einem ganz anderen Licht. Und jetzt wird auch sinnfällig, wie lähmend und frivol jene Betrachtungsweise ist, die in all dem nur «Poesie», Rhetorik und Märchen erblicken möchte.

Die mystische Theologie lehrt, daß sich im Ruhme die seligmachende geistige Schau vollzieht, und die christliche Ikonographie umgibt die Häupter der Heiligen und Märtyrer mit der Aureole des Ruhmes. All dies bedeutet eine allerdings verkümmerte Erbschaft unserer höheren heroischen Überlieferung. Die iranisch-arische Tradition kannte nämlich bereits den als himmlisches Feuer verstandenen Ruhm – hvareno —, der auf Könige und Führer herabsteigt, sie unsterblich macht und im Siege für sie Zeugnis ablegt [1939; 6]. Und die antike königliche Strahlenkrone symbolisierte eben den Ruhm als sonnenhaftes und himmlisches Feuer.

Licht, sonnenhafter Glanz, Ruhm, Sieg, göttliches Königtum sind Vorstellungen, die in der arischen Welt in engster Verbindung erscheinen und zwar nicht im Sinne von Abstraktionen und Erdichtungen der Menschen, sondern von durchaus realen Mächten und Herrschaften. In diesem Zusammenhang ist uns die mystische Lehre von Kampf und Sieg ein leuchtender Gipfelpunkt unserer gemeinsamen Tattradition.

Diese Tradition spricht heute noch vernehmbar zu uns – wohlverstanden, wenn wir von ihren äußeren und zeitbedingten Erscheinungsformen absehen. Wenn man heute eine müde, blutleere, aus abstrakter Spekulation oder frömmlerischen Gefühlen geformte Geistigkeit und gleichzeitig auch die materialistische Entartung der Tathandlung überwinden will, kann man dann für diese Aufgabe bessere Anhaltspunkte finden als die eben angedeuteten Ideale des alt-arischen Menschen?

Aber mehr noch. Materielle und geistige Spannungen haben sich in den letzten Jahren im Abendlande so gestaut, daß sie schließlich nur durch den Kampf gelöst werden können. Eine Epoche geht mit dem heutigen Krieg ihrem Ende entgegen, und Kräfte kommen nun zum Durchbruch, die nicht mehr durch abstrakte Ideen, universalistische Grundsätze oder durch nur irrational aufgefaßte Mythen beherrscht und zur Dynamis einer neuen Kultur verwandelt werden können. Viel Tieferes und Wesenhafteres ist nötig, damit jenseits der Trümmer einer verworrenen und verurteilten Welt für Europa eine neue Epoche anbricht.

Nun wird in dieser Hinsicht Vieles davon abhängen, wie der Einzelne heute das Erlebnis des Kampfes gestalten kann: ob er fähig ist, Heldentum und Opfer gerade als eine Katharsis, als ein Mittel zur Befreiung und zum inneren Erwachen aufzunehmen. Nicht nur für den endgültigen siegreichen Abschluß des Geschehens dieser stürmischen Zeit, sondern auch für die Gestaltung und Sinngebung der aus dem Sieg entstehenden Ordnung wird diese innere, unsichtbare, von jeder Geste und großem Worte ferne Tat unserer Kämpfer von entscheidender Bedeutung sein. Im Kampf selbst ist die Kraft zu entdecken und zu stählen, die jenseits von Sturm, Blut und Not in neuer Klarheit in machtvoller Ruhe zu neuer Schöpfung verhelfen soll.

Dazu soll man heute auf dem Kampffeld wieder die reine Tathandlung erlernen, die Tathandlung nicht nur als männliche Askese, sondern auch als Läuterung und Weg zu höheren, an und für sich gültigen Lebensformen – was aber gewissermaßen gerade eine Rückkehr zur alten arisch-abendländischen Tradition bedeutet. Aus fernen Zeiten klingt noch das suggestive Losungswort bis zu uns: «Das Leben, wie ein Bogen; die Seele, wie ein Pfeil; das zu treffende Ziel – der höchste Geist». Wer den Kampf heute noch im Sinne dieses Bekenntnisses erlebt, der wird standhalten, wo die anderen zusammenbrechen – und eine unbezwingliche Kraft sein. Dieser neue Mensch wird in sich jede Tragik, jede Dunkelheit, jedes Chaos besiegen und im Umbruch der Zeit den Anfang zu einer neuen Entwicklung, bilden. Nach alt-arischer Überlieferung kann tatsächlich solches Heldentum der Besten heraufbeschwörend wirken d. h. zustande bringen, daß der seit Jahrhunderten gelockerte Kontakt zwischen Welt und Überwelt wiederhergestellt wird. Dann wird der Kampf weder ein grausames Gemetzel, noch ein trostloses, durch den bloßen Machtwillen bedingtes Schicksal bedeuten, sondern die Prüfung des Rechtes und der göttlichen Sendung eines Volkes sein. Dann wird der Frieden nicht wieder ein Versinken in den grauen bürgerlichen Alltag und das Nachlassen der im Kampfe lebenden geistigen Spannung, sondern die Vollendung derselben bedeuten. Auch deshalb wollen wir uns also heute das Glaubensbekenntnis der Alten wieder zu eigen machen, wie es sich im Wort ausdrückt: «Das Blut der Helden ist heiliger als die Tinte der Gelehrten und das Gebet der Frommen» – und auch der traditionsgebundenen Auffassung zugrunde liegt, daß im «heiligen Kampf» viel eher als die Einzelnen die mystischen Urkräfte der Rasse wirken. Diese Kräfte der Ursprünge schaffen Weltreiche und bringen den Menschen den «siegreichen Frieden».

Nachwort

Veröffentlichungsgeschichte, Stellung im Gesamtwerk

Der edierte Text folgt in Text und Schriftbild der Vorlage.

Das Thema des Aufsatzes, mal als “arische Auffassung” mal als “arische Lehre” bezeichnet, vom “heiligen” Kampf bzw. Krieg (und ihre Ausprägung als großer und kleiner Krieg) und der darauf beruhenden Deutung des Begriffes “Sieg”, hat Evola bereits in seinem Hauptwerk Aufstand gegen die moderne Welt (1934) zum ersten Mal niedergelegt. Es gehört damit zu den Schlüsselthemen des italienischen Traditionalisten. Trotz der Grundlegung in seinem Hauptwerk, ist der Aufsatz von 1939 Über die alt-arische Auffassung des Sieges und des heiligen Kampfes und der hier ediert veröffentlichte und auf einem Vortrag von 1940 basierende Aufsatz von größter Bedeutung.

Beide Aufsätze sind sich in ihrer Grundstruktur gleich: Zunächst erfolgt eine genaue traditionalistische Kritik der modernen Gegenwartskultur, dann die Eröffnung der Erarbeitung mit einer Erläuterung des arischen Urverständnisses (in der Welt der Tradition wird jede Wirklichkeit zum Symbol, Krieg = göttlicher Weg), um dann religionsgeschichtliche Belege anzuführen, die von einer Analyse des nordisch-germanischen über die persischen Mythologie bis zum Islam reichen. Die Grundidee wird anhand des Islams näher ausgeführt (die Bedeutung des großen und kleinen heiligen Krieges), um dann auf die Bhagavadgita zurückzukommen, die Worte des Gottes Krishna im Sinne der Grundaussage sehr genau zu interpretieren und auf eine Analogie in der römischen Antike hin zuweisen. Daran schließt sich die esoterische (“transzendente Bewußtseinszustände”) Deutung der zwei Arten des Krieges und eine Exemplifizierung des Themas durch die Interpretation eines großen historischen Ereignisses, den mit der Eroberung von Jerusalem ab 1099 n.d.Z. die Welt des Mittelalters prägenden Kreuzzüge. Nochmals wird auf die Bhagavadgita, das indo-arische Hauptwerk, zurückgegriffen, um daran erschließend die metaphysische Bedeutung des Doppelgängers (eines Kriegers) als Dämon bzw. Genius zu erläutern. Daran schließen sich Ausführungen über die Unsterblichkeit des Kriegers und die wirkliche Bedeutung des Begriffes „Sieg“ an. Beide Aufsätze schließen wieder mit einem Gegenwartsbezug (1939: auch heute; 1940: in den letzten Jahren) und einem Appell zur Wiederbelebung der alt-arischen Idee in der Moderne als Schritt zur Wiedererlangung der Kultur der Tradition.

In ihrer Grundaussage übereinstimmend gleich, liegen die wesentlichen Unterschiede der beiden Aufsätze in der Variation von Gegenwartskritik und Appell. Ist Evolas Appell 1939 noch eher allgemein gehalten (“Diese Tradition spricht auch heute noch vernehmbar zu uns. Sie stellt uns auch heute wieder vor die Alternative: Treue oder Verrat”.), geht er 1940 bereits erläutert auf den Weltkrieg ein: “Materielle und geistige Spannungen haben sich in den letzten Jahren im Abendlande so gestaut, daß sie schließlich nur durch den Kampf gelöst werden können”.

Der Aufsatz von 1939 kann in der Evola-Aufsatzsammlung herunter geladen werden, nähere bibliographische Angaben über das Ursprungswerk (Julius Evola: Schriften) sind unbekannt. Wer diese nachreichen kann, soll sie bitte über die E-Post-Adresse der Deutschen Rubrik (DR) der Redaktion zukommen lassen. Einige Auszüge aus dem Aufsatz von 1939 lohnen als Ergänzungen des edierten Aufsatzes von 1940 hervorgehoben zu werden. Diese sind im edierten Text durch “[1939;]” gekennzeichnet und unten angeführt:

[1939; 1]: “So muß sofort hervorgehoben werden, daß die Idee des Heiligen Krieges ursprünglich persischer, also arischer Herkunft ist und erst später von den arabischen Stämmen übernommen wurde.

[1939; 2]: “Daß ein solcher Feind, der ‘Ungläubige’ und der ‘Barbar’ in uns, vernichtend geschlagen wird.

[1939; 3]: “Jihad” (arab. “Heiliger Krieg”)

[1939; 4]: “Der Dualismus von Sieg und Tugend ist hier selbstverständlich von dem allgemeinen Dualismus beeinflußt, wie er dem christlichen Glauben eigen ist. Trotzdem kommt in dieser Haltung ein höherer Standpunkt erneut zum Durchbruch, der seine Wurzel und seinen logischen Ort nicht so sehr im Christentum als in der heroischen Wirklichkeit des arischen Altertums hat.

[1939; 5]: “Die Werte werden in ihr Gegenteil umgewandelt: der Tod wird Behauptung des Lebens. Der sakrale Krieger erscheint als Manifestation des Göttlichen als metaphysische Kraft der Zerstörung des Endlichen. Er zieht seine Kraft aktiv auf sich, verklärt und befreit sich in ihr, indem er die Fesseln des Menschlichen zerbricht.

[1939; 6]: “Prüft man den tiefsten Sinn der dem Rittertum eigentümlichen Auffassung der Waffenprobe als eines Gottesurteils, so entdeckt man dieselbe Vorstellung: der Sieg ist gleichbedeutend mit einem übernatürlichen Zeichen für die Wahrheit, die Gerechtigkeit, das Recht. Kraft desselben Gedankens hatte in Rom die Zeremonie des Triumphes einen weit eher sakralen als militärischen Charakter. Der Triumphator zog zum Tempel des leuchtenden kapitolinischen Himmelsgottes, um seine Hände in den Lorbeer des Sieges zu legen, womit ausgedrückt werden sollte, daß der wahre Schöpfer des Sieges nicht so sehr der menschliche und sterbliche Teil des Siegers sei als vielmehr ein transzendentes, überpersönliches Element, das ihn ebenbildlich jenem Gotte angleicht. Aus diesem Grund bekleidete sich in der Zeremonie des Triumphes der Sieger mit allen der Gottheit eigenen Wahrzeichen und Symbolen.”

Kapitolinischer Tempel

Kapitolinischer Tempel in Rom, dem Jupiter geweiht
(Rekonstruktion, 1978)

Triumph des Kaisers Marc Aurel

Triumph des Kaisers Marc Aurel

Triumph des Kaisers Marc Aurel (170 -180 n. d. Z.): Der Kaiser trägt die spät im imperialen Rom ihn Mode gekommene “barbarische” Barttracht. Auf seinem Kampfwagen sind mythologische Szenen abgebildet, ein geflügelter Genius schwebt über dem Haupt des Kaisers.

Evolas Aufsatz von 1940 fand zuletzt in der von Michael Moynihan herausgegeben Zeitschrift TYR eine Veröffentlichung in Englisch [Julius Evola: The Traditional Doctrine of Battle and Victory, in: TYR, Vol. 2, 2003-2004].

Unterschied zur Nachkriegsausgabe des Aufstand gegen die moderne Welt

Auf die Grundlegung der Thematik in Aufstand gegen die moderne Welt ist bereits hingewiesen worden. Vergleicht man jedoch die nach dem Krieg herausgegebene Fassung von Evolas Hauptwerk [alle Angaben beziehen sich auf folgende Ausgabe: Julius Evola: Aufstand gegen die moderne Welt. 4. Aufl. Engerda 1997. Die im Arun-Verlag veröffentlichte Ausgabe folgt der Neuausgabe von Edizioni Meditarranee, Rom 1969.] mit den zwei Aufsätzen, so fallen doch gewichtige Unterschiede auf.

Lesen Sie auch:

Julius Evola: SS-Archiv

Evola widmet sich dem Thema in zwei aufeinanderfolgenden Kapiteln (“Der Große und der Kleine Heilige Krieg” und “Spiele und Sieg”). Seine Ausführungen sind natürlich umfangreicher, was insbesondere an der größeren Anzahl religionsgeschichtlicher Belege liegt, die Evola anführt. In der modernen Ausgabe von 1969 (so auch in der Originalausgabe?) fehlt eine Kernaussage, nämlich daß es sich bei der Idee des Heiligen Krieges sich um ein arisches, also letztlich dem gemein-indogermanischen kulturellen Erbe zugehörigen Kulturmuster handele. Immerhin weist er in beiden Aufsätzen von 1939 und 1940 darauf hin. Evola spricht zu Beginn verallgemeinernd von den Traditionen der Menschheit: “Die blutigen Unternehmungen und die Eroberungszüge der traditionellen Menschheit weisen daher oft einen religiösen Aspekt und eine transzendente Absicht auf[S.151, Hervorhebung Siegling]. In den beiden Aufsätzen hat Evola die “traditionelle Menschheit” durch die „Indo-Arier“ ersetzt, die am Anfang der indogermanischen Kulturen stehen und als Kulturschöpfer in die Weltgeschichte eintraten [3. Jahrtausend v.d.Z.]. Mit diesem Unterschied geht auch die Betrachtung der Idee des heiligen Krieges in der islamischen Kultur einher, denn der Verweis auf die Übernahme der Idee aus der persischen und damit einer indogermanischer Kultur, auf die Evola in den Aufsätzen explizit hinweist, fehlt ebenso.

Über die Hintergründe kann nur spekuliert werden. Traditionalisten, die das völkische bzw. nordische Denken ablehnen und die Tradition prinzipiell als Grundmuster aller Kulturen ansehen, sei entgegen gehalten, daß Evola mit seinen schwankenden Darlegungen offenbar doch zumindest zeitweise der nordischen Weltanschauung zuneigte, wie die Aufsätze mehr als deutlich belegen. In Evolas Aufsätzen ist die von ihm – zu recht – verehrte Bhagavadgita nicht einfach „das Gegenstück zur islamischen Gestaltung der Lehre des Heroismus“, auch wenn Evola diesem Werk immerhin zubilligt, daß in dieser „die gleichen Sinngehalte in einem reinerem Zustande wiederzufinden sind[S.155], sondern das Ursprungswerk und, der nordischen Weltanschauung weiter folgend, die Offenbarung arischer, indogermanischer und damit insbesondere nordischer Geisteshaltung.

Vielleicht hat Evola diese Veränderung auch aus Opportunismus vorgenommen. Geht man nämlich davon aus, daß auch die Originalausgabe von 1934 diese Unterschiede aufweist, so ist es durchaus möglich, das Evola den Aufsatz bereits auf seiner Deutschlandreise und damit vor der SS gehalten hat und ihn deshalb durch diese Veränderung auf die besondere Zuhörerschaft nochmals zugeschnitten hat.

März 2008


[1] Für ein näheres Verständnis der allgemeinen, der hier dargestellten Lehre zugrundeliegenden Lebensauffassung verweisen wir den Leser auf unser Buch «Erhebung wider die moderne Welt» – Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart-Berlin, 1935.

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Feminismus und heroische Tradition

Von der Prämisse ausgehend, daß als Vollkommenheit das Qualitative und Differenzierte, als Unvollkommenheit das Quantitative und Formlose anzusehen ist, wurde bereits von gewisser Seite der Beweis versucht, der vielgepriesenen abendländischen Kultur die Bedeutung nicht einer Evolution, sondern eines Rückgangs, einer Involution zuzusprechen.

Heute haben verschiedene tragische Ereignisse endlich die meisten von den Mythen eines billigen Optimismus abgebracht, so daß wir imstande sind, die Wahrheit dieses scheinbaren Paradoxes zu empfinden. Schon seit Jahrhunderten unterliegt die westliche Welt einem furchtbaren Vorgang der Nivellierung. Seine politischen Erscheinungsformen – vom Liberalismus und Demokratismus hinüber bis zur bolschewistischen Massenmenschenkultur – sind nur besondere und schon äußerliche Phänomene. Nicht nur sind heute die Unterschiede von Kaste und innerer Würde, denen unsere antiken Traditionen ihre Größe verdanken, unterhöhlt: ein gleichartiger Rückbildungsprozeß setzt als Ideal für die Zukunft, nach vollzogener Nivellierung zwischen Mensch und Mensch, auch die Nivellierung zwischen Geschlecht und Geschlecht. Aus demselben, in so vielen Verfallserscheinungen der modernen Welt feststellbaren antiaristokratischen und antihierarchischen Streben bildet sich das feministische Phänomen heraus, dessen akutester Ausdruck aber in den beiden Ländern zu finden ist, die sich wie die beiden Scheren einer einzigen Zange von Osten und Westen her um unser Europa zusammenschließen: Rußland und Amerika. Die bolschewistische Gleichberechtigung der Frau dem Mann gegenüber in jeder sozialen, rechtlichen und politischen Hinsicht findet in der Tat vollständige Entsprechung in der Emanzipation, die die Frau durch den Feminismus jenseits des Ozeans schon erlangt hatte. Eine Gegenüberstellung wird uns helfen. Um uns die, solchen modernen Wendungen eigene, Abwegigkeit klarzumachen und gleichzeitig die Werte zu bestimmen, die wieder zur Normalität führen könnten, werden wir kurz auf die Lebensanschauung zurückgreifen, die allen großen arischen Kulturen, besonders der klassischen, griechisch-römischen, weiter nordisch-römischen Welt zu eigen war. Der Kult der Form – der Form als Ordnungs- und Unterscheidungsgesetz – war der Mittelpunkt einer derartigen Lebensauffassung. Die Welt ist Kosmos und nicht Chaos, insofern sie, gleich einem vollkommenen Organismus, aus einer Anzahl wohl differenzierter und unauswechselbarer Teile und Funktionen herausgebildet ist. "Wahrheit", Endziel solcher Teile, ist es nicht, durch die Auflösung ihrer Individuation zu dem Zustand zurückzukehren, wo sie noch eins waren, sondern: immer mehr sie selbst zu sein, immer genauer ihre Eigennatur auszudrücken bis zur Verwirklichung absoluter Individuationen, die als Voraussetzung für die größte Mannigfaltigkeit und Bestimmtheit des Alls aufgefaßt wurden. Auf solchem Weg gestaltete sich auch die Grundlage für eine hierarchische Ordnung in der Familie, der Gens, der Stadt, und schließlich im Reich selbst, eine Hierarchie, die sich nicht durch Gewalt und Unterdrückung, sondern spontan, aus der Anerkennung der Naturunterschiede zwischen Menschen, Geschlechtern und Rassen herausbildete.

In seiner empirischen Unmittelbarkeit ist selbstverständlich kein Wesen nur es selbst. Entgegengesetzte Naturen tauchen auf und widerstreiten in ihm. Ein solcher Zustand der Mischung wurde aber als Unvollkommenheit betrachtet, als Ziel der Ethik und selbst der Asketik galt traditionell ihre Überwindung bis zur Setzung von Typen, die nur und vollständig "sie selbst" sind: etwa wie lebendige, von einem Künstler aus formloser Materie gestaltete Statuen. Was nun besonders die Geschlechter angeht, so stellen sich Mann und Frau als zwei Typen dar – und wer als Mann geboren ist, soll sich als Mann, wer als Frau, sich als Frau vollenden, durch und durch, im Körperlichen und im Seelischen, mit Überwindung jedwelcher Durcheinandermischung. Auch auf dem geistigen Plan sollen Mann und Frau jeder einen eigenen Weg beschreiten, der nicht ohne Verwirrung und Widerspruch verlassen werden darf. In der uns als normal geltenden Welt, wo die auf Höhen heimische Freiheit und jene innere Kühnheit herrschte, ohne welche das Leben eine schmutzige Angelegenheit und sinnlos ist – in einer solchen Welt galt aber als wesentliches Merkmal der Männlichkeit die innere Genügsamkeit und Herrschaft, das "an sich Sein", eine aus Kraft gebildete Reinheit – und diesem Ziel waren zwei große Wege gewiesen: der Weg der Aktion und der Weg der Kontemplation. Im Krieger, bzw. Helden, und im Asketen kamen also die beiden Grundtypen der reinen Männlichkeit zum Ausdruck. Symmetrisch zu solchen Typen gibt es zwei für die Weiblichkeit. Die Frau verwirklicht als solche, erhebt sich zu demselben Niveau auf dem der Mann als Krieger und Asket steht, insofern sie Geliebte und Mutter ist. Wie es einen aktiven, so gibt es auch einen negativen Heroismus. Dem Heroismus der absoluten Behauptung steht der Heroismus der absoluten Hingebung gegenüber – und der eine kann so leuchtend sein, wie der andere, wenn er mit Reinheit, etwa wie eine rituelle Opfergabe erlebt wird. Eben diese Doppelheit des Heroischen bestimmt den Unterschied zwischen den Wegen zur Vollendung für den Mann und die Frau. Der Haltung des Kriegers und des Asketen, von denen der erste durch die reine Tat, der andere durch eine männliche Abgeschiedenheit sich in einem Leben behauptet, das jenseits des Lebens steht – entspricht in der Frau der Heroismus des Schwungs, wodurch sie sich gänzlich einem anderen hingibt und für einen anderen hingibt und für einen anderen da ist, sei es ihr Mann (Typ der Geliebten, entsprechend dem des Kriegers), sei es ihr Sohn (Typ der Mutter, entsprechend dem des Asketen), und in solchem Verhältnis den höheren Sinn des eigenen Lebens, ihre Freude und im Grenzfalle ihre Erlösung findet. Die immer entschlossener geführte Verwirklichung dieser beiden, getrennten und unverwechselbaren Richtungen des Heroischen mit Beseitigung all dessen, was im Manne weiblich und in der Frau männlich ist, bis hin zur Vollendung einer absoluten Frau gegenüber einem absoluten Manne – dies ist das traditionsverwurzelte, normale Gesetz für die Geschlechter.

Wir brauchen kaum anzudeuten, in welchem Gegensatz solche Ansichten zu den nivellierenden und humanitären Grundsätzen stehen, die in den letzten Zeiten die Moral, das Recht, die Gesellschaftsordnung, ja sogar das Ideal des Erkennens und des Schaffens des abendländischen Menschen beherrscht haben. Auf dieser Grundlage läßt sich auch der Geist und das Gesicht des modernen Feminismus begreifen.

Tatsächlich war es undenkbar, daß eine Welt, die die Kasten "überwunden" und – um uns im jakobinischen Jargon auszudrücken – jedem Menschen seine "Würde" und seine "Rechte" wiedergegeben hat, das Gefühl des richtigen Verhältnisses zwischen den Geschlechtern hätte bewahren können. Die "Emanzipation" der Frau mußte schicksalsmäßig derjenigen der Sklaven und der Verherrlichung der Standes- und Traditionslosigkeit, d.h. des antiken Paria folgen. Und man hat eine Abdankung für eine Eroberung gehalten.

Nach Jahrhunderten der "Versklavung" wollte die Frau frei werden und für sich selbst bestehen. Der Feminismus war aber nicht imstande, der Frau eine andere Persönlichkeit zu verleihen, als sie die bloße Nachahmung der männlichen geben kann. Dadurch sind ihre Ansprüche nichts als eine Maske für ein gründliches Mißtrauen der neuen Frau ihr selbst gegenüber: d.h. für ihre Unfähigkeit, zu sein und zu gelten, was sie ist; als Frau und nicht als Mann. Dem Feminismus liegt die Prämisse zugrunde, daß die Frau als solche keinen Wert hat, daß sie nur gelten kann, insofern sie so weit wie möglich zum Manne wird und dieselben Prärogativen des Mannes in Anspruch nimmt. Daher ist der Feminismus ein Symptom der Entartung im strengsten Wortsinn. Und wo die traditionsverwurzelte Ethik verlangte, daß Mann und Frau immer mehr sie selbst werden, mit immer kühneren Prägungen das ausdrückten, was den einen zum Manne, die andere zur Frau stempelt – da sehen wir, daß die "modernen" Bewegungen nach Nivellierung streben, nach einem Zustand, der tatsächlich nicht jenseits, sondern diesseits der geschlechtlichen Individuation und Differenzierung liegt. Andererseits: was der Feminismus auf der praktischen Ebene im Auge hatte, war der von den Banken, Ämtern, Märkten und den anderen leuchtenden Zentren des modernen Lebens geschaffene Homunkulus. Dem Feminismus wurde daher der Beweis nicht schwer, daß auch die Frau mehr oder weniger dieselben intellektuellen und praktischen Anlagen hat, die das Recht, die Autonomie und die "Überlegenheit" des neuen, Schatten seiner selbst gewordenen, männlichen Typus begründen. Der Mann andererseits hat den Dingen ihren Lauf gelassen, ja er hat sogar nachgeholfen, hat die Frau in das öffentliche Leben, in Ämter, Schule, Werkstätte und die übrigen verderblichen Angelegenheiten der modernen Gesellschaft und Kultur gedrängt. Dadurch wurde der letzte nivellierende Anstoß gegeben.

Und in einer Welt, wo der Boxer, Cowboy und jüdische Bankherr anstelle des Asketen und Kriegers als höchster männlicher Typus angetreten sind, scheint die geistige Entmannung des modernen materialisierten Menschen oft den alten Vorrang des aphrodisischen Weibes über den durch die Sinnlichkeit vertierten, in sinnloser Weise für sie arbeitenden Mann zu neuem Leben hervorgerufen zu haben. Auf der anderen Seite: die Spielarten einer geschlechtlichen Korruption und Erbitterung, die von ebensoviel Oberflächlichkeit begleitet ist, oder die Entartung des weiblichen Typs sogar in seinen physischen Merkmalen, die Atrophie der naturhaften Möglichkeiten der Frau, die Erstickung ihrer Innerlichkeit. Daher der Typ garçonne, das vermännlichte, sportive Mädchen; leer, unfähig jedwelchen Schwungs jenseits ihrer selbst, ja schließlich unfähig sogar der Geschlechtlichkeit selbst: da im modernen Weib die Möglichkeit nicht nur der Mütterlichkeit, sondern selbst der Liebe im letzten Grunde nicht ein so wesentliches Interesse erwecken, als sonst das Sich-schön-machen, sich mit Kleidern – oder mit so wenig Kleidern als möglich – schmücken, das physische Training, der Tanz um des Tanzes willen, und so weiter.

Dabei ist leicht vorherzusehen, wohin auch in materieller Hinsicht die Verhältnisse zwischen den beiden Geschlechtern auf dieser Grundlage münden müssen. In der Liebe, wie im Magnetischen und Elektrischen, ist der schöpferische Funke desto größer und lebendiger, je entschlossener die Polarität, d.h. die Differenzierung der Geschlechter ist: je mehr der Mann wirklich Mann und die Frau wirklich Frau ist. In der Welt der "evoluten" und "emanzipierten" Frau kann es wohl die Promiskuität einer zweideutigen Kameradschaft, von blassen "intellektuellen" Sympathien oder einen neuen banalen kommunistischen Naturismus geben: nicht mehr aber die Liebe in jenem tiefen elementaren Sinn aufgefaßt, in dem die Alten in ihr eine kosmische Urkraft erkannten.

So wie der soziale Egualitarismus die früheren männlichen lebendigen Beziehungen zwischen Krieger und Krieger, Fürst und Untertan abgeschafft hat, so wird gleichfalls der feministische Egualitarismus immer mehr zu einer geschmacklos entstellten Welt führen. Die Vorhut einer solchen Welt – Rußland und Amerika – ist bereits vorhanden und vermittelt uns die bedeutsamsten Warnungen. Alles steht aber im Zusammenhang, sowohl im Verfall wie in der Wiedergeburt. Wenn von der Dekadenz der modernen Frau gesprochen wird, muß jedoch nicht vergessen werden, daß letzten Grundes der Mann für eine solche Dekadenz verantwortlich ist. Wie die Plebs nie in alle Gebiete des sozialen und kulturellen Lebens einbrechen hätte können, wenn Könige und Aristokraten wirklich fähig gewesen wären, Schwert und Zepter in ihren Händen zu halten, so hätte in einer von wirklichen Männern geführten Gesellschaft die Frau nie den Weg der heutigen feministischen Entartung einschlagen können und wollen. Deshalb müßte die wahre Reaktion sich weniger gegen die Frau, als gegen den Mann richten. Man kann nicht verlangen, daß die Frau wieder ihrer Natur treu werde, solange der Mann nur das Zerrbild seiner selbst kennt und verherrlicht. Jedem äußeren Schein zum Trotz: nur im Geiste ist das Geschlecht wahr und unbedingt. Die Reintegration des modernen Menschen im traditionsgebundenen Sinne, d.h. im Sinne einer aristokratischen Überlegenheit, einer asketischen und kriegerischen Würde, einer dorisch-arischen Reinheit ist der Reintegration des männlichen Typs selbst gleichbedeutend und – sei sie auch nur in einer Elite vollzogen – stellt sich als unerläßliche Voraussetzung dar nicht nur für unseren politischen Wiederaufbau, sondern auch für die Wiederherstellung der richtigen Beziehungen zwischen den Geschlechtern, die Beseitigung der feministischen Irrlehre im Namen eines neuen "heldischen" Stils und die Rückkehr der Frau zu ihren naturhaften Möglichkeiten von Feuer, Licht und befreiender Hingabe.

(Aus: Der Ring, 1933, S. 383 f.)

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Die rote Fahne

Bei objektiver Erfassung des Geschichtssinnes jenseits der von einer antitraditionellen und antiaristokratischen Kultur gestalteten "Mythen" ergibt sich uns statt der gepriesenen "Evolution" ein Prozeß ständigen Niederganges und progressiver Verdunkelung, der eine seltsame Entsprechung findet im eddischen ragna-rökkr, der "Verdunkelung des Göttlichen", wie auch im kâlî-yuga, dem "dunklen Zeitalter" der antik-arischen Traditionen Indiens. Mit besonderer Deutlichkeit zeichnet sich auf sozialem und politischem Gebiet ein Gesetz ab: das Gesetz der Rückbildung der Kasten.

Die hierarchische Rangordnung, wie sie von allen großen traditionsverwurzelten Organisationen mehr oder weniger anerkannt wird, umfaßte im wesentlichen vier Stufen. An ihrer Spitze die Sphäre einer rein geistigen Aristokratie, der die "göttlichen Könige" entsprangen, die "solaren Initiierten", welche in ihrer Würde von "Mehr-als-Menschlichen" in den Augen aller als unwiderstehlich über alle anderen hinaus mit dem legitimen Recht der Befehlsgewalt und Führerwürde bekleidet erschienen. Unter dieser stand die Sphäre des Kriegeradels. An dritter Stelle kam das Besitzbürgertum, der Händler, Landwirt und (in den Grenzen der Antike) Industrielle. Zuletzt die dienenden Klassen, die einfache unindividuierte Masse, deren natürliche Funktion die Arbeit als solche war, der in Verehrung und Unterordnung geübte Dienst an den höherstehenden Kasten, von denen sie ihre Ordnung empfingen.

Die Tatsache, das eine derartige hierarchische Verfassung oft nur unvollkommen in die historische Verwirklichung einging, bedeutet kein Hindernis dafür, daß sie sich als "Schema" in den Kulturwerdegang so auffassen läßt, daß eben die Idee eines Niederganges der Macht von der einen zur anderen der vier großen traditionsverwurzelten Kasten zur vollen Deutlichkeit gelangt.

Die Machtepoche des "göttlichen Königtums" verliert sich im fernen Schattenreich der Vorgeschichte, sodaß heute nur ganz wenige mehr um ihren wahren Sinn wissen: man hält sie für "Mythen", für "Aberglauben" oder reduziert sie auf das oberflächlich-nichtssagende Schlagwort: Theokratie. Wenn nun diese ersten Gipfel gefallen sind, geht die Macht über auf die zweite Kaste, und es zieht herauf die Epoche der "Kriegerkönige". Nicht mehr eine männlich-geistige Aristokratie, sondern nur ein säkularisierter Kriegeradel steht jetzt an der Spitze der Staaten: bis auf die letzten großen europäischen Monarchien. Ein neuer Bruch kommt hinzu mit den Revolutionen und darauf folgenden Konstitutionen: auch wenn es noch Könige gibt – sie regieren wohl, aber herrschen nicht mehr. Die Macht schreitet hinab zum "dritten Stand". Vermittelst der jakobinischen Illusion des Liberalismus nimmt der moderne Kapitalismus feste Formen an, um schließlich in eine kapitalistische Oligarchie einzumünden, welche unter dem parlamentaristisch-demokratischen Regime jede Politik kontrolliert und beherrscht. Die Macht hält so bei der dritten, der antiken Kaste der Händler, Kaufleute, Inhaber wirtschaftlicher Reichtümer. Mit der dritten Internationale, mit der proletarischen Revolte gegen Kapitalismus und Bürgertum, mit dem neuen bolschewistischen Kollektivideal kommt es nun zum letzten Zusammenbruch, zur Heraufkunft der vierten Kaste: die Macht gerät auf die bloße antlitzlose Masse, die jetzt Zepter und Krone an sich reißt und eine neue Universalepoche der Menschheit unter den rohen Zeichen von Sichel und Hammer zu etablieren bestrebt ist.

Damit ist das Gesetz von der Rückbildung der Kasten umrissen. Naturgemäß handelt es sich dabei um einen nicht nur sozialen Niedergang, sondern auch um einen solchen einer bestimmten Ethik. Während der "solaren" Epoche das Ideal der reinen Geistigkeit und die Ethik der Befreiung von der menschlichen Hinfälligkeit eignete; während noch die Kriegsepoche das Ideal des Heroismus, des Sieges, der Herrschaft und die aristokratische Ethik der Treue und Ehre hochhielt – so heißt in der Epoche der Händler das Ideal Reichtum, reine Wirtschaft (Prosperity), Wissenschaft als Werkzeug technisch-industrieller Ausbeutung und neuen Gewinnes, bis dann mit der Heraufkunft des Sklaventums das Ideal des unpersönlichen stumpfen Dienstes an dem sozialisierten Kollektivwesen und das universelle Proletarierideal der Arbeit aufbricht, begleitet von der Herabwertung jeder höhergearteten Betätigungsform zu dem Zerrbild der "Arbeit".

Im Zusammenhang damit ist noch eine andere Tatsache festzustellen: die Herabwertung der Symbole. Symbole für die uraltehrwürdige Idee des "göttlichen Königtums" werden Wahrzeichen der Demagogie: die "triumphierende Sonne" der arischen Vorzeit wird zur "Sonne der Zukunft"; das "Rot" des kaiserlichen Purpurs und der königlichen Wahrzeichen wird von der "roten Fahne" des Sozialismus und Kommunismus gestohlen und flattert über den letzten Revolten; sogar das Geheimzeichen des Mikrokosmos, der Herrscher-Mensch, "Inbegriff aller Mächte", symbolisiert im fünfzackigen Stern, wird Emblem des "allmächtigen Tiers" der bolschewistischen Proletarierzivilisation, Seite an Seite mit Sichel und Hammer. All dies ist ungemein lehrreich für denjenigen, der den tieferen Sinngehalt der Geschichte erfassen will. Die Usurpation erfaßt auf geheimen Wegen sogar die Ebene der Sinnbilder.

So geschieht es denn heute, daß das Symbol der Sonne, die rote Fahne und die Idee der Revolution selbst für gleichbedeutende Ausdrucksformen gelten, wo doch die Sonne überall das Zeichen geheiligten Königtums darstellte, von Indien und vom Iran bis auf Ägypten, Rom und die Inkas, bis auf die Kaiser unseres Mittelalters und die Könige von Frankreich; die flammende Farbe war die des römischen Purpurs, der Kardinäle, ja sogar die Farbe der Heiligen Inquisition; die Idee der "Revolution" bezeichnete in der klassischen Astronomie die Bewegung der Gestirne um den "unbeweglichen Beweger" und somit das hierarchische Prinzip selbst, die geordnete Bewegung der verschiedenen sozialen und geistigen Kräfte in ihrem Gehorsam gegenüber der in den wirklichen Herrschern anwesenden Kraft von oben.

Das Rote tritt immer in Verbindung auf mit der Sonnensymbolik, zur Kennzeichnung ihres Feuer-Aspekts, also ihrer männlichen und aktiven, zerstörerischen und reinigenden, belebenden und leuchtenden Wesensseite.

Der Kult des Feuers (den die Unwissenschaft moderner Universitätswissenschaft fälschlich als "naturalistischen" Kult auslegen will) war, wie bekannt, den großen arischen Kulturen und besonders ihren patrizisch-aristokratischen Ritualen eigen.

Ein "göttliches" Feuer begleitete nach der mazdäischen Überlieferung die Stämme der aryâ, der "Edlen" und durchloderte als "Kraft des Ruhms" – hvarenô – die von ihnen eroberten Lande. Drei Abstufungen dieses immateriellen mystischen Feuers – flamma non urens, nach dem Wort der Lateiner – bildeten in ihrer innigen Verbindung mit einem bestimmten Blute die spezifischen "Seelen" der drei altiranischen höheren Kasten – pishtras – der athravas, der Krieger – rathaesthas – und der Herren der bebauten Erde – vâstriyas-fshuyants. Gleichfalls begleitete nach der Überlieferung der arischen Inder ein göttliches Feuer – agni vaisvâreavas – die großen Eroberer, die in imperialem Sinne als "universale Herrscher" – chakravartî – bezeichnet wurden.

Hier liegt vielleicht auch eine Beziehung nahe zwischen einer derartigen Feuersymbolik und dem Symbolismus der Umdrehung oder Revolution des allegorischen Rades um seinen unbeweglichen Mittelpunkt in Verbindung mit der schon berührten Gegensätzlichkeit zwischen der traditionsverwurzelten und der modernen Bedeutung des Begriffes Revolution. Tatsächlich bedeutet chakravartî wörtlich "Dreher des Rades" – des Rades des regnum – und damit ist eben gemeint die Idee eines souveränen Prinzips der Stabilität und Unbewegbarkeit, eines unbeweglichen Bewegers, nach dem jede niedriger geartete Tätigkeit kreist und mit seiner okkulten und unwiderstehlichen geistigen Gewalt jede Bewegung und Ordnung der von ihm abhängigen Gebilde gemäß ihrem richtigen Ziele bestimmt. Dieses "Rad", als "Rad des Gesetzes" erscheint nach derselben Überlieferung als Vision des zur Herrschaft Vorherbestimmten: in diesem Sinne hat es auch die Bedeutung einer alles mit sich fortreißenden Kraft, eines Wirbelrades, daß sich zermalmend hinwegwälzt über alles Feindliche, Niedrigere, Barbarische, "Dämonische": so dem "Feuer" gleichend, dem agnî vaisvâreasvas, der Eroberer.

Zur Kennzeichnung der Notwendigkeit eines dauerhaften Sieges über die niedrigeren Elemente, nicht nur in Bezug auf tieferstehende Rassen im Gegensatz zu anderen, sondern sogar im Verhältnis zum menschenhaften Teil des Königs selbst gegenüber dem, was ihn wesenhaft zum König macht, wurde mit dem Königtum das Symbol der aufgehenden Sonne verbunden, die siegreich jeden Morgen den Mächten der Finsternis trotzt, sowie das Symbol des verzehrenden und reinigenden Feuers. Und eben mit diesen in ältester Tradition verwurzelten und wesenhaft geistigen Symbolen von Sonne und Feuer steht letzten Endes das feurige Symbol der roten Farbe des königlichen und kaiserlichen Purpurs in Verbindung: jene vom roten Banner der marxistischen Demagogie usurpierte Farbe.

* * *

Einige Bemerkungen noch über das Rot als kirchliche und als Farbe der Inquisition, außer als Farbe des Königtums. Es scheint uns in dieser Hinsicht eine genauere Unterscheidung vonnöten.

Unsere Betrachtungen berufen sich auf unser imperiales Mittelalter, das ein doppelt gerichtetes Bestreben aufweist. Auf der einen Seite steht die gibellinische Wahrung imperialer Autorität, die nach ihrer Wiederherstellung drängt in jenen sakralen und übernatürlichen Bedeutungsgehalt, der einst dem vorchristlichen und nichtchristlichen Königsgedanken zukam, der in sich sogar die Priesterwürde umfaßte. Auf der anderen Seite steht die welfische Wendung der Kirche, die bestrebt ist, sich zu "verrömern", in einer übergeordneten Synthese ihren bloß devotionellen Charakter zu überwinden, und schließlich bis zu einem gewissen Grade sogar die königliche und kaiserliche Funktion (welfische These der "beiden Schwerter") zu absorbieren. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn sich in der einen wie der anderen Tradition im Zustande der Vermischung und oft in abnormen Wechselbeziehungen Symbole antreffen lassen, die in Wirklichkeit ganz getrennten und unverwechselbaren geistigen Polen zugehören, denen in der Urzeit die Mondsymbolik einerseits, die Sonnensymbolik andererseits entsprach.[1]

Rot, die Königsfarbe, tritt uns deshalb überall in den "militanten" und Kampforganisationen des Katholizismus entgegen: in der Gesellschaft Jesu wie in der Institution der Heiligen Inquisition. Dagegen fehlt sie in den rein priesterlichen Einrichtungen. Wenn überdies der Purpur die Farbe der Kardinalswürde ist, der "Kirchenfürsten", so hindert dies nicht, daß nicht das sonnenhafte Rot, sondern das mondhafte Weiß den Papst kennzeichnet, das oberste Haupt der katholischen Hierarchie.

Dieser Umstand ist von unserem Gesichtspunkt aus alles eher denn bedeutungslos, denn er zählt zu jenen, die zu einem Punkte hinleiten, der unseres Erachtens für eine integral verstandene aristokratische Idee wesentlich ist: nämlich zum Begriff des Primats der "königlichen" Geistigkeit über jede Geistigkeit weiblich-"religiöser" und "devotioneller" Natur.[2]

Rot ist wesenhaft die symbolische Farbe für jene, Weiß die symbolische Farbe für diese Geistigkeit. Im traditionsverhafteten Symbolismus offenbart sich uns das Rot immer wieder als Wahrzeichen eines höheren, männlichen, herrschaftlichen Zustandes, als es der ist, dem das Weiß entspricht. Wo immer in den historischen Kulturen wir auf eine Umkehrung dieses Verhältnisses stoßen, kann ohne weiteres geschlossen werden, daß hier eine Verkehrung der normalen Verhältnisse vorliegt, wie sie der traditionsverwurzelten Ordnung in ihrem reinen und absoluten Zustand eigen sind: nur als Verkehrung ist zu bewerten eine Vorherrschaft des Mondes (weiß) über die Sonne (rot), des Weiblichen über das Männliche, des Lichtes (weiß) über das Feuer (rot), das doch sein erzeugendes Prinzip ist.[3]

So war im klassischen Altertum Rot die Farbe der größten oder uranischen Mysterien, Weiß die der kleineren, tellurischen oder demetrischen. Im indisch-arischen Altertum bezeichnete die Sonne den "Weg des Himmels" oder "der Götter" – devayâna –, der Mond (oder die "Mutter") dagegen den der Erde und der "Ahnen" – pitr-yâna – als der von den Banden der Wiedergeburt nicht Befreiten.

Eine analoge Unterscheidung kann bis zu einem gewissen Grade sogar im Christentum aufgewiesen werden, sei es in der rätselvollen Wandlung von "Wasser" (weiß) in "Wein" (rot) auf der Hochzeit von Kanaan, sei es in dem ebenso rätselhaften Versprechen einer "Taufe aus Feuer und Geist" (rot) jenseits der "aus Wasser" (weiß). Überdies erscheint die gleiche Hierarchie der Symbole, nur in weit ausgebildeteren Formen, bei der rituellen ritterlichen Investitur, in den Farben des Kleides der Neophyten. Nach dem Bade zieht der Ritter eine schwarze Jacke an zum Zeichen der Auflösung seiner niedrigen Natur, dann ein weißes, die neugewonnene Reinheit symbolisierendes Kleid und schließlich ein anderes, rotes Kleid, das die höchste männliche Kraft symbolisiert, die sich in heldischen Tagen offenbart, im Blutopfer für die Sache des Geistes. Diese Hierarchie der Symbole findet sich noch ausgebildeter in den Bestrebungen der sogenannten Ars Regia – Königliche Kunst –, die als direkte Erbin der geheimen Geistigkeit des gibellinischen Mittelalters und Bewahrerin einer an das göttliche Sonnenkönigtum Ägyptens anknüpfenden Weisheit betrachtet werden darf. Die Ordnung der "Verwandlungen" tritt hier in der Aufeinanderfolge dreier symbolischer Grundfarben zutage, die bemerkenswerterweise mit den Farben der alten deutschen Reichsfahne identisch sind: zunächst das Schwarz der "Abtötung" oder des "initiatischen Todes"; hierauf Weiß, auch Licht, Tag, Auferstehung genannt, Symbol der Wiedergeburt; endlich Rot, die kaiserliche Farbe, als höchster Grad, als Vollendung des "Werkes", "männliche" und "feurige" Erfüllung des "Helden", der nach einem Bad in dem "göttlichen Wasser" der vorausgehenden Initiationstufe nunmehr die "Kraft" empfängt, "Krone und Zepter", damit aber der "solaren" Unsterblichkeit teilhaftig wird, deren Sinnbild der Phönix ist (Phönix, phoinix, steht im Griechischen im Zusammenhang mit rot), der im Feuer (rot) wiederersteht.[4]

All diese Betrachtungen bekräftigen den Nachweis, daß die rote Fahne als Symbol ihrerseits mit der überlieferten Symbolik des Feuers und der Sonne im Zusammenhang steht, während sie heute als Fahne von einer revolutionären Plebs geschwungen wird, von der "proletarischen", antlitzlosen, vaterlandslosen, gottlosen Masse, die aufgebrochen ist, den Paria zu verherrlichen und das ahrimanische Evangelium des allmächtigen, mechanisierten, materialisierten Kollektivwesens zu künden.

In alten Zeiten war dagegen diese Farbe nicht nur geistiges Sinnbild, sondern Kennzeichen auch einer sogar über die einfach "religiöse" hinaufführenden Geistigkeit. Nicht nur war sie ein aristokratisches und königliches Symbol, sondern auch das eines verinnerlichten Adels und Königtums, nicht nur des äußeren und greifbaren. Übernatürlich, nicht nur irdisch und politisch. Dieses Symbol war und ist weiter bei uns beheimatet, denn wenn auch Rot und Weiß im allgemeinen in Beziehung stehen zu den beiden großen Polen der Geistigkeit, das eine zu der Aktion, das andere zu der Kontemplation, so ist doch keine andere Farbe in höherem Maße geeignet, als das Rot, eine Kultur zu versinnbildlichen, die wir der alte Okzident und eine vielleicht morgen schon unter uns aufkeimende Neukultur die Tat und nicht die Betrachtung als höchsten Wert setzt, als Weg, um männlich, ohne Servilismen oder frömmlerischen Sentimentalismus vom bloßen "Leben" zu einem "Mehr-als-Leben" zu gelangen.

Wenn heute neue heilsame Wiederaufbaukräfte gegen die dunklen Mächte des "modernen" sozialen Niedergangs am Werke sind, so scheint also die Stunde gekommen, um endlich auch allen Usurpationen die Spitze abzubrechen. Es ist Zeit, die Verfälschungen und Verkehrungen anzuprangern, denen unsere uralten aristokratischen Symbole mit der Heraufkunft der niedrigst gearteten Menschlichkeitsschichten zur Macht unterworfen worden sind. Jedes Ding kehre auf den ihm vorgezeichneten Ort zurück.

In Italien entstehen Symbole zu neuem Leben, die auch den ältesten germanischen Traditionen eigen waren: der Adler der Legionen findet seine Entsprechung im Adler Odhins, und das rutengebündelte Beil in dem der urnordischen Eroberer. Ist es ein bloßer Zufall, daß in deutschen Landen die nationale Bewegung in ihrem gegenrevolutionären Sieg und ihrer Wiederaufwertung traditionsgeheiligter Werte verwandte Symbole wiedereingesetzt hat? Die alte deutsche, nunmehr endlich wieder ans Licht gezogene deutsche Fahne entspricht, wie bereits angedeutet, mit ihren drei Farben Schwarz, Weiß und Rot in ihrem tieferen Bedeutungsgehalt den drei Phasen "solarer" Vollendung der mittelalterlichen Geheimtraditionen. Und das siegreich neben ihr flatternde nationalsozialistische Banner, hat es nicht nur das Rot den usurpatorischen Händen des Marxismus entrissen, um es zu reinigen mittels des Urzeichens der Sonne und der "aus-sich-brennenden-Flamme": des Hakenkreuzes?

(Aus: Der Ring (Berlin), 6. Jg., Nr. 52 vom 29. 12. 1933, S. 837ff.)


[1] Wir verweisen zur restlosen Aufklärung dieses Punktes auf die Abhandlung: "Die Unterwelt des christlichen Mittelalters", die im Juli- und September-Heft 1933 der "Europäischen Revue" (Berlin) erschienen ist.

[2] In Bezug auf ein solches Primat könnten wir z. B. den Vorrang der "königlichen Religion" Melkisedeks gegenüber Abraham erwähnen. Im Mittelalter traten oft Königsgestalten eben mit der Symbolik Melkisedeks in Verbindung.

[3] Die in Frage stehende Umkehrung der Werte ist den alten matriachalischen und tellurischen Südkulturen eigen; und gerade im Kampf gegen sie, gegen ihre Kulte, ihre sittlichen, staatlichen und Rechtsbegriffe, haben die großen vaterrechtlichen und von uranisch-solaren Kulten beseelten arischen Kulturen feste Gestalt angenommen.

[4] Der Darstellung und Auslegung solcher Lehre ist mein Buch "La Tradizione Ermetica" (Bari, 1931) gewidmet.

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Das Hakenkreuz als polares Symbol

Die nachfolgenden Betrachtungen, die wir über die höhere Bedeutung des Hakenkreuzes anstellen, würden sich etwas fremdartig ausnehmen, wenn in Deutschland die Forschungen Herman Wirths über die urnordischen Rassen nicht bereits bekannt wären. Etwas jedoch, was verdient, stärker betont zu werden, als es bisher geschehen ist, ist der Umstand, daß die in dieser Hinsicht zum Ausdruck gebrachten Gedanken in dem, was an ihnen von tatsächlicher Gültigkeit ist, nicht lediglich die Mutmaßungen eines modernen Forschers darstellen. Sei können vielmehr verknüpft werden mit einer Lehre, die, auch wenn ihre Spuren verstreut sind, sich gleichwohl mit den Merkmalen der Universalität und der Einstimmigkeit bei allen großen Traditionen der Vergangenheit vorfindet: von der fern-östlichen, tibetanischen, indo-arischen und irano-arischen bis zur hellenischen, ägyptischen, gälischen, germanischen und aztekischen. Und für uns steht fest, daß uns diese Überlieferungen, wenn sie einmal unmittelbar, jenseits der "postiven" Begrenzungen übernommen würden, mehr zu sagen vermöchten, als viele zweifelhafte Rekonstruktionen auf philologischer und paläographischer Grundlage.

Das erste, was sich aus diesem Ideenkreis ergibt, ist die Integration des Begriffes der arischen oder indogermanischen oder nordischen Rasse. Was man bis gestern mit diesem Namen benannte und für einen Urstamm glaubte halten zu müssen, offenbart sich als eine besondere und verhältnismäßig neue Abzweigung einer viel älteren und reineren Rasse arktischen Ursprungs, die man richtiger mit dem alten Namen einer hyperboreischen Rasse bezeichnen könnte. Eine solche Integration hebt viele Einseitigkeiten und Schwierigkeiten auf, die den bisherigen Darstellungen der arischen These anhaften. Der arische Gedanke erhebt sich hier in Wahrheit zu einem universellen Gedanken, indem er ein Prinzip der Fortdauer und des gemeinsamen Ursprungs von Kulturelementen aufstellt, die zuerst als getrennt vermutet wurden und die sich tatsächlich im Morgenland wie im Abendland, im Norden wie im Süden verstreut finden. Im besonderen erscheint dann auch das Hakenkreuz-Symbol in neuem Lichte. Man weiß ja um die Schwierigkeiten, auf die der Gedanke eines Ernst Kraus oder Ludwig Müller stieß, demzufolge dieses Symbol in den alten Zeiten nur den indogermanischen Stämmen eigen gewesen wäre. Schon 1896 hat der Amerikaner Thomas Wilson und später der Italiener Alberto Mosso eine Karte ausgearbeitet, aus der klar hervorgeht, daß sich das Hakenkreuz auch an Orten findet, die, wie Kalifornien, Mittelamerika, der Ferne Osten, Mesopotamien, Nordafrika usw., gewiß nicht als Heimatsitze der indogermanischen Rasse betrachtet werden können. In Beziehung zur nordischen Urrasse nimmt jedoch diese Schwierigkeit ab. Vereinigt man die Wegesrichtungen, die von Wirth als die mittelbaren oder unmittelbaren Ausstrahlungen der nordischen Rasse als Führerrasse bezeichnet werden, mit dem, was im weiteren aus den Zeugnissen, die uns die alten Überlieferungen bieten können, hervorgeht, so vermögen wir uns sehr wohl die Verbreitung des Hakenkreuz-Symbols in der Welt zu erklären – auch jenseits der Herrschaftsgebiete der indogermanischen Rassen, insofern dann diese Rassen jeweils nur eine der Ausstrahlungen der nordischen Urrasse wären.

Als zweites ist der solare, der sonnenhafte Charakter festzuhalten, welcher der nordischen Urkultur eignet. Das geht unmittelbar aus den übereinstimmenden Zeugnissen hervor, die uns die Überlieferungen der alten Völker hinsichtlich der arktischen Urheimat bieten. Das hyperboreische Land der iranischen Arier, airyanem waêjô, wird in der Avesta allegorisch aufgefaßt als die Heimat sowohl des sonnenhaften "Ruhms" als auch des Yima, des "Strahlenden, Ruhmreichen, desjenigen, der unter den Menschen der Sonne gleicht". Çweta-dwîpa oder uttara-kuru, das heilige Land des äußersten Nordens, wird von den Indo-Ariern aufgefaßt als die "weiße Insel" oder "Insel des Glanzes", als die Heimat des Narâyâna, "in welchem ein großes Feuer brennt, das nach allen Seiten hin ausstrahlt". Das hellenische der Hyperboreer wird wieder verknüpft mit dem sonnenhaften und strahlenden Apoll. Von Thule, das mit ihm verschmilzt, wird es heißen: "a sol e nomen habens". Das aztekische Tullan oder Tlallocan (das auch ethymologisch dem hellenischen Thule entspricht) verschmilzt mit dem "Haus der Sonne". Gimle oder Gladsheim, in der Urheimat der Asgard, wird in der Edda ewig, golden und strahlend wie die Sonne genannt. Dasselbe gilt für das geheimnisvolle "nördlich des nordischen Meeres gelegene" und von "transzendenten Menschen" bewohnte Land, an das die Überlieferungen des Fernen Ostens erinnern, und für das mystische Chambhala, die "nordische Stadt" der vorbuddhistischen tibetanischen Überlieferung der Bön. Und so ließe sich fortfahren.

Das ist nun ein symbolisches Zeugnis, das auf zwei Elemente zurückgeführt werden kann: auf die Idee eines Sonnen-Kults und auf die Idee einer sonnenhaften Herrschaft. Was den ersten Punkt anbelangt, so weiß man, daß die Rekonstruktion Wirths dazu neigt, den nordisch-atlantischen Urrassen eben eine gemeinsame Religion des sonnenhaften Typus zu geben. Wenn eine solche Annahme traditionell durchaus im Bereich der Wahrscheinlichkeit liegt, so bedarf sie gleichwohl einer genaueren Begründung, auf die wir noch hindeuten werden. Unterdessen beachten wir folgendes: daß zwischen Sonne und göttlichem Feuer immer eine innige Beziehung bestand, die übrigens von den indogermanischen Spuren leicht ablesbar ist. Der Kult des Feuers verknüpfte sich sowohl mit der uranischen und "sonnenhaften" Komponente des patrizischen Ritus in der traditionellen Antike (Bachofen), wie auch mit dem Begriff vom sonnenhaften und "göttlichen" Königtum selbst, d.h. der Funktion, die in den verschiedenen Kulturen die ursprüngliche Führerrasse in hohem Maß zu verkörpern vermochte: der iranisch-arische "Ruhm", hvarenô, der die Könige macht (gleich dem agni-rohita, dem vedischen Feuer als "erobernde königliche Kraft", und dem Feuerfluidum "Lebens-Kraft", ânshûs, des ägyptischen Königtums), ist ein Sonnen-Feuer. Aber hier haben wir die erste und einfachste Beglaubigung des Hakenkreuz-Zeichens als nordisches Symbol. Tatsächlich ist allgemein bekannt, daß das Hakenkreuz, in seiner besonderen Beziehung zum alten Swastika, häufig als Feuer- und als Sonnensymbol gegolten hat. Man muß nur über die "naturalistische" Reduktion solcher Begriffe hinausgehen. Ein unverrückbarer Punkt für jede ernsthafte Forschung muß sein, daß der antike Mensch die Naturkräfte nicht abergläubisch "vergottete", sondern sie vielmehr als Symbole zum Ausdruck höherer Bedeutungen verwandte. Der "naturalistische" Charakter gewisser Symbole empfängt seinen rechten Sinn nur von der Voraussetzung her, daß die wahre Symbolik, weit entfernt davon, willkürlich und "subjektiv" zu sein, sich auf diejenigen Seiten der Natur bezieht, denen zufolge sie selbst als ein großes Symbol sich darbietet. Nun muß man vergessen, daß allen Völkern die Flamme stets als eine göttliche Offenbarung erschien; vergessen, daß bei den alten Ariern ein genaues heiliges Ritual der Entzündung und der Bewahrung des Feuers voranging; daß sich mit dem Feuer ausdrücklich sowohl die mystische Kraft der "Helden" eines Geschlechts wie auch der "Sitz der Ordnung" verknüpfte, und so fort – um auf den Gedanken zu kommen, daß das Hakenkreuz als Feuersymbol nur eine naturalistische Umformung des primitiven Werkzeuges sei, das bei gewissen Völkern zum Entzünden der Flamme diente. Das Hakenkreuz gesellt sich zu dem zeugenden Prinzip von Feuer und Licht, aber in einem höheren Sinn: im geistigen und, wir können sagen: im königlichen Sinn. Im höchsten Sinn kann es sich das geheimnisvolle Siegel des Ur-"Lichts und -Feuers" nennen, die dazu übergegangen sind, in den herrschenden Kasten sich auszuwirken und zu entzünden, in "sonnenhafter" Funktion über die unterwertigen Kräfte und Rassen.

Hier ist der Augenblick gekommen, um zum Kernpunkt unserer Betrachtungen überzugehen, eben in bezug auf das Hakenkreuz nicht nur als Feuersymbol, sondern auch als polares Symbol. Aus den verschiedensten Zeugnissen geht hervor, daß die von den Führern der großen traditionsverwurzelten Kulturen verkörperte "sonnenhafte" Funktion mit der eines "Pols" verglichen wurde. Der Führer stellte die Beständigkeit, den unbeweglichen Punkt dar, um den sich die geordnete Bewegung der Kräfte vollzieht, die ihn hierarchisch gestuft als rex (rex von regere) umkreisen. Hier handelt es sich um die tiefere Bedeutung der fern-östlichen Bezeichnung: "Unveränderlichkeit in der Mitte", in Verbindung zu bringen mit dem Worte des Kong-tse: "Derjenige, der vermittels der Tugend (virtus) herrscht (der himmlischen, aus der Unveränderlichkeit in der Mitte geborenen), gleicht dem Polarstern. Er steht fest auf seinem Platze, aber alle Sterne kreisen um ihn". Im übrigen ist der aristotelische Begriff des "unbeweglichen Bewegers" eine theologische Übersetzung derselben Auffassung – wiederzufinden in der Bezeichnung, die im Sanskrit die Funktion des "Herrn der Welt", des cakrawartî, ausdrückt. Cakravartî heißt "derjenige, der das Rad kreisen läßt", das Rad des regnum, indem er als der unbewegliche Punkt, der "Pol", erscheint, der Mitte und Halt für dessen geregelte Bewegung bildet. Im tieferen Sinn besteht hier jedoch auch eine Beziehung zu dem, was man olympische Überlegenheit nennen könnte. Das "polare" Symbol ist das einer unwiderstehlichen Kraft in ihrer gelassenen Überlegenheit, einer vollkommen beherrschten Macht von oben, die sich sozusagen durch ihre bloße Gegenwart legitimiert; die das unvermittelte und bedrohliche Erlebnis von etwas Transzendentem bewirkt: eine Erscheinung der Beständigkeit der "Welt des Seins" oder Überwelt, die oft selbst durch ein Feuersymbol dargestellt wurde. Und das ist auch der Sinn des Sonnensymbols, das der hyperboreische Gott Apollon verkörpert: denn dieser, als Phoibos, ist nicht die auf- und untergehende Sonne, sondern die Sonne als ruhiges und gleichmäßig herrschendes Licht: gleich diesem Licht selbst, das eben die Olympier umgibt und die reinen, von der Welt der Leidenschaft und des Werdens aufgelösten geistigen Substanzen. Wie in der Funktion des sonnenhaften Herrschers, angefangen bei dem symbolischen hyperboreischen König Yima, so spiegelt sich auch im Kreis der großen nordisch-arischen Gottheiten des Tages, des leuchtenden Himmels und des Lichtes eben dieses Thema wider, finden sich tatsächlich Spuren einer olympischen Ur-Geistigkeit.

Nun ist eines der ältesten Symbole dieser Geistigkeit und auch der "polaren" Funktion, in die sie sich in bezug auf ein gegebenes hierarchisches System übersetzt, außer dem Kreis mit dem Mittelpunkt, der schon von den Menhirs riesenhaft nachgezogen wurde, eben das "Kreuz des Gletschers", das Hakenkreuz. Tatsächlich ist das Hakenkreuz nicht nur ein Symbol der Bewegung, wie einige vorgeben, sondern, wie schon Guénon aufgezeigt hat, das Symbol einer Kreisbewegung, die sich um eine unveränderliche Mitte oder Achse vollzieht: und der feststehende Punkt ist das Grundelement, worauf sich das in Frage stehende Symbol bezieht. Und wenn das Hakenkreuz auch ein Sonnensymbol ist (das Rad des sonnenhaften Vishnu), so steht es doch immer in Beziehung zu dieser Idee, d.h. es handelt sich nicht um die bloße "Revolution" der Sonne, sondern um das Sonnenprinzip, zurückgeführt auf ein beherrschendes zentrales Element, auf eine unveränderliches "olympisches" Element. In diesem Sinne ist das Hakenkreuz ein "polares" Symbol, das schon in der ältesten Vorgeschichte jene Bedeutungen offenbarte, die es in den glänzenden Zyklen der arischen, von der nordischen Urkultur herkommenden Mythologien und Königsherrschaften ausdrücken sollte.

Einen Schritt weiter macht man mit der Feststellung, daß das "polare" Symbol auch auf bestimmte Kulturen oder Kulturzentren sich beziehen ließ, wenn eben diese eine ihm entsprechende Funktion in der Gesamtheit der Geschichte verkörperten. So hieß das Chinesische Reich das "Reich der Mitte"; Meru, der symbolische indo-arische Olymp wurde als der "Pol" der Erde betrachtet; die Symbolik von Omphalos, die dazu überging, sich auf den traditionellen Mittelpunkt des dorisch-olympischen Hellas, auf Delphi zu beziehen, führt uns auf dieselbe Bedeutung zurück; das eddische Asgard, aufgefaßt als die mystische Urheimat der nordischen Königsgeschlechter, fiel mit Mitgard zusammen, das eben Sitz oder Land der Mitte bedeutet. Sogar der Name Cuzco, der Mittelpunkt des Sonnenreiches der Inkas, scheint gleich Omphalos den Gedanken eines "Mittelpunkts" der Erde auszudrücken. Andererseits ist von einigen hervorgehoben worden, daß Tulâ (in Verbindung zu bringen mit der hellenischen oder auch amerikanischen Bezeichnung der Heimat der Hyperboreer) im Sanskrit "Wage" bedeutet und daß im besonderen das Tierkreiszeichen diesen Namen trägt: aber einer chinesischen Überlieferung nach ist die Himmelswaage anfänglich der Große Bär gewesen, und diese Beobachtung – abgesehen davon, daß der Bär eine bezeichnende Figur im Kult hyperboreischer Herkunft ist – ist von größter Wichtigkeit, weil die Symbolik, die sich zum Großen Bären gesellt, natürlich eng an die des "Poles" gebunden ist, welche das Hakenkreuz gleichfalls enthält.

Der heute durch Wirth wieder aufgenommene Gedanke ist nun, daß die Urheimat der weißen Rasse, der Stammutter der indo-germanischen und arischen Rassen, das arktische Gebiet, d.h. das Polargebiet gewesen sei; und zwar in einem Zeitabschnitt, der durch die Inklination der Erdachse und die Variation der Aequinoktien hervorgerufenen Vereisung vorangeht. Und hier hat ein suggestiver und höchst bedeutungsvoller Gedanke seine Wurzel: nämlich der eines Zusammentreffens von Symbol und Wirklichkeit, von Metaphysik und Physik, eben unter dem Zeichen des "Pols". Wir möchten sagen, daß uns der vorgeschichtliche "polare" Zyklus der nordischen Urrasse als der Urausdruck der "olympischen" Geistigkeit selbst und der "polaren" Funktion selbst gelten könnte, der dann überall dort zur Auswirkung gelangte, wo er durch Anpassung oder Ausstrahlung zu neuen Kulturen und neuen Traditionen geführt hat, die verschieden in der Form, aber einheitlich im Geiste waren. Das Symbol des "Mittelpunkts" und des "Pols" kann unter diesem Gesichtspunkt eine Art traditionelles und übergeschichtliches Erkennungszeichen sein, da sich ursprünglich an eine völlige Übereinstimmung von Wirklichkeit und Symbol hält, im Hinblick auf eine Heimat, die auf den geographischen Pol der Erde fällt und gleichzeitig Wert und Funktion eines geistigen Ur-"Poles" hat.

Wir setzen diesen Gedanken lediglich auseinander. Um ihn voll zu rechtfertigen, müßten wir uns hier auf ein Feld von Betrachtungen begeben, daß so ausgedehnt ist, daß wir ihm einen großen Teil eines besonderen Werkes widmen mußten. Aber wir können einen grundlegenden Punkt nicht übergehen, in bezug auf das Hakenkreuz als nordisches und "polares" Symbol.

Unserer Ansicht nach ist Wirth in den Irrtum verfallen, auf die gesamte nordische Tradition einen Kult sich erstrecken zu lassen, der sich in Wahrheit an eine schon verfälschte und "versüdlichte" Form von ihr hält. Wie man weiß, schenkt er seine besondere Aufmerksamkeit der Wintersonnenwende; und der meint, daß der immerwährende Wechsel von Tod und Auferstehung der Sonne als Jahresgott – auf dem Untergrund eines unveränderlichen, vorwiegend in weiblicher Form dargestellten Prinzips (Erde, Wasser, Mutter, Schlange, Haus usw.) – das Geheimnis des urnordischen Glaubens sei. Hier erscheint die Sonne als eine Natur, die Auf- und Untergang hat, Tod und Auferstehung, kurz: Genesis und Passion. Unsterblich und unveränderlich ist für ihn eher die Mutter, die Quelle des Lebens, in welcher der Sonnengott alljährlich stirbt und aufersteht. Nun braucht man sich nur an das zu halten, was schon Bachofen in seinen Forschungen über die mittelmeerländische Mythologie in überzeugender Weise dargelegt hat, um sich von dem recht wenig nordischen und sonnenhaften Charakter einer solcher Auffassung Rechenschaft zu geben, die sich in Wirklichkeit an den chthonischen Zyklus des südlichen, vor-arischen und später sogar semitischen Mutterrechts hält – den Zyklus der großen asiatischen Göttinnen der Fruchtbarkeit. Unlängst hat Alfred Rosenberg eben diese merkwürdige Ideenverwirrung aufzuzeigen gehabt, die bei Wirth sicherlich dem Umstand zuzuschreiben ist, daß die zu den ältesten Epochen, d.h. zum nordischen Zyklus gehörigen Zeugnisse oft mit denjenigen vermengt sich finden, die späteren und schon vermischten Zeitaltern und Kulturen eignen. Während Wirth richtig eine nordisch-arktische (hyperboreische) Rasse von einer nordisch-atlantischen unterscheidet, hat er es versäumt, eine dementsprechende Unterscheidung im Hinblick auf die Symbole und Motive zu treffen – er hält sich in dieser Beziehung sowohl an die eine wie die andere. Schon nach dem Zeugnis der Avesta erscheint Mô-uru, d.h. das Land und die Kultur der "Mutter", nur als die dritte der "Schöpfungen", also als ein von dem nordischen des airyanem waêjô schon entfernter Zyklus.

Wenn im Kreislauf des Jahres der Vorrang der Wintersonnenwende in Beziehung zur "polaren" Symbolik steht (Nord-Süd), während der der Aequinoktien an die Richtung der geographischen Länge gebunden ist (Ost-West) – so ist gleichwohl das Thema der Passion, des Todes und der Auferstehung des Sonnengottes in der Mutter, kurz, das Thema eines in die Götterwelt hineingetragenen Werdens und ewigen Wechsels im Wesentlichen ein antiolympisches, der höheren nordisch-arischen Geistigkeit unzugängliches Thema. Es ist ein den Einflüssen des Südens zuzuschreibendes Thema und bedeutet im Grunde: Dionysos gegen Apollon, Loki gegen die Asen, das wirre Verlangen der irdischen Wesen nach einer pantheistischen Ekstase gegenüber dem ruhigen Selbstbewußtsein und der natürlichen Übernatürlichkeit der "göttlichen" Rassen. Was Wirth uns sagt, läßt sich folglich als eine synkretistische Symbolik auffassen, die schon fern ist vom reinen urarischen Kult und vielleicht richtiger auf die nachfolgende "atlantische" Kultur bezogen werden kann, nachdem wir in den "atlantischen" Zeugnissen tatsächlich zahlreiche Spuren eines gynäkokratischen Themas wiederfinden.

Das "Polar"-Kreuz, das Hakenkreuz dagegen ist das Symbol der von solchen Vermischungen noch nicht verfälschten Uranschauung, es kann uns folglich als ein wahres nordisches Zeichen im höheren Sinn gelten. Und zwar deshalb, weil, wie wir schon sagten, das Grundthema dieses Symbols nicht der Wechsel ist, sondern eine Mittelpunktswirkung, der er zugeordnet bleibt. Auf solcher Grundlage erlangen auch die Sonnen- und Feuersymbole, die das Hakenkreuz gleichfalls enthält, eine ganz andere Bedeutung, welche unmittelbar in Verbindung tritt mit dem deutlich uranischen Sondercharakter der arischen und arisch-hyperboreischen Gottheiten und Kulte, mit dem Patriziersystem des strengen Vaterrechts, mit alldem, was im Geiste wie im Ethos und in den Sitten gleichbedeutend ist mit Männlichkeit, wahrer Herrschaft, Ordnung und Kosmos, der über das Chaos triumphiert.

In solchem Ideenzusammenhang könnte uns das Hakenkreuz tatsächlich zu einem Inhalt des nordischen Gedankens hinführen, zu einem Inhalt, der im höheren Sinn "klassisch" und dorisch genannt werden kann, in bezug auf dienen Stil der Zentralität, der innerlichen "olympischen" Überlegenheit, der Klarheit im Schoße jedes "Feuers" und jeder Kräfteauslösung. Nach einer uralten Überlieferung sollen die, die zur Herrschaft vorbestimmt sind, die Vision eines himmlischen Rades haben: einem Rad gleich, umwälzend und bezwingend, wirkt der also Gezeichnete. Aber gleichzeitig verkörperte das Rad rta, d.h. die Ordnung, das geistige arische Gesetz, dargestellt als ein göttlicher Wagen in Fahrt. Die Verbindung dieser beiden Begriffe gibt den Grundgedanken des sich bewegenden Hakenkreuzes selbst: wirbelndes und sieghaftes Rad, das Feuer und Licht erzeugt, doch mit einer gefestigten Ruhe, einer unwandelbaren stetigen Beständigkeit in der Mitte.

Als die nordische Urheimat in der Ferne der Zeiten entschwand, wechselte die Erinnerung daran von der Geschichte zur Übergeschichte hinüber, womit sie die Bedeutung einer weichenden Wirklichkeit annahm, erreichbar nicht mehr auf äußeren Wegen, sondern einzig durch die geistige Tat. Und so sagt schon Pindar, daß der Weg der Hyperboreer weder zu Wasser noch zu Land gefunden werden kann, sondern sich nur den Helden erschließt, die wie Herakles treu bleiben dem olympischen Prinzip; so berichtet Li-tse, daß man ins geheimnisvolle Gebiet des äußersten Nordens "weder mit dem Schiff noch mit dem Wagen vordringen kann, sondern es nur mit dem Fluge des Geistes erreicht"; so heißt es von Chandhala, der hyperboreischen Heimat der tibetischen Überlieferung, gleichermaßen: "es ist in meinem Geiste".

Vielleicht kann nichts besser als das Zeichen des Hakenkreuzes auf diesen inneren Weg hinweisen, nämlich den Weg, um vom Gipfel der nordischen Tradition aus auch heute eine Auferstehung der neuen tiefinnerlichen Kräfte Deutschlands zu bewirken. In Wahrheit steckt schon in der indo-arischen Entsprechung der Hakenkreuzes, dem Swastika, die gute Vorbedeutung. Swastika läßt sich tatsächlich als das Monogramm auslegen, das aus den Buchstaben zusammengesetzt ist, welche die Glückwunsch-Formel su-asti bilden, gleichbedeutend mit dem lateinischen "bene est" oder "quod bonum faustumque sit". "Was gut und glücklich ist, es sei!" Es hätte kein besseres Symbol gefunden werden können, um die Wiedergeburts-Gewißheit und den Geltungswillen einer der großen Erb-Rassen der hyperboreischen Urherrscher zum Ausdruck zu bringen gegenüber den dunklen Kräften der Finsternis, die im Begriff waren, sie zu überwältigen.

Deutsch von Friedrich Bauer

(Aus: Hochschule und Ausland, 1934/35, S. 37-46)


Polares Symbol, Symbol des vergangenen Jahrhunderts und Zeichen des Weltbürgerkriegs: Das Hakenkreuz ist sicher das bekannteste und wirkmächtigste politische Symbol der Weltgeschichte. Als weiterführende Literatur empfiehlt die Deutsche Rubrik:

Karlheinz Weissmann: Das Hakenkreuz. Symbol eines Jahrhunderts. Schnellroda 2006 (Edition Antaios). Eine Kritik des Standardwerkes hier.

Lorenz Jäger: Das Hakenkreuz. Zeichen im Weltbürgerkrieg. Eine Kulturgeschichte. 2006 (Karolinger).

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Meine Begegnung mit Codreanu

Unter den verschiedenen Wortführern der Bewegungen des nationalen Wiederaufbaus, die in der Zwischenkriegszeit entstanden und die ich die Gelegenheit hatte kennenzulernen, erinnere ich mich an Corneliu Codreanu, den Führer der rumänischen Eisernen Garden als eine der reinsten, gerechtesten und edelsten Gestalten. Es war im Frühjahr 1936, daß ich ihn in Bukarest traf während einer Studienreise, die ich zu jener Zeit in verschiedene europäische Länder unternommen hatte.

Schon durch seine Erscheinung beeindruckte Corneliu Codreanu. Groß und gut gewachsen, verkörperte er den Typ der arischrömischen Rasse, die auch in Rumänien vertreten ist und die sich zurückführt auf die römische Kolonisation Dakiens, aber auch auf die indoeuropäischen Stämme der dort alteingessenen örtlichen Bevölkerung. Seine Physiognomie und seine Sprache gaben die Gewißheit, daß man einem Menschen gegenüber stand, dem jede innere Gekrümmtheit, jede Unredlichkeit und Untreue und jeder Verrat fremd war. Das begründete in erster Linie seine außerordentliche Autorität. Seine Getreuen fühlten sich an ihn, an seine Persönlichkeit stärker gebunden als das sonst bei politischen Gefolgschaften üblich war.

Zu jener Zeit war die Lage in Rumänien zwischen der Regierung des Königs und der Eisernen Garde äußerst gespannt. Man spürte förmlich das Klima, aus dem eine Tragödie erwachsen mußte. In der italienischen Botschaft sagte man mir, daß es nicht ratsam sei, sich in die Nähe von Codreanu zu begeben; die rumänischen Behörden hätten sofort Fremde ausgewiesen, die mit ihm Kontakt aufgenommen hatten. Ich kümmerte mich um diese Warnung nicht. Ein Rumäne, mit dem ich in Verbindung stand, weil er sich für meine traditionalistischen Studien interessierte, übernahm die Rolle des Vermittlers.

Kurz nachdem ich den Wunsch geäußert hatte, Codreanu zu treffen, erschienen zwei Abgesandte diskret auf meinem Zimmer in dem von mir bewohnten Hotel. Sie brachten mich zu ihrem Kapitan in die sogenannte Casa Verde (das Grüne Haus). Von Legionären eigenhändig am Stadtrand von Bukarest erbaut, war dies die Zentrale der Bewegung.

Das Haus der Legion Casa Verde. 1934

Ort der Begegnung zwischen Evola und Codreanu,
der Sitz der Legion in Bukarest: Das grüne Haus
(Casa verde, 1934)

Nachdem absolviert war, was in Rumänien eine traditionelle Gepflogenheit der Gastfreundschaft zu sein scheint – man reichte mir einen kleinen Teller mit einer süßen Marmelade und ein Glas Wasser – erschien Codreanu, stellte sich vor, und eine sympathische Verständigung vom ersten Wort an fand zwischen uns statt. Er wußte von meinem Werk "Rivolta Contro il Mondo Moderno", das, zwei Jahre zuvor auch in deutscher Übersetzung unter dem Titel "Erhebung wider die moderne Welt" erschienen, eine beachtliche Resonanz in ganz Mitteleuropa gehabt hatte. Mein Interesse, dem politischen Kampf auch eine geistige und traditionelle Basis zu geben, erleichterte gerade im Fall Codreanus eine besondere Annäherung. Weil ich nicht Rumänisch konnte, wählte er zur Verständigung Französisch, wobei er sehr überlegt und genau formulierte.

Die Gedanken und der Verlauf dieses Gesprächs sind bei mir in deutlicher Erinnerung, vor allem die Charakterisierung, die Codreanu von Faschismus, vom deutschen Nationalsozialismus und von seiner eigenen Bewegung gab. Er sagte, in jedem Organismus existierten drei Prinzipien, und zwar die Form, die Lebenskraft und der Geist. Eine Bewegung der nationalen Wiedergeburt könne sich nicht entwickeln, indem sie den Akzent auf das eine oder das andere Prinzip lege. Folgt man Codreanu, so ist im Faschismus das Prinzip der Form die prägende politische Idee, das heißt der Staat hat den Vorrang. Das Erbe Roms ist hier die organisatorische Kraft. Dagegen legt man im deutschen Nationalsozialismus besonderes Gewicht auf das Prinzip der Lebenskraft. Von hier kommt der Anteil, den die Rasse hat. Der Mythos der Rasse, das Bekenntnis zum Blut und zur national-rassischen Gemeinschaft steht beim Nationalsozialismus im Mittelpunkt. Für die Eiserne Garde dagegen ist das geistige Element von zentraler Bedeutung, die religiösen und asketischen Werte, die für Codreanu in enger Beziehung stehen.

Im rumänischen Volk ist irgend etwas faul, sagte er. Eine tiefgehende Erneuerung, die vom Inneren des Einzelnen ausgeht und die sich gegen alles richtet, was sich der Gewinnsucht unterwirft, den niederen Interessen, den politischen Schiebereien und der Geschäftemacherei, ist erforderlich, um das Volk wieder gesunden zu lassen. So wollte auch die Eiserne Garde weniger eine Partei als vielmehr eine Bewegung im Dienste dieser hohen Aufgabe sein.

Man hatte kein Vertrauen zu dem Versuch, der damals verschiedentlich unternommen wurde, das Land, demokratisch verwaltet und durch die bestehende Monarchie kontrolliert, zu konsolidieren. Indem er auf die religiöse Frage zu sprechen kam, deutete Codreanu an, daß die historische Situation in einem Land wie Rumänien insofern günstig wäre, da das griechisch-orthodoxe Christentum den Gegensatz zwischen dem Universalismus der Kirche und der nationalen Idee nicht dulde. Als nationale Einrichtung könne daher die orthodoxe Kirche solidarischer Wegbegleiter und Mithelfer bei der Erneuerung des Staates und des Volkes im Sinne der nationalen Revolution sein. Deswegen auch bildeten die religiösen, mehr noch die mystischen und asketischen Werte die organisatorische Grundlage der rumänischen Eisernen Garde. Bezeichnend daher auch der Name "Legion Erzengel Michael", unter der die Legionärbewegung von Anfang an auftrat. Nicht allein dem Gebet, sondern auch dem Fasten wurde in ihr größte Bedeutung beigemessen. Unter Gebet verstand Codreanu innere seelische Sammlung und Kraftentfaltung. Von den Führern in erster Linie, aber auch von jedem einzelnen Mitglied der Eisernen Garde, wurde ein freiwilliger, sittenstrenger Lebensstil erwartet. Bei öffentlichen Vergnügungen und weltlichen Festen hatte der Legionär nichts zu suchen. Luxus und aufwendige Lebensführung waren ihm fremd.

Es gab übrigens einen besonderen Kult um die toten Helden der Legion. Der Ritus des "Presente!", bekannt auch im Faschismus, fand Eingang in Formen, in denen manche sogar ein Merkmal magischer Anrufung zu erkennen glaubten. Motza und Marin, zwei bekannte Legionärführer und persönliche Freunde Codreanus, beide gefallen im Spanischen Bürgerkrieg, wurden als Märtyrer der Legion ganz besonders verehrt.

In der langen Unterhaltung mit Codreanu sprachen wir auch über viele andere Themen. Anschließend begleitete er mich selbst im Auto zurück zu meinem Hotel. Es war dies geradezu eine öffentliche Kundgebung; – ich habe schon auf die Warnung hingewiesen, die ich in der italienischen Botschaft erhielt. Als ich fragte, ob die Eiserne Garde ein Abzeichen besäße, zeigte er mir eines und überreichte es mir. Es war eine ovale Scheibe mit einem schwarzen Gitter auf grünem Grund. Ich erkundigte mich, welche Bedeutung dieses Symbol hätte, worauf sich Codreanu auf die scherzhafte Bemerkung beschränkte: "Vielleicht sind es die Gitter des Kerkers." Leider beinhaltete dieses Wort eine traurige Vorahnung. Man kennt das Ende Codreanus. Der König, hörig den bösen Einflüsterungen seiner jüdischen Konkubine Wolff-Lupescu und der sie umgebenden pseudodemokratischen Kamarilla, zusammengesetzt aus freimaurerischen und anderen okkulten Mächten verhafteten Elementen, entschloß sich, mit der ihm gefährlichen erscheinenden Eisernen Garde, die immer größere Teile der gesunden Bevölkerung, vor allem der Jugend, an sich zog, kurzen Prozeß zu machen. Man ging zu Massenverhaftungen über und bemächtigte sich bei dieser Gelegenheit auch Codreanus. Er wurde auf dieselbe Methode beseitigt wie später Ettore Muti: man verbreitete die Lüge, er wäre während eines Fluchtversuchs erschossen worden. Aber der König bereitete durch diese Unrechtstat seinen eigenen Untergang. Es folgte das Regime des Generals Antonescu, eines militärischen Nachahmers von Codreanu. Am Ende des Zweiten Weltkrieges wurde auch Rumänien in den militärischen Zusammenbruch der Achse hineingezogen, und die dort einmarschierende Rote Armee erzwang ein kommunistisches Regime.

Aber nicht wenige Mitglieder der Eisernen Garde haben überlebt. In den roten Gefängnissen und im westlichen Exil sind sie der Idee ihres Kapitan treu geblieben. Sie stehen aktiv in den Reihen verschiedener nationaler Kampforganisationen überall in Europa, besonders in Spanien. In Frankreich waren sie unter jenen Patrioten zu finden, die die geistige Grundlage für die Militärbewegung vorbereiteten. Es ist auch ihr Verdienst, diesen einen spirituellen und traditionellen Stempel aufgedrückt zu haben. Leider wurde diese Bewegung verraten und später von De Gaulle brutal unterdrückt. Die Legionäre gingen anschließend zur OAS oder zu ähnlichen Organisationen. Das Vermächtnis von Codreanu lebt und wird zeitlos weiterleben!

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Codreanu | Eiserne Garde

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Unterredung mit dem Führer der Eisernen Garde

Bukarest im März. Schnell läßt unser Wagen das Zentrum Bukarests hinter sich, jenen seltsamen Ort des Zusammenstehens von kleinen Wolkenkratzern und modernen Häuserblocks, letztere überwiegend von „funktionaler“ Art, teils nach Pariser, teils nach amerikanischen Vorbildern erbaut. Das einzige fremdartige Element in dieser Umgebung stellen die von Polizeibeamten und Zivilisten getragenen Pelzmützen dar. Wir erreichen den Nordbahnhof, biegen von dort auf eine staubige Landstraße ab, zu deren beiden Seiten sich Häuser aneinanderreihen, die in ihrer Bauweise an Alt-Wien erinnern. Die Straße verläuft geradlinig bis zu den an den Stadtrand heranrückenden Feldern. Nach einer guten halben Stunde wendet sich unser Wagen nach links, erreicht einen Feldweg und hält vor einem fast isoliert zwischen den Äckern stehenden Haus. Es handelt sich um das sogenannte „Casa verde“, das Grüne Haus, den Sitz des Führers der rumänischen Eisernen Garde.

Wir haben es mit unseren eigenen Händen erbaut“, erklären mit erkennbarem Stolz die uns begleitenden Legionäre. Gebildete und Handarbeiter haben gemeinsam die Residenz ihres Führers errichtet, was unübersehbar einen rituellen und symbolischen Charakter besitzt. Das Haus verrät den traditionell rumänischen Stil, zu beiden Seiten verlängert es sich zu einer offenen Bogengalerie, die uns fast den Eindruck eines klösterlichen Kreuzganges vermittelt.

Wir betreten das Haus, erreichen das Obergeschoß. Ein junger Mann kommt uns entgegen, schlank und hochgewachsen, sportlich gekleidet, mit einem offenen Gesicht, das Adel, kraftvolle Entschlossenheit und Treue ausstrahlt. Es ist Corneliu Codreanu in Person, der Führer der Eisernen Garde. Er ist die Verkörperung des arisch-römischen Typs, eine Erscheinung aus der antiken römisch-italischen Welt. Während seine graublauen Augen Härte und kalten Willen ausdrücken, die Führernaturen eigen sind, spiegelt sein Antlitz in einzigartiger Weise Idealismus, Innerlichkeit, Stärke und menschliches Verständnis wider. Auch seine Art zu sprechen, ist charakteristisch: Bevor er antwortet, konzentriert er sich scharf auf das ihm Gesagte und wirkt dabei fast entrückt. Dann, auf einmal, fängt er zu sprechen an und drückt sich mit geometrischer Genauigkeit in überlegten, gut artikulierten Sätzen aus. Codreanu sagt: „Nach einer ganzen Phalanx von Journalisten jeder Nation und Hautfarbe, die mich nach nichts anderem als nach Problemen der Tagespolitik zu fragen wußten, erlebe ich es zum ersten Mal und stelle es mit Genugtuung fest, daß in Ihnen einer zu mir kommt, der sich vor allem nach der Seele und dem geistigen Kern meiner Bewegung erkundigt. Für die erwähnten Journalisten fand ich eine Formel, um sie zufriedenzustellen und wenig mehr als nichts zu sagen, ich sprach zu ihnen von einem konstruktiven Journalismus’. Der Mensch besteht aus einem Organismus, das heißt aus einer organisierten Form, aus vitalen Kräften und einer Seele. Dasselbe gilt für ein Volk. Auch in ihm sind diese drei Elemente zu finden, wobei in der nationalen Konstruktion eines Staates, obwohl er naturgemäß alle drei Elemente vereinigt, dennoch aus verschiedenartigen Gründen und wegen verschiedener Erbteile, eines dieser Elemente vorherrschen kann. Meiner Meinung nach hat für die faschistische Bewegung die nationale Konstruktion des Staates vorrangige Bedeutung, das entspricht jenem Element der organisierten Form. Hier wirken sich die gestaltenden Kräfte des antiken Roms aus. Rom ist eine Lehrmeisterin des Rechts und der politischen Organisation, und der Italiener ist ihr unmittelbarer geistiger Erbe. Im Nationalsozialismus aber wird alles in den Vordergrund gestellt, was mit den vitalen Kräften der Rasse, dem Rasseninstinkt und dem Volksrum in Verbindung steht. Die rumänische Legionärbewegung nimmt demgegenüber in erster Linie all das in sich auf, was dem geistig-religiösen Aspekt im Seelenleben des Volkes entspringt. So suchen wir das Charakteristische dieser Bewegungen zu sehen, obwohl hinzugefügt werden muß, daß sie auch die übrigen Elemente in sich nicht unberücksichtigt lassen. Das Spezifische unserer Bewegung reicht zurück in eine sehr ferne Vergangenheit. Schon Herodot [Herodotos von Halikarnassos, ca. 484-425 v.d.Z. Seine Historien sind erstrangige Quellen für die Geschichte der Poleis der griechischen Antike, insbesondere für die Kriege gegen das persische Großreich. Herodot lieferte zudem zahlreiche Völker- und Länderbeschreibungen des Altertums] nannte unsere Ahnen, die unsterblichen Daker. Unsere Vorfahren, die Geto-Thraker, hatten bereits vor dem Christentum den Glauben an die Unsterblichkeit und Unzerstörbarkeit der Seele, was ihre spirituelle Ausrichtung in allen Lebensfragen bezeugt. Die römische Kolonisation fügte diesem Element den Sinn für Organisation und äußere Gestaltung hinzu. In den nachfolgenden Jahrhunderten wurde unser Volk ins Elend gestoßen, aufgelöst und innerlich zersetzt. Aber wie man noch an einem kranken und leidenden Pferd den Adel seiner Rasse erkennen kann, so kann man auch am rumänischen Volk Wesenszüge aus einer großen Vergangenheit erblicken, Wesenszüge seiner doppelten Herkunft erkennen.

Corneliu Codreanu

Jugendbild Codreanus. Bereits 1920 Aktivist der nationalen Studentenbewegung Rumäniens gründete er 1927 die Legion Erzengel Michael. Horia Sima schrieb über Codreanu: Wenn wir ihn nach den Maßstäben unserer Zivilisation definieren wollten, müßten wir sagen, daß er die Synthese von nordischer Schönheit und dem Schönheitsideal des antiken Griechenlands darstellte. Wenn man ihn betrachtete, fühlte man sich überwältigt, bezaubert. Er war ein ‚lebendes Manifest’ wie die Legionäre zu sagen pflegten.

„Es ist dieses Erbe, das die Legionärsbewegung wiedererwecken will“, fährt Codreanu fort. „Diese Wiedererweckung aber ist eine geistige; der neue rumänische Mensch muß vom Geist seiner Herkunft geprägt sein. Wenn dies unserer Bewegung gelingt, erwartet uns die nächste Aufgabe, die in der Wiederbelebung der römischen Gestaltungskraft besteht, und die unsere künftige Politik bestimmen muß. So sind für uns Geist und Religion unseres Volkes der Ausgangspunkt und ein konstruktiver Nationalismus' das Ziel und die Konsequenz all unseres Bemühens. Indem wir hier eine Verknüpfung dieser zwei Elemente vornehmen, erwächst für die Eiserne Garde eine sowohl asketische als auch heroische Ethik.“ Wir stellen Codreanu die Frage, in welchem Verhältnis der Geist seiner Bewegung zur christlich-orthodoxen Religion steht. Seine Antwort lautet: „Die religiöse Tradition unseres Volkes versuchen wir aus dem Geiste unseres Nationalbewußtseins zu beleben und zu erneuern, da die Religion durch einen schläfrigen Klerus weithin mumifizierte und somit in einem äußeren Traditionalismus erstarrte. Wir befinden uns insofern in einer günstigen Lage, als in unserer Religion, die sich immer schon national artikulierte, kein Gegensatz zwischen Glaube und Politik besteht. Somit können wir ihr ethische und geistige Elemente entlehnen, ohne daß sie selbst ihre eigene Mission aus dem Auge verliert und zum politischen Faktor wird. Wesentlich für die Bewegung der Eisernen Garde ist ein Hauptgedanke unserer Religion, nämlich der von der ökumenischen Lebenseinheit unseres Volkes. Damit gelingt uns die positive Überwindung des Internationalismus und des sowohl abstrakten als auch rationalistischen Universalismus. Die Idee der Lebenseinheit entspricht der societas, der natürlichen Einheit des der Vorzug, weil dann die Voraussetzung für jede wahre Kraft und jeden echten Heroismus gegeben ist. Das Fasten wird von uns deswegen geübt, weil es die von uns erwünschte Rangordnung begünstigt. Es lockert die uns durch den Körper auferlegten Fesseln, führt uns zur Selbstbefreiung und zur Selbstbehauptung des reinen Willens. Und im Gebet ringen wir um die Kräfte von oben und hoffen, daß sie sich mit den unsrigen vereinigen und daß uns durch sie unsichtbar beigestanden wird. Was den zweiten Aspekt anbetrifft: Es ist purer Aberglaube zu denken, daß in jedem Kampf lediglich die materiellen und menschlichen Kräfte ausschlaggebend seien. Indessen treten auch die unsichtbaren, geistigen Kräfte auf den Plan, die mindestens ebenso wirksam sind. Wir sind uns der positiven Bedeutung dieser Kräfte voll bewußt. Deshalb verleihen wir der Legionärsbewegung einen besonderen asketischen Charakter. Auch für die mittelalterlichen Ritterorden war ja das Gebot der Keuschheit verbindlich. Dennoch halte ich fest, daß das bei uns nur für das Elitekorps gilt. Das Gebot der Keuschheit hat allerdings auch einen praktischen Grund, denn wer sich vollkommen dem Kampf hingibt, soll den Tod nicht fürchten und in der Familie kein Hindernis finden. Übrigens bleibt man im Elitekorps nur bis zum vollendeten 30. Lebensjahr. Aber auf jeden Fall besteht bei den Menschen immer wieder dieser Gegensatz: Die einen wollen ,leben' und verlangen dementsprechend nach Wohlstand, Reichtum, das heißt nach materiellem Überfluß; auf der anderen Seite stehen jene, die nach mehr streben als nur nach einem durch Güter befriedigten Dasein; sie scheuen den inneren und äußeren Kampf nicht und ringen um einen ehrenvollen Sieg. Die Legionäre der Eisernen Garde gehören zu dieser letzterwähnten Schar. Ihre kämpferische Askese wird ergänzt durch eine letzte Forderung: Sie besteht im Armutsgelübde, zu dem sie die Fahnen der Bewegung verpflichten. Sie verzichten auf jede Art von Luxus, auf leere Vergnügungen und sämtliche Formen des modernen Zeitvertreibs. So ist letztlich jeder Legionär vor die strenge Forderung gestellt, sein Leben grundsätzlich zu verändern.“

(Veröffentlichung in: Il Regime Fascista, 22. März 1938)

Legionäre der Eisernen Garde | Appell

Legionäre sind zum Appell angetreten. Auf den rumänischen Trikoloren stehen Losungen der Eisernen Garde. Aus einem Kreis von wenigen verloren wirkenden Seelen, die sich um das Bild des Erzengels in einem Kerker zusammengeschart hatten, formte Codreanu eine Massenorganisation, in der ein besonderer Geist und ungeheurer Siegeswillen herrschte.

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Das Drama des rumänischen Legionarismus

Codreanu in Bauerntracht

Mit der Tötung – oder, um genauer zu sein – mit der Massakrierung Corneliu Zelea Codreanus und der anderen Führer der Eisernen Garde, die mit ihm eingekerkert waren, ist es zur letzten Phase der Tragödie des rumänischen Nationalismus gekommen, und es wird eine edle und großmütige Gestalt der antijüdischen und „faschistischen“ Front Europas beseitigt. Somit befindet sich selbst die innenpolitische Lage Rumäniens in einer so trüben und bedrohlichen Phase wie in wenigen Perioden ihrer Geschichte.

Es ist unmöglich, sich in der jüngst vergangenen Periode der politischen Entwicklung Rumäniens zu orientieren ohne daß man ihr Leitmotiv, nämlich den Antagonismus zwischen der Landesregierung und der Bewegung der Eisernen Garde, übersieht; alles andere dabei ist nichts als Komparserie, die eine untergeordnete Rolle spielt: Dieser Antagonismus stellt sich jedoch, nach dem Gesetz der Logik und des allgemeinen gesunden Menschenverstandes, als absolut unbegreiflich heraus und er offenbart entweder eine direkte oder indirekte Aktion von supranationalen Kräften. Ist Rumänien vielleicht heute, nach der Kapitulation von Prag [Die Einwilligung der Regierung der Tschechoslowakei dem Münchner Abkommen zuzustimmen], nicht das einzige zentral- und osteuropäische Land von besonderer Bedeutung, sei es aus wirtschaftlichen als auch aus strategischen Gesichtspunkten, das den Mächten der sogenannten „westlichen Demokratien“, ebenso wie jener von Israel und von dessen getarnten Mitläufern, genügend Spielraum läßt? Man darf nicht vergessen, daß sich die Schlußphase, die endgültige Phase des obenerwähnten Konfliktes, mit zwei internationalen Ereignissen in bedeutungsvollem Einklang befindet, dem Anschluß und dem Münchener Abkommen1: sie entstand als eine Art Resonanz-Kontrapunkt.

Schon seit 1920, kaum zwanzigjährig, hatte Corneliu Codreanu in großen Umrissen die Richtlinien eines konstruktiven rumänischen Nationalismus vorgezeichnet. Er hatte die drohende jüdische Gefahr und die Versklavung Rumäniens seitens der Juden und der Politisierer, die weder Glauben noch Vaterland haben, angezeigt. Und seit jener Zeit wurde der Kampf rastlos fortgeführt; und während die Getreuen Codreanus Verfolgungen, Gewalt und allerlei verleumderische Angriffe erleiden mußten, stieg überraschenderweise die Zahl seiner Anhänger und Sympathisanten. Es genügt zu erwähnen, daß, um Codreanu 1925 in einem Prozeß zu verteidigen, in dem er beschuldigt wurde, mit eigener Hand den Henker seiner Kameraden getötet zu haben, und freigesprochen wurde, der Gerichtspräsident neunzehntausenddreihundert Meldungen von Verteidigern aus dem ganzen Land erhielt.

Während die Bewegung der Eisernen Garde anwuchs, trat das demokratisch-parlamentarische System, das Parteiensystem, dem Codreanu heftig entgegengetreten war, in immer schwerere Krisen und entlarvte immer offenkundiger seine Unzulänglichkeit und seine Korruption. Die rechtsgerichtete Weltpresse jubelte, als Goga2 Anfang 1938 von König Carol [1893-1953. Carol, verantwortlich für die Ermordung Codreanus, mußte im September 1940 abdanken und überließ die Regierung General Ion Antonescu] zur Machtübernahme gerufen wurde. Man glaubte darin den Anfang einer neuen Epoche für Rumänien zu sehen, ein neues Regime vorzubereiten, das jenes Land von den finsteren inneren und äußeren Kräften befreit hätte, und das sich infolgedessen auf internationaler Ebene in die Front der antidemokratischen, antijüdischen und antimarxistischen Mächte eingeordnet hatte.

Man ignorierte jedoch beim Anstellen solcher Mutmaßungen und beim Hegen solcher Hoffnungen die niederträchtige Intrige hinter den Kulissen des Königspalastes. Übrigens blieben zu jenem Zeitpunkt einige konstruktive Möglichkeiten, welche die darauffolgenden Umwälzungen ausschließen mußten, noch unentschieden.

Man hat jedoch die Tatsache außer acht gelassen, daß infolge einer Art taktischer Konversion der größte Teil der Kräfte, die sich zuerst an die Front der Verschwörung stellten, jetzt hingegen zu jener der staatlichen Ordnung übergelaufen waren, um ihr Spiel leichter fortsetzen zu können; und daß in diesen neuen „Hütern des Rumänentums“ und der Staatsautorität, die entschiedene, wütende Abneigung gegen die Bewegung Codreanus bezeichnend war, dort, wo streng nach dem Gesetz der Logik, ihre Aufrichtigkeit vorausgesetzt, sie in der mächtigen Bewegung Codreanus den wertvollsten Verbündeten hätten sehen müssen.

Was die Judenfrage betrifft – ihr wurde sorgfältig ausgewichen. Diesbezüglich lassen wir Codreanu selbst sprechen, indem wir die von ihm in dem Buch Eiserne Garde, geschriebenen Worte wiedergeben: „In den Jahren 1919, 1920 und 1921 fiel die gesamte jüdische Presse über den rumänischen Staat her, zettelte überall Unruhen an und rief zu Gewalttätigkeiten auf gegen die Regierung, Verfassung, Kirche, öffentliche Ordnung und gegen jede völkische Haltung und Vaterlandsliebe. Und nun? O Wunder über Wunder! Nun hat sich diese Presse, die bis heute von denselben Juden geleitet wird, plötzlich in die Verteidigerin aller staatlichen Ordnung und der Gesetze verwandelt! Sie ist erklärte Gegnerin jeder Gewalttat. Wir aber sind ‚Feinde des Landes’, ‚Rechtsradikale’, wir stehen im ‚Dienste und Solde der Feinde Rumäniens’. In unser Gesicht, in unsere rumänische Seele fällt Faustschlag auf Faustschlag, Erniedrigung über Erniedrigung wird uns zuteil, bis hinab zu der ungeheuerlichen Behauptung: Die Juden sind die Verteidiger Rumäniens! Sie sind geschützt vor allem Ungemach und leben in Frieden und Überfluß. Wir dagegen seien ‚Feinde des Rumänentums’. Leben und Freiheit seien bedroht. Wir werden verfolgt von allen rumänischen Behörden als wären wir tolle Hunde![Codreanu,Eiserne Garde,Colectia Omul Nou,5. Aufl. München 1972, S. 116-117; Anmerkung der VS-Redaktion: Dieser Hinweis bezieht sich auf die zweite deutsche Übersetzung des Hauptwerkes von Codreanu]

Der eigentliche Zweck des Kabinetts Goga war jener eines Überlistungsversuches gegen die Eiserne Garde. Nachdem man das wahre Ausmaß des Vormarsches der nationalistischen Bewegung genau erkannte, wurde dieser Versuch unternommen, um die Gefahr auszuschalten, der Nation eine Art von Ersatz-Nationalismus anzubieten etwas, was den Idealismus und die Ziele des Legionarismus der Eisernen Garde formal imitierte, aber im wesentlichen, und durch kontrollierte Steuerung immer zur „anderen Welt“ gehören sollte. So hatte man Goga gewählt, weil er Antisemit war, aber gleichzeitig Gegner Codreanus. Man wählte den Patriarchen Christea, um zu demonstrieren, daß die religiösen Kräfte, die einen wesentlichen Teil in der Propaganda und im Nationalismus Codreanus bildeten, maximal auf der anderen Seite vertreten waren. In General Antonescu3 bekanntlich Nationalist und autoritär, ebenfalls in die Regierung als Kriegsminister gerufen, glaubte man noch einen Verbündeten und einen „Ersatz“ zu haben. Aber das Spiel hatte sich gleich als gefährlich erwiesen; anstatt zu den erhofften Ergebnissen zu gelangen, erreichte man die genau entgegengesetzten.

In der Tat, das Kabinett Goga wurde nicht für zufriedenstellend gehalten, sondern als einleitende Maßnahme interpretiert, die notwendigerweise zur Entwicklung anderer Phasen führen und schließlich den Sieg des wahren Nationalismus, den man weiterhin in der Bewegung Codreanus anerkannte, zustande bringen mußte. Man hatte zugegebenermaßen einen Sprengkörper präpariert, der fähig war, in den eigenen Händen zu explodieren, und man griff ein. Das Kabinett Gogas wurde, ohne die geringste plausible Rechtfertigung, von heute auf morgen aufgelöst. Die versprochenen Wahlen, in denen, schnell hinweggehend über seinen Ersatz, der völkische Gedanke Codreanus mit Sicherheit gesiegt hätte, wurden widerrufen. Stattdessen wurde die Auflösung der Parteien verordnet, man faßte eine neue Verfassung ab und pro forma wurde für sie eine Volksabstimmung einberufen.

Corneliu Zelea Codreanu | 1938

Corneliu Zelea Codreanu (Aufnahme aus dem Jahr 1938), Gründer und Führer der aus der Legion Erzengel Michael hervorgegangenen Eisernen Garde bei einem Aufmarsch seiner Bewegung. Er trägt die traditionelle rumänische Bauerntracht. Sie wurde neben dem Grünhemd mit schwerem Koppel zum kennzeichnenden Kleidungsstück der Legionärsbewegung. Beide weisen auf ihre Anfangszeit, in der diese vor allem unter Studenten und Bauern ihre ersten Anhänger fand, hin.

Wir sagen pro forma, denn Codreanu sah deutlich, wo der Wechsel der Spielregeln hinführte und hatte sich gleich zurückgezogen. Bevor seine Partei (Alles für das Vaterland) durch ein Dekret aufgelöst worden wäre, hatte er vorgezogen, es selbst freiwillig zu tun und befahl seinen Anhängern, sich bei der Volksabstimmung der Stimme zu enthalten. Er wollte nicht in einen Kampf eintreten, deren Streitbedingungen vom Volksfeind festgesetzt wurden; vor allem wollte er sich nicht zwingen lassen, ein „ja“ oder „nein“ auszusprechen gegenüber einer vollendeten Tatsache, welche die Verfassung war. Außerdem stellte sich diese als unmittelbares Werk der Monarchie heraus und hatte zu ihren wesentlichen Grundzügen eine außergewöhnliche Zentralisierung der Macht in der monarchischen Institution. Nun, Codreanu war selbst ein Monarchist, und obwohl hier seine Gegner keine Anklage gegen ihn unterlassen haben, ist niemand jedoch soweit gegangen, ihm jemals den Vorwurf zu machen, daß er selbst die Absicht hätte, eine neue Dynastie zu schaffen.

Sogleich in den folgenden Monaten nach der Promulgation der neuen Verfassung schien im Grunde genommen, noch nicht jede Hoffnung verloren zu sein. Man war nämlich der Meinung, daß es möglich wäre, eine Kollaborationsformel zwischen der von Codreanu geführten national-totalitären Bewegung und dem neuen, in der Monarchie zentralisierten, autoritären Antiparteiensystem finden zu können.

Es sollte stattdessen genau das Gegenteil geschehen, was eindeutig beweist, daß auf die eine oder andere Weise nicht Ehrlichkeit und Liebe für die Idee und die Einheit der rumänischen Nation, sondern Kräfte ganz anderer Art, mehr oder weniger bewußte Werkzeuge, im Spiel waren. Die Spannung steigerte sich, und von dem Augenblick an, in dem der tote Punkt nicht überwunden werden konnte, intensivierte einerseits die Legionärbewegung ihre propagandistische Aktivität, andererseits fingen die Elemente, die, indem sie bei der Regierung blieben, das Beste erhofften, an, sich der Seite Codreanus zuzuwenden: unter anderen selbst der General Antonescu, der am Ende abgesetzt und verhaftet werden sollte.

So kam es dann zu einer Kriegserklärung. Die Regierung hatte sofort nach dem Anschluß, fürchtend, daß dessen Rückwirkung ohne weiteres in aufrührerische Unruhen einmünden würde, die Initiative zum Angriff getroffen. Das ist der Grund, weshalb Codreanu gerade in jener Periode verhaftet wurde. Man erinnerte sich plötzlich, daß er einen Minister beleidigt habe; so wurde er denn des Hochverrats angeklagt. Die angeführten Beweise waren dennoch so unzureichend, daß der Antrag auf Todesstrafe oder lebenslängliches Zuchthaus abgelehnt wurde, und man verurteilte Codreanu zu zehn Jahren Gefängnis. Auch darin hatte man sich verrechnet: es wurde nichts anderes erreicht, als die Gemüter noch mehr zu erregen. Deshalb begann nun eine terroristische Periode, sei es als Repressalie oder als direkte Aktion gegen diejenigen, die man für hauptverantwortlich für das Unheil der rumänischen Nation hielt. Das von Codreanu erschaffene „Todesbataillon“, [Echipa mortii, vgl. Corneliu Codreanu – Mann und Mythos, Vorwort zur Weltnetzausgabe von Eiserne Garde] Vorwort zur Einführung indessen Angehörige die Zölibatklausel haben, um jederzeit zum Tode bereit zu sein, und das die Namen Mota-Marin, der beiden als Legionäre in Spanien gefallenen Führer der Eisernen Garde trägt, ist auf Befehl eines mysteriösen „Nationalen Gerichtes“ in Aktion getreten. Diese Gärung spitzte sich in besonderer Weise nach der Kapitulation von Prag zu. Dadurch wurde aber auch die Reaktion heftiger und erbarmungsloser, bis zu der Phase, die die Ermordung Codreanus und seiner Hauptadjutanten und Antonescus Verhaftung kennzeichnet.

Und damit ist das Irreparable geschehen, und es kann kein Vergleich oder keine Beilegung jemals möglich sein: In Anbetracht dieser ungeheuren Mordtat einer formal legitimen Staatsmacht darf festgestellt werden, daß über dieses Geschehnis hinaus, von Ideenwert und Sinn her betrachtet, solange diese Generation lebt, Haß und Rachedurst ungestillt bleiben werden. Was auch morgen mit Rumänien geschehen wird, bleibt ganz und gar problematisch. Gleich welches die Lösung sein wird, sicher ist, daß eine edle und großmütige Führergestalt als Opfer dunkler Kräfte gefallen ist. Ein Mann, von dessen Loyalität und Ehrlichkeit sich alle, die ihm nahe kamen, hätten überzeugen können. Er, der beim letzten Abschied zu uns sagte: „Nach Rom, nach Berlin, überall wohin Sie hingehen, allen jenen, die sich für unsere gemeinsamen Ideen schlagen, bringen Sie meine Grüße, und sagen Sie ihnen, daß die Eiserne Garde in dem unerbittlichen Kampf gegen die Demokratie, den Kommunismus und gegen das Judentum bedingungslos auf ihrer Seite ist.

(Veröffentlichung in: Corriere Padano, Ferrara, 06.12.1938)

Literaturhinweis:

Stefan Logigan: Rumäniens Eiserne Garde. Ein Legionär erinnert sich. München 1996 (Universitas).

[1] Am 30. September 1938 einigten sich die Mächte Großbritannien, Frankreich, Italien und das Deutsche Reich auf der Konferenz von München die Sudetenkrise durch die Zustimmung zum Anschluß des mehrheitlich von Deutschen bewohnten Sudetenlandes an das Reich zu beenden. Die Siegermächte des Ersten Weltkriegs (Großbritannien und Frankreich) und Italien als Garantiemacht der Nachkriegsvereinbarungen zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich stimmten damit einer substantiellen Teilrevision des Versailler Vertrages zu, der 1919 das Selbstbestimmungsrecht der Sudetendeutschen ignoriert und der Tschechoslowakei deutsche Gebiete zugeschlagen hatte. Für den Versailler Vertrag galt de facto, daß das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ immer nur dann angewendet wurde, wenn es zu Nachteilen und zu territorialen Einbußen des Deutschen Reiches führte. Diesem ungeschriebenen Grundsatz folgend wurde der von Parteien und Politikern jeder Richtung geforderte Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich durch die Siegermächte ausdrücklich verboten. Der Einmarsch deutscher Truppen und die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich am 13. März 1938 und das folgende Münchner Abkommen konnten somit als eine zu rechtfertigende Revision des Versailler Vertrages verstanden werden.

[2] Octavian Goga, 1881-1938, war ein rumänischer Dichter, Politiker und führender Kopf der bürgerlich- nationalistischen und antijüdischen Strömung, jedoch ein Gegner Codreanus und der Eisernen Garde. Kurz vor der Ermordung Codreanus war er Ministerpräsident in einer von König Carol II. berufenen Regierung, deren Hauptaufgabe die Eindämmung der immer stärker werdenden Eisernen Garde war. Goga sollte dabei die nationalistischen Kräfte bündeln und von Codreanus Legionärsbewegung ablenken. Seine Regierung war die letzte vor der so genannten „Königsdiktatur“, die durch eine „Sonderregierung“, besetzt durch Handlanger des Königs, ab Februar 1938 ausgeübt wurde und die gewaltsame Zerschlagung der Eisernen Garde und die Ermordung Codreanus betrieb. Goga, der erst spät merkte, daß er vom König und seiner Clique benutzt worden war, traf sich am 9. Februar 1938 zu einer Aussprache mit Codreanu und schlug ein Kartell zwischen der Eisernen Garde und seinen Anhängern vor, Codreanu schlug diese Option jedoch aus. Vgl. Stefan Logigan: Rumäniens Eiserne Garde, S. 74, 228 und 232.

[3] 1882-1946; Obwohl Antonescu in der Regierung Goga als Verteidigungsminister mitgewirkt und damit Carol II. die Treue der Armee garantiert hatte, war er der Eisernen Garde gegenüber neutral eingestellt. Er ging kurz nach der Übernahme der Regierung mit der Garde, die nun von Horia Sima geführt wurde, ein Bündnis ein, das in der weiteren Annäherung an das Deutsche Reich übereinstimmte. Obwohl es später zu einem blutigen Machtkampf zwischen Antonescu und Sima kam, griff Antonescu die von der Garde vertretenen Ideen auf und war als Machthaber im Grunde ein Nutznießer ihrer langen Aufbauarbeit. Antonescu trug bei der feierlichen Beisetzung der sterblichen Überreste Codreanus und bei der Vereidigung der Eisernen Garde auf seine Regierung (vgl. Video) demonstrativ das Grünhemd der Legion.

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Überwindung des "Übermenschen"

Es überrascht, mit welcher Leichtigkeit oft Ideen, denen jede wirkliche Konsistenz fehlt, Suggestionskraft gewinnen – so sehr, daß sie sich eine Art passioneller Alibis schaffen: diejenigen, die sie für wahr halten, erleben sie in einer Weise, daß sie schließlich glauben, sie durch ihre eigene Erfahrung bestätigt zu finden. Das gilt zum Beispiel für die Evolution und den Darwinismus. Die Theorie des Menschen vom Tier und der Selektion der Arten durch Behauptung des Stärkeren gegenüber den verschiedenen Bedingungen der Umwelt, durch Anpassung und erbmäßige Übertragung der Charaktermerkmale – diesen materialistischen und antiaristokratischen Mythos der Wissenschaft von gestern erkennt bereits jeder als eine mehr als wacklige Hypothese, die ihre Zeit gehabt hat und die sich von Tag zu Tag mehr ihrer vermeintlichen "positiven" Grundlagen beraubt sieht. Und doch bedeutete diese Theorie bis gestern für eine ganze Generation eine Offenbarung: nicht als innerhalb des rein wissenschaftlichen Gebietes zu betrachtende und zu prüfende Hypothese neben vielen andern, sondern als neue und nicht zu bezweifelnde Weltanschauung, als erleuchtende Entdeckung, als neue, ein für alle Mal vom Menschengeschlecht gewonnene Erkenntnis. Und da finden wir eine Kunst, wie die Jack Londons, als typisches Beispiel für die erwähnten passionellen Alibis. Jack London läßt uns tatsächlich oft die Theorie der Evolution und der natürlichen Zuchtwahl zum Erlebnis werden. Grundlage seiner Allgemeinauffassung des Lebens in einer ganzen Reihe von Gestalten, Ereignissen, Beschreibungen und Episoden, erscheint sie uns als wahr, als evident. Die Suggestionskraft der Kunst stellt eine Welt als wahr vor uns hin, in der das biologische Erbe, der Selbsterhaltungstrieb und der Kampf ums Dasein tatsächlich die Leitmotive sind, in der der höchste Typus des Menschen mehr oder weniger dem Typus der wundervollen Bestie gleicht, des Tieres, das im Vollbesitz aller seiner Kräfte und Lebenstriebe über alles gesiegt, sich gegen alles durchgesetzt hat: gleichsam als die Summe einer Reihe von Erbschaften, die über die dunklen Wege des Bluts, von den Urzeiten der Wilden, der Wälder oder Eiswüsten, wenn nicht sogar vom tierhaften Vormenschentum bis zu ihm hin gelangt sind.

Nicht allzu verschieden davon ist die Atmosphäre, in der im allgemeinen der Mythos vom "Übermenschen" Form und Leben gewann. Die Beziehung geht zum Teil auf Nietzsche zurück. Wir sagen zum Teil, weil sich Nietzsches Philosophie aus weit verschiedeneren und heterogeneren Bestandteilen zusammensetzt, als man gemeinhin annimmt. Immerhin ist nicht zu leugnen, daß der evolutionistische Aberglaube mit seinen biologischen Anhängseln sich ausgiebig auf einem Gedankengebiet Nietzsches betätigen konnte, das zwar nicht belanglos, aber natürlich das hinfälligste ist. Man darf sagen, daß, was bis gestern von Nietzsche verstanden wurde, vorwiegend auf dieses Gebiet zurückgeht, eben als auf jenes, das in unmittelbarem Zusammenhang mit den in der Zeit verbreiteten Ideen steht.

Nietzsches Theorie vom "Übermenschen" ist ein Anhängsel des Naturalismus – und als solches ist sie etwas, was nunmehr der Vergangenheit angehört, und was, an sich genommen, das Streben der Besten der neuen Generation irreleiten könnte – insofern in ihr alles in der "Religion des Lebens" oder, besser gesagt, in dem "Aberglauben ans Leben" anfängt und endet. So möchten wir eine Auffassung nennen, in deren Mittelpunkt jene reine Vitalität in ihrer lediglich biologischen Bedeutung steht, die die Naturwissenschaft rein äußerlich, nach derselben Methode, welche sie auf die Materie anwendet, betrachtet, und die wiederum die "Voluntaristen", die "Intuitionisten" und die "Aktivisten" als unmittelbare Empfindung, als ein unmittelbar vom Bewußtsein Gegebenes deuten. Jedenfalls aber ist ein solches nur das des tierischen, instinkthaften, vorpersönlichen Lebens, es ist die Wurzel und der tiefere Wille dessen, was in uns nur Körper und Natur ist. Nun scheinen die in Rede stehenden Auffassungen im Menschen nichts anderes sehen zu wollen, oder wenn sie etwas anderes anerkennen, so anerkennen sie es immer als untergeordnete, als abgeleitete Wirklichkeit dem "Leben" gegenüber. Das "Ich" ist für sie kein übernatürliches Prinzip, nicht Ausdruck einer anderen Wirklichkeit, sondern mehr oder weniger das Empfinden der Lebenskraft, das gemehrt oder gemindert, gestärkt oder geschwächt werden kann.

Lediglich von hier aus empfängt bis zu einem gewissen Grad der bekannte Nietzsche-Begriff der "Umwertung aller Werte" und ebenso die daraus folgende Macht-Theorie Dasein und Bedeutung. Eine Anzahl ethischer, sozialer und religiöser Auffassungen hätten sich demnach seit Jahrhunderten gegen das "Leben" verschworen, hätten eine unheilvolle Selektion im verkehrten Sinne begünstigt, insofern in ihnen alles das als Geist und Wert ausgegeben wurde, was den Instinkt abtötet und entmannt, was das Gefühl der Lebenskraft trübt oder herabmindert. Es sind die Werte der "Dekadenz" und des "Ressentiments", die die Sklaven, die Schwachen, die Enterbten, die Schlechtweggekommenen verkündeten und mit denen sie allmählich die Basis abtrugen, auf der in gesunden und starken Zeiten der Übermensch und das Recht des Übermenschen als des Herrschers fußten und triumphierten. Nietzsche ruft zum Aufstand gegen diese "Werte der Dekadenz", er enthüllt ihr Gift und stellt als Prinzip einer neuen Wertung das Kriterium auf, daß nur das als wahr, moralisch, legitim, geistig und schön zu gelten habe, was den Lebenstrieb bejaht, den Lebenstrieb rechtfertigt, den Lebenstrieb steigert, dessen höchster Ausdruck für ihn der "Wille zur Macht" ist; und daß alles, was vom Leben entfernt, das Leben begrenzt, das Leben verurteilt, falsch, unmoralisch, häßlich und gesetzeswidrig ist. Nietzsche verkündet eine neue Religion des Willens zur Macht als Auftakt zur Heraufkunft einer neuen Epoche des Übermenschen. Man muß zugeben, daß Nietzsche den "Willen zur Macht" als den Willen nicht nur zur äußeren, sondern auch zur inneren Beherrschung versteht. Der Übermensch ist nicht nur der Menschenbeherrscher, sondern auch der, welcher Instinkten, die bis zu einer elementaren, bedrohlichen Vehemenz entwickelt werden, die Fähigkeit entsprechen läßt, sie absolut zu beherrschen, aber nicht im Sinne, sie zu unterdrücken, sondern sie wie wilde Tiere an der Kette zu halten und, sobald er will, hervorbrechen zu lassen. Freilich endet im einen wie im andern Fall, oder im Herrscher über sich selbst wie im Herrscher über die andern – im hier betrachteten Teil von Nietzsches Philosophie – alles nur in einem Gefühl, einer Sensation. Der Wille zur Macht, der durch das Gute und das Böse, durch die härtesten Prüfungen und bis zu den unsinnigsten Konsequenzen, mit absoluter Unerbitterlichkeit gegenüber sich selbst und den andern entwickelt wird, hat immer nur den Wert eines gesteigerten und auf die Spitze getriebenen "Lebens"-Gefühls und eines "Ichs", das das Bewußtsein und die Bestätigung seiner selbst aus nichts sonst als diesem wilden Gefühle gewinnt. Die Flut schwillt an, aber sie kann in nichts münden, findet keine Verklärung. Der Auftrieb ist im Grunde umsonst; die Askese ist dunkel, fast "dämonisch", sie genießt sich selbst, ist ohne höhere Bedeutung. Ein Kommentator Nietzsches, Georg Simmel, hat von Umständen gesprochen, in denen sich die Lebensintensität in ihrem äußersten Grade – das "Mehr-Leben" – verwandelt und gleichsam in eine andere "Qualität", in ein "Mehr-als-Leben" umschlägt. Aber in der Welt dieses nietzscheschen Übermenschen fehlen die Voraussetzungen dafür, daß ein solcher Vorgang Wirklichkeit werde: es fehlt eine Idee, ein Bezugspunkt, der sozusagen zum Transformator im Stromkreis wird und dieses als "Licht", als "Über-Leben", d.h. als Offenbarung und Bejahung eines Übernatürlichen in Erscheinung treten läßt. Apollon, das olympische Prinzip, die olympische Überlegenheit, von Nietzsche als Symbol des Unwirklichen und Äußerlichen gedeutet, bleibt für ihn immer der Feind und die Gefahr für Dionysos, d.h. für das Leben, den unbezähmbaren Impetus des Lebens, das sich an sich selbst wendet, sich selbst bejaht und gar nicht anders sein will, als es ist, insofern ihm jedes Jenseits als Illusion und flucht von Impotenten und Kranken gilt. Der Kreis bleibt geschlossen. Und wir halten für gewiß, daß die – wenn auch unbewußte und spekulative – Heraufbeschwörung eines Lebens von höchster Höhe, dessen Intensität nur ein übernatürlicher Bezugspunkt angemessen sein konnte, und der Nichtbesitz eines solchen Bezugspunkts, so daß jene in sich selbst zurückgejagte Intensität gleichsam einen Kurzschluß bewirkte – wir halten dafür, daß eben dies die Situation war, die Nietzsche tatsächlich zu einem tragischen Ende, zum Wahnsinn geführt hat.

Wenn der "Mensch etwas ist, was überwunden werden muß", wenn der "Mensch die Brücke ist, die vom Tier zum Übermenschen führt", so ist diese Überwindung, dieser Übergang illusorisch, wenn man nicht von der Prämisse des Vorhandenseins zweier entgegengesetzten Naturen, zweier entgegengesetzten Welten ausgeht und statt dessen fortfährt, nichts als das "Leben" in seinen verschiedenen Formen und Stärkegraden, die einzige Eigenschaft "Leben" zu betrachten. Und heute scheint der "Rassismus" in gewissen seiner Irrwendungen, die gewiß weder der höheren Idealität der deutschen Tradition noch jener der nationalsozialistischen Revolution entsprechen, gerade die schlechteste Erbschaft Nietzsches wieder aufzunehmen, wenn er darauf ausgeht, jeden Wert auf die biologische Basis zurückzuführen und in Leben, Blut und Rasse das Maß und die Vorbedingungen für jede geistige Form zu erblicken: er läuft so auf eine verfälschende Beschränkung hinaus, die ohne weiters den Weg zu einer wahren Überwindung und einer wahren Übermenschlichkeit versperrt. Für uns dagegen gilt, was in allen großen Traditionen galt: daß das "Leben" nicht Geist ist, und der Geist nicht "Leben", daß aber der Geist dem "Leben" die Form gibt; und daß, was im "Leben" tatsächlich höheren und bezwingenden Ausdruck gewinnt, dies nicht vom "Leben" herkommt, sondern vom Geiste, der durch das Leben oder vermittels des Lebens sich offenbart, d.h. von etwas Übernatürlichen. Hat man in diesem Sinne das wahre Zentrum erkannt, so ist die erste Vorbedingung zu jeder wahren Überwindung, daß man das Eigenbewußtsein, das "Ich"-Gefühl stufenweise vom Pole "Leben" zum Pole "Geist" hin führt. Nun aber wirken heute die voluntaristischen, aktivistischen, irrationalistischen Tendenzen genau im entgegengesetzten Sinn: indem sie in jeder Weise das rein physische und "vitale" Ich-Gefühl verstärken, verstärken sie gleichzeitig das Gefängnis des Ichs, führen sie zu einer Erstarrung, einem Auftrumpfen, einer verrohten und entgeistigten Auffassung des Willens und der Individualität, der Gesundheit und der Macht, was ebenso vielen Hemmnissen für die innere Emanzipation gleichkommt. Hier bleiben die Stromkreise geschlossen. Es fehlt der Bezugspunkt für das "Sichverwandeln" des "Intensiv-Lebens", des "Mehr-Lebens" in ein "Mehr-als-Leben". Der Übermensch reicht nicht über die "schöne bezwingende Bestie" oder den "Dämon" Dostojewskijs, diese Reduktion Nietzsches ins Absurde, hinaus. Hat die – innerlich – heraufbeschworene Intensität nicht die Möglichkeit, in etwas zu münden, so kann sie nur in einer übertriebenen, zerreißenden Spannung stattgeben, jener stummen Tragödie, die das "Titanische" immer mit sich bringt.

Olympisch ist dagegen der wahre Typus des Übermenschen: eine ruhige Größe, die eine unwiderstehliche Überlegenheit zum Ausdruck bringt, etwas, was erschreckt und gleichzeitig zur Bewunderung hinreißt, indem es jäh die Empfindung einer vollkommen beherrschten, aber entladungsbereiten transzendenten Kraft auslöst, das wundervolle und bedrohliche Gefühl, das das Altertum stets mit dem Begriff des "numen" verband. "Über-Leben" – d.h. Geist, restlos verwirklichtes Ich in seiner übernatürlichen Erscheinungsform – welches alles durchdringt und absolut beherrscht, was bloß "Leben" ist – dies ist das Wesen jenes Typus. Doch dieser Typus, der wahre Übermensch, läßt sich nicht auf eine Konstruktion des heutigen Denkens zurückführen. Qualitätsmerkmal einer Über-Rasse, Substanz dessen, was in der nordisch-dorischen Rasse das klassische Ideal der Form im heroisch-sakralen-hellenischen Kulturkreis war, erhielt sich immer in der Folge als Symbol in den herrschenden Aristokratien. Es gibt keine große Tradition des indogermanischen Altertums, die ihn nicht gekannt hätte. Die Tradition des "göttlichen Rechts" der legitimen Könige, weil männlichen Träger einer Kraft von oben, ist der letzte Widerhall hiervon. Versteht man das plötzliche Wiederauftauchen dieses alten Begriffs in einer Welt, in der bereits alle großen Horizonte fehlten, in der es zu seiner Verkörperung außer einem verworrenen Verlangen nach Kraft und Freiheit nur die profanen und undurchsichtigen Mythen des Evolutionismus und der natürlichen Zuchtwahl gab, so versteht man auch die unsichtbare Geburt der Nietzsche-Theorie vom Übermenschen, ihre Grenzen und den Weg, der über sie hinausführen kann.

(Veröffentlichung in: Deutsches Volkstum, 1936, S. 185-189)

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Überwindung des "Aktivismus"

Das der "Aktivismus" im "modernen" Zeitalter etwas geworden ist wie ein Losungswort, kann kaum bestritten werden. In Theorie und Praxis wird die Aktion, d. h. alles, was Spannung ist, Schwung, Werden, Verwandlung, ewige Suche, unerschöpfliche Bewegung, gepriesen und verteidigt. Die der rationalistischen Gedankenwelt der Vorkriegszeit so vertraute Ebene der "Prinzipien" geht unaufhaltsam ihrer Dämmerung entgegen – und dieser Untergang wird noch mit Freude begrüßt. Tatsächlich erleben wir heute nicht nur den Triumph der Aktion, sondern auch eine Philosophie sui generis im Dienste der Aktion, die mit Hilfe einer systematischen Kritik und eines starken spekulativen Apparats sich Alibis jeder Art zu schaffen bestrebt ist und mit vollen Händen über die von abweichenden traditionsverwurzelten Gesichtspunkten aus vertretenen Werte ihre Geringschätzung ausgießt.

Das Interesse am "Erkennen" wird immer mehr zugunsten des Interesses am "Tun" zurückgedrängt, oder wenigstens zugunsten der Elemente, die aus der Sphäre des Erkennens in die der Tathandlung und praktischen Verwirklichungen übersetzbar sind. Mit einer reinen Erkenntnis, deren arteigener Gegenstand – wie im traditionellen Begriff – eine überhistorische Wirklichkeit, eine Überwelt hyperkosmia – jenseits von Zeit und Raum sein soll, wissen die meisten heute kaum mehr etwas anzufangen. Bei Betrachtung der Dingwelt hat sich das moderne Auge immer mehr daran gewöhnt, ihren "Seins"-Aspekt zu vernachlässigen, um desto mehr auf ihrem Aspekt als "Werden", "Entwicklung", "Geschichte" zu verweisen.

So schließen sich "Historismus" und "Dynamismus" mit dem "Aktivismus" auch auf der Ebene höherer Kulturformen zur Einheit zusammen. Auf dem Gebiete der exakten Wissenschaft werden Prinzipien, die bis gestern als an sich evident und unveränderbar gültig galten, heute als hypothetische Annahmen angesprochen, die einer Kontrolle im Sinne des Werdensprozesses der wissenschaftlichen Erkenntnisweise unterworfen werden müssen. In der Auffassung vieler büßt sogar im religiösen Bereich die Unwandelbarkeit der Dogmen sichtlich jene Gültigkeit ein, die ihnen als Widerschein der Absolutheit und Transzendenz zukommt, wie sie in einer Wahrheit "nichtmenschlichen" Charakters wesenhaft eigen sein soll: eine durchaus profan eingestellte Exegese ist bemüht, im Bunde mit der sogenannten vergleichenden Religionswissenschaft und, angeleitet von neuen Anforderungen, in den Dogmen selbst nichts weiter zu erblicken als Momente des Werdeprozesses, einer "immanenten" Geschichte des religiösen Bedürfnisses: wobei keinen Augenblick gezögert wird, die krassesten Vermenschlichungen vorzunehmen.

Auf dem Gebiet der Philosophie ist die Lage noch eindeutiger. Pragmatismus, Voluntarismus sind Strömungen, die – sei es auch in verschiedenartiger Ausprägung – alle in einem einzigen Motto zusammenfließen, das in die Formen der spekulativen Rechtfertigung nichts anderes übersetzt als das Grundmotiv des unmittelbaren Daseins von heute, seinen Tumult, sein Geschwindigkeitsfieber, seine jeden Zeit- und Raumintervall verkürzende Mechanisierung, seinen krampfartigen, atemlosen Rhythmus, wie er besonders in Amerika bis zur äußersten Grenze vorstößt. Hier überschlägt sich das aktivistische Thema zu einem fast dämonischen Paroxysmus, absorbiert es die Lebenstotalität in einer steten, hemmungslosen Beschleunigung, während sich der Horizont immer mehr zu durch und durch zeitgebunden-vergänglichen Verwirklichungen verdüstert. Hier wird die Dämonie des Kollektiven allmächtig in ihrer Herrschaft über Wesen, die jedes traditionsverwurzelten Halts beraubt und verkrampft sind zu einer Unruhe, die über alle Grenze hinaus will, während vielfach unterpersönliche und antlitzlose Mächte sie dem "Tierideal" einer ahrimanischen Welt zudrängen.

Überaus charakteristisch ist der Umstand, daß die moderne Kultur sich nicht darauf beschränkt, die aktivistische Orientierung des Lebens abzuspiegeln, sondern sie noch weiter aufpeitscht, übersteigert, sie nicht nur als tatsächliche Gegebenheit, sondern vielmehr als etwas ansieht, was sein soll, weil es gut ist, so zu sein. Die Verherrlichung der Aktivität – in ihren Erscheinungsweisen als Irrationalität und Ursprünglichkeit – wird häufig verwechselt mit der Verherrlichung des Lebens selber, ja sogar mit der Geistigkeit des Weltgeschehens. Herabgerissen aus der Sphäre der Identität, des Ewigen und Unbedingten, wird der Geist selbst als "Werden", als "Geschichte", als "élan vital" verstanden und stellt sich unter dieser Gestalt als Gegenstand einer neuen abergläubischen Religion und Mystik vor. Die Dinge sind heute auf einem Punkt angelegt, wo für diejenigen, die noch nicht ganz jene antiken Überlieferungen vergessen haben, auf denen unser wahrer Geistesadel beruhte, sich ein Einhalt und eine genaue Rechenschaftsablegung über die Lage unter Beziehung eines überlegenen Gesichtspunktes gebieterisch aufdrängt. Gewiß ist dieses Unternehmen nicht leicht, da heute sogar der den verschiedenen Wertgebilden entsprechende Wortsinn den meisten fast verloren gegangen ist. Es darf die Wahrheit ausgesprochen werden, daß eine gesunde Kultur nicht möglich ist, wo neben dem Prinzip der Aktion nicht das der Kontemplation besteht. Aus diesem Grunde steht die moderne historizistische und aktivistische Kultur, weit davon entfernt, eine höhere privilegierte Kulturform darzustellen, vielmehr wie eine Anomalie vor uns, wie ein scheußliches Wundergebilde in seiner hypertrophischen Einseitigkeit. Im Gegensatz zu so vielen Mißdeutungen dieses Begriffes, im Rahmen jeder traditionsgebundenen Auffassung bedeutete "Kontemplation" keineswegs Passivität, Ausflucht, Verzicht, Verdrängung der Energie, sondern jenen strengen Weg, auf dem Askese und innere Erhöhung vom "Leben" zum "Mehr-als-Leben", von der sinnengebundenen Gegebenheit zu einer "metaphysischen" Erfahrung hinführt: aus der überindividuelle Prinzipien und Erkenntnisse abgeleitet werden können, die als Grundlage geeignet sind für Verwirklichungen und Umordnungen auch in der Ebene der todverhafteten Natur und der Tathandlung selbst, die nur so einen Bedeutungsgehalt und ein höheres Recht erwerben. Unsere "moderne" Welt erkennt nur mehr die zeitverhaftete Wirklichkeit an. Jede transzendente Schau gilt ihr als "überwunden". Der Historismus, jene rückführende Betrachtung aller Dinge unter ihren bloß zeitlichen, daher untergeordneten Aspekt, gibt als Gewinn aus, was im Grunde nichts weiter darstellt als eine dumpfe Verarmung höherer Möglichkeiten, wie sie von jeder traditionsgebundenen Kultur anerkennt und hierarchisch behauptet worden sind. Auf solche Weise gelangt eine so beschaffene Welt dahin, schließlich nicht einmal den Sinn und tieferen Wert der Tathandlung zu erfassen. Wirklich ist eine Kritik und Auflehnung gegen die kurz umrissene Orientierung der zeitgenössischen Welt nicht im Namen eines Stillstandes um jeden Preis oder intellektualistisch-rationalistischer Abstraktion, sondern nur im Namen der Aktion selbst durchführbar: durch den Nachweis, daß die "moderne" Welt im Grunde von dem, was wirklich Aktion ist, fast soviel wie nichts mehr weiß. Was sie behauptet und anpreist, ist nur eine untergeordnete und inferiore Form der Aktion. Eben darin liegt die Verwirrung Gefahr. Es gibt Handlung und Handlung. Ein gesunder Aktivismus ist zu unterscheiden von einem Aktivismus, der nur Fieber, Exaltation, mittelpunktsloser Taumel ist, der weit davon entfernt, von Kraft zu zeugen – wie die vulgäre Auffassung will – vielmehr nur auf Unfähigkeit und Unvermögen hindeutet. Heute handelt es sich fast durchgehend um diese zweite abwegige Art von Aktivismus. Es ergibt sich daher als Notwendigkeit die Rückkehr zu einer höher gelagerten Auffassung, die das Gleichgewicht wieder herstellen und einen Prozeß hemmen soll, dessen zerstörende Konsequenzen schon nur zu deutlich sichtbar sind.

Man hat fast den Sinn dafür verloren, was in den klassischen Überlieferungen die Gegenüberstellung zwischen naturhafter und intelligibler Welt geistig bedeutete. Die Bewegung was für solche Lehre das substanzielle Prinzip der Naturdinge, doch nur als "ewige Flucht der Dinge, die sind und gleichsam nicht sind" (Plotin), als Unvermögen der Vollendung, des Selbstbesitzes in einer Grenze und in einem Gesetz, der Selbstverwirklichung als vollkommenen Akt. Die "intelligible" Welt – kosmos noetos – war nicht die Welt der Nicht-Aktion, sondern vielmehr der vollendeten Aktion, jener die sich der Art der "Natur" entgegensetzte, insofern sie frei vom Wunsche, von "Entbehrung", sich selbst genügend war: als absolute Aktion hat sie in sich selbst ihren Gegenstand und ihren Herrn. Ein übernatürliches, aristokratisches Ideal der Handlung war so die Seele einer derartigen antimodernen Schau, ohne sich jedoch in ihr zu erschöpfen. Wer manche traditionsgebundene des arischen Ostens auf sich wirken läßt, wird zum Staunen genötigt gegenüber der Behauptung, daß alles, was Bewegung ist, Aktivität, Werden, Veränderung – dem passiven und weiblichen Prinzip zugehört (symbolisiert im "weiblichen" Aspekt der Gottheit: Çakti), während dem positiven, männlichen, solaren Prinzip (symbolisiert in der männlichen Gottheit Çiva oder Purusha) Unbeweglichkeit, Unveränderlichkeit, Identität zukommt. Ebenso wäre für die meisten auch die richtige Bedeutung des Satzes: "Der Weise erkennt in der Tat die Nicht-Tat an und in der Nicht-Tat die (wahre) Tat" nicht evident. Dieser Satz meint keineswegs jenen Quietismus und jenes Nirwanatum, womit mangelhaft gebildete Leute den ganzen Orient charakterisieren zu können glauben. Es kommt darin vielmehr das Bewußtsein eines höheren, aristokratischen Tätigkeitsideals zum Ausdruck, demgegenüber die gewöhnliche Tat fast auf den Rang eines NichtHandelns verwiesen wird. Der Gedanke an sich ist ziemlich ähnlich dem, was Aristoteles metaphysisch und theologisch mit seiner Lehre vom unbeweglichen Beweger meinte: was Ursache und tatsächlicher Herr der Bewegung ist, bewegt sich nicht selbst. Er erregt und leitet die Bewegung, weckt die Tat, aber handelt nicht selbst. Er erregt und leitet die Bewegung, weckt die Tat, aber handelt nicht selbst, wird nicht "mitgerissen" in die Tathandlung, ist nicht Aktion, sondern eine unbewegliche, durch und durch ruhige, beherrschende Überlegenheit, von der die Aktion ausgeht und abhängt. Daher ist seine mächtige und unsichtbare Herrschaft mit einem aus dem fernsten Osten genommenen Ausdruck ein "Handeln ohne Handeln" – wei-wu-wei. Angesichts dieses Ideals einer beherrschten Handlung ist derjenige, der aus Schwung, Leidenschaft, Einfühlung, Wünschen und unruhigen Bedürfnissen heraus handelt, kein wirklich Handelnder, sondern schon ein Behandelter. So paradox dieser Ausdruck klingen mag, sein Handeln ist ein passives Handeln. Gegenüber der transzendenten, höhergeordneten, königlich kalten, rein bestimmenden, "unbeweglichen" Art der "Herren der Bewegung" ist sein Handeln eben dem Weiblichen zu vergleichen: er bewegt sich, schafft, läuft, aber der Grund, die absolute Ursache seiner Handlung liegt außerhalb seiner selbst, ebenso wie bei der Frau die ihre Konzeption bedingende, erzeugende Initiative außerhalb ihrer gelegen ist.

Wenn man im Lichte der angedeuteten Unterscheidung zwischen dem Ideal der Aktion und der Nicht-Aktion – sie ist festzustellen in den verschiedensten okzidentalen und orientalen Ausdrucksformen an den tiefsten Sinn der aktivistischen, dynamistischen, bergsonianischen usw. Lehren herantritt, wie sie heute im Schwange sind, so wird man im Prinzip immer wieder eben jene passive und untergeordnete Aktionsform vorfinden. Was heute gepriesen wird, ist im allgemeinen nichts anderes als der blinde, instinktive Elan, der zum Gehen antreibt, ohne daß man weiß, warum man geht, ohne daß man die Macht hat, anders zu sein als man ist, sich zu beherrschen, in sich selbst einen Mittelpunkt zu schaffen, eine Grenze, einen absoluten Grund: Handeln um des Handelns willen, aus bloßer Spontaneität heraus, aus unmittelbarer und nie zu erlösender Notwendigkeit, das als das tiefste Gesetz des Lebens, ja sogar des Geistes vorausgesetzt wird. Vielfach läuft sogar das Ganze bloß auf den mehr oder weniger bewußten Willen hinaus, sich zu betäuben und zu zerstreuen, auf eine Unruhe oder einen lärm, der die Angst verrät vor der großen Stille, vor der innerlichen Abgeschiedenheit, vor dem absoluten Sein der höheren Individualität, während andererseits dadurch die Erhebung des Menschen gegen das Ewige unterstützt wird.

Irgendwer hat richtig die von der modernen Zivilisation gepriesene Art der Bewegung mit der an einem Rad verglichen, die bei größerer Entfernung vom Mittelpunkt um so beschleunigter und schwindelerregender wird. Dies entspricht tatsächlich der Wahrheit. Plotin hatte uns schon den Begriff jenes Werdens umrissen, das nichts anderes bedeutet, als "die ewige Flucht der nicht-seienden Wesen". Diese Erkenntnis sollte uns als sichere Grundlage für eine geistige Reaktion und Restauration dienen.

Dem Tumult des modernen Lebens, der entfesselten Vielfältigkeit der Kräfte, die es sowohl im Rahmen der Gesellschaftsordnung wie sogar im Bereiche der immer stärker technisch beherrschten Natur hervorgerufen hat, sollten Kräfte der Zentralität entgegenwirken: der Askese, der Befehls-Gewalt, der absoluten Herrschaft, absoluten Individualität, absoluten Schau – Kräfte, die heute schwerer denn je in unserer Umwelt festzustellen sind. Eitle Hoffnung, daß diesem Mangel Abhilfe geschaffen werden kann, solange das Ideal der Aktion in seiner Übermacht vorherrscht und die Aktion immer wieder auf einen einzigen Typ materieller und "passiver" Tathandlung festgelegt wird, die einem äußeren Antrieb gehorcht und nach außen hin gerichtet ist; solange keine andere gilt als diese und man die innere Tat, die geheime tat, die keine Maschinen mehr schafft, keine Banken und Gesellschaften, sondern Menschen, Asketen, freie Wesen, Herrscher über ihre eigenen Seelen, entbunden jedes Durstes, nicht für Tat hält, sondern für Entsagung, Abstraktion, Zeitverlust. Solange das Wertkriterium so verstanden wird, solange man einerseits damit fortfährt, jene Aktion zu verherrlichen, die nichts weiter ist als passionsgebundene Handlung, ungeregelter "Lebensschwung", Irrationalität eines unaufhaltsamen Werdens, Freude an der Spannung und dem Streben, demgegenüber das Erreichen, die exakte und ruhige Erfüllung und Lösung als schlimmstes Unglück gilt, als Tod des Lebens keinen anderen Sinn haben "romantische" Lehren wie die von Herder und Schlegel oder die "faustische" Lebensauffassung eines Oswald Spengler); solange man andererseits auch weiterhin jedes Interesse erstickt, das nicht auf materielle Ziele, auf "soziale" und quantitative statt qualitative Verwirklichungen ausgerichtet ist – solange die genannten hemmenden Bedingungen wirksam bleiben, ist nichts besseres zu erwarten als einen atemlosen Taumel, der immer weiter abtreibt von jedem Mittelpunkt, von jedem Bedeutungsgehalt, von jeder Kontrolle außer jener, die durch die wechselseitige Abhängigkeit als Teile eines ungeheuerlichen Räderwerks, in dem der einzelne nichts mehr vermag, bedingt ist.

Eben diesem Ziel sehen wir, wie bereits angedeutet, die amerikanische Zivilisation zustreben; nicht sehr verschieden davon ist das Sowjetideal, das der geschichtsbeherrschenden Persönlichkeit jede Rolle abspricht, um desto mehr die automatische Entwicklung des mechanisierten, allmächtigen "Kollektivmenschen" als Aufgabe anzupreisen. Damit wird die technisch-aktivistische Ausrichtung der "modernen" Welt ad absurdum geführt, sobald sie die traditionsgebundenen Ideale begraben hat. Wenn es auch unmöglich an den Leistungen dieser Zivilisation vorüberzugehen, so ist doch ihr wirklich barbarischer, fast ahrimanisch zu nennender Aspekt ebenso unverkennbar. Die durch solche Taten geschaffenen stolzen Tempel stehen leer von Göttern; niemals werden die Götter zu ihnen herabsteigen, wenn man sich nicht zu einer Reaktion entschließt, zu einer Neuausrichtung von Menschen einer neuen Generation zu einer anderen Lebensanschauung. Wenn die "moderne" Welt in ihrem passiven Aktivismus, in ihrem fieberhaften Lauf von Verdurstenden oder Verfolgten im Grunde nichts anderes verwirklicht als die letzten Konsequenzen der Romantik (die ihrerseits nach vieler Hinsicht die letzte Erscheinungsform des semitischen Messianismus darstellt), so kann ein neues Gleichgewicht, das die Aktion nicht auslöscht, sondern integriert, zentralisiert, zu sonnenhafter Tätigkeit erhebt, nur im Sinne einer Wiederherstellung der klassischen Erfahrung (im weiteren Sinne dieses Wortes) erzielt werden. Es gilt, uns wieder auf die "olympische" Komponente zu besinnen, wie sie allen großen Traditionen der leuchtenden arischen Geistigkeit eigen war. Für den romantischen Menschen ist das "Unendliche" der Wert, die "Grenze" das Übel. Der klassische Mensch erblickte dagegen im Unendlichen – apeiron – das Übel, insofern er in ihm das Unbestimmte sah, das Chaos ist und noch nicht Kosmos: sei es in sich selbst, im unbeherrschten Tumult der Leidenschaften und Sinneseindrücke – sei es außerhalb seiner, im unbestimmten Werden der Dinge und Wesen, die eingebettet in den Zeitstrom "sind und nicht sind". Die Grenze – péras – wurde dagegen als absolute Vollendung verstanden, als Herrschaft des Ethos über das Pathos, als Zeichen einer Macht, die fähig ist, über sich selbst hinaus zu transzendieren, sich zu bezwingen, sich Form und absolutes Gesetz zu geben, um so in asketischer oder heroischer Klarheit sich einer der "Überwelt" eigenen Seinsweise anzunähern. Grenze ist für den klassischen Menschen Vollendung, Ziel, Werk, höchster Typ der Geistigkeit, wie sie uns z.B. aus der ruhevollen und mächtigen Linearität des dorischen Stils anspricht, in den Verbildlichungen solarer und astraler Art der arischen Mythen symbolhaft zutage tritt. Vorstehende Ausführungen konnten diesen weitverzweigten Gegenstand nur berühren. Immerhin glauben wir den positiven Beziehungspunkt gegen die Gefahren des modernen Aktivismus aufgezeigt zu haben. Was uns heute not tut, ist das Ideal eines neuen Klassizismus der Aktion und der Herrschaft, durchseelt von einem neuen Durchbruch des Übernatürlichen, diszipliniert von den Werten männlicher Askese und aristokratischer Überlegenheit über das einfache "Leben". So werden langsam neue Mittelpunkte heranreifen, neue Qualitäten und Persönlichkeiten – neu nur, weil sie "traditionell" im tiefsten und lebensvollsten Sinne dieses Wortes sind – vor denen, aus einem fast schicksalhaften Naturgesetz heraus, die mittelpunktslosen Mächte in einer besseren Zukunft sich gehorsam beugen werden, jene Mächte ohne Antlitz und ohne Leuchtkraft, die in diesen Endzeiten auf uns losgelassen worden sind.

(Veröffentlichung in: Deutsches Volkstum, 1933, S. 929-934)

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Über die metaphysische Begründung des Rassegedankens

Hat man die zahlreichen Einwendungen widerlegt, die von einem intellektualisierenden Standpunkt aus gegen den Rassegedanken erhoben werden, so pflegt zumeist eine übrigzubleiben, die ebenso hartnäckig vorgebracht wird, wie ihre Klärung entscheidend für dieses Problem ist. Es kann nämlich gefragt werden: Gut, alles, was Sie behaupten, ist richtig – welche Schuld trägt aber letzten Endes ein Mensch daran, daß er in eine bestimmte Rasse statt in eine andere hineingeboren wurde? Ist vielleicht er dafür verantwortlich, daß seine Eltern und Ahnen Arier, Juden, Neger oder Rothäute sind? Hat er das etwa gewollt? Mit Ihren, Rassegedanken verharren Sie auf einem bloß naturalistischen Standpunkt. Sie machen aus einer lediglich natürlichen Gegebenheit ein Schicksal, bauen darauf ein System und übersehen darüber jene Werte, bei denen die menschliche Verantwortung wirklich ins Spiel kommen kann. Dies ist gewissermaßen die ultima ratio der Gegner des Rassegedankens. Wir geben gerne zu, daß es sich hier nicht um einen erklügelten, sondern um einen ernsten Einwurf handelt. Ihn ins Auge fassen, heißt das Problem der Geburt aufwerfen. Von einem höheren, geistigen Standpunkt aus betrachtet ist die Rechtfertigung des Rassegedankens vom Problem der Geburt und seiner Lösung nicht zu trennen. Es kann in unserer Systematik nicht umgangen werden.

Klarheit und Orientierung in dieser Frage zu gewinnen, ist jedoch sehr schwer, solange wir von den nach der Heraufkunft des Christentums im Abendlande vorherrschenden Anschauungen ausgehen. Es ist dies auch nur folgerichtig: Rasse und Überrasse, Ariertum und Ahnenerbe usw. sind Begriffe, die ihrem Wesen nach der Gedankenwelt vorchristlicher indogermanischer Traditionen zugehören. In ihrem Bereich muß daher die Lösung der Fragen gesucht werden, die die heutige Wiederaufnahme jener Begriffe mit sich bringt. Jede auf späteren Welt- und Lebensauffassungen fußende Betrachtung kann uns nur mangelhafte und oft unangemessene Gesichtspunkte liefern.

Kein Wunder also, daß im Rahmen des christlichen Weltbildes die Erörterung etwa des Problems der Geburt nicht weiterkommt. Aus Gründen, die nicht willkürlich sind, hier indes nicht dargelegt werden können, mußte die Kirche den von den vorhergegangenen Überlieferungen anerkannten Präexistenzgedanken ablehnen: die Lehre nämlich, daß die menschliche Seele schon vor der Geburt als selbständiges Wesen bestehe. In der christlichen Theologie liegen die Dinge gewiß nicht so einfach, wie diese glatte Ablehnung es vermuten lassen könnte. Nichtsdestoweniger ist es eine grundlegende christliche Auffassung, daß jede Menschenseele als eine einmalige Seele von Gott aus dem Nichts in dem Augenblick erschaffen sei, als sie in den ihr entsprechenden Leib hineingeboren wird. Die Frage, warum ein Mensch dieser und nicht einer anderen Rasse zugehört, wird so zu einem theologischen Geheimnis: "Gott hat es so gewollt" – und man ist in der Regel der Meinung, der göttliche Wille sei unergründlich. Die evangelisch betonte Prädestinationalehre kompliziert nur das Problem: von aller Ewigkeit her – also übergeschichtlich – ist jeder Mensch im Geiste Gottes vorbestimmt, zu sein, wie er im irdischen Dasein erscheinen wird. Die altarische Auffassung ist eine grundsätzlich andere, und nur sie ermöglicht es, der angedeuteten Einwendung zu begegnen. Nach dieser Auffassung ist die Geburt weder ein naturbedingter Zufall noch ein gottgewolltes Fatum. Aber nicht nur das: die Treue gegenüber der eigenen Natur bedeutet hier keine Passivität mehr, sondern das Bewußtsein eines tiefen Zusammenhanges unserer selbst mit einem Transzendentalen und Überirdischen, so daß sie "erlösend" zu wirken vermag. Diese Andeutung darf uns aber nicht dazu führen, die in Frage stehende Lehre mit dem Reinkarnationsgedanken zu verwechseln. Der Gedanke der Reinkarnation ist entweder eine artfremde, mit unarischen, wesentlich mutterrechtlich-tellurisch bestimmten Kulturkreisen aufs engste verbundene Auffassung, oder er ist die Folge von Mißverständnissen und Entstellungen traditionsgebundener Lehren, wie sie in gewissen neuzeitlichen theosophischen Kreisen zu beobachten sind. Für das hier zu erörternde Problem kommt nur die ansehe Lehre in Betracht, der gemäß der Mensch die raum- und zeitbedingte Erscheinung eines Prinzips ist, das vor seiner Geburt und natürlich auch vor der Empfängnis da war und das mit dieser menschlichen Erscheinung in Kausalbeziehung steht. Das damit sich erschließende Gebiet ist gewiß nicht leicht zu erforschen. Die für unser irdisches Dasein geprägten Ausdrücke finden in ihm nur eine sehr geringe Anwendbarkeit. Da zum Beispiel alle Zeitbegriffe sich nur auf das menschliche Dasein beziehen, so sollte man streng genommen nicht einmal von einem Vorherbestehen reden, und auch von Kausalität bzw. Ursächlichkeit dürfte hier nur in einem ganz besonderen Sinne gesprochen werden. Jenes Prinzip, das die menschliche Erscheinung bestimmt, ist dasselbe "Ich", und ist doch nicht dasselbe; es ist nicht das einfache, körperbedingte Ich, obwohl es mit ihm gleichsam vermischt oder verwoben erscheint, und es besteht vor dem Leben eines bestimmten Menschen wie auch während und jenseits dieses Lebens, weil das "vor" hier nicht zeitlich aufzufassen ist. Statt mit logischen Begriffen wird man sich daher besser mit Analogien behelfen. Dem Wesen nach ist jede Darstellung traditionsgebundener Lehren symbolisch, auch wenn sie für den Laien einen rationalen Charakter zu tragen scheint. Zur Klärung der uns beschäftigenden Idee ist zweckmäßig von einer doppelten Erbmasse zu sprechen. Was zeitlich nicht transzendental dem einzelnen vorübergeht, ist das Erbe der Eltern, der Sippe, der Rasse, einer gewissen Kultur usw., also ungefähr das, was gewöhnlich unter "Erbmasse" verstanden wird. Dies alles aber ist weit davon entfernt, wie Materialismus und Historizismus lehren, die geistige Wirklichkeit des einzelnen zu erschöpfen. Die geschichtlich-biologische Erbschaft sammelt und ordnet in einem Lebewesen Kräfte und Veranlagungen, die nur dann auserwählt und übernommen werden, wenn durch sie gleichsam eine transzendentale Erbschaft zum analogen Ausdruck kommen kann. Zwei Erbmassen treffen und fließen dann zusammen, irdisch, geschichtlich, naturwissenschaftlich feststellbar die eine, transzendental die andere, und der Mensch wird auf diese Weise aus einem biologischen Gebilde zu einem Symbol. Die Verbindung der beiden Komponenten erfolgt durch ein Ereignis, das in den altarischen Überlieferungen verschiedenen Sinnbildern entspricht und das hier nicht Gegenstand näherer Betrachtungen sein kann. Im Grunde handelt es sich dabei um eine Art von Wahlverwandtschaft. Danach darf zum Beispiel nicht gesagt werden, daß man Frau oder Mann ist, weil man so – zufällig oder aus Gottes Willen geboren wurde, sondern umgekehrt, daß man so geboren wurde, weil man schon "Frau" oder "Mann" war. Nach Art einer Analogie wird man in diesem Zusammenhang von einer transzendentalen Neigung oder Tathandlung sprechen können, die wir mangels angemessener Begriffe nur auf Grund ihrer sichtbaren und wahrnehmbaren Folgen zu erahnen vermögen. Es schneiden sich gewissermaßen eine horizontale und eine senkrechte Linie der irdischen und nichtirdischen Erbmasse. In ihrem Schnittpunkt erfolgt, nach der in Frage stehenden Lehre, die Geburt bzw. die Empfängnis eines neuen Wesens, seine Verleiblichung. Was für die Geschlechter gilt, gilt selbstverständlich auch für Rasse, Kaste, Volkstum und ähnliches. Rasse und Kaste existieren also im Geist, bevor sie durch die menschliche Geburt verleiblicht und zum irdischen Schicksal werden. Die Verschiedenartigkeit hat "oben" ihren Ursprung – was sich an ihr auf Erden erkennen läßt, ist nur Widerspiegelung und Symbol. Wie man auf Grund ureigener Natur wurde oder nach eigenem transzendentalem Entschluß sein wollte, so ist man. Dies ist im Kerne die indo-arische Lehre des Karma, die auch der klassischen Antike bekannt war; so heißt es zum Beispiel bei Plotin (III, III, 17): "Der allgemeine Plan ist einer; aber er teilt sich in ungleiche Teile auf, so daß in dem Ganzen unterschiedliche Plätze sind; und die Seelen, ungleich auch sie, nehmen Wohnung an den unterschiedlichen Orten, die sich mit ihrem eigenen Unterschied begegnen. Damit stimmt alles überein, und der Unterschied entspricht der Ungleichheit der Seelen." Mit einem Wort ausgedrückt, bestimmt also nicht die Geburt die Natur, sondern umgekehrt die Natur die Geburt. Aus dieser Lehre zog im arischen Morgenlande der Kastengedanke, als die höchste Steigerung des Rassegedankens, seine logische und metaphysische Rechtfertigung. Auf ihr beruht der Begriff des sogenannten Dharma, der etwa folgendermaßen gekennzeichnet werden mag: Uns selbst gegenüber stehen wir gleichsam vor einer mathematischen Gleichung, von der uns nur ein Glied gegeben ist; insofern nämlich, als uns nur die menschlich bestimmte Erscheinung und ihre geschichtlich-biologische Erbmasse bekannt ist; welche vorgeburtliche Entsprechung ihr eignet, von welcher Wesenheit und welchem Willen sie Folge und Ausdruck ist, können wir nicht unmittelbar erfahren, sondern nur mittelbar, induktiv und analogisch ahnen, indem wir die "Folge" ergründen und uns von ihr zur Ursache zurücktasten. Daraus erhellt der letzte Sinn des apollinischen Gebotes "Erkenne dich selbst", welches das: "Sei du selbst" zum Gegenstück hat. Aus dem dunklen, aber sicheren Gefühl, daß die Geburt kein Zufall ist, daß wir hier so sind, wie wir sein wollten, leitet sich der Grundsatz her, treu gegenüber der eigenen Natur zu sein, der eigenen Natur gemäß zu handeln, sie zu entwickeln und zu vollenden. Im besonderen gebietet natürlich das Dharma auch die Treue gegenüber dem eigenen Blut, der eigenen Kaste, der eigenen Rasse des Körpers und des Geistes und die Bekämpfung jeder Mischung, Entstellung und Verwirrung. In diesem Sinne heißt es: "Durch die Erfüllung der eigenen Natur – des Dharma – wie immer sie auch beschaffen sein mag, erlangt man das Göttliche; wer statt dessen die eigene Natur mit der eines anderen vertauscht, der verurteilt sich zur Hölle." Gewiß, vieles kann "konstruiert" werden, der eigenen Willkür bleibt stets ein gewisser Spielraum, sofern man sich auf das abstrakte menschliche Individuum beschränkt, das jede Erinnerung an das "Vorher" verloren hat und dazu bestimmt ist, bei Auflösung seiner Grundlage, das heißt der psychisch-organischen, leibbedingten Einheit nur einen Schatten zu hinterlassen. Jede "Konstruktion" ist aber vom höheren Standpunkt aus – im Bewußtsein also dessen, was der zerfallende Organismus ins Nichts ("Hölle", Niflheim, Hades, pitryana, das heißt Weg der Auflösung in den "Dämon" des Stammes) mitnehmen kann, wertlos, wenn sie ein "Anders-sein-Wollen" bedeutet, wenn sie nicht den tieferen Willen fortsetzt, der die Ursache einer bestimmten Geburt ist und der nicht so einfach durch einen momentanen und willkürlichen, an einem bestimmten Punkte des irdischen Daseins gefaßten Entschluß verdrängt werden kann. Verwirklicht dagegen der einzelne seine eigene Natur, so bringt er seinen menschlichen, in sich vergänglichen Willen mit dem entsprechenden übermenschlichen Willen in Einklang, er "erinnert" sich, stellt eine Verbindung mit einem Prinzip wieder her, welches, indem es jenseits der Geburt steht, auch über den Tod und alle zeitliche Bedingtheit hinausweist; deshalb wird nach altarischer Auffassung das Dharma mit dem "Göttlichen" in Zusammenhang gebracht. Dharma – Eigennatur, Pflicht, Treue, Blut –, Rassen- und Kastengebundenheit -verbindet sich dabei mit dem Gefühl, von fern hierher gekommen zu sein, und bedeutet daher nicht Beschränkung, sondern Befreiung. Auf diese traditionsgebundene Weltanschauung zurückgeführt, erhalten auch die Hauptmotive der Rassenlehre eine transzendente und geistige Bestätigung, und jene auf die Geburt als Zufall oder Schicksal sich berufende Einwendung verliert ihren Sinn.

Allenfalls bleibt noch folgendes dazu zu sagen: erstens, daß im Leben die Ausgliederung der Typen praktisch nicht so weit gehe, daß der Dharma-Grundsatz immer Bestätigung finden könnte; und zweitens, daß er keine Erklärung dafür liefere, warum gewisse menschliche Typen als zerspalten und mit tiefen Gegensätzen belastet erscheinen, so daß nicht jedermann "seinen eigenen Typus" darstellen könne und sich nicht immer bei sich "zu Hause" fühle. Zur Überwindung dieser letzten Schwierigkeiten mögen noch einige Worte hinzugefügt sein.

Auch hier wollen wir von dem Gedanken ausgehen, daß alles hier Erscheinende die Widerspiegelung eines anderswo Seienden bedeutet. Die Menschen sind ungleich nicht nur als Rassetypen, sondern auch insofern, als nicht alle gleich einheitlich und "aus einem Guß" sind. Es gibt Hysteriker, Deplacierte, Leute, die nicht wissen, was sie eigentlich wollen. Diese Fälle sind teilweise aus der schon angedeuteten, nach altarischer Auffassung in die "Hölle" führenden Willkür zu erklären, teilweise aber aus der Annahme entsprechender vorgeburtlicher Zustände. Neben dem zentralen, wesensbestimmenden Willen zur Verkörperung können auch andere, schwächere Kräfte mitgewirkt haben. Der zentrale Wille ist natürlich der entscheidende, und ihm entsprechen in der menschlich-irdischen Erscheinung die Züge, die mehr als alle anderen schicksalhaft und unverrückbar anmuten, also alles, was mit der physischen und biologischen Rasse und der stofflichen und naturbedingten Gegebenheit zusammenhängt. Was die anderen, schwächeren Kräfte – Kräfte also, die in dieser Hinsicht nicht ausschlaggebend sein konnten anbelangt, so werden sie sozusagen mitgerissen; ihr Ausdrucksfeld kann nur das Seelische, das Gefühlsmäßige, das Willkürliche, das Ideale sein, – ein Gebiet, das grundsätzlich nicht so eindeutig und so fest bestimmt ist wie das des Körperlichen und Rassischen.

Die Fälle, wo sozusagen die "Rasse der Seele" und die "innere Berufung" mit der Rasse des Blutes nicht übereinstimmen, sind metaphysisch aus diesen Zusammenhängen heraus zu erklären. Je mehr jene schwächeren Kräfte von der Hauptrichtung abweichen, desto widerspruchsvoller werden die dementsprechenden Erscheinungen sein: folgerichtig und symbolhaft werden Menschen vor uns stehen, bei denen das Physische mit dem Seelischen, das Geistige mit dem Körperlichen oder Seelischen, die Berufung mit der Rasse, das Individuelle mit dem Sippenbedingten usw. nicht im Einklang stehen.

In solchen Fällen erweist der arische Dharma-Grundsatz noch deutlicher seine aktive, ethisch-schöpferische Beschaffenheit. Er enthält die Forderung nach "klassischer" Gestaltung. Die verschiedenen auseinanderlaufenden und widerstrebenden Elemente dieser von Natur aus schwankenden Erscheinungen sollen einem einzigen ehernen Gesetz unterworfen werden, auf Grund einer höchsten Entscheidung, die vor dem Ernstfall nicht versagen darf. Die Verherrlichung der "romantischen", "tragischen", "zerrissenen" und "faustischen" Seele gilt dann als lächerlich und als Symptom einer krankhaften Kultur. Ruhe, Stil, Klarheit, Herrschaft, Zucht, Macht und olympischer Geist sollen Bezugspunkte für jede Lebensgestaltung in arischem Sinne sein.

Ist aber in der Welt der Ursachen und der metaphysischen Sinngehalte das Vorhandensein ungleich einheitlicher Wesen und Berufungen anzunehmen, so ist auch zu bedenken, daß nicht jede Kultur und jedes Zeitalter den verschiedenen "Rassen des Geistes" die gleichen Ausdrucks- und Verleiblichungsmöglichkeiten darbieten. Wie wir bereits sahen, müssen immer zwei Erbmassen in Betracht gezogen werden; die irdisch-geschichtliche Erbmasse formt ein Gebilde, das sowohl das Biologische wie die seelische Veranlagung, eine Tradition und gelegentlich auch eine Kaste, einen zeit- und raumbedingten Ort usw. in sich schließt. Nun gibt es Kulturen, wo all dies "in Ordnung" ist: wo das Leben normalerweise sich in höchster Einheit und organischer Gebundenheit aller dieser Elemente der "horizontalen" Erbmasse abspielt. Andere Kulturen haben sich dagegen zum Individualismus, zu Anarchie, Zerstörung jeder durch Rasse, Blut, Kaste, Tradition und Volkstum bedingten Unterschiedlichkeit und Begrenzung bekannt. Aus dem hinsichtlich der "Wahlverwandtschaft" schon Gesagten geht deutlich hervor, daß die Kulturen des ersteren Typus diejenigen sind, die, indem sie die geeigneten Zustände und Ausdrucksmöglichkeiten bieten, einheitliche Wesen und reine, entschlossene Kräfte anziehen und zur sinnbedingten Erscheinung fördern werden. Die Kulturen des zweiten, das heißt des chaotischen Typus, werden dagegen aus demselben Grunde zu einem "geometrischen Ort" oder Treffpunkt auf Erden für jeden – wenn dies Wort erlaub ist – "transzendentalen Hysteriker". Sollten dennoch in diesen Kulturen normale, an sich einheitliche Wesen geboren werden, so werden sie sich in ihnen kaum an ihrem Platz finden und dazu verurteilt sein, unerhörte Kräfte zu vergeuden, um den Gegensätzen zwischen Seelischem und Körperlichem, Rasse und Charakter, innerer Würde, Rang usw. standzuhalten, Gegensätzen, die diesen Kulturen eigentümlich sind und sie zur natürlichen Heimat für die Erscheinung zerrissener und verworrener Kräfte in menschlicher Gestalt machen. Wir brauchen die Bedeutung nicht zu betonen, die diese letzten Betrachtungen, obwohl sie der gewöhnlichen Denkungsart des modernen Menschen sicher nicht so geläufig sind, für den Rassegedanken wie für ähnliche Lehren besitzen. Wenn ein tausendjähriges Schicksal das Abendland in Zustände gebracht hat, wo es schwerfällt, etwas wirklich Reines, Behütetes, Ungemischtes, Traditionsgebundenes zu finden, so ist die Herstellung neuer, fester Grenzen ein Werk, dessen segensvolle Wirkungen heute zwar nicht unmittelbar greifbar sein können, sich jedoch zweifellos in den nächsten Generationen auf den geheimen Wegen erweisen werden, die das Sichtbare mit dem Unsichtbaren, die Welt mit der Überwelt verbinden.

(Veröffentlichung in: Europäische Revue, 1940, S. 140-144)

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Über das Geheimnis des Verfalls

Wer heute dazu gekommen ist, den rationalistischen Mythos des "Fortschrittes" und die Auffassung der Geschichte als einer ununterbrochenen positiven Entwicklung der Menschheit abzulehnen, der wird allmählich zu dem Weltbild zurückgeführt, das allen großen Traditionsgebundenen Kulturen eigen war und als Mittelpunkt die Erinnerung an einen Verfallsprozeß, an die langsame Verdunkelung oder den Zusammenbruch einer höheren vorhergegangenen Welt hatte. Wird diese neue und alte Auffassung ergründet, dann stoßen wir auf verschiedene Probleme, vor allem auf die Frage des Geheimnisses des Verfalls.

In ihren unmittelbaren Formen ist diese Frage gewiß nicht neu. Vor den prächtigen Überresten von Kulturen, von denen manchmal nicht einmal der Name bis zu uns gekommen ist, die aber sogar in der Materie etwas von der Größe und Macht des Überirdischen vermittelt zu haben scheinen, gibt es kaum einen Menschen, der sich nicht die Frage des Kultursterbens gestellt und die Unzulänglichkeit der Gründe gespürt hat, die gewöhnlich zu ihrer Erklärung angeführt werden.

Dem Grafen De Gobineau verdanken wir, wie bekannt, den besten Umriß dieses Problems wie auch einer meisterhafte Kritik der wichtigsten diesbezüglichen Hypothesen. Auch seine Lösung auf der Grundlage des Rassengedankens und der Rassenreinheit hat sicher viel Richtiges in sich, nur ist sie durch einige, sich auf eine höhere Ordnung beziehende Betrachtungen zu ergänzen. In vielen Fällen ist eine Kultur auch bei der Reinheit der entsprechenden Rasse zugrunde gegangen, was besonders deutlich bei gewissen Stämmen ist, die einem schicksalhaften langsamen Aussterben unterliegen, obwohl sie rassisch in sich geblieben sind, als ob sie Inseln wären. Ein Beispiel, das uns näher liegt, ist der Fall der Schweden und Holländer. Diese Völker sind heute ungefähr in demselben rassischen Zustand wie vor zwei Jahrhunderten: von ihrer heldischen Gesinnung und ihrem Rassenbewußtsein von damals kann man jedoch heute bei ihnen wenig mehr finden. Andere große Kulturen scheinen sich nur im Mumienzustand aufrechterhalten zu haben: sie sind seit langer Zeit innerlich tot, deshalb ist der winzigste Stoß imstande, sie zugrunde zu richten. Dies ist z.B. der Fall beim alten Peru, dieses riesigen sonnenhaften Reiches, das durch ein paar Abenteurer aus dem schlimmsten europäischen Gesindel vernichtet wurde.

Betrachten wir das Geheimnis des Verfalls gerade von der Traditionsgebundenheit aus, so wird seine vollständige Lösung noch schwerer. Es handelt sich dabei um die Einteilung aller Kulturen in zwei Haupttypen: auf der einen Seite die traditionsbegründeten Kulturen, deren Prinzip gemeinsam und trotz der verschiedensten Erscheinungsformen unveränderlich ist. In diesen Kulturen bilden metaphysische, überindividuelle Kräfte und Werke die Achse und den höchsten Bezugspunkt zur hierarchischen Ordnung, zur Gestaltung und Rechtfertigung all dessen, was nur menschlich, zeitlich, dem Werden und der "Geschichte" unterworfen ist. – Auf der anderen Seite steht die "moderne Kultur", die geradezu die Antitradition ist und die sich in einer Konstruktion aus rein menschlichen und irdischen Gegebenheiten und in der totalen Entwicklung all dessen erschöpft, was ein Leben vermag, das sich völlig von der "Überwelt" losgelöst hat.

Von ihrem Standpunkt aus ist die gesamte Geschichte Verfall, weil sie uns den allgemeinen Untergang früherer Kulturen traditionellen Typs und die entschlossene und gewaltsame Heraufkunft einer neuen allgemeinen Gesittung "modernen" Typs zeigt. Hier ergibt sich eine doppelte Frage.

Erstens. Wie ist dieser Vorgang überhaupt möglich gewesen? Der ganzen Evolutionslehre liegt ein logischer Unsinn zugrunde: es ist unmöglich, daß das Höhere aus dem Niedrigen und das Mehr aus dem Weniger entspringt. Stößt man aber bei der Auflösung der Involutionslehre nicht auf eine ähnliche Schwierigkeit? Wie ist es überhaupt möglich, daß das Höhere verfällt? Könnten wir uns mit bloßen Gleichnissen begnügen, so wäre es leicht, diese Frage abzutun. Der Gesunde kann krank werden. Der Tugendhafte kann lasterhaft werden. Einem Naturgesetz zufolge, das von allen als "selbstverständlich" betrachtet wird, erfährt jedes Lebewesen, nach Geburt, Entwicklung und Kraft, das Alter, die Verweichlichung, die Zersetzung. Und so weiter. Dies heißt jedoch feststellen und nicht erklären: auch wenn zugegeben wird, daß solche Gleichnisse tatsächlich zu der hier erörterten Frage passen. Zweitens. Es handelt sich um die Erklärung nicht nur der Möglichkeit des Verfalls innerhalb einer gewissen Kulturwelt, sondern auch der Möglichkeit, daß der Verfall von einem Kulturzyklus zu anderen Völkern übergeht und sie mitreißt. Zum Beispiel, wir haben nicht nur zu erklären, wie die alte abendländische Wirklichkeit zugrunde gegangen ist, wir haben auch zu ergründen, wie es möglich gewesen ist, daß die "moderne" Kultur beinahe die ganze Welt hat beherrschen können und die Kraft besessen hat, so viele Völker von jeder Kultur anderen Typs abzulenken und sich auch dort zu behaupten, wo Staaten traditionsgebundener Prägung zu leben schienen: es sei nur an den arischen Orient erinnert. In dieser Hinsicht genügt es nicht zu sagen, es handle sich dabei um eine rein materielle und wirtschaftliche Eroberung. Aus zwei Gründen erscheint diese Betrachtung sehr oberflächlich. Vor allem unterliegt auf die Dauer ein materiell erobertes Land auch Einflüssen höherer Art, dem Kulturtyp seiner Eroberer entsprechend. Wir können in der Tat feststellen, daß die europäische Eroberung fast überall die Keime der "Europäisierung", d.h. der "neuzeitlichen", rationalistischen, traditionsfeindlichen und individualistischen Denkungsart verbreitet. Zweitens: die traditionsgebundene Kultur- und Staatsauffassung ist hierarchisch, nicht dualistisch. Ihre Träger könnten nie, ohne den größten Vorbehalt, das "Gebet dem Caesar" und das "Mein Reich ist nicht von dieser Welt" unterschreiben. "Tradition" ist für uns das siegreiche und schöpferische Vorhandensein in der Welt dessen, was "nicht von dieser Welt" ist, d.h. des Geistes, aufgefaßt als eine Macht, die stärker ist als jede nur materielle und menschliche Kraft.

Dies ist ein Grundgedanke der echten traditionsbegründeten Lebensanschauung, der uns nicht erlaubt, mit Nichtachtung von nur materiellen Eroberungen zu reden. Die materielle Eroberung stellt sich dagegen als Zeichen, wenn auch nicht eines geistigen Sieges dar, wenigstens jedoch einer geistigen Schwächung oder einer Art geistigen "Rückzuges" in den Kulturen, die besiegt wurden und ihre Unabhängigkeit verloren haben. Überall wo der als stärkere Kraft aufgefaßte Geist wirklich vorhanden gewesen wäre, dort hätten ihm die mehr oder weniger unsichtbaren Mittel nicht gefehlt, um jeder technischen und materiellen Überlegenheit seiner Gegner Widerstand zu leisten. Dies ist aber nicht geschehen. Es muß folglich gedacht werden, daß hinter der traditionellen Fassade jedes Volkes, das von der "modernen" Welt besiegt werden konnte, schon der Verfall steckte. Abendland wäre dann die Kultur, wo eine schon allgemeine Krise die akuteste Form annahm. Der Verfall – wenn wir uns so ausdrücken dürfen – wurde in ihm zu einem Niederschlag, und indem er sich organisierte, riß er mehr oder weniger leicht andere Völker mit, in welchen die Involution ja noch nicht so "fortgeschritten" war, die Tradition aber ihre Urmacht schon verloren hatte, so daß diese Völker sich vor einer Aktion von außen her nicht mehr schützen konnten.

Mit diesen Erwägungen ist der zweite Aspekt unseres Problems auf den ersten zurückgeführt: es handelt sich nämlich hauptsächlich darum, den Sinn und die Möglichkeit des Verfallens ohne Bezugnahme auf äußere Umstände klarzulegen. Zu diesem Zweck werden wir darüber klar werden müssen, daß es ein Irrtum ist, anzunehmen, die Hierarchie der Traditionswelt sei auf einer Gewaltherrschaft der höheren Schichten errichtet. Dies ist eine nur "moderne", aber der traditionsgebundenen Denkungsart völlig fremde Auffassung. Die traditionsbegründete Lehre hat in der Tat die geistige Aktion als ein "handeln ohne handeln" aufgefaßt; sie hat vom "unbeweglichen Beweger" gesprochen; sie hat überall die Symbolik des "Pols" verwendet, der unveränderlichen Achse, um die jede geordnete Bewegung sich vollzieht (anderswo haben wir gezeigt, daß dies die Bedeutung des Hakenkreuzes, des "arktischen Kreuzes" ist); sie hat immer das "Olympische" der Geistigkeit und des wahren Herrschertums betont, ebenso wie seine Art, unmittelbar, nicht aus Gewalt, sondern aus "Vorhandensein" über die Unterlegenen zu wirken; sie hat endlich auch das Gleichnis des "Magneten" gebraucht, worin, wie wir sofort sehen werden, der Schlüssel unserer Frage liegt.

Nur in heutiger Zeit kann man denken, daß die wahren Träger des Geistes, d.h. der Tradition, den Menschen nachlaufen, um sie zu packen und jeden an seinen Platz zu stellen – kurz, daß sie "handeln" und irgendwelches persönliches Interesse haben, jene hierarchischen Beziehungen herzustellen und aufrechtzuerhalten, kraft deren sie auch sichtbar als die Herrscher erscheinen werden. Dies wäre lächerlich und unsinnig. Vielmehr die Anerkennung von seiten des Untergeordneten bildet die wahre Grundlage jeder traditionsbegründeten Rangordnung. Es ist nicht der Höhere, der den Niederen braucht, sondern umgekehrt. Das Wesen der Hierarchie ist, das in gewissen Menschen etwas als Wirklichkeit lebt, das in den übrigen sich nur im Zustand eines Ideals, einer Vorahnung, einer unklaren Bestrebung befindet. Darum sind die letzten schicksalshaft von den ersten angezogen, und ihre Unterordnung bedeutet weniger die Unterordnung unter etwas Fremdes als unter ihr wahreres "Ich". Darin liegt in der Traditionswelt das Geheimnis jeder Opferbereitschaft, jedes Heldentums, jeder Treue und, andererseits, eines Prestiges, einer Autorität und einer ruhigen Macht, deren der bewaffneteste Tyrann sich nie wird versichern können. Mit diesen Erwägungen sind wir der Lösung des Problems nicht nur des Verfalls, sondern auch der Möglichkeit eines jeden Umsturzes sehr nahe gekommen. Hört man vielleicht nicht bis zum Überdruß wiederholen, daß der Erfolg jedes Umsturzes die Schwäche und die Entartung der vorhergegangenen Herrscher beweist? Eine derartige Auffassung ist sehr einseitig. Dies wäre wohl der Fall, wenn es sich gleichsam um gefesselte wilde Hunde handelte, die plötzlich ausbrechen: darin wäre natürlich der Beweis, daß die Hände, die die Schlinge halten, lahm oder schwach geworden sind. Ganz anders liegen die Dinge im Rahmen der geistigen Rangordnung, von der wir oben die wahre Grundlage klargestellt haben. Diese Hierarchie verfällt und kann wirklich umgestürzt werden in einem einzigen Fall: wenn der einzelne verfällt, wenn er seine grundsätzliche Freiheit benutzt, um den Geist zu verneinen, um sein Leben von jedem höheren Bezugspunkt loszulösen und "nur für sich" zu sein. Dann sind die Kontakte schicksalhaft gelöst, die metaphysische Spannung, der der traditionsgebundene Organismus seine Einheit verdankte, läßt nach, jede Kraft schwankt in ihrer Bahn und macht sich zuletzt frei. Die Gipfel bestehen freilich weiter, in den Höhen, rein und unantastbar; das übrige, das an ihnen hing, wird jedoch gleichsam eine Lawine, eine Masse, die ihr Gleichgewicht verloren hat und mit einer zuerst unempfindlichen, nachher rascher werdenden Bewegung hinunterstürzt, bis zur Tiefe und Nivellierung des Tales. Dies ist das Geheimnis jedes Verfalles und des Umsturzes. Der Europäer hat zuerst in sich die Hierarchie getötet, indem er die eigenen inneren Möglichkeiten ausgerottet hat, denen die Grundlage der Ordnung, die er nachher äußerlich zerstören wird, entspricht. Führt die christliche Mythologie den Fall des Urmenschen und den "Aufstand der Engel" selbst auf die Willensfreiheit zurück, dann kommt sie ungefähr zu demselben Bedeutungsgehalt. Es handelt sich um die furchtbare, dem Menschen innewohnende Fähigkeit, sich der Freiheit zu bedienen, um all das, was ihm eine übernatürliche Würde sichern könnte, geistig zu zerstören und abzulehnen. Dies ist eine metaphysische Entscheidung: die Strömung, die in der Geschichte in den verschiedenen Formen des traditionsfeindlichen, umstürzlerischen, individualistischen und humanistischen Geistes – kurz: des "modernen" Geistes umläuft, bildet nur ihre Phänomenologie. Diese Entscheidung ist die einzige positive und bestimmende Ursache im Geheimnis des Verfalles, der Zerstörung der Tradition.

Wird dies verstanden, dann könnten wir vielleicht auch den Sinn jener Überlieferungen begreifen, in welchen von rätselhaften Herrschern die Rede ist, die "immer" existieren und nie gestorben sind (Übergang zum Kyffhäuser-Gedanken!). Solche Herrscher können wieder gefunden werden nur indem man sich geistig vervollkommnet und in sich Eigenschaften erweckt wie ein Metall, das plötzlich den "Magneten" spürt, den Magneten entdeckt und sich unwiderstehlich nach ihm orientiert und bewegt. Wir müssen uns vorläufig auf diese Andeutung beschränken. Eine vollständige Deutung derartiger Überlieferungen, die zu uns vom ältesten Ariertum kommen, würde zu weit führen. Bei einer anderen Gelegenheit werden wir vielleicht zum Geheimnis des Wiederaufbaus zurückkommen, zur "Magie", die fähig ist, die eingefallene Masse wieder zu den unveränderlichen, einsam und unsichtbar in den Höhen gebliebenen Gipfeln zurückzuführen.

(Aus: Deutsches Volkstum, Heft 11, 1938)

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Träger des Europa Mythos

In einem im Juniheft 1951 dieser Zeitschrift erschienenen Beitrag habe ich auf die Schwierigkeit der europäischen Einigung hingewiesen, die sich erhebt, wenn diese Frage vom geistigen und organischen und nicht nur vom zufälligen, zeitbedingten Standpunkt der Sicherung gegen die äußeren Gefahren auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet betrachtet wird. Diese Schwierigkeit rührt hauptsächlich daher, daß dem Wort "Europa" gegenwärtig nicht mehr eine einheitliche, wirkliche, jenseits der Verschiedenheiten unseres Erdteils waltende Überlieferung entspricht. Wir haben ferner darauf hingewiesen, daß auch die "europäische Kultur" schon seit langem aufgehört hat, etwas zu sein, das uns einerseits fest vereinigt, andererseits wirklich von den andern Völkern trennt, da derselbe Kulturtyp sich nunmehr so gut wie überall hin verpflanzt hat. Daher müssen wir zuerst von Europa als einem "Mythos" ausgehen, einer Idee, der die Kraft erst verliehen werden soll, zu wecken und zu ordnen, was noch an Brauchbarem in einer uneinheitlichen Welt, in einer Welt der Trümmer vorhanden ist. Auch wenn das Problem in diesem Sinne aufgefaßt wird, ist es nicht leicht zu lösen, weil man den Angriffspunkt für diese Idee, sozusagen ihren geistigen "Ort", ebenso wie ihre hauptsächlichsten Träger erst zu bestimmen hat. Daß man dabei wesentlich mit der Tatkraft von Eliten rechnen muß, dürfte jeder einsehen.

Im erwähnten Artikel sagten wir, daß eine Einheit im Geiste dessen, was immer als unverfälschte europäische Überlieferung gegolten hat, nur durch die "Spitzen" und nicht von unten her verwirklicht werden kann. Die europäische Einheit wird nicht eine gemischte soziale Masseneinheit sein, sondern ein hierarchisches und organisches Gebilde als Folge des syntonischen Wirkens und Denkens nationaler Zentren, die jedoch in jeder anderen Hinsicht ihre Eigenart und eine weitgehende geistige und politische Eigengesetzlichkeit bewahren sollen. Das Grundhindernis, auf das man stößt, wenn man in dieser Richtung vorgehen will, liegt in der Zerspaltenheit der modernen Kultur. Der in höherem Sinne normale Zustand, wie er bereits von Plato gefordert und später nicht selten in der Geschichte verwirklicht wurde, dem gemäß die Träger der politischen Macht und die der geistigen Werte einem und demselben Stand angehören, wäre die beste Voraussetzung für die europäische Verständigung durch Eliten und "Zentren"; diese Voraussetzung ist aber heute weder in Europa noch anderswo gegeben. Daher muß man auf z w e i Gebieten wirken, die in den gegenwärtigen europäischen Nationen getrennt sind, in der Hoffnung, daß sie unter besonderen Umständen zur Einheit verschmelzen vermögen: Einerseits ist die Verständigung zwischen politischen Führern, andererseits das Zusammentreffen geistiger Menschen auf höherer, nicht nur politischer und nationaler Ebene anzustreben. Was die erste Aufgabe betrifft, müssen wir betonen, was wir schon früher hervorgehoben haben: Man kann an keine Beständigkeit des Ganzen, in unserem Falle der eventuellen europäischen Einheit denken, wenn diese Beständigkeit nicht schon in den Gliedern gesichert wird. Demokratisch-parlamentarische Systeme erfüllen jedoch diese Bedingung nicht; es fehlt ihnen die fortwirkende Beständigkeit des politischen Willens, und sie schließen der schöpferischen "Mitte" aus. Auf politischem Gebiet sollte man daher mit einer nationalen Ordnung und einem entsprechenden vertikalen Aufbau anfangen, der genügend Spielraum für unterschiedliche, der Eigenart der verschiedenen Völker gemäße Lösungen lassen muß. Dazu werden nicht wenige Überwindungen nötig sein, wegen des gegenwärtig vorherrschenden Klimas in den europäischen Räumen, die mehr oder weniger durch nichteuropäische oder von einem in Erwartung begriffenen Europa herrührenden Ideologien beeinflußt sind.

Einen anderen Weg, um "Ernst damit zu machen" gibt es aber nicht. Was nun die geistigen Eliten anbelangt, ist vor allem gegen jeden "Intellektualismus" Stellung zu nehmen. Man täuscht sich sehr, wenn man meint, etwas Wertvolles für unsere Aufgabe könne durch Mobilmachung und Verständigung von Intellektuellen, Schriftstellern und Professoren aus den verschiedenen Nationen gewonnen werden. Nein – ganz verschieden sollten die Anstöße sein, in ganz andere Schichten greifen, und ganz anders geartete Träger des neuen europäischen Mythos berühren. Alles, was im allgemeinen der bürgerlichen Kultur mit ihrem Individualismus, Liberalismus und Humanismus und ihrer Feindseligkeit gegen das Politisch-Männliche und das Politisch-Organische angehört, sollte ausgeschaltet werden, da es der Härte und ursprünglichen Unbedingtheit unserer Zeit nicht gewachsen ist.

Welche Kräfte könnten dann als Elemente der neuen geistigen Front jenseits der nationalen Zersplitterung in Frage kommen? Unseres Erachtens müßten Kräfte angesprochen werden, die sich aus ganz entgegengesetzten Gründen außerhalb von bürgerlicher Kultur und Intellektualismus befinden: einerseits alle, die irgendwie – durch inneres Gebot, Blut oder Überlieferung – noch Träger der alten Werte sind, die v o r der bürgerlichen Revolution und Kultur des dritten Standes weltanschaulich und politisch bestimmend waren; andererseits die Vertreter einer Generation, die durch die Prüfungen, den Nihilismus und die Tragik der letzten Jahre existentiell jenseits der gestrigen Kultur und Weltanschauung betracht wurde und für die es keine Rückkehr gibt. Zwei Extreme, die sich miteinander verschmelzen und ergänzen sollten. Für die erste Gruppe könnten Menschen aus alten europäischen Familien in Betracht kommen; freilich kann nicht nur der Namen, den sie tragen, sondern es muß der Wert ihrer Persönlichkeit gelten. Diese Doppelbedingung ist selten erfüllt; aber es gibt Ausnahmen, und oft handelt es sich nur um die Erweckung und die Belebung eines überdeckten Erbgutes. Konservatismus im schlechten Sinne ist mir dieser Forderung nicht gemeint; es handelt sich gewiß um eine "Bewahrung" (conservatio); aber eine Bewahrung nicht des Toten bzw. Zeitbedingten, sondern des Lebendigen – der Werte, Gesetze und Empfindungsarten, die nicht lediglich durch besondere Ausdrucksformen der Vergangenheit bedingt sind, sondern als Charakter und Haltung zu Geltung kommen. So widersinnig diese Feststellung auch scheinen mag: Die Bezugnahme auf das Traditionsgebundene wirkt nur dann als Hindernis und verwerfliche Trägheit, wenn man sich auf das verflossene und nicht auf das wahrhaft Ursprüngliche bezieht.

Dem wirklich Ursprünglichen wohnt hingegen eine unerschöpflich erneuernde und revolutionäre Kraft inne; das kündet schon das alte Wort: Usu vetera ab imo novant – Die alten Kräfte erneuern sich aus dem Urgrund. Gerade darum ist das Zusammentreffen und das Sich-Verstehen möglich zwischen den wenigen, bei denen die Fäden der alteuropäischen Tradition aufgrund des Bluterbes nicht zerrissen sind, sondern standgehalten haben, und den Männern einer neuen Generation, die hauptsächlich durch die Läuterung des Krieges gestaltet wurde. Man hat oft von ihr als von der "verbrannten Generation" (la generazione bruciata) gesprochen. Bei ihnen ist das Mißtrauen gegen die Mythen, die Parolen und die Ideologien von gestern und – noch mehr! – von heute bezeichnend, und das gilt in gleichem Maße auch für viele, die auf der anderen Front im zerrissenen Europa 1919-1945 gekämpft haben. Wo der Vorgang nicht in einem moralischen Zusammenbruch seinen Abschluß gefunden hat, wo innerlich standgehalten wurde, findet man einen neuen Ernst, eine neue Liebe für das Unbedingte und Wesentliche, darüber hinaus Stilelemente, die in den verschiedenen Nationen Europas die gleichen sind und beinahe dieselbe Menschenart in verschiedenen Abwandlungen wiederholen. Dieser Mensch ist durch eine unaufdringliche, schlichte und schlackenfreie heroische Haltung gekennzeichnet, besonders wo er durch den Kampf auf verlorenen Posten und zwischen den Trümmern – geistigen mehr als materiellen Trümmern – der Nachkriegszeit Form gewonnen hat. Von diesen Männern können Brücken geschlagen werden über das, was uns trennt, zur Bildung einer übernationalen Einheit heroischer Art – der einzigen, die über die Egoismen, die Beschränktheiten und die Umtriebe der kleinen, ängstlichen europäischen Tagespolitik herausführen kann. Es sind also diese neuen Kräfte, die gewonnen werden sollten, indem man auf sie gemäße orientierende Einflüsse ausübt – mehr durch Beispiele als durch Lehren – und ihnen den Europa-Mythos als Bezugspunkt für eine Treue – fides! – höherer Ordnung stellt, die überall, wo es nötig ist, alles unterzuordnen vermag, was der partikularistischen, grob realistischen, materialistischen und chauvinistischen Ebene angehört.

All dies wird nicht möglich sein, wenn sich zwischen den beiden Kolonnen, d.h. den restlichen Vertretern des traditionsgebundenen Europas und den neuen Kräften, die durch das Feuer gegangen sind, eine für beide Seiten ergänzend wirkende Fühlung herstellen wird, wobei das erste Element die Richtung, das andere die bewegende reine Kraft zu geben hat. Ich glaube, daß nur auf diese Weise das Wiederaufstehen Europas, soweit es noch möglich ist, vorbereitet werden kann. Wo aber in den verschiedenen Völkern Europas eine derartige Entwicklung um sich greift, wird sie sicher eine allmählich auch ins politische und Staatliche wirkende Veränderung der Atmosphäre zur Folge haben. Die "Zentren", von denen wir gesprochen haben, werden nach und nach Form nehmen und als einzige Träger ungebrochenen Willens in unseren Völkern erscheinen. Schon vor dem Weltkrieg 1939-1945 glaubten wir, daß eine Aktion in diesem Sinne möglich wäre; sie hätte als erstes eine Art Orden ins Leben rufen müssen als Ausdruck eines neuen und zugleich traditionsgebundenen Europas. Dieses Streben wurde sogar von einer europäischen Großmacht unoffiziell gefördert. Heute ist die Aufgabe unendlich schwerer.

Aber wir erkennen zwei fördernde Faktoren: auf der einen Seite die reine Kraft derjenigen, die trotz allem noch aufrecht bleiben und den Nullpunkt der früheren Werte hinter sich haben, auf der anderen Seite die Beschleunigung des geschichtlichen Prozesses, die bald zu Einsicht führen wird, welcher Weg noch offen bleibt, wenn bei uns nicht alles zugrunde gehen soll. Dem Europa, das nur zu debattieren und mit den Ideologien einer verurteilten Vergangenheit zu spielen weiß, ist der Zusammenschluß von Zentren des geistigen Widerstandes, einer heroischen übernationalen Solidarität, entgegenzustellen – bis zu dem Augenblick, wo sie sich auch politisch in der Gestaltung einer organisch-hierarchischen Einheit auswirken kann.

(Veröffentlichung in: Nation Europa, 1952, S. 20-23)

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Über die alt-arische Auffassung des Sieges und des "heiligen Kampfes"

Die moderne Welt befindet sich einer Alternative gegenüber, in der die Hauptwurzel ihrer geistigen Krise zutage tritt. Einerseits haben wir eine Kultur ohne Leben, eine Ethik des Ungewissen, einen Glauben, der im Grunde recht wenig unserem Lebensstil entspricht. Auf der anderen Seite haben wir eine paroxystische Entwicklung all dessen, was Tathandlung ist, freilich in einem zu oft materialistischen und fast barbarisch zu nennenden Sinn. Kaum nötig, hervorzuheben, wie von diesen beiden Termini, der zweite sich von Tag zu Tag als der überwiegende erweist. Unsere Zivilisation steht ganz wesentlich im Zeichen der Aktion. Dies vor allem darum, weil die dem Abendlande eigene Überlieferung tatsächlich eine Tradition nicht der reinen Erkenntnis oder der Beschaulichkeit, sondern der T a t ist.

Doch die heute allgemein bekannte Aktion ist eine entpotenzierte, weil verweltlichte und jedes transzendenten Beziehungspunktes beraubte Aktion. Diese Lage entspringt verborgenen, von den meisten kaum geahnten Ursachen. Die Annahme ist nicht gewagt, daß in gewisser Hinsicht das Christentum eine dieser Ursachen ist. Dieser Glaube, der weder arischer noch römischer, sondern semitisch-südlicher Herkunft ist, kam – anstatt eine Ergänzung unserer alten Tradition zu werden – in vieler Hinsicht als deren brüske Unterbrechung zur Geltung. Die Psychologie lehrt, wie die Hemmungen die Sublimierung lähmen und unterdrückte Energien in Krankheitskeime verwandeln. Analog ist die Diagnose des Prozesses, dem wir hauptsächlich die Säkularisierung und Materialisierung unserer Tradition der Tathandlung verdanken. Die christlich-dualistische Auffassung des Geistes entseelte unsere Kultur der Tat. Sie versperrte ihr den Weg nach oben, den Weg zur absoluten Geistwerdung. Sie errichtete eine unsichtbare, doch hartnäckige Schranke, so daß im Anrennen gegen sie die von den Tatwerten bedingten Kräfte endlich zu ihrer Entladung kein anders Gebiet zugänglich fanden als das des Materiellen. Daraus entsprang eine pathologische Übersättigung dieses Gebietes. Die entweihte und jeder verklärenden Macht beraubte Aktion mußte mit Notwendigkeit zu Fieber und Manie entarten; sie wurde zum Tun um des Tuns willen oder zu einem Tun, das nur zeitbedingten Verwirklichungen verhaftet ist. Von der Reformation und dem Humanismus an hat dieser Prozeß sich nicht mehr aufhalten lassen. An diesem Wendepunkt unserer Geschichte ergibt sich für die Besten die Notwendigkeit einer Revolte und der Rückkehr zur Tradition einer wieder sakralen und spirituellen Tathandlung. Nur auf diesem Wege kann das arische Abendland seine Befreiung finden und eine Seele empfangen, die ihm wirklich angemessen ist. Wir wollen hier einen kurzen Ausflug wagen in eine Welt, die unter dem positivistischen Aberglauben der modernen Zivilisation fast begraben liegt. Wir verfolgen dabei das Ziel, einige Grundbegriffe eben unserer alten gemeinsamen Traditionen der Tat und ihrer Krönung in der mystischen Lehre vom Sieg wieder ans Licht zu ziehen.

Wir haben hier vom Krieg als von einem "Heiligen Krieg" zu sprechen. Den blutigen Unternehmungen und Eroberungen aller altarischen Völker läßt sich schwerlich eine metaphysische Rechtfertigung und transzendente Absicht absprechen. In dem traditionsbegründeten Weltbild wird jede Wirklichkeit zum Symbol. Dies gilt auch für den Krieg. Auf dieser Grundlage konnten Krieg und "Gottes Weg" nicht selten zu einer und derselben Sache verschmelzen. Allen sind die charakteristischen Zeugnisse geläufig, die uns in dieser Hinsicht die nordisch-germanische Überlieferung bietet. Wie allgemein bekannt, ist Walhalla der Sitz himmlischer Unsterblichkeit, die den "Freien" göttlicher Abstammung und den auf dem Schlachtfeld gefallenen Helden vorbehalten ist. Der Herr dieser Stätte, Odhin-Wotan wird uns in der Ynglingasaga vorgeführt als derjenige, der mit seinem symbolischen Opfer am Weltbaume Yggdrasil den Helden den Weg gewiesen hat, der zum göttlichen Wohnsitz hinaufführt, wo ewiges Leben blüht, – wie auf einer leuchtenden Bergspitze, die über die Wolken hinausglänzt. Gemäß dieser Überlieferung ist kein Opfer oder Kult dem höchsten Gott genehmer, keines trägt reichere überweltliche Früchte als dasjenige Opfer, welches der Held dadurch bringt, daß er kämpfend auf dem Schlachtfeld fällt. Aber mehr noch: durch die Helden, die fallend Odhin ein Opfer darbringen, wird die Schar derer verstärkt, deren dieser Gott bedarf zum letzen Kampf gegen ragna-rökkr, d.h. gegen das Verhängnis der Verdunkelung des Göttlichen, das seit fernen Zeiten drohend über der Welt liegt. In der Edda heißt es denn auch: "S groß auch die Zahl der in Walhalla versammelten Helden ist, es werden ihrer nie genug sein, wenn der Wolf hervorbrechen wird." Der Wolf ist hier das Symbol finsterer und wilder Mächte, die zu bändigen und zu unterwerfen ursprünglich der Kultur der Asen gelungen war. Analog ist die iranisch-arische Lehre von Mithra, dem "Krieger ohne Schlaf", der an der Spitze der fravashi, d.h. der transzendenten Anteile seiner Getreuen, gegen die Feinde des arischen Glaubens ankämpft. Wir werden gleich näher auf die fravashi einzugehen haben, die im Grunde den Walküren der nordischen Überlieferung entsprechen. Zunächst möchten wir jedoch noch den allgemeinen Begriff des "Heiligen Kampfes" mittels dreier weiterer Zeugnisse klären, die wir der islamischen Überlieferung, der mittelalterlichen Kreuzfahertradition und der indoarischen Überlieferung entnehmen. Was die islamische Überlieferung angeht, so muß sofort hervorgehoben werden, daß die Idee des Heiligen Krieges ursprünglich persischer, also arischer Herkunft ist und erst später von den arabischen Stämmen übernommen wurde. Dies vorausgeschickt, unterscheidet die islamische Tradition zwei heilige Kriege: der eine ist der große Heilige Krieg, der andere der kleine Heilige Krieg. Diese Unterscheidung rührt von einem Ausspruch des Propheten her, der auf der Rückkehr von einer kriegerischen Unternehmung sagte: "Vom kleinen sind wir zum großen Heiligen Krieg zurückgekehrt." Der große Heilige Krieg gehört der geistigen Ordnung an. Der kleine Heilige Krieg ist dagegen der materielle Kampf, der physische Krieg, der in der Außenwelt gegen ein feindliches Volk, insbesondere gegen die Ungläubigen, Ungerechten oder Barbaren ausgefochten wird. Der große Heilige Krieg ist der Kampf des Menschen gegen die Feinde, die er in sich trägt. Genauer gesprochen, ist er der Kampf des Übernatürlichen Elements im Menschen gegen alles, was triebhaft, leidenschaftsbedingt, den Kräften der Natur hörig ist. In diesem Sinne wird in einem Text arischer Kriegerweisheit, in der Bhagavad-gîtâ, gesagt: Durch die Verwirklichung dessen, was jenseits des Verstandes ist, bekräftige Dich durch Dich selbst und töte den Feind in Gestalt des schwer besiegbaren Wunsches." Vorbedingung für das innere Befreiungswerk, ist, daß ein solcher Feind, der "Ungläubige" und der "Barbar" in uns, vernichtend geschlagen wird. Im Rahmen einer heroischen Tradition wird jedoch der kleine Heilige Krieg als nur äußerlicher Kampf, nur als Weg begriffen, durch dessen Vermittlung eben dieser große Heilige Krieg zu verwirklichen ist. Aus diesem Grunde treten im Islam "Heiliger Krieg" und "Weg Gottes", jihad, oft als Synonyme auf. So lesen wir im Koran: "Es kämpfen auf dem Wege Gottes – d.h. im Heiligen Krieg – diejenigen, welche das irdische Leben dem zukünftigen opfern: denn dem, der auf dem Wege Gottes kämpft und getötet wird, oder dem, der siegt, werden wir hohen Preis zollen." Und weiterhin: "Und diejenigen, die auf Gottes Weg getötet werden, – nimmer leitet er ihre Werke irre. Er wird sie leiten und ihren Herzen Frieden schenken. Und einführen wird er sie ins Paradies, das er ihnen zu wissen getan." Hier wird auf den physischen Tod im Kriege angespielt, dem der sogenannte Mors Triumphalis, der "siegreiche Tod" der klassischen Überlieferung genau entspricht.

Doch dieselbe Lehre kann auch im symbolischen Sinne verstanden werden. Wer im kleinen Krieg einen "großen Heiligen Krieg" zu erleben verstanden hat, hat eine Kraft in sich erzeugt, die ihn instand setzt, die Krise des Todes zu besiegen. Doch auch ohne physisch getötet worden zu sein, kann man den Tod erleben, kann man gesiegt und ein "Überleben" verwirklicht haben. "Paradies", "Himmlisches Reich" und ähnliche Bezeichnungen sind in Wirklichkeit nichts anderes als symbolische Versinnbildlichungen transzendenter Bewußtseinszustände, auf einer höheren Ebene als Leben und Tod. Diese Betrachtungen dürfen auch als Prämisse gelten, um dieselben Bedeutungsgehalte unter dem äußeren christlichen Gewande wiederzufinden, welches die heroische nordisch-abendländische Überlieferung in den Kreuzzügen überzuwerfen gezwungen war, um nach außen hin in Erscheinung treten zu können. Viel mehr als man im allgemeinen zu glauben geneigt ist, hatte in der Kreuzzugsideologie die Befreiung des Tempels, die Eroberung des Heiligen Landes Berührungspunkte mit der nordisch-arischen Tradition, die sich auf das mystische Asgard bezieht, auf das ferne Land der Asen und Helden, wo der Tod nicht herrscht, und wo die Bewohner sich eines unsterblichen Lebens und eines übernatürlichen Friedens erfreuen. Der Heilige Krieg erschien als ein durchaus geistiger Krieg, so daß er buchstäblich von den Predigern mit einer "Läuterung, gleichsam dem Feuer des Purgatoriums noch vor dem Tode", verglichen werden konnte. – "Welcher Ruhm für Euch, aus dem Kampfe nicht anders denn mit Lorbeeren gekrönt hervorzugehen. Doch wieviel größer der Ruhm, sich auf dem Schlachtfeld eine unsterbliche Krone zu erringen," – so sprach zu den Templern ein Bernhard von Clairvaux. Der "absolute Ruhm" – derselbe, der dem Herrn in Himmelshöhen, in excelsis Deo, von der Theologie zugeschrieben wurde – war auch dem Kreuzfahrer verheißen. Auf dieser Grundlage stellte sich Jerusalem, das erträumte Ziel des "kleinen Heiligen Krieges", in einem doppelten Aspekte dar, als irdische Stadt und als himmlische Stadt und der Kreuzzug als Präludium einer wahrhaft zur Unsterblichkeit führenden Leistung. Die militärischen Wechselfälle der Kreuzzüge verursachten zunächst Überraschung und Verwirrung. Doch dann hatten sie nur die Wirkung, die Idee des Krieges von jedem Rückstand an Materialität zu läutern. Der unglückliche Verlauf eines Kreuzzuges wurde mit der vom Unglück verfolgten Tugend verglichen, deren Wert nur in Bezug auf ein nicht irdisches Leben beurteilt und belohnt werden kann. Damit wurde ein Standpunkt eingenommen, der über Sieg wie über Niederlage erhaben ist und jedes Werturteil auf die "rituelle" Seite der Tat konzentriert. Den wahrhaften Mittelpunkt bildete demnach der Heilige Krieg, unabhängig von seinen sichtbaren Ergebnissen, als ein Mittel, um aus dem aktiven Opfer des menschlichen Elementes unsterblich machenden Ruhm zu erlangen.

Der Dualismus von Sieg und Tugend ist hier selbstverständlich von dem allgemeinen Dualismus beeinflußt, wie er dem christlichen Glauben eigen ist. Trotzdem kommt in dieser Haltung ein höherer Standpunkt erneut zum Durchbruch, der seine Wurzel und seinen logischen Ort nicht so sehr im Christentum als in der heroischen Wirklichkeit des arischen Altertums hat. Dieser Wirklichkeit gehört die Überlieferung an, wie sie zu einem indoarischen Text, der Bhagavad-gîtâ, zutage tritt. Dieselbe Lehre gewinnt hier eine metaphysische Grundlage. Das Mitleid, das den Krieger Arjûna davon abhält, gegen den Feind ins Feld zu ziehen, wird von dem Gott: "Feigheit, unwürdig eines Edlen und vom Himmel entfernend" genannt. Die Verheißung lautet: "Getötet, – wirst Du das Paradies haben, siegreich, – wirst Du die Erde haben. Deshalb stehe entschlossen auf zur Schlacht." Die innere Ausrichtung, die fähig ist, den kleinen Krieg in den großen Heiligen Krieg zu wandeln, in Tod und triumphierende Auferstehung, wird klar umschrieben: "Indem Du jede Handlung mir weihest", sagt der Gott, "mit dem in höchstem Ich-Zustand verweilende Geist, fern jedem Gedanken des Besitzes, befreit vom Fieber des Geistes, kämpfe!" In ebenso klaren Ausdrücken heißt es von der Reinheit dieser Handlung: sie muß um ihrer selbst willen gewollt werden, jenseits von jedem empirischen Zweck, von jeder Leidenschaft, von jeder menschlichen Triebfeder. "Indem Du Lust und Leid, Vorteil und Verlust, Sieg und Niederlage im Werte gleichsetzt, bewaffne Dich für die Schlacht: so wirst Du keinen Makel auf Dich laden." Als weitere metaphysische Begründung erklärt der Gott den Unterschied zwischen dem, was absolute Geistigkeit und als solche unzerstörbar ist – und dem, was als körperliches und menschliches Element nur illusorisch ein Dasein hat. Mit dem Bewußtsein der metaphysischen Unwirklichkeit dessen, was man als vergängliches Leben und sterblichen Leib verlieren, oder dessen Verlust man bei anderen bedingen kann, verbindet sich die Kenntnis jener Erscheinungsform des Göttlichen, der gemäß es eine Macht ist, die in unwiderstehlicher Absolutheit mit sich fortreißt. Der Größe dieser Kraft gegenüber erscheint jede bedingte Daseinsform als Negation. Deshalb gelangt diese Macht zu furchtbarer Offenbarung, wo immer diese Verneinung aktiv verneint wird, das heißt, wo im Ansturm jedes begrenzte Dasein fortgerissen oder vernichtet wird. Die Einzelnen sind dem Werden, der Verwandlung, dem Verschwinden unterworfen, eben weil in ihnen eine Macht lodert, die über wie hinaus transzendiert, eine Macht, die unendlich mehr will, als was sie je wollen können. Auf dieser Grundlage läßt sich die Energie genauer umschreiben, die geeignet ist, die heroische Verwandlung zu bewerkstelligen. Die Werte werden in ihr Gegenteil umgewandelt: der Tod wird Behauptung des Lebens. Der sakrale Krieger erscheint als eine Manifestation des Göttlichen, als metaphysische Kraft der Zerstörung des Endlichen. Er zieht diese Kraft aktiv auf sich, verklärt und befreit sich in ihr, indem er die Fesseln des Menschlichen zerbricht. Die suggestiven Äußerungen eines anderen, doch derselben Tradition zugehörigen Textes lauten: "Das Leben wie ein Bogen; die Seele wie ein Pfeil; als die zu durchbohrende Zielscheibe – der absolute Geist. Mit diesem Geist sich verbinden, wie der abgeschnellte Pfeil sich in sein Ziel einbohrt." Kurz, darin besteht die metaphysische Rechtfertigung des Krieges, die Wandlung des kleinen Krieges in den "großen Heiligen Krieg", wie er der heroischen indoarischen Welt geläufig war.

Damit sind alle Voraussetzungen gegeben, um auch zum Verständnis des innerlichsten Gehaltes vorzustoßen, der einer Gruppe klassischer und nordischer Überlieferungen zugrunde liegt, gipfelnd in der mystischen Lehre vom Sieg. Als Ausgangspunkt darf uns dabei die Beobachtung dienen, daß im klassischen und indogermanischen Altertum im allgemeinen mehrere Vorstellungen in eigenartiger Vermengung auftreten: die Vorstellung der Seele als Dämon und "Doppelgänger"; die Vorstellung von einer Todesgöttin; endlich die Vorstellung von einer Siegesgöttin. Mit anderen Worten: es handelt sich dabei um die Idee von einem einzigen Wesen, das gleichzeitig Göttin der Schlacht und des Sieges ist, so wie es das transzendentale Element der Seele verkörpert (Piganiol). Versuchen wir zu einem geistigen Verständnis dieser verschiedenartigen Elemente vorzudringen. Vor allem gilt es zu prüfen, was für eine Bewandtnis es mit dem "Dämon" oder "Genius" oder "Doppelgänger" hat, und in welcher Beziehung zur menschlichen Seele stehend diese Wesen gedacht wurden. Der Schlüssel dazu ist bereits gegeben in unserer Hindeutung auf jene tiefliegende Kraft, der gegenüber die menschliche Existenz nichts ist als bloße Negation. Hinzuzufügen ist nur, daß diese Kraft in einer Seite ihrer Entfaltung als gestaltende Energie aufgefaßt wurde. Der Dämon ist ähnlich dem "Laren", von denen Makrobius sagt: "Sie sind die Götter, die uns am Leben erhalten. Sie nähren unseren Leib und regulieren unsere Seele." Der antike Mensch sah im Dämon oder Doppelgänger eine tiefliegende Kraft, die insgeheim all jene leiblichen und seelischen Vorgänge leitet, zu denen das gewöhnliche Bewußtsein nicht gelangt, die aber doch unser Dasein und unser Schicksal bedingen. Es darf gesagt werden, daß zwischen Doppelgänger und gewöhnlichem Bewußtsein eine Beziehung besteht wie zwischen individuierendem und individuiertem Prinzip. Das erste ist nach den Lehren der Alten eine überindividuelle Kraft, daher Geburt und Tod überlegen. Das zweite Prinzip ist auf normalem Wege der Auflösung unterworfen. Bemerkenswert ist der Umstand, daß in der nordischen Tradition die Vorstellung der Walküre mit derjenigen der fyljgya verschmilzt, das heißt mit einer im Menschen wirkenden geistigen Wesenheit, deren Macht sein Schicksal anheimgestellt ist. Dasselbe gilt für die fravashi, wie die Walküren, schreckliche Kriegsgöttinnen, die Glück und Sieg verleihen. Verweilen wir einen Augenblick bei dieser Gleichsetzung.

Konstantin Wassiljew. Walküre

Konstantin Wassiljew. Walküre.
Hausmuseum (Tscherepowetzkaja 36, Moskau)

Es ist bekannt, daß das indogermanische Altertum eine ausgesprochen aristokratische Auffassung von der Unsterblichkeit besaß. Nicht alle entrinnen der Selbstauflösung, dem erloschenden Scheindasein im Hades und in Niflheim. Die Unsterblichkeit ist ein Vorrecht weniger, und im wesentlichen ein heroisches Vorrecht. Ein Nachleben nicht als Schatten, sondern als Halbgott ist nur denen gewährt, die eine besondere geistige Tat von der einen zur anderen Natur erhoben hat. Hier können wir leider nicht alle Belege anführen, die zur folgenden Schlußfolgerung hindrängen: im technischen Sinne bestand eine solche geistige Handlung nach den alt-arischen Überlieferungen in einer Wandlung des Selbstsinnes vom gewöhnlichen menschlichen Bewußtsein, das beschränkt und individuiert ist, zu einer tiefen, überindividuellen, individuierenden Kraft, die jenseits steht von Leben und Tod, und von der wir gesagt haben, daß ihr die Vorstellung des "Dämons" entspricht. Doch der Dämon transzendiert jede der endlichen Formen, in denen er sich offenbart. Deshalb hat der brüske Übergang vom gewöhnlichen Ich-Zustand zum "dämonischen" Zustand die Bedeutung einer zerstörerischen Krise: wie ein Blitzschlag infolge eines zu hoch gespannten Potentials. Eine solche Zerstörung und Krise vollzieht sich tatsächlich durch den Tod. Nehmen wir nun an, daß unter ganz außergewöhnlichen Umständen der Dämon sozusagen in uns hereinbrechen und uns so seine zerstörerische Transzendenz fühlen lassen kann: dann hätte man eine Art aktiven Erlebnisses des Todes und es wird nun klar, warum die Gestalt des Doppelgängers oder Dämons in den antiken Vorstellungen mit der Gottheit des Todes verschmelzen konnte. In der nordischen Überlieferung sieht der Krieger seine Walküre eben im Augenblick des Todes oder der Todesgefahr. Gehen wir weiter. Sind in der religiösen Askese, Abtötung, Verzicht auf eigene Ich, Elan der Hingabe an Gott die bevorzugten Mittel, mit deren Hilfe man es unternimmt, die eben angedeutete Krise erfolgreich zu überwinden, so ist dagegen im Rahmen einer heroischen Tradition der Weg zu diesem Ziel der aktive Aufschwung, die Entfesselung des Tatelementes. Als niedere Erscheinungsform dieses Elementes sehen wir so z.B. d e n T a n z als heilige Methode verwandt, um durch die seelische Ekstase tiefer liegende Kräfte hervorzurufen und einzusetzen. In das zu dionysischem Rhythmus entfesselte Leben des Einzelnen senkte sich ein anderes Leben ein, gleichsam als das Auftauchen seiner abgründigen Wurzel. "Wildes Heer", Furien, Erinnyen und andere wilde geistige Naturen sind die antiken symbolischen Verbildlichungen dieser Kraft. Sie entsprechen daher einer Erscheinungsform des Dämons, seiner schrecklichen und aktiven Transzendenz nach. Auf einer höheren Stufe stehen die sakralen Kampfspiele.

Noch höher steht der Krieg. Auf dem hellsichtigen Gipfel der Gefahr und des heldischen Kampfschwunges wurde die Möglichkeit eines derartigen Erlebnisses anerkannt. Schon der Ausdruck ludere = spielen, kämpfen enthält nach Brugmann die Idee des Lösens. Es ist dies eine Anspielung auf die dem Kampfe eigene Kraft, tiefere verborgene Kräfte von der individuellen Begrenzung zu entbinden und frei hervortreten zu lassen. Daraus entspringt der Grund für die zweite Gleichsetzung. Der Dämon und die Todesgöttin sind nicht nur mit den Furien, Erinnyen und anderen entfesselten dionysischen Wesenheiten identisch, sie sind gleichwertig auch mit den Sturmjungfrauen der Schlachten. Die fravashi heißen "die schrecklichen, die allmächtigen", "diejenigen, die im Sturm angreifen und den Sieg dem geben, der sie anruft." Die gleiche Wesenheit nimmt schließlich die Gestalt der Siegesgöttin an. Diese letzte Metamorphose kennzeichnet die glückliche Vollendung der geschilderten inneren Erlebnisse. Ebenso wie der Dämon oder Doppelgänger eine tiefere Macht in ihrem Latentzustand gegenüber dem gewöhnlichen Bewußtsein bedeutet, wie die Furien und Erinnyen eine besondere Erscheinungsform dämonischer Entfesselungen und Ausbrüche widerspiegeln – ebenso ist die Siegesgöttin der Ausdruck des Triumphes des Ichs über diese Macht. Sie bedeutet den sieghaften Aufschwung zu einem Zustand jenseits der Gefahr von Ekstasen und unterpersönlichen Zersetzungsformen, einer Gefahr, die stets hinter dem frenetischen Augenblick der dionysischen Handlung lauert. Sie bedeutet den Aufschwung der Persönlichkeit zu einem geistigen Zustand, der frei, unsterblich, innerlich unzerstörbar macht. Doch wo die Taten des Geistes sich durch Tathandlungen und reale Tatsachen äußern, da ergibt es sich, daß wirklich das Physische dem Metaphysischen, das Sichtbare dem Unsichtbaren entspricht. Derartige geistige Tathandlungen zeigen sich uns dann als die geheime Seele kriegerischer Unternehmungen, deren Krönung der echte und wirkliche Sieg ist. Der materielle militärische Sieg wird dann zu einer bloßen Entsprechung für eine geistige Tatsache, die den Sieg dort, wo Äußeres und Inneres zusammenhängen, bedingt hat. Der Sieg erscheint so als greifbares Zeichen für eine Weihe und mystische Wiedergeburt, die sich im selben Punkte vollzogen haben. Die Furien und der Tod, denen der Krieger materiell auf dem Schlachtfelde standgehalten hat, begegnen ihm auch innerlich, im Geistigen, in Form eines gefahrdrohenden Aufbruchs der Urtiefen seines Wesens. Indem er über diese triumphiert, ist der Sieg sein. Und der Ruhm, der ihn dann umgibt, ist kein leerer Schall, sondern eine wirkliche Kraft, eine metaphysische Offenbarung, ein Aufleuchten der Überwelt. So erklärt es sich, warum in den antiken Überlieferungen jeder Sieg einen sakralen Bedeutungsgehalt gewann. So bot der auf den Schlachtfeldern bejubelte Kaiser das Erlebnis der Anwesenheit einer mystischen, ihn verwandelnden Kraft. So ist endlich der tiefe, keineswegs theoretische Sinn eines im Ruhm und in der Göttlichkeit der Sieger durchbrechenden überirdischen Charakters zu begreifen. Von der Siegesgöttin Nike empfängt der dorische Held Herakles den Kranz, der ihn teilhaftig werden läßt der olympischen Unsterblichkeit. Wenn die Seelen der Helden von den Walküren – die Walküren wurden gleichzeitig auch als jene Kräfte verstanden, die dem Feinde einen panischen Schrecken einjagen – zum Sitz der Unsterblichkeit geleitet werden, so sind sie es auch, die den Endsieg bestimmen.

Die mystische Theologie lehrt, daß sich im Ruhme die seligmachende geistige Schau vollzieht, und die christliche Ikonographie umgibt die Häupter der Heiligen und Märtyrer mit der Aureole des Ruhmes. All dies bedeutet aber eine allerdings verkümmerte Erbschaft unserer höchsten heroischen Überlieferung. Die iranisch-arische Tradition kannte nämlich bereits den als himmlisches Feuer verstandenen Ruhm – hvarenô –, der auf Könige und Führer herabsteigt, sie unsterblich macht und im Siege für sie Zeugnis ablegt. Und die antike königliche Strahlenkrone symbolisierte eben den Ruhm als sonnenhaftes und himmlisches mystisches Feuer. Prüft man den tiefsten Sinn der dem Rittertum eigentümlichen Auffassung der Waffenprobe als eines Gottesurteils, so entdeckt man dieselbe Vorstellung: der Sieg ist gleichbedeutend mit einem übernatürlichen Zeichen für die Wahrheit, die Gerechtigkeit, das Recht. Kraft desselben Gedankens hatte in Rom die Zeremonie des Triumphes einen weit eher sakralen als militärischen Charakter. Der Triumphator zog zum Tempel des leuchtenden kapitolinischen Himmelsgottes, um in seine Hände den Lorbeer des Sieges zu legen, womit ausgedrückt werden sollte, daß der wahre Schöpfer des Sieges nicht so sehr der menschliche und sterbliche Teil des Siegers sei als vielmehr ein transzendentes, überpersönliches Element, das ihn ebenbildlich jenem Gotte angleicht. Aus diesem Grunde bekleidete sich in der Zeremonie des Triumphes der Sieger mit allen der Gottheit eigenen Wahrzeichen und Symbolen. Licht, sonnenhafter Glanz, Ruhm, Sieg, göttliches Königtum sind Vorstellungen, die in der klassischen und indogermanischen Welt in engster Verbindung erscheinen. In diesem Sinne ist uns die mystische Lehre vom Siege ein leuchtender Gipfelpunkt unserer gemeinsamen Tat-Tradition.

Diese Tradition spricht auch heute noch vernehmbar zu uns. Sie stellt uns auch heute wieder vor die Alternative: Treue oder Verrat. Wir können hier nur die Worte wiederholen, die wir an den Eingang dieses Ausflugs in die alt-arische heroische Welt gesetzt haben. – Heute haben wir in gleichem Maße eine müde, blutleere, aus frömmlerischen Gefühlen oder abstrakter Spekulation geformte Geistigkeit und die materialistische Entartung der Tathandlung zu überwinden. Wenn auch die äußeren und zeitbedingten Erscheinungsformen der alt-arischen Tatüberlieferung der Vergangenheit angehören, so ist doch der ihr innewohnende Geist auch heute noch lebendig und darf ein höchstes Recht beanspruchen gegenüber den alten und neu geschaffenen Idolen. Vor allem: es muß zu neuem Leben zurückkehren das Ideal einer Kraft, die gleichzeitig Geist ist; eines Sieges, der gleichzeitig Verklärung und erleuchtender Ruhm ist. Möge sich auch weiterhin eine barbarische Zivilisation mit dem tierisch-aktivistischen und mechanischen Lebensideal berauschen – all dies interessiert uns nicht, betrifft uns nicht. Krieg: sagen wir es mit lauter Stimme: der Krieg kann für uns weder ein grausames Gemetzel, noch eine traurige Notwendigkeit sein, sondern der Weg zu einer höheren Lebensform und die Prüfung der göttlichen Sendung eines Volkes. Für den alten Arier war übrigens jeder Krieg das Gleichnis eines ewig dauernden Kampfes zwischen metaphysischen Mächten: auf der einen Seite stand das olympische, arische Lichtprinzip, die uranische und sonnenhafte Wirklichkeit; auf der anderen Seite stand die rohe Gewalt, das Titanisch-Tellurische, das Barbarische im klassischen Sinne, das Weiblich-Dämonische. Wir haben schon oft die Gelegenheit gehabt, hervorzuheben, daß unsere Kultur heute Jahre der Entscheidung erlebt, deren letzter Sinn in der engsten Verbindung mit einer solchen Erkenntnis unserer Väter steht. Nach dem Zusammenbruch des alten Europas, nach den rationalistischen und individualistischen Verwüstungen und all dem, was der Aufstand der Massen und die Dämonie des materialisierten Kollektivismus auf jedem Gebiet zustande gebracht haben, sind heute dunkle Mächte im Begriffe, sich zum letzten Angriff vorzubereiten. Diesen Kräften entsprechen am genauesten die Vorstellungen der alten Arier bezüglich der unterirdischen Kräfte, denen gegenüber, in der Symbolik des heiligen Kampfes, das sonnenhafte Prinzip der Ordnung mit seiner Miliz stand. Diese Erkenntnis und dieser metaphysische Dualismus sollen heute zu neuem Leben gerufen werden und unserer heroischen Berufung den letzten Sinn verleihen. Eine neue Front soll sich bilden und alle die zusammenfassen, die noch standhalten und Träger der Tradition sind. Aus fernen Zeiten klingt noch die suggestive Formel: Das Leben: wie ein Bogen; die Seele: wie ein Pfeil; das zu treffende Ziel: der höchste Geist. Sei dies das Losungswort des neuen "Heiligen Krieges", das Prinzip eines unwiderstehlichen, heldischen und gleichsam metaphysischen Schwunges. Vielleicht nie sind unsere alten Mythen der letzten Entscheidung und der letzten Schlacht, der neu erwachenden Heldenschar im Kampf gegen die einbrechende Dämonie der Massenwelt, die sonnenhafte Tradition der Tat und die Mystik des Sieges so intensiv gefühlt worden, wie sie es in den kommenden Zeiten sein werden.

(Veröffentlichung in: Geist der Zeit, Vol.17, 1939)

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Die Unterwelt des christlichen Mittelalters

Die vorliegenden Betrachtungen über den Geist des ghibellinischen Mittelalters haben ihren Ausgangspunkt in der Idee der Urgegensätzlichkeit zwischen zwei bestimmten geistigen Einstellungen. Die eine ist die königlich-kriegerische, die andere die religiös-priesterliche. Die erste bildet den männlichen, die zweite den weiblichen Pol des Geistes. Der ersten ist das "solare" und "sieghafte" Symbol eigen, sie entspricht dem Ideal einer Geistigkeit, die auch Macht, Sieg, Ordnung der verschiedenen Kräfte und Menschen in einem weltlichen und zugleich überweltlichen Organismus (sakrales Reichsideal) bedeutet. All das, was Unterschied, Persönlichkeit und Hierarchie ist, wird von ihr bejaht und verherrlicht.

Der anderen Einstellung ist das Mond-Symbol eigen – d. h. das Symbol einer Natur, die das Prinzip ihres Lichtes außer sich hat. Begrenzender Dualismus, Spaltung zwischen Geist und Macht, Verdacht und Verachtung gegen jede höhere männliche Behauptung der Persönlichkeit, Pathos der Gleichheit und Brüderlichkeit, der "Gottesfurcht", "Sünde" und "Erlösung" sind die Elemente, die hier eigentlich in den Vordergrund treten. Was die Geschichte bis zum heutigen Tag uns als Widerstreit zwischen religiöser Autorität und "weltlicher" Macht zeigt, ist nur Widerhall und spätere materialisierte Form dieses Gegensatzes. Die religiöse Haltung ist jedenfalls so wenig dem "Geist" überhaupt gleichzusetzen, daß sie nur das verhältnismäßig junge Ergebnis eines Rückbildungsprozesses bedeutet, der sich in einer älteren höheren und eben "solar" geprägten Tradition verwirklicht hat. Betrachten wir die Verfassung der größten traditionsgebundenen Kulturen – von China bis zu den urnordischen Geschlechtern, von Ägypten bis Iran, vom vorkolumbischen Peru bis zum alten Rom usw. –, so ist immer die Idee einer absoluten Einheit der beiden Mächte: Königtum und Geistigkeit zu bestätigen. An der Spitze der Hierarchie steht keine Kirche, sondern ein "göttliches Königstum"; nicht das Ideal des "Heiligen", sondern von Wesen, die durch ihre Überlegenheit und die bezwingende Kraft ihrer als "göttliche Technik" verstandenen Riten gegenüber den verschiedenen geistigen Mächten bzw. Göttern dieselbe männliche und beherrschende Rolle spielen, die ein Führer in bezug auf die Menschen verkörpert. Nur ein Prozeß der geistigen Entmannung konnte von einem solchen Niveau bis zur "religiösen" Haltung herabführen. Die Entfernung zwischen dem Menschen und Gott und der Servilismus des ersten dem zweiten gegenüber zugunsten der Priesterkaste wurde immer größer, die traditionelle Einheit löste sich auf, und an ihre Stelle trat die Spaltung zwischen unmännlicher Geistigkeit (Priester-Geist) und materialisierter Männlichkeit (Säkularisation des Staats- und Königsgedankens).

Wenn wir besonders den arischen Rassen die leuchtendsten Formen der alten "solaren" Kulturen verdanken, so ist im Abendland der Sieg des religiösen Geistes und in seinem Gefolge die Veröstlichung der griechisch-römischen Welt, der Zusammenbruch des imperialen Gedankens und die Heraufkunft des Frühchristentums selbst wesentlich dem semitischen Element zuzuschreiben. Im vorliegenden Aufsatz werden wir einige wenig bekannte Züge der mittelalterlichen Kultur herausstellen, um so dem Nachweis zu dienen, daß in dieser Kultur das Streben nach Wiederaufbau einer universalen Tradition wirksam war, deren letzter Sinn – allem äußeren Schein zum Trotz – antichristlich oder überchristlich war.

DAS NORDISCH-ARISCHE AUFWACHEN DES RÖMERTUMS

Mit großer Wahrscheinlichkeit ist eine solche Wendung auf die nordisch-germanischen Geschlechter zurückzuführen. Schon in den ältesten Zeugnissen erscheinen diese Rassen engstens den achäischen, uriranischen, frührömischen und im allgemeinen nordisch-arischen verwandt. Wegen der harten, ungemilderten, grob gestalteten äußeren Formen ihres Lebens und ihrer Sitten durften diese Rassen auch als "barbarische" bezeichnet werden im Vergleich zu einer Kultur, die durch ihre seelenlose rechtlich-administrative Organisation und ihre hedonistische, literarische und großstädtische Wendung schon zum Synonym des Verfalles herabgesunken war. Nichtsdestoweniger hüteten diese "barbarischen" Rassen in ihren Mythen und Sagen die hohe Geistigkeit einer Urtradition, die sich in einem auf Grund der kriegerischen und männlichen Werte der Würde, des Stolzes, der Freiheit, Ehre und Treue geformten Leben widerspiegelte. Die von solchen Rassen ursprünglich anerkannten und verehrten Götter sind deutlich Verkörperungen nicht des religiösen, sondern eben des "heldischen" Geistes. Es ist die leuchtende Schar der Asen in ihrem dauernden Kampf gegen die "Riesen" und Elementarwesen. Es ist Donnar-Thor, der "Stärkste der Starken", der "Unwiderstehliche", der "Herr des Asyls gegen die Furcht". Es ist Odhin-Wodan, der Siegspender und Weisheitbesitzer, der Vater der von den Walkyrien auf den Schlachtfeldern gewählten Helden, die er zu seinen Söhnen und zu Unsterblichen macht. Heldengeschlechter, wie die der Wälsungen, kämpfen bis zum letzten gegen das ragnarökkr, d. h. die "Verdunkelung der Götter", ein Symbol für die kommenden düsteren Neuzelten. Noch die gotischen Könige hießen âmals – die "reinen" oder "Himmlischen" – und als ihre Herkunft rühmten sie das symbolische Mithgardhz, das "Land der Mitte", das ebenso wie die Hyperboris des sonnhaften Apollon und das iranische airyanem-vaêjê im äußersten Nord gelegen war. Eine Menge anderer Motive und Mythen uralten arischen Ursprungs sind gleichfalls bei diesen Völkern zu bestätigen als Zeugnis für eine kriegerische, jedwelcher "religiöse" Abweichung fremder Geistigkeit.

Der Einbruch der "Barbaren" trug wohl dazu bei, das stoffliche Gefüge des asiatisierten Kaiserreichs weiter zu zersetzen: nichtsdestoweniger bedeutete er gleichzeitig den galvanisierenden Kontakt mit einer noch im reinen Zustand sich bewahrenden Kraft. Diese Kraft rief auf zum Kampf eben unter dem Zeichen von romanitas und imperium, d. h. den Zeichen jener Größe, welche die antike Welt ihrer Anpassung an den Typ männlich-solarer Geistigkeit verdankte. Die "Bekehrung" der "Eindringlinge" ließ ihr Ethos fast unberührt, ihre eigene innere Tradition, die sich bei Aufnahme des alten Romsymbols der Usurpation und dem hegemonistischen Anspruch der Kirchen gegenübergestellt und nach der Herausbildung einer neuen europäischen Kultur streben sollte.

Wie bekannt, trug schon die am antiken Geburtstage des unbesiegbaren Sonnengottes (natalis solis invicti) vollzogene Krönung des Frankenkönigs die Formel: Renovatio Romani Imperi. Ähnliches ruft also Ähnliches auf. Der urnordische Adler Odhins fliegt dem Adler der Legionen und des kapitolinischen Lichtgottes entgegen. Alter Geist taucht in neuen Formen auf. Eine große gestaltende und vereinigende Strömung bricht auf. Einerseits läßt sich die Kirche, um sich auf dem Gipfel der Welle zu bewahren und herrschen zu können, beherrschen sie "verrömert" ihr Christentum; andererseits widersteht sie, sie will die neue Wirklichkeit beseitigen, sich das Reich unterordnen. Wenn auch aus dieser Spannung die sinnvollsten Klarheiten entspringen, so muß doch festgehalten werden, daß das Mittelalter uns als eine große, im höheren Sinne traditionelle Kultur erscheint nicht wegen, vielmehr trotz des Christentums und kraft des nordischen Ferments.

DAS HEIDNISCHE ETHOS DES FEUDALSYSTEMS

Das Feudalsystem ist das charakteristischste Merkmal der mittelalterlichen Gesellschaft. Es wurzelt aber unmittelbar im Nordisch-Arischen, gestützt auf die beiden Grundsätze der freien Persönlichkeit und kriegerischen Treue; nichts ist ihm so fremd wie das semitisch-christliche Pathos des "Sozialismus" und der Liebesgemeinschaft. Hier geht das Individuum der Gruppe voraus. Der höchste Wert, der wahre Maßstab des Adels, war schon in der altnordischen Tradition – ebenso wie in der urrömischen – das Freisein. Distanz, Persönlichkeit, Individualität waren unzertrennliche Elemente jedes Lebensausdrucks. Zeitlich-politisch war der Staat – so wie in der aristokratischen altrömischen Auffassung – mit einem Rat der Häupter gleichbedeutend, der Freien, von denen jeder absoluter Herr über seinen Grund und Boden, Pater, Führer und Priester seiner Gens war. Über dem Rat thronte der Staat als überpolitische, im König verkörperte Idee, da dieser – in der altnordischen Tradition – König war nur wegen seines "göttlichen" Blutes, seiner wie ein Avatar des Odhin-Wodans selbst gestalteten Erscheinung. Angesichts eines gemeinsamen Ziels der Eroberung oder Verteidigung bildete sich aber ein anderes Verhältnis heraus, eine starre Hierarchie, das neue Prinzip der Treue und der kriegerischen Disziplin. Ein Führer – dux, heritigo – wurde gewählt, und nun verwandelte sich der freie Herr zum Gefolgsmann des Häuptlings. Sobald die Unternehmung beendet war, stellte sich aber das normale ursprüngliche Verhältnis der Unabhängigkeit und freien Individualität wieder her. Der Vorgang, der von solcher urnordischen Verfassung bis zum mittelalterlichen Feudalsystem führt, läßt sich wesentlich charakterisieren durch die Gleichsetzung des sakralen Königsgedankens mit dem militärischen Gedanken des zeitweiligen Führers. Der König wird auch in der Friedenszeit zur Verkörperung der Gruppeneinheit. Dies wurde möglich durch die Verstärkung und Verbreitung des kriegerischen Treue- bzw. Fides-Prinzips auch über den Bereich des bürgerlichen Lebens hinaus. Rings um den König bildet sich eine Gefolgschaft von "Genossen" – fideles oder leudes –, die sich wohl immer frei fühlten, die aber im Ideal der Treue, des Dienstes für ihren Fürsten, des Kampfes für dessen Ehre und Ruhm etwas wie ein Vorrecht und eine höhere Lebensform als die bloß individuelle erblickten. Die feudale Verfassung entsteht mit der progressiven Anwendung eines solchen Prinzips. Ihr entspricht wesentlich die allgemeine Idee eines direkten Organisationsgesetzes, welches der Dynamik der verschiedenen Kräfte den größten Spielraum ließ. Mächte stehen gegenüber Mächten, Untertanen gegenüber Herren und Herren gegenüber Herren, so daß alles Schicksal, Freiheit, Ehre, Ruhm, Eigentum – sich auf den Individualwert stützte, nichts oder fast nichts auf ein formloses Kollektivum oder auf eine "öffentliche" Gewalt. Selbst der König war dem Los ausgesetzt, jeden Augenblick die Eigenschaft zu verlieren und wieder zu erringen, die ihn eben zum König machte. Nie wurde der Mensch so hart behandelt: nichtsdestoweniger war dieses Regime eine Schule nicht des Servilismus, sondern der Unabhängigkeit und Männlichkeit, und unter ihm gelangten die Beziehungen von Treue und Ehre zu einem nie mehr erreichten Grad der Unbedigtheit und Reinheit.

Nun brauchen wir nicht viele Worte auf den Hinweis zu verwenden, wie wenig diese für den mittelalterlichen Geist höchst charakteristische Verfassung im christlich-semitischen Liebesideal ihre Entsprechung finden kann. In ihr erwacht dagegen eben jene Fides, welche, lange bevor sie all "deutsche Treue" in Erscheinung tritt, sich schon in einem der ältesten römischen Kulte vorfindet und Livius sagen ließ, die Fides charakterisiere den Römer gegenüber dem Barbaren. Tatsächlich hatte das arisch-indische bhakti-Ideal denselben Sinn, ebenso das die iranische Gesellschaft bestimmende Ethos. In solcher Gesellschaft, sogar auf der Ebene der Initiation (Mithraismus), hatten die männlichen Tugenden höheren Wert als Mitleid und Milde, wodurch die Brüderlichkeit in einer so geschaffenen Gesellschaft – so wie bei den mittelalterlichen "Gleichen" und "Freien" – die aufrichtige, klare, hart individualisierte Brüderlichkeit war, die nur unter den durch eine gemeinsame Unternehmung geeinigten Kriegern bestehen kann.

DIE GEHEIME REICHSTRADITION

Die Fides, Zement der einzelnen feudalen Einheit, leitete auf eine Art Verklärung ins Überzeitliche zu einer höheren Fides hin, welche die Bestimmung einer überpolitischen, ökumenischen Reichseinheit in sich trug. Wie die Kirche beanspruchte das Reich übernatürlichen Ursprung und Finalität und die Bedeutung eines Weges zur "Erlösung" der Menschheit. Da aber zwei Sonnen in demselben Planetarsystem nicht bestehen können und die Dualität Kirche-Reich eben nach dem Gleichnis der beiden Sonnen aufgefaßt wurde, so mußte bald der Widerstreit der beiden höchsten Spitzen der großen feudalen ordinatio ad unum anbrechen. Dem Sinne solchen Widerstreits wird aber derjenige nicht gerecht, welcher nur an seinem äußeren politisch-hegemonistischen Schein festhält. Dem "religiös"-geprägten kirchlichen Universalgedanken stellt sich der kaiserliche entgegen als eine geheime Tendenz zur Wiederherstellung der Einheit der beiden Mächte, des Königlichen und Geistigen, des Sakralen und Männlichen. Wenn auch die imperiale Idee in ihren Äußerungen oft sich darin begrenzte, bloß für die Herrschaft über den "Körper" und ordo der christlichen Völker einzutreten, so bleibt doch in ihrem Grunde die heidnische nordisch-arische Idee des "göttlichen Königtums". Diese von den "Barbaren" ursprünglich getragene Idee überwindet bei der Berührung mit den Symbolen des alten Römertums die Grenze einer besonderen Rasse, sie wird universell, setzt sich der Kirche gegenüber als echtere Seele, vereinigendes und verklärendes Zentrum für das kriegerisch-feudale Gefüge.

Selbst die der Kirche als Widersacherin des Reiches eigene Ideologie bestätigt diese Anschauung. Die gregorianische Lehre ist typisch antitraditionell: Dualismus der Mächte, Vorrang einer unmännlichen Geistigkeit vor einer semitisch auf das bloß materielle Niveau verdrängten kriegerischen Männlichkeit. Der Priester als Souverän über dem Führer eines bloß als politische Macht aufgefaßten Staates. Der König – ein "Laiker", der seine Autorität nur dem "Naturrecht" verdankt und dessen Imperium nur ein ihm in der Priesterkaste gnadenhalber überlassenes beneficium bedeutet. Selbstverständlich ist ein derartiger Anspruch als moderne Abwegigkeit zu bewerten. Auch davon abgesehen, was jeder großen vorchristlichen Überlieferung eigen war: selbst unter dem "bekehrten" byzantinischen Kaiserreich blieb die Kirche eine vom Staat abhängige Institution. Die Weihung der Könige in den späteren Zeiten ließ sich im wesentlichen kaum von der priesterlichen unterscheiden. Aber wenn die Könige und Kaiser schon im fränkischen Zeitalter sich verpflichten, die Kirche zu "verteidigen", so hatte dies doch durchaus nicht die Bedeutung einer Unterwerfung. Die Kirche "verteidigen" hieß, ihr gegenüber Schutz und zugleich Autorität zu gewähren. Was man Verteidigung nannte, war ein wahrer Vertrag, wodurch der Geschützte sich als von dem Verteidiger abhängig anerkannte und alle die Pflichten, die die Sprache jener Zeit im Wort Fides zusammenfaßte, auf sich nahm. Nach dem Zeugnis Eginhards, "warf sich der Papst nach der Akklamation vor Karl hin, gemäß dem zur Zeit der alten Kaiser herrschenden Ritus". Derselbe Karl der Große beanspruchte nicht nur die "Verteidigung" der Kirche, sondern auch das Recht und die Autorität, "sie innerlich im wahren Glauben zu stärken". Ebenso bedeutsam die Erklärungen: "V os gens sancta estis, atque regale estis sacerdotium" (Stephanus III.) – "Melkisedek noster, merito rex atque sacerdos, complevit laicus religionis opus". Die feindliche Wendung der Welfen gegen das Reich ist daher tatsächlich als Aufstand zu werten, der auf das Wort Gelasius I.: "Nach Christus kann kein Mensch mehr König und zugleich Priester sein" zurückgreift, um die Reichsidee herabzusetzen. Hier verfälscht der Mythus die Geschichte durchaus nicht, vielmehr führt er uns in deren tiefere Dimension ein und ergänzt sie.

Wie sich schon aus den oben wiedergegebenen Worten ersehen läßt, taucht in Anwendung auf die Kaiser schon in der fränkischen Periode das rätselhafte Symbol von Melkisedek und seiner "königlichen Religion" auf. Melkisedek, König von Salem, ist der Priester eines der semitischen Religion Abrahams überlegenen Kultus, tatsächlich ist er die biblische Verbildlichung des außerbiblischen heidnischen und in höherem Sinne "traditionellen" Gedankens des "universalen Herrschers" (des arisch-indischen Chakrawartî) bzw. einer Funktion, welche "solar" die beiden Mächte in sich vereinigt und einen lebendigen Berührungspunkt zwischen Welt und Überwelt bildet. Bei einem Zusammentreffen von Geschichte und Mythus, Wirklichkeit und Symbol kehrt eben dieser Gedanke in zahlreichen Sagen über die germanischen Kaiser wieder. Der Legende nach wären nicht nur Karl der Große, auch Friedrich I. und II. "nie gestorben". Die letztgenannten hatten vom geheimnisvollen "Presbyter Johannes" (eine mittelalterlich-populäre Verbildlichung eben für den "universalen Herrscher") die Symbole eines unvergänglichen Lebens und einer nicht-menschlichen Siegeskraft (Salamanderhaut, Lebenswasser, goldener Ring) empfangen. Ihr Leben sollte auf einem Berg (z.B. dem Odenberg oder Kyffhäuser) – manchmal in unterirdischen Örtlichkeiten – fortdauern. Dadurch werden wir zu universalen Sinnbildern altheidnischer Tradition zurückgeführt. Eben in einem Berg oder in einer unterirdischen Örtlichkeit hatte gleichfalls der uriranische König Yima, "der Glänzende, der von den Menschen, welcher der Sonne gleich ist", Schutz gefunden, und dort lebte er weiter. Die nordisch-arische Walhalla, Sitz der vergöttlichten Könige und unsterblichen Helden, wurde oft als Berg – Glitmirbjorg, Himinbjorg – bezeichnet. Nach gewissen buddhistischen Sagen verschwinden die "Erwachten" – so wie viele griechische "Heroen" und selbst Alexander der Große in einigen Legenden – in einem Berg – dem ,,Berg des Sehers". Im allgemeinen sind der symbolische Berg der mittelalterlichen Legenden, ebenso Berge wie der indische Meru, der islamische Kef, der Montsalvat der Graalssage, der Olymp selbst. usw. nur verschiedene Erscheinungsformen eines einzigen Motivs: durch die Symbolik der "Höhe" weisen sie auf die transzendenten geistigen Zustände hin, die innerhalb der Urkulturen als Voraussetzung der Autorität und unbedingten übernatürlichen Funktion des Imperiums galten. Die Symbolik der unterirdischen, d.h. verborgenen Örtlichkeiten – Beziehungen, wie lateinisch zwischen coelum und celare angenommen wurden, bezeichnend drückt ähnliche Gedanken aus. Die Legende der "nie gestorbenen", auf Berge entrückten Kaiser beweist uns also, daß man unbewußt in solchen Fürstengestalten Offenbarungen eben der unsterblichen Funktion des universalen geistigen Überreichs anzuerkennen geneigt war. Diese Funktion aber müßte einem anderen stets wiederkehrenden "traditionellen" Motiv (Edda, Brahmâna, Avesta usw.) gemäß sich wieder in einem für die Weltgeschichte entscheidenden Wendepunkt manifestieren.

Derselbe Gedanke ist in den mittelalterlichen Legenden zu finden. Die Kaiser des Heiligen Römischen Reichs werden am Tage des Sich-Entfesselns der schon von Alexander dem Großen hinter einer Stahlmauer geschlossen gehaltenen Leute von Gog und Magog – ein Symbol für das Dämonische des bloßen Kollektivums – wieder aufwachen. Dann wird die letzte Schlacht geschlagen werden. Von deren Erfolg wird es abhängen, ob der "düstere Baum" bzw. der Lebens- und Weltbaum, dem eddischen Yggdrasil gleichzusetzen, dessen Tod den ragnarökkr, die Götterdämmerung, bedeuten wird – von neuem aufblühen wird. Nun ist es bedeutungsvoll, daß einige von solchen Mythen (vgl. z. B. Speculum Theologiae) ihre Abneigung gegen die Kirche so weit treiben, daß der wiedererstandene Kaiser, welcher von neuem den düsteren Baum aufblühen läßt, dem Antichrist angeglichen wird: natürlich nicht im gewöhnlichen Sinne (da er immer als Vernichter der dämonischen Leute von Gog und Magog aufgefaßt wird), vielmehr im Sinne des Symbols für einen Typ Geistigkeit, die sich nicht auf die kirchliche zurückführen läßt.

Das ghibellinische Ferment und der schroffe Kampf um die imperiale Würde hatten also jenseits der sichtbaren eine unsichtbare Seite. Als der Sieg Friedrich II. zu begünstigen schien, verkündeten schon volkstümliche Prophezeiungen: "Die große Ceder des Libanon wird abgehauen. Es wird nur ein einziger Gott, das heißt ein Monarch sein. Wehe dem Klerus! Wenn er zusammenbricht, so steht schon eine neue Ordnung bereit".

DIE BEDEUTUNG DES RITTERTUMS

Rittertum verhält sich zu Reich wie Geistlichkeit zu Kirche. Wenn das Reich den Versuch verkörperte, die beiden Mächte dem heidnischen Ideal gemäß wieder zu vereinigen, so ist im Rittertum ein gleich gerichteter Versuch wirksam: er will den nach einem heidnischen Ethos gestalteten Typ des Kriegers, Aristokraten und Helden auf ein asketisches und sogar übernatürliches Niveau erheben. Das Rittertum verkündet als Ideal mehr den Helden als den Heiligen, mehr den Sieger als den Märtyrer; es anerkennt als Wertmaßstab mehr Treue und Ehre als charitas und Liebe; Feigheit und Schmach gelten ihm als schlimmere Übel als die "Sünde". Statt Nicht-Widerstreben dem Bösen gegenüber und Erwiderung des Bösen mit Gutem fordert es Strafe des Ungerechten und Vergeltung des Bösen mit Bösem. In seinen Scharen duldet es den nicht, der das christliche Gebot "Du sollst nicht töten" buchstäblich befolgen wollte. Als Grundsatz anerkennt es nicht Liebe zum Feind, sondern Kampf mit ihm und Großmut nur im Siege. So behauptete das Rittertum in einer nur dem Namen nach christlichen Welt eine fast ungemilderte heldisch-heidnische und arische Ethik. Aber nicht genug damit, ein vom Gebiet des Feudalrechts bis ins richterliche und sogar theologische reichender Grundgedanke des ritterlichen Geistes ist die Lösung jeder Frage durch den Beweis stärkerer Kraft (Waffen- bzw. Gottesurteil). Wenn hier auch die Kraft als eine Tugend aufgefaßt wurde, die Gott dem Menschen für den Sieg der Gerechtigkeit und Wahrheit gegeben hat, so liegt doch diesem Gedanken die mystisch-heidnische Lehre des Sieges zugrunde (vgl. die iranische hoarenô-Lehre) die jeden religiös geprägten Dualismus überwindet, Geist und Macht vereinigt, das Siegen als eine Art göttlicher Weihung betrachtet, den Besieger so nahe dem Himmel rückt wie den Asketen, den Besiegten dagegen zu einem Schuldigen bzw. einem Sünder herabwürdigt. Man kann vielleicht einwenden, das Rittertum habe doch die kirchliche Autorität anerkannt und die Kreuzzüge zur Verteidigung des christlichen Glaubens ausgefochten.

– Vor allem: wenn die ritterliche Welt nicht nur dem Reich, sondern auch der Kirche Treue erwies, so ist doch zu bedenken, daß es sich dabei weniger um eine selbstbewußte Annahme des christlichen Glaubens handelte, als um eine Spielart des allgemeinen Dienstideals und der heldischen Unterordnung von Leben und Glück unter ein Überpersönliches. Durch die Kreuzzüge gelangt tatsächlich das alte Ideal des "heiligen Kriegs" als männlicher Weg zur Überwindung des Todes zu neuem Leben: ein Ideal, das sicher nicht nur dem evangelischen Christentum eigen ist, vielmehr sowohl der iranischen wie der indischen (Bhagavad-gîtâ) Überlieferung, selbst dem Koran, sowie den klassischen Einsichten über die mors triumphalis. Wenn auch um die Befreiung des Landes, wo Joshua-Jesus starb, gefochten wurde – so beibt doch bestehen, daß die Kreuzzüge hauptsächlich dem Geist jener Weltauffassungen entspringen, die bekennen durften: "Das Blut der Helden steht Gott näher als die Gebete der Frommen und die Tinte der Weisen" und als himmlisches Ideal die Walhalla, das Heldenheim, und als Sitz der Unsterblichen die "Heldeninsel" des blonden Radamantys verehrten.

Dagegen haben die Kreuzzüge recht wenig mit jener Tradition gemein, wie sie sich in dem Spruch des Augustinus: "Wer an den Krieg denken und ihn ohne den schwersten Schmerz ertragen kann, der hat wirklich das Menschengefühl verloren", aufklingt – es sei hier auch geschwiegen von den Märtyrern der thebaischen Legion und den drastischen Äußerungen des Tertullian über den evangelischen Spruch: "Wer durch das Schwert verwundet, wird durch das Schwert sterben" und dem Befehl Christi an Petrus, sein Schwert wieder in die Scheide zu stecken. In den Kreuzzügen siegt unter der christlichen Hülle alte geistige Männlichkeit – an die Stelle des Heiligen und Frommen tritt wieder der sakrale Krieger. Sakralkriegerisch ist der Typ des Ritters in den großen mittelalterlichen Orden. Von diesem Standpunkt aus ist natürlich der Templerorden zu den am meisten charakteristischen zu rechnen. Ebenso bezeichnend ist aber die wilde Zerstörung dieses Ordens durch die Kirche im Bündnis mit einem adelsfeindlichen, schon dem laischen modernen Typ nahestehenden Fürsten, wie Philipp dem Schönen. Unter anderem wurde gegen die Templer die Anklage vorgebracht, als einleitende Stufe ihrer Initiation hatte der Neophyt das Symbol des Kreuzes zurückzustoßen und zu erklären, Jesus sei ein falscher Prophet und seine Lehre führe nicht zur Rettung. Weiter hätten die Templer abscheuliche Riten gefeiert, worin unter anderem Neugeborene verbrannt würden. Es handelt sich dabei um vermittels der Tortur entrissene Bekenntnisse, die böswillig als Frevel ausgelegt wurden. Mit großer Wahrscheinlichkeit sollte mit dem Zurückstoßen des Kreuzes nur die Befreiung von einer niedrigeren Religionsform im Namen einer höheren gemeint werden.

In den berüchtigten Neugeborenen-Verbrennungsriten handelt es sich wahrscheinlich nur um "Feuertaufen" des Wiedergeborenen. Das Symbol läßt sich mit dem des Salamanders vergleichen, der gleich dem unsterblichen Phönix im Feuer der heroischen Wiedergeburt auflebt und dessen Haut wir als eines der "Zeichen" vorfinden, die Friedrich II. vom "Presbyter Johannes" erhalten haben soll. Andererseits ist die Symbolik des Tempels nicht als ein bloßes Synonym der Kirche zu bewerten. Der Tempel steht über der Kirche – die Kirchen ergehen, der Tempel bleibt als Symbol der zwischen allen großen Traditionen bestehenden Verwandtschaft. Von diesem Gesichtspunkt aus ist unseres Erachtens selbst die große universale Kreuzzugsbewegung nach Jerusalem, nach dem Tempel, nicht ohne geheimen Hintergrund. Schon der vorwiegend ghibellinische Charakter dieser Bewegung und die Rolle, die die Albigenser und die Templer selbst darin spielten, müßte in uns Zweifel erwecken. Tatsächlich wohnte oft der Bewegung nach Jerusalem eine okkulte Bewegung gegen Rom inne, die Rom selbst unbewußt herausforderte, und deren militia das Rittertum war; sie sollte ihre Ziele durch einen Kaiser erreichen, den Gregor IX. ansah als "denjenigen, der droht, den christlichen Glauben durch die alten, den heidnischen Völkern eigenen Riten zu ersetzen und der die Funktionen der Priesterschaft usurpiert, indem er im Tempel sitzt". Gottfried von Bouillon – dieses für das kreuzfahrende Rittertum höchst bezeichnende, lux monarchorum genannte Vorbild – ist doch die Gestalt eines Fürsten, der den Thron Jerusalems beisteigt, nachdem er mit Eisen und Feuer in Rom gehaust, den Gegenkaiser Rudolf von Rhinfeld getötet und den Papst aus der cäsarischen Stadt hinausgeworfen hatte. Die Legende schafft ferner sinnvolle "Verwandtschaft" zwischen diesem Kreuzfahrerkönige und dem mythischen "Schwanenritter", der seinerseits uns auf heidnisch-imperiale Symbole (durch die sagenhafte "genealogische" Abstammung Helias von Cäsar selbst) hinweist, wie auch auf "solare" und heidnisch-hyperboräische Symbole (der Schwan, der Helias-Lohengrin aus dem "himmlischen Sitz" herleitet, ist auch das emblematische Tier des hyperboräischen Apollon und ein Zeichen, das in den paläographischen Spuren des nordisch-arktischen Kults oft wiederkehrt) – In solchem Zusammenhange erscheint also Gottfried von Bouillon in Verbindung mit den Kreuzzügen als ein neues Sinnbild jener geheimen Kraft, die im politischen Kampf der teutonischen Kaiser und selbst im Siege eines Otto I. nur in äußere Erscheinung trat.

DER "GRAAL" UND DIE "FRAU"

Der Tempel steht im Mittelpunkt des Rittertums, nicht nur als Tempel von Jerusalem, sondern auch als "Tempel des Graals". Dem Graal entspricht in vieler Hinsicht die esoterische Seite des Rittertums. Nach der christlichen Fassung dieser Legende wurde nach dem heiligen Abendmahl der Graal – das mystische, mit eigener Leuchtkraft begabte Gefäß, das jedes Bedürfnis nach irdischer Speise auslöscht und ewige Jugend verleiht – von den Engeln in den Himmel entführt. Er ist wieder auf die Erde herabgestiegen, als ein Heldengeschlecht erschien, fähig, ihn zu behüten. Das Haupt dieses Geschlechtes ließ für den Graal einen Tempel errichten zum Gleichnis jenes Jerusalem; es stiftete den aus zwölf "vollkommenen" oder "himmlischen" Rittern zusammengesetzten Graalsorden. Die Suche nach diesem mystischen Gegenstand bildete das höchste Ritterideal und ist in vieler Hinsicht mit der Suche nach einer im Laufe der Zeiten verlorenen oder in den Bereich des Unsichtbaren zurückgekehrten geistigen Tradition (Verschwinden des Graals in den Himmel) gleichbedeutend. Wenn nun diese Überlieferung der priesterlichen der Kirche gleichzusetzen wäre, – wie wäre dann der Gedanke zu erklären, daß der Graal verschwunden war –, wie auch, daß die Rückkehr des Graals in einen irdischen "Tempel" an ein neues Geschlecht nicht von Priestern, sondern von Helden und Rittern gebunden ist?

Es scheint uns hier wiederum ein Hinweis auf eine Geistigkeit entgegenzutreten, die von der kirchlichen verschieden ist und wofür die kirchliche Tradition keine Stütze aufweist. Andererseits ist die Graalssage nur die christliche Anpassung außerchristlich-heidnischer Motive. So lassen sich z.B. die beiden mystischen Objekte der Graalssage – Kelch und Speer – unter jenen Gegenständen wiederfinden, die die "göttliche Rasse" der Tuatha dé Dannan (wahrscheinlich die Cro-Magnon) von Avallon bis Irland mit sich geführt hat. Auf die Insel Avallon – "wo es kein Sterben gibt" kehrt König Arthur zurück. Nach einigen Sagen wäre aber König Arthur selbst der Schöpfer des Graalsrittertums. Die Beschreibung des Schlosses, worin er nach altgälischer Tradition ein – wie der Graal – Ambrosia-spendendes Gefäß hütet, stimmt mit dem Bild des symbolischen Sitzes des "universalen Herrschers" überein, des Palastes des "Presbyter Johannes", des eddischen Asgards, Sitz der Asen und ursprünglichen nordischen Könige, sowie mit zahlreichen anderen allegorischen Versinnbildlichungen des "Ortes" der höchsten, die beiden Mächte beherrschenden Autorität. Schon bevor er zu dem von Jesu im letzten Abendmahl gebrauchten Kelch wurde, war der Graal vorgebildet als jenes magische Gefäß, daß Brân, Lly's Sohn, dem Matholwch gegeben hatte. Diesem Gefäß eignete die Kraft, die "Gestorbenen" wiederauferstehen zu lassen und jegliche Wunde zu heilen. Von vielen anderen Gefäßen dieser wunderbaren Art ist oft in den keltischen Sagen die Rede, und es wird gesagt, daß sie die heilige Nahrung nicht dem "Sünder", sondern im arischen Geiste nur dem Feigen und dem Eidbrüchigen verweigern. All dies deutet uns sinnvoll auf Hintergründe hin – um den Ausdruck Aroux' zu gebrauchen, auf die "Mysterien" – des Rittertums. Wenn auch die Unwissenheit eines gewissen akademischen Gelehrtentums darauf kaum aufmerksam geworden ist, so haben doch Aroux selbst, ferner Rossetti und schließlich Luigi Valli den Weg zu weiteren Entdeckungen geebnet. Diese Forscher haben in den Texten, Erzählungen und Dichtungen des Rittertums bis zu Dante und den sogenannten "Fedeli d'Amore" das Bestehen einer chiffrierten allegorischen Redeweise nachgewiesen, mit deren Hilfe nicht nur eine die Schranken des christlichen Glaubens überschreitende Lehre, sondern auch eine entschlossene, manchmal wilde Abneigung gegen die Kirche zum Ausdruck kam.

In diesem Zusammenhang und als Schluß sollen hier einige kurze Betrachtungen über die ritterliche Symbolik der "Frau" Platz finden. Wie bekannt, ist für das Rittertum der Kult der "Frau" sehr charakteristisch, der so weit getrieben wurde, daß er, wenn in buchstäblichem Sinne verstanden, nur als Verirrung zu bewerten wäre. Sich einer "Frau" anzugeloben, ihr unbedingte Treue zu weihen, in ihrem Namen Ruhm und heldischen Tod zu suchen waren Leitmotive an den ritterlichen Höfen. Man ließ die "Frau" über den Mut und die Ehre der Ritter entscheiden. Nach der auf den Schlössern getriebenen "Theologie" besteht kein Zweifel daran, daß der für seine "Frau" gestorbene Ritter zu derselben glückseligen Unsterblichkeit bestimmt ist, die dem für die Befreiung des Tempels gefallenen Kreuzfahrer vorbehalten war. Sonderbar und auch ziemlich anstößig: die "Frau" des Ritters mußte den Neophyten ausziehen und zum Bad begleiten als Vorbereitung zu seiner "Wacht bei den Waffen" und ritterlichen Weihung. Andererseits sind Gestalten wie Tristan (sir Tristem) und Lanzillot zugleich Ritter König Arthurs auf der Graalssuche, d. h. Mitglieder desselben mystischen Ordens, dem auch der die Versuchung Kundrys überwindende Parzifal und "himmlische" Ritter wie der hyperboräische Schwanenritter angehören, der Elsa abweist. Gewiß darf in alledem ein höherer Bedeutungsgehalt erblickt werden. Da dieser Gehalt weder für die Inquisitionsrichter noch die unwissenden Leute bestimmt war, so wurde er durch die Symbolik sonderbarer Gebräuche und erotischer Erzählungen zum Ausdruck gebracht. In Verbindung mit einer wohlbestimmten heidnisch-traditionellen Symbolik gilt für die "Frau" des alten Rittertums tatsächlich in vielen Fällen dieselbe Auslegung, die für die Frau bei den "Fedeli d'Amore" angewandt wird. Die Frau, der unbedingte Treue versprochen wird und der der Ritter sich weiht durch Teilnahme an den Kreuzzügen; die Frau, die zum reinigenden rituellen Bad begleitet, vom Ritter als sein Preis betrachtet wird und die ihm die Unsterblichkeit verleiht, wenn er für sie stirbt – eine solche ist keine physische Frau, vielmehr ein Symbol, das von einem gewissen Standpunkt aus sogar dem des Graals gleichbedeutend ist. Wie Luigi Valli in bezug auf die "Fedeli d'Amore"-Literatur dokumentarisch nachgewiesen hat, bedeutet die "Frau" die im transzendenten Sinne aufgefaßte "Intelligenz", die "heilige Weisheit", d. h. die Personifikation einer verklärenden Geistigkeit und eines nicht mehr mit dem Tod vermischten Lebens. Sie ist sozusagen ein Avatar von Hebe, der fortdauernden Jugend, welche im olympischen Sitz zur Braut des Helden Herakles, des "schönen Besiegers", wird; von der aus dem Gottes-Verstand entsprossenen Athena, die dieser dorische Held selbst zur Führerin erkoren hatte; von der eddischen Lichtgöttin Freya, des Gegenstandes andauernder Gier der tellurischen bzw. Elementarwesen, die umsonst danach streben, sie zu erlangen; von Sigrdrifa-Brynhilt, die Wodan zur irdischen Braut eines Helden bestimmt, der den Feuerwall überwinden wird (dabei dürfen wir an die Symbolik der templerischen Feuertaufe erinnern); von der gnostischen Jungfrau Sophia und von allen jenen Göttinnen, die in zahlreichen östlichen und westlichen Mythen in Verbindung mit dem Lebens- und Weltbaum auftreten und die Urkraft des Lebens, daher auch die Macht (vgl. den Doppelsinn des sanskritischen Ausdrucks cakti, der zugleich "Braut" und "Macht" bedeutet) verkörpern. Offenbart sich in diesen Versinnbildlichungen eine hinter dem Schleier weiblich-erotischer Symbolik verborgene religiöse Sehnsucht? Wir glauben es nicht. Da innerhalb des Christentums eine "religiöse" Wiedergeburtslehre nicht als ketzerisch in den Bann getan werden durfte, so wäre bei dem Rittertum und den "Fedeli d'Amore" eine solche Verkleidung gänzlich überflüssig und unerklärlich, wenn die Rede nicht von anderem gewesen wäre. Wahrscheinlich handelte es sich um Anschauungen, die an die großen geistigen Traditionen des arischen Heidentums anknüpften.

In diesen Traditionen waren tatsächlich das Pathos der Sünde und Erlösung, die Schrecken des Jenseits und die Tröstung durch den Heiland unbekannt. An Stelle der demokratischen Wahrheit, kraft deren jedem Sterblichen eine unsterbliche Seele geschenkt wird, lehrten sie einen zweifachen Weg, eine zweifache Möglichkeit, ein zweifaches Schicksal: einerseits den Weg der Ahnen und irdischen Dämonen, den Hades, das gefrorene Niflheim, die Gewässer der Auflösung und Vergessenheit andererseits den leuchtenden Weg der Götter – devayâna und Heroen, das olympische Land der Unsterblichen, die Walhalla, die Gewässer des Erwachens, das avestische sonnenhafte "schlaflose Leben". Auf der Höhe der mittelalterlichen Gesellschaft gelangte durch das Reichsideal der heidnische Gedanke einer höchsten "solaren" Autorität zu neuem Leben. Die Tempels- und Graalssymbolik war christliche Einkleidung eines überreligiösen heldischen Gedankens. Durch die Kreuzzüge und das "Waffen"- bzw. Gottesurteil werden die alten Lehren der mors triumphalis und des "Sieges" zu neuer Wirksamkeit aufgerufen. In einem solchen Zusammenhange ist es höchst wahrscheinlich, daß hinter der Symbolik der "Frau", besonders in ihrem Verhältnis zu den Graalssagen, eine heidnische Initiationslehre verborgen war, d. h.: Keine religiöse Ausflucht und kein Servilismus dem Göttlichen gegenüber; Behauptung der "sonnenhaften" Einstellung, dergemäß im Gegensatz zur geistigen Männlichkeit des Initiaten das Prinzip der Weisheit selbst, des unsterblichen Lebens und der Macht, dem der Ritter sich weiht und dem er bis zum Tode "treu" bleibt, weibliche Merkmale trägt.

Interessant ist aber die Feststellung, daß in einer Tradition, die später auftrat und sinnvoll den Namen Ars Regia, Königliche Kunst, trug, eine gleichbedeutende Lehre und Symbolik aufsteigt. Mit den noch undurchdringlicheren Ausdrücken des hermetisch-alchemischen Schrifttums wurden die esoterischen Lehren des altägyptischen "göttlichen Königtums" wieder aufgenommen und der "Mythus" der "unsterblichen unabhängigen Geschlechter von Königslosen" gestaltet, der "Bräutigame der Frau", der "zur solaren Würde erhobenen Herrscher der beiden Mächte". Im vorliegenden Aufsatz haben wir nur einige Elemente aus einem weit gespannten dokumentarisch erfaßbaren Gebiet zum Beweis unserer Thesen heranziehen können. Jedes große geschichtliche Zeitalter besteht aus einer Oberwelt und einer Unterwelt. Nur in der zweiten ist der wahre Sinn der Formen zu finden, die in der ersten zur Erscheinung treten. Die gewöhnliche Geschichte betrachtet nur diese Formen der Oberfläche. Ebenso hielt sich die Psychologie von gestern an die begrenzte Formenwelt des äußeren Bewußtseins, ohne den bestimmenden Hintergrund des Vorbewußten zu ahnen. In unserer noch so sehr mit "positiver" Unwissenheit belasteten Zeit ist eine historische Methode, die wesentlich auf die Unterwelt der Kulturen gerichtet ist, noch kaum vorhanden.

Da wir eine solche Methode auf das Mittelalter angewendet haben, so konnten wir als wahren Sinn dieser Kultur etwas bestätigt finden, das nicht mit den Überzeugungen aller derjenigen übereinstimmt, die in einer solchen Periode sehnsüchtig eine Art goldenen Zeitalters der katholischen Tradition, die vollständigste Verwirklichung des christlichen Ideals erblicken wollen. Uns ist dagegen in der mittelalterlichen Ökumene das Übergewicht von Kräften ganz anderer Artung deutlich geworden – von Kräften, die ungebändigt die heidnisch-arische Geistigkeit bis zum letzten aufbewahrten, in ihrem Zusammenhang mit jenem glorreichen Symbol, das Dante, den großen Ghibellinen, sagen ließ: "Christus selbst war Römer".

(Veröffentlichung in: Europäische Revue, 1933, S. 409-419, 549-553)

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Metternich

Klemens Wenzel Lothar von Metternich

Im Hinblick auf eine korrekte Würdigung der Gestalt Metternichs stehen die Dinge natürlich heute in Italien nicht zum besten. Metternich war dem Risorgimento ein Dorn im Auge, und man kann behaupten, daß Italien ein neues, zweites "Risorgimento" erlebt hat, in Bezug auf die zweifelhaftesten Aspekte dieser Bewegung. Aber selbst für diejenigen, die nicht diesen Ideen anhängen, ist es schwierig, gewisse eingewurzelte Vorurteile zu überwinden und jene Freiheit des Urteils zu besitzen, die manche ausländische Historiker schon imstande sind zu haben. Ihre Schlußfolgerungen, um die Wahrheit zu sagen, waren nicht anders, bevor sie in Beziehung zu den Problemen und den Krisen des gegenwärtigen Europas gesetzt wurden.

Unter den Historikern kann man an erster Stelle Malynski und L. de Poncins zitieren, die in ihrem sehr bedeutenden Buch "La guerre occulte" (eine italienische Übersetzung ist 1938 erschienen) Metternich als den "letzten großen Europäer" präsentiert haben, als jemanden, der jeden partikularistischen Gesichtspunkt überstiegen hat, das Übel erkannte, das die gesamte europäische Zivilisation bedroht und der ihm zuvorkommen wollte durch den Entwurf einer auch übernationalen Solidarität der traditionellen und dynastischen Mächte, da es offensichtlich war, daß die Solidarität der Kräfte der Subversion schon übernational war.

Unter den neueren Arbeiten muß auf A. Cecil, Metternich, hingewiesen werden. Dieses Buch ist nicht nur in Hinblick auf die Nationalität des Verfassers – ein Engländer – interessant, sondern weil in der neuesten Ausgabe Cecil jenen antwortet, die es nur als eine Provokation gesehen haben, indem er den Sinn der Intention und der europäischen Aktion Metternichs klar herausstellt und die Bilanz dessen erstellt, was danach gekommen ist, bis zum Zweiten Weltkrieg. Cecil schreibt: "Metternichs Methoden verdienen heute eine seriösere Untersuchung von jenen, die daran interessiert sind, sich der umfassenden Desintegration Europas zu widersetzen." Übrigens ist es die europäische Idee, die Cecil vor allem analysiert. Es ist interessant zu sehen, daß für diesen Autor, mit Metternich sich eine Tradition wieder geltend macht, deren Geist klassisch, römisch ist (S. 466): die Tradition, die in einer übernationalen Einheit die verschiedenen Völker unter gegenseitigem Respekt zusammenfassen wollte; die erkennt, daß die wahre Freiheit sich unter einem ordnenden Gesetz und einer hierarchischen Idee verwirklicht, nicht unter den demokratischen und jakobinischen Ideologien. Es ist Metternich, der gesagt hat: "Jeder Despotismus ist ein Eingeständnis der Schwäche." Cecil formuliert völlig zu Recht, daß "wenn man das Todesurteil des alten Österreich ausstellt, zugleich auch die Formel der Zerstörung Europas billigt." Weil Österreich damals immer noch, zumindest in der Regel, die Idee des Heiligen Römischen Reiches verkörperte, einer Regierung die in der Lage ist, mehrere Nationalitäten zu vereinen, ohne sie zu unterdrücken oder zu entstellen. Folglich, mangels der Wiederaufnahme einer Formel dieser Art, mit dem Fortbestehen der gesteigerten Nationalismen und der zerstörerischen Internationalismen, verbietet es sich zu denken, daß Europa eines Tages die Einheit wiederfindet, die in Zukunft als eine essentielle Bedingung seiner Existenz und ebenso der unabhängigen Zivilisation erscheint. Metternich hat in der Demokratie und dem Nationalismus die Hauptkräfte erkannt, die das traditionelle Europa beseitigen werden, wenn sie nicht durch eine radikale Aktion erstickt werden. Er erstrebte die vollständige Fesselung der verschiedenen Formen der Subversion, die vom Liberalismus und Konstitutionalismus bis zum Kollektivismus und Kommunismus reichten. Und er dachte, daß in dieser Frage jede Konzession fatal sein würde. Cecil hat recht, wenn er schreibt, daß Robespierre nicht nur Napoleon, sondern ebenso Stalin in seinem Kielwasser nach sich zog: weil der Bonapartismus und der Totalitarismus nicht das Gegenteil der Demokratie sind, sondern vielmehr seine äußersten Konsequenzen – wie Michels und Burnham gut aufgezeigt haben.

Die Abhilfe war in den Augen Metternichs die Idee des Staates: der Staat als überhöhte Realität und gegründet auf dem Prinzip einer Souveränität und einer wirklichen Autorität, nicht als einfacher Ausdruck eines demos. Metternich weigert sich an "Nationen" zu glauben, die er nur als Masken der Revolution sah, als antidynstischer Mythos. Was seine Schöpfung, die Heilige Allianz, betrifft, so war sie ein letzter Versuch, einen fruchtbaren Frieden für eine Generation zu sichern, aber sie erreichte nicht die Höhe ihres Gründungsprinzips. Cecil wiederholt indessen zustimmend, was schon Maistre Wesentliches gesagt hat, daß es notwendig ist, nicht eine "Konterrevolution" zu machen, sondern das "Gegenteil einer Revolution", das heißt eine positive politische Aktion, aufgebaut auf der soliden spirituellen und traditionellen Grundlage, die Eliminierung alles dessen, was Subversion und Usurpation durch die niederen Mächte ist, ist dann eine natürliche Konsequenz.

Es gibt keinen Zweifel, daß eine Idee dieser Art, der Zusammenschluß in kämpferischer Solidarität aller Kräfte, die in unserem Europa noch einwandfrei geblieben sind und gegen den Virus der "unsterblichen Prinzipien" reagieren (gegen die "französische Krankheit", nun nicht mehr physisch, sondern geistig, um die Formulierung Cecil zu wiederholen), das einzige ist, das helfen kann, unsere Zivilisation noch zu retten, vorausgesetzt es finden sich die Männer, die dem gewachsen sind, – und, wenn möglich, vor allem die Souveräne.

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Reich und Imperium als Elemente der neuen europäischen Ordnung

Wer die voraussichtlichen wesentlichen Ergebnisse festlegen wollte, die das revolutionäre Geschehen des gegenwärtigen Krieges zeitigen wird und die eher durch die immanente Gewalt der Dinge und der Ereignisse als durch irgendeinen bestimmten vorgefaßten Entschluß der Menschen zustande zu kommen scheinen, der würde etwa zur Anerkennung folgender Punkte kommen:

1. Der für die unmittelbar vorangegangene Periode eigentümliche Begriff der politischen Souveränität ist in die Krise geraten und gründlich zu revidieren. Die Einteilung der Erdoberfläche in atomhafte, völlig eigenständige, durch starre Territorialgrenzen bestimmte Staatsgebiete tritt die Idee einer Teilung der Erde in Räume entgegen, die verschiedene Volksgruppen und politische Sondereinheiten aufgrund wirklicher und organischer Beziehungen umfassen.

2. Im Zusammenhang damit wird auch die frühere, nämlich formalistische und positivistische Auffassung des "Völkerrechts" westlicher Prägung hinfällig. An die Stelle von abstrakten Grundsätzen, die bei absoluter Gleichgültigkeit gegen die verschiedenen Möglichkeiten und die unterschiedliche Macht und Würde der Völker den Anspruch erheben, für jeglichen Staat gleiche Gültigkeit zu haben, tritt die Idee eines neuen gegliederten "übernationalen" Rechtes. Der Ausdruck "übernational" ist dabei allerdings nicht in einem unbestimmten universalistischen, sondern in einem organischen Sinne aufzufassen, das heißt in enger Beziehung zu gewissen Anschauungen, die jedem der neuen, mehrere Nationen umfassenden Räume zugrunde liegen werden.

3. Hinsichtlich solcher übernationaler Gebilde ist heute die Bezeichnung Großräume oder Lebensräume geläufig geworden, eine Bezeichnung, die uns jedoch als nicht ganz treffend erscheint, weil damit vorwiegend das nur materielle Moment der Frage betont wird. Wir sind der Meinung, daß der gegenwärtige Krieg nicht dazu bestimmt ist, lediglich zu einer "Ablösung der Wache" im System der europäischen "Imperialismen" und materiellen Vorherrschaften zu führen. Die höhere und wirklich revolutionäre Bedeutung dieses Krieges wird kaum von demjenigen empfunden, der in ihm nicht das Bestreben erkennt, den "Imperialismus" als rein materialistischen Herrschaftsgedanken zu überwinden, um zur Grundlage des Rechtes auf "Lebensräume" den höheren Rang machen, den einige Völker – unsere Völker – gegenüber den plutokratisch oder kollektivistisch eingestellten Nationen beanspruchen können – eine Forderung, die dem echten Reichsgedanken entspricht, der nach traditionsgebundener Auffassung immer auf einer geistigen Tatsache und einem höheren Herrscherrecht beruhte.

4. So wie die Dinge bis heute realpolitisch in Europa liegen, ist von dieser Entwicklung erst die Phase der allmählichen Bildung von "imperialen Zusammensetzungen" rund um die Völker der Achse festzustellen. Das grundlegende Problem der neuen, durch unseren Sieg aufzurichtenden Ordnung wird daher das des Überganges von solchen "imperialen Zusammensetzungen" zu "imperialen Ganzheiten" bzw. reichischen Organismen sein.

5. An einem solchen Problem sind drei Momente zu berücksichtigen: das Moment der gegenseitigen wirtschaftlichen Ergänzung der Völker – womit die sich auf die Lebensräume beziehende Frage gelöst wäre (Lebensräume im eigentlichen, materiellen Sinne); das völkische und rassische Moment; und schließlich das Moment der Kultureinheit.

6. Daß im Grunde das letzte Element das entscheidende ist, ergibt sich schon aus der Tatsache, daß von einem wahren Organismus nicht die Rede sein kann, wo eine lebendige Einheit fehlt. Eine derartige Einheit kann jedoch nicht aus einem wirtschaftlichverwaltungsmäßigen oder formalrechtlichen System hervorgehen; auch auf der Ebene des Nur-Nationalen in naturverhaftetem Sinne wäre sie problematisch, weil man auf dieser Ebene immer mit der Gewalt von partikularistisch bestimmten Affekten der einzelnen Völker zu rechnen hat. Nur auf geistiger Ebene und in wirklicher Kultureinheit sollte man vielmehr jenes Reagens suchen, das fähig wäre, in den neuen imperialen Räumen aus den imperialen Zusammensetzungen echte imperiale Ganzheiten werden zu lassen, die als solche für die Beständigkeit der neuen Ordnung genügende Gewähr zu bieten vermögen. Wenn man im Zusammenhang mit den Aufgaben der neuen Ordnung von Kultur spricht, sollte man damit beginnen, jenen Begriff der Kultur gründlich zu revidieren, der in der neueren Zeit – und insbesondere seit der Aufklärung und der Französischen Revolution vorherrschend geworden ist. Es gibt eine Kultur, die einerseits auf humanistischer Kunst und Profanwissenschaft beruht, andererseits vom Rationalismus und Mechanismus untrennbar ist und der die technischen und sozialen Errungenschaften die Wahnvorstellung einer unbestrittenen Überlegenheit beigeben. Diese Kultur hat kein Antlitz, sie ist im Grunde international, anonym und unorganisch, sie ist also außerstande, irgendwie die Voraussetzungen für eine hierarchische und wohlgegliederte Ordnung der Völker zu schaffen.

Diesem Kulturbegriff gegenüber wären dagegen die heldischen, aristokratischen, traditionsgebundenen und sogar "sakralen" Werte zu betonen: auf sie sollte man sich hauptsächlich im Aufbau der neuen Reiche der Völker stützen. Die heutige Lage ist in dieser Beziehung ungünstig, gerade weil durch die Heraufkunft und die allgemeine Verbreitung der anderen Kultur – der internationalistischen, humanistischen und mechanistischen – die erwähnten Werte geschwächt und zerstreut wurden. Sie in neuen Kristallisationszentren wiederum zu sammeln, die ihrerseits als Seele und Bindemittel für neue übernationale Einheiten zu dienen hätten – dies ist eine Aufgabe, über deren Schwierigkeiten wir uns klar sein müssen. So wäre es gewagt, heute in Europa auf einen Gedanken zu verweisen der schon vollständig, lebendig und vorherrschend genug wäre, um ohne weiteres als Grundlage des schon angedeuteten höheren Aufbauwerkes dienen zu können. Nötig ist vielmehr eine Aktion der gegenseitigen Ergänzung wie auch der Erweckung und der wechselseitigen Stärkung. Wir nähern uns schon der Idee einer neuen europäischen Kultur – einem neuen "Europa-Gedanken": die Elemente dieser Idee sind jedoch noch nicht vollkommen bestimmt, wenn wir einmal von der nur politischen und sozialen Seite absehen.

Da die revolutionäre europäische Aktion von den Mächten der Achse ihren Ausgang genommen hat, so ist es natürlich, daß auch der primäre und wesenhafte Kern einer europäischen Kultur auf den Möglichkeiten und dem geistigen Erbgut der beiden Mächte der Achse beruhen muß. Als erste, von jeder Weiterentwicklung und jedem weiteren Völkeranschluß vorausgesetzte Aufgabe sollte uns deshalb die nähere Bestimmung der Form gelten, wie im Rahmen eines neuen Europa-Gedankens das römische (da für uns "faschistisch-italienisch" und "römisch" gleichbedeutend sind) und das deutsche Element sich gegenseitig ergänzen können. Die Geschichte scheint in dieser Hinsicht eine Parallele anzubieten: es scheint sich nämlich eine Konjunktur anzukündigen, die derjenigen ähnlich wäre, aus der der letzte wahre Typ europäischer Imperialkultur – der mittelalterlichen – erstand, welche wesentlich gerade von der Symbiose des römischen und des germanischen Elements bestimmt wurde.

In welcher Funktion und in welchem Sinne können aber diese Elemente in der künftigen Kultur der "imperialen" Räume wirken? Die Art ihrer einstigen Wirksamkeit in der mittelalterlichen Welt ist in großen Zügen jedem bekannt. Das germanische bzw. das nordisch-germanische Element wirkte sich hauptsächlich in der Lehenskultur und in der entsprechenden Ethik aus, während das römische Element, obwohl es damals in einer nicht einwandfreien Verbindung mit dem christlichen Glauben auftrat, überzeitliche und transzendente Anhaltspunkte für einen nicht lediglich nationalen Typ politischer Ordnung der Völker bot. Nachdem wir diesen Punkt aufgezeigt haben, sollten wir die spezifischen politischen Ideen überprüfen, die heute Deutschland und Italien eigen sind, um jene ihrer Aspekte klarzustellen, die als Prämissen des neuen Kulturtyps aufgenommen werden dürfen. Diese Seite der Frage kann hier natürlich nur gestreift werden. Im Nationalsozialismus hat das Losungswort "Ein Volk, ein Reich, ein Führer" eine besondere Rolle gespielt. Das Geschehen der letzten Zeit sowie die Aufgaben, die sich für die Zukunft ankündigen, scheinen jedoch in gewissem Sinne darüber hinauszuführen. Die angedeutete deutsche Parole war in der Tat durch eine besondere internationale Lage bestimmt: die Einheit aller Angehörigen eines einzigen Volkes in einem einzigen Reich unter einem einzigen Führer konnte ein wertvolles ideologisches Werkzeug sein, solange Teile des deutschen Volkes noch außerhalb der durch die Pariser Diktate bestimmten politischen Grenzen des Reiches lebten. Hinsichtlich der Aufgabe der europäischen Zukunft handelt es sich jedoch um anderes, wenn nicht sogar um das Gegenteil: es handelt sich darum, einzusehen, wie sich die Autorität und der Einfluß legitimieren können, die ein Reich auf verschiedene, in einen einzigen imperialen Raum einzubeziehende Völker ausüben wird. Diese Frage führt uns zur Prüfung einer weiteren Formel, in der einige Autoren einen Grundunterschied zwischen Faschismus und Nationalsozialismus sehen möchten. Wir meinen die Idee der Volksgemeinschaft und der Legitimation von Staat und Führertum durch das Volk. Der Faschismus ist dagegen geneigt, Volk und Nation als etwas Abstraktes aufzufassen, solange man von der gestaltenden, übergeordneten Funktion des Staates und des Führertums absieht. Der Staat wird dabei freilich zu keiner juristischen Funktion vergegenständlicht und zu keinem seelenlosen Machtmechanismus herabgewürdigt, er wird vielmehr als das autoritäre Organ einer Elite bzw. eines Ordens begriffen, in dem mehr als in jedem anderen Teil das "Volk" wirklich, lebendig, gestalthaft und selbstbewußt in die Erscheinung tritt. So organisch und beinahe untrennbar verbunden Staat und Volk, Führertum und Nation nach faschistischer Auffassung sind, besteht bei uns doch das Bestreben, dem Führertum eine gewisse Selbständigkeit und eigene Weihe einzuräumen. Im Ordensgedanken bzw. Ordensstaatsgedanken begegnen sich jedoch die faschistische und die nationalsozialistische Ideologie wieder. Die Gültigkeit, die die nationalsozialistische Formel innerhalb des Reiches eines einzigen Volkes besitzt, bleibt unbestritten. In dem Augenblick aber, wo ein Begriff der politischen Führung und Autorität in Frage steht, der als zentraler Anhaltspunkt für einen nicht mehr nur nationalen, sondern übernationalen und imperialen Raum gelten soll, müßte unseres Erachtens eine gewisse Steigerung der früheren, durch die schon angedeutete europäische Lage bedingten nationalsozialistischen Formel angestrebt werden. Eine ausschließlich durch ein bestimmtes Volk sich legitimierende Autorität wird jenseits der Grenzen dieses Volkes nie als viel mehr gelten können denn als bloße Gewalt. Die Dinge lägen jedoch etwas anders, wenn man einen gewissen Abstand zwischen das Volk und jene Macht legte, die es als Staat und Elite gewissermaßen von oben her gestaltet und führt. Man kann sich dann eine Entwicklung vorstellen, durch die diese übergeordnete tragende Macht so weit gesteigert und geläutert wird, daß sie in natürlicher Weise auch jenseits der Grenzen jenes Volkes, innerhalb dessen sie sich ursprünglich behauptet und verwirklicht hat, anerkannt zu werden vermag.

Eine solche übernationale Bedeutung des Reichsgedankens ist übrigens schon in der früheren deutschen Tradition zu finden. Die Hervorhebung einer mehr partikularistischen Deutung desselben war nur zufälligen Umständen zuzuschreiben, die jedoch nunmehr überholt sind, so daß einer geeigneten Wiederaufnahme des früheren Gedankens nichts im Wege steht. Noch kürzlich wurde von Steding wirksam die besondere Bedeutung jenes Gedankens im Umbruch der Zeit und den "Krankheiten der europäischen Kultur" gegenüber betont. In der in Frage stehenden Reichsidee hat sich aber das wiederbelebte römische Element wiederum in gleichem Maße wie das germanische ausgewirkt, und in diesem Zusammenhang ist die Rolle zu verstehen, die auch das Römische im neuen Europa-Gedanken spielen kann. Uns sind zwar die Voreingenommenheiten bekannt, die in gewissen Kreisen gegen das Römische genährt werden. Sie beruhen jedoch meistens auf einseitigen Angleichungen. So wird zum Beispiel das wahre römische Recht mit einem Recht verwechselt, das man lieber napoleonisches Recht nennen sollte und das von einem Universalismus und einem abstrakten Normativismus beeinträchtigt ist, die im organischen Gebilde des früheren römischen "imperialen Raumes" nur Verfallserscheinungen bedeuteten. Ebenso irrtümlich ist es, Römertum und katholische Kirche schlechthin gleichzusetzen. Man muß gewiß zugeben, daß das Römertum im Zusammenhang mit dem Katholizismus bei der Gestaltung der imperialen mittelalterlichen Kultur gewirkt hat. Man soll sich aber klar machen, um welchen Katholizismus es sich damals handelte. Das wahre römische Recht war nicht "universalistisch" im modernen, rationalistischen und aufklärerisch-freimaurerischen Sinne, sondern es war die Form eines wohlbestimmten imperialen Raumes oder Reiches, das als Grundlage ein ebenso wohlbestimmtes kulturelles und menschliches Ideal hatte. Der mittelalterliche Katholizismus bezog sich ebenfalls auf eine Christianitas, die sich hauptsächlich mit der Gemeinschaft der arischen europäischen Nationen identifizierte. Diese Gemeinschaft wurde als eine organische und kämpferische Einheit aufgefaßt und in ihr der Ethik der Ehre und der Treue eine weit größere Anerkennung gezollt als den Tugenden des Verzichts und der universellen humanitären Verbrüderung. Auch die Rolle, die damals der antijüdische Gedanke spielte, ist bekannt. Wenn wir uns an diese, in ihrer Art mannhafte Phase des Katholizismus halten, können wir darin einige Werte erkennen, die nicht notwendigerweise mit dem arisch-römischen und dem arisch-germanischen Ideal in Widerspruch stehen. Man soll nicht vergessen, daß für viele europäische Völker der Katholizismus eine Überlieferung vieler Jahrhunderte bedeutet, die man nicht von heute auf morgen ohne zerstörerische Folgeerscheinungen über Bord werfen kann. In der Beziehung kann eine gemäße Richtigstellung und Auslese eher als eine glatte Ablehnung zum wahren, gemeinsamen Ziel führen. Ein Satz von Mussolini, der seinerzeit in vielen Kreisen Ärgernis erregte, lautet: "Ohne Rom wäre vielleicht das Christentum im Zustand einer der vielen in Palästina wimmelnden Sekten geblieben." In diesen Worten ist euch für die katholischen Länder ein Hinweis gegeben – nämlich im Katholizismus wiederzufinden und hervorzuheben, was er trotz allem an Arischem und "Römischem" enthält, und damit jenen Symbolen und Idealen entgegenzukommen, die andere europäische Völker ohne den Umweg über Katholizismus und Christentum unmittelbar aus ihren arischen Traditionen schöpfen können. Entscheidend ist jedenfalls, sich klarzumachen, daß auch für die neue Ordnung ein Anhaltspunkt nötig sein wird, ähnlich dem, den gerade das Römische – dem katholischen Kompromiß zum Trotz – in der Gestaltung der europäischen Kultur des Mittelalters darstellte. Wenn der Imperialismus ein Machtsystem bedeutet, in dem ein Teil sich den anderen, von ihm ausgenutzten und verwalteten Teilen aufdrängt, dann bedeutet hingegen das Reich oder Imperium das Führertum und die höhere Gerechtigkeit des unum, quod non est pars (jenes einen, das kein Teil ist).

Wir möchten nunmehr kurz auf die Rolle hindeuten, die unserer Meinung nach die germanische Komponente im Zusammenwirken mit der eigentlich römischen in der Gestaltung der geistigen Mittelpunkte der neuen imperialen Räume und der entsprechenden Reiche zu spielen hätte. Wir sagten, daß im Mittelalter diese Komponente hauptsächlich in der Lehenskultur zur Geltung kam. Heute kann sie sich in analoger Weise doppelt auswirken: verwaltungsmäßig im Sinne einer teilweisen Dezentralisation und Einteilung bzw. Graduierung der einzelnen politisch-territorialen Hoheiten; geistig und ethisch in der Bestimmung klarer und personalisierter Abhängigkeitsverhältnisse der Untergebenen und echten Verantwortungssinnes in den führenden Elementen. Dafür genüge es, die heute so geläufige Formel "Führer und Gefolgschaft" in ihrem tieferen, ursprünglicheren Sinne zu verstehen. In der Tat können wir uns die Struktur der neuen imperialen Organismen kaum anders vorstellen als auf Grund einer Art Lehenssystems mit einem zentralen Hoheitsrecht und einer Reihe von Teilhoheiten – imperium eminens et ius singulare. Es darf übrigens hervorgehoben werden, daß die schon angenommene Formel der "Protektorate" im Grunde denselben Gedanken widerspiegelt: die feudale Bindung ergab sich aus der Unterordnung und der Treue – fides – von der einen Seite, denen der "Schutz" durch den anderen Teil entsprach. In den Beziehungen der neuen Königreiche Kroatien und Montenegro gegenüber der italienischen Monarchie kommt dieselbe Idee zum Ausdruck. Dieser Grundsatz kann aber einen positiven, schöpferischen Wert erlangen nur unter der Voraussetzung eines neuen, normaleren Zustandes, in dem das ruhige, klare und würdevolle Gefühl der Nationalitäten an den Platz der Verbitterung, der Virulenz und der Unduldsamkeit der Nationalismen tritt. In diesem Zustand wird man wieder begreifen, daß es sowohl hinsichtlich eines Volkes wie einer Schicht oder des Einzelnen eine Unterordnung gibt, die kein Anlaß zu Erniedrigung oder Herabsetzung, sondern zu Stolz ist, weil sie die Teilnahme an einer höheren Kultur und Sendung ermöglicht und den Überlegenen dem Unterlegenen gegenüber verpflichtet.

Da es sich aber um Beziehungen zwischen europäischen Völkern handelt, sind die Ausdrücke "überlegen" und "unterlegen" keinesfalls im absoluten Wortsinne zu nehmen. In dieser Hinsicht besteht die Möglichkeit, das rassische Moment zur Geltung zu bringen, mit dem Ziel, die in jedem imperialen Raum enthaltene Substanz so weit wie möglich anzugleichen, so daß die Gliederung mehr auf verschieden intensiver Stufung denn auf tatsächlichen Qualitätsunterschieden beruht. Um dieses Problem gründlich anzugehen, muß man seine Untrennbarkeit von dem der innerrassischen Auslese erkennen, Hier sei nur folgendes hervorgehoben. Wer heute von Rasse spricht, indem er damit mehr oder weniger ausdrücklich den gemeinsamen, in einer bestimmten Nation vorherrschenden Typ meint (und dies ist der Fall überall, wo Ausdrücke wie "deutsche" oder "italienische" oder "slawische" Rasse usw. gebraucht werden), der kann sich nicht auf primäre rassische Elemente im reinen Zustand beziehen, sondern auf völkische, mehr oder weniger beständige Zusammensetzungen. In diesen Zusammensetzungen sind in verschiedener Verteilung mehrere Rassen gegeben, und es wäre schwer, ein europäisches Volk zu nennen, in dem bis zu einem gewissen Grade eine der europäischen, von der wissenschaftlichen Rassenkunde unterschiedenen Hauptrassen nicht vertreten wäre. Die Forderung, daß in der Bestimmung der imperialen Räume auch das rassische Moment berücksichtigt werde, sollte daher richtig verstanden werden. Maßgebend ist dieser Beziehung kann nicht der faktische Prozentsatz sein, in dem eine bestimmte Rasse in einem bestimmten Volk vorhanden ist, sondern die Feststellung der Rasse, die in diesem Volke die führende Rolle spielt oder zu spielen hat und die dem Ganzen seine Prägung gibt. Man befindet sich damit in einer Welt der Potenzialitäten, der dynamischen Verhältnisse, der geistigen Einflüsse.

Die grundlegende Bedingung für eine wirklich organische Gestaltung der imperialen Räume wird jedenfalls in der besonderen Hervorhebung und führenden Funktion jener rassischen und geistigen Elemente liegen, die innerhalb der in den einzelnen Großraum einbezogenen Völker denjenigen artverwandt sind, welche im höheren Grade in den eigentlichen imperialen Nationen vertreten sind. Sollen die beiden Pole der "Achse" auch die der beiden größeren europäischen Reichsgebilde sein, so müßte man diese Substanz, die sozusagen dazu bestimmt ist, auf Grund der Artverwandtschaft als Bindemittel zu dienen, auf das römisch-arische und andererseits auf das nordisch-germanische Element beziehen, wobei die beiden Elemente wiederum als Differenzierungen eines gemeinsamen ursprünglichen Stammes anzusehen sind. Die Bedeutung und den spezifischen Inhalt dieser beiden Ausdrücke haben wir schon andernorts betrachtet. Hier sei nur erwähnt, daß wir nunmehr jeden weiteren Gebrauch von seinerzeit sehr beliebten Ausdrücken wie "lateinische Völker", "lateinische Brüderschaft" und Verwandtes ablehnen – Mussolini selbst hat in diesem Zusammenhang von "bastardischen Brüderschaften" gesprochen, und es ist bezeichnend, daß durch offizielle Verordnung in Italien veranlaßt wurde, in gewissen Texten für die Jugend den Ausdruck "lateinisch" durch "römisch" zu ersetzen. In der Tat ist "lateinisch" ein verdächtiger Ausdruck, der, wenn er etwas bedeutet, sich auf eine Tünche bezieht, die eine vermischte, durch Vorgänge des geistigen und politischen Verfalls geschwächte und unterminierte rassische Substanz überdeckt. Die wirklich kulturschaffende Kraft unserer Ursprünge ist nicht "lateinisch", sondern einfach römisch bzw. arischrömisch: so wie diese Kraft für die Völker des nördlichen Kulturkreises einfach nordisch bzw. nordisch-germanisch ist. Dies mindestens, soweit die Aspekte der Kultur in Frage kommen, die uns allein interessieren und die wir allein als feste Grundlage für den europäischen Wiederaufbau und die neue Ordnung betrachten können.

Nun hätten wir die latenten Anlagen der verschiedenen europäischen Völker in bezug auf ihre mögliche Anlehnung an den einen oder den anderen der beiden schon erwähnten Pole zu betrachten. Eine solche Prüfung bei dem heutigen, noch dynamischen und stürmischen Stand der Dinge wäre jedoch voreilig. Viele Entwicklungen sind noch in vollem Gange. Man kann von einer Feuerprobe der Berufungen wie auch der verschiedenen staatlichen Gebilde sprechen, die noch nicht abgeschlossen ist. Es scheint, als ob das Schicksal gewollt hätte, daß die europäische Erneuerung nicht von innen heraus, sondern dank der von der Gewalt der Dinge und der Waffen verursachten Risse und Brüche und im Prozeß einer tragischen Umwälzung erfolge, so daß wir erst in Zukunft sehen werden, ob tiefliegende Mächte tatsächlich an die Stelle der oberflächenhaften getreten sind und welches in jedem einzelnen Fall diese Mächte sind. Dieses gewaltige Geschehen wird nur dann einen wirklich positiven Ausgang haben, wenn in der einen oder anderen Weise sich jene Mächte etwas von der gestaltenden Kraft bewahren, die schon die mittelalterliche Gemeinschaft der arischen Nationen ins Leben rief. Dies gilt für alle modernen abendländischen Völker, diejenigen nicht ausgeschlossen, die das römisch-germanische Mittelalter nicht erlebten, bei denen etwa die slawische Komponente vorbeherrschend ist und die im Zeichen des griechisch-orthodoxen Glaubens stehen oder standen. In der Tat wohnt diesem Glauben, einigen seiner Anschauungen nach, die Möglichkeit inne, leichter als in andern abendländischen Konfessionen gewisse Zwiespälte zwischen Geistigkeit und Politik zu überwinden. Die Wiederaufnahme des ökumenischen Gedankens dieses Glaubens bietet die Grundlage für ein organisches Ideal nationalen Lebens als Einheit von Sippe und Religion, der Lebendigen, der Toten und des Gottes-Gesetzes – ein Ideal, das in vieler Hinsicht mit dem übereinstimmt, das auch die geistige Vorhut unserer Revolutionen erstrebt und das sogar viele Züge mit der Tradition des dritten Volkes des Dreimächtepaktes – Japans – gemeinsam hat. Abgesehen von Rumänien, das nunmehr in unserer Front steht, könnten also auch slawische und griechisch-orthodoxe Völker organisch in die künftigen imperialen Räume der Achse einbezogen werden. Die Bedingung dafür wäre sogar die Rückkehr zum innersten Kern ihrer eigenen Traditionen, die Ablehnung der slawischen Maske des bolschewistischen Wahnsinnes oder der heuchlerischen, äußerlich demokratisch bestimmten, aber innerlich rein imperialistischen Ideologie, mit der unsere Gegner so viele Nationen betrogen haben. Im neuen hierarchischen, germanischen und römischen Europa-Gedanken würden auch diese Völker den wahren Schwerpunkt ihrer besseren Bestrebungen sowie die Grundlage für eine geordnete und harmonische Entwicklung ihrer Möglichkeiten finden – im Zeichen und im Schutze einer höheren Kultur, die es versteht, Sie zu achten und zu schützen.

(Veröffentlichung in: Europäische Revue, 1942, S. 69-75)

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Gralsmysterium und Kaisergedanke

In der einen oder anderen Form kehrt in allen großen Traditionen des Altertums, und insbesondere in den indogermanischen, die Vorstellung eines mächtigen Weltherrschers immer wieder, eines unsichtbaren, jedes sichtbare Königtum überragenden Reiches; eines Ortes, der im höheren Sinne die Bedeutung eines Pols, einer Achse, eines unwandelbaren Mittelpunktes hat, und der als festes Land in der Mitte des Lebensozeans, als heilige, unantastbare Gegend, als Lichtland oder "Sonnenland" verbildlicht wird. Metaphysische Bedeutungsinhalte, Symbole und dunkle Erinnerungen verspinnen sich dabei zu einem einzigen Gewebe. Der Gedanke des olympischen Königtums und des himmlischen Auftrages ragt empor. Der traditionsgebundene Grundsatz lautet: "Wer kraft der (himmlischen) Tugend herrscht, gleicht dem Polarstern. Unveränderlich weilt er an seinem Orte, während alles andere um ihn herum kreist" (Kong-Tze). Der Gedanke des als cakravartî aufgefaßten Weltkönigs ragt rauf: der cakravartî, König der Könige, dreht unbeweglich das Rad des Reiches. Unsichtbar wie jene des Windes, zeigt seine Handlung die Schicksalhaftigkeit der Naturkräfte. In tausend Formen und in engster Verbindung mit der Vorstellung eines nordisch-hyperboräischen Landes bricht die Symbolik und Analogik des Sitzes der Mitte, des Sitzes der Beständigkeit durch: die Insel, die Berghöhe, die Sonnenburg, das bewahrte Land, die weiße Insel, bzw. die Insel des Glanzes, der Heldenhof. "Weder zu Land noch zu Wasser ist das heilige Land erreichbar", so berichtet die hellenische Überlieferung. "Nur der Flug des Geistes führt dorthin", raunt die fernöstliche Tradition. Andere Texte sprechen vom geheimnisvollen magnetischen Berg, in welchen die zur geistigen Erleuchtung Gelangten entrückt werden. Weitere Schriften erzählen wiederum vom Sonnenland, aus dem symbolische Gestalten hervorgehen, welche die Königswürde inmitten herrenloser Rassen zu übernehmen haben. Dies ist auch die Insel von Avallon d.h. die Insel Apollons, des von den Kelten Aballun genannten Sonnengottes. Von sagenhaften, göttlichen Rassen wie die Tuatha dé Danann, die aus Avallon kamen, wurde ebenfalls gesagt, sie stammten aus dem "Himmel". Die Tuatha nahmen aus dem Avallon gewisse mystische Gegenstände mit: einen Stein, der die legitimen Könige bezeichnet, eine Lanze, ein Schwert, ein Gefäß, das "unerschöpfliche Speise spendet", d.h. die ewig dauernde Nahrung, die "Gabe des Lebens". Es sind die Gegenstände der späteren Gralssage.

Von den Höhen der Urzeit steigt dieses Gedankengut bis ins Mittelalter hinab und nimmt in dieser Periode eigentümliche Erscheinungsformen an. Diese sind, unter anderen, die Vorstellungen vom Reiche des Priesterkönigs Johannes und des Königs Arthur. "Priesterkönig Johannes" ist nicht ein Name, sondern ein Titel. Es wird von einer Dynastie der "Priesterkönige Johannes" gesprochen, als von derjenigen, welche wie das Davidsgeschlecht, die königliche und zugleich die geistige Würde verkörpert. Das Reich Johannes bekommt oft die Züge des "ursprünglichen Ortes" – des "irdischen Paradieses". Dort wächst der Baum: ein Baum, der in den Varianten der Sage manchmal als Lebensbaum, manchmal aber auch als Baum des Sieges und der Weltherrschaft zur Geltung kommt. Dort ist auch der Stein des Lichtes zu finden: ein Stein, der das kaiserliche Tier, den Adler, wieder auferstehen läßt. Johannes hält das Volk von Gog und Magog – die Elementarmächte, die Dämonie des Kollektivismus – in seinem Bann. Die Legenden berichten über symbolische Fahrten, welche die größten Herrscher der Weltgeschichte bis zum Lande Priesterkönigs Johannes oder zu gleichbedeutenden Ländern gemacht hätten, um dort eine Art übernatürlicher Weihe für ihr Amt und ihre Macht zu suchen. Johannes seinerseits hätte Kaisern, wie beispielsweise Friedrich, symbolische Gaben gesandt, welche die Bedeutung eines himmlischen Auftrages enthalten. Einer der Helden, die in das Reich Johannes gelangen, ist Ogier der Däne. Von der Ogiersage wird jedoch das Reich Johannes mit Avallon, d. h. mit der hyperboräischen Insel, dem urnordischen Sonnenland, der arischen weißen Insel, gleichgestellt.

Nach Avallon zieht sich König Arthur zurück. Eine Tragik, die von den Texten in verschiedener Weise geschildert wird, zwingt ihn, dort Zuflucht zu suchen. Arthurs Rückzug hat nur die Bedeutung des Latentwerdens eines Prinzips. Arthur ist nach der Sage nie gestorben. Er lebt immer noch – in "Avallon". er wird sich wieder offenbaren. In der Gestalt des Königs Arthur ist nur eine neue Erscheinungsform des "polaren Herrschers", des Weltkönigsgedankens, zu erblicken. Das Geschichtliche wird hier durch das Übergeschichtliche mitgerissen und durchgestaltet. Schon die alte Etymologie führt den Namen "Arthur" auf arthos, d. i. Bär, zurück, was uns wiederum durch die astronomische Symbolik des Polargestirns auf den "Mittelpunktgedanken" zurückweist. Die Symbolik der Tafelrunde, von deren Rittertum Arthur das höchste Haupt ist, ist eine solare und eine "polare". Man berichtet, daß die Arthusburg wie Mitgard, der lichte Wohnsitz der nordischen Asen, "in die Mitte der Welt" eingebaut ist (in medio mundi constructum). In einigen Texten wird diese Burg als sich drehend geschildert: sie dreht sich um sich selbst, wie in der "weißen Insel" (çveta-dîpa) der Indogermanen Indiens, im hyperboräischen Land, dessen Gott der sonnenhafte Vishnu ist, das Hakenkreuz sich dreht; wie die keltischnordische "Glasinsel" – ein Ebenbild des Avallon – sich dreht. Die übernatürlichen Züge des arischen Weltkönigs verkörpern sich sozusagen in Myrddhin, bzw. Merlin, einem von Arthur unzertrennlichen Berater, der im Grunde kein anderes, von ihm verschiedenes Wesen, sondern etwa wie ein ergänzender Teil von ihm ist. Die Ritterschaft Arthurs wird den Gral suchen. Die Ritterschaft Arthurs, die ihre Mitglieder aus allen Ländern versammelt, hat das Losungswort: "Wer Führer ist, der soll uns Brücke sein". Nach der antiken Etymologie bezeichnete das Titelwort "Pontifex" (Brückenbauer) denjenigen, der die Verbindung zwischen den beiden Ufern, den beiden Welten, herstellt. Dazu kommen dunkle historische Erinnerungen und geographische Übermittlungen zeitlicher Bedeutungsgehalte. Das an der äußersten Grenze der "Welt" liegende Inselland, wovon in vielen Traditionen die Rede ist, weist in der Tat nur auf das Urzentrum in der Urferne der Zeit hin. Das Sonnenland ist für die Griechen Thule. Thule ist dem Airyanem-Waêjô gleichbedeutend, dem Land des äußersten Nordens der arischen Persier. Airyanem-Waêjô ist der "Same" der arischiranischen Urrasse, in welcher die Vorstellung des Königs der Könige, des Trägers des Gesetzes vom Lichtgott, wieder auftauchen wird. Airyanem-Waêjô kannte das Reich des sonnenhaften Yima, das goldene Zeitalter. Aber Hesiod erinnert sich: "als jenes Zeitalter (das goldene) zu Ende ging, bestanden jene göttlichen Menschen weiter und wurden in unsichtbarer Form die Wächter der Menschen." Dies, weil der "Sinn der Geschichte" Verfall ist: an Stelle des goldenen trat das silberne Zeitalter – das der "Mutter", nachher das bronzene Zeitalter – das der Titanen, zuletzt das eiserne "dunkle" Zeitalter: kali-yuga, Zeit des Wolfes, Götterdämmerung. Warum? Viele Mythen scheinen einen Zusammenhang zwischen "Absturz" und Hybris, d.h. prometheischer Usurpation, titanischem Aufstand, herstellen zu wollen. Abermals erinnert sich Hesiod: Zeus, das olympische Prinzip, erschafft ein Geschlecht von Helden, die mehr als Titanen sind und wieder ein götterähnliches Leben erringen können. Durch sie kann die sonnenhafte Urgeistigkeit, das goldene Zeitalter wiederhergestellt werden. Ein Symbol: der dorisch-arische Herakles, Verbündeter der Olympier, Feind der Titanen und Riesen.

Die Lehre vom höchsten Zentrum und den Weltzeitaltern seht mit der Lehre der zyklischen Gesetze und Manifestationen in engster Verbindung. Ohne diese Bezugnahme bleiben viele Mythen und Erinnerungen im Zustande ungegliederter und unverständlicher Bruchstücke. "Das geschah einmal – das wird wieder geschehen", lehrt die Tradition. Und auch: "Jedesmal, wenn der Geist untergeht und die Ruchlosigkeit emporsteigt, offenbare ich mich: zum Schutze der Gerechten, zur Vernichtung der Bösen, zur festen Wiederherstellung des Gesetzes nehme ich von Zeitalter zu Zeitalter einen Körper an." In allen Traditionen, in verschiedenen, mehr oder weniger vollendeten Formen ist immer die Lehre der zyklischen Erscheinung eines einzigen Prinzips zu finden, das in den dazwischenliegenden Zeiträumen in unoffenbartem Zustande weiterbeseht. Messiasglauben, jüngstes Gericht, Regnum usw. – dies alles sind nur fragmentarische, durch eine ungezügelte religiöse Einbildungskraft entstellte Wiedergaben dieser Erkenntnis, einer Erkenntnis, die jedoch auch jenen unklaren Vorstellungen zugrunde liegt, welche einen nie gestorbenen, in einen unzugänglichen Wohnsitz zurückgezogenen und sich eines Tages zur letzten Schlacht wieder offenbarenden Herrschers zum Gegenstand haben; einen "schlafenden" Kaiser, der erwachen wird; einen verwundeten Fürsten, der den erwartet, der ihn heilen und sein Reich zu neuer Blütezeit führen wird. Diese bekannten Motive aus der Kaisersage führen uns sehr weit in die Zeiten zurück. Die urarische Mythos des Kalki-Avatara verkörpert bereits dieselben Bedeutungen in sinnvollem Zusammenhang mit den anderen, schon angedeuteten Symbolen. Kalki-Avatara ist in Shambala – eine der Bezeichnungen des urnordischen Zentrums – "geboren". Die Lehre wird ihm von Parçurâma übermittelt, dem "nie gestorbenen" Träger der Tradition der göttlichen Helden, dem Vernichter der aufständischen, entheiligten Kriegerkaste. Kalki-Avatara kämpft gegen das "dunkle Zeitalter" und wesentlich mit dessen Dämonenführern Koka und Vikoka, welche sogar etymologisch Gog und Magog entsprechen, den unterirdischen, vom Priesterkönig Johannes beherrschten und sich im dunklen Zeitalter entfesselnden Kräften, gegen die auch der ghibellinische, erwachende Kaiser zu kämpfen haben wird.

Die Gralssage ist auf diese Gedankenwelt zurückzuführen und nur auf der Grundlage dieser traditionsgebundenen Lehren und dieser übertraditionellen Symbolik geschichtlich wie auch übergeschichtlich zu verstehen. Wer die Gralssage inhaltlich damit zu erschöpfen glaubt, daß er sie als eine nur christliche Legende, als ein "heidnischkeltisches Folklore" oder als die poetische Erdichtung eines sublimierten Rittertums definiert, wird nur das Äußerliche, das Unbedeutende und Unwesentliche von dieser Literatur empfangen. Ebenso irreführend wäre jeder Versuch, die Gralssage von einem besonderen "Volksgeist" abhängig machen zu wollen. Wir können ja erklären: Der Gral ist ein nordisches Mysterium. Dann soll man jedoch dabei unter "nordisch" etwas viel tieferes und Umfassenderes als nur Deutsch oder sogar Indogermanisch verstehen und sich auf die hyperboräische Tradition beziehen, die letzen Endes dasselbe wie die Urtradition selbst ist. Auf diese Tradition lassen sich in der Tat alle Hauptmotive des in Frage stehenden Zyklus zurückführen. Äußerst bedeutungsvoll ist in dieser Hinsicht schon die Angabe des "Perceval le Gallois", daß die Schriften über die Geschichte des Grals auf der Insel Avallon, auf der "das Arthusgrabmal liegt", gefunden wurden. Und nicht nur das: andere Texte nennen das Land, in das Joseph von Arimathia ursprünglich den Gral verbracht hätte, oder in dem gewisse geheimnisvolle Vorfahren Josephs wohnten, die "weiße Insel", isle blanche und Insel Avallon, Insula Avallonis. Es ist wieder die Bezeichnung des nordischen Urzentrums. Wurde England als eine Art "Land der Verheißung" des Grals und als Gegend geschildert, in welcher sich die Gralsabenteuer hauptsächlich abspielen, so führt schon vieles zu der Annahme, daß es sich dabei im wesentlichen um ein symbolisches Land handelt. England wurde auch "Albion" und "weiße Insel" genannt, Albania ein Teil von ihm, Avallon die Örtlichkeit Glastonbury. Die alte keltisch-britische Mythologie scheint nämlich auf England oder auf einen Teil Englands gewisse Erinnerungen und Bedeutungsgehalte übertragen zu haben, die sich wesentlich auf das nordische Urzentrum, auf Thule, auf das Sonnenland beziehen. Das wahre "Land" des Grals ist dieses. So geschieht es, daß das Gralsreich mit dem symbolischen Reiche Arturs, dem verwüsteten Reich, "la terre gaste" und dem Königreich, dessen Herrscher verwundet, lethargisch oder verfallen ist, in beste Verbindung tritt. Eine Felseninsel, eine Glasinsel, die drehende Insel, "the Isle of the Tournance", ein von Gewässern umgebenes Land, ein unzugänglicher Ort, eine Berghöhe, eine Sonnenburg, ein wilder Berg und ein Berg des Heils ("Montsalvatsche" und Mons Salvationis), ein unsichtbares, unnahbares, nur von den Gerufenen, und sogar von diesen nur unter Lebensgefahr erreichbares Schloß usw.: dies sind die Hauptbühnen aller Abenteuer der Gralshelden; sie sind nichts anderes, als ebenso viele Erscheinungsformen des symbolischen Wohnsitzes des Weltkönigs. Die Erinnerung an das Urzentrum kehrt wieder: "Eden" wird von einem Text das Gralsland genannt. Der Lohengrinzyklus und die Sachsenchronik von Halberstadt berichten: "Arthur sitzt mit seinen Rittern im Gral, der damals das irdische Paradies – d. h. das Urland – war, und jetzt ein Ort der 'Sünde' geworden ist." Der Gral ist in der Ritterliteratur eigentlich ein übernatürlicher Gegenstand, welcher folgende Haupteigenschaften aufweist: Er "nährt" – (Geschenk des Lebens); er beleuchtet (geistige Erleuchtung); er macht unbesiegbar. Von seinen übrigen Aspekten sind hier vor allem zwei hervorzuheben: Erstens: Der Gral ist ein himmlischer Stein, welcher nicht nur, wie der von den Thustha aus Avallon mitgenommene Stein, die Könige ernennt, sondern auch die Herrscher bezeichnet, die "Priesterkönig Johannes" zu werden haben (Titurel). Zweitens: Der Gral ist der Stein, der aus der Krone Luzifers im Augenblick seiner Niederlage sprang (Wartburgkrieg). Als solcher symbolisiert der Gral eine Macht, die Luzifer im Fall verloren hat, und er bewahrt auch in den übrigen Texten die Züge eines mysterium tremendum. Wie eine furchtbare Macht tötet, zerschmettert oder blendet der Gral den Ritter, der sich ihm zu sehr nähert, ohne gerufen oder dessen würdig zu sein. Dieser Aspekt des Grals steht mit der sogenannten Probe des "gefahrvollen Sitzes" in Verbindung. An der Tafelrunde Arthurs fehlt nunmehr jemand. Ein Platz ist leer, der letzten Endes dem höchsten Haupte des Ordens zukommt. Wer ihn besetzt, ohne der erwartete Held zu sein, wird vom Blitz erschlagen oder von der Erde verschlungen. Der Gral ist nur durch Kampf zu erreichen, "er muoz erstriten werden" sagt Wolfram von Eschenbach.

Das Mysterium des Grals gliedert sich in zwei Motive: Das eine bezieht sich auf ein symbolisches, als Ebnenbild des höchsten Zentrums erscheinendes Reich, das wiederherzustellen ist. Der Gral ist in ihm nicht mehr anwesend oder hat seine Tugend verloren. Der Gralskönig ist siech, verwundet, vergreist oder von einem bösen Zauber befangen, der ihn scheinbar noch am Leben hält, während er schon seit Jahrhunderten tot ist (von dem Turlin).

Das andere Motiv besteht im Vorhandensein eines Helden, der, indem er den Gral erkämpfen kann, sich zu solcher Wiederherstellung verpflichtet fühlen soll; andernfalls verfehlt er seine Aufgabe und seine Heldenkraft wird verflucht (Wolfram). Er soll ein zerbrochenes Schwert wieder zusammenschmieden können. Er soll der "Rächer" sein. Er soll "die Frage stellen". Um welche Aufgabe handelt es sich dabei? Es scheint dieselbe zu sein, die Hesiod den Heroen zugewiesen hat: jenem Geschlechte, welches in den Zeitaltern des Verfalls geboren, das Urzeitalter wiederzustellen hat. Wie der hesiodische Held das Titanische überwinden und bezwingen soll, so soll der Gralsheld die luziferische Gefahr überwinden. Es genügt nicht, daß sich der Gralsritter in allerlei natürlichen und übernatürlichen Abenteuern als ein "stählernes Herz" und der "beste und tapferste Ritter der Welt" erweist: Er soll außerdem "frei von Stolz" sein und "Weisheit" erlangen (Wolfram, Gautier). Hat Luzifer den Gral verloren, so führen einige Texte (Grand St. Graal, Gilbert de Mostreuil, Morte Darthur) ohne weiteres auf Luzifer die dämonische Kraft zurück, die in verschiedenen Prüfungen gegen die Gralsritter wirkt. Und nicht nur das, sondern jeweils ist der Gralskönig machtlos durch das Leiden an einer brennenden, vergifteten Wunde, die er sich im Dienste der Orgelluse zugezogen hat, wobei ohne weiteres ersichtlich ist, daß Orgelluse nichts anderes als eine weibliche Personifikation des Prinzips des Stolzes, auf französisch orgueil, ist. Doch im Schloß derselben Orgelluse werden andere Gralsritter, wie zum Beispiel Gawain, auf die höchste Probe gestellt. Sie unterliegen aber nicht. Sie siegen. Sie ehelichen bzw. "besitzen" Orgelluse. Der Sinn dieser Prüfungen ist, eine reine Kraft, eine geistige Männlichkeit zu verwirklichen, die heldische Eigenschaft auf eine olympische, königliche, sonnenhafte Ebene, auf eine von jeder Macht des Chaos losgelöste Ebene zu erheben. "Das irdische Rittertum soll ein himmlisches werden", steht in "Queste du Graal" nachzulesen. Nur unter dieser Bedingung ist der Weg zur Gralsburg erschlossen und kann man auf dem "gefahrvollen Sitz" ausharren, ohne zerschmettert zu werden, wie die Titanen vom Blitz des olympischen Gottes zerschmettert wurden.

Als eigentümliches Hauptmotiv des ganzen Gralszyklus ist jedoch, wie schon gesagt, das folgende zu betrachten: dem Helden, der so weit in solcher Vollendung eines nicht-irdischen Rittertums gegangen ist, legt sich eine weitere, entscheidende Aufgabe auf: wird er einmal in die Gralsburg gelassen, so soll er die Tragik des verwundeten, gelähmten oder nur scheinbar lebenden Gralskönigs mitempfinden und die Initiative zur absoluten Wiederherstellungstat ergreifen. Dies wird von den Texten mehrfach rätselhaft zum Ausdruck gebracht: der Gralsheld soll z. B. "die Frage stellen". Welche Frage? Hier scheinen die Autoren schweigen zu wollen. Man hat den Eindruck, als ob in diesem Punkte den Verfasser etwas am Sprechen hindert, und daß eine banale Erklärung zur Verschleierung der wahren Antwort gegeben wird. Verfolgt man jedoch die innere Logik der gesamten Erzählungen, dann leuchtet beinahe eindeutig ein, worum es sich tatsächlich handelt: Die zustellende Frage ist die Reichsfrage; es handelt sich nicht darum, zu wissen, was gewisse Gegenstände in der Gralsburg bedeuten, sondern es handelt sich darum, die Tragik des Verfalls zu empfinden und, nachdem man einmal diese Vollendung, die die Vision des Grals bedeutet, erreicht hat, die Frage der Wiederherstellung anzuschneiden. Nur auf dieser Grundlage erklärt sich das Ganze, und die wundertätige Tugend dieser rätselhaften Frage wird verständlich: weil der Held, der nicht gleichgültig ist und die Frage stellt, mit dieser Frage das Reich erlöst. Wer nur scheinbar lebendig war, verschwindet; wer verwundet war, wird geheilt. Jedenfalls tritt der Held als neuer, wahrer Gralskönig an den Platz des vorhergegangenen. Ein neuer Zyklus beginnt.

Nach einigen Texten tritt der tote Ritter, der den Helden an seine Rache und Aufgabe zu erinnern scheint, in einer von Schwänen gezogenen Barke auf. Der Schwan ist das Tier Apollons im Lande der Hyperboräer, im nordischen Urland. Von Schwänden gezogen fahren die Gralsritter aus dem höchsten Zentrum, wo Arthur herrscht: aus Avallon. In anderen Texten wird der Gralsheld der "Ritter der beiden Schwerter" genannt. In der theologisch-politischen Literatur jener Zeit, vor allem in der ghibellinischen, bedeuteten aber die beiden Schwerter nichts anderes als die doppelte Macht, die doppelte Herrschaft: die zeitliche und die übernatürliche. Ein klassischer Text spricht vom hyperboräischen Lande als von dem, aus welchem Geschlechter wie das der Herakliden stammen, welche zugleich die königliche und priesterliche Würde trugen.

Das unzugängliche und unantastbare Gralsreich ist auch in jener Form eine Wirklichkeit, derzufolge es an keinen Ort, an keine sichtbare Organisation und an kein irdisches Königreich gebunden ist. Es ist eine Heimat, der man – nach einer anderen als der physischen Geburt – im Sinne einer geistigen Würde zugehört. Dieses Reich vereinigt in unzerreißbarer Kette Männer, die in der ganzen Welt, im Raum, in der Zeit, in den Völkern zerstreut sein können, und zwar so weit, daß sie vereinzelt erscheinen, und der eine nicht vom anderen zu wissen braucht. In diesem Sinne ist das Reich des Grals, wie das Arthurs und Johannes, wie Thule, wie Mitgard und Avallon immer da. Es ist wegen seiner "polaren" Natur unbeweglich. Es ist der Strömung der Geschichte nicht jeweils näher oder ferner. Vielmehr sind es die Strömungen der Geschichte, die Menschen und ihre Reiche, die sich ihm mehr oder wenig anzunähern vermögen. Nun schien zu einer gewissen Zeit das ghibellinische Mittelalter in hohem Maße eine solche Annäherung aufzuweisen und sozusagen den geschichtlich-geistigen Stoff zu bieten, vermittels dessen das Gralsreich nicht nur okkult, sondern auch sichtbar und, wie in den Urüberlieferungen, zu einer innerlichen, zugleich aber auch äußerlichen Wirklichkeit würde. Auf diesem Wege läßt sich vertreten, daß der Gral die Krönung des mittelalterlichen Kaisermythos und das höchste Glaubensbekenntnis des Ghibellinentums bildete. Ein solches Bekenntnis ist wirklich eher in der Sage, als im Leben und dem klaren, politischen Willen jener Zeit zu suchen. Desgleichen drückt sich, was sich am tiefsten und gefährlichsten im Einzelnen bewegt, weniger durch die Formenbildung des reflektierenden Bewußtseins aus, als vielmehr durch die Symbolik des Traumes und der unterbewußten Ursprünglichkeit. Das Mittelalter harrte des Gralshelden, auf daß der "dürre" Baum des Reiches wieder erblühte, jede Zerrissenheit, jede Usurpation, jeder Gegensatz zerstört würde und tatsächlich eine sonnenhafte Ordnung herrsche. Das Gralsreich, das zu neuem Glanze geführt werden sollte, ist selbst das Heilige Römische Reich deutscher Nation. Der Gralsheld der zum "Beherrscher aller Geschöpfe" und derjenige geworden wäre, welchem die "höchste Macht" überreicht wird, wäre der geschichtliche Kaiser, "Fredericus", wenn er der Verwirklichende des Gralsmysteriums bzw. des hyperboräischen Mysteriums gewesen wäre. Geschichte und Übergeschichte schienen also in einem Augenblick zusammenzutreffen: Es ergab sich eine Periode der metaphysischen Spannung, eine Gipfelung und höchste Hoffnung – nachher wieder Zusammenbruch und Zerstreuung. Die ganze Gralsliteratur scheint sich in einem kurzen Zeitraum zusammenzudrängen: kein Text scheint vor dem letzen Viertel des zwölften Jahrhunderts und nach dem ersten Viertel des dreizehnten Jahrhunderts geschrieben worden zu sein. Am Ende des ersten Viertels des dreizehnten Jahrhunderts hört man plötzlich auf – etwa, wie einem Losungswort gehorchend vom Gral zu sprechen. Erst nach vielen Jahren und in schon verschiedener Stimmung schreibt man wieder über den Gral. Das sieht aus, als ob in einem bestimmten Augenblick eine unterirdische Strömung aufgetaucht wäre, sich aber unmittelbar darauf wieder ins Unsichtbare zurückgezogen hätte (Weston). Die Zeit dieses Untertauches der Gralstradition entspricht ungefähr dem Vorabend der Tragödie der Templer. Vielleicht liegt dort der Ausgangspunkt zum Zusammenbruch. Bei Wolfram wurde die Gralsritter "Templeise" bzw. Templer genannt, obwohl bei ihm kein Tempel in Frage kommt. In gewissen Texten tragen die Ritter-Mönche der geheimnisvollen "Insel" dasselbe Zeichen der Templer: Rotes Kreuz auf weißem Gewand. In anderen Texten nehmen die Gralsabenteuer eine Götterdämmerungswendung an: Der Gralsheld vollbringt wohl die "Rache" und stellt das Reich wieder her. Eine himmlische Stimme verkündet jedoch, er solle sich mit dem Gral auf ein geheimnisvolles Eiland zurückziehen. Das Schiff, das ihn abholt, ist das Templerschiff: es trägt weise Segel mit rotem Kreuz. Geheimbünde scheinen, wie auseinanderlaufendes Geäder, die alten Symbole und Überlieferungen des Gralszyklus nach dem Zusammenbruch der kaiserlichen Kultur aufbewahrt zu haben: ghibellinische "Getreue der Liebe", spätere Minnesänger, Hermetisten. Man gelangt damit bis zur Rosenkreuzerbewegung. Bei den Rosenkreuzern taucht derselbe Mythos wieder auf: die Sonnenburg, der Imperator als "Herrscher des vierten Reiches" und Zerstörer jeder geistigen Usurpation; eine unsichtbare Bruderschaft von transzendenten, ausschließlich durch ihre Absicht und ihr Wesen geeinten Persönlichkeit; zuletzt das sonderbare Geheimnis der Auferstehung des Königs, ein Geheimnis, das sich in die Feststellung verwandelt, daß der König schon lebe und wache. Wer diesem Mysterium beiwohnt, trägt die Templerfahne: eine weiße Fahne mit rotem Kreuz. Auch das Gralstier, die Taube, ist dabei. Ein Losungswort scheint jedoch auch hier gegeben zu sein. In einem bestimmten Augenblick hört man überall plötzlich auf, über die Rosenkreuzer zu reden. Nach der Tradition sollen die letzen echten Rosenkreuzer zu der Zeit, in welcher Absolutismus, Rationalismus, Individualismus und Aufklärung bereits im Begriff waren, der französischen Revolution die Wege zu ebnen, das Abendland verlassen und sich nach "Indien" zurückgezogen haben(1).

Indien ist hier ein Symbol. Es bedeutet die Stätte des Priesterkönigs Johannes, des arischen Weltkönigs. Es ist Avallon. Es ist Thule. Nach einem Text sind dunkle Zeiten über Salvatierra gekommen, wo die Monsalvatritter sich befinden. Der Gral darf dort nicht länger bleiben. Er wird nach "Indien" verbracht, nach dem Reiche des Königs Johannes, welches "bei dem Paradiese" liegt. Sind die Gralsritter dort einmal gelandet, so erscheint plötzlich und wundertätig dort auch der Monsalvat und seine Burg, weil "unter den sündigen Völkern nichts davon verbleiben soll". Parsifal selbst nimmt das Amt des "Priesters Johannes" an. Von Shambala, der mystischen "Stadt des Nordens", wohin die "nördlichen Wege" bzw. die "Wege der arischen Götter", deva-yâna, führen, wird von den tibetanischen Asketen gesagt: "Sie liegt in meinem Geist".

In jedem Ende liegt ein Anfang beschlossen. Heute löst sich eine Welt des Verfalls auf. Neue Kräfte tauchen aus den Tiefen auf. Entscheidende Kämpfe bereiten sich vor. Ursymbole werden heraufbeschworen. Unter dem Zeichen von Hakenkreuzen, Adlern, römisch-hyperboräischen Äxten marschieren neue Völker. Der Mythos des Reiches erlebt wieder einmal seine Auferstehung. Man spricht schon von einem neuen Staat, der Ordensstaat zu werden hat: von einem neuen Orden, der alle abendländischen, gegen die Dämonie des Kollektivums und die dunkle Flut der Dritten Internationale ringenden Kräfte zu vereinigen hat. Damit reifen vielleicht auch allmählich neue Zeiten: in welchen die Mythen unserer gemeinsamen ghibellinischen Größe, des unsichtbaren, unantastbaren Zentrums, des arischen Herrschers, der erwachen soll, des rächenden und wiederherstellenden Helden nicht mehr als Fabeln einer verschollenen romantischen Vergangenheit gelten, sondern sich als die Wahrheit und Wirklichkeit derer offenbaren werden, die man mit Recht als die allein Lebendigen betrachten kann.

(Veröffentlichung in: Geist der Zeit, 1939, S. 145-154)

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Europa und der organische Gedanke

Der Europagedanke gewinnt heute bei den meisten verantwortungsvollen Geistern unseres Kontinentes immer mehr Boden. Man ist sich jedoch selten über einen Punkt von grundlegender Bedeutung klar: Ob dieser Gedanke aus der Notwendigkeit stammt, sich zu verteidigen gegen den drohenden Druck außereuropäischer Mächte und Interessen, oder ob man höher zielt, ob man nach einer organischen Einheit strebt, die einen positiven Inhalt und ein eigenes Gesetz hat. Soll die europäische Einheit eine nur realpolitische Bedeutung oder soll sie vor allem eine geistige Basis haben? Die meisten föderalistischen Lösungen gehören der ersten Alternative an und können nur den zufälligen Charakter einer Vereinigung von Kräften haben, die – da sie jedes inneren Bandes entbehren – bei Veränderung der Umstände wieder auseinanderfallen. Die entgegengesetzte Lösung – die organische – ist aber mit schwer erfüllbaren Voraussetzungen verbunden.

Wir wollen sie hier in Kürze betrachten. Vor allem ist festzustellen, daß der Ausdruck "Nation Europa" zwar als Mythos eine Bedeutung haben kann, daß er aber von Standpunkt eines streng systematischen Denkens nicht einwandfrei ist. Der Nation-Begriff gehört im Wesen mehr der naturalistischen als der eigentlichen politischen Ebene an und setzt die nicht aufzuhebende Eigenart eines bestimmten Ethnos, einer Sprache, einer Geschichte voraus. All diese Eigenarten können und dürfen nicht zu einer einzigen gemischten Einheit Europa verschmolzen werden. Ebensowenig dürfen uns die mehr oder weniger standardisierten Züge der europäischen Lebensart täuschen. Diese Züge stehen eher mehr oder weniger im Zeichen der Zivilisation als in dem einer Kultur, sie sind nicht mehr so als europäisch denn als modern zu bezeichnen und sind nunmehr fast überall in der Welt zu finden. Die europäische Einheit kann nur von höherer Ordnung sein als jede, die den Nation-Begriff als solchen bestimmt. Sie kann nur die Form eines "aus Organismen bestehenden Organismus" haben; an ihrer Spitze und in ihrem Mittelpunkt sollte die geistige Wirklichkeit und die übergeordnete Hoheit des unum quod non est pars – um uns dieses Danteschen Ausdrucks zu bedienen – walten. Eine organische Einheit ist ohne ein Prinzip der Beständigkeit undenkbar. Es ist nun zu betrachten, wie diese Beständigkeit für die europäische Einheit gesichert werden kann. Es leuchtet ein, daß keine Beständigkeit in einem Ganzen gefunden werden kann, wenn sie nicht schon in den Teilen vorhanden ist. Die Vorbedingung zu europäischen Einheit ist daher das, was wir die organische Integration der einzelnen Nationen nennen möchten. Das europäische Gefüge würde jeder wahren Festigkeit entbehren, wenn es sich einerseits auf eine Art internationalen Parlaments stützte, wenn es andererseits politische Systeme umfassen würde, die, wie es bei dem demokratischrepräsentativen System der Fall ist, in keiner Weise die Kontinuierlichkeit der Richtung und der Führung gewähren können, weil sie dauernd und wechselnd von unten her bestimmt sind. Die historische Betrachtung bestätigt diesen Zusammenhang. Die Auflösung der europäischen mittelalterlichen Ökumene hat in dem Augenblick ihren Anfang genommen, in dem die Nationalstaaten – Frankreich als erster durch die Legisten Philipps des Schönen – die übergeordnete Autorität des Reiches aufkündigten und ein neues Recht behaupteten, jeder König sei "Kaiser" in seiner abgesplitterten und absolut gewordenen Nation. Es wurde aber mit Recht hervorgehoben, daß diese Usurpation eine andere nach sich gerufen hat durch eine Art historischer Nemesis: innerhalb der souveränen, vom Reich losgelösten Nationalstaaten erklärten sich ihrerseits die Einzelnen souverän, selbständig und "frei", sie kündigten jeden höheren Autoritätsgedanken auf und behaupteten das atomistische und individualistische Prinzip, das den "demokratischen" Systemen zugrunde liegt.

Der organische Wiederaufbau setzt daher einen doppelten Prozeß der Integration voraus: die nationale Integration durch Anerkennung eines Prinzips der überindividuellen Autorität als Basis für die organische und ständische Gestaltung der politischen und sozialen Kräfte innerhalb jeder einzelnen Nation; die übernationale Integration durch Anerkennung eines Autoritätsprinzips, das nicht weniger über die einzelnen völkischen Einheiten emporragen soll wie jenes über die Einzelglieder eines bestimmten Staates. Werden diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so bleibt man auf der Ebene des Gestaltlosen, des Zufälligen, des Labilen. Von einer Einheit im höheren, organischen Sinn kann dann kaum die Rede sein. Hier stößt man aber an den heikelsten Punkt der ganzen Problematik. Schon wegen ihrer übergeordneten Natur kann diese Autorität keinen rein politischen Charakter haben – was bereits jede Lösung im Sinne des Bonapartismus oder eines schlecht verstandenen Cäsarismus ausschließt. Was kann dann die wesentliche, innere Grundlage der neuen Ordnung sein? Eine solche Grundlage sollte differenziert sein, weil sie der europäischen Einheit ein Eigengesicht zu geben hat, weil sie die Gewähr bieten soll, daß es sich gerade um Europa – um die "Nation Europa" – als einen ganzheitlichen Organismus handelt, der sich von anderen, nichteuropäischen unterscheidet und ihnen gegenübersteht. Die Annahme, daß diese Grundlage rein kulturell sein könne, ist unseres Erachtens illusorisch, wenn Kultur im landläufigen, intellektualistischen und modernen Sinne verstanden wird. Darf man etwa heute von einer im europäischen Sinne eigengearteten Kultur reden? Es wäre gewagt, bejahend zu antworten, und der Grund dafür liegt in der Neutralisierung (wie Christoph Steding sich ausdrückte) der modernen Kultur. Diese Kultur hat sich von jeder politischen Idee selbständig gemacht, sie ist "privat" und zugleich kosmopolitisch in der Tendenz, sie ist richtungslos, antiarchitektonisch, subjektivistisch und selbst in ihren "positiven" und wissenschaftlichen Formen gesichtslos und eben neutralisiert. Nur im verkehrten Sinne des nivellierenden "Totalitarismus" wurde hier und da im Abendlande versucht, demgegenüber den Gedanken einer absoluten, politischkulturellen Einheit zu behaupten. Jedenfalls ist es als sicheres Zeichen eines frivolen und dilettantischen Denkens anzusehen, wenn man vorgibt, daß durch Verständigungen und Tagungen von mehr oder weniger geltungssüchtigen Intellektuellen und Literaten etwas für die wahre, männliche europäische Einheit gewonnen werden könne. Streng genommen sollte die Seele eines übernationalen Bundes religiös bestimmt sein, aber nicht abstrakt, sondern mit Anschluß an eine genaue, positive und normative geistige Autorität. Auch von den in Europa abgeschlossenen, tiefgreifenden Prozessen der Säkularisierung des allgemeinen Lebens abgesehen, gibt es heute auf unserem Kontinent keinen solchen Mittelpunkt. Der Katholizismus ist nur der Glaube einiger europäischer Nationen. Bereits in der nach napoleonischen Zeit, unter Verhältnissen ungleich günstiger als den heutigen, war die Heilige Allianz, durch die sich gerade der Gedanke der männlichen, traditionsgebundenen Einheit der europäischen Staaten kundgab, nur dem Namen nach heilig, ihr fehlte eine wirklich religiöse Weihe und eine übergeordnete universale Idee. Sollte nun nicht von Katholizismus, sondern nur vom Christentum gesprochen werden, so würde dies eine allzu unbestimmte und schwankende, nicht ausschließlich europäische und kaum für die europäische Kultur allein benutzbare Grundlage bedeuten. Darüber hinaus ist die Vereinbarkeit des reinen Christentums mit einer "Metaphysik des Reiches" fragwürdig; dies hat uns schon der mittelalterliche Streit zwischen den beiden Gewalten – wenn in seinen tieferen, von mir anderenorts gewürdigten Gründen verstanden – gezeigt.

Man spricht gerne von europäischer Tradition; dies ist aber leider kaum etwas mehr als eine Phrase. Schon seit langem weiß das Abendland nicht mehr, was Tradition im höheren, organischen und metaphysischen Sinne bedeutet; beinahe seit der Zeit der Renaissance sind abendländischer Geist und antitraditioneller Geist fast zum Synonym geworden. Tradition im integralen Sinne ist eine Kategorie, die einer nahezu verschollenen Zeit zugehört, jenen Epochen, wo eine einzige gestaltende, im Metaphysischen wurzelnde Kraft sich in den Sitten, dem Kult, im Rechtswesen, im Mythos, in der Kunst, in der Weltanschauung, also in jedem Sondergebiet der Existenz, zeigte. Niemand wird zu behaupten wagen, daß heute eine europäische Tradition in diesem, allein für unsere Frage ausschlaggebenden Sinn da sei. Man muß also von der unangenehmen Feststellung ausgehen, daß man sich heute in einer Welt der Trümmer befindet und daß man sich vorläufig mit Ersatzlösungen begnügen muß, indem man sich mindestens darum bemüht, nicht an Niveau zu verlieren, sich nicht von den Irrlehren des "Westens" und des "Ostens" ablenken zu lassen. Die föderalistisch-parlamentären und "sozialen" Auffassungen der europäischen Einheit abzulehnen, die organisatorisch-qualitative Idee im Rahmen eines hierarchischen und funktionellen Systems zu behaupten – dies wäre der erste positive Schritt! Dementsprechend sollte das Autoritätsprinzip in seinen den verschiedenen Gebieten und Ländern gemäßen Formen und Stufen anerkannt werden. Die übernationale europäische Einheit sollte vorläufig heroisch bestimmt sein, auch wenn es sich weder um Krieg noch um Abwehr handelt. Wenn zumindest in einigen Eliten ungebrochene Männer wieder eines Handelns und Denkens fähig sein werden, die von materiellen Banden, von der Beschränktheit partikularistischer Interessen und nationalistischer Hybris frei sind, dann wird ein Fluidum und eine Spannung ins Leben gerufen werden, die schöpferisch wirken können. Auch in anderen Zeiten ist es nämlich geschehen, daß sich hinter solchen elementaren Bedingungen ein neues Prinzip offenbart hat, durch das in unsichtbarer und mächtiger Weise einem großen politischen Organismus die höhere Weihe zuteil wurde, der übernationale Autoritätsgedanke eine Legitimation erhielt und eine neue Epoche begann. Dann würde wirklich aus den Trümmern nicht so sehr die Nation Europa als das Reich Europa entstehen und eine drohende Gefahr der endgültigen Zersetzung und Versklavung unserer Völker abwenden.

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Der sakrale Charakter des Königtums

Julius Evola. Der sakrale Charakter des Königtums

Jede große "traditionelle" Kulturform war durch das Vorhandensein von Wesen charakterisiert, die durch ihre "Göttlichkeit", d.h. durch eine angeborene oder erworbene Überlegenheit über die menschlichen und natürlichen Bedingungen, fähig erschienen, die lebendige und wirksame Gegenwart des metaphysischen Prinzips im Schoße der zeitlichen Ordnung zu vertreten. Von solcher Art war, dem tieferen Sinn seiner Etymologie und dem ursprünglichen Wert seiner Funktion nach, der Pontifex, der "Brücken-" oder "Wege-Bauer" zwischen dem Natürlichen und dem Übernatürlichen. Weiter identifizierte sich der Pontifex überlieferungsgemäß mit dem Rex, entsprechend dem herrschenden Begriff einer königlichen Göttlichkeit und eines priesterlichen Königtums [Vgl. Servius, Ad Aened., III 268: "Majorum haec consuetudo at rex esset etiam sacerdos et pontifex". Dasselbe läßt sich – wie bekannt – für die urnordischen Stämme sagen.]. Die "göttlichen" Könige verkörperten also im Dauerzustand jenes Leben, welches "jenseits des Lebens" ist. Durch ihr Vorhandensein, vermöge ihrer "pontifikalen" Vermittlung, durch die Kraft der ihrer Macht anvertrauten Riten und der Institutionen, deren Urheber oder Stützen sie waren, strahlten geistige Einflüsse auf die Welt der Menschen aus, die deren Gedanken, Absichten und Handlungen durchdrangen, die einen Schutzwall bildeten gegen die dunklen Kräfte der inferioren Natur; die dem gesamten Leben eine Ordnung gaben, welche es geeignet machte, als fruchtbare Basis für die Verwirklichungen von Höherem zu dienen; die infolgedessen die allgemeinen Voraussetzungen schufen für "Gedeihen", für "Wohlfahrt", für "Glück".

Die Grundlagen der Autorität von Königen und Herrschern, das, wofür sie verehrt, gefürchtet und verherrlicht wurden, war im antiken Weltbild im Wesentlichen diese ihre heilige und übermenschliche Eigenschaft, nicht als leere Redensart verstanden, sondern als Wirklichkeit. Wie man das Unsichtbare als vorausgehendes und höheres Prinzip gegenüber dem Sichtbaren und Zeitlichen empfand, dementsprechend erkannte man solchen Naturen unmittelbar den Vorrang über alle und das natürliche und absolute Herrscherrecht zu. Was allen traditionellen Kulturen fehlt und erst Sache eines darauffolgenden und schon absteigenden Zeitabschnittes wird, ist die laienhafte, weltliche, lediglich politische Idee des Königtums und deshalb auch die eines Vorrangs, der gegründet ist, sei es auf Gewalt und Ehrgeiz, sei es auf natürliche und weltliche Eigenschaften, wie Intelligenz, Stärke, Geschicklichkeit, Mut, Weisheit, Sorge für das materielle Allgemeinwohl und so weiter. Noch fremder ist der Überlieferung die Idee, daß die Macht dem König von denen übertragen werde, die er regiert; daß seine Gesetze und seine Autorität Ausdruck des Volksbewußtseins seien und dessen Billigung unterstellt. An der Wurzel jeder zeitlichen Macht fand sich vielmehr die geistige Autorität eines gleichsam "göttlichen Wesens in Menschengestalt" [Im Mânavadharmçastra (VII, 8) wird der König als "große Gottheit in Menschengestalt" bezeichnet. Der ägyptische König galt als Manifestation von Râ und von Horus. Die Könige von Alba und von Rom personifizierten Jupiter, die urnordischen Odin und Tiuz, die assyrischen Baal, die iranischen den Gott des Lichtes, und so fort. Die Idee einer göttlichen oder himmlischen – wie wir sehen werden, vor allem einer solaren – Abstammung ist allen vormodernen Königstraditionen gemein.]. Bâsileis ieroí: der König – mehr als ein Mensch, ein heiliges kosmisches Wesen – verfügt über die transzendente Kraft, die ihn von jedem Sterblichen distanziert, indem sie ihn befähigt, seinen Untertanen Gaben zu spenden, die außerhalb der menschlichen Reichweite liegen, und ihn imstande setzt, den überlieferungsgemäßen rituellen Handlungen zur Wirksamkeit zu verhelfen, auf die er, wie wir sagten, das Vorrecht besitzt und in denen man die Glieder des wahren "Regierens" und die übernatürlichen Stützen des gesamten traditionsgebundenen Lebens erkannte [Umgekehrt konnte der König in Griechenland und Rom nicht mehr König sein, wenn er sich des Priesteramtes als unwürdig erwies, um dessenwillen er rex sacrorum war. Erster und höchster Vollzieher der Riten für diejenige Wesenheit, deren gleichzeitiger Temporalfall er war.]. Deshalb herrschte das Königtum und wurde für natürlich gehalten. Materielle Macht hatte es nicht nötig. Es zwang sich zuerst und unwiderstehlich durch den Geist auf. "Herrlich ist die Würde eines Gottes auf Erden", steht in einem arischen Text, "aber für die Unzulänglichen schwer zu erlangen: würdig, König zu sein, ist lediglich der, dessen Sinn sich zu solcher Höhe erhebt."

In der Überlieferung entsprach der königlichen Göttlichkeit wesentlich das Sonnen-Symbol. Man erkannte dem König denselben "Ruhm" zu, der der Sonne und dem Lichte gehört – Symbolen der höheren Natur –, wenn sie allmorgendlich über die Finsternis triumphieren. "Als König steigt er des Horus (der Sonne) Thron der Lebenden empor, gleich seinem Vater Râ, jeglichen Tag"; "Ich habe bestimmt, daß du dich als König des Südens und des Nordens auf dem Throne des Horus erhebst, gleich der Sonne, ewiglich" –das sind Wendungen, die sich auf das altägyptische Königtum beziehen. Sie stimmen übrigens genau mit den iranischen überein, wo vom König gesagt wird, er sei "vom selben Geschlecht wie die Götter", er "hat denselben Thron wie Mithra, er steigt mit der Sonne empor", und wo er particeps siderum genannt wird, "Herr des Friedens, Heil der Menschen, ewiger Mensch, Sieger, der mit der Sonne emporsteigt".

Dieser solare "Ruhm" oder "Sieg", der also die Königsnatur und ihr Recht von oben bestimmte, beschränkte sich übrigens nicht auf ein bloßes Symbol, sondern identifizierte sich mit einer realen und schaffenden Kraft, als deren Träger der König als solcher angesehen wurde. Im alten Ägypten wurde der König auch "kämpfender Horus" – hor âhâ – genannt, um diesen Charakter des Siegs oder Ruhms des im König verkörperten solaren Prinzips zu bezeichnen: der König war in Ägypten nicht nur "göttlicher Herkunft", sondern wurde auch als solcher "eingesetzt" und dann periodisch durch Riten beglaubigt, die eben den Sieg des Sonnengottes Horus über Typhon-Seth, den Dämon des inferioren Bereiches, darstellten. Solchen Riten schrieb man übrigens die Macht zu, eine "Kraft" und ein "Leben" an sich zu ziehen, die auf übernatürlichem Wege die Fähigkeiten des Königs "umschlangen". Aber das Ideogramm uas, "Kraft", ist das Zepter, das die Götter und die Könige tragen, ein Ideogramm, das in den älteren Texten für ein anderes Zepter in Zackenform steht, in welchem man den Zickzack des Blitzes erkennt. Die königliche "Kraft" erscheint so als eine Manifestation der himmlischen Blitzeskraft; und die Vereinigung der Zeichen "Leben-Kraft", ânshûs, bildet ein Wort, das auch die "Flammenmilch" bezeichnet, von der sich die Unsterblichen nähren, seinerseits nicht ohne Beziehung zum uraeus, der göttlichen Flamme, die bald lebenserweckend, bald zerstörerisch wirkt und deren Symbol das Haupt des ägyptischen Königs umgibt. Die verschiedenen Elemente konvergieren also ausschließlich in der Idee einer "nicht irdischen" Macht (oder Fluidums) – sa – , die die sieghafte Sonnenatur des Königs weiht und beglaubigt und die von einem König zum anderen "schnellt" – sotpu – , die ununterbrochene "goldene" Kette des "Königsgeschlechts" bildend, das zum Regieren bestimmt ist [Einer der Namen der ägyptischen Könige ist "Horus aus Gold gemacht", wo das Gold das "solare" Fluidum bezeichnet, aus dem der "unverwesliche Leib" der Unsterblichen entsteht: gleichzusetzen der obengenannten "Flammenmilch" und der "Blitzeskraft", die beide sich ebenfalls an der Sonnenflamme stärken und sich auf den König beziehen. Nicht uninteressant ist der Hinweis, daß der Ruhm in der christlichen Überlieferung als Attribut Gottes figuriert – gloria in excelsis deo – und daß nach der mystischen Theologie in der "Glorie" sich die Vision der "Seligpreisung" erfüllt. Die christliche Ikonographie pflegt sie als Aureole um das Haupt der Heiligen zu breiten, die den Sinn den königlichen ägyptischen uraeus und der Strahlenkrone des iranisch-römischen Königtums wiedergibt.].

Nach der Überlieferung des Fernen Ostens hat der König, der "Sohn des Himmels" – t'ien – tze – , d.h., der nicht nach den Gesetzen der Sterblichen Geborene, den "himmlischen Auftrag" – t'ien – ming – , der gleichfalls die Idee einer übernatürlichen realen Kraft mit einbegreift. Die Art dieser Kraft "vom Himmel" ist nach der Bezeichnung des Lao-tze Tun – ohne – Tun (wei – wu – wei) oder immaterielle Tat durch Gegenwart. Sie ist unsichtbar wie der Wind und hat gleichwohl das Unwiderstehliche einer Naturgewalt: die Kräfte des gewöhnlichen Menschen – sagt Meng-tze – biegen sich darunter wie sich die Halme unter dem Wind biegen [Über die Art der "Tugend", deren Inhaber der König ist, vgl. Dschung-yung, XXXIII, 6, wo es heißt, daß die geheimen Aktionen des "Himmels" den äußersten Grad des Immateriellen erreichen – "sie haben weder Klang noch Geruch", sie sind zart "wie die leichteste Feder". Zum Tun – ohne – Tun vgl. ebd. XXVI, 5 – 6: "Es gleichen sich die im höchsten Grade vollkommenen Menschen durch die Weite und die Tiefe ihrer Tugend der Erde an; durch die Höhe und den Glanz derselben gleichen sie sich dem Himmel an; durch die Ausdehnung und die Dauer gleichen sie sich dem Raum und der Zeit an, die ohne Grenzen sind. Der, welcher in dieser herrlichen Vollkommenheit lebt, er zeigt sich nicht und dennoch offenbart er sich, wie die Erde, durch seine Wohltätigkeit; er bewegt sich nicht und dennoch bewirkt er, wie der Himmel, vielfachen Wandel; er handelt nicht und dennoch bringt er, wie Raum und Zeit, seine Werke zur letzten Vollendung". Weiter unten – XXXI, 1 – wird gesagt, daß nur ein solcher Mensch "würdig ist, die höchste Autorität zu besitzen und den Menschen zu befehlen."]. In dieser Kraft oder "Tugend" verankert, bildete der Herrscher im alten China tatsächlich das Zentrum einer jeden anderen Sache oder Energie. Man war überzeugt, daß von seinem Verhalten insgeheim nicht nur Glanz oder Elend seines Reiches abhing (es ist die "Tugend" – te' – des Herrschers, weniger sein Beispiel, wodurch das Betragen seines Volkes gut oder böse wird), sondern auch der geregelte und günstige Verlauf der Naturereignisse selbst. Seine Funktion als Mittelpunkt implizierte sein Verharren in jener innerlichen, "sieghaften" Seinsart, von der die Rede war und der hier der Sinn des bekannten Ausdrucks "Unveränderlichkeit in der Mitte" entsprechen mag. Aber wenn dem so ist, kann keine Macht gegen seine "Tugend" aufkommen, um den überlieferungsgemäß geordneten Verlauf der menschlichen und selbst der natürlichen Dinge zu stören. Bei jedem normalen Ereignis mußte also der Herrscher die letzte Ursache und die geheime Verantwortung dafür in sich selbst suchen.

Allgemeiner gesagt, die Idee von heiligen Eingriffen, durch die der Mensch mit seinen verborgenen Kräften die natürliche Ordnung aufrecht erhält und sozusagen das Leben der Natur erneuert, gehört einer frühesten Überlieferung an und interferiert sehr häufig mit der Königsidee selbst. Daß die erste und wesentlichste Funktion des Königs im Vollzug jener rituellen und sakrifikalen Handlungen besteht, die den Schwerpunkt des Lebens in der traditionsgebundenen Welt darstellten, ist jedenfalls eine Idee, die in allen regulären Formen der Überlieferung fortdauert, bis zu den griechischen Städten und bis auf Rom [Aristoteles (Pol. VI, 5, 11; vgl. III, 9) sagt: "Die Könige haben diese ihre Würde dadurch, daß sie Priester eines gemeinschaftlichen Kultes sind." Die wichtigste Handlung, die dem König von Sparta zukam, war die Darbringung von Opfern; und dasselbe ließe sich von den ersten römischen Königen sagen und dann auch von den Herrschern der Kaiserzeit.], indem sie die schon erwähnte Untrennbarkeit der königlichen Würde von den sakrifikalen und pontifikalen erzeugt. Der König, mit nichtirdischen Kräften versehen, ein göttliches Wesen, erschien auf natürlichem Wege als der, welcher unmittelbar fähig ist, die Macht der Riten zur Entfaltung zu bringen und die Wege zur höheren Welt zu erschließen. In jenen Formen der Überlieferung, in denen eine besondere Priesterkaste erscheint, gehört deshalb der König, wenn er seiner ursprünglichen Würde und Funktion entspricht, ihr an, und zwar als ihr Oberhaupt, pontifex maximus. Wenn wir, umgekehrt, bei gewissen Völkern den Brauch vorfinden, beim Eintritt eines Versagens das Oberhaupt abzusetzen oder zu beseitigen – denn dieses Versagen galt ihnen als ein Verfallszeichender mystischen Kraft des "Glücks", derentwegen man das Recht hatte, Oberhaupt zu sein – , so haben wir hier den Widerhall von etwas, das, wenn auch in Formen materialistischer Entartung, uns auf dieselbe Ideenfolge zurückführt. Und bei den nordischen Völkern, bis zur Zeit der Goten, wo das Prinzip der königlichen Göttlichkeit zwar unangetastet blieb (der König wurde hier Ases genannt, der Eigenname einer bestimmten skandinavischen Götterkategorie), galt als ein unglückliches Ereignis, wie z.B. eine Hungersnot, eine Seuche oder eine Mißernte, wenn auch nicht gerade als das Fehlen der an den König gebundenen mystischen Macht des "Glücks", so doch als der Effekt von etwas, das der König begangen haben mußte, und das die objektive Wirksamkeit seiner Macht unterband.

Man verlangte deshalb vom König, daß er die symbolische und solare Eigenschaft des invictus – sol invictus, élios aníketos – bewahre und damit den Zustand einer unerschütterlichen und übermenschlichen Zentralität aufrecht erhalte, die genau der Idee des Fernen Ostens von der "Unerschütterlichkeit in der Mitte" entspricht. Andernfalls ging die Kraft, und mit ihr die Funktion, auf denjenigen über, der bewies, daß er sie besser an sich zu ziehen verstand. Schon hier kann man auf einen der Fälle hinweisen, in denen die Vorstellung vom "Sieg" zum Knotenpunkt verschiedener Bedeutungen wird. Wer sie richtig versteht, für den ist in dieser Beziehung höchst bedeutungsvoll die Legende vom König der Wälder von Nemi, dessen Würde in einer Zeit des König – und Priestertums auf den überging, dem es gelungen wäre, ihn zu überraschen und zu "töten" – und bekannt ist auch Frazers Versuch, mannigfache Überlieferungen gleichen Typs, die es so ziemlich überall auf der Welt gibt, auf eben diese Legende zurückzuführen. Natürlich ist hier die "Probe" als körperlicher Kampf – sollte er auch in Wirklichkeit nie stattgefunden haben – nur die materialistische Reduktion von etwas, dem eine höhere Bedeutung innewohnt. Um den tieferen Sinn erfassen zu können, der sich in der Legende des Priester-Königs von Nemi verbirgt, muß man sich erinnern, daß nach der Überlieferung den Rex Nemorensis zu stellen nur ein "entflohener Sklave" berechtigt war (d.h. esoterisch verstanden, ein den Fesseln der inferioren Natur entflohenes Wesen), nachdem er zuvor in den Besitz eines Zweiges der heiligen Eiche gelangt ist. Aber die Eiche ist gleichwertig mit dem "Baum der Welt" vieler anderer Überlieferungen und ein ziemlich gebräuchliches Symbol, um die Urkraft des Lebens zu bezeichnen; womit ausgedrückt wird, daß nur ein Wesen, das an dieser Kraft teilhaben will, danach trachten kann, dem Rex Nemorensis die Würde zu entreißen. Was diese Würde anbelangt, ist daran zu erinnern, daß die Eiche und auch das Gehölz, dessen "rex" der Priester – König von Nemi war, in Beziehung zu Diana stand und daß Diana sogar die "Buhlerin" des Königs der Wälder war. Die großen asiatischen Göttinnen der Natur wurden in den alten Überlieferungen des orientalischen Mittelstandes oftmals durch heilige Bäume symbolisiert: worin wir, unter den Symbolen, die Idee von einem Königtum entdecken, das sich herleitet von der Vermählung oder Paarung mit dieser mystischen "Lebens"-Kraft – die auch die der transzendenten Weisheit und der Unsterblichkeit ist – , verkörpert sowohl in der Göttin als auch im Baum. So bekommt die Sage von Nemi die allgemeine Bedeutung, die wir in vielen anderen Mythen und Legenden der Überlieferung finden, nämlich die eines "Siegers" oder "Helden", der als solcher an Stelle des rex in den Besitz einer Frau oder Göttin gelangt, die in anderen Überlieferungen in der indirekten Bedeutung einer Hüterin von Früchten der Unsterblichkeit auftritt (die Frauengestalten in Beziehung zum symbolischen Baum in den Mythen von Herakles, Jason, Gilgamesch usw.) oder in der direkten Bedeutung einer Personifikation der geheimen Kräfte der Welt und des Lebens oder des übermenschlichen Wissens [Vgl. J. Evola, La tradizione ermetica, Bari 1931, S. 13 – 25. Einige alte Überlieferungen, in Bezug auf einen "weiblichen" Ursprung der Königsmacht, lassen sich zuweilen nach dieser Maßgabe auslegen. Ihre Bedeutung ist dann genau die entgegengesetzte von jener, die der "gynäkokratischen" Anschauung eignet, auf die wir vielleicht bei anderer Gelegenheit zurückkommen werden. – Über den Zusammenhang zwischen göttlichem Weib, Baum und sakralem Königtum vgl. auch die Wendungen im Zohar (III, 50b., III, 51a – auch II, 144b, 145a, mit Bezugnahme auf Moses als Gemahl der "Matrone"), wo es heißt, daß "der Weg, der zum großen Lebensbaum führt, die große Matrone ist" und daß "alle Macht des Königs in der Matrone wohnt", da die "Matrone" die "weibliche" und der Gottheit immanente Form ist; jene, der später bei den Gnostikern, als "heiligem Geist", oftmals wieder ein weibliches Sinnbild entspricht (die Jungfrau Sophia). In der japanischen Überlieferung , die bis heute unverändert fortbesteht, wird der Ursprung der Kaisermacht auf eine Sonnengöttin zurückgeführt – Amaterasu Omikami –, und der Kernpunkt der Zeremonie für den Aufstieg zur Macht – dajo sai – ist durch die Beziehung gegeben, die der König mit ihr durch die "Darreichung der neuen Speise" anknüpft. – Was den "Baum" anbelangt, ist der Hinweis nicht uninteressant, daß er auch in den mittelalterlichen Sagen in Beziehung zur Kaiseridee bleibt: der letzte Kaiser wird vor seinem Tode Zepter, Krone und Schwert am "dürren Baume" aufhängen, der sich gewöhnlich in der symbolischen Region des Presbyters Johannes befindet, genau wie der sterbende Roland sein unzerbrechliches Schwert am "Baume" aufhängt. Weitere Übereinstimmung: Frazer hat auf die Beziehung hingewiesen zwischen dem Zweig, den der entflohene Sklave von der heiligen Eiche der Nemi brechen muß, um mit dem König der Wälder kämpfen zu können, und dem Goldenen Zweig, der Aeneas erlaubt, als Lebender in die Unterwelt hinunterzusteigen, d.h. als Lebender in das Unsichtbare eingeweiht zu werden zu können. Nun wird aber eines der Geschenke, die Kaiser Friedrich II. von dem Presbyter empfängt, gerade ein Ring sein, der "unsichtbar" macht (d.h. in der Unsterblichkeit und ins Unsichtbare versetzt: in den griechischen Überlieferungen ist die Unsterblichkeit des Helden oft ein Synonym für ihren Übergang zum unsterblichen Leben) und der den "Sieg" verschafft: genau wie Siegfried in den Nibelungen durch die symbolische Tugend des Sich-unsichtbar-machens die "göttliche" Brunhild bezwingt und zum königlichen Hochzeitslager führt. ].

Reste von Überlieferungen, in denen die in der archaischen Sage vom König der Wälder enthaltenen Themen wiederkehren, bleiben übrigens bis zum Ende des Mittelalters, wenn nicht noch länger, erhalten und sind stets mit dem antiken Gedanken verknüpft, daß das rechtmäßige Königtum die Neigung hat, auch in spezifischer und konkreter, wir möchten sagen "experimenteller" Weise untrügliche Zeichen seiner übernatürlichen Natur zu bekunden. Ein einziges Beispiel: vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges verlangte Venedig von Philipp von Valois, daß er sein tatsächliches Recht, die Königskrone zu tragen, durch eines der folgenden Mittel beweise. Das erste, das der Sieg über seinen Widersacher ist, mit dem er auf dem Turnierplatz hätte kämpfen müssen, bringt uns in der Tat auf den Rex Nemorensis und auf die mystische Beglaubigung eines jeden "Sieges" zurück [Bei anderer Gelegenheit werden wir die Auffassung noch besser erhellen, die uns hier – wie, allgemeiner, in der "Waffenprobe" bestimmten mittelalterlichen Rittertums – eigentlich nur in grob materialistischer Form entgegentritt. Der Überlieferung nach war der Sieger nur insofern ein solcher, als sich in ihm eine übermenschliche Energie verkörperte; und eine übermenschliche Energie verkörperte sich in ihm, insofern er Sieger wurde: zwei Momente in einem einzigen Akte, das Zusammentreffen eines "Abstieges" mit einem "Aufstieg".]. Über die beiden anderen Mittel liest man in einem Texte der Zeit: "Wenn Philipp von Valois, wie er behauptet, wahrer König von Frankreich ist, soll er es dadurch zeigen, daß er sich hungrigen Löwen aussetzt, denn die Löwen verwunden nie einen wirklichen König; oder aber er vollbringe das Wunder der Heilung von Kranken, wie es die anderen wahren Könige zu vollbringen pflegen... Im Falle des Mißerfolges würde man ihn seiner Krone als unwürdig erachten."

Die übernatürliche Macht, die sich im Sieg oder in der thaumaturgischen Tugend offenbart, läßt sich also auch in Zeiten, welche wie die Philipp von Valois schon in die "moderne" Ära fallen, nicht trennen von der Idee, die man traditionsgemäß vom wahren und rechtmäßigen Königtum hatte [Die thaumaturgische Tugend wird von der Überlieferung auch den römischen Kaisern Hadrian und Vespasian bestätigt (Tacitus, Hist., IV, 81; Sueton, Vespas., VII). Bei den Karolingern finden wir Spuren einer Idee, derzufolge sich die soterische Kraft gleichsam materiell bis in die Königsgewänder auswirkt. Angefangen von Robert dem Frommen, über die Könige von Frankreich, und von Eduard dem Bekenner über jene von England, bis zum Zeitalter der Revolutionen, überträgt sich sodann auf dynastischem Wege die thaumaturgische Macht, die sich zunächst auf die Heilung aller Krankheiten erstreckt, sich später auf einige von ihnen beschränkt und sich in tausenden von Fällen erprobt hat, so sehr, daß sie nach einem Wort von Pierre Mathieu "als einziges Wunder von Dauer in der Religion der Christen" erscheint. Zu den geistigen Einflüssen, die sich in den Helden auswirkten, deren Kult man in Griechenland feierte, zählte man außer den prophetischen oft auch die soterische Tugend.]. Und sieht man auch ab von der tatsächlichen Angleichung der einzelnen Personen an sie, so bleibt doch die Idee bestehen, daß "das, was die Könige in solche Verehrung gebracht hat, hauptsächlich die göttlichen Tugenden und Kräfte gewesen sind, die nur in ihnen vorhanden waren und nicht auch in anderen Menschen". Joseph de Maistre schreibt: "Gott setzt die Könige buchstäblich ein. Er bereitet die Königsgeschlechter vor; er läßt sie in einer Wolke gedeihen, die ihren Ursprung verhüllt. Endlich treten sie hervor, mit Ruhm und Ehre gekrönt; sie setzen sich ein, und das ist das größte Zeichen ihrer Rechtmäßigkeit. Sie steigen von selbst empor, ohne Gewalt von der einen Seite und ohne ausdrückliche Verhandlung von der anderen. Hier herrscht eine gewisse großartige Ruhe, die nicht leicht zu beschreiben ist. Rechtmäßige Usurpation – das schiene mir der treffendste Ausdruck (wäre er nicht zu kühn), um diese Art von Ursprung zu bezeichnen, dem die Zeit dann bald ihre Weihe erteilt." [Auch in der iranischen Überlieferung herrschte die Ansicht, daß die Natur eines königlichen Wesens sich früher oder später unweigerlich durchsetzen müsse. Der Stelle von De Maistre entnimmt man den Brauch des symbolischen Verhüllens mit einer Wolke, den man traditionsgemäß, in Griechenland vor allem, auf die geraubten und unsterblich gemachten "Helden" anwandte; außerdem wird hier die alte mystische Idee des Sieges ersichtlich, insofern das "Sich-Einsetzen" nach De Maistre das "größte Zeichen für die Rechtmäßigkeit" der Könige ist.]

(Veröffentlichung in: Deutsches Adelsblatt, 04.03.1933)

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Der Orden der Eisenkrone

Beim Fall des Römischen Imperiums führte das Bedürfnis, die spirituellen Werte im politischen Chaos und der moralischen Zersetzung der Epoche zu bewahren und zu verteidigen, zur Geburt der ersten asketischen Orden. Heute wo sich eine analoge Situation zeigt und eine tiefgehende Krise die moderne Welt durchdringt, erscheint die Bildung analoger Formen angebracht. Aus diesem Geist haben wir die Gründung des Ordens der Eisenkrone vorgeschlagen. Diese Benennung hat nichts mit der antiken italischen Krone zu tun. Sie wurde suggeriert von der Idee einer Souveränität, die sich in spirituellen Begriffen definiert und gleichzeitig ist sie ein Bezug zu dem Metall, das am besten die Festigkeit symbolisiert, die Härte und Unbeugsamkeit, die den Charakterzügen der Männer des Ordens in der Verteidigung des Geistes gegeben ist.

1. Die Männer des Ordens haben vor allem die Pflicht persönlich Zeugnis abzulegen durch Verteidigen und Bejahen – in einer den Umständen angepaßten Weise – jener Werte der reinen Spiritualität, verstanden als transzendente Realität, die alle nur menschlichen Werte, alles nur Natürliche, "Soziale" und Individuelle übersteigen.

2. Die Verwüstungen, die die moderne Welt charakterisieren, gebieten den Männern des Ordens die Manifestation und Bejahung jener Werte, die fern von den mehr oder weniger historisch bedingten Institutionen und Formen sind. Die Männer des Ordens sind sich bewußt, daß es in der gegenwärtigen Lage keine politische und soziale Ordnung mit legitimem Charakter gibt, in Übereinstimmung mit den höheren Prinzipien bewahren sie einen deutlichen Abstand zu dieser Lage. Sie dürfen in der Gegenwart sein, deren Verpflichtungen und Funktionen annehmen, aber nur zu dem einzigen Zweck eine Aktion von höherer Inspiration durchzuführen, direkt oder indirekt. Was die Entfernung betrifft, in die sie sich in Bezug auf alle besonderen religiösen Formen begeben, so ist dies, von allen Überlegungen über die Dekadenz und die Säkularisierung dieser Formen abgesehen, eine Haltung, die ihre Rechtfertigung in der Erkenntnis der fundamentalen Werte findet, die frei von jeder Bedingtheit sind.

3. Dies beiseite gelassen, ist es wesentlich, daß die Männer des Ordens auf der existentiellen Ebene handeln, durch ihre eigene Gegenwart und ihre absolute Teilhabe an der Wahrheit, durch ihre Unbeugsamkeit und die Strenge ihrer Idee, durch ihre Indifferenz gegenüber allen äußeren Kenntnissen und jeden materiellen Gewinn. Um zur Entsprechung des Äußeren und Inneren gelangen zu können, ist es erwünscht, daß die Männer des Ordens unter jenen ausgewählt werden, die auch auf der physischen Ebene ohne Fehler sind, ja sogar unter jenen, die etwas auf sich nehmen können. Im übrigen gab es diese Regel häufig bei den Ritterorden.

4. Gegen die Verzerrungen, die der modernen Zivilisation zu eigen sind, Position zu beziehen, ist die natürliche und unbestrittene Bedingung zur Mitgliedschaft im Orden. Dies führt dazu jede Form von Demokratie und Egalitarismus zu brandmarken und ihr ein Prinzip entgegenzustellen, die spirituelle Quelle der Autorität und der Hierarchie. Weiters gilt es jeden "sozialen" Mythos – kollektivistisch und proletarisch – zu bekämpfen. Die Verachtung für die sogenannte "Arbeiterklasse" ist ein wesentlicher Punkt. Die Männer des Ordens stellen sich jeder Untreue und Versuchung entgegen, die darin bestünde Zustimmung von den niederen Schichten zu erlangen, die das Konzept des Ranges, des Privilegs und der Macht in Begriffen von Geld und Reichtum definieren. Die Pflicht der Männer des Ordens ist die Überlegenheit der heroischen, aristokratischen und traditionellen spirituellen Werte geltend zu machen gegen den praktischen Materialismus, den frivolen Immoralismus und den Utilarismus der gegenwärtigen Zeit. Bei jeder Gelegenheit stützen sie diejenigen, die im Sinne dieser schon erwähnten Werte leben und stellen sich denen entgegen, die diesen Werten entgegenstehen.

5. Der Orden erkennt die Wahrheit als das mächtigste Instrument seiner Aktion. Die Lüge, die ideologische Mystifikation, die

6. Vergiftung und die geisttötende Aktion, ausgeführt von der durchschnittlichen Intelligenz sind in Wirklichkeit an der Basis des Gesamtwerks der Subversion und der Umkehrung der Werte in der gegenwärtigen Welt.

7. Wie das Gravitationszentrum des Ordens sich weder mit einer bestimmten religiösen Konfession noch mit einer politischen Bewegung deckt, so hält sich der Orden in Distanz zu allem was "kulturell" ist im modernen Sinn des Wortes, intellektualistisch oder profan. Was fundamental für den Mann des Ordens ist, ist im Gegenteil eine Weise des Seins; an zweiter Stelle eine Vision, die sich aus dem Leben gesehen als Ausdruck dieses "Seins" ergibt; an dritter Stelle die Stilelemente für das persönliche Verhalten der Rechtschaffenheit und der Übereinstimmung der Existenz mit der Norm für die Beherrschung der Aktion.

8. Die Entwicklung und die verwandten Ideen können vom Orden gestützt, inspiriert und angestiftet werden, entsprechend den Umständen und den Situationen, ohne daß der Orden sich selbst enthüllt. Der Orden strebt danach auf der Ebene der Ursachen und nicht auf der Ebene der Wirkungen und des Exoterischen zu handeln.

9. Der Orden bildet eine vollständige Einheit aus allen Männern des Ordens. Jedes Mitglied des Ordens hat die Pflicht seine Unterstützung beizutragen, wie es seinen Möglichkeiten entspricht, denn jedes Mitglied des Ordens ist nicht bloß ein Individuum, sondern ein Verteidiger der Organisation. Jedes Mitglied des Ordens muß auf das Zentrum Einfluß nehmen, um zu versuchen die Grundlage und die Einheit des Ordens zum Ausdruck zu bringen, zu befestigen und das innere, natürliche Verhältnis, das in Stärke zwischen den konvergierenden Elementen, Zellen oder Zentren der Aktion besteht, im gleichen Gedanken zu verstärken.

Über die Qualifikationen

1. Nur die Männer können in den Orden aufgenommen werden. Sie dürfen nicht weniger als 21 Jahre alt sein, sie müssen frei von physischen Fehlern sein und auf der psychosomatischen Ebene gänzlich frei von allem, was nachteilig für das moralische Ansehen des Kandidaten ist.

2. Der Orden setzt voraus, daß die Persönlichkeiten zumindest potentiell eine innere Qualifikation, Berufung und Mentalität besitzen, die sie schon auf den verschiedenen Graden auf eine Stufe stellt. Die Mitgliedschaft im Orden verlangt in jedem Fall eine deutliche Verpflichtung und einen Schwur betreffend die Notwendigkeit zuerst und immer die Idee über alle gefühlsmäßigen, affektiven und familiären Bindungen zu stellen; vor jede individuelle Vorliebe, jedes materielle Interesse und jeden sozialen Ehrgeiz. Er verlangt von den Männern des Ordens nicht eine Entsagung, aber eine innere Loslösung von der jeweils besonderen Situation in der sie sind, nämlich von der profanen Welt.

3. Die Mitgliedschaft in einer gegebenen Gemeinschaft oder in einer religiösen Konfession ist nicht unvereinbar mit der Mitgliedschaft im Orden, aber in Fällen einer Divergenz muß ihm ein "höheres Recht" als letzte Instanz zugesichert sein.

4. Was die höheren Prinzipien betrifft, so ist es wünschenswert daß die Männer des Ordens nach der entsprechenden Realisierung streben und daß sie sich in dieser Sicht bemühen mit den höheren Seinsstufen Kontakt zu suchen, die zum Objekt einer operativen Disziplin von initiatischem Charakter werden.

Über die Ämter und die Organisation des Ordens

1. Der Orden bietet zwei Gesichtspunkte: einen inneren und einen äußeren. Was den äußeren betrifft, so sind alle Mitglieder des Ordens mit einer gleichen Würde versehen, entsprechend der Bezeichnung oder dem Titel "Mann des Ordens der Eisenkrone". Auf der Ebene der Organisation wird der Orden von einem Rat der Meister des Ordens verwaltet und geleitet, bestehend aus sieben Mitgliedern mit einem "Großmeister des Ordens". Unter diesen Mitgliedern werden die Aufgaben allgemeinen Charakters verteilt auf der Basis von Umsetzung und Disziplin, all dies wird in den Sitzungen des Rats festgelegt.

2. Dem inneren Gesichtspunkt entspricht der rein doktrinale Bereich und besteht aus drei Graden je nach der Stufe der spirituellen Verwirklichung, die die Männer einnehmen. Diese Gliederung deckt sich nicht notwendigerweise mit der äußeren Gliederung, indessen ist es ratsam wenn wenigstens vier Mitglieder des Rats der Meister den Grad der am meisten Fortgeschrittenen in der inneren Hierarchie des Ordens eingenommen haben. Diesem Bereich und der Arbeit auf der Ebene der Erkenntnis der fortschreitenden Qualifikation im Licht der Tradition ist ein eigenes Kapitel gewidmet.

3. Über die Wahl und jede Aufnahme in den Orden entscheidet der Rat durch direkte Beauftragung der hervorragenden Elemente und der würdigen Richter. Es ist nicht ausgeschlossen Aufnahmen in den Orden vorzunehmen, die als "von Amts wegen" bezeichnet werden. Diese Personen können als Teil des Ordens bezeichnet werden (mit allen Folgen, die das beinhaltet) aber dennoch nicht in direkter Beziehung mit ihm stehen.

4. Die Aufnahme in den Orden beinhaltet keine finanziellen Verpflichtungen. Die freiwilligen Spenden wo die Schenkung angenommen wurde, stehen dem Rat der Meister ausschließlich für unpersönliche Zwecke des Ordens zur Verfügung.

5. Der Titel "Mann des Ordens" ist potentiell vererbbar in dem Sinne daß es der Inhaber eines Grades entscheiden kann, ob er ihn an den Ältesten seiner Familie überträgt. Das entspricht der Tradition, daß sein Blut auch eine formative Grundlage und einen spirituellen Einfluß darstellt, in der Fortführung derselben Aktion.

6. Die Mitglieder des Rats der Meister sind die Gründer des Ordens. Der Rat selbst trifft die Entscheidungen über die Nachfolge derjeniger seiner Mitglieder, die verstorben sind oder sich disqualifiziert haben. Jedes Mitglied des Rats hat das Recht vorzuschlagen, an wen er seine Funktion weitergeben möchte um sein Werk fortzusetzen. Es liegt beim Rat, dem er angehört, als letzte Zuständigkeit diese Frage zu entscheiden.

7. Der Orden hat im wesentlichen den Charakter eines Männerbundes. Das bewirkt, daß er der Familie gegenüber indifferent ist.

8. Die Männer des Ordens können einer Linie der sexuellen Freiheit folgen, wohlverstanden darf diese keinen Zwang bilden.

9. Wenn die Frauen einen Teil des Ordens als Mitglieder bilden dürfen, so haben die Mädchen eine Gruppe der "Drittrangigen" zur Verfügung der Männer des Ordens zu bilden, für eine gemeinsame Verwendung und ohne ein Besitz zu werden (wir verweisen auf das, was Platon im Ideal seines Staates über die Wächterkaste dargelegt hat, es werden immer die Mittel zur Verhinderung der Befruchtung verwendet).

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Das Zeitalter des soldatischen Ethos

Einer der bedeutsamsten Gegensätze, die bereits im Weltkrieg 1914 bis 1918 zum Durchbruch kamen, beruhte auf dem Gegensatz der Auffassungen über das Verhältnis von Staat und Soldatentum. Es trat in dieser Hinsicht ein Zwiespalt zutage, der weniger zwischen zwei verschiedenen Völkergruppen klaffte, als vielmehr zwischen zwei verschiedenen Epochen und Kulturauffassungen. Das Soldatische im bürgerlichen Zeitalter:

Auf der einen Seite behauptete sich die Idee, nach der dem militärischen, kriegerischen Element im allgemeinen die untergeordnete Bedeutung eines bloßen Werkzeuges zukommt. Prinzipiell gilt nach dieser Auffassung die Idee des "zivilen Bürgertums" als Träger des Staates. Dieses bürgerliche Element führt die Politik, und – um einen bekannten Ausdruck zu gebrauchen – wenn die Politik mit "anderen Mitteln" fortgesetzt werden muß, bedient es sich der Wehrmacht. Das soldatische Element habe weder auf politischem noch auf kulturellem Gebiet Gewicht und Wert. Man erkennt zwar an, daß das militärische Element seine besondere Ethik und eigene Werte habe; man findet es aber abwegig und unerwünscht, daß diese Ethik und diese Werte auch für das gesamte Leben des Volkes Gültigkeit fänden. Die Auffassung, von der hier die Rede ist, steht auf dem Boden der demokratisch-aufklärerischen liberalistischen Überzeugung, nach welcher die "wahre Kultur" nichts mit der grausamen Notwendigkeit, die der Krieg nun einemal sei, zu tun habe und daß sie eher "den Fortschritt von Kunst und Wissenschaft" und die "Lebensgestaltung nach unsterblichen Grundsätzen" denn kriegerische Tugend zur Grundlage habe. Daher kann man im Rahmen dieser liberalen Welt überhaupt kaum von einem wahren Kriegertum, vielmehr nur von einem Soldatentum im Sinne eines verfeinerten Söldnertums sprechen. Tatsächlich bezieht sich das Wort "Soldat" etymologisch auf die Scharen, die sich für Sold im Dienste von Schichten schlugen, die selbst nicht kämpften. Diese überholte Bedeutung hatte mehr oder weniger das Soldatentum für die liberalen und bürgerlich-demokratischen Staaten. Diese bedienten sich seiner in internationaler Beziehung in den Ernstfällen ungefähr im gleichen Sinne wie innerstaatlich der Polizei.

Das Soldatische als Fundament der Gesellschaft: Solcher Auffassung steht die andere entgegen, nach der das soldatische, das kriegerische Element in engster Verbindung mit dem politischen und ethischen steht. Die soldatischen Werte sind hier eigentlich kriegerische Werte und bestimmend für eine allgemeine, ethische, auch außerhalb der rein militärischen Belange und der Kriegszeiten gültige Lebensgestaltung. Es folgt daraus eine Einschränkung der Ideen des Bürgertums und des bürgerlichen Geistes auf den verschiedenen Gebieten der staatlichen Gemeinschaft. Auf männlicher, aktiver und heldischer Grundlage beruht nach dieser Auffassung die wahre Kultur, wie alles, worauf sich menschliche Größe und wirkliches Recht der Völker stützt. Man braucht kaum zu erwähnen, daß im Weltkrieg von 1914 bis 1918 die erstere Auffassung den Alliierten, vor allem den Westmächten, eigen war, während die letztere hauptsächlich von den Mittelmächten vertreten wurde. Nach einer bekannten freimauerischen Parole wurde jener Krieg als eine Art "Kreuzzug der Weltdemokratie gegen den preußischen Militarismus" geführt. Der Liberalismus sah in diesen "imperialistischen" Mächten Mitteleuropas die dunklen Überreste des Mittelalters im Herzen des "fortgeschrittenen" Europas. Hinter dieser Auffassung verbirgt sich jedoch die Wahrheit, auf die wir zu Anfang hingedeutet haben, indem wir sagten, daß der Gegensatz nicht nur zwischen zwei Völkergruppen, sondern auch zwischen zwei Epochen bestand, obwohl natürlich hinsichtlich der Bewertung die Dinge ganz anders lagen. Was im demokratisch-freimaurerischen Jargon als "dunkle Überreste" bezeichnet wurde, bedeutete in Wahrheit das Weiterbestehen von Werten, die dem ganzen traditionsgebundenen, kriegerischen, männlichen und arischen Europa eigen waren, während die "fortgeschrittene Welt" nichts anderes darstellte und darstellt als die Welt des Verfalls und der ethischen und geistigen Schwäche des Abendlandes. Außerdem wissen wir nunmehr sehr wohl, wie "imperialistisch" auf ihre Weise die heuchlerischen Vertreter jener liberalistischen Welt waren und sind: es herrscht auch heute wieder drüben ein Imperialismus von Bürgern und Kaufleuten, welche ungestört die Vorteile eines Friedens genießen wollen, der nicht durch die eigene Kraft, sondern durch Einsatz einer aus allen Weltteilen angeworbenen und bezahlten Söldnertruppe durchzusetzen und zu bewahren ist. Mit den Friedensverträgen und den Vorgängen der Nachkriegszeit tritt diese Entwicklung immer deutlicher zutage. Die Funktion des militärischen Elements wurde genau zu der einer Art internationaler Polizei herabgewürdigt, d.h. richtiger nicht einer wirklich "internationalen", sondern einer von einer bestimmten Gruppe von Nationen organisierten Polizei, um gegen andere Völker zum eigenen Vorteil eine gewisse Lage der Dinge zu erzwingen. Dies bedeutete dann die "Verteidigung des Friedens" und das "Völkerrecht". Der Verfall des Gefühls für kriegerischen Stolz und Ehre zeigte sich dabei u.a. auch darin, daß alle weniger noblen Mittel in Betracht gezogen wurden, um dieses Ziel durchzusetzen, ohne auch nur diese zur Polizei herabgewürdigte Miliz einsetzen zu müssen: Sanktionen, wirtschaftliche Blockade, nationaler Boykott usw.

Beginn der Umwertung der Werte:

Mit den internationalen Entwicklungen, die äußerlich zum Konkurs des Völkerbundes und schließlich zum gegenwärtigen Kriege geführt haben, ist innerlich eine wahre Umwertung aller Werte nicht nur auf politischer, sondern vor allem auch auf ethischer und weltanschaulicher Ebene im Gange. Der heutige Kampf ist nicht so sehr gegen ein bestimmtes Volk als vielmehr gegen eine bestimmte Idee gerichtet, die ungefähr den von den Alliierten im vorigen Kriege vertretenen Gedanken entspricht. Jener Krieg sollte einen liberalistischen Händler-Imperialismus gegen jede Störung sichern. Der neue Krieg wird diesem Krämer-Imperialismus ein Ende bereiten und zu einer neuen Epoche führen, in der gerade das kriegerische Ethos dazu bestimmt ist, als gemeinsame Grundlage der kulturellen europäischen Entwicklungen zu dienen. In diesem Sinne kann der heutige Kampf als ein verfallene Werte wiederherstellender Kampf angesehen werden. Er rückt wieder eine grundlegende Lebens- und Rechtsauffassung in den Vordergrund, die in den ursprünglichen Überlieferungen der arischen Rassen – vor allem der arisch-römischen und der nordisch-arischen – so sehr wesensbestimmend war, daß ihr Aussterben oder Nachlassen stets dem Zusammenbruch der einzelnen Völker voranging und den Übergang der Macht in die Hände rassisch und ethisch immer niedrigerer Schichten förderte. Gerade weil dieses Neuwerden unaufhaltsam ist, müssen wir danach trachten, daß über die Bedeutung, die das Kriegerische im neuen Europa haben soll keine Mißverständnisse entstehen, ähnlich denen, die mit Absicht von den liberalistischen Gegnern durch Gebrauch des Wortes "Militarismus" verbreitet werden. Es handelt sich weder darum, Europa in eine Kaserne zu verwandeln, noch darum, einen wilden Machtwillen zur letzten Instanz zu erheben, noch darum, einer finsteren, tragischen und irrationalistischen Lebensauffassung zum Siege zu verhelfen. Man muß sich an erster Stelle darüber Rechenschaft geben, daß die kriegerischen Werte im eigentlichen militärischen Bereich nur eine besondere Erscheinungsform einer Wirklichkeit sind, die eine umfassende – nicht nur ethische, sondern sogar eine metaphysische – Bedeutung hat. Es soll nur darauf hingewiesen werden, daß der alte arische Mensch gewöhnt war, das Leben als einen ewig dauernden Kampf zwischen metaphysischen Mächten aufzufassen, wobei einerseits die uranischen Kräfte des Lichtes und der Ordnung, andererseits die dunklen und wilden des Chaos und des Stofflichen standen. Dieser Kampf war für den Arier der Frühzeit sowohl im Inneren als auch in der Außenwelt auszufechten und zum Sieg des Lichtes und der Ordnung zu führen. Als wahrer, gerechter Krieg auf äußerer Ebene wurde der angesehen, der eine Entsprechung zu dem innerlich auszutragenen Kampf bildete: es war der Kampf gegen Kräfte und Völker der Außenwelt, die die Züge der Mächte zeigten, die auch in unserem inneren Wesen bis zur Vollendung eines "siegreichen Friedens" – pax triumphalis – zu unterjochen und zu beherrschen sind.

Kriegerisches Ethos als innere Verpflichtung: So ergibt sich ein Zusammenfließen des wahren kriegerischen Ethos mit einer inneren Disziplin und Überlegenheit, das sich in verschiedenen Formen immer in unseren besten Traditionen zeigt. Daher kann nur der Kurzsichtige und der Voreingenommene annehmen, daß durch das Bekenntnis einer kriegerischen Weltanschauung und durch unsere Überzeugung, daß das neue Europa sich im Zeichen des kriegerischen Geistes gestalten soll, ein wildes und chaotisches Zusammenprallen von rohen Kräften und entfesselten Instinkten die einzige logische Folge sei. Zum Ideal des "Kriegers" gehört nicht nur Kraftentfaltung und körperlicher Mut, sondern auch die ruhige, beherrschte und bewußte Gestaltung des inneren Wesens und der Persönlichkeit. Der Sinn für Abstand und Ordnung, die Fähigkeit, sein eigenes individuelles und leidenschaftliches Element der Idee unterzuordnen, die Tat und das Ziel über die eigene Person zu stellen, ein Gefühl für Würde ohne Eitelkeit sind so wesentliche Grundzüge wahren kriegerischen Geistes wie diejenigen, die sich auf den eigentlichen Kampf beziehen. Diese Haltung geht bei nordischen Menschen vielfach so weit, daß von einem höheren Standpunkt aus der Kampf weniger wegen seiner unmittelbaren materiellen Ergebnisse gilt, vielmehr als Bewährung solcher Tugenden, die als Elemente eines besonderen Stils nicht nur innerhalb einer gewissen spezifisch dem Beruf der Waffen gewidmeten Schicht, sondern im ganzen Volke und sogar über die Grenzen eines einzelnen Volkes hinaus erstrebenswert sind. Entscheidung nach innen – Krieg nach außen: neues Europa und seine Kultur zu betonen. Die Erkenntnis der Beziehung zwischen dem inneren Kampf und dem rechten Krieg, wie sie der soeben angeführten arischen, traditionsgebundenen Auffassung eignet, kommt außerdem der unklaren Romantik einer nur tragischen, irrationalistischen Weltanschauung zuvor und überwindet eine gewisse des Lichtes bare Starre, die einige untergeordnete Aspekte des nur Soldatischen zeigen. Nach der höheren Auffassung, die heute wieder unter den Repräsentanten der gültigsten und geprüftesten Kräfte auftaucht ist die kriegerische Disziplin wie der Kampf und der Sieg mit einer gewissen Verklärung und dem Teilhaben an einer wirklichen Geistigkeit verbunden. So gestaltet sich auch ein neuer Begriff des Friedens, der wenig mit der materialistischen und bürgerlich-demokratischen Auffassung eines spannungslosen, satten Behagens zu tun hat: wir werden allmählich wieder für einen Frieden Verständnis haben, der nicht das Nachlassen der geistigen, aus dem Kampfe und der kriegerischen Askese geborenen Spannung, sondern die ruhige und machtvolle Vollendung derselben bedeutet. Im Grunde erkennt man gerade daran die Antithese zwischen zwei unvereinbaren Auffassungen von "Kultur". Es steht nicht etwa auf der einen Seite der "militaristische Materialismus" und auf der anderen "die Liebe zur Kultur" und das Interesse für "geistige Werte". Es handelt sich vielmehr um eine bestimmte, wesentlich arisch nordische Auffassung der geistigen Werte, die sich dem intellektualistischen, liberalistischen und bürgerlichen Begriff derselben entgegensetzt. Es ist unnütz, ein Hehl daraus zu machen, daß in einer kriegerisch bestimmten Kultur der sogenannten "Welt von Kunst und Wissenschaft" eine etwas andersartige Art der Anerkennung gezollt wird, als in der vorhergehenden Zeit des Liberalismus und der Bourgeoisie. Diese Welt hat ihre Bedeutung und ihren hohen Rang, aber sie ist nicht das absolut Wesentliche. Das Wesentliche beruht vielmehr in einem bestimmten inneren Stil, in einer gewissen Form der Seele und des Charakters, in einer Schlichtheit, Wahrhaftigkeit, Klarheit und Härte, in einer Auffassung von der Welt, die unmittelbar, ohne große Gesten und ohne Sentimentalität erlebt wird, mit Freude am Handeln, Befehlen oder Gehorchen, am Sichselbstbesiegen und am Besiegen der Feinde dieser Idee. Die Merkmale werden die Grundlage zu einer neuen Kulturgemeinschaft sein, das Sichverstehen auch jenseits vieler naturgegebenen Verschiedenheiten erleichtern. Daß die Welt der pazifistischen Intellektuellen all dies für "ungeistig", wenn nicht geradezu barbarisch hält, ist belanglos. Diese Welt, in der dem Kampf als dem Vater aller Dinge wieder der ihm zukommende Rang innerhalb der Lebensmächte zurückgegeben ist, besitzt eine Tiefe und Ernsthaftigkeit, von der aus die "Kultur der bürgerlichen Welt" wie ein Reich der Schatten, wie ein Gebilde ohne Leben und Kraft erscheint. In nachfolgenden Zeiten, wenn die organische Gestaltung des neuen europäischen Menschen nordischer Prägung Wirklichkeit geworden sein wird, wird die Blüte- und Reifezeit einer weniger eitlen, aber starken und tiefen Kultur beginnen und den neuen Stil in neuen Werken gestalten.

Fundamente der europäischen Verständigung: Es kommt heute sehr darauf an, sich über all dies klar zu werden, damit man bei der Grundlegung der Fundamente für die künftige Verständigung der europäischen Völker nicht weiter auf überholten und abstakten Begriffen beharrt. Nur von den Kräften ausgehend, die, durch die Feuerprobe des Kampfes gestählt, legitimiert sind, über Freiheit, Größe und Sendung der Nationen zu entscheiden, kann die Frage einer wahren Verständigung, einer Mitarbeit und einer Kulturgemeinschaft in Europa gestellt werden. Und wie diese Kräfte von der sterilen, intellektualistisch und liberalistisch aufgefaßten Kultur Abstand nehmen, so liegt ihnen auch jedes abstrakte Recht, jede theoretische, anonyme Regelung der Beziehungen zwischen Menschen und Staaten fern. Hier tritt ein weiterer grundlegender Beitrag des kriegerischen Geistes zur Gestaltung und Sinngebung eines neuen Europas zutage. Diese Geist tritt für unmittelbare, klare, aufrichtige, auf Treue und Ehre beruhende Beziehungen ein. Ihm eignet ein sicher Instinkt für die Stufen der Würde, die er wohl zu unterscheiden weiß: was unpersönlich und antlitzlos ist, lehnt er ab. In einer kriegerisch bestimmten Kultur stützt jede wahre Ordnung sich auf diese Elemente, nicht auf Paragraphen und allgemeine Grundsätze. Und dies sind eigentlich die Elemente, durch die die Kräfte, die das Erlebnis des Kampfes erweckt und die der Sieg geweiht hat, zur Einheit gestaltet werden können. So ist es in gewisser Hinsicht gerade die Art kriegerischer Organisation, wie sie den besten Zeiten des römischen und des germanischen Lehnsystems eignete, die uns vielleicht erahnen läßt, was für die Ordnung des neuen Europas, um die heute gekämpft wird, geeignet ist. Man soll aufs neue hinsichtlich der Beziehungen nicht nur von Mensch zu Mensch, sondern auch von Volk zu Volk die Fähigkeit jenes Gehorchens erlernen, das nicht demütigt, sondern erhebt, jenes Befehlens und Führens, das zu Verantwortung und wirklicher Überlegenheit verpflichtet. An den Platz eines abstrakten, internationalen, allerlei Völker umfassenden Rechtes soll ein neues organisches, auf diesen direkten, männlichen Beziehungen fußendes Recht der europäischen Nationen treten. Suum cuique – jedem das Seine. Dieser arische, römische und nordische Grundsatz bestimmt auch auf internationaler Ebene den wahren Gerechtigkeitsbegriff und steht in engster Beziehung zur kriegerischen Weltanschauung. Jeder soll das präzise Gefühl für seinen natürlichen und artrechten Platz in einem wohlgegliederten Gefüge haben. Jeder soll auf diesen Platz stolz sein und ihn zum Besten ausfüllen, wobei aber auch das innere Moment des Kriegerischen, das Zuchtvolle, von besonderem Gewicht ist. Zur Verwirklichung einer neuen europäischen Ordnung werden mancherlei Bedingungen gestellt werden; zweifellos aber jene kriegerische Zucht, die erst die Fähigkeit schafft, die Wirklichkeit zu schauen unter Hintanstellung jeden privaten Ehrgeizes und irrationalen Affektes. Dazu gehört die Verachtung des "bequemen Lebens", soweit es dem materialistischen Begriff des Wohllebens entspricht. Entscheidend sein wird für die Auslese der Führung der Stil der Einfachheit, der Kühnheit und der bewußten Kraft im gemeinsamen Streben, der neuen Welt in allen Lebensbereichen Gestalt zu geben.

(Veröffentlichung in: Die Aktion, 1941, S. 239-244)

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Das Doppelantlitz des Nationalismus

Es ist Tatsache, daß der Weltkrieg den Prozeß der Herausbildung von Nationalismen innerhalb wie außerhalb Europas nicht nur erschöpft, sondern geradezu seiner akuten Phase zugeführt hat. Daher hat das Verlangen, den Bedeutungsgehalt dieses Geschehens zu erfassen, seine volle Berechtigung.

Welche Bedeutung hat der heutige Nationalismus im Rahmen einer Kulturphilosophie? Unserer Überzeugung nach verlangt diese Frage folgende Lösung: Im modernen Nationalismus bestehen zwei gedanklich getrennte, ja entgegengesetzte, jedoch häufig miteinander kombinierte Möglichkeiten, deren eine als Degenerations- und Rückbildungsform zu bewerten ist, während die andere einen Weg nach höheren Werten und Vorspiel der Neugeburt darstellt.

Im folgenden Aufsatz soll versucht werden, diese Andeutung in allen ihren Folgerungen auseinanderzusetzen.

Phänomene gleich dem Nationalismus, lassen sich deuten nur im großen Rahmen eines auf kritischen Werturteilen beruhenden historischen Gesamtbildes.

In einem solchen Bild erweist sich als auffallend: das allmähliche Abwärtsgleiten der politischen Macht von Stufe und Stufe innerhalb jener Werthierarchie, in deren Rahmen in den antiken Kulturen die qualitative Differenzierung menschlicher Möglichkeiten sich vollendet hatte. Der Vorgang läßt sich von der Schwelle der "historischen" Zeit bis auf unsere Tage verfolgen. In der politischen Geschichte des Abendlandes hat er seine besondere Bedeutung. (Die Idee der Rückbildung der Kasten wurde zuerst in unserem Buch "Imperialismo Pagano" (Rom, 1927) betont. Eingehender behandelt haben wir sie wiedergefunden in den – bisher unveröffentlichten Darlegungen des italienischen Abgeordneten V. Vezzani. Endlich hat René Guénon diesen Ideen eine systematische und endgültige Form verliehen in seinem Werk: Autorité spirituelle et pouvoir temporel (Paris, 1929).) Bekanntlich sprechen schon die ältesten Überlieferungen von einer Sinnähnlichkeit des politischen mit dem menschlichen Organismus. In jeder höheren organischen Erscheinungsform bestehen aber in hierarchischer Bindung vier unterschiedliche Funktionen: an der unteren Grenze die noch undifferenzierten, dumpfen Lebenskräfte – darüber erheben sich bereits die organischen Austauschfunktionen –, die ihrerseits in jenen Willen münden, der den Gesamtkörper im Raume bewegt und leitet; über allen steht die Machtfähigkeit des Intellekts und der Freiheit, gleichsam als Mittelpunkt und Leuchte des ganzen Organismus.

Traditionen, die im Staate statt einer notgeborenen Zufälligkeit ein höheres vergeistigtes Lebe-Wesen erblickten, verlangten eine ähnliche Trennung und hierarchische Abstufung in Stände und Kasten. Die Reihe: formlose Vitalität, organische Austauschfunktion, Willen und Geist spiegelt sich wieder in den vier traditionellen Kasten der Diener (Arbeiter), der Kaufleute und Ackerbauer, der Krieger, der Träger königlich-priesterlicher Macht. Eine Kaste war rangmäßig über den anderen aufgebaut: der Massenmensch stand unter der Kontrolle und Herrschaft derer, welche in Verkehr und Handel natürliche wie wirtschaftliche Quellen zu verwerten wußten. Diese letzteren wiederum, geführt von der Autorität des Kriegeradels, scharten sich um den einen, der in seiner beherrschten Vollendung gleichsam Zeuge stand für eine über das menschliche hinausführende Möglichkeit.

Die antike Welt des Orients (Iran und Indien) und des Fernen Ostens kannte einen ähnlichen Typ sozialer Organisation, dem sich Ägypten, Griechenland und Rom teilweise näherten. In den politischen Lehren eines Plato und Aristoteles kam es zur Offenbarung verwandten Geistes, der dann endlich in der katholisch-feudalen Welt des Mittelalters zum letzten Mal aufflackerte.

Wichtig ist es festzustellen, daß eine solche Organisation einem qualitativen Kriterium entsprach und Zeugnis ablegt von der Herausbildung höherer Interessen- und Persönlichkeitsformen. Im alten Osten hießen die höheren Kasten die der "Wiedergeborenen" – dwijas- , bildeten also eine geistige Elite. Kriegerstand und Adel besaßen aber nicht so sehr eine politische wie die Bedeutung eines schon "sakralen" Standes, was der Fall war auch im mittelalterlichen Rittertum. Jegliche Rangordnung, die auf einer wirtschaftlichen Tätigkeit, auf Arbeit, Industrie, auf Verwaltung des Gemeinvermögens usw. beruhte, war in die beiden unteren Kasten verbannt, jenen Funktionen gleich, die im menschlichen Organismus den körperbedingten Lebenserfordernissen dienen. So spiegelte sich in der Hierarchie der vier Kasten das stufenmäßige Emporsteigen der Individualität durch Hingebung an höhere Tatformen als die des unmittelbaren Nur-Lebens. Im Gegensatz zum antlitzlosen Kollektivum, das nichts als "leben" will, stellte die zweite Kaste – die der Organisatoren der Arbeit und des Reichtums schon den Beginn eines höheren Typus, einer "Person". Aus dem Heroismus der Kriegerkaste und dem Ethos der Aristokratie – dem dritten Stande – ersteht aber das Vorgefühl eines "Mehr-als-Lebens", eines Wesens, das sich selber sein Gesetz gibt, jenseits der naturhaften, instinktgebundenen, kollektivistischen und utilitären Triebfedern. Wenn im Urbegriff des Führers sich Asket, König und Priester zu einer Personalunion verschmelzen, so erfüllt sich darin die universelle und fast übernatürliche Persönlichkeit, der vollendete Ausdruck dessen, was im Alltagsmenschen nicht die Kraft findet, sich von der Welt des Zufälligen zu lösen und "Selbst" zu sein.- In dem Maße, als die Herrscher, die vollendeten Individuen, die Achse des ganzen sozialen Organismus bildeten, war also dieser Organismus gleichsam ein vom Geiste regierter Körper; zeitliche Macht und geistige Autorität waren eins; die Hierarchie war legitim im unbedingten Wortsinne.

Soweit das uns als Ausgangspunkt dienende Schema, dessen idealtypischer Wert selbstverständlich unabhängig ist von seinen zeit- und raumbedingten Erscheinungsformen, die mehr oder weniger seinen Sinn wiedergeben können. Auf solcher Grundlage aber wird uns der andauernde "Verfall" der Macht im historischen Zeitalter zur furchtbaren Tatsache.

Die Ära der "geheiligten Könige" – gleicherweise Herrscher- und Priestergestalten – steht schon an der Schwelle der "mythischen" Zeit. Die Machtgipfel werden abgetragen. Von ihren höchsten Vertretern steigt die Gewalt herab zur nächstniedrigen Stufe – die der Kaste der Krieger. Es bleibt der profane Herrschertyp eines Monarchen als Heerführer, Richter oder Gesetzgeber. Zweite Stufe des Verfalls: die großen europäischen Monarchien gehen unter. Die Aristokraten degenerieren. Der Versuch des Heiligen Römischen Reichs scheitert. Durch Revolutionen (England und Frankreich) und Konstitutionen werden die Könige, dem "Volkswillen" gegenüber, zu kraftlosen Überbleibseln. Im Bereiche der parlamentarischen, republikanischen und bürgerlichen Demokratien bezeichnet die Formung kapitalistischer Oligarchien den neuen verhängnisvollen Schritt, mit dem die politische Macht von der zweiten zu der heutigen, der dritten Kaste – der des Kaufmannes – entsprechenden Stufe niederschreitet.

Die Krise in der bürgerlichen Gesellschaft, die Heraufkunft des "Proletariats", der Despotismus der sich zu einer rein kollektiven, wirtschaftlichen und internationalen Einheit konstituierenden Masse kündigen uns das nahendes Ende an. Die Macht kommt auf die letzte Kaste: derer, die ohne Namen und ohne Antlitz gehen. Materie, Metall und Zahl werden Standard. Die Lebensart der Knechte – die Arbeit – wird zur Religion. Die Erde kennt keinen Himmel mehr. Unbedingte Herrschaft des Unpersönlichen und Mechanischen. Vergleichsweise: Jemand kann die Spannung des Geistes (sakrales Königtum) nicht mehr in sich ertragen: nicht einmal die des Willens – der Kraft, die ihm den Körper bewegt (Kriegerstand): er läßt sich sinken. Dann aber erhebt er sich magnetisch wieder, Körper ohne Seele, unter dem Einfluß fremder Kräfte, die von den unbewußten Schichten der bloßen Vitalität ausgehen (Empörung des letzten Standes, Dämonie des Kollektivum).

Es ist die Zeit, sich von der Illusion des "Fortschrittsmythus" zu befreien, der Wirklichkeit die Augen zu öffnen. Es ist Zeit, das furchtbare Schicksal geistiger Zerrüttung, das über dem Abendlande lastet, zu erkennen: ein Schicksal, das heute seine letzten Früchte reift.

Im Kern des dargestellten Involutionsprozesses steht die Standpunktsverschiebung vom Individuellen zum Kollektiven, im engsten Zusammenhang mit dem angedeuteten Rückgange von jener Berufung, die den höheren Kasten ihre rechtsmäßige hierarchische Autorität sicherte, zu den Standesinteressen eben der unteren Kasten.

Der Mensch ist frei nur in einer unbedingten Handlung. Dies ist der Fall in den beiden Symbolen einer reinen Aktion (Heroismus) und einer reinen Erkenntnis (Askese und Kontemplation), die durch ein aristokratisch gerichtetes Regime ihre volle Geltung erlangen können. Durch sie eröffneten die beiden oberen Kasten dem Menschen Wege, auf daß er teilhabe an jener Ordnung des "Überweltlichen", in der allein er sich selber angehören und den wesentlichen und universalen Wert der Persönlichkeit erfassen kann. Werden diese höheren Interessen vernichtet in der ausschließlichen Konzentration auf praktische und nur-zeitliche Ziele, oder gehen sie auf in wirtschaftlichen Bestrebungen und den unteren Klassen eigentümlichen Bedürfnissen, so desintegriert und dezentralisiert sich der Mensch, er gibt sich Gewalten preis, die ihn sich selbst entreißen und ihn den irrationalen und vorpersönlichen Energien des Kollektivlebens überantworten. Über jene Mächte sich zu erheben, galt früher als Kampfziel und Sinn jeder wahrhaft höheren Kultur. So gewinnt das Kollektivum in den sozialen Formen der letzten Zeiten immer mehr an Übergewicht, geht fast so weit, den Totemismus der primitiven Gemeinschaften zu neuem Leben aufzurufen. Nation, Rasse, Partei, Gesellschaft und Menschheit tragen heute den Stempel eines mystischen Persönlichseins; sie verlangen vom Einzelnen, der ihnen als Teil zugehört, Hingabe und unbedingte Unterwerfung. Gleichzeitig wird im Namen der "Freiheit" Haß gesät gegen alle jene Höherstehenden und herrschenden Persönlichkeiten, die allein ein begründetes und heiliges Recht auf Unterwerfung und Gehorsam von Seiten der Einzelnen ansprechen dürfen. Diese Tyrannis der Gruppe beschränkt sich nicht nur auf die politischen und sozialen Lebensäußerungen des Einzelnen: sie maßt sich moralische und geistige Rechte an; Kultur und Geist sollen als uninteressierte Betätigungsweisen und Wege zur Erhöhung des Menschentums im Einzelnen aufhören, um abhängige Organe des weltgebundenen Kollektivwesens zu werden. Laut verkündet sich so eben eine Moral, die den Sinn und Wert des Geistes allein im Dienst für den Körper erblickt. Daß der Mensch, bevor er seinen Persönlichkeitswert, sein Ich erfühlt, sich als soziale Gruppe, Partei oder Nation erleben soll – das ist eine der besonderen und bezeichnenden Forderungen der letzten ideologischen Umsturzbewegungen: damit kehrt das nämliche Verhältnis wieder, in dem einst der Primitive zu dem Totem seines Stamms oder Clans stand.

Im Wiedererwachen des russischen Volkes, im Glauben des Bolschewismus an seine prophetisch-universelle Mission, bestätigt sich der Sinngehalt jenes Rückfalls in primitive soziale Zustände, der sich schon in verschiedenen zeitgemäßen Formen beobachten läßt. Mit Recht wird die russische Revolution angesprochen als endgültiger Aufbruch einer barbarisch-asiatischen Rasse gegen die 200jährigen Versuche des Zaren, Rußland nach europäischem Vorbild zu zivilisieren. Und ebenso richtig ist die Ansicht, Bolschewismus fließe folglich spontan mit allen den Zersetzungselementen der europäischen Gesellschaft von heute zusammen. Bolschewismus ist nichts anderes als in moderner Gestalt wieder auflebender urslawischer Volksgeist: dieses traditionslose Volk in seinem sozialen Mystizismus, der Verschmelzung von Geistigkeit und Sinnlichkeit, dem Vorherrschen des Pathos gegenüber dem Ethos, des Triebhaften über das Intellektuelle, weist zurück auf vorpersönliche Formlosigkeit und kommunistische Promiskuität, wie sie eben den Primitiven eigen sind.

Die Erschütterungen des Weltkrieges haben diese Elemente wieder in Freiheit gesetzt: für die noch gesunden Glieder Europas furchtbare Keime innerer Zersetzung. Die "Kultur" der Sowjet verkündet das "Zeitalter des Proletariats", widmet sich zu diesem Ziel der Vernichtung der Persönlichkeit und Freiheit, die als "Aussatz", als "Gift bürgerlicher Gesellschaft" und "Anfang allen Übels" betrachtet wird. Die Sowjet fordern nicht bloß die Aufhebung des Privateigentums, sie verlangen bekanntlich die Abschaffung jedes freien und unabhängigen Gedankens und aller "auf das Übernatürliche oder auf irgendwelche den Arbeitsklassen fremde Interessen gerichteten Beweggründe" (Lenin); ihr Ziel ist die Heraufkunft des "allmächtigen Masse-Menschen", der allein leben und jeder Lebens- und Denkform des Einzelnen Gestalt geben soll. Am Bolschewismus modern ist nur seine "Methode": Mechanisierung und Rationalisierung sind die vorzüglichsten Mittel, um in einer universalen, auf bloß wirtschaftlicher Basis aufgebauten Volksherrschaft den – in der slawischen Seele ja schon mystisch vorbestehenden – "Masse-Menschen" zu verwirklichen. So geht die Kultur der Sowjet bewußt einer anderen Rasse entgegen, die sich gleichfalls eine universale Mission der Welterneuerung und den Anspruch, das letzte Wort der Kultur auszusprechen, anmaßt: Amerika. [Anm. der VS Red.: Das mißlungene altmarxistische Projekt der Entfachung der Weltrevolution wurde durch das neumarxistische Projekt der Globalisierung ersetzt. Lesen Sie zu diesem Thema: Wolfgang Caspart. 1968: Richtige Diagnose – falsche Therapie!]

In Amerika verrät der Rückbildungsvorgang nicht die Urkraft eines im kulturlosen Zustande beharrenden Volkes. Hier wirkt vielmehr der starre Determinismus, kraft dessen alle Menschen, sobald sie sich von der Form des rein Geistigen zu dem Verlangen nach den taggebundenen Dingen gewandt haben, ipso facto aufhören, sich selbst anzugehören, und zu Teilen jenes irrationalen Kollektivwesens werden, das sie nicht mehr zu beherrschen vermögen. Die Seligsprechung der Welt, die Laisierung des Sakralen, der die protestantische Häresie die Tore geöffnet hat, haben Amerika in seinen heutigen Zustand gebracht. Indem die Vereinigten Staaten das Ideal Europas, die Vorherrschaft über die Welt, tatsächlich erreichten, haben sie – wohl dessen unbewußt – Macht, Gesundheit, Aktivität und Persönlichkeit völlig ins Praktische und Physische umgedeutet und dadurch eine noch viel gefährlichere Form der Barbarei geschaffen. Hier gilt der Asket als Tagedieb, als zeitungemäßer Schmarotzer, als "überflüssiges Mitglied der menschlichen produktiven Gesellschaft"; den Krieger hält man für einen gemeingefährlichen und überspannten Menschen, die humanitär-pazifistischen Vorkehrungen sollten es sich angelegen sein lassen, diesen Stand abzuschaffen, um ihn – vielleicht – durch "boxeurs" oder "detectives" bzw. "cow-boys" zu ersetzen. Vollendeter Typ, geistiger Kämpfer und Wettsieger ist dagegen der "arbeitende, produktive Mensch"; keine Art der Tätigkeit, auch nicht die des Verstandes, hat Geltung, wenn sie nicht unter dem Namen "Arbeit" – "produktive" Arbeit – auftritt um im "Dienste der Gesellschaft" steht. Eine solche Auffassung zeigt also unwiderleglich, daß eine so beschaffene "Kultur" eben im Typ des letztrangigen, aus der antike geläufigen Standes – dem der Arbeitssklaven – aufgipfelt. Auch hier hört der Mensch auf, indem er auf seine geistige Persönlichkeit verzichtet hat, irgendwelche Bedeutung zu haben, es sei denn im Rahmen jener "Pflichten", welche ihm von der vom Fieber des Leistens, des "Realisierens", des Sich-Bewegens vorwärtsgepeitschten Kollektivgemeinschaft auferlegt werden. Nur widerrechtlich können aber solche "Pflichten" – wie in den neuesten Ideologien moralische, ja religiöse Geltung beanspruchen; die Standardisierung der Seele selbst und ihre Auflösung in eine verflachte Allgemeinheit und ins allbeherrschende Ökonomisch-Mechanische sind das offenbare Ziel. Dabei ist sogar die Fähigkeit, den Grad dieses Verfalls zu erkennen, ausgelöscht. Das sind die Formen, in welchen sich der Kreis beschließt, der Niedergang vervollständigt. Rußland und Amerika sind zwei gleichwertige Beispiele, zwei nämliche Gesichter ein und derselben Sache. Von der früher so augenscheinlichen Ähnlichkeit mit dem menschlichen Organismus, in dem sich im Glanz und der Autorität der höheren Kasten entwickelnden Staate, ist der soziale Körper nun zum Typ eines untermenschlichen Rumpfgebildes herabgesunken. Heraufkunft des antlitzlosen Tieres. So sind uns alle Elemente gegeben, um in vollstem Ernste an das Problem heranzutreten: Welches ist die wahre Bedeutung des Nationalismus in der modernen Welt?

Nach all dem Gesagten ergibt sich bereits folgender Typ eines klar erkennbaren Nationalismus: es ist jener Zustand, welcher dem internationalen Gebilde eines wirtschaftlich-proletarischen Kollektivismus unmittelbar vorausgeht.

Wichtig in diesem Nationalismus ist nicht so sehr die Herausbildung eines besonderen Nationalbewußtseins: vielmehr die Tatsache, daß die "Nation" zur Person, zu einem selbständigen Wesen geworden ist. Zum ethischen Wert wird eben die Unfähigkeit erhoben, jene Bande des Bodens und des Blutes zu überwinden, die nur die naturbedingte und infraintellektuelle Seite des Menschen angehen – eben die Unmöglichkeit des Einzelnen, sich einen Sinn außerhalb der Kollektivität und der gegebenen Überlieferungen zu erringen. Die bloße Tatsache des "National"-Seins verleiht hier allen Erscheinungen den Strahlenkranz mystischer Unverletzlichkeit, garantierender und unbedingten Respekt fordernder Macht. Dieses ethnisch-infraintellektuelle Element erkennt nicht nur höheren Prinzipien keinerlei Autorität zu, unterstellt sich vielmehr dieselben; an erster Stelle steht die "Nation" – dann kommen in Unterordnung erst Wirklichkeit, Wahrheit und Kultur. Gewisse nationalistische Gruppen gehen jedoch noch darüber hinaus: sie verwerfen jedes unbeteiligte und sachliche Urteil als abstrakt; verlangen, man solle auch in Fragen der Wirklichkeit, Wahrheit und Kultur nicht von der nationalen Überlieferung und den politischen Interessen absehen. Daher sprechen sie auch von "unserer" wissenschaftlichen, philosophischen und sogar religiösen Überlieferung und äußern gegen alles, was nicht "von uns" ist, was "der Nation nicht unbedingt förderlich" ist, eine vorgefaßte Geringschätzung oder zum mindestens gleichgültige Zurückhaltung. (Wenn wir von "Tradition" im negativen Sinne sprechen, beziehen wir uns nur auf jene Auffassung derselben, die kein intellektuelles – also überethnisches – Element in sich birgt. In diesem Falle aber bedeutet – um mit Chesterton zu sprechen – "Tradition" bloß die Ausdehnung des demokratischen Mehrheitsrechtes über das Geschichtliche: das totemistische Recht der Toten steht über den Lebendigen, ein Recht, das sich auf die Tatsache stützt, Tote derselben Rasse zu sein.) Gleichwie man keiner höherstehenden Aktivität gestattet, sich frei zu entfalten und ein über den ethnischen Voraussetzungen stehendes Dasein zu schaffen, so ist auch im Rahmen eines solchen Nationalismus kein Raum und keine Wertschätzung für eine höherentwickelte Persönlichkeit, sie sei denn ein "Exponent" der Nation. Im Zeitalter der Revolutionen, im Niederbruch der aristokratisch-feudalen Regierungssysteme geboren, drückt dieser Nationalismus daher den reinsten "Massen-Geist" aus – ist er eine Variante der demokratischen Unduldsamkeit, einer Intoleranz, die sich gegen jeden Führer richtet, der nicht ausschließlich "Diener des Vaterlandes" und Organ des "Volkswillens" ist und in allem und für alles vom Gutheißen desselben abhängt.

Ohne Schwierigkeit erkennen wir also, daß zwischen dem Nationalismus und dem Anonymat nach russischer oder amerikanischer Art im Grunde nur ein Gradunterschied besteht: im ersten Falle sinkt der Einzelne wieder in den ethnisch-nationalen Urgrund zurück; im zweiten Falle aber verschwinden die Unterschiede der ethnischen Urgruppen, es entsteht eine weitläufige Kollektivisierung, eine Zersetzung in das Element Masse. Um von einem zum anderen Grade des Kollektivismus zu gelangen, genügt es, daß an Stelle der Rassenmystik die Idee eines reich wirtschaftlich-mechanischen Typs gesetzt wird. Es liegt am unpersönlichen Charakter einer solchen Struktur, wenn letzte Reste des Qualitätsunterschiedes tatsächlich ausgerottet werden: durch die Rationalisierung und Mechanisierung des öffentlichen Lebens werden virtuell dem vaterlandslosen "Massenmensch" die Tore der Zukunft erschlossen. – Da nun die "Kultur" von heute eben auf dem Standpunkte wirtschaftlich-mechanischer Machtentfaltung steht, da auf diese Ebene mehr oder weniger alle Werte und Größenmaßstäbe zurückgeführt werden, ist vielleicht der Schritt zum Übergang von dem einen zum anderen Grade nur mehr eine Frage der Zeit. Und doch fragt man: kann dem Nationalismus auch noch eine andere Bedeutung innewohnen? Wir glauben diese Frage bejahen zu dürfen. Wir haben doch behauptet, der Nationalismus erscheine als Übergangsform in der Epoche der zur politischen Herrschaft gelangten dritten Kaste, jedoch vor der endgültigen Heraufkunft des letzten Standes. Eben solche ideengeschichtliche Lage befähigt den Nationalismus, Träger eines doppelten Sinnes zu werden. Als Übergangsform kann er nämlich sowohl in der Richtung des Verfalles wie auch in der Richtung eines Wiederaufbaus vorgefunden werden. Angenommen, der Rückbildungsprozeß habe sein Ende erreicht im Sinne einer amerikanisierten bzw. sowjetisierten Welt, so würde, wer noch die Kräfte für ein Wiederauferstehen spürt, in dem neuen Aufstieg wieder den Nationalismus antreffen – doch einen ganz andersgearteten Nationalismus! Wie die von der Physik "vektorial" genannten Größen, läßt sich auch das Phänomen des Nationalismus nur auf der Grundlage eines Richtungsfaktors bestimmen: Die erste Form des Nationalismus liegt in der Richtung nach dem in dem Grad der "Nation" verwirklichten Kollektivum. In der zweiten verläuft die Richtung dagegen vom Kollektivum hinüber nach dem Wiederaufbau einer neuen aristokratischen Hierarchie.

Die Voraussetzungen dieses zweiten Nationalismus lassen sich in vortrefflicher Weise mit den Worten Paul de Lagardes andeuten: "Eine einzelne Nation steht höher als die Menschheit, und jedes einzelne Mitglied einer Nation ist mehr – das heißt, soll mehr sein als nur national, mehr als nur das, was jeder Nationsgenosse als solcher ist: in der Nationalität tritt zur Menschheit ein sehr wertvolles x; und in der Einzelpersönlichkeit zu diesem wertvollen x ein noch viel wertvolleres y hinzu." (P. de Lagarde, Deutsche Schriften, B.I, S. 163. Vgl. S. 423: "Mit der Idee der Humanität müssen wir brechen: denn nicht das allen Menschen Gemeinsame ist unsere eigenste Pflicht, sondern das nur uns Eignende ist es".) Es handelt sich also um eine Hierarchie, die vom Abstrakten zum Konkreten schreitet; das Abstrakte ist das Kollektivum, das Allgemeine – das Konkrete ist das differenzierte Individuelle. Im Vergleich zur formlosen Masse "Menschheit" kann das Wiederauferstehen eines differenzierten Nationalbewußtseins schon einen ersten Fortschritt darstellen. Das Nationalbewußtsein, der ethnische Stamm soll aber der Persönlichkeit gegenüber wiederum nur formlose Materie werden. Die Persönlichkeit, die zu sich selbst findet, sich selbst vollendet nach höheren, über das blutbedingte hinausreichenden Lebensformen, wandelt jene Materie vom Chaos zum Kosmos, von der potentia zum actus. Das Verhältnis verkehrt sich so ins ein Gegenteil: die Nation ist nicht mehr der Zweck des Individuums – das Individuum als geistig-aristokratische Persönlichkeit wird dagegen der Zweck der Nation. Die Nation kann wohl als ihre Mutter gelten: aber sie hat dabei bloß die Bedeutung der stofflichen Bedingtheit des Bodens gegenüber einem Baume, dessen obere Teile sich vom Boden losreißen und nach den freien Höhen emporsteigen. Damit ist der Hauptpunkt des Unterschiedes geklärt. Zur endgültigen Klärung haben wir uns noch auf die qualitative Bedeutung der alten Kastenhierarchie zu berufen. Ein Nationalismus, der keine Anbahnung mechanisch-kollektivistischer Zustände, sondern Überwindung solcher Zustände und Vorspiel des Wiederaufbaus sein soll, ist möglich nur auf der Grundlage folgender Forderung: unbedingte macht und unmittelbare Autorität für eine neue, über all das Praktische, "Soziale" und Wirtschaftliche hinausgehende Wertordnung. Sonst kann keine wahre Hierarchie bestehen, und ohne Hierarchie ist die Rückkehr zu einem höheren, vergeistigten Staatstyp unvollziehbar. In der Tat bedeutet Hierarchie nicht bloß Unterordnung, sondern Unterordnung des Niedrigeren unter das Höhere. Niedrig ist aber all das, was sich an praktischen, interessierten, weltlichen Maßstäben messen läßt; höher ist, was die Art reiner und uninteressierter Tat ausdrückt. Jedes andere Kriterium ist entweder illusorisch oder verderblich.

"Illusorisch" ist der Hierarchiegedanke im Rahmen des Bloß-Ökonomischen, doch auf der Grundlage von Verschiedenheiten des Geldes, der Geschicklichkeiten, des politischen oder amtlichen Ranges, der "Klasse" im marxistischen Sinne usw. Nur sobald Interessen entstehen, die entschieden über das Gesamtgebiet des Ökonomischen hinausweisen, ist das Prinzip wahrer Hierarchie gegeben. Wir müssen von der Voraussetzung ausgehen, daß unser Lebenszweck nicht in der Entwicklung der Ökonomie besteht, sondern jede Ökonomie Mittel zum Zweck ist. Der Zweck ist aber die innere Erhebung, die Entfaltung der Persönlichkeit im integralen und "überweltlichen" Sinne.

Hierarchie ist Entstellung, wenn sie die Versklavung des Nichtpraktischen unter das Praktische ausdrückt: etwa wie ein Körper der den Geist zu seinem Organe gestaltet (ungefähr dies meint Julien Benda mit der "trahison des clercs"). Aber in dem auf allen Gebieten – sogar auf dem des Wissenschaftlichen herrschenden "Pragmatismus", im Kleingeld-Machiavellismus und allgemeinen Arrivismus des heutigen Tags bestätigt sich eben diese Entstellung in der Mehrheit der Fälle. – Nichts ist aber widerhierarchischer – ja anarchistischer – als solche Typen scheinbarer "Hierarchie". Wir hatten uns die Aufgabe gestellt, die beiden gegensätzlichen Möglichkeiten des Nationalismus zu ergründen. Eine Untersuchung, inwieweit die verschiedenen, heute in den europäischen und außereuropäischen Staaten herrschenden und kämpfenden Nationalismen die eine oder die andere Möglichkeit verkörpern, fällt aus dem Rahmen vorliegender Betrachtung heraus.

(Veröffentlichung in: Europäische Revue, 1932, S. 618-628)

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Unsere Antibürgerliche Front

Erst kürzlich hat Mussolini wieder gegen den "bürgerlichen Geist" Stellung genommen, die in ihrer Entschiedenheit reich an bedeutsamem Gehalt ist. Mussolini hat erklärt, daß bürgerlicher Geist und faschistischer Geist, bürgerliche Ethik und heldische Ethik unvereinbare Gegensätze sind. Schon früher einmal hatte er geäußert: "Der Faschismus verschmäht das bequeme Leben". All dem, was die Geschichte zu bürgerlicher Unbeweglichkeit verurteilen kann, hat Mussolini in der neuen Rede, auf die wir uns hier beziehen, das Prinzip einer "kontinuierlichen Revolution" gegenübergestellt, also einer ununterbrochenen schöpferischen Spannung, die, verborgen und unsichtbar in der "grauen Mühe des täglichen Aufbauens", doch in den "strahlenden Augenblicken des Opfers und des Ruhmes" zu voller Offenbarung gelangen soll. Wenn sich diese Äußerungen auch in erster Linie in der Ebene der gegenwärtigen faschistischen politischen Wirklichkeit Italiens bewegen, so sind sie doch einer weiteren Entwicklung fähig, im Sinne allgemeiner und ideeller gehaltener, nicht nur für Italien allein gültiger Orientierungen. Die bürgerliche Front zur Gänze und in allen ihren materiellen und intellektuellen, wirtschaftlichen und sentimentalen Verästelungen zu brechen, ist in der Tat die dringlichste Aufgabe unserer Epoche. Die Bürgerlichkeit weist drei Grundaspekte auf: sozial der erste, moralisch der zweite, sentimentalisch der dritte. Wir wollen hier in aller Kürze ihre Einzelmerkmale festhalten. Sozial gesprochen trägt die Bürgerlichkeit ihre eigene Definition bereits im Wort mit sich. "Bürgertum" ist gleichbedeutend mit dem "dritten Stand", genauer gesprochen mit der Klasse der in den mittelalterlichen Städten ansässigen Gewerbetreibenden und Handwerker. Nun liegt doch klar zutage, daß der "Fortschritt" der Geschichte seit dem Mittelalter sich wesentlich in einer abnormen Entwicklung des bürgerlichen Elements und der nur ihm eigentümlichen Interessen und Betätigungen zusammenfassen läßt, während die anderen, höheren Elemente der mittelalterlichen Hierarchie außerhalb bleiben – eine Entwicklung, die ganz den Charakter einer Krebswucherung aufweist. Es ist der Bürger, der mit vollen Händen den Fluch der Lächerlichkeit über die Ideale des voraufgegangenen ritterlichen Zeitalters ausschüttet. Es ist der Bürger, der als erster, wie jene von Dante so sehr verachteten "neuen Leute", das Signal zur antitraditionellen Empörung gegeben hat, indem er sich das Waffenrecht aneignete, die Zentren unreiner wirtschaftlicher Macht befestigte und seinem Banner zum Durchbruch verhalf, es ist der Bürger, der in den städtischen Kommunen einen anarchischen Autonomieanspruch der kaiserlichen Autorität entgegensetzte. Es ist der Bürger, der es allmählich dazu gebracht hat, daß heute ein Anspruch als das natürliche Ding von der Welt erscheint, der in anderen – normalen – Zeiten als absurde Häresie gegolten hätte: daß nämlich die Wirtschaft unser Schicksal ist, der Gewinn unser Lebenszweck, das Feilschen und Handeln ein "Tun", die Umrechnung jedes Wertes in die Begriffe des "Rentierens", der prosperity, des Komforts, in Werte der Spekulation, von Angebot und Nachfrage das Wesen unserer Zivilisation ausmacht. Aus diesem Grunde ist der Anspruch, unsere moderne Zivilisation sei eine hebraisierte Zivilisation, alles eher denn unsinnig. Moderne Zivilisation und bürgerliche Zivilisation waren so fast gleichbedeutende Begriffe geworden. Der Heraufkunft des Bürgers zur Macht, der durch die Revolution zuerst und dann durch die demokratischen Verfassungen endgültig von den "mittelalterlichen" Residuen losgelöst wurde, dankt das Abendland seine illusorische Größe, gleichzeitig aber auch die furchtbare geistige Zerstörung, deren Zeugen wir heute sind.

Der zweite Aspekt der Bürgerlichkeit ist ihr Moralismus. Es ist dies im Grunde ihr moderner Aspekt, der um so mehr unterstrichen werden muß, als ihr negativer Charakter den meisten Menschen entgeht, eben weil der Prozeß der Verbürgerlichung aller Werte schließlich eine einheitliche Formamentis über alle damit zusammenhängenden Lebensäußerungen gebreitet hat. In dem Text einer Überlieferung, der zweitausend Jahre vor Nietzsche niedergelegt wurde, steht zu lesen: "Wenn der Weg (d. h. der unmittelbare Anschluß an die reine Geistigkeit) verloren ist, bleibt die Tugend; wenn die Tugend verloren ist, bleibt die Ethik; wenn die Ethik verloren ist, bleibt der Moralismus. Der Moralismus ist nur die Veräußerlichung der Ethik und bezeichnet das Prinzip des Niederganges". In diesem Ausspruch sind klar und deutlich die verschiedenen Etappen des Niedergangprozesses unterschieden, der bis zum bürgerlichen Idol hinabgeführt hat: zum Moralismus. Ein solches Idol war den großen traditionsgebundenen Kulturen ganz unbekannt geblieben:niemalshatten sie einauf Konvention, Kompromiß, Scheinheiligkeit und Feigheit aufgebautes System der Dressur und Gleichmacherei gekannt, ein System, das seinen Geltungsanspruch auf einen minderwertigen vergesellschafteten Utilitarismus gründet, also auf ein System von "tabu" zum Schutze ungestörten Fressens, Genießens und Geschäftemachens. Der Moralismus hat sich im gleichen Schritt entwickelt mit der parasitären Ausartung der bürgerlichen Zivilisation des Abendlandes, sodaß sich seine Haltung unschwer mit den charakteristischesten Äußerungen der wichtigsten ideologischen Exponenten dieser Zivilisation in Zusammenhang bringen läßt. Übrigens muß festgehalten werden, daß, wenn vor der Heraufkunft des bürgerlichen Geistes nicht von Moralismus, sondern von Ethik die Rede war, doch die Ethik selbst nichts weiter ist als säkularisierte Geistigkeit und laisierte Religion. Was heute den Wert einer konventionellen Moral hat und gestern den Wert einer innerlichen Ethik hatte, besaß überlieferungsgemäß eine "sakrale" Begründung, was in symbolischer Verhüllung schon aus dem Umstand ersichtlich ist, daß im Altertum jedes Gesetzessystem als "übernatürlich" geoffenbart oder "göttlichen" Ursprungs oder als von Gesetzgebern nicht einfach menschlicher Herkunft erlassen galt: Manes, Mino, Manu, Numa und so fort. Diese Tatsache erfließt aus dem eigentlichen Wesen jeder traditionsbegründeten Kultur, die stets bestrebt ist, den Menschen mit einer Kraft von oben in Zusammenhang zu bringen, einer Kraft, die in ihrer Intensität fähig ist, jedes niedrige, also rein menschliche Element hinwegzureißen, zu beugen und zu zähmen, und so Möglichkeiten übermenschlicher Aufhöhung schafft, statt jeden Aufschwung, jede Offenbarung von Kraft und Kühnheit zu hemmen und zu kanalisieren, um so zur serienweisen Erzeugung von kleinen Wesen und kleinen, auf gleichgeschalteten Schienen laufenden Leben zu gelangen. Auch wenn diese Kraft von oben nicht mehr gegenwärtig ist, so bleibt doch eine Zeitlang noch ihre Spur zurück, es bleibt eine Ethik im klassischen Sinne, ein Ethos als innerliche Charakterform und traditionsverhafteter Lebensstil, begabt mit einer spontanen Liebe zur Herrschaft über sich selbst, zur Disziplin, zum Wagnis, zur Treue oder zur Befehlsgewalt. Hat sich einmal dieses Ethos erschöpft, dann beginnt die Moral und die stete Besorgnis um die guten Sitten an ihre Stelle zu treten, also der Moralismus. Der Schwerpunkt geht auf den Philister in seinen verschiedenen Masken über: vom fanatischen Puritaner zu Candide und Babbitt. Damit kommt die innerliche Entmannung, die Normalisierung um jeden Preis, die zwangsweise Standardisierung auf der ganzen Linie zum Durchbruch. So bestand die Gefahr, auf Grund logischer Kontinuität aus der bürgerlichen Epoche auf ein noch tieferes und degradierenderes Niveau abzugleiten, insofern nämlich die methodische "Befreiung" von den "bürgerlichen Vorurteilen" der "Persönlichkeit", des "Ich" und der "Willensfreiheit" zum höheren Ruhme eines kommunistischen, mechanisierten und etatisierten sozialen Konglomerats, nach dem puritanischen Standardismus das Losungswort des neuen Sowjetevangeliums geworden ist. Deshalb ist hier, wie auf anderen Gebieten (zum Beispiel auf dem der Wirtschaft, wo der bürgerliche Kapitalismus kontrapunktisch gegen sich seine marxistische Antithese ins Leben gerufen hat) eine Art Nemesis oder immanenter Gerechtigkeit aufgebrochen, die Unterwühler höherer Ordnung hart zu schlagen.

Der dritte Aspekt der Bürgerlichkeit ist ihr Sentimentalismus. Er ist eine ebenso typisch bürgerliche Eigenschaft wie der Romantizismus selbst. Im Sentimentalen und im Romantischen kulminiert die kleine, gezähmte und "anständige" bürgerliche Seele, indem sie tief bewegt wird von poetischen Süßlichkeiten, melodramatischen Heroismen, pathetischen Liebeskomplikationen, oleographischen Naturverfälschungen. All dies dient jedoch zu nichts anderem, denn als physische Kompensation, um praktisch seine gesellschaftlichen, beruflichen und familiären Tagesroutinen ungestört festhalten zu können. In diesem Sinne ist die Behauptung keineswegs paradox, daß der Idealismus, d. h. die abgebrauchte Rhetorik von den "heiligen Idealen", den "erhabenen Ideen", den "Glaubensüberzeugungen" und solchen Allgemeinheiten eine ganz und gar bürgerliche Angelegenheit ist: eine verschwommene und leere Sache, nur dazu geschaffen, die Abwesenheit einer schweigsam schöpferischen Kraft zu bemänteln. Wir behaupten also, daß eher als die Abwesenheit, vielmehr das Vorhandensein von "Idealen" und "Glaubensüberzeugungen" in dem angedeuteten Sinne eine bürgerliche Epoche charakterisiert. "Ideale" und "Glaubensüberzeugungen" waren dagegen dort abwesend, wo sie als zu wenig empfunden wurden, wo der Mensch in bezug auf sich selbst zentral begründet war, wo eine reine Kraft, Macht und echter Schöpfungswille herrschend ist. Asketische Kulturen, kriegerische Kulturen, schöpferische Kulturen haben so wenige Raum für "Ideale" und "Glaubensüberzeugungen" wie für "Moralitäten" und "Sentimentalismen". In ihnen herrschen wesenhaft übergeordnete Lebensformen – oder besser gesagt: Formen eines Überlebens, ohne rhetorische oder sentimentale Expressionismen, ohne Zähmungen, ohne die Verfälschungen, die notwendig dem anhaften, der außerhalb seiner selbst steht, der seinem Wesenskern gegenüber schwankt und nicht in sich selbst feststeht. Dies gilt sowohl in der individuellen und "typologischen" Ebene wie in der Ebene der Rassen und verschiedenen Phasen der historischen Zyklen. Die Revolutionen, die heute mit ihrem Ferment im heilsamen Sinne das alte Europa zu durchsetzen streben, müssen aus innerster Logik heraus sich zur Antibürgerlichkeit bekennen und in diesem Zusammenhang gewinnt die klare und eindeutige Erklärung Mussolinis und die daraus sich ergebende Behauptung des historischen Prinzips die Bedeutung eines sicheren und autoritären Beziehungspunktes. Wir sagten "aus innerster Logik", insofern historisch gesehen derartige Revolutionen in ihrem Aspekt kultureller Rekonstruktion heute in aufsteigender Richtung eine Skala durchlaufen, die Europa schon in absteigender Richtung durchlaufen hat. War doch die Macht aus der Ebene rein geistiger Autorität auf eine aristokratisch-militärische Ebene und von dieser bis zur Ebene des Bürgertums und der Demokratie herabgestiegen, von wo sie auf das Niveau der proletarisierten Masse abzusinken drohte. Die erste Phase der europäischen Revolution und Rekonstruktion hatte die Aufgabe einer Vernichtung der bolschewistisch-marxistischen Gefahr. Die zweite Phase kann keine andere sein als die der Antibürgerlichkeit. Nur so wird es möglich werden, mit den Aufgaben einer höheren Weltordnung, eines aristokratischen Wiederaufbaus, in Kontakt zu treten.

(Veröffentlichung in: Der Ring, 1934, S. 426 f.)

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Bürokratie und führende Schicht

In der letzten Zeit ist über „Antibourgeoisie“ viel gesprochen und diskutiert worden. Nachdem die bolschewistische und kommunistische Gefahr zurückgetreten war, sah man in der bürgerlichen Kultur und im bürgerlichen Geist berechtigterweise die gefährlichsten Widersacher des Faschismus. Vor dieser Gefahr muß er sich besonders hüten, da sie in verfeinerter und hinterlistigerer Form auftritt und in den natürlichen Neigungen eines großen Teils der Menschen einen geeigneten Boden findet, wo immer die heroische Spannung im Aufstieg einer Kultur, einer Rasse oder einer Bewegung nachzulassen anfängt.

In den Diskussionen, auf die ich eben hinwies, sind verschiedene Erscheinungs- und Ausdrucksformen des bürgerlichen Geistes erwähnt worden. Es ist jedoch eigenartig, daß man einer seiner typischsten Formen kaum Beachtung geschenkt hat, wo doch diese Form um so gefährlicher ist, als sie im Kern des Staatsgefüges gedeiht: ich meine die Bürokratie. Die Bürokratie ist die typische Vertreterin der „politischen Bourgeoisie“ und verkörpert die schlimmsten Fehler des bürgerlichen Geistes im weiteren Sinne. Trotz achtzehnjähriger Herrschaft des Faschismus muß ehrlich zugegeben werden, daß man in Italien weit davon entfernt ist, eine wirksame, tatsächliche und nicht nur nominelle Entbürokratisierung feststellen zu können. Ohne ihre wichtigsten Positionen aufgegeben zu haben, hat sich die Bürokratie sogar neue und nicht unbedeutende Stellungen sichern können und vermochte sogar – so merkwürdig und paradox es klingen mag – einige durch die Revolution geschaffene Einrichtungen auszunutzen.

Nach der bekannten Definition von Max Weber sollte die Bürokratie in einer normalen politischen Ordnung ein „unpersönliches, neutrales“ Instrument sein. Die Staatsverwaltung bedingt zwangsläufig auch einen gewissen Mechanismus in den untergeordneten Stellen, die nur automatischen und ganz unpersönlichen Charakter haben. Dies ist das „Betätigungsfeld“ der Bürokratie, das sind die Stellen, die ihr Existenzberechtigung geben und durch die sie die ihr normalerweise zustehenden Vorrechte erhält. Wenn ich das Attribut „neutral“ für die Bürokratie gebrauche, so will ich jedoch nicht sagen, daß politischer Agnostizismus und Verantwortungslosigkeit ihre Grundprinzipien sein sollen. Darum handelt es sich nicht. Jeder Staatsbeamte muß sich etwa wie das Glied einer Miliz fühlen; er muß es als Ehre ansehen, zu einem Staatsamt berufen zu sein und daher ein entsprechendes Verantwortungsgefühl zeigen. Aber, um bei dem Vergleich mit der Miliz zu bleiben, auch im Heer haben diese von untergeordneten Stellen verlangten Eigenschaften nichts mit den Aufgaben eines wirklichen und wahrhaften Kommandos und, allgemein gesprochen, mit dem Dirigieren und Anordnen der tatsächlichen Führer zu tun. Ebenso muß auch die faschistisch gewordene Bürokratie „neutral“ sein in dem Sinne, daß sie in keiner Weise versuchen darf, sich unabhängig zu machen, sich eine ausgesprochen politische Autorität zu verschaffen und einen Einfluß durch Personen, Klassen oder Cliquen auszuüben. Sollte das eintreten, so ergibt sich ein wachsendes Mißverhältnis und eine Umkehrung der Rangordnung, die unweigerlich eine Weiterentwicklung hindert und zu einer Materialisierung der Staatsidee führt.

In dem Augenblick, in dem er aufhört, im Sinne eines pflichtbewußten, treuen und einsichtigen Mitglieds des staatlichen Verwaltungsapparats „neutral“ zu sein, verkörpert der Bürokrat fast ausnahmslos die bezeichnendsten „Tugenden“ der Bourgeoisie. Sein Hauptinteresse gilt seinem persönlichen Vorteil. Er versucht daher, aus seiner Stellung und der durch sie gegebenen Autorität jeden nur möglichen Nutzen zu ziehen. Sein Auftauchen in dieser oder jener Regierungsstelle erleichtert es ihm, die geeignetsten persönlichen Beziehungen anzuknüpfen, um eine Zone der Interessengemeinschaft zu schaffen. Seine Beziehungen zu höheren Stellen in der bürokratischen Rangordnung erlauben es ihm, Einfluß und Protektion zu versprechen und oft auch zu erwirken – alles dies, ohne sich bloßzustellen und eine bestimmte Verantwortung zu übernehmen, denn nominell ist der Bürokrat nur im engen Bereich seiner normalen Verwaltungstätigkeit verantwortlich, die diese seine wirksame Aktivität in keiner Weise einschließt.

Auf diese Weise bilden sich Formen eines wirklichen und wahrhaften bürokratischen Feudalismus heraus. Da ihre Grundlagen jederzeit widerrufen werden können, erfreuen sie sich stets eines entsprechenden Prestiges. In ihrer Gesamtheit bildet diese sich schweigend von der wirklichen politischen Klasse loslösende Bürokratie beinahe einen Staatsersatz oder wenigstens eine Art Duplikat. Sie hat quasi die Funktion eines Zwischenraumes, eines stagnierenden Bezirks zwischen der Nation und der leitenden politischen Schicht. Das System entwickelt sich tatsächlich in der Weise, daß es beinahe ebenso schwierig ist, eine gewisse bürokratisch-politische Gruppe und ihr Interessennetz zu passieren, wie mit den mit der Regierung beauftragten politischen Kreisen in direkten Kontakt zu kommen und sie positiv zu stimmen. Denn diese Gruppe ist dadurch gut geschützt, daß sie selbst Informationen, Auskünfte und Ansichten auf dem betreffenden Gebiet ihren büromäßigen Vorrechten entsprechend geben muß.

Aber sie hat auch andere Folgen. Diese nichtneutrale Bürokratie übt schließlich fast immer einen über den Umkreis ihres eigenen Arbeitsgebiets hinausgehenden Einfluß aus. Dies hat sich z.B., typisch bei der Schaffung der halbstaatlichen Verbände und ähnlicher Einrichtungen gezeigt, in denen es nicht zu verhindern war, daß sich bürokratische Elemente dieses oder jenes Amt sicherten. Dies Ergebnis ist eine Häufung von Ämtern mit entsprechenden Nebeneinkünften, gegen die sich die faschistischen Regierungsstellen oft und entschieden ausgesprochen haben. Aber abgesehen von Einzelfällen, die zu sehr ins Auge fielen und daher leicht festzustellen waren, dauert dieser Zustand trotz allem weiter fort, denn die Interessen, die einer generellen und radikalen Aktion entgegenstehen, sind zu stark. Auf diese Weise ist der stagnierende Bezirk zwischen dem Staat und den einzelnen nationalen Kräften verstärkt worden, und die Bürokratie hat, wie ich schon sagte, die Möglichkeit, ihren Einfluß auch auf Gebiete auszudehnen, die normalerweise nicht zum Zuständigkeitsbereich ihrer einzelnen Ämter gehören.

Eine andere nicht unwichtige Folge dieser bürokratischen Anhäufung ist eine Störung der normalen hierarchischen Beziehungen innerhalb eben dieser Bürokratie mit nicht gerade erbaulichen Folgen für ihre weniger privilegierten Teile. Ein praktisches Beispiel: Derjenige, der mehrere Nebenfunktionen an sich reißen konnte, hat natürlich ein größeres Ansehen und mehr Einfluß, als sie ihm allein aus seinem eigentlichen Beruf zukommen würden. Auf diese Weise – und nicht nur in bezug auf Nebeneinkünfte – wird dadurch eine neue Ordnung und eine neue Rangstufung geschaffen, die mit denjenigen, die rein und unpersönlich durch die Gesetze geschaffen worden sind, nichts zu tun haben. In gewisser Weise wiederholt sich so der Fall, den ich persönlich bei einer fremden Nation feststellen konnte, wo nämlich in mehr als einem Ministerium die höchsten Beamten und die nach außen in Erscheinung tretenden leitenden Persönlichkeiten nur von ihren Untergebenen abhängige Komparsen waren, da diese in einer Loge, der sie gemeinsam angehörten, eine höhere Würde als sie selbst bekleideten.

Dieser Hinweis mag vielleicht einem „Unschuldigen“ Anlaß zu Protest geben. Er könnte sagen, wir beschrieben die Merkmale eines demokratischen Systems mit seinem bekannten System von halbpolitischen und freimaurerischen Cliquen und nichts, was sich wirklich auf den faschistischen Staat beziehen könnte. Hier wird nicht vom faschistischen Staat gesprochen, der in sich selbst über jede Kritik oder jeden Verdacht erhaben ist, sondern es handelt sich hier um eine Klasse und einen Geist, die nicht aussterben wollen, die Meister der Verwandlungskunst und der Anpassungsfähigkeit mit beinahe phönixhaften Eigenschaften sind, weil sie immer neue Lebenskräfte im Bourgeois, im Egoisten, im Profitsucher finden. Diese Eigenschaften schlummern in der großen Mehrheit der Menschen, auch wenn sie der faschistischen Partei angehören. Die Revolution der Schwarzhemden hat in der rein politischen Schicht gewonnen, die im Mittelpunkt des neuen Staates steht und wirklich eine neue Mentalität, neues Verantwortungsgefühl, Mut, Unpersönlichkeit und Entscheidungskraft zeigt. Die undurchsichtig-träge Masse der Bourgeoisie – ein Überbleibsel und ein anstatt zur Verbindung nur zum Verstopfen und zum Getrennthalten dienendes Element – trennt diesen zentralen Kern von den lebendigen Kräften der Nation, in der sich ebenfalls der Gärstoff des neuen faschistischen Geistes bewegt.

Es ist darauf hingewiesen worden, daß dieser noch bestehende unerwünschte Zustand mit Hilfe neuer revolutionärer Einrichtungen sogar andauern und gesteigert werden konnte. Über die Verteilung der Macht an die einzelnen Verfassungsorgane auf Grund der neuen faschistischen Staatslehre ist viel diskutiert worden. Man hat sich gefragt, ob man noch an der alten Ansicht von der abstrakten Teilung der Machtbefugnisse festhalten sollte bzw. durch welche Theorie man sie verneinendenfalls ersetzen könne. Es würde zu weit gehen, dieses Problem im Rahmen dieses Aufsatzes ex professo zu behandeln. Da die autoritären und totalitären Vorbedingungen für den neuen faschistischen Staat gegeben sind, kann nur darauf hingewiesen werden, daß die alte Ansicht vom Gleichgewicht und einer relativen Autonomie der einzelnen Verfassungsorgane augenscheinlich einer neuen, genau festgelegten Rangordnung mit Vorrang desjenigen weichen muß, der sich „Exekutive“ zu nennen pflegt. So betont Costamagna „die verantwortliche Funktion der Personen, die durch hierarchische Auswahl berufen sind“, und schreibt weiter: „Dies ist die Bedeutung der Bezeichnung 'gouvernemental', die wir dem neuen Staatstypus beigelegt haben, im Gegensatz zu dem 'legislativen' Charakter des demokratisch-liberalen Systems der individualistischen Ordnung und dem administrativen Charakter des Sowjetsystems. Das hierarchische Prinzip sichert die Einheit des gouvernementalen Staates auch in der Sphäre des Rechtes, da es die Hierarchie der Rechtsquellen bedeutet und die Einrichtung eines Verfassungsgerichtes fordert.“ (Dottrina del Fascismo, S. 432/33.)Jedoch offenbart sich auch auf diesem Gebiet die Hartnäckigkeit der jeder revolutionären Erneuerung widerstrebenden Geister in einer dauernden Unsicherheit in der Doktrin und in einer Unfähigkeit, die neue durch den Faschismus geschaffene politische Wirklichkeit positiv durchzuführen. Um zu unserem Hauptthema zurückzukommen: Es ist z.B. viel über das Gesetzesdekret (decreto-legge) diskutiert worden. Ursprünglich stellte es eine außergewöhnliche Maßnahme dar, die seinerzeit die Juristen verschiedenster Schulen skandalisierte: inzwischen ist es ein normales Rechtsmittel geworden, das sozusagen mit zur Verwaltung gehört. Natürlich sollte das Gesetzesdekret in erster Linie den Vorrang und die höhere Würde der exekutiven Gewalt über die legislative und administrative im neuen Staate bezeugen. Wenn man die Dinge mit faschistischer Ehrlichkeit prüft, liegen sie aber in Wirklichkeit etwas anders. In vielen Fällen ist das Gesetzesdekret nichts anderes als ein Instrument in der Hand dieser angeklagten nichtneutralen Bürokratie, die in ihrem Bestreben, stufenweise die der leitenden Klasse zustehenden Funktionen zu erreichen – um nicht zu sagen, zu usurpieren –, autonom geworden ist. Und so ergreift das Verwaltungselement, das sich nur pro forma der Sanktionierung durch die Legislative unterwirft, die ausführende Gewalt und Macht auf einem nach Bedeutung und Umfang sehr viel größeren Gebiet, als ihm im neuen autoritären Staat zusteht.

So liegen die Dinge tatsächlich in vielen Fällen. Dadurch wird verstärkt, was wir den Feudalismus der nichtneutralen Bürokratie genannt haben. Es ist nicht unsere Aufgabe, weiter auszuführen, auf welche Weise dieser Zustand immer weiter erhalten bleibt, da einmal das Thema heikel ist und nur von denen behandelt werden sollte, die dazu autorisiert sind, zum anderen die Methoden von Fall zu Fall je nach Lage und Möglichkeiten verschieden sind. Selbst wenn man lediglich die Grundideen betrachtet – also annimmt, daß das System der Gesetzesdekrete nur den vom faschistischen Regime gewollten Geist widerspiegelt –, ist es klar, daß die neuesten Veränderungen der parlamentarischen Einrichtungen Probleme aufwerfen und Forderungen nach organischem Zusammenhang der Institutionen laut werden lassen, die vorher nicht so klar erkennbar waren. Es ist augenscheinlich, daß die faschistische Revolution durch die erwähnten Reformen die rein legislative Konzeption des Parlaments überwinden möchte, um daraus ein Organ zu schaffen, in dem sich das leitende politische Element mit den führenden Verwaltungsstellen trifft. Wenn die Dinge so liegen und man diese kühn revolutionäre Richtung, durch die die neue Verfassungsidee wirksam und organisch vervollständigt wird, logisch weiterverfolgt, so kann nicht bestritten werden, daß der das Parlament ersetzende Nationalrat selbst im Rahmen seiner ihm rechtmäßig zustehenden Machtbefugnisse die Rechte geltend machen muß, die durch das Gesetzesdekret ausgedrückt werden. Dies ist unbestreitbar, wenn man einer Doppelgestalt und einer im Grunde sogar anarchischen Lage vorbeugen will, die durch den Gebrauch des gleichen Rechtsmittels durch mehrere geschaffen würde. Es ist dann jedoch erforderlich, daß dies in einem zentralen Organ konzentriert bleibt und nur von einer Stelle zur Lösung der verschiedenen Probleme gebraucht werden darf.

Wenn man diese Forderung einsehen und folgerichtig vorgehen würde, so wäre auf dem Wege zur Beschränkung der Macht der Bürokratie und der Zerstörung jenes von ihr so oft gebildeten stagnierenden Zwischenraumes zweifellos schon ein großer Schritt getan. Um das Thema noch einmal aufzunehmen, auf Grund dessen diese kurzen Betrachtungen angestellt wurden, soll hier wiederholt werden, daß die Hauptfront, gegen die sich der Kampf gegen die Bourgeoisie richtet, von der Bürokratie gebildet wird, weil sie in ihrer Isoliertheit und nichtneutralen Haltung den Lebenskern des ganzen neuen Staatsgefüges bedroht. Sie bildet eine Art Isolierschicht, die den von den Vertretern der wirklich leitenden politischen Schicht ausgehenden schöpferischen und belebenden Elan aufhält und schmälert. Für diese Schicht bildet die Bürokratie eine dauernde Gefahr. Sie wendet jedes Mittel an, um diese Schicht einzufangen, damit sie selbst an ihrer Autorität teilhaben und sich ihrer Machtbefugnisse bedienen kann. Mutatis mutandis finden wir in ihr den Stil der vorfaschistischen Führerschicht wieder. Sie beabsichtigt, sich alle Möglichkeiten zu sichern, die ihr Vorteile verschaffen können, und zu gleicher Zeit die Verantwortung fernzuhalten. Wenn der Faschismus mit römischer Entschlossenheit diese Schlacht an der inneren Front gegen die Bourgeoisie gewonnen haben wird, wird er gleichzeitig einen gewaltigen Schritt in Richtung auf eine vollkommene Anpassung aller Kräfte der Nation an die ethischen Ideale der mussolinianischen Revolution getan haben.

(Veröffentlichung in: Der Vierteljahresplan, Nr.24, 1940)

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Der Heilige Krieg

Es soll nicht erstaunen, wenn wir uns vor allem auf die islamische Tradition beziehen. Die islamische Tradition steht hier am Platze der arisch-iranischen. Die Idee des "Heiligen Kampfes" – wenigstens was die hier zu betrachtenden Elemente anbetrifft – kam zu den arabischen Stämmen aus der persischen Gedankenwelt: sie hatte also gleichsam die Bedeutung der späteren Renaissance eines altarischen Erbgutes und kann unter diesem Gesichtspunkt ohne weiteres verwendet werden.

Dies vorausgeschickt werden in der in Frage stehenden Tradition zwei "heilige Kriege" unterschieden, bzw. der "große" und der "kleine heilige Krieg". Diese Unterscheidung rührt von einem Ausspruch des Propheten her, der auf der Rückkehr von einer kriegerischen Unternehmung sagte: "Vom kleinen sind wir zum großen heiligen Krieg zurückgekehrt". Der große heilige Krieg gehört in diesem Zusammenhang der geistigen Ordnung an. Der kleine heilige Krieg ist dagegen der physische Kampf, der materielle, in der Außenwelt ausgefochtene Krieg. Der große heilige Krieg ist der Kampf des Menschen gegen die Feinde, die er in sich trägt. Genauer gesagt, ist der Kampf des übernatürlichen Elements im Menschen gegen alles, was triebhaft, leidenschaftsbedingt, chaotisch, den Kräften der Natur hörig ist. Dies ist auch die Idee, die in einem Text altarischer Kriegerweisheit in der Bhagavadgita – zum Ausdruck kommt: "Durch die Verwirklichung dessen, was jenseits des Verstandes ist, bekräftige Dich durch Dich selbst und töte den Feind in Gestalt des schwer besiegbaren Wunsches". Vorbedingung für das innere Befreiungswerk ist, daß ein solcher Feind vernichtend geschlagen wird.

Im Rahmen einer heroischen Tradition dient jedoch der kleine heilige Krieg – d.h. der Krieg als äußerlicher Kampf – nur als Weg, durch dessen Vermittlung eben dieser große heilige Krieg zu verwirklichen ist. Aus diesem Grunde treten in den Texten "Heiliger Krieg" und "Weg Gottes" oft als Synonyme auf. So lesen wir im Koran: "Es kämpfen auf dem Wege Gottes – d.h. im heiligen Krieg – diejenigen, welche das irdische Leben dem zukünftigen opfern: denn dem, der auf dem Wege Gottes kämpft und getötet wird, oder dem, der siegt, werden wir hohen Preis schulden". Und weiterhin: "Und diejenigen, die auf Gottes Weg getötet werden – nimmer leitet er ihre Werke irre. Er wird sie leiten und ihren Herzen Frieden schenken. Und einführen wird er sie ins Paradies, das er ihnen zu wissen getan". Hier wird auf den physischen Tod im Kriege angespielt, dem der sogenannte mors triumphalis – der "siegreiche Tod" – der klassischen Überlieferungen genau entspricht. Doch dieselbe Lehre kann auch in symbolischem Sinne verstanden werden. Wer im "kleinen" Krieg einen "großen heiligen Krieg" zu erleben verstanden hat, hat eine Kraft in sich erzeugt, die ihn instandesetzt, die Krise des Todes zu besiegen. Doch auch ohne physisch getötet worden zu sein, kann man mittels der Askese der Tathandlung und des Kampfes den Tod erleben, kann man innerlich gesiegt und ein "Überleben" verwirklicht haben. Esoterisch gedeutet, sind in Wirklichkeit "Paradies", "himmlisches Reich" und ähnliche Bezeichnungen nichts anderes als symbolische, für das Volk geprägte Versinnbildlichungen transzendenter Bewußtseinszustände, auf einer höheren Ebene als Leben und Tod.

(Geist der Zeit, 10.1939)

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Rasse und Kultur1

Junge Frau aus dem Bund Deutscher Mädel

Die drei Geburten des Ariers:
Geburt, Initiation, siegreicher Tod

Julius Evola

1.

Bei der gesteigerten Bedeutung, die im neuen Deutschland die Rassenlehre erworben hat, ist vielleicht eine Klärung dieser Lehre, wie sie sich vom Gesichtspunkt einer faschistischen Kulturmetaphysik [vgl. Einführung in das Werk Julius Evolas] ableiten läßt, von allgemeinem Interesse.

Als Reaktion gegen einen abstrakten Universalismus, gegen das aufklärerisch-rationalistische Ideal vom „unsterblichen, allgemeingültigen Grundsätzen“; als Forderung eines gegliederten organischen Wahrheitsprinzips, einer Wahrheit, die in den innersten Kräften unseres Wesens ihren Widerklang finden soll – in diesem Sinne ist die Rassenidee ohne weiteres schöpferisch und ersprießlich. Gleichzeitig muß aber die Inferiorität jenes Rassengedankens anerkannt werden, dem die Verteidigung und die bloß zootechnische Pflege der von ihm nur als biologische und erdgebundene Gegebenheit aufgefaßten Rasse automatisch als endgültige und heiligende Tat gilt. Wenn die Behütung und die Reintegration der Rasse bei dem Tier alles bedeuten mag, stellt doch bei den Menschen all dies in mancher Hinsicht notwendige, aber nicht genügende Vorbedingung dar: da der Mensch als solcher nicht bloß aus rassischen Elementen geschaffen ist.

Junge Frau aus dem Bund Deutscher Mädel

NS-Rasseideal: Junge Frau aus dem
Bund Deutscher Mädel, 1937

Wichtig ist es, festzuhalten, daß der Materialismus solcher Auffassung für Deutschland nicht taugt, und daß es zu dessen Überwindung nicht genügt, über den Rassenbegriff hinaus von einem Geist der Rasse zu reden. Eben eine Rassenmystik kennzeichnet in der Tat die niedrigsten Gesellschaftsformen, wie sie sich z.B. in den Urgesellschaften totemistischen Typs wieder finden lassen. Das Totem ist die mystische Seele des Clans und der Horde, die zum Tabu erhoben und als innere Lebenskraft des Einzelnen, als deren primäre Substanz aufgefaßt wird. Hier ist unbedingt die Lage gegeben, wo der Einzelne sich eher als Rasse oder Clan fühlt denn als Einzelner, und aus dem Prinzip eines bestimmten Blutes seine gesamten nicht nur physiologischen, sondern auch seelischen Hauptmerkmale herleitet. Es gibt eine Rassenlehre, die in moderner Aufmachung ungefähr dieselbe Auffassung zu neuem Leben aufruft. Eine solche Rassenlehre stellt aber eine ebenso ernste Gefahr dar als der von ihr bekämpfte Universalismus. Hier bleibt die Rasse Natur, und jeder Anspruch derselben gegenüber höheren Werten ist nur als Abwegigkeit zu beurteilen.

Ariertum ist in Deutschland eines von den Leitworten des neuen völkischen Wiederaufbaus. Gelangt man zum Verständnis des Urinhalts dieses Begriffes – dann ist der Weg zu einem höheren Rassenbegriff geebnet. Tatsächlich war der Urauffassung nach ârya Synonym für dwija, d.h. für Wiedergeborene. Eine transzendente Handlung – die Initiation2 – bestimmte die ârya-Natur, und der Mâna vadharmaçâstra (II, 172) geht so weit, zu erklären, der ârya selbst, falls er die Initiation unterläßt, sei nicht mehr imstande, sich wirklich vom çûdra, d.h. von den dunklen dienenden Kasten zu unterscheiden3.

Ist Initiation nicht nach ihrem unbedingten Urbegriff angenommen (da solch ein Begriff sich mit heute fast gänzlichen vergessenen inneren Horizonten verbindet); ist sie analogisch als Kultur zu verstehen, dann haben wir damit die Grundvoraussetzung für eine edlere Rassenlehre. Unter „Kultur“ ist dabei die Handlung anzusehen, wodurch der Einzelne sich von seinem naturverhafteten Untergrund befreit, gegen denselben reagiert, ihm ein höheres Gesetz aufdrängt. Wenn man den Kräften des Instinktes und des Blutes all das verdankt, was das Leben gestaltet und unterstützt, dann gehört man immer noch zur Natur. Wenn es sich insbesondere um ein Menschenwesen handelt, kann dasselbe aus solcher Grundlage auch superiore Eigenschaften entwickeln – aber diese Eigenschaften werden immer als Naturgegebenheiten zu verstehen sein, nicht als Besitz des Persönlichen. Ähnlich wie die herrlichen Rassenzüge, die man bei einem Tiger oder sonst einem „Vollblut“ beobachten kann. Der Übergang vom Reich der „Natur“ in das der „Kultur“ („Kultur“ nach ihrem klassischen, oben angedeuteten Sinn verstanden, nicht nach ihrem modernen Sinn von Unterricht, „allgemeiner“ Bildung usw.) ist nur unter der Bedingung vollzogen, daß eine neue wesensverschiedene Kraft zur Offenbarung kommt: eine Kraft, die sich zu dem bloßen Element der Rasse so verhält, wie die Seele zu dem nach ihrem Gleichnis gebildeten Körper. Dann bilden nicht weiter die naturgebundenen Gesetze und Instinkte die Grundlage und das Prinzip der geistigen Fähigkeiten und der einem gewissen Blut entsprechenden „Wahrheiten“. Eben das Gegenteil wird wahr. Hier kommt ein Stil zum Vordergrundsdasein. Diesem Stil gilt wohl die „Natur“ als unentbehrlicher Rohstoff und Vehikel; er läßt sich aber nicht aus der Natur ableiten, er zeugt vielmehr für die Anwesenheit und die gestaltende Aktion eines Elements metabiologischer Art. Eben solch ein Stil bildet, was in höherem Sinne Rasse zu nennen ist, mit Beziehung zum Menschen als solchem, nicht als einem – wenn auch „höheren“ – Tier. Im Tierreich und den primitivsten Gesellschaftsformen ist die Rasse etwas, das im Biologischen ihren Anfang und ihr Ende finden kann.

Sie kommt als eine bloße Gegebenheit vor, als ein Kollektivum, einer jeder schöpferischen Initiative beraubte, vorbestimmte Tatsache. Wenn aber von Menschengeschlechtern die Rede ist, läßt sich die Rasse kaum im Biologischen erschöpfen, obwohl sie durch das Biologische zur Erscheinung kommt. Wenn auch die Rasse hier einem typischen Komplex aus wohlbestimmten Eigenschaften, Einstellungen, Veranlagungen, Empfindungsfähigkeiten usw. entspricht, so ist doch solch ein Komplex nur Zeichen und Symbol für eine Tatsache geistiger Natur. Kultur wird metaphysische Unterlage der Rasse!

2.

Antike Überlieferungen reden von dem göttlichen Ursprung einiger Rassen. In unserem klassischen Altertum stützte der Patriziat darauf seine Würde, daß ihm ein heiliges Erbe eigen war, verschlungen mit dem Bluterbe, zum Leben aufgerufen von „Helden“ oder „göttlichen“ Vorfahren, verbunden mit einer rituellen Tradition. Ârya, wie gesagt, galt bei den Indoariern als Synonym für Wiedergeborene. Die arisch-iranischen Herrenkasten zeichneten sich durch Teilnahme an besonderen Erscheinungsformen des „himmlischen“ Feuers aus – usw. In all diesen Zeugnissen der traditionellen Welt kommt immer dasselbe Motiv zum Ausdruck, vorausgesetzt, daß man sie von ihrem mythologischen und symbolischen Beiwerk befreit. Ein Gegensatz ist also zu bestätigen: der Gegensatz zwischen Völkern, bei welchen Rasse Kultur bedeutet, und Völkern, bei welchen Rasse nur Natur bedeutet. Will man sich dem Problem des Rasseunterschiedes nähern und weiterhin dem Problem des Unterschiedes zwischen überlegenen und inferioren Rassen – dann muß man von einem solchen Grundbegriff ausgehen. Ein Mensch ist dieses Namens desto würdiger, je mehr er fähig ist, seinen Charakter, seinen Trieben, seinen Handlungen eine Form und ein Gesetz aufzuprägen: Form und Gesetz, die sich endlich sogar in seinem äußeren Antlitz widerspiegeln. Gleichsam steht eine Rasse um desto höher, je mehr ihre ethnische Tradition von einer geistigen beherrschenden Tradition begleitet ist, wie die Seele vom Körper, und je mehr die eine mit der anderen organisch und untrennbar verbunden ist.

Bei solcher Auffassung ist naturgemäß die Verteidigung einer Rasse einer doppelten Bedingung unterworfen. Die Rasse entspricht hier der Verfeinerung, der Selektion und der Gestaltung, die eine höhere Kraft in der Natur vollzogen hat und die durch das biologische und ethnische Erbe übermittelt wird. Dann ist es selbstverständlich, daß es sich dabei um die Verhütung und Verteidigung eines solchen biologischen Erbes handelt, aber daß es sich weiter und vor allem darum handelt: im Leben die geistige Spannung und die innere gestaltende Seele aufrechtzuerhalten, die jene Materie bis zu jener bestimmten „Form“ erhoben hat. Daher der Irrtum gewisser Rassentheoretiker, wie z.B. eines De Gobineau4: der Verfall einer Kultur ist nicht – wie sie glauben – die schicksalsmäßige Folge der Mischung der betreffenden Rasse mit anderen Geschlechtern. Wahr ist vielmehr, daß eine Rasse mit ihrer eigenen Kultur dann verfällt, wenn ihr Geist verfällt, wenn die innere Spannung weicht, welcher sie ihre Form und Typus verdankte.

Bei solchem Umstand verändert oder verfällt die Rasse, insofern sie in ihrer inneren Wurzel verletzt ist. Die ethnischen biologischen Elemente sind dann jener inneren Bindung beraubt, die sie in der Einheit ihrer Form zusammenhielt. Dabei ist die erste verändernde Wirkung genügend zur rapiden Entartung, zum Untergang oder zur Mutation jener Rasse nicht nur im Ethischen, sondern im Ethnischen und Biologischen. In diesem Falle fällt die Rasse auf das Niveau der bloßen Naturkräfte zurück und unterliegt der diesem Niveau schicksalsmäßig zugehörigen Zufälligkeit.

3.

Die Erhaltung der Rassenreinheit ist selbstverständlich die günstigste Bedingung, um auch den „Geist“ einer Rasse in seiner ursprünglichen Macht und Reinheit zu bewahren. Gleichsam ist bei den Einzelnen die körperliche Gesundheit und Unversehrtheit ein Pfand zur vollen Wirksamkeit der höheren Kräfte. Aber in einem vollständig selbstbeherrschten Menschen ist sein inneres Leben nicht auf Gnade und Ungnade von den äußeren Verhältnissen abhängig. Gleichsam: hat eine Rasse als Seele und Unterlage eine wirklich starke und vollkommene Kultur, dann ist die bloße Tatsache ihrer Berührung oder Mischung mit anderen Rassen weit davon entfernt, ohne weiteres Verfall und Untergang zu bedeuten. Es kann sogar geschehen, daß der Geist einer höheren auf fremde inferiore Elemente die Wirkung eines unsichtbaren unwiderstehlichen Ferments ausübt bis zur Umgestaltung derselben nach eigenem Typ. Überflüssig, an die allgemein bekannten historischen Beispiele für einen solchen Vorgang zu erinnern, der gleichbedeutend mit dem Übergangsprozeß vom Rassengedanken zum Reichsgedanken ist.

Dies ist für die oben angedeutete Gegensätzlichkeit ein entscheidender Punkt. Die naturalistische Idee der Rasse kann nur zu einem begrenzenden starren Partikularismus führen, der meistens nur unbewußte Angst vor zu breiten Horizonten verrät. In der geistigen Auffassung des Rassegedankens lebt daher dagegen die Potenzialität einer imperialen Funktion als positive Überwindung sowohl des nivellierenden verjudeten Internationalismus als auch eines zersetzenden materialistischen Rassenfanatismus. Mussolini hat richtig bemerkt: „Der Drang zum Imperium ist Zeichen von Lebensfülle, sein Gegenteil, das Zuhausebleiben, nur ein Verfallsymptom5.

Was wirklich eine Rasse geistig vereinheitlicht, das führt schicksalsmäßig eine solche Rasse auch über sie selbst hinaus.

Eine letzte Bemerkung. Kraft ihres Begriffes mündet jede „Rückkehr“ zur Rasse als Natur notwendig in eine kollektivistische und demagogische Wendung ein, wenn sich auch eine derartige Demagogie unter einem mystischen Gewand oder autoritären Gefüge verbergen kann. Es ist eine Rückkehr zur Übermacht des bloßen Demos [Volk, Masse], es ist die Heraufkunft des „Massengeistes“, die Wiederverkörperung eines „Urhordengemüts“.

Bei der anderen, geistigen Auffassung bedeutet dagegen Rückkehr zur Rasse eine Rückkehr zu deren innerer Tradition und verbindet sich aufs engste mit dem Führer- oder Hierarchiegedanken. Ist „Rasse“ eine von oben her vollzogene Gestaltung, ein Sieg der „Kultur“ über die „Natur“ – dann kann sich praktisch die Auffrischung der in ihrem Schoße schlummernden gestaltenden Urkraft nur durch eine Elite verwirklichen: eine Elite von klarer Schau, festem Willen und unerschütternder Überlegenheit. Eine derartige Elite wird im doppelten Sinne tätig sein. Vor allem als autoritäres Prinzip der Ordnung, der Gestaltung und Gliederung innerhalb der sozialen Wirklichkeit; als Führergruppe eines Staates, der zur Entelechie – d.h. zum von innen heraus gestaltenden Lebensprinzip der Nation wird. An zweiter Stelle wird eine solche Elite als „katalytisches Element“ tätig sein. Die Führer als überragende Verkörperungen des Typs einer Rasse stellen sich als „verwirklichte Ideale“ dar. Dies ist die Voraussetzung für die Magie eines Enthusiasmus und einer Belebung, die von selbstbewußter Anerkennung und heroischer Hingabe begleitet und weit davon entfernt sind, bloß eine passive Massensuggestion zu bedeuten. Eben einer solchen Idee wurde von Mussolini Ausdruck verliehen, insofern ihm Volk nicht mit Quantität, Kollektivität oder irgendeiner naturverhafteten geographischen Einheitsform gleichbedeutend ist, sondern ihm als Volk und Nation „eine durch eine Idee zur Einheit gebrachte Vielfältigkeit“. Diese Idee „verwirklicht sich innerhalb des Volkes als Bewußtsein und Willen von wenigen, ja von einem Einzigen, obwohl sie als Ideal in dem Bewußtsein und Willen von allen zur Verwirklichung strebt“. Dies ist die Voraussetzung für jeden galvanisierenden [Das Galvanisieren ist ein elektrochemisches Verfahren, bei dem Metallteile von einem Gegenstand gelöst und abgeschieden werden. Evola meint in diesem Zusammenhang die Lösung aller Partikularinteressen durch und zu Gunsten einer übergeordneten Idee im Sinne eineswahren Volkswillens.] Kontakt und festen lebendigen Einheitspunkt innerhalb der vielfältigen Kräfte eines Geschlechts, die schicksalsmäßig zur Mutation und Zersetzung verurteilt sind, sobald ihre innere Stütze weicht und sie der Zufälligkeit der stofflichen, ethnischen, „realpolitischen“ und sonstigen anderen empirischen Gegebenheiten überliefert sind. Dies ist der letzte Punkt. Als höchstes gilt uns eben die aristokratische Auffassung und Tradition der Rasse als Offenbarung einer „Kultur“-Macht: eine Tradition, die im ghibellinischen [Zum historischen Hintergrund des Begriffs „ghibellinisch“ vgl. Julius Evola: Der Adelige Geist] findet.

(Veröffentlichung in: Widerstand, 6, 1933)


Auszüge aus den Grundrissen:

Grundrisse der faschistischen Rassenlehre | Auszug

Grundrisse, Vorwort zu Bildtafeln Altes Rom (5-14)

Grundrisse, Tafel 5 und 6

Einer der reinsten Ausdrücke der römischen Rasse

Einer der reinsten Ausdrücke der römischen Rasse;
Als seelische eine Rasse bezeichnende römische Gestaltung des Typus
des „heroischen Menschen“.

Römische Kaisergestalt mit äußerlich arisch-römischen Zügen

Römische Kaisergestalt6 mit äußerlich arisch-römischen Zügen. Von seiner Persönlichkeit hat uns die Geschichte ein Bild überliefert, das nicht gerade ein lichtes ist. Trotzdem ist uns genug überliefert, um in ihm auch einige Zügeeiner promethischen Seele und inneren Mutes zu ahnen, der jede Beschränkung verachtete und fähig war, sich jeder sinnlichen Ausschweifung hinzugeben, ohne befürchten zu müssen, sich zu verlieren. Sind diese Züge fast eine Vorwegnahme des Übermenschen nach Nietzescher Art, so können sie andererseits als eine entstellte und teilweise heruntergekommene Erscheinungsform der höheren Rasse des Geistes „heroischer“ Artung gelten. Dieser Kaiser war einer der ersten, die es wagten aus den römischen Herrschern einen lebenden Gott zu machen, und er hat sich eine unbeschränkte Herrschaft im Zeichen des Wortes „Oderint dum metuant“ in Anspruch genommen, die selbst die Autorität des Staates recht wenig achtete.

Grundrisse, Tafel 3

Marineoffizier

Weiterer nordisch-arischer Typ aus italienischem Geschlecht. Die vorliegende Aufnahme ist wenig günstig:
in ihr sind die Züge der rassischen Überlegenheit, der animi corporisque imperatoria forma etwas erstarrt,
die diesem Typus im Leben zu eigen waren.

Grundrisse, Tafel 34 und 35

Elemente für die künftige Aufbauarbeit des italienischen Rassegedankens Elemente für die künftige Aufbauarbeit des italienischen Rassegedankens

Zwei weitere wertvolle Elemente für die künftige Aufbauarbeit des italienischen Rassegedankens


* * *

Evolas Grundrisse und die Rassenfrage im faschistischen Italien – eine kurze Einführung

Dieser Artikel kann als Kurz- bzw. Vorform des bereits genannten Werkes Grundrisse der faschistischen Rassenlehre von 1941/1943 betrachtet werden. Er und das umfangreichere Nachfolgewerk stellen nichts weniger dar, als die dezidierteste Kritik der nationalsozialistischen Rasseideologie von „rechtsradikaler“ Seite.

Evola kritisiert an dieser die Überbetonung des physisch-biologischen Elements, da es ihr allein auf die, vulgär formuliert, Heranzüchtung eines „nordischen“ Phänotyps ankomme und dabei davon ausginge, daß Aussehen und Körperlichkeit grundsätzlich den Geist des Menschen bedingten. In Evolas traditionalem Rassenverständnis folgt jedoch die Körperlichkeit dem Geist, ausschlaggebend für ihn ist also die seelisch-geistige Verfassung des Menschen, die sich in der Körperlichkeit ausdrückt und diese bedingt. Dies verwundert nicht, denn menschliche Kultur bedingende „Seele“ und „Geistigkeit“ und ihr propagierter Vorrang gegenüber jedem Materiellem ist ein Paradigma, das allen Ideen Evolas zu Grunde liegt. Man könnte zugespitzt und provokant sagen, daß Evolas Rassenverständnis im Gegensatz zu dem des Nationalsozialismus das originär „rechte“ ist, denn die NS-Rasseideologie folgt im Grunde dem marxistischen Verständnis vom Bewußtsein (Geist) bestimmenden Sein (Materie).

Laut Evola ist eine Rassereinheit auf drei Ebenen anzustreben, nämlich auf der geistigen, der seelischen und zuletzt körperlichen Ebene. Man könnte die erste und zweite Ebene durchaus unter dem Oberbegriff „geistig-seelisch“ zusammenfassen und sie gegenüber der dritten Ebene der Körperlichkeit abgrenzen, die – im Gegensatz zum Nationalsozialismus – deutlich untergeordnet ist.

Im Vorwort der Grundrisse geht Evola auf die Rassenlehre in Italien ein und stellt fest: „(Die) Rassenlehre hat jedoch in Italien einen wenig vorbereitenden Boden gefunden und harrt daher noch einer angemessenen Durchführung. Bis jetzt wurde vor allem der propagandistische und polemische Aspekt des Rassegedankens betont, so hinsichtlich des antijüdischen Kampfes und gewisser praktischer und vorbeugender Maßnahmen, die sich gegen die Vermischung des weißen italienischen Menschen mit andersfarbigen Rassen wenden [vgl. Anmerkung 4]. Was aber die positive, eigentlich lehrhafte und schließlich geistige Seite des Rassegedankens betrifft, fehlte es in Italien an einer entsprechenden Vorbereitung. Auf diesem Gebiet lassen sich Maßgeblichkeit und Berufung nicht von heute auf morgen schaffen; so hat man leider nach der offiziellen Stellungnahme des Faschismus zum Rassenproblem zu oft dilettantische Auseinandersetzungen und Formulierungen getroffen, die ebenso journalistisch blenden wie oberflächlich und arm an wahren Grundsätzen sind“ [S.8].

Es ist bezeichnend, das Evola es nicht für nötig hält auf diejenigen Faschisten einzugehen, die sich z.B. in der Zeitschrift La difesa della Razza mit dem Rassegedanken auseinandersetzen und Stellung nahmen, jedoch eher zu einer Minderheit innerhalb der faschistischen Partei gehörten. Zu nennen sind der Journalist Telesio Interlanda (1894-1955), der die Zeitschrift La difesa della Razza von 1938-1943 und Roberto Farinacci (1892-1945), 1925/1926 Generalsekretär der PNF, der Il Regime fascista herausgab, in der auch Evola Artikel veröffentlichte. Diesen hinzuzufügen ist der Anthropologe Guido Landra (geb. 1913), der erst 1935 Mitglied der PNF wurde und im Jahr 1938/1939, also zwei Jahre vor Veröffentlichung der Grundrisse, zum Leiter des Amtes zum Studium des Rassenproblems im Ministerium für Volkskultur berufen wurde. Landra veröffentlichte in Folge das manifesto della razza als Grundsatzpapier in Form eines Dekalogs. In diesem bekannte er sich zusammen mit einer Gruppe faschistischer Wissenschaftler zu einer Rassenidee, die auf biologischen Unterscheidungsmerkmalen beruhte und große Ähnlichkeit mit der des Nationalsozialismus und seiner völkisch-biologistischen Auffassung aufwies und damit eine außenpolitisch vorteilhafte Übereinstimmung erzielen konnte.

Landra stellte darin – im schroffen Gegensatz zu Evola7 – die kühne These auf, daß tatsächlich eine Razza italiana existiere, die arischen Ursprungs und seit Jahrtausenden „rein“ geblieben sei.

Mit seinen Äußerungen stand Evola damit in Konkurrenz zur Gruppe um Landra, der zudem von der faschistischen Bürokratie legitimiert und durch hochrangige Fürsprecher unterstützt wurde. Daß Evola in recht brüsker Weise alle bisherigen Auseinandersetzungen mit dieser Thematik und damit auch die Landras verwirft, ist bemerkenswert, denn er war als eigenständiger Freigeist weder Mitglied noch Beauftragter der faschistischen Partei.

La difesa della Razza

Abgrenzung der „arischen Rasse“ (symbolisiert durch die römisch-antike Skulptur) von Semiten und Schwarzafrikanern mittels Schwert: Titelbild der Zeitschrift La difesa della Razza. Die italienische Kolonialpolitik, die im Mai 1936 zur Gründung des Impero führte, rief selbst bei Verfechtern der Expansion eine Angst vor der Entstehung eines imperialen Mestizentums hervor. Damit bekam die „Rassenfrage“ eine aktuelle politische Bedeutung.

Es kann jedoch kein Zweifel bestehen: Evola beansprucht in dem Vorwort der Grundrisse die Deutungshoheit über die Rassenlehre im faschistischen Italien und hält nur sich allein für berufen dieser eine philosophische Grundlage zu geben. Es stellt sich daher die Frage, ob er das Risiko, den Unmut und Widerstand faschistischer Funktionäre zu provozieren, bewußt einging oder seine Grundrisse von einer höheren Stelle gedeckt wurden, die zumindest mit Evola in der Ansicht übereinstimmte, das trotz Landras Dekalog eine „originär faschistische“ philosophische Grundlegung der italienischen Rassenlehre bislang fehlte.

Möglicherweise waren die Grundrisse als solche gedacht und sollten die italienischen Rassegesetze, die 1938 und 1940 erlassen wurden und sich vornehmlich gegen die italienischen Juden richteten, publizistisch begleiten, auch wenn konstatiert werden muß, daß Evola mit keinem Wort auf diese eingeht.

Es ist heute umstritten, warum der Faschismus nach zehn Jahren totalitärer Machtausübung überhaupt eine Rassengesetzgebung erließ, spielte doch ein wie auch immer gearteter Rassegedanke für die frühe faschistische Bewegung keine Rolle.

Es ist vor diesem Hintergrund durchaus anzunehmen, daß es hinsichtlich der Rassenfrage im italienischen Faschismus zwei konkurrierende Gruppen gab, nämlich eine pro-deutsche Gruppe, die – bei allen Mängeln, die dieser Begriff aufweist – einen „biologischen Rassismus“ vertrat und in Landra ihren Publizisten fand und eine Gruppe, die im Gegensatz zum Nationalsozialismus einen „spirituellen Rassismus“ vertrat und Evola unterstütze. Daß letztere Gruppe durchaus über politische Macht und Einfluß verfügte, wird durch die selbstbewußte Art und Weise belegt, wie Evola in den Grundrissen vorgeht.

Heute mutet die durch Aufsatz und Nachfolgewerk deutlich werdende und fast offiziell wirkende Verbundenheit zwischen Evola und dem Faschismus seltsam an, ist doch bekannt, daß Evola mit dem faschistischen Regime durchaus größere Meinungsverschiedenheiten hatte und nie den Rang eines „Regimephilosophen“ erlangte oder erlangen wollte. Letztlich blieb sein Verhältnis zu Mussolini und dem faschistischen Staat ambivalent, so wissen wir von einer Beobachtung Evolas durch verschiedene staatliche Stellen ab 1930, was zwar in einem totalitären und später Krieg führenden Staat nicht überbewertet werden darf, jedoch zeigt, daß man Evola und seiner Arbeit mißtraute und seinen Ideen durchaus nonkonformen Charakter zuwies. Wesentlich schwerwiegender war ein Publikationsverbot, das sich nach den uns zugänglichen Informationen auf von ihm herausgegebene Periodika bezog (Die Zeitschrift Torre?).

Interessant ist, daß Evola in seinen Vorbemerkungen zum Bildanhang Altes Rom der Grundrisse aus H.F.K. Günthers Darstellung Rassenkunde des hellenischen und römischen Volkes (München, 1929) zitiert und damit die Autorität des Pioniers der deutschen Rassenkunde, dessen Rassenlehre jedoch nicht unbedingt offiziellen Charakter hatte, anerkennt. Ebenso verweist er auf den ihm bekannten Rassenkundler Ludwig Ferdinand Clauß, den er mehrmals traf. Eine Beeinflussung Evolas durch Clauß ist durchaus möglich, genügt doch ein Blick auf dessen rassenkundlichen Ansatz um eine Nähe zur Position Evolas zu erahnen.

Trotz oder gerade wegen dieser Vorbemerkungen führt Evola seine generelle Kritik an der NS-Rassenlehre in den folgenden über hundert Seiten der Grundrisse näher aus, so hält er die Idee einer „Produktion“ und Vermehrung eines Phänotyps als Regime- oder Staatsauftrag nicht für eine „höhere rassische Verwirklichung“ tauglich, sondern wendet ein, daß die so „produzierte“ Rasse nur „Natur bedeuten; das Ideal von Kraft, Gesundheit und Schönheit [würde] nur ‚tierhaft’ sein und jedes inneren Lichtes entbehren“.

Dem stellt Evola grundsätzlich die Schaffung eines Abstandes zwischen Körper und Geist, „zwischen physisch-seelischer und metaphysischer Wirklichkeit, zwischen Leben und ‚Überleben’“ entgegen. Ziel müsse es zunächst sein die Geisteshaltung des modernen Menschen radikal zu ändern, um dem Leben wieder den „Gestalt und Sinn zu geben [den es in arisch-klassischer Zeit hatte]. (Dazu) muß man zuerst das verwirklichen, was jenseits des Lebens ist; um die Rasse des Geistes wieder zu erwecken und durch sie die des Körpers aufzurichten, muß man fähig sein, deren Höhe zu erreichen, und dies setzt wieder Askese, d.h. bewußten Abstand, heroische Überwindungen, höchste geistige Spannung [im Sinne von Techniken] voraus.“ Diese waren, so Evola, allen arischen Kulturen bekannt und als „kühle, überlegene und unverrückbare Artung“ deren Merkmale. Er verweist z.B. auf Buddha [vgl. Tafel 8], der „nicht der blasse weltfremde ‚Heilige’ war, sondern etwa das Wiedererscheinen jenes königlichen, sonnenhaften, sichtbare und unsichtbare Mächte bezwingenden Übermenschen, bezeichnend für die urarisch-vedische Periode.“ [vgl. S.54ff.]

Evola fordert deshalb einen Rassismus des Geistes und verweist zu Erläuterung auf zwei historische Beispiele. Zum einen stellt Evola fest, daß sich, trotz aller Einschränkungen und Mängel, der „übervölkische“ Heiratsgebrauch des europäischen Adels, der immer „rangebedingt, dynastisch auf die Vertreter einer europäischen Herrscherschicht beschränkt (war)“ das Vorherrschen einer Idee von einer Rasse des Geistes belege, denn als offenkundig „maßgebend wurde nicht die Rasse des Körpers, sondern auch die des Geistes betrachtet. Die Kaste als Adel bedeutete in der traditionsgebundenen Welt die höhere Vollendung des Rassischen, die vollkommene Rasse nicht nur als Körper und Seele, sondern auch als Geist“. Natürlich ist Evola vollkommen bewußt, daß der historische europäische Adel nicht unbedingt mit dem Kasten-Adel der Referenzzeit des arischen Zeitalters zu vergleichen ist, weil er einen langen und tief greifenden Verfalls- und Niedergangsprozessen unterworfen war und damit seine Legitimität verlor und führt deshalb erklärend aus: „Wir geben jedoch zu, daß diese Gebräuche in Europa zu blassen Konventionen herabgesunken sind und ihre ursprüngliche Rechtfertigung so verloren gegangen ist wie die wahre Bedeutung von Kaste und Adel selbst.[vgl. S.75f.]. Diese Erkenntnis bedingt jedoch aus Sicht Evolas auch die Forderung aus der bürgerlichen Welt mitsamt ihren starken Nivellierungs- und Verfallstendenzen einen Neuadel aufzurichten, der das traditionale Erbe wieder anzutreten vermag.

Trotzdem gibt es nicht wenige historische Beispiele, die der traditionsgebundenen Idee genügen könnten. Zu verweisen ist z.B. auf die Heirat Maximilians von Österreich (der spätere Kaiser Maximilian I.) und Herzogin Maria von Burgund 1477, die den Habsburgern und damit dem ganzen Reich nicht nur das strahlende Erbe der kulturellen Vormacht Burgund erschloß, sondern auch ein seelisch-geistiges Menschentum zum Ausdruck brachte, das den von Evola geäußerten Ansprüchen durchaus nahe kam.

Des weiteren zieht Evola das Bündnis zwischen dem Kaiserreich Japan und dem Königreich Italien (im Rahmen des antibolschewistischen Antikominternpaktes, der 1936 zwischen dem Deutschen Reich und Japan geschlossen wurde und dem das Königreich Italien 1937 beitrat) zur Erläuterung heran und verweist auf die Tatsache, daß Italiener und Deutsche zwar die Rassenzugehörigkeit von den Japanern trenne, jedoch in allen drei Nationen der Ksahtrija-Geist erwacht sei. Evola führt aus: „Ein anderes Beispiel. Wenn wir die japanischen Traditionen – Tenno-Gedanke, Mystik des Dienstes, Bushido-Ethik, Ideal einer geheiligten Herrschaft usw. – betrachten, können wir eine grundsätzliche Übereinstimmung mit den Traditionen unserer besseren Vergangenheit bzw. des römisch-germanischen, ghibellinischen [vgl. Evola: Der Adelige Geist], ritterlichen und kaiserlichen Mittelalters, was die Grundlage für ein Zusammensein auf der Ebene der Rasse des Geistes bilden könnte, feststellen, obwohl als Rasse des Körpers und der Seele wir und die Japaner kaum etwas gemein haben. Statt dessen, obwohl die physische Rasse der arisch-germanischen Völker viel näher der der Angelsachsen und Russen steht, schafft hier die Rasse des Geistes einen Grundgegensatz, einen unüberbrückbaren Unterschied, eine Unmöglichkeit der Verständigung, die sich nur zu deutlich in diesen letzten Jahren gezeigt hat.“ [vgl. S.76; Zur japanischen Tradition des Bushido äußerte sich Evola in einem Aufsatz über die Samurai, 1938].

Im Zusammenhang mit Evolas Forderung nach einem Rassismus des Geistes ist eine interessante Bemerkung des linken Autorenpaares Trimondi anzufügen, das sich mit Evola beschäftigt hat und bezüglich der Aufgabe „rassischer Standards“ bei der kriegsbedingten Erweiterung der Waffen-SS darüber spekuliert, ob Evola diese gemäß seiner Lehre positiv gesehen hätte: „Im Übrigen entwickelte sich die SS im Laufe des Krieges immer mehr in eine Richtung, welche Evolas Rassentheorie entsprach. Um die Einheiten aufzufüllen, wurde keine Bedeutung mehr auf die biologische Rassenreinheit gelegt. Himmler ließ bosnische Moslems und slawische Ukrainer als Waffen-SS-Verbände aufstellen. Es war mehr und mehr der Kshatriya-Geist, der den schwarzen Orden zusammenschweißte und attraktiv machte, nicht so sehr das nordische Blut.[Victor und Victoria Trimondi: Hitler, Buddha, Krishna. Eine unheilige Allianz vom Dritten Reich bis heute. Wien 2002. S.239].

Zuletzt einen weiteren Hinweis zur Verbindung zwischen Evola und dem Faschismus: Evola sagte in der Nachkriegszeit vor einem Gericht, vor dem er sich wegen „Unterstützung des Faschismus“ verantworten mußte, aus, er habe den Faschismus nur insoweit unterstützt wie dieser Schnittmengen mit dem von ihm propagierten Traditionalismus aufwies. Läßt man die positiven Würdigungen des Faschismus in den Grundrissen8 beiseite, so ist durchaus glaubhaft, daß es Evola darum ging jede politische bzw. publizistische Chance zu nutzen, um diesen Aspekt des Faschismus nach Evolas traditionaler Weltsicht aufzuladen und auszurichten. Aus diesem Grunde scheint die Bezeichnung Evolas als „intellektueller Guru des Faschismus[Victor und Victoria Trimondi: Hitler, Buddha, Krishna, S.226. Das linke Autorenpaar fühlt sich auf Grund der Unterstützung und positiven Würdigung Codreanus durch Evola zu dieser Aussage berechtigt. Aber Evolas Haltung beruhte auch hier in erster Linie auf der Überzeugung, daß sich im Wirken von Codreanus Garde traditionaler Geist manifestiere] reichlich undifferenziert.

Muslimische Soldaten der Freiwilligendivision Handschar

1943: Überwindung des NS-Rasseideals durch den Kshatriya-Geist?
Muslimische Soldaten der Freiwilligendivision Handschar (13. Waffen-Gebirgs-Division der SS;
eine Freiwilligeneinheit auch bekannt als kroatische Nr.1) beim Lesen der Propagandaschrift
„Islam und Judentum“.


Literatur:

H.F.K Günther: Rassenkunde des hellenischen und römischen Volkes. München 1929.

Ludwig Ferdinand Clauß: Rasse und Seele. Berlin 1937.

■ Die nordische Seele. Eine Einführung in die Rassenseelenkunde. 6. Aufl. Berlin 1937.

Clauß kannte Evola und besuchte ihn in den zwanziger Jahren in Rom. Man muß davon ausgehen, daß Evola von der Rassenlehre Claußens, die durchaus Unterschiede zum im Dritten Reich vorherrschenden und propagierten NS-Rassenverständnis aufwies, beeinflußt wurde. Zu Ludwig Ferdinand Clauß vgl.: Wladimir Awdejew: Die Grundlagen der nordischen Weltanschauung.

Rudolf Kircher: Romanitá. Eine römisch-italienische Kulturgeschichte. Frankfurt 1942.

Kircher versucht in Anlehnung an das faschistische Kultverständnis dem Leser Italien und seine Kulturgüter von der Antike [Auf etruskischen Mauern; Paestum im goldenen Glanz; Altrömische Art; Augustus auf Capri; Begegnung mit den Germanen] über das Mittelalter [Italien und das Reich; Die Tragödie der Staufer] bis zur der Kolonialpolitik [Koloniale Bewährung; Libyscher Sand] zu vermitteln. Dabei wird der Faschismus als Idee der Erneuerung und Wiederbelebung des altrömischen Geistes, der Romanitá, positiv gewürdigt [Foro Mussolini; Rückkehr zur Geschichte; Kann man ein Volk ändern?]. Das umfangreiche Werk rief ein großes Echo hervor.

Aus dem Vorwort: „Romanitá - das ist für den Italiener der Inbegriff des Geistes, der Tugenden und Zielsetzungen, die Rom einst groß gemacht, ja über alle Völker der damaligen Welt erhoben haben. Wer das moderne Italien verstehen will, muß darum - dem Beispiel seiner Gestalter folgend - in das Werden und damit in das Wesen dieses Landes, Volkes und Geistes vorzudringen versuchen. Er muß das geistige und politische Schicksal zu erfassen bemüht sein".


1 In diesem Aufsatz spricht der Geist der heidnischen Antike; auch dieser Geist ist ein Kind des Südens, der Mittelmeerwelt. Wir sind nicht Süden und haben unsere nordischen Vorbehalte; aber wir respektieren den Rang und verschmähen nicht ein Licht, das uns davor hüten mag, uns in nordischen Nebeln zu verlaufen (Die Schriftleitung).

2 Einweihung.

3 Anmerkung der VS-Redaktion: Evola gibt hier verkürzt seine Ansicht vom Begriff „Arier“ wieder, die er später in dem 1941 in Italien erschienenen Werk Sintesi di dottrina della razza größerem Raum geben wird. Eine von Evola unter Mitarbeit von Annemarie Rasch verfaßte Übersetzung ins Deutsche erschien 1943 in Berlin: Julius Evola: Grundrisse der faschistischen Rassenlehre. Berlin 1943 (Edwin Runge Verlag). Im vierten Teil Die arische Rasse und die geistige Frage (Kapitel 1. Was arisch bedeutete und 2. Das Sonnenhafte und Heroische in der altarischen Rasse, S. 148-177) setzt er sich kritisch mit dem im Dritten Reich gebräuchlichen Arierbegriff auseinander und lehnt die dort übliche undifferenzierte Verwendung auf Massenbasis ab. Evola: „Nach der geläufigen Auffassung ist jeder berechtigt, sich ‚Arier’ zu nennen, der kein Jude oder Farbiger ist und auch kein Blut dieser Rassen in seinen letzten Vorfahren hat. Für die unmittelbarsten Ziele der Rassenpolitik mag diese Auffassung eine gewisse Berechtigung haben, weil sie die Grundlage für eine erste Sondierung bietet. Auf einer höheren Ebene und auch in geschichtlicher Hinsicht zeigt sie sich jedoch schon dadurch unzulänglich, daß sie sich in einer negativen Begriffsbestimmung erschöpft, die festlegt, was man nicht sein kann und nicht, was man sein kann. Wird einmal die allgemeine Bedingung erfüllt, kein Jude oder Farbiger zu sein, so hätte damit der nordischste unter den Schweden wie ein halbnegroider Typ der südlichen Regionen dasselbe recht, sich Arier zu nennen. Wenn wir diese verminderte Bedeutung des Ariertums mit der vergleichen, die ursprünglich diesem Begriff zukam, so ist dies fast wie eine Entweihung, da ursprünglich die arische Eigenschaft grundsätzlich mit der übereinstimmte, die – wie angedeutet – die Forschung dritten Grades den Trägern der wiederherstellenden Rassen, den ‚heroischen Rassen’ zuschreiben. Der Ausdruck ‚arisch’ in seiner heutigen, geläufigen Bedeutung ist daher nur zum Zwecke der Umreißung einer allgemeinen Zone anzunehmen; innerhalb dieser mußten jedoch weitere Gliederungen vorgenommen werden, falls man sich – sei es nur annähernd – dem geistigen Niveau angleichen will, das dem echten und ursprünglichen Sinn des in Frage stehenden Ausdrucks entspricht.“ (S.148). Evolas Ausführungen enden mit Warnung vor einer weiteren Vermassung und undifferenzierter Verwendung des Arierbegriffs, die seine zuvor dargelegte Kritik am NS nochmals unterstreicht: „Wie die Dinge auch stehen, darf der Ausdruck „Arier“ nicht zu einem leeren Schlagwort herabsinken und zur Bezeichnung jedes werden, der nicht gerade Neger, Jude und Mongole ist. Die höchsten Bezugspunkte, die Grenzbegriffe sollen uns immer gegenwärtig sein, weil von ihnen die Ausrichtung der ganzen Entwicklung schon von ihren ersten Stufen abhängt.“ (S.157). Zum historischen Hintergrund des Arierbegriffs vgl. Julius Evola: Der Adelige Geist.

4 Der französische Adlige Graf Joseph Arthur De Gobineau (1816-1882) gilt als Vordenker der Rasseidee. De Gobineau wirkte als Diplomat und Schriftsteller. Sein Hauptwerk Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen, 4 Bände 1853-1856 wurde erst 1935 ins Deutsche übersetzt. In diesem Werk bezeichnete er die Arier als „Eliterasse“, der die Beherrschung aller anderen Rassen zukomme. Laut De Gobineau solle sich die Herrschaft dieser auf eine „Moral der Stärke“ stützen. Neben diesem Werk verfaßte er zudem episch-dramatische Werke wie Renaissance (1877, deutsch 1952), in diesen „historischen Szenen“ stellte er die mögliche Verwirklichung seiner „Moral der Stärke“ vor. Er beeinflußte insbesondere Richard Wagner, Houston Stuart Chamberlain und Friedrich Nietzsche.

5 Seit 1923 Regierungschef in einem Mehrparteiensystem, errichtete Mussolini ab 1926 den totalitären faschistischen Staat, den er als capo del governo (Vorsitzender der Minister) und Duce del Fascismo regierte. Zu seinen ideologischen Vorstellungen gehörte die Erziehung eines „neuen Menschen“, der das erst spät zum Nationalstaat (1871) vereinigte Italien in eine neue Epoche führen sollte. Mussolini konnte, vergleicht man ihn mit den Köpfen der bürgerlich-demokratischen Ära in Gehrock und Zylinder, durchaus als die moderne Erscheinung in der Politik Italiens bezeichnet werden. Seine Technikbegeisterung und Selbstinszenierung als aktiver Leistungsmensch und Verkörperung von Vitalität und Jugend, sollte als Inspiration und Vorbild dienen.

Auf staatlich-gesellschaftlicher Ebene spielte die Idee von einer Errichtung eines neuen römischen Imperiums eine zentrale Rolle. Dem Faschismus wurde die Rolle der Kraft der Erneuerung und der Vollendung des antiken römischen Geistes zugewiesen, der als „Romanitá“ (von lat. Romanitas, deutsch: Römertum) im politischen Wortschatz des faschistischen Italiens zum festen Begriff wurde. Dieser Anspruch erhob insbesondere die groß angelegte Ausstellung zum 2000. Geburtstag des römischen Kaisers Augustus, die 1937 als Mostra Augustea della Romanitá in Rom eröffnet wurde. In der Sektion Fascismo e Romanitá wurde dem Betrachter die behauptete Wesensverwandtschaft zwischen diesem und dem Faschismus zu vermitteln versucht. Mit der Idee einer durch den faschistischen Staat wieder zu erweckenden Romanitá konnte sich Evola also prinzipiell einverstanden erklären, auch wenn er der großen propagandistischen Popularisierung dieser Idee durchaus kritisch gegenüberstehen mußte.

Das Streben Mussolinis, der noch als Sozialist entschiedener Gegner der italienischen Kolonialpolitik war, nach einem neuen Römischen Imperium besaß insofern eine geopolitische Grundlage als das Königreich Italien bereits um die Jahrhundertwende in Nordafrika Fuß gefaßt hatte. Zwar gehörte es nicht zu den klassischen Kolonialmächten wie England oder Frankreich, jedoch waren die von Italien bis 1936 kontrollierten und annektierten Gebiete von enormer Größe: Libyen, Somaliland, Eritrea und das ehemalige Königreich Abessinien (das heutige Äthiopien).

Italien erlangte ab 1885 einen dominierenden Einfluß in Libyen, das zwar formal Teil des osmanischen Reiches blieb, jedoch durch italienische Siedler kulturell stark geprägt wurde. Nach dem Italienisch-türkischen Krieg von 1911 gelangte es vollständig unter italienische Herrschaft, die sich bis 1919 nur auf den Küstenstreifen erstreckte. In der faschistischen Ära erfolgten bereits 1923 Anstrengungen, Libyen völlig unter italienische Kontrolle zu bringen. Das militärische Kommando wurde dem faschismustreuen General Rodolfo Graziani (1882-1955; Evola klassifiziert ihn rassisch auf Tafel 4 der Grundrisse mit Rückgriff auf die Studien Ludwig Ferdinand Clauß’) übertragen, der die Herrschaft der letzten muslimischen Oberhäupter beseitigte und mit einem Panzervorstoß auf die Stadt Kufra 1931 die Ausdehnung der Herrschaft auf das Landesinnere erreichte; 1934 – ein Jahr nach dem Erscheinen von Evolas Artikel – erklärte Italien Libyen zur Kolonie. Mit dem Wüstenstaat gelangte ein Land in den Besitz Italiens, das einen großen und sehr fruchtbaren Küstenstreifen besaß und durch Schiff- und Flugverkehr eng an das Mutterland angebunden werden konnte und nicht zuletzt eine lange und glorreiche Tradition als Bestandteil der antiken römischen Welt besaß: bereits zur Zeiten der Republik zur Einflußsphäre der römischen Republik gehörend (vgl. Sallust: Bellum Jugurthinum, 111 bis 105 v.d.Z.; Bericht über die Kriegsführung im antiken Numidien, das Teile von Tunesien, Algerien und Libyen umfaßte) wurde die libyschen Landesteile Tripolitanien und Cyrenaika später in das Römische Reich eingegliedert und bildeten unter Augustus die Provinz Africa proconsularis (25 v.d.Z.). Mit dieser Eingliederung war eine kulturelle und wirtschaftliche Blüte der Städte der Küstenregion verbunden, die durch Landwirtschaft und den Transsaharahandel wohlhabend und zu einem bedeutenden Teil des Imperiums Welt wurden. Zu nennen ist vor allem die antike Metropole Leptis magna (in der Nähe von Tripolis), die durch die Ausgrabung von 1911/1912 freigelegt wurde, die zugleich die umfangreiche italienische Kolonialarchäologie begründete.

Der Faschismus versuchte an diese antiken Traditionen anzuknüpfen, ein Zeichen stellte 1934 die Ernennung von Italo Balbo (1896-1940) zum Generalgouverneur dar. Der hoch dekorierte Weltkriegsteilnehmer und Ras (Faschistenführer) von Ferrara war zudem Teilnehmer des Marsches nach Rom. Die Besiedlung Libyens durch Italiener wurde nun planmäßig gefördert. Mussolini versuchte in Folge gezielt die islamische Karte zu spielen und sich als Bündnispartner der Muslime anzubieten („Schwert des Islam“), um diese für den Kampf gegen die Kolonialmächte Frankreich und England zu gewinnen, deren Besitzungen Tunesien, Algerien und Ägypten der Expansionspolitik Italiens und der Errichtung eines neuen Imperiums auf Grundlage des Erbe Roms im Wege standen. Die Kolonisation Libyens muß wirtschaftlich und politisch-militärisch als erfolgreich bezeichnet werden, bot sie Italien insbesondere eine strategisch wichtige Gegenküste. Darüber hinaus ist festzustellen ist, daß Italiens Bestrebungen, seine Macht im Mittelmeerraum auszudehnen und eine Vorrangstellung zu erlangen, nicht weniger legitimiert war als die der raumfremden Kolonialmacht Großbritannien, die durch ihre Kolonien und die Stützpunkte Malta und Gibraltar das Mittelmeer kontrollierte.

Der Krieg gegen das Kaiserreich Äthiopien 1936 markierte den Höhepunkt des italienischen Expansionsdranges, der mit der Erklärung eines neuen Imperiums (Impero) am 9. Mai 1936 endete. Mit der vollständigen Eroberung Abessiniens, die ein demütigendes historisches Vorspiel hatte (Niederlage der Italiener gegen schlecht ausgerüstete Äthiopier bei Adua, 1896), riskierte Italien die geopolitische Überdehnung und setzte seine Kräfte in einem Winkel Afrikas ein, dessen Zugang durch die Kolonialgebiete Großbritanniens (Ägypten mit dem Suezkanal, Somaliland) stark eingeschränkt und bedroht war. Italien versprach sich von der Annexion Äthiopiens die Schaffung neuer Absatzmärkte und eine Förderung der italienischen Wirtschaft durch den Export von Arbeitslosen als zukünftige Siedler. Der Kolonialkrieg war durch die Inszenierung als „faschistisches Unternehmen“ gekennzeichnet, in dem der Armee zur Seite gestellte „Schwarzhemdenbataillone“ (23. Marzo) als Parteieinheiten den Anspruch von Vitalität und Bereitschaft einlösen sollten. Auch Mussolinis Söhne Vittorio und Bruno kämpften als Flieger an der Abessinienfront. Das Tragische des Unternehmens war, daß mit Abessinien ein Staat annektiert und zerschlagen wurde, dessen Völker eine lange Kulturgeschichte aufwiesen und von einer traditionalen Monarchie zusammengehalten wurde. Auch war es niemals Teil des römischen Imperiums oder kulturell europäisch geprägt worden.

Die mit der Kolonisierung Abessiniens verbundenen wirtschaftlichen Ziele konnten nicht im Ansatz erreicht werden und die jüngste italienische Kolonie, strategisch ungünstig gelegen, band wirtschaftliche und militärische Kräfte des Mutterlandes ohne Italien nachhaltige Vorteile zu verschaffen. Es ging bereits 1941, ein Jahr nach der Kriegserklärung Italiens an Großbritannien im Juni 1940 verloren.

Zwischen den 1938 erlassenen und 1940 verschärften Rassengesetzen und der erfolglosen kolonialen Expansion ins Innere Afrikas besteht insofern ein Zusammenhang, als diese durch Heiratsverbote ein Mestizentum im Impero verhindern sollten.

6 Es handelt sich um Kaiser Gaius Caesar Augustus Germanicus, kurz „Caligula“, der von 12 bis 41 n.d.Z. herrschte. Caligulas Darstellung als größenwahnsinnige und sadistische Herrschergestalt geht vor allem auf Suetons Kurzbiographie innerhalb der Sammlung „Zwölf Caesaren“, die hundert Jahre nach dem Tod des Kaisers entstand, zurück. Ein differenziertere Auseinandersetzung, die mit diesem Zerrbild bricht, zeichnet eine 2003 erschiene Studie von Alois Winterling: Caligula. Eine Biographie. München 2003.

Auch der Faschismus interessierte sich für Caligula und seine rege Bautätigkeit: bereits 1927 hatte Mussolini die Bergung zweier auf Grund des Nemisees liegenden kaiserlichen Schiffe als archäologisches Großprojekt angekündigt. Diese zwei gigantischen Prunkschiffe, vermutlich für Kulthandlungen im Rahmen des Kultus der römischen Göttin Diana gebaut, waren schon seit der Renaissance Gegenstand der Forschung und nationalen Interesses. Jedoch scheiterte jeder Versuch einer Bergung, die Mussolini nun zur „Ehrenpflicht“ machte. Ende 1928 waren dann die Pläne soweit gediehen, daß man zu Werke gehen konnte. Grundlage des Erfolgs war eine technische Meisterleistung: Der Wasserspiegel wurde durch elektrische Pumpen soweit abgesenkt, daß die Schiffe an Land gezogen werden konnten. 1930 waren Bergung und Restaurierung vollständig abgeschlossen und Mussolini eröffnete 1940 ein für die Dauerausstellung der Schiffe gebautes Museum am Ufer des Sees.

7 Vgl. Grundrisse S.78f: „Wenn die von einigen Forschern hergestellte Beziehung zwischen den blutserologischen Gruppen und den Rassen richtig ist, darf man nicht die in dieser Hinsicht bezeichnende Tatsache übersehen, daß z. B. Italien einen Prozentsatz des ursprünglichen nordischen Elementes aufweist, der es den Angelsachsen an die Seite stellt. Gerade diese Wiederauferstehungen bilden das wahre Wesen dessen, was viele die ‚lateinische Genialität’ nennen und in einer völlig ästhetisierenden und individualistischen Art auslegen, ohne jede Beziehung zum Rassischen. Diese Genialität auf allen Gebieten ist hingegen, den Aspekten nach, in denen sie vom traditionsbestimmten Standpunkt aus wirklich als wertvoll betrachtet werden kann, gerade eine bestimmte Erscheinungsform der Rasse - nicht der ‚lateinischen’, denn diese gibt es nicht - und ebensowenig der mittelmeerischen oder der westischen - denn das sind nur Abzweigungen - sondern der ursprünglichen Überrasse, des nordisch-arischen Urstammes. Was nun die Gegensätzlichkeit zwischen der ‚lateinischen Genialität’ und dem ‚nordischen Geist’ anbetrifft, die so oft in tendenziöser Weise von seiten literarischer und intellektualisierender Kreise vorgebracht wurde, so besteht sie wohl, jedoch nur als ein Gegensatz der Erscheinungsformen, nicht als wesenhafter rassischer Gegensatz. Dieser Gegensatz beruht auf dem schon erwähnten Umstand, daß in vielen nordisch-germanischen Völkern die Rasse oft in der zweiten der angeführten Formen in Erscheinung tritt, also in Form einer höheren biologischen Reinheit. Es handelt sich dabei fast immer um die Stämme, die als letzte die nordischen Wohnsitze verließen und sich auf diese Weise mehr als andere vor dem Schicksal der Kreuzungen bewahren und reiner erhalten konnten; jedoch auf eben diese Weise auch, oft einem entsprechenden Prozeß geistiger Verschattung unterlagen. Die Bestätigung dafür findet man in der Betrachtung vieler charakteristischer Typen der gegenwärtigen Bewohner Nordeuropas: Typen, die hinsichtlich des Schädelindexes, der Haar- und Augenfarbe usw. rassisch durchaus ‚in Ordnung’ sind, in deren Ausdruck jedoch selten ein Funke jenes symbolischen Feuers und jener unbezwinglichen, olympischen Überlegenheit wiederzufinden ist, die wir aus allem erahnen, was uns von den sich auf die hyperboreische Überrasse beziehenden Traditionen überkommen ist. Während sich also in den arisch-romanischen Rassen das nordische Element vor allem in Form eines Funkens, einer Genialität, einer geistigen Dynamik oder eines schöpferischen Wiederauflebens von innen heraus wiederfindet, offenbart es sich im Durchschnittsmenschen der nordisch-germanischen Rassen vor allem in der Erscheinung des gemeinsamen biologischen Typs, mit einem entsprechenden Sinn für Maß, Disziplin und Ordnung, in einem Stil, der in hohem Maße auf Instinkt und Erblichkeit, also mehr auf einer Rasse der Seele, als wie auf einer Rasse des Geistes beruht. Es ist daher kein Zufall, daß der Rassengedanke in Deutschland eine vorwiegend biologische Ausrichtung gehabt hat und daß in ihm vor allem die Verteidigung und Behütung der Rasse des Körpers hervorgehoben wird, weil man einen instinktiven Sinn für die Gefahren hat, die einer Rasse drohen, wenn sie vorwiegend in der zweiten Form erscheint, die als solche weder Abenteuer zuläßt, noch die leichtherzige Inangriffnahme der schon angedeuteten ‚Reaktionsproben’.

8 Neben vielen positiven Anmerkungen zur „Schwarzhemdenrevolution“ des Faschismus sind z.B. seine eher versöhnlichen Bemerkungen zur katholischen Kirche zu verstehen, die der offiziellen Politik des Faschismus folgen, aus Gründen der inneren Stabilisierung des faschistischen Italiens eine Art Burgfrieden mit dem Klerus zu schließen, der auf einer klaren Abgrenzung der Machtbereiche unter Dominanz des Staates beruht. Markstein dieser Politik waren die römischen Verträge von 1929. An einer Stelle der Grundrisse distanziert sich Evola sogar von „früheren Äußerungen“, sehr wahrscheinlich geht er damit auf sein Werk Heidnischer Imperialismus (Imperialismo pagano, 1928) ein, daß eine schroffe Ablehnung des Katholizismus formuliert und zu einer römisch-heidnischen Renaissance aufruft.

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Das England von heute – von Juden geformt

Disraeli ist eine raffgierige Spinne.

Fjodor Dostojewski

Um sich über den geistigen Kampf, der heute die Grundlage des Materiellen und Militärischen ist, klarzuwerden, ist es von besonderer Bedeutung, den Sinn zu erkennen, der vom Standpunkt einer Kulturmorphologie [Hier und weiter die Anm. der VS Red: Der Begriff geht auf Oswald Spengler zurück, dessen Hauptwerk Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte, Band 1: Wien 1918, Band 2: München 1922 in rechten Kreisen stark rezipiert wurde.] her dem englischen Empire gegeben werden kann. Das sogenannte englische Kaiserreich ist Zerrbild und Entstellung dessen, was unter einem Kaiserreich verstanden werden muß. Jedes normale hierarchische Verhältnis im "Empire" ist entartet.

Wohl gibt es in England eine Monarchie, einen fast feudalen Adel, eine Militärschicht, die – wenigstens bis gestern – nennenswerte Charaktereigenschaften und kaltes Blut aufwies. Aber all das ist nichts als Fassade. Der wahre Mittelpunkt der englischen Herrschaft liegt in der Kaufmannskaste im weitesten Sinne des Wortes, der auch die modernen Erscheinungsformen dieses Standes umfaßt, wie sie sich in der Vorherrschaft einer kleinen Gruppe von Plutokraten1, Finanzleuten und Industriellen zeigen. Der wahre Herr Englands ist der Händler, der Businessman. Der skrupellose und zynische Geist des Handeltreibenden, das reine ökonomische Interesse, der Wille, das Höchstmögliche der Reichtümer der Welt zu besitzen und auszubeuten – das sind die Grundzüge der "imperialen" Politik Englands, das sind die wahren Triebfedern des britischen Lebens hinter der schon erwähnten konservativen Fassade.

Nun ist bekannt, daß überall, wo das ökonomische Interesse vorherrscht, der Jude auftaucht und einen Weg findet, schnellstens jeden dominierenden Posten zu besetzen. Die Einmischung des Judentums in die englischen Verhältnisse ist schon sehr alten Datums. Es war der Protestantismus, die ihm die Tore Großbritanniens geöffnet haben. Die Juden, die 1290 von Eduard I.2

ausgewiesen worden waren, wurden auf Grund eines von Cromwell [Oliver Cromwell, 1599- 1658, Republikaner, der im Konflikt zwischen Monarchie und Parlament die Armee des Parlaments anführte und eine absolutistische Königsherrschaft in England als zeitweiliger Machthaber verhinderte] unterstützten und schließlich von dem englischen König Karl II. 1649 gebilligten Gesuches wieder in England aufgenommen. Von diesem Zeitpunkt an begann eine starke jüdische Einwanderung in England, vor allem der sogenannten spanischen Juden, der Sephardim, [Juden, die 1492, 1531 aus Spanien vertrieben wurden] die Reichtümer mit sich brachten, die sie anderswo auf mehr oder weniger anrüchige Weise erworben hatten, und mit deren Hilfe sie begannen, die dominierenden Posten im englischen Leben einzunehmen bis in den Adel und die der Krone nahestehenden Kreise hinauf. Weniger als ein Jahrhundert nach ihrer Wiederaufnahme fühlten sich die Juden auf diese Weise bereits ihrer Sache so sicher, daß sie die Naturalisierung, d.h. das englische Bürgerrecht, verlangten. Hier bietet sich eine recht bezeichnende Episode: das Gesetz bzw. die "Bill" über die Naturalisierung der Juden wurde 1740 erlassen. Unter seinen Fürsprechern befanden sich hauptsächlich Vertreter der obersten Schichten und hohe Würdenträger der protestantischen Kreise – was nur zu deutlich zeigt, wie weit schon damals diese Kreise geistig verjudet oder vom jüdischen Gold bestochen waren. Die Reaktion gegen diese verhängnisvolle Entwicklung ging nicht von den oberen englischen Klassen aus, sondern vom Volk. Das Judengesetz von 1740 verursachte derartige Tumulte und Unruhen unter der Bevölkerung, daß es 1753 widerrufen werden mußte. Die Juden wandten daraufhin eine andere Taktik an. Sie traten aus der Synagoge aus und zum Schein zum Christentum über. So wurde dies Hindernis der "Assimilierung" verhältnismäßig leicht umgangen, und das Werk der jüdischen Durchsetzung nahm in beschleunigtem Rhythmus seinen Fortgang. Es war für die Juden wichtig, die maßgebenden Posten zu halten unter Äußerung der religiösen Motive, aus denen der Widerstand damals hauptsächlich herrührte. Alles Übrige war nun nur noch etwas Sekundäres. Der getaufte Jude blieb seinem Instinkt, seiner Mentalität und seiner Handlungsweise nach selbstverständlich Jude. Ein typisches Beispiel für viele ist der sehr einflußreiche jüdische Bankier Sampson Gideon, der – obgleich er getauft war – fortfuhr, die jüdische Glaubensgemeinschaft zu unterstützen und sich auf dem israelitischen Friedhof begraben ließ. Derselbe Gideon kaufte mit seinem Geld ausgedehnten englischen Landbesitz und den Freiherrntitel für seinen Sohn. Dies war eine bevorzugte Taktik der reichen Juden in England seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts. Sie nisteten sich im englischen Hochadel ein, indem sie Titel und Grundbesitz erwarben. Während sie sich mit der englischen Aristokratie vermischten, konnten sie durch das englische System der politischen Vertretung sich gleichzeitig immer mehr den regierenden Kreisen selbst nähern, mit der natürlichen und unvermeidlichen Konsequenz einer fortschreitenden Verjudung der britischen Lebensart und des englischen Staatgedankens. Der englischen Regierung half er [Sampson Gideon] mit einem Vermögen, das er durch Spekulationen im Siebenjährigen Krieg [1756-1763] vervielfältigt hatte – mehr oder weniger ebenso, wie Rothschild es gemacht hatte.

Die Rothschilds

Szene aus dem NS-Film Die Rothschilds – Aktien auf Waterloo (Nathanael Rothschild, r.). Der Film von 1940 stellt die Geschichte des Mayer Amschel Rothschild aus Frankfurt und seines Sohnes Nathanael (1777-1836) in London aufwendig und propagandistisch aufgeladen dar. Mayer Amschel (1744-1812) ließ sich 1750 in der Judengasse in Frankfurt nieder und machte Geschäfte mit deutschen und ausländischen Höfen und stieg zu einem der mächtigsten Bankiers auf. In England gelang es seinem Sohn Nathaniel in die Kreise der Londoner City und Aristokratie aufzusteigen und mit Hilfe von Spekulationen und der Unterstützung seiner Verwandtschaft in ganz Europa eine dominierende Stellung zu erreichen. In der Schlußeinstellung ist ein großer Davidstern über England zu sehen. Ein Sprecher verkündet: Als die Arbeit an diesem Filmwerk beendet war, verließen die letzten Nachkommen Rothschilds Europa als Flüchtlinge. Der Kampf gegen ihre Helfershelfer, die britische Plutokratie, geht weiter. Die Idee für diesen Film geht auf den bekannten Schriftsteller Mirko Jelusich zurück, Mitglied des NS-Kampfbundes für deutsche Kultur, Regie: Erich Waschnek (UFA). Es ist sehr gut möglich, daß Evola den Film kannte.

Gleichzeitig verfolgten die Juden, um Einfluß zu gewinnen, die Methode der Verschwägerung mit dem Hochadel. Wenn 1772 die Royal Marriage Bill die Heirat von Mitgliedern des englischen Königshauses mit Juden verbot, so zeigt das deutlich genug, wie weit die jüdische Untermischung in England bereits damals gediehen war. So entstand infolge der Übereinstimmung der Interessen zwischen dem englischen Imperialismus und dem Kapitalismus auch die Verbindung zwischen Judentum und englischem Imperialismus. Im Einzelnen ist wenig beachtet worden, daß gerade das "Britische Kaiserreich" eine Schöpfung des Judentums ist, eine der englischen Krone von einem Juden geschenkte Würde. Dieser Jude war Benjamin Disraeli, Premierminister der Königin Viktoria, der unter dem Titel Lord Beaconsfield in den Adelsstand erhoben wurde.

Benjamin Disraeli

Benjamin Disraeli (D’israel)
1806-1888

Dieser Vorgang ist besonders bezeichnend. Früher wäre es niemandem in den Sinn gekommen, die Kaiserwürde mit dem Begriff von Reichtum, wie jenem an Kolonialbesitz, in Verbindung zu bringen. Auch nach dem Mittelalter würde jedem traditionsbewußten Geist eine derartige Verbindung wie etwas Wunderliches und wie eine Karikatur erschienen sein, da die Idee des Kaisertums immer etwas Heiliges hatte, sich immer mit einer höheren Funktion des Herrschens und der Kultur verband und mit einem im gewissen Sinne transzendenten Herrscherrecht. Nur einem Juden konnte es einfallen, diese Idee des Kaiserreichs zu „reformieren“, d.h. zu plutokratisieren, um sie einem imperialistischen Materialismus zu unterwerfen. Und dieser Jude war eben „Disraeli-Dizzy“ [Dizzy = schwindelig, unstetig], wie man ihn mit dem Spitznamen nannte. Er war es, der aus der Königin Viktoria eine Disraeli-Kaiserin machte – eine Kolonialkaiserin –, d.h. eine Kaiserin von Indien. Er war der hartnäckigste Vertreter der englisch-imperialistischen Idee, als Ebenbild des jüdischen, messianisch-imperialistischen Gedankens: nämlich der Idee eines Volkes, dessen Macht der Reichtum anderer Völker ist, die es skrupellos ausbeutet und seiner Kontrolle unterstellt. Natürlich wußte Disraeli wohl, wer hinter jenem England stand, das die Reichtümer der Welt zu beherrschen hatte. Er war vielleicht unter jenen Eingeweihten, die darum wußten, daß die letzten Drahtzieher auch nicht die einfachen englisch-jüdischen Plutokraten waren. Etwas davon klingt in den viel zitierten Worten aus Disraelis Novelle Sybil [1845] an: "Die Welt wird von ganz anderen Menschen regiert, als diejenigen glauben mögen, die nicht hinter die Kulissen sehen, was für ein Schauspieler, dieser Mann. Und doch ist der nachhaltigste Eindruck, den er hinterläßt, der einer unbedingten Aufrichtigkeit. Manche betrachten ihn wie einen Fremden. Ist England für ihn da oder er für England? Ist er konservativ oder liberal? Vielleicht ist all das ihm gleich. Aber das mächtige Venedig – die imperiale Republik, über der die Sonne niemals untergeht, das ist die Vision, die ihm vorschwebt. England ist das Israel seines Wunschtraumes, und er wird, wenn er Glück hat, dessen erster kaiserlicher Premierminister sein." – Diese Worte wurden von Disraeli geschrieben, als er noch Führer der konservativen Partei war und damit wahrhaft prophetischen Geist zeigte. Diese Worte umfassen den wahren Sinn des Wirkens „Dizzys". Die Bezugnähe auf Venedig – rührt praktisch wenigstens – wohl von der Tatsache her, daß die Familie Disraelis, die aus Conto bei Ferrara stammte, ehe sie nach England kam, ihr Glück in Venedig versucht hatte. So kannte Dizzy, sozusagen durch die Familie, das Ideal des „imperialistischen Venedigs“, nach welchem er, in engster Verbindung mit der jüdischen Idee, das englische Weltreich aufrichten wollte [Interessant ist, daß es der Engländer Shakespeare war, der im Kaufmann von Venedig (The jew of venice, 1600) das gesellschaftlich bestimmende Leben der Juden im mittelalterlichen Venedig durch den Geldverleiher Shylock personifizierte. Dieser leiht einem venezianischen Kaufmann Geld und legt als Gläubiger „ein Pfund Fleisch“ des Schuldners als Tilgung bei Zahlungsunfähigkeit vertraglich fest. Das Trachten Shylocks mit Waage und Messer in der Hand die Erfüllung des Vertrages zu fordern, ist der Höhepunkt des Dramas.]. Es war wiederum die dem Kaufmann eigene imperialistische Idee: die Herrschaft, die auf Gold, Handel, überseeischen Besitzungen und den neuen Handelswegen im Zuge der Industrialisierung beruhte und in der alles übrige nur Mittel und Werkzeug ist. Aber Venedig war wenigstens dem Namen nach Republik. Um also dieses angebliche venezianische Ideal verwirklichen zu können, mußte man in England zersetzen, was es noch an arischem und traditionsgebundenem Geist bewahrte. Und hier haben wir einen weiteren, sehr charakteristischen Zug von Disraelis Wirken. Wir können an dieser Stelle nicht im Einzelnen die Konflikte zwischen den verschiedenen politischen englischen Lagern und Parteien zu Disraelis Zeiten darstellen. Jedenfalls wird fast jeder Leser von dem Streit zwischen den Tories, den Parteigängern des Königs, den Konservativen und vorwiegend katholischen Kreisen, und den Whigs, der protestantischen Aristokratie, die eifersüchtig auf ihre eigene Unabhängigkeit bedacht war und sich die Sache der neuen, liberalen Ideen zu eigen machte, gehört haben. Das Meisterstück Disraelis war, diese Gegensätze scheinbar zu überwinden, indem er die Führung einer neuen Partei übernahm, die im engsten Sinne konservativ genannt wurde und die in ihrem Programm beiden Parteien scheinbar den Wind aus den Segeln nahm. Mit anderen Worten: in der konservativen Partei Disraelis schwenkten die wahren Konservativen etwas zu den liberalen über und die Liberalen wurden dagegen bis zu einem gewissen Grade konservativ, weil auf Grund der von letzteren vertretenen utilitaristischen [nach Nützlichkeitserwägungen ausgerichtet] Ideen es ein Leitidee war, nämlich die zwischen ihren eigenen materiellen Interessen und denen ihrer Gegner bestehende. Man kann sagen, daß Disraeli mit der Etablierung dieser Idee England zu einer oligarchisch geführten Republik machte. Seine konservative Partei war in Wirklichkeit eine Clique, die durch gleiche Interessen zusammengeschweißt war, aber innerlich-geistig leer und jedes wahrhaft traditionsgebundenen Ideals bar. Selbstverständlich war innerhalb dieser Clique der jüdische und freimaurerische Einfluß von nicht geringer Bedeutung. Dennoch scheint es, daß Disraeli noch weiter zielte. Das läßt sich aus seinem Romanzyklus Das neue England entnehmen. In dem Roman Sybil oder die beiden Nationen spiegelt sich genau die schon von der Freimaurerei zur Vorbereitung der französischen Revolution angewandte ideologische Taktik wider. Disraeli betont die Notwendigkeit einer neuen, „aufgeklärten“ und über die Vorurteile der Vergangenheit erhabenen Elite. Derartige Ideen begeisterten die junge Generation des englischen Adels, die sich erträumte, diese neue, für eine aufgeklärte Aristokratie bestimmte Funktion zu übernehmen; Sie ahnte nicht, daß sie sich damit nur das eigene Grab schaufeln sollte. In dem anderen Roman desselben Zyklus, Coningsby [1844], ist die Hauptfigur ein geheimnisvoller Jude spanischer Herkunft, Sidonia – wie Maurois [Literaturwissenschaftler und Historiker, 1885-1963] sagt: „Eine Mischung zwischen Disraeli und Rothschild oder besser gesagt dessen, was Disraeli hätte sein können, und dessen, was nach seinem Wunsch Rothschild hätte sein sollen". Dieser Sidonia unterweist Coningsby, der das „neue England" verkörpert, in der Lehre vom „heldischen Ehrgeiz“ und von neuem bestätigt sich hier Disraelis pseudo-konservatives Ideal. Die von Sidonia gewiesene Lösung ist eine Regierung, die zwar konservative Grundsätze vorschützt, aber liberal handelt. Kurz nachdem die englische Tory-Aristokratie einmal liberalisiert und ihre Ideen zu bloßen theoretischen „Grundsätzen“ ohne praktische Auswirkungen herabgesetzt wurden, handelte es sich darum, dem Ehrgeiz dieser Schicht zu schmeicheln, bis diese in der darauffolgenden Phase von der Subversion aus dem Sattel gehoben wurde, so wie es in Frankreich mit jenem Adel geschah, der sich verantwortungslos zum Träger der „neuen Ideen“ gemacht hatte. Aber die Wühlarbeit Disraelis beschränkte sich nicht auf die politische Ebene, sie suchte sich auch auf das religiöse Bereich zu erstrecken. Und hier lüftete der Jude ohne weiteres seine Maske. Was noch an Gesundem in England lebendig war, sollte in seiner inneren, damals christlichen Grundlage untergraben werden. Er trieb es so weit, zu behaupten, daß es die Aufgabe der Kirche sei, in einer materialistischen Welt die Hauptgrundsätze jüdischer Herkunft zu verteidigen. In diesen Thesen war Disraeli von einer derartigen Schroffheit, daß Carlyle [Thomas Carlyle, 1795-1881, schottischer Schriftsteller und Historiker. Als Bewunderer Deutschlands schrieb er ein Werk über Friedrich den Großen] sich veranlaßt die „jüdischen Frechheiten" Dizzys als unerträglich zu bezeichnen und wörtlich zu fragen: „Wie lange wird John Bull [die Personifikation des Königreichs Großbritannien, dargestellt als untersetzter, „bulliger“, Mann mit Frack und Zylinder] es noch dulden, daß dieser absurde Affe ihm auf dem Bauche herumtanzt?" Aber in allem, was das Judentum anbetraf war Disraeli unnachsichtig und ohne Vorbehalt. Mit allen Mitteln, ja ohne Furcht, einen Skandal zu veranlassen, verteidigte er die These des Bündnisses zwischen den entkräfteten „Konservativen“ und den Juden. Die Juden zu verfolgen sei der größte Fehler, den die konservative Partei begehen könne, denn auf diesem Weg würde sie dann deren Zuneigung in „antibritischen revolutionären Hunger“ verwandeln. Er machte aus der Judenfreundschaft eine ethische Frage: „Ihr lehrt euren Kindern die Geschichte der Juden", sagte Disraeli in einer berühmten Rede im Unterhaus, „an Festtagen lest ihr eurem Volk von den Unternehmungen der Juden vor; jeden Sonntag, wenn ihr das des Allmächtigen zu singen wünscht oder euch von euren Trübsalen trösten wollt, sucht ihr in den Gesängen jüdischer Dichter nach dem Ausdruck für solche Gefühle. Es steht in absolutem Einklang mit der Aufrichtigkeit eures Glaubens, daß ihr diese große Tat der Gerechtigkeit vollbringt." Man hätte tatsächlich diese Frechheit nicht weiter treiben können. Es kam zu einem Skandal unter den Konservativen, aber ohne praktische Folgen. Der jüdische Vormarsch setzte sich sicher und stillschweigend in den hohen englischen Schichten und bei der Regierung selbst weiter fort. Disraeli ist auch der Handstreich von 1875 auf Ägypten zu verdanken. Er vollzog ihn mit Hilfe eines Rothschild! 1875 befand sich Ägypten in schwersten Finanznöten und Disraeli gelang es herauszubekommen, daß der Machthaber Ismail Pascha geneigt war, die Aktien des Suez-Kanals [Bau 1869. Der Bau des Kanals führte durch ein europäisches Konsortium führte zu einer stärkeren Einflußnahme Großbritanniens im nun strategisch wichtigen Ägypten, das die Wirtschaft kontrollierte und die Finanzpolitik des formal zum osmanischen Reich gehörigen Staates nach dem Staatsbankrott bestimmte. In der Zeit zwischen 1798 und 1922 stand Ägypten faktisch unter britischer Herrschaft.] zu verkaufen. Das war eine Gelegenheit, sich den Seeweg nach Indien zu sichern. Die Regierung zögerte. Aber Rothschild nicht. Wir geben hier die Stichworte der historischen Unterredung zwischen Disraeli und Rothschild wieder. Dieser hatte vier Millionen Pfund verbürgt, und Disraeli: „Jede britische Regierung!" Der andere: „Sie können morgen die vier Millionen haben“ und er gibt sie ihm “mit dem kleinsten Nutzen“, denn die wahren und wesentlichen Interessen der jüdischen Clique befanden sich auf einer durchaus anderen und weniger sichtbaren Ebene. Disraeli unterließ auch nicht, den Juden in England die rituelle Einhaltung des jüdischen Gesetzes zu erleichtern. Es ist z.B. wenig bekannt, daß der sogenannte „englische Samstag“ nichts anderes ist als der jüdische „Schabbes“, der rituelle Ruhetag der Juden. Er wurde in England eben durch Disraeli eingeführt, natürlich unter einem geeigneten „sozialen“ Deckmantel. Während sich also auf verschiedenen Wegen die Verjudung des alten feudalen England vollzog, während die alte Aristokratie immer mehr an Rückgrat verlor und ihr immer mehr Ideen eingeimpft wurden, die geeignet waren, sie leicht zum Opfer des materiellen und geistigen jüdischen und freimaurerischen Einflusses zu machen, versäumte Disraeli nicht, das andere Ziel zu verfolgen, die Macht des neuen Imperiums der Händler zu stiften, des „neuen Venedig“. Die Untaten der Plutokratie und der pseudokonservativen Cliquen begannen offenbar zu werden durch ihren Beitrag zur allgemeinen ökonomischen, landwirtschaftlichen und schließlich sogar kolonialen Krise im Weltreich des verwirklichten Traumes Disraelis: Erhebung der Afghanen, Krieg mit den Zulus, die drohenden Vorzeichen des Burenkrieges. Dem alten, zum Lord Beaconsfield und Günstling der Königin Viktoria erhobenen Disraeli gelang es am Ende nicht mehr, die Stellungen zu halten. Gladstone [Britischer Premierminister, 1809-1895, Nachfolger Disraelis, stammte aus einer reichen Kaufmannsfamilie] trat an seinen Platz. Das war trotz allem nur eine Ablösung der Wache. Die Cliquenwirtschaft, die Methoden an sich, die Richtlinien der internationalen „imperialistischen“ Politik, der falsche Konservatismus, die jüdische Denkungsart, die immer mehr die Überreste der alten Ethik des Gentleman und fair play mit der heuchlerischsten und materialistischsten Handlungsweise untergrub – all das blieb bestehen und entwickelte sich weiter im “imperialen" England, auch nach Disraeli, und hat bis heute den Stempel seines Schöpfers nicht verloren. Der Tradition nach hatten die Kaufleute der City, der Höhle der englisch-jüdischen Plutokratie, das Recht, jährlich den Lordmayor einzuladen und vom Premierminister in einer Rede vertrauliche Mitteilungen und den Ausdruck seiner politischen Überzeugungen zu erhalten. Die letzte Rede dieser Art, die Disraeli hielt, war noch einmal ein starres „imperialistisches" Glaubensbekenntnis: “Patrioten zu sein heißt für Engländer, am Kaiserreich festzuhalten, das ist ihre Freiheit." So kann man wohl sagen, daß im Kampf, den England heute [gemeint ist der zweite Weltkrieg] hartnäckig und verzweifelt kämpft, noch der Geist des Juden Disraeli lebt. Und wenn die Engländer, um diesem Geist nachzueifern, nicht nur ihr Kaiserreich, sondern auch ihr Vaterland an den Ruin bringen, so werden sie es diesem Vertreter des „auserwählten Volkes" zu verdanken haben.

(Veröffentlichung in: Die Aktion, Nr.1, Januar 1941)

Nachwort:

Dieser propagandistisch aufgeladene Artikel Evolas muß auch als Kritik am Konservatismus, wie er von den bürgerlich-konservativen bzw. christdemokratischen Parteien bis heute in Europa vertreten wird, verstanden werden. Er ist damit durchaus von großer Aktualität. Evola zeigt auf, daß dieser „Konservatismus“, ob von interessierten Kreisen gesteuert oder nicht, im Grunde einer übermächtigen liberalen Tendenz unterliegt, die zwangsläufig zur Aufgabe jeden Vorbehalts gegenüber der schrankenlosen Liberalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft (Primat der Wirtschaft gegenüber der Politik, rückhaltlose Ökonomisierung aller Lebensbereiche, Messung persönlichen Erfolgs bzw. Leistung an der Anhäufung materieller Werte, schrankenlose Individualisierung, Förderung von Minderheiten, Atomisierung der Gesellschaft durch Lobbys). Das Pochen auf „Werte“, auf Tradition und Brauchtum, von den „Konservativen“ jedoch nur oberflächlich rezipiert, sind politische Verfügungsmasse, die bedenkenlos für den Machterwerb und -erhalt aufgegeben wird. So hat sich keine europäische konservative Partei nach 1945 erfolgreich dem gesellschaftlich- und politisch dominierenden liberalen bzw. linksliberalen Zeitgeist entgegenstellen können. Dabei ist insbesondere zu beobachten, daß jede neue Generation „konservativer“ Politiker unter dem Schlagwort „Progressivität“ freimütig „Prinzipien“ aufgibt, für die „Konservative“ zuvor noch, wenn auch nicht konsequent und strikt, politisch „gekämpft“ haben. Im Grunde haben diese keine genaue Vorstellung davon, was überhaupt politisch „konserviert“ werden soll. Bemerkenswert ist die Nähe zur Wirtschaft und ihrem Denken, die jede „konservative“ Partei aufweist und sie kaum noch von liberalen Parteien unterscheidet.


1 Plutokratie: Herrschaft des Geldes. Mit dieser Standardbezeichnung der radikalen Rechten wird gemeinhin die westlich geprägte parlamentarische Demokratie bezeichnet, wobei man von der Annahme ausgeht, daß diese die Herrschaftsform des Kapitals ist. In der Tat muß man, gerade im Zeitalter von Globalisierung und Neoliberalismus, von einer vollständigen Ökonomisierung aller gesellschaftlichen Beziehungen und einer völligen Vorherrschaft von Materialismus und Profanisierung sprechen. In dem Artikel „Revolution und Tradition“ der Zeitschrift Junges Forum heißt es im Hinblick auf die westliche Demokratie und ihre kapitalistische Wirtschaftsordnung: „Die Auflösung aller Bindungen und Traditionen und die universelle Nivellierung aller Bestände zur Ware sind die Wirkungen des kapitalistischen Prinzips“ und im Hinblick auf den „großen“ englischen Denker des Bürgertums John Locke (Abhandlungen über den Staat, 1679-1689): „Gott gab, laut Locke, die Erde den Fleißigen und Vernünftigen. Das Ziel der Gesellschaft, der Staatsgewalt und der Regierung bestehe in der Einhaltung des Eigentums der Individuen, Locke subsumierte praktisch die gesamte politische Struktur in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unter ein einziges abstraktes Geld- und Schacherverhältnis (...) Die Ökonomie, vorher lediglich eine in die Gemeinschaft eingebettete und kontrollierte Notwendigkeit, wird zum zentralen Inhalt der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, an dem fortan alles menschliches Handeln gemessen wird.“ Zudem gibt der Autor zu Bedenken, daß in den westlichen Demokratien mit ihren „Freiheiten“ mit der Wirtschaft ein gesellschaftlich prägendes Subsystem gegenüberstehe, das von der Demokratisierung weitgehend unberührt sei und dem Lohnabhängigen nur wenige Rechte zubillige und ihn damit von der Teilhabe ausschließe. Vgl. Falk Riepe: Revolution und Tradition, in: Evola von Links! Metaphysisches Weltbild, antibürgerlicher Geist. Junges Forum 6, Straelen 2006, Regin-Verlag, S.4-39.

2 Der englische König Eduard/Edward I. (1272-1307) „Longshanks“ gilt als ehrgeiziger und fähiger Regent und resoluter Staatsmann. Innenpolitisch war er für die Reform des englischen Rechtswesens verantwortlich. Auf den König geht z.B. die institutionalisierte Juristenausbildung zurück. Er setzte zudem den Anspruch des Königs als oberster Gerichtsherr im Bereich des Common Law (Zivilgesetzgebung) rücksichtslos durch und erreichte im Zuge einer Steuerreform die Erfassung aller Besitzverhältnisse im Königreich England durch das Verzeichnis der Hundred Rolls. Die verschärfte Judengesetzgebung Eduards, die schließlich mit der Ausweisung aller Juden aus dem Königreich ihren Höhepunkt fand, stand in Zusammenhang mit diesen Reformen. Sie wurde aber sicher auch durch Eduards Teilnahme am Kreuzzug des französischen Königs Ludwigs des Heiligen von 1268 und damit zusätzlich religiös motiviert. Berühmtheit erlangte Eduard durch seine Kriege gegen die um Unabhängigkeit kämpfenden Schotten, die 1295 ein Bündnis mit dem Königreich Frankreich eingingen. In verlustreichen Schlachten wechselte das Kriegsglück ständig, bis mit der Krönung von Robert the Bruce 1306 zum König eines unabhängigen Königreichs Schottland Eduard seine größte außenpolitische Niederlage erleben mußte. Durch die preisgekrönte Verfilmung dieser historischen Episode im Film Braveheart (USA 1995, Regie und Hauptrolle: Mel Gibson) wurde diese herausragende als englische Herrschergestalt, leider zugespitzt negativ gezeichnet, einem größeren Publikum bekannt.

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Spiele und Sieg

Im klassischen Altertum hatten die Spiele – ludi – zum Teil sakralen Charakter, so daß sie ein weiterer typischer Ausdruck der Tradition der aktiven Tat sind.

«Ludorum primum initium procurandis religionibus datum» (der allererste Anfang der Spiele war von der Pflege der Religionen ausgegangen), behauptet Livius. Die sacra certamina (heilige Wettkämpfe) zu vernachlässigen, wäre sogar gefährlich gewesen, so daß man die Spiele zwar vereinfachen, aber nicht unterlassen konnte, falls die Staatskassen leer waren. Die Verfassung des Ursus verpflichtet die duoviri (hohe römische Beamte) und auch die Ädilen (hohe römische Aufsichtsbeamte) ausdrücklich, die Spiele zu Ehren der Götter zu feiern. Vitruvius verlangt für jede Stadt ein eigenes Theater, deorum immortaliwn diebus festis ludorum spectationibus (zur Betrachtung der Spiele an den Feiertagen der unsterblichen Götter); und der Leiter der Spiele im Circus Maximus war ursprünglich auch Priester von Ceres, Liber und Libera. In jedem Falle war es immer ein Vertreter der offiziellen Patrizierreligion, der in Rom die Spiele leitete, und für einige Spiele wurden sogar einige Priesterkollegien gegründet (z. Β. die Salii agonali). Die spiele waren so sehr mit den Tempeln verbunden, daß die christlichen Kaiser zugestehen mußten, diejenigen Tempel stehenzulassen, deren Zerstörung auch die Abschaffung von Spielen nach sich gezogen hätte. Und tatsächlich hielten sich die Spiele, wie wenige andere Institutionen des antiken Rom, bis zum Niedergang des Römischen Reiches. Eine agape (Liebesmahl), zu der die Dämonen geladen waren – invitione daemonum –, beendete dann die Spiele im Sinne eines Ritus, der gestatten sollte, an der mit ihnen verbundenen mystischen Kraft teilzuhaben. «Ludi scenici… inter res divinas α doctissimis conscribuntur» (die Schauspiele werden von den Gelehrtesten den Göttlichen Dingen zugeordnet), berichtet der heilige Augustinus.

Res divinae (göttliche Dinge, Handlungen) – damit ließ sich also nicht selten das charakterisieren, was heute zu Sport und plebejischer sportlicher Narrheit geworden ist. In der hellenischen Tradition stand die Einrichtung der wichtigsten Spiele in enger Beziehung zum Gedanken des Kampfes der olympischen, heroischen und solaren Kräfte gegen die Kräfte der Naturhaftigkeit und der Elemente. Die pythischen Spiele in Delphi erinnerten an den Triumph Apollos über Python und den Sieg dieses hyperboreischen Gottes über die anderen Götter. Die Olympischen Spiele knüpften gleichermaßen an den Gedanken des Triumphes des Himmelsgeschlechtes über das Titanengeschlecht an Herakles, der Halbgott, Verbündeter der Olympier gegen die Riesen in Unternehmungen, denen er im besonderen seine Unsterblichkeit verdankte, soll die Olympischen Spiele begründet haben, indem er symbolisch den Olivenzweig, mit dem man die Sieger krönte, aus der hyperboreischen Erde zog. Diese Spiele hatten einen streng männlichen Charakter. Den Frauen war es daher absolut verboten, daran teilzunehmen. Überdies kann es kein Zufall sein, daß in den römischen Zirkusarenen heilige Nummern und Symbole auftauchen: Die Drei – in den ternae summitates metarum (den dreifachen, höchsten Zielen) und in den tres arae trinis Das magnis potentibus valentibus (drei Altäre für die drei großen, mächtigen und einflußreichen Götter), die Tertullian auf die große samothrakiscne Triade bezieht; Die Fünf in den fünf spatia (Abteilungen) der Rundbahnen des Domitian; die Zwölf des Tierkreises in der Anzahl der Tore, durch die zu Beginn des Imperiums die Wagen hereinfuhren; die Sieben in der Anzahl der jährlichen Spiele zur Zeit der Republik, in der Altaranzahl der Planetengötter mit der Sonnenpyramide an der Spitze im Circus Maximus, in der Gesamtzahl der Runden, aus denen jedes vollständige Rennen bestand und auch der «Eier» und der «Delphine» oder «Tritonen» (Meeresgötter), die sich in jedem dieser sieben curricula (Rennen) befanden. Aber – wie Bachofen hervorgehoben hat – spielten das «Ei» und der «Triton» ihrerseits wiederum symbolisch auf die grundlegende Zweiheit der Weltenkräfte an: Das «Ei» versinnbildlicht die schöpferische Materie, die alle Möglichkeiten in sich birgt, während der «Triton» oder das «Seepferd», das dem Poseidon – Neptun heilig war, häufig sinnbildlich die Woge darstellt und dabei eben jene phallisch-tellurische Fruchtbarkeitskraft zum Ausdruck bringt, derentwegen man sich nach einer Plutarch-Überlieferung im Strome der Nilwasser die befruchtende Kraft des urmännlichen Wesens vorstellte, die Isis befeuchtete, die wiederum man als die Erde Ägyptens auffaßte. Diese Zweiheit findet noch weiteren Ausdruck in der örtlichen Lage der ludi und equirria (Pferderennen): so läßt Tarquinius seinen Zirkus im Tal zwischen Aventin und Palatin bauen, daß der Murcia, einer weiblich-tellurischen Gottheit, heilig war; und die Bahnen der equirria begannen am Strom des Tibers und hatten als metae (Ziele) ins Marsfeld gerammte Schwerter. Also: Heroische und männliche Symbole am Ziele, am τέλος, wohingegen am Beginn bzw. in dessen Umgebung das weibliche und stoffliche Zeugungselement vorherrschte: Das fließende Wasser und der Boden, der den chthonischen Gottheiten heilig war.

So fügt sich das Tatgeschehen in den Rahmen materieller, aber mit höherer Bedeutung erfüllter Symbole, zur größeren Wirksamkeit der «magischen Methode und Technik», die sich in den Spielen verbarg, die ja immer höherer Bedeutung erfüllter Symbole, zur größeren Wirksamkeit der mit feierlichen Opfern eröffnet und oft abgehalten wurden, um in Augenblicken nationaler Gefahr göttliche Kräfte anzurufen. Das Ungestüm der Pferde, der schwindelerregende, auf den Sieg gerichtete Lauf in sieben Runden, der in anderer Hinsicht dem Sonnenlauf gleicht und der Sonne geweiht ist, beschwor aufs neue das Mysterium des kosmischen Stromes, der sich nach der planetarischen Rangordnung in den «Kreis der Geburten» ergießt. Die rituelle Tötung des dem Mars geweihten Siegerpferdes hängt mit dem allgemeinen Sinngehalt des «Opfers» zusammen: Die so zur Befreiung gelangende Kraft scheint von den Römern dann hauptsächlich darauf ausgerichtet worden zu sein, auf okkultem Wege die Ernte zu begünstigen – ad frugum eventum. Dieses Opfer kann man übrigens als Entsprechung zum indisch-arischen acvamedha ansehen, das ursprünglich ein magischer Ritus war, um Macht zu erlangen, und das zu außergewöhnlichen Anlässen, z.B. im Augenblick des Kriegseintrittes oder nach einem Sieg, gefeiert wurde. Mit den zwei Rittern, von denen der eine durch das Osttor die Arena betrat und der andere durch das Westtor, um einen tödlichen Kampf auszutragen; mit den ursprünglichen Farben der zwei Parteien, die genau denjenigen entsprachen, in die das kosmische Ei unterteilt war, wobei das Weiß den Winter und das Rot den Sommer darstellte oder besser, das eine die chthonisch-lunare Macht und das andere die uranisch-solare versinnbildlichersinnbildlichte, beschwor man auch den Urkampf der beiden großen elementaren Gewalten. Jedes Ziel – meta Sudans – galt als «lebendig» – λίθος έμψυχος (lebender Stein); und der in einer meta des Zirkus gebaute Altar für den Gott Consus, eines Dämons, der bei den blutigen Spielen – munera – auf das vergossene Blut wartete und nur anläßlich der Spiele enthüllt wurde, galt als Ausgangspforte von unterweltlichen Mächten, genau wie der etruskische puteal, mit dem er offensichtlich in Zusammenhang stand. Aber oben waren Statuen von Siegesgöttern aufgerichtet, die auf das entgegengesetzte, uranische Prinzip verwiesen, so daß sich die Arena in einem gewissen Sinne in eine Versammlung von Geistern verwandelte – concilium daemonum –, deren unsichtbare Anwesenheit übrigens durch freigelassene Sitze rituell freigelassene Sitze rituell festgelegt war. Das, was also wie Handlungsablauf eines sportlichen Wettkampfes oder eines Schauspieles aussah, führte andererseits auf die Ebene einer magischen Beschwörung, deren Risiko in einem viel weiteren Rahmen real war, als daß es nur das Leben der an den certamina Teilnehmenden betroffen hätte, und der Sieg erneuerte und belebte im einzelnen und in der Gemeinschaft den Sieg der uranischen Kräfte über jene der Unterwelt, so daß er sich in ein «glückhaftes» Prinzip verwandelte. Die apollinischen Spiele z. Β. wurden anläßlich der punischen Kriege begründet, um sich gegen die Gefahr zu verteidigen, die vom Orakel angekündigt worden war. Sie wurden dann wiederholt, um eine Pestgefahr abzuwenden, um daraufhin regelmäßig abgehalten zu werden. So wurden vor den Spielen, in der sogenannten «pompa», die Attribute – exuviae – der kapitolinischen Götter, der Beschützer des Römertums, in geweihten Wagen – tensae – feierlich vom Kapitol zum Zirkus geleitet: im besonderen die exuviae Jovis Optimi Maximi (die Attribute des obersten Jupiters), die auch Zeichen des Reiches, des Sieges und des Triumphes waren: der Blitz, das Zepter, worauf der Adler thronte, und die Goldkrone. So als ob die okkulte Kraft der römischen Herrschaft selbst den ihr geweihten Spielen – ludi romani – beiwohnen oder sich an ihnen beteiligen sollte. Der Magistrat, der dazu ausersehen war, die Spiele zu leiten, führte den Zug wie ein Triumphator an, der die göttlichen Symbole trug: Von seinen Leuten umgeben, hatte er einen Staatssklaven bei sich, der ihm eine Eichenlaubkrone über das Haupt hielt, die mit Gold und Diamanten geschmückt war. Es ist überdies wahrscheinlich, daß ursprünglich bei den Spielen das Vierergespann ein Attribut des Jupiters und gleichzeitig ein Zeichen des triumphalen Königtums war: Ein antikes Vierergespann etruskischen Ursprungs, das in einem kapitolinischen Tempel aufbewahrt war, wurde von den Römern als Pfand ihres zukünftigen Wohlergehens angesehen.

Man versteht daher, warum für nicht im Einklang mit der Überlieferung abgehaltene Spiele dasselbe galt wie für den verfälschten heiligen Ritus: Wurde die Darbietung durch einen Zwischenfall gestört oder aus irgendeinem Grunde unterbrochen und waren die damit verbundenen Riten verletzt worden, so wurde das als mögliche Ursache eines Unglückes und eines Fluches angesehen, und die Spiele mußten wiederholt werden, um die göttlichen Mächte zu «besänftigen». Dazu ist auch die Legende bekannt, wonach das Volk, das bei einem feindlichen Überraschungsangriff die Spiele verlassen hatte, um zu den Waffen zu greifen, den Feind von einer übernatürlichen Macht in Verwirrung gestürzt vorfand. Diese Kraft fand man durch den Ritus des Spieles hervorgerufen, das Apollo, dem Heilbringer, geweiht und in der Zwischenzeit nicht unterbrochen worden war. Und wenn die Spiele oft «Viktorien» (Siegesgöttinnen) geweiht waren, die als Verkörperungen der triumphalen Siegeskraft angesehen wurden, bestand ihr Ziel eben darin, die Lebensfähigkeit und Gegenwärtigkeit dieser Kraft mit neuen, im selben Sinn geweckten und geformten Energien zu speisen. Daher kann man besonders in bezug auf ceriamina und munera verstehen, daß der Sieger als mit göttlichem Charakter bekleidet und manchmal sogar als eine momentane Verkörperung einer Gottheit erschien. In Olympia sah man im Augenblick des Triumphes im Sieger eine Verkörperung des lokalen Zeus, und der Beifallsruhm für den siegreichen Gladiatoren ging sogar in die antike christliche Liturgie über: είς αιώνας άπ αιώνος (auf ewig und immer).

Hier soll ebenso darauf aufmerksam gemacht werden, welchen Wert dieses Geschehen außer rituell und magisch für die Gemeinschaft auch innerlich für den einzelnen haben konnte. Hier könnte man mehr oder weniger das wiederholen, was wir bezüglich des Heiligen Krieges sagten: Der heroische Rausch des Kampfes und Sieges wurde durch die rituelle Ausrichtung zu einer Angleichung oder Anbahnung jenes höheren und reineren Kraftstrebens, das den Eingeweihten den Tod besiegen läßt. So erklären sich die überaus häufigen Hinweise auf die certamina, auf die Zirkusspiele und auf die Siegerfiguren, die wir in der klassischen Grabmalkunst vorfinden: Das alles half gleichnishaft, die höchste Hoffnung des Toten zum Ausdruck zu bringen: Durch den Hinweis auf diese Art von Tat war es ihm am besten möglich, den Hades zu besiegen und so in Übereinstimmung mit der Tradition der Tat die Glorie eines ewigen Lebens zu erlangen. So tauchen immer wieder in einer ganzen Reihe von Sarkophagen, Urnen und klassischen Reliefs die Bilder eines «sieghaft triumphalen Todes» auf: Geflügelte Siegesverkörperungen öffnen die Pforten des jenseitigen Reiches, halten das Medaillon des Verstorbenen empor oder krönen ihn mit dem Immergrün, das die Häupter der Eingeweihten ziert. Bei Pindars Verherrlichung der Göttlichkeit der siegreichen Kämpfer wurden in Griechenland die Enagogen und Promachen als mystische Gottheiten dargestellt, die die Seelen zur Unsterblichkeit führen. Und dementsprechend wird jeder Sieg, Nike, im Orphismus Symbol für den Sieg des Geistes über den Körper, und «Held» wird derjenige genannt, der die Einweihung erlangt hat, als Held eines schicksalhaften und ununterbrochenen Kampfes. Das, was im Mythos Ausdruck eines heroischen Lebens ist, wird zum Vorbild eines orphischen Lebens: Daher werden in den Grabesbildern Herakles, Theseus, die Dioskuren, Achilles usw. als orphische Eingeweihte bezeichnet: στρατός, militia, Kampfestruppe wird der Kreis der Eingeweihten genannt und μνασί στρατός, der Hierophant der Mysterien. Licht, Sieg und Einweihung werden zu Gedankengängen, die zahlreiche hellenische Bilddenkmäler als miteinander verbunden zeigen. Helios als aufgehende Sonne oder Aurora ist Nike, die den Siegeswagen führt: Und Nike stellt gleichzeitig Teletè, Mystis und andere Gottheiten und Verkörperungen transzendenter Wiedergeburt dar. Beim Übergang vom symbolisch-esoterischen Aspekt zum magischen müssen wir darauf hinweisen, daß die Kampfspiele und Kriegstänze, die in Griechenland beim Tod der Helden durchgeführt wurden (und denen in Rom die Spiele entsprachen, die die Leichenbegängnisse der Großen begleiteten), den Zweck hatten, eine mystische Heilskraft zu erwecken, die sie begleiten und in der Todeskrise stärken sollte. Den Helden wurde auch häufig ein Kult dargebracht, in dem regelmäßig die Kampfspiele wiederholt wurden, die schon auf ihre Leichenbegängnisse gefolgt waren.

In alledem haben wir also ein charakteristisches Beispiel für eine traditionale Kultur mit Ausrichtung zur Tat und nicht zur Kontemplation hin: zur Tat als Geist und zum Geist als Tat. Und was Griechenland betrifft, haben wir daran erinnert, daß in Olympia die Tat in der Ausdrucksform der «Spiele» einen Einigungsgedanken über den Partikularismus der Staaten und Städte hinweg verwirklichte, wie wir ihn ähnlich bei der Tat in der Ausdrucksform des «Heiligen Krieges» gesehen haben, z.B. im übernationalen Phänomen der Kreuzzüge und im Bereich des Islams zur Zeit des ersten Kalifats.

Auch die Elemente, die die mehr innere Seite solcher Traditionen erkennen lassen, fehlen nicht. Es ist gezeigt worden, daß in der Antike die Begriffe Seele, Doppel oder «Dämon», dann Furie und Erinnye und schließlich Todesgöttin und Siegesgöttin oft zu einem einzigen verschmolzen. Daraus bildete sich die Vorstellung einer Gottheit, die gleichzeitig Kampfesgöttin und transzendentales Element der menschlichen Seele war.

Das gilt z.B. für die beiden Begriffe fylgja (nordisch) und fravashi (iranisch). Die fylgja, was wörtlich «Begleiterin» heißt, wurde als geistige Wesenheit aufgefaßt, die in jedem Menschen wohnt, aber auch in außergewöhnlichen Augenblicken gesehen werden kann, z.B. im Zeitpunkt des Todes oder tödlicher Gefahr. Sie verschmilzt mit dem hugir, der die Seele darstellt, aber gleichzeitig eine übernatürliche Kraft ist – fylgjukoma –, ein Geist sowohl des einzelnen als auch seiner Sippe (als kynfylgja). Aber die fylgja wird auch oft als der Walküre gleichbedeutend angesehen und als «Schicksals»-Wesenheit aufgefaßt, die den einzelnen zum Sieg und zum heroischen Tod führt. Dasselbe gilt in groben Umrissen für die fravashi der antiken iranischen Tradition: Sie sind fürchterliche Kriegsgöttinnen, die Glück und Sieg bringen, erscheinen aber auch als «die innere Kraft eines jeden Wesens, das es erhält und seine Geburt und sein Weiterleben bewirkt» und «als die fortlebende und vergöttlichte Seele des Toten» im Zusammenhang mit der mystischen Kraft der Sippe, wie in der hinduistischen Auffassung der pitr und in der römischen der Manen.

Über diese Art Quell des Lebens und tiefster Lebenskraft, die hinter dem Körper und der Seins weise der endlichen Bewußtheit steht, haben wir schon gesprochen. Hier soll nur hervorgehoben werden, daß der «Dämon» oder das Doppel alle persönlichen und einzelnen Formen, in denen er sich offenbart, transzendiert, so daß der brüske, plötzliche Übergang vom gewöhnlichen Bewußtseinszustand des Einzelmenschen zum Bewußtseinszustand, der durch den Dämon charakterisiert ist, im allgemeinen einer zerstörerischen Krise gleichkommt: eine Zerstörung und Krise, die sich beim Tode tatsächlich ergibt. Wenn man also annimmt, daß unter besonderen Umständen das Doppel sozusagen in das Ich einbrechen und sich ihm völlig in seiner zerstörerischen Transzendenz fühlbar machen kann, so ergibt sich der Sinn der ersteren der erwähnten Verschmelzung von selbst: Daher werden das Doppel, der Dämon des Menschen und die Todesgottheit, die sich z.B. als Walküre im Augenblick des Todes oder einer tödlichen Gefahr zeigt, ein und dieselbe Sache. In der religiösen und mystischen Askese nun sind die «Abtötung», der Verzicht auf das Ich, der Enthusiasmus der Hingabe an Gott die bevorzugten Mittel, um zu versuchen, die eben erwähnte Krise auszulösen und zu überwinden. Aber wir wissen auch, daß nach dem anderen «Heils»-Weg das Mittel, das ebenfalls dorthin führt, die aktive Begeisterung ist, das Erwecken des «Tat»-Elementes im reinen Zustand. In niedrigeren Formen wurde der Tanz als heiliges Mittel dazu gebraucht, um durch die seelische Ekstase Gottheiten und unsichtbare Kräfte anzuziehen und offenbar werden zu lassen: Es ist das orgiastische, schamanische, bacchische, mänadische, korybantische Thema. Auch in Rom gab es heilige, priesterliche Tänze, durchgeführt von den Lupercien und den Arvalen, und das Leitmotiv der Hymne der letzteren: «Hilf uns Mars, tanze, tanze!» zeigt schon den Zusammenhang zwischen dem Tanz und dem Krieg, der dem Mars heilig war. Und auf das durch den Rhythmus entfesselte Leben des einzelnen pfropfte sich ein anderes Leben auf, das aus der abgrundtiefen Wurzel des ersten Lebens auftaucht: Und die Laren als lares ludentes (spielende Laren) oder als Cureten, die Furien und Erinnyen, diese wilden, geistigen Wesenheiten mit Attributen beinahe wie Zagreus – «Großer Jäger, der alles vernichtet» – sind Dramatisierungen davon. Sie sind also Erscheinungsformen des Dämons in seiner schrecklichen und aktiven Transzendenz. Eine Stufe höher, und wir kommen eben zu den Spielen als munera, als heilige Spiele; noch höher, und wir kommen zum Krieg. Im klaren Taumel der Gefahr und im heroischen Enthusiasmus, die sich im Kampfe ergeben, in der Spannung des Siegesstrebens (in den Spielen, aber besonders im Krieg) wurde, wie wir wissen, der Ort für eine derartige Erfahrung gesehen: Es scheint, daß schon etymologisch ludere (spielen) die Vorstellung von «loslassen» in sich birgt, die esoterisch auf die Eigenschaft zu beziehen ist, wie sie das Kampfgeschehen aufweist, nämlich die individuellen Fesseln abzustreifen und die tiefsten Kräfte freizulegen. Das führt zu einer weiteren Verschmelzung: nämlich der, daß die Todesgöttin und das Doppel nicht nur mit den Furien und den Erinnyen identisch sind, sondern auch mit den Kriegsgöttinnen, den Walküren als stürmende Kampfesjungfrauen, die dem Feinde auf magischem Wege einen panischen Schrecken – herfjöturr – einjagen, und den fravashi als den «Fürchterlichen, den Allmächtigen, die mit Ungestüm angreifen».

Aber sie verwandeln sich schließlich auch in Göttinnen wie Victoria oder Nike, in den lar victor (den siegreichen lar), in den lar martis et pacis triumphalis (den lar des Mars und des triumphalen Friedens) und in die Laren, die in Rom als die «Halbgötter, die die Stadt begründet und das Reich errichtet haben», verehrt wurden. Diese letztere Verwandlung entsteht beim glücklichen Ausgang solcher Erfahrungen. Genauso wie das Doppel die tiefe Kraft darstellt, die gegenüber dem äußeren Bewußtsein verborgen bereitsteht; genauso wie die Todesgöttin die Erfahrung dramatisiert, wenn sich diese Kraft als Urgrund der Krise, eben des Kernes des begrenzten Ichs offenbart; genauso wie die Furien und Erinnyen oder die lares ludentes die Art und Weise des Sich-Entfesselns und Hervorbrechens dieser Kraft widerspiegeln, genauso drücken die Göttin Victoria und der lar victor den Triumph über diese Kraft aus, das «Einswerden der beiden», den siegreichen Übergang zu dem Zustand, der jenseits der Gefahr der Ekstasen und formlosen Auflösungen steht, die im frenetischen Augenblick des Tatgeschehens droht.

Dort, wo sich im Gegensatz zu dem, was im Bereich der kontemplativen Askese vor sich geht, die geistigen Geschehnisse in einer Gesamtheit von realen Handlungen und Tatsachen abwickeln, kann sich zwischen physischem und metaphysischem, zwischen sichtbarem und unsichtbarem Bereich ein Parallelismus bilden, und die inneren Geschehnisse können das verborgene Gegenstück von äußeren Kriegs- oder Kampfeshandlungen sein, die zu einem wirklichen und eigentlichen Sieg als Krönung führen. Der materielle Sieg führt damit zum Sichtbarwerden eines entsprechenden geistigen Faktums, das ihn längs der in alten Zeiten noch halb offenen Wege der Energien vorherbestimmte – Wege, die das Innere mit dem Äußeren verbinden: Der Sieg erweist sich damit als das reale Zeichen einer Einweihung und einer mystischen Gotteserscheinung, die sich im selben Punkte erfüllt haben. Den Furien und dem Tod, denen der Krieger und Führer materiell gegenüberstand, ist er gleichzeitig auch in seinem Inneren, in seinem Geiste begegnet, in der Form eines gefährlichen Hervorbrechens der Kräfte seiner eigenen tiefsten Natur. Dadurch, daß er darüber triumphiert, trägt er auch den materiellen Sieg davon. Deshalb gewann in den klassischen Traditionen jeder Sieg vielfach noch einen sakralen Sinngehalt dazu; und beim Imperator, beim Heroen und beim Feldherrn, der auf dem siegreichen Schlachtfeld umjubelt wurde, wie auch schon beim Sieger der heiligen Spiele, hatte man das Gefühl der plötzlichen Offenbarung einer mystischen Kraft, die sie verwandelte und ins Übermenschliche erhob. Einer der kriegerischen Bräuche der Römer, den man nach einem esoterischen Sinngehalt erklären könnte, war der Brauch, den Sieger auf den Schild zu heben. Tatsächlich wurde der Schild schon von Ennius mit der Himmelskuppel verglichen – altisonum coeli clupeum –, und er war im olympischen Jupitertempel heilig. Im dritten Jahrhundert verschmolz in Rom dann der Titel des «Imperators» mit demjenigen des «Siegers»; und die Zeremonie des Triumphes war viel weniger ein militärisches Schauspiel als eine heilige Zeremonie zu Ehren des höchsten kapitolinischen Gottes. Der Triumphator erschien als lebendes Abbild Jupiters und legte den Siegeslorbeer für seinen Triumph in die Hände dieses Gottes. Der Triumphwagen war ein Symbol des kosmischen Viergespanns Jupiters, und die Auszeichnungen des Führers entsprachen denen des Gottes. Die Symbolik der «Viktorien» (Siegesgöttinnen), Walküren und ähnlicher Wesenheiten, die die Seelen der gefallenen Krieger in den «Himmel» führen, und die Bedeutung eines siegreichen Helden, der wie Herakles von Nike die Krone dessen empfängt, der an der olympischen Unsterblichkeit teilhat, wird damit klar und vervollständigt das, was wir über den Heiligen Krieg gesagt haben: Wir befinden uns eben im Bereich von Traditionen, wo der Sieg eine der Einweihung ähnliche Bedeutung im Sinne einer Unsterblichwerdung besitzt und zum Mittler einer Teilhaftigkeit am Transzendenten oder dessen Sichtbarwerdung in einem Machtkörper wird. Auf den gleichen Grundgedanken ist die islamische Vorstellung zurückzuführen, wonach die im «Heiligen Krieg» – jihäd – gefallenen Krieger in Wirklichkeit überhaupt nicht gestorben seien.

Ein letzter Punkt: Oft wurde der Sieg eines Führers bei den Römern wie eine eigene, unabhängige Gottheit – numen – angesehen, deren geheimnisvolles Leben den Mittelpunkt eines besonderen Kultes bildete. Und Feste, heilige Spiele, Riten und Opfer waren darauf ausgerichtet, die Gegenwärtigkeit dieses göttlichen Lebens zu erneuern. Die Victoria Caesaris (Sieg Cäsars) ist das bekannteste Beispiel dafür. Man nahm an, daß jeder Sieg, gleich einer Einweihungs- oder «Opfer»-Tat, ein Wesen schuf, das vom Schicksal und von der besonderen Individualität des sterblichen Menschen, aus dem es stammte, losgelöst war und eine Strömung bestimmter geistiger Einflüsse hervorbringen konnte, genau wie der Sieg der göttlichen Ahnen, über den wir schon ausführlich gesprochen haben. Aber wie im Falle des Kultes der göttlichen Ahnen mußten auch diese Einflüsse von nach den Gesetzen der Sympathie und Analogie wirkenden Riten verstärkt und weiterentwickelt werden. Daher wurden die victoriae als numina regelmäßig, hauptsächlich durch Spiele und Wettkämpfe, gefeiert. Die Regelmäßigkeit dieses Kampfkultes, die vom Gesetz festgelegt war, konnte eine «Gegenwärtigkeit» herbeiführen, die sich verborgen den Kräften des Volkes hinzufügte, um es einem «glückhaften» Ende zuzuführen und um aus den neuen Siegen ein Mittel zu schaffen, das die Offenbarung und die Bekräftigung der Energie des ursprünglichen Sieges ermöglichte. Da also in Rom die Verehrung des toten Cäsar mit der Verehrung seines Sieges zusammenfiel und da regelmäßige Spiele der Victoria Caesaris geweiht wurden, konnte man in ihm einen «ewigen Sieger» sehen.

Der Kult der Victoria, der als vorgeschichtlich galt, kann allgemein als die geheime Seele der römischen Größe und fides angesehen werden. Seit der Zeit des Augustus war die Statue der Göttin Victoria auf dem Altar des römischen Senats aufgestellt, und es war Brauch, daß jeder Senator, wenn er an seinen Platz ging, zu diesem Altar schritt, um dort ein Weihrauchkorn zu verbrennen. Diese Kraft schien damit unsichtbar über die Beschlüsse der Kurie den Vorsitz zu haben: Gegen ihr Bild hin wurden auch die Hände ausgestreckt, wenn man einem neuen Herrscher Treue schwor und wenn jedes Jahr am dritten Januar feierlich Wünsche für die Gesundheit des Kaisers und das Wohlergehen des Reiches ausgesprochen wurden. Und das war dann auch der langlebigste römische Kult, der Kult, der als letzter dem Christentum wich.

Man kann tatsächlich sagen, daß unter den Römern kein Glaube lebendiger war als der, daß göttliche Kräfte die Größe Roms herbeigeführt hätten und ihre aeternitas (Ewigkeit) aufrechterhielten, daß deshalb ein Krieg, um im materiellen Sinn gewonnen zu werden, vorerst im mystischen Sinne gewonnen oder wenigstens begünstigt werden mußte. Nach der Schlacht am Trasimenersee sagte Fabius zu den Soldaten: «Eure Schuld liegt vielmehr in der Vernachlässigung der Opfer und in der Nichtbeachtung der Voraussagen der Auguren als im Mangel an Mut oder Können. Weiterhin war es ein Glaubenspunkt, daß eine Stadt nicht eingenommen werden könne, außer man verhalte sich so, daß der Schutzgott sie im Stich lasse. Kein Krieg wurde ohne vorherige Opfer begonnen, und ein besonderes Priesterkollegium, die fetiales, hatte die Aufsicht über die den Krieg betreffenden Riten. Die Grundregel der römischen Militärkunst war, nicht zum Kampfe gezwungen zu werden, wenn die Götter dagegen waren. Schon Themistokles hatte gesagt: «Nicht wir, sondern die Götter und die Helden haben diese Unternehmung vollbracht.» So fiel der wahre Schwerpunkt wiederum in das Sakrale. Übernatürliche Taten mußten die menschlichen Taten unterstützen, um auf diese die mystische Kraft der Victoria zu übertragen.

Nachdem wir von Tat und Heldentum als traditionale Werte gesprochen haben, sollten wir auch darauf hinweisen, wie groß der Unterschied zu dem ist, was bis auf wenige Ausnahmen heute unter diesen Begriffen verstanden wird. Der Unterschied liegt, um es nochmals zu wiederholen, im Fehlen der transzendenten Dimensionen bei den heutigen Formen, d. h., es besteht eine Ausrichtung, die, mag sie auch nicht nur von einem bloßen Instinkt und einem blinden Vorwärtsdrängen bestimmt sein, nicht zu einer «Öffnung» führt, sondern im Gegenteil Eigenschaften hervorbringt, die nur das «physische Ich» in einem dunklen, tragischen Glanz stärken. In bezug auf die asketischen Werte im engeren Sinne haben wir eine gleichartige Minderung, die die Askese jedes höherführenden Elementes beraubt, im Übergang des Begriffes der Askese auf den der Ethik, besonders bei Morallehren wie jener Kants und zum Teil schon jener der Stoa. Jede Moral, sofern es sich um eine ihrer höheren Formen handelt, d.h. um die sogenannte «autonome Moral», ist nichts anderes als verweltlichte Askese. Aber als solche ist sie nur ein überlebendes Reststück und erscheint ohne jedes echte Fundament. So hat die Kritik der modernen «Freigeister» bis zu Nietzsche leichtes Spiel mit den Werten und Aufforderungen der zu Unrecht so genannten Moral aus Tradition gehabt (zu Unrecht so genannt, da es in einer traditionalen Kultur, wir wiederholen es, die Moral als autonomen Bereich gar nicht gab). Von da mußte man logischerweise auf ein noch tieferes Niveau hinabsteigen: Von der kategorisch befehlenden «autonomen» Moral wechselte man zu einer Moral, die auf reinen Nützlichkeits- und «Sozial»-Maßstäben beruhte und damit unter einer grundsätzlichen Relativität und Zufälligkeit litt.

Wie die Askese im allgemeinen, so haben auch der Heroismus und die Tat, wenn sie nicht darauf abzielen, die Persönlichkeit zu ihrem wahren Mittelpunkt zurückzuführen, nichts von dem, was in der traditionalen Welt glorifiziert wurde, sondern sind eine bloße «Konstruktion», die mit dem Menschen beginnt und mit dem Menschen endet und damit über die Empfindung, die Erregtheit und impulsive Leidenschaft hinaus keinen Sinngehalt oder Wert aufweist. Das ist beinahe ohne Ausnahme der Fall beim modernen «Aktions»-Kult, auch wenn er sich nicht nur auf eine Hochzüchtung der «Reflexe» beschränkt, auf eine quasi sportliche Kontrolle der Elementarreaktionen, wie es bei der übermäßigen Mechanisierung der modernen Spielarten der Tat, mit dem Krieg an erster Stelle, fast zwangsläufig geschieht. Und wo immer sich existentielle Grenzerfahrungen ergeben, ist es immer und allein nur der Mensch, der sich inzesthaft daran gütlich tut; ja, das Niveau sinkt vielfach sogar auf unterpersönliche, kollektive Kräfte ab, denen die mit Heroismus, Sport und Tat verbundenen «Ekstasen» dann noch die Verkörperung erleichtern.

Der moderne heroische Mythos auf individualistischer, auf Willen und «Übermenschentum» beruhender Grundlage stellt eine gefährliche Verirrung dar. Auf seiner Grundlage «erscheint» dem einzelnen, «der sich jede Möglichkeit zur überindividuellen und außermenschlichen Entwicklung abschneidet, durch eine diabolische Konstruktion das Prinzip seines kleinen, physischen Willens als absoluter Bezugspunkt, und er sucht das Gespenst der Außenwelt zu überwältigen, indem er ihm zutiefst erregt das Gespenst des eigenen Ichs entgegenstellt. Es ist nicht ohne Ironie, wenn angesichts dieses ansteckenden Wahns demjenigen, der das Spiel dieser armen, mehr oder weniger heroischen Menschen betrachtet, die Ratschläge des Konfuzius einfallen, wonach es jedem vernünftigen Menschen zur Pflicht gemacht wird, das Leben zu bewahren, und zwar nur im Hinblick auf die Entwicklungsmöglichkeiten, um derentwillen allein der Mensch würdig ist, Mensch zu heißen». Es bleibt jedoch eine Tatsache, daß der moderne Mensch solche herabgekommene und profanierte Formen der Tat wie eine Art Rauschgift nötig hat: Er braucht sie, um der Empfindung der inneren Leere zu entrinnen, um sich selbst auszufüllen und in übersteigerten Gefühlsregungen den Ersatz für eine echte Sinnerfüllung des Lebens zu finden. Eine Art verkrampfter Unruhe, die alle Grenzen sprengt, die von Fieber zu Fieber treibt und immer neue Quellen des Rausches und der Betäubung erfindet, ist eines der Kennzeichen des «Dunklen Zeitalters» im Westen.

Bevor wir weitergehen, möchten wir noch auf einen Aspekt des traditionalen Geistes hinweisen, der mit dem Rechtswesen zu tun hat und teilweise auf die eben dargelegten Ansichten Bezug nimmt. Es handelt sich um die Ordale und die sogenannten «Gottesurteile».

Es kam oft vor, daß man die Prüfung der Wahrheit, des Rechtes, der Gerechtigkeit und der Unschuld einem Test unterwarf, der aus einer entscheidenden Tat bestand – experimentum crucis. Wie dem Recht ein göttlicher Ursprung zuerkannt wurde, so galt die Ungerechtigkeit als Verletzung des göttlichen Gesetzes, die durch ein Zeichen erkannt werden konnte, daß im Ausgang einer dementsprechend ausgerichteten, menschlichen Tat bestand. Es war germanischer Brauch, durch den Ausgang der Waffenprobe den göttlichen Willen zu erfahren, im Sinne eines besonderen, eben durch die Tat übermittelten Orakels: Und das war auch die Vorstellung, die ursprünglich der Sitte des Duells zugrunde lag. Vom Grundsatz ausgehend: de coelo estfortitudo (vom Himmel kommt die Stärke) (Annales Fuldenses) weitete sich das manchmal sogar bis auf die Ebene der kriegführenden Staaten und Nationen aus. Noch die Schlacht von Fontenoy (841 n.Chr.) wurde als «Gottesurteil» aufgefaßt, das dazu aufgerufen war zu entscheiden, wer von den zwei Brüdern das wahre Recht besaß, da sie beide für sich allein das Erbe des Reiches von Karl dem Großen beanspruchten. Und wenn ein Kampf in diesem Geiste ausgefochten wurde, so gehorchte er besonderen Vorschriften: z.B. war es dem Sieger untersagt, Beute zu machen und den Sieg strategisch oder territorial auszunützen, und beide Teile mußten für alle Verwundeten und Gefallenen die gleiche Sorge verwenden. Auch wurden nach der allgemeinen Auffassung, die sich im gesamten fränkisch-karolingischen Zeitraum erhielt, Sieg und Niederlage, auch ohne bewußte Vorstellung einer Prüfung, als Zeichen von oben für die Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit, die Wahrheit oder die Schuld empfunden. Aus der Legende des Kampfes zwischen Roland und Ferragus und gleichwertigen Themen der Ritterliteratur sehen wir, daß das Mittelalter sogar die Prüfung des wahren Glaubens der Waffenprobe überließ.

In anderen Fällen bestand der Test der Tat im Hervorrufen eines übernatürlichen Phänomens. Das galt schon im klassischen Altertum: Bekannt ist z. Β. die römische Legende einer der Gotteslästerung verdächtigen Vestalin, die die eigene Unschuld dadurch beweist, daß sie in einem Sieb Wasser aus dem Tiber holt. Der Brauch, den Schuldigen, der leugnet, die ihm angekreidete Tat begangen zu haben, aufzufordern, z.B. ein Gift oder ein starkes Brechmittel einzunehmen und dann, wenn die Substanz die gewöhnlichen Wirkungen hervorbrachte, die Anschuldigung als gerechtfertigt anzusehen, gehört nicht nur zu den degenerierten Formen, die sich bloß bei den Wilden erhalten haben. Im europäischen Mittelalter gab es solche freiwillig eingegangenen Ordale nicht nur im Bereich der weltlichen Gerichtsbarkeit, sondern auch im sakralen Bereich, und Mönche, ja sogar Bischöfe akzeptierten ein solches Kriterium zur Wahrheitsbestätigung ihrer Behauptungen in Glaubensfragen. Auch die Tortur, als Mittel zur Befragung aufgefaßt, hatte ursprünglich Bezug zum Gedanken des «Gottesurteiles»: Man dachte an eine quasi-magische Kraft, die mit der Wahrheit verbunden wäre; man war überzeugt, daß keine Qual die innere Kraft eines unschuldigen und die Wahrheit vorbringenden Menschen zerstören könne.

Der Zusammenhang von all diesem mit der mystischen «Tugend», die man traditional im «Siege» sah, ist offenbar. Bei solchen Prüfungen, einschließlich der Waffenprobe, dachte man also, «Gott» zum Zeugen «aufzurufen». In der Tat kann man von ähnlichen unschuldigen, theistischen Vorstellungen auf die reinere Form des traditionalen Gedankens zurückkommen, wonach Wahrheit, Recht und Gerechtigkeit in letzter Analyse als Erscheinungen eines metaphysischen Bereichs gelten, der als Wirklichkeit aufgefaßt wird und den der Zustand der Wahrheit und Gerechtigkeit im Menschen objektiv hervorzurufen imstande ist. Die Vorstellung der Überwelt als einer Wirklichkeit im überragenden Sinne, folglich als einer über den Naturgesetzen stehenden Macht und geneigt, sich hier auf Erden jedes Mal zu offenbaren, sobald ein Mensch ihr den Weg öffnet, vor allem durch eine absolute und nicht individuell gebundene, ganz auf dem reinen Geist der Wahrheit beruhende Hingabe an sie, worauf bestimmte geistige Zustände auftreten (der schon besprochene heroisch-kämpferische Zustand, der «loslöst», oder die äußerste Spannung bei einer Prüfung oder einer Gefahr), die dazu dienen, sozusagen die geschlossenen menschlichen Stromkreisläufe an diese viel weiteren Stromkreisläufe der Überwelt anzuschließen, in deren Rahmen ungewöhnliche und scheinbar wunderbare Geschehnisse möglich werden – eine solche Vorstellung also mag die erwähnten Traditionen und Gebräuche erklären und ihnen den rechten Sinngehalt zuweisen. In diesem Bereich bildeten Wahrheit und Wirklichkeit, Macht und Recht, Sieg und Gerechtigkeit also ein einziges Ding, das wiederum im Übernatürlichen den wahren Schwerpunkt hatte.

Solche Ansichten müssen dagegen als reiner Aberglaube erscheinen, wo immer der «Fortschritt» die menschlichen Tugenden systematisch jeder Möglichkeit beraubt hat, sich objektiv auf eine höhere Ordnung zu beziehen. Wenn man die Kraft des Menschen in der gleichen Weise betrachtet wie die Kraft eines Tieres, also als die Fähigkeit eines Wesens zum mechanischen Handeln, wobei das Wesen durch nichts mit etwas über ihm Stehenden verbunden ist, dann kann die Kraftprobe natürlich nichts Höheres bedeuten, und der Ausgang jedes Wettkampfes bleibt allein dem Zufall überlassen, ohne daß ein möglicher Zusammenhang mit einer «Wert»-Ordnung gegeben wäre. Nachdem aus den Gedanken der Wahrheit, des Rechts und der Gerechtigkeit Abstraktionen und gesellschaftliche Konventionen geworden sind; nachdem jene Empfindung vergessen war, auf Grund deren man im arischen Indien sagen konnte, daß «die Erde auf der Wahrheit gegründet ist» – satyena uttabhitä bhwnih -; nachdem jede Wahrnehmungsmöglichkeit solcher «Werte» als objektive, fast möchten wir sagen physische Erscheinungen der Überwirklichkeit im Gestrüpp des Zufalls erstickt worden war, ist es nur natürlich, daß man sich fragt, wie denn Wahrheit, Recht und Gerechtigkeit jemals auf den vorbestimmten Ablauf von Geschehnissen und Fakten Einfluß nehmen können, den die Wissenschaft, zumindest bis vor ganz kurzer Zeit, als unabänderlich erklärt hat. Streitereien von Juristen, fleißige Auszüge aus Gesetzesbüchern, Paragraphen aus Gesetzen, die «für alle gleich sind», durch die die verweltlichten Staaten und die mit Zepter und Krone versehenen Volksmassen allmächtig geworden sind – dies alles soll also darüber entscheiden, was wahr und gerecht, was Unschuld und was Schuld ist. Die erhabene Sicherheit, mit der der traditionale Mensch unerschrocken und überindividualistisch, gewappnet mit Glauben und Waffen, gegen das Unrecht ankämpfte; die geistige Unerschütterlichkeit, die ihn a priori und absolut in einer übernatürlichen Macht verankerte, gegen die auch die Kraft der Elemente, der Empfindungen und selbst der Naturgesetze nichts vermochte, das hingegen ist «Aberglaube».

Auf die Auflösung der traditionalen Werte ist auch hier ihre Umkehrung gefolgt. Um nichts anderes handelt es sich nämlich, wenn sich die moderne Welt auf den «Realismus» beruft und die Vorstellung von der Identität von Sieg und Recht im Grundsatz: «Die Macht schafft das Recht» wiederum aufzunehmen scheint. Da es sich dabei aber um Macht im tiefsten materialistischen Sinne und auf der Ebene des Krieges in seinen jüngsten Formen sogar geradezu ahrimanischen Sinne handelt, weil allein das technische und industrielle Potential der absolut ausschlaggebende Faktor geworden ist, da es also in der heutigen Welt um nichts anderes mehr geht, ist das Sprechen von «Werten» und Recht reine Rhetorik. Aber gerade eine solche Rhetorik mit großen Phrasen und heuchlerischem Verkünden von Prinzipien wird als zusätzliches Werkzeug im Dienst eines häßlichen Machtwillens mobilisiert. Das ist ein besonderer Aspekt der allgemeinen Umwälzung der letzten Zeit, auf den wir übrigens noch zu gegebener Zeit zu sprechen kommen werden.

(Aus: Julius. Evola. Revolte gegen die moderne Welt)

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Mann und Frau

Um diese Betrachtungen über das traditionale Leben zu vervollständigen, wollen wir kurz auf die Welt des Sexus eingehen.

Auch hier gibt es in der traditionalen Auffassung Entsprechungen zwischen Wirklichkeiten und Symbolen, zwischen Handlungen und Riten; Entsprechungen, von denen die Prinzipien für das Verständnis der Geschlechter und für die Beziehungen abgeleitet sind, die in jeder normalen Kultur zwischen Mann und Frau entstehen müssen.

In der traditionalen Symbolik wurde das übernatürliche Prinzip als «männlich» aufgefaßt, wohingegen die Natur und das Werden als «weiblich» galten. In der hellenistischen Begriffswelt ist männlich das «Eine», το εν, das «in sich selbst ist», vollständig und sich genügend; weiblich ist die Zweiheit, das Prinzip des Verschiedenen und des «Anderen als es selbst», folglich auch des Begehrens und der Bewegung. In der hinduistischen Begriffswelt (Sämk-hya) ist männlich der unerschütterliche Geist – purusha – und weiblich ist die prakrti, der tätige Mutterschoß jeder bedingten Form. Die fernöstliche Tradition drückte im kosmischen Gegensatz des yang und des yin gleiche Vorstellungen aus, wonach yang, das männliche Prinzip, mit der «Tugend des Himmels» assoziiert wurde und yin, das weibliche Prinzip, mit der «Tugend der Erde».[1]

Für sich betrachtet stehen die beiden Prinzipien im Gegensatz zueinander. Aber im Bereich jener schöpferischen Gestaltung, die wir schon wiederholt als die Seele der traditionalen Welt bezeichnet haben und die wir auch in ihrer geschichtlichen Entwicklung im Zusammenhang mit dem Kampf zwischen verschiedenen Völkern und Kulturen sehen werden, verwandeln sie sich in Elemente einer Synthese, wobei alle beide eine bestimmte, abgegrenzte Funktion einhalten. Hier ist nicht der Ort, um zu zeigen, daß sich hinter den verschiedenen Darstellungen des Mythos vom «(Sünden-)Fall» häufig der Gedanke eines Aufgehens und Sich-Verlierens des männlichen Prinzips im weiblichen verbirgt, was bis zum Übergehen der männlichen in die weibliche Seins-Weise führen kann. Jedenfalls, wenn das geschieht, wenn das, was seiner Natur nach Prinzip für sich ist, sich den Kräften des «Begehrens» öffnet und dem Gesetz dessen unterliegt, was das eigene Prinzip nicht in sich selbst trägt, kann man sehr wohl von einem Fall sprechen. Eben darauf, auf die Ebene der menschlichen Realität, gründet sich die Haltung des Mißtrauens, wie sie verschiedene Traditionen gegenüber der Frau zeigen, die oft als ein Prinzip der «Sünde», der Unreinheit und des Bösen, als eine Versuchung und eine Gefahr für den nach dem Übernatürlichen Strebenden angesehen wird.

Dieser Richtung des «Sündenfalls» kann man jedoch eine andere Möglichkeit entgegensetzen, nämlich die der richtigen Beziehung. Sie ergibt sich, wenn das weibliche Prinzip, dessen Natur es ist, sich auf etwas anderes zu beziehen, sich nicht nach etwas wiederum Flüchtigem ausrichtet, sondern nach einer «männlichen» Festigkeit. Damit ist eine Grenze gesetzt. Die «Festigkeit» überträgt sich tatsächlich so, daß sie jede weibliche Ausdrucksform im Innersten verklärt. Damit haben wir eine Synthese im positiven Sinn. Es ist also eine «Bekehrung» des Weiblichen notwendig, so daß es ganz für das gegensätzliche Prinzip da ist; und es ist vor allen Dingen notwendig, daß dieses männliche Prinzip absolut und vollständig ein solches bleibt. Dann wird, in der metaphysischen Symbolsprache, das Weibliche zur «Braut», die auch die «Macht» ist, die schöpferische Werk-Kraft, die das erste Prinzip der Bewegung und der Form vom unbeweglichen Männlichen empfängt: ganz im Sinne der schon erwähnten Cakti-Lehre, die man anders ausgedrückt auch in der Lehre des Aristoteles und im Neu-Platonismus wiederfindet. Und wir haben auch schon auf die symbolischen, tantrisch-tibetanischen Darstellungen hingewiesen, die in diesem Zusammenhang äußerst bedeutungsvoll sind und in denen das männliche «zeptertragende» Prinzip unbeweglich, kalt und aus Licht geschaffen ist, währenddessen die Cakti, die es umhüllt und zur Achse hat, aus beweglicher Flamme gebildet ist.[2]

Diese schon mehrfach aufgezeigten Bedeutungsinhalte bilden in dieser spezifischen Form die traditionale Normen-Grundlage für die Geschlechter im konkreten Sinn. Diese Norm ist dem Prinzip des Kastenwesens untergeordnet und führt damit zu den zwei Angelpunkten des dharma und der bhakti oder fides zurück, d. h. zur Eigennatur und zur aktiven Hingabe.

Wenn schon die Geburt kein Zufall ist, so wird es auch ganz besonders kein Zufall sein, daß man im Körper eines Mannes oder einer Frau zu sich selbst erwacht. Auch hier wird der körperliche Unterschied als Entsprechung eines geistigen Unterschiedes aufgefaßt; man ist daher körperlich Mann oder Frau, nur weil man es transzendent schon ist, und die Charakteristik durch das Geschlecht, weit davon entfernt, in bezug auf den Geist etwas Unwesentliches zu sein, ist ein Zeichen, das auf einen anderen Weg und auf ein anderes dharma hinweist. Wir wissen, daß das Bestreben nach Ordnung und «Form» die Grundlage jeder traditionalen Gesellschaft bildet, da das traditionale Gesetz nicht zum Ununterschiedenen, zum Gleichen, zum Unbestimmten und zu dem hinführen will, bei dem die verschiedenen Teile des Ganzen unterschiedslos und im einzelnen ähnlich werden, sondern daß es will, daß diese Teile sie selbst bleiben und daß sie immer vollkommener ihre eigene Natur zum Ausdruck bringen. So stellen, was speziell die Geschlechter betrifft, Mann und Frau zwei Erscheinungsformen dar, und wer als Mann geboren wird, muß sich als Mann erfüllen, und wer als Frau geboren wird, muß sich als Frau erfüllen, in allem und für alles, und sie müssen jegliche Vermischung und Unterschiedslosigkeit überwinden: Und auch in der übernatürlichen Ausrichtung müssen Mann und Frau ihren eigenen Weg gehen, der nicht ausgetauscht werden kann, ohne daß beide in eine widerspruchsvolle und unorganische Seins-Weise verfallen.

Die Seins-Weise, die im besonderen dem Mann entspricht, haben wir schon besprochen; und wir haben auch über die beiden Hauptformen der Annäherung an den Wert des «Seins an sich» gesprochen: Aktion und Kontemplation, Tat und geistige Betrachtung: Der Krieger (der Held) und der Asket sind demnach die zwei Grundtypen der reinen Männlichkeit. In Symmetrie dazu gibt es ebenfalls zwei Grundtypen für die weibliche Natur. Die Frau verwirklicht sich als solche und erhebt sich auf dasselbe Niveau, auf dem der Mann als Krieger oder Asket steht, indem sie Geliebte ist oder Mutter: Zweiteilung ein- und derselben idealen Gesamtheit, denn wie es ein aktives Heldentum gibt, so gibt es auch ein passiv-negatives; wie es das Heldentum der absoluten Behauptung gibt, so gibt es auch das Heldentum der absoluten Hingabe, und das eine kann so lichtvoll sein wie das andere, und das eine kann so reich an Früchten im Hinblick auf Überwindung und Befreiung sein wie das andere, wenn sie nur in Reinheit und im Sinne einer Opfergabe gelebt werden. Eben diese Unterscheidung im Heldentum bestimmt den unterschiedlichen Charakter des Weges zur Vollendung für Mann und Frau. Der Haltung des Kriegers und des Asketen, wobei sich der eine durch die reine Tat, der andere durch die reine Loslösung in einem Leben, das jenseits des Lebens steht, behauptet, entspricht in der Frau das Sich-ganz-einem-anderen-Wesen-Hingeben, das Ganz-für-ein-anderes-Wesen-Dasein, sei es der geliebte Mann (Typus der Geliebten – aphroditischen Frau) oder der Sohn (Typus der Mutter – demetrische Frau), wobei sie allein darin den Sinn ihres eigentlichen Lebens, ihre eigentliche Freude, ihre eigentliche Rechtfertigung findet: Das ist die bhakti oder fides, die für die traditionale Frau der normale und natürliche Weg zur Teilhaftigkeit am Seins-Bereich der «Form» war oder, wenn sie absolut und überindividuell gelebt wurden, auch jenseits der «Form». Sich in immer entschiedenerer Weise nach diesen zwei getrennten und unverwechselbaren Richtungen hin zu verwirklichen, zu beschränken, was in der Frau Mann und was im Mann Frau ist, und nach dem «absoluten Mann» und nach der «absoluten Frau» zu streben, das ist je nach Lebensebene das traditionale Gesetz für die Geschlechter.

So konnte sich traditional die Frau nur mittelbar durch die Beziehung zu anderem – dem Mann – Eintritt in den hierarchisch sakralen Bereich verschaffen. In Indien hatten die Frauen auch höherer Kasten keine eigene Einweihung. Sie gehörten der sakralen Gemeinschaft der Adeligen – ärya – vor der Ehe nur durch ihren Vater an und nach der Ehe durch ihren Gatten, der auch mystisches Familienoberhaupt war.[3] Im dorischen Hellas hatte die Frau ihr ganzes Leben lang keine Rechte; solange sie ledig war, war der Vater ihr κύριος (Vormund).[4] In Rom, in Übereinstimmung mit einer Geistigkeit ähnlicher Art, war die Frau, weit davon entfernt, dem Mann «gleich» zu sein, juristisch einer Tochter ihres Ehemannes – filiae loco – und einer Schwester ihrer eigenen Söhne – sororis loco – gleichgestellt; als Mädchen war sie unter der potestas (Gewalt) des Vaters, als Führer und Priester seiner gens; als Ehefrau war sie in der gewöhnlichen Ehe einem rauhen Ausdruck gemäß in manum viri (in der Hand des Mannes). Diese traditionale Festlegung der Abhängigkeit der Frau finden wir auch anderswo[5], und sie Bedeutet keinesfalls Ungerechtigkeit und Präpotenz, wie die modernen «Freigeister» glauben möchten, sondern sollte die Grenzen und den natürlichen Ort des einzigen spirituellen Weges aufzeigen, der der reinen weiblichen Natur gemäß ist.

Hier können wir auch auf andere antike Ansichten hinweisen, in denen deutlich der reine Typus der traditionalen Frau zum Ausdruck kommt, die einer Aufopferung fähig war, die an der Grenze steht zwischen dem, was menschlich ist, und dem, was übermenschlich ist. Zuerst möchten wir die aztekische Überlieferung erwähnen, nach der am Vorrecht der himmlischen Unsterblichkeit, die dem Kriegsadel vorbehalten war, auch die Mütter teilhatten, die während der Niederkunft starben[6], denn man erblickte darin ein Opfer, das ähnlich war dem, das der auf dem Schlachtfeld Gefallene brachte. Dann können wir den Typus der Hindufrau aufzeigen, die Frau bis ins Innerste war, hin zu den äußersten Möglichkeiten der Sinnlichkeit, und doch in einer unsichtbaren und gelobten fides lebte, dank der die opferhafte Hingabe, die sich schon in der erotischen Hingabe des Körpers, dann der Person und des Willens zeigte, in der anderen, ganz anderen und weit über den Sinnen gelegenen Hingabe gipfelte, die darin bestand, daß die Ehefrau ihr Leben in die Flammen des indo-arischen Grabesscheiterhaufens warf, um dem Mann, dem sie sich gegeben hatte, ins Jenseits zu folgen. Dieses traditionale Opfer, reine «Barbarei» in den Augen der Europäer und der Europäisierten, bei dem sich die Witwe gemeinsam mit dem Körper des toten Gemahls verbrannte, wird im Sanskrit sati genannt, gebildet aus der Wurzel as und dem Thema sat – sein –, woher auch satya – das Wahre – kommt und das auch noch Gabe, Treue, Liebe heißt.[7] Dieses Opfer wurde als der höchste Gipfelpunkt in der Beziehung zweier Wesen verschiedenen Geschlechts angesehen, einer Beziehung im absoluten Sinn, d. h. im Sinn der Wahrheit und der Übermenschlichkeit. Hier wird der Mann zur Stütze einer befreienden bhakti erhoben, und Liebe schafft sich einen Weg und ein Tor. Die traditionale Lehre besagte nämlich, daß die Frau, die ihrem Gatten in den Tod folgte, den «Himmel» erlangte; sie verwandelte sich in das innerste Wesen ihres Gatten[8]: Sie hatte teil an jener Umwandlung des fleischlichen Körpers in einen göttlichen Lichtkörper durch das «Feuer», was in den indo-arischen Kulturen durch die Leichenverbrennung symbolisiert wurde.[9] Analog dazu gab es häufig auch den Freitod der germanischen Frau, wenn der Gatte oder Geliebte im Krieg fiel.

Als Wesen der bhakti im allgemeinen haben wir schon das Fehlen des Eigeninteresses für den Gegenstand oder den Stoff der auszuführenden Tat aufgezeigt, d.h. die reine Handlung, die reine Neigung. Das kann uns verstehen lehren, wie in einer traditionalen Kultur, wie jener der Hindus, das rituelle Opfer der Witwe – sati – zu einer dauernden Einrichtung erhoben werden konnte. Wenn sich eine Frau nur wegen eines sehr starken gegenseitigen Bandes menschlicher Leidenschaft mit einem anderen Wesen hingibt und opfert, bleiben wir noch im Rahmen einfacher, privater Gefühle. Nur eine Hingabe, die sich ohne jede Stütze aufrechterhält und entfalten kann, hat Anteil an einem transzendenten Wert.

Im Islam fanden ähnliche Bedeutungsinhalte ihren Ausdruck in der Einrichtung des Harem. Im christlichen Europa ist der Gedanke an Gott notwendig, damit eine Frau auf das äußere Leben verzichtet und sich in Klausur begibt. Aber auch dabei handelt es sich immer nur um Ausnahmefälle. Im Islam genügte dazu schon ein Mann, und die Klausur des Harems war eine natürliche Sache, die keine edelgeborene Frau in Zweifel zog; sie wollte darauf auch gar nicht verzichten: Es erschein als natürlich, daß eine Frau ihr gesamtes Leben auf einen Mann konzentrierte, den sie in einer so weiten und überindividuellen Art und Weise liebte, daß sie zugestand, daß auch andere Frauen am selben Gefühl teilhatten und durch dasselbe Band und dieselbe Hingabe mit diesem Mann vereint waren. Gerade darin kommt der Charakter der «Reinheit» zum Vorschein, den wir für den besprochenen Weg als Wesentliches bezeichnet haben. Die Liebe, die Bedingungen stellt und wiederum Gegenliebe und Hingabe seitens des Mannes verlangt, gehört einem niedrigen Bereich zu. Andererseits könnte ein Mann, der rein Mann ist, zu einer Liebe in diesem Sinn nur dann fähig sein, wenn er sich verweiblichte. Damit würde er aber von jener inneren Fülle und dem Sich-Selbst-Genügen abfallen, durch die die Frau in ihm eine Stütze findet und die ihre Begeisterung, sich hinzugeben, überhaupt ausmachen. Im Mythos läßt Civa als der große Asket der Höhen mit einem einzigen Blick Käma, den Gott der Liebe, zu Asche zerfallen, als dieser versucht, in ihm Leidenschaft für die Braut Parvati zu erwecken. Gleichermaßen steckt eine tiefe Bedeutung in der Legende des Kalki-avatara, in der von einer Frau berichtet wird, die niemandem gehören konnte, weil alle Männer, die sie begehrten und die ihr verfallen waren, dadurch augenblicklich in Frauen verwandelt wurden. In einer Frau ist wahrlich dann Größe, wenn sie gibt, ohne zu fordern, wenn in ihr eine Flamme brennt, die sich aus sich selbst nährt, wenn ihre Liebe um so größer wird, je weniger sich der Zielpunkt dieser Liebe bindet und nicht herabsteigt, ja sogar Distanzen schafft; je mehr er Herr ist als nur einfach Bräutigam oder Geliebter. Im Geist des Harem ist viel davon enthalten: Die Überwindung der Eifersucht, also des leidenschaftlichen Egoismus, des Besitzgedankens der Frau, von der man aber doch vom Mädchenalter bis zum Tod klösterliche Abgeschiedenheit und Treue einem Mann gegenüber verlangt, der andere Frauen um sich haben und sie alle besitzen kann, ohne sich einer zu «geben». Genau in dieser «Unmenschlichkeit» zeigt sich etwas Asketisches, wir können beinahe sagen: etwas Heiliges.[10] In diesem scheinbaren «zu einer Sache werden» brennt ein wahrer Besitz, eine Überwindung und auch eine Befreiung: Denn angesichts einer solchen unbedingten fides ist der Mann in seinem menschlichen Aspekt nur noch ein Mittel, und es eröffnen sich Möglichkeiten in einem Bereich, der nicht mehr irdisch ist. Wie die Regel des Harems der Klosterregel folgte, so führte auch sie das islamische Gesetz für die Frauen je nach den Möglichkeiten ihrer Natur auf dieselbe Ebene der mönchischen Askese[11], wobei aber das sinnliche Leben für die Frauen nicht ausgeschlossen, sondern miteinbezogen, ja sogar in höchstem Maße genossen wurde. Übrigens ist in einem geringeren Ausmaß eine solche Haltung der Frau als natürliche Voraussetzung bei den Kulturen zu sehen, wo die Einrichtung des Konkubinats einen auf ihre Art rechtmäßigen Charakter aufwies und gesetzlich als eine Ergänzung zur Einehe anerkannt war: so in Griechenland, Rom und anderswo. Der sexuelle Exklusivismus war dort ebenfalls überwunden.

Natürlich ziehen wir hier nicht in Betracht, was vielleicht tatsächlich im einen oder anderen Fall im Harem oder in anderen derartigen Einrichtungen geschehen ist. Wir haben das vor Augen, was ihnen in der reinen, traditionalen Vorstellung entsprach, und damit auch die höhere Erfahrungs-Möglichkeit, die sie grundsätzlich immer bieten konnten. Es ist die Aufgabe der Tradition, das möchten wir wiederholen, ein festes Flußbett zu graben, damit die chaotischen Lebensströme in die richtige Richtung fließen. Frei sind nur diejenigen, die, wenn sie diese traditionale Richtung einschlagen, sie nicht als Zwang empfinden, sondern sich darin frei entwickeln und sich darin wiedererkennen, so daß sie gleichsam aus einem inneren Antrieb heraus die höchste «traditionale» Seins-Möglichkeit ihrer Eigen-Natur verwirklichen. Aber auch die anderen, die nur materiell den Institutionen folgen und ihnen gehorchen, ohne sie zu verstehen und ohne sie zu leben, werden gestützt: Wenn auch ohne Licht, trägt sie ihr Gehorsam doch virtuell über ihre individuelle Beschränkung hinaus und führt sie in dieselbe Richtung wie die ersten. Wer aber weder dem Geist noch der Form nach dem traditionalen Flußbett folgt, für den gibt es nur das Chaos. Er ist verloren und gefallen.

Das trifft auf die moderne Menschheit auch hinsichtlich der Frau zu. Es war in der Tat nicht möglich, daß eine Welt, die die Kasten «überwunden» hatte und, wenn wir uns im Jakobinerjargon ausdrücken wollen, jedem menschlichen Wesen seine «Würde» und seine «Rechte» zurückerstattet hatte, das richtige Verhältnis zwischen den Geschlechtern hätte bewahren können. Die Emanzipation der Frau mußte schicksalshaft auf jene des Sklaven und auf die Glorifizierung des Klassenlosen und Traditionslosen, also des Parias, folgen. In einer Gesellschaft, die weder den Asketen noch den Krieger mehr begreift; in einer Gesellschaft, in der die Hände der letzten Aristokraten weniger für Schwerter oder das Zepter als vielmehr für Tennisschläger und Cocktailshaker gemacht zu sein scheinen; in einer Gesellschaft, in der der Typus des echten Mannes, von der blassen Larve des «Intellektuellen» oder «Professors», der narzistischen Hampelmannsgestalt des «Künstlers», der geschäftigen und schmutzigen Maschinerie des Bankiers und Politikers oder höchstens vom Boxer und vom Filmstar repräsentiert wird; in einer solchen Gesellschaft war es nur natürlich, daß auch die Frau sich erhob und auch für sich eine «Persönlichkeit» und eine Freiheit forderte, ganz im anarchischen und individualistischen Sinn der Letztzeit. Und während die traditionale Ethik vom Mann und von der Frau verlangte, immer mehr sie selbst zu sein, in immer deutlicheren Zügen das auszudrücken, was aus dem einen einen Mann, aus der anderen eine Frau machte, verfiel die neue Kultur auf die Gleichschaltung, auf das Formlose, auf einen Zustand, der wirklich nicht jenseits, sondern diesseits der Persönlichkeitswerdung und Unterscheidung der Geschlechter liegt.

Und was eigentlich eine Abdankung war, ist mit einem Sieg verwechselt worden. Nach Jahrhunderten der «Sklaverei» hat die Frau endlich frei und für sich selbst sein wollen. Aber der sogenannte «Feminismus» hat für die Frau keine andere Persönlichkeit zu ersinnen vermocht als die Imitation der männlichen, so daß die feministischen «Forderungen» ein fundamentales Mißtrauen der neuen Frau gegenüber sich selbst und ihre Unfähigkeit aufzeigen, zu sein und zu gelten als das, was sie ist: als Frau und nicht als Mann. Wegen dieses Unverständnisses hat die moderne Frau eine durch und durch eingebildete Minderwertigkeit dabei verspürt, nur Frau zu sein, und hat es beinahe als Beleidigung empfunden, «nur als Frau» behandelt zu werden. Hier liegt der Ursprung des verfehlten Strebens: Eben deswegen hat die Frau rachenehmend ihre «Würde» zurückfordern, ihren «Wert» beweisen wollen und hat begonnen, sich mit dem Mann zu messen. Aber dabei handelt es sich absolut nicht mehr um den echten Mann, sondern um den Retorten-Mann, den Hampel-Mann einer standardisierten, rationalisierten Gesellschaft, die praktisch nichts mehr an wahrer Unterscheidung und Qualität in sich birgt. In einer solchen Gesellschaft kann natürlich von einem legitimen Vorrecht der Männer nicht mehr die Rede sein, und die Frauen, unfähig, ihre natürliche Berufung zu erkennen und zu verteidigen, und sei es auch nur auf der niedersten Ebene (denn keine sexuell glückliche Frau fühlt jemals das Bedürfnis, den Mann nachzuäffen und zu beneiden), konnten leicht beweisen, daß auch sie von der Möglichkeit her die geistigen und körperlichen Fähigkeiten besaßen, die im anderen Geschlecht vorhanden waren und die im allgemeinen in der modernen Gesellschaft verlangt und geschätzt werden. Der Mann hat übrigens dabei in aller Unverantwortlichkeit zugesehen, ja im Gegenteil, er hat mitgeholfen, er selbst hat die Frauen auf die Straße, in die Ämter, in die Schulen, in die Fabriken und in alle niedrigen Ansteckungsherde der modernen Gesellschaft und Kultur gestoßen. Damit war der letzte Anstoß zur Nivellierung gegeben.

Und dort, wo die geistige Kastrierung des modernen, materialisierten Mannes nicht stillschweigend, wie in den antiken, weiblich beherrschten Gemeinschaften, zur Vorherrschaft der sich teuer verkaufenden Frau geführt hat, die als Richterin über sinnlich abhängige und für sie arbeitende Männer fungiert, ist das Ergebnis der Niedergang der weiblichen Eigenart bis zu den körperlichen Merkmalen hin gewesen, wozu noch die Rückbildung ihrer natürlichen Seins-Möglichkeiten und das Ersticken ihrer spezifischen Innerlichkeit kommen. Daraus entsteht der Typ garqonne, das jungenhafte Mädchen, leer, eitel, unfähig zu jeder über sie hinausführenden Begeisterung, und schließlich nicht einmal zur Sinnlichkeit und Sündhaftigkeit fähig: Denn bei der modernen Frau erwecken oft sogar die Möglichkeiten der physischen Liebe weniger Interesse als der narzistische Kult des eigenen Körpers, das Sich-mit- oder so-wenig-Kleidern-wie-nur-möglich-Zeigen, die Gymnastik, der Tanz, der Sport, das Geld usw. Europa wußte schon an und für sich wenig von der Reinheit der Hingabe, der Treue, die alles gibt und nichts verlangt, und der Liebe, die stark genug ist, keine Ausschließlichkeit zu benötigen. Abgesehen von einer rein konformistischen und bourgeoisen Treue hat sich Europa eine Art von Liebe auserwählt, die nicht duldet, daß der Geliebte nicht ebenfalls liebt. Wenn nun eine Frau, um sich ausschließlich einem Mann hinzugeben, von ihm verlangt, daß er ihr mit Leib und Seele gehört, hat sie ihre Hingabe nicht nur «vermenschlicht» und ärmlicher gemacht, sondern sie hat vor allen Dingen begonnen, den reinen inneren Kern ihres Wesens zu verraten, um auch hier eine der männlichen Natur eigene Seinsweise zur Leihe zu nehmen, und zwar eine Seinsweise, die zu den niedersten gehört: den Besitzanspruch, das Recht auf den anderen und den Stolz des Ichs. Darauf folgte der Rest und wie bei jedem Fall, nach dem Gesetz der zunehmenden Geschwindigkeit, immer rascher. Später, durch den immer größer werdenden Egozentrismus waren es nicht einmal die Männer mehr, die sie interessierten, sondern nur das, was sie ihnen für ihr Vergnügen und ihre Eitelkeit bieten konnten. Zum Schluß kommen dann Formen geschlechtlicher Korruption, die von ebenso großer Oberflächlichkeit begleitet sind, oder ein praktisch-äußerliches Leben in der Art des Mannes, das die Frau ihrer Natur beraubt und sie in denselben Graben der Arbeit, des Verdienens, der übersteigerten praktischen Aktivität und sogar der Politik wie die Männer hineinwirft.

Das sind die Ergebnisse der abendländischen «Emanzipation», die jetzt dabei ist, die gesamte Welt mit einer Geschwindigkeit anzustecken, die jede Pest übertrifft. Die traditionale Frau, die absolute Frau, fand Erfüllung in der Hingabe, im Leben nicht für sich selbst, sondern indem sie in Einfachheit und Reinheit alles für ein anderes Wesen sein wollte. Dadurch erfüllte sie sich, gehörte sich selbst, hatte ihren eigenen Heroismus und stand im Grund sogar höher als der gewöhnliche Mann. Die moderne Frau hat sich zerstört, indem sie für sich sein wollte. Die ersehnte «Persönlichkeit» hat ihr jede Persönlichkeit geraubt.

Und es ist leicht vorherzusehen, was auf diese Art aus den Beziehungen zwischen den beiden Geschlechtern, auch auf ihrer körperlichen Seite, werden wird. Hier, wie beim Magnetismus, ist der schöpferische Funke um so höher und lebendiger, desto entschiedener die Polarität, der Gegensatz ist, je mehr der Mann wirklich Mann und die Frau wirklich Frau ist. Was kann hingegen schon Großes los sein bei diesen Mischwesen, die jede Beziehung mit ihrer tiefsten Natur verloren haben? Bei diesen Wesen, bei denen die Sexualität auf der bloßen körperlichen Ebene beginnt und endet, sofern sich nicht auch schon hier abnorme Neigungen á la «drittes Geschlecht» zeigen? Bei diesen Wesen, die in ihrem Inneren weder Mann noch Frau oder die Frau der Mann und der Mann die Frau sind und als ein Jenseits des Sexus hochpreisen, was tatsächlich diesseits des Sexus liegt? Jede Beziehung muß da einen zweideutigen und abgeblätterten Charakter annehmen: Kameradschaftliches Durcheinander, morbid «intellektuelle» Sympathien, Banalitäten des neuen kommunistischen Realismus, oder aber die Beziehung leidet unter neurotischen und all den anderen Komplexen, auf denen Freud seine «Wissenschaft» aufgebaut hat, die wahrlich ein Zeichen unserer Zeit ist. Aber so sehen die Möglichkeiten der Welt der «emanzipierten» Frau aus: Und die Vorhut einer solchen Welt, Rußland und Nordamerika, ist schon gegenwärtig und legt in dieser Hinsicht ein bedeutungsvolles Zeugnis ab.[12]

Nun kann das alles natürlich nicht ohne Einfluß auf einen Entwicklungsbereich bleiben, der weit über das hinausgeht, was die moderne Welt in ihrer Gedankenlosigkeit je zu ahnen vermochte.

(Aus: Julius Evola. Revolte gegen die moderne Welt)


[1] Weitere metaphysische und mythische Hinweise finden sie in J.EVOLA, Metaphysik des Sexus a.a.O. Besonders bei den Philosophen der Sing Dynastie findet sich die Lehre, daß der Himmel die Männer «erzeugt» und die Erde die Frauen und daß deshalb die Frau dem Manne unterstellt sein muß, wie die Erde dem Himmel unterstellt ist. (Vergl. PLATH, Religion der alten Chinesen, I, S.37)

[2] In der erotischen Symbolik der oben erwähnten Traditionen wird derselbe Sinngehalt ausgedrückt durch die Darstellung des göttlichen Paares im viparita-maithuna, d.h. in einer Umarmung, in der das Männliche unbeweglich ist und die qakü die Bewegungen ausführt.

[3] Vergl. SENART, Les castes dans l'lnde, a.a.O.S.68; Mänavadharmacästra, IX, 166; V, 148; vergl, V. 155: «Es gibt keine Opferhandlung, keinen Kultus und keine Askese, die sich besonders auf die Frau beziehen. Die Ehefrau liebe und ehre ihren Gatten, und sie wird im Himmel geehrt werden.» Hier können wir leider nicht innehalten, den Sinn des weiblichen Priestertums besprechen und erklären, warum es den eben ausgesprochenen Gedankengängen nicht widerspricht: Dieses Priestertum hatte traditional immer lunaren Charakter; statt eines anderen Weges drückte es durch die absolute Ausschaltung jedes persönlichen Prinzips eine Verstärkung des weiblichen dharmas aus und gab so der Stimme des Orakels und des Gottes freien Raum. Weiter unten werden wir dann von der Veränderung sprechen, die in niedergehenden Kulturen aufkam und in denen das lunar-weibliche Element den hierarchischen Gipfel in Beschlag nahm. Daneben muß noch die sakrale-initiatische Verbindung der Frau im «Wege des Sexus» in Betracht gezogen werden. (Darüber vergl. EVOLA, Metaphysik des Sexus, a.a.O.)

[4] Vergl. Handbuch der klass. Altertumswissenschaft., Bd. IV, S. 17.

[5] So auch im antiken China, wo man im Niu-kie-tsi-pien (V) lesen kann: «Wenn eine Frau aus dem Hause des Vaters in das Haus des Ehemannes zieht, verliert sie alles, sogar ihren Namen. Sie hat nichts mehr eigenes: Was sie trägt, was sie ist, ihre Person, alles gehört demjenigen, der ihr als Ehemann gegeben ist», und im Niu-hien-shu wird betont, daß eine Frau im Hause «wie ein Schatten und ein einfaches Echo» sein muß. (zitiert bei S.TROVATELLI, Le civilta e le legislazioni dell' antico Oriente, Bologna, 1890, S. 157-158)

[6] 6 Vergl. REVILLE, Relig. du Mexique etc, a.a.O., S. 190.

[7] Vergl. G. D E LORENZO, Oriente ed Occidente, Bari, 1931, S.72. Analoge Bräuche finden sich auch bei anderen indo-europäischen Stämmen: bei den Thrakern, Griechen, Skythen und Slawen (Vergl. C. CLEMEN, Religionsgeschichte Europas, Heidelberg, 1926, Bd. I, S. 218). In der Inkakultur war der Selbstmord der Witwe, um dem Gatten zu folgen, zwar nicht durch Gesetz festgelegt, aber doch üblich, und diejenigen Frauen, die nicht den Mut aufbrachten, ihn zu vollziehen, oder die glaubten, Gründe dafür zu haben, darauf verzichten zu können, fielen der Verachtung anheim. (Vergl. REVILLE, a.a.O., S. 374)

[8] Vergl. Mänavadhannacästra, IX, 29: «Die Frau, die ihren Gatten nicht verrät und deren Gedanken, Worte und Körper rein sind, erlangt nach dem Tode den gleichen Aufenthaltsort wie ihr Gatte.»

[9] Vergl. Brhadäranyaka-upan., VI, ii,14; PROKLOS, in Tim., V, 331b; II, 65b.

[10] Im Mänavadharmagästra wird nicht nur vorgeschrieben, daß die Frau nie eine eigene Initiative entwickeln darf und daß sie, je nach ihren Umständen, Sache ihres Vaters, ihres Gatten oder ihres Sohnes sein solle, (V, 147-148; IX, 3) sondern es wird auch gesagt (V, 154): «Auch wenn das Betragen des Gatten nicht rechtmäßig ist, auch wenn er sich anderen Leidenschaften hingibt und ohne alle guten Eigenschaften ist, muß ihn doch die Frau wie einen Gott verehren.»

[11] Die sakrale Hingabe des Körpers und sogar der Jungfräulichkeit findet sich in strenger Form in einem Geschehen festgehalten, das die moderne Welt ebenfalls als Skandal ansieht: in der heiligen Prostitution, wie sie in antiken syrischen, lykischen, lydischen und in den thebanischen Tempeln Ägyptens usw. betrieben wurde. Die Frau durfte sich das erste Mal nicht aus Leidenschaft für einen bestimmten Mann hingeben, sondern sie mußte dem ersten Mann zu Willen sein, der ihr im heiligen Bezirk eine Münze, gleich welchen Wertes, anbot. Das geschah im Sinne eines heiligen Opfers, einer Opfergabe an die Göttin. Nur nach dieser rituellen Opfergabe ihres Körpers konnte sich die Frau verheiraten. HERODOT (I, 199) berichtet bezeichnenderweise, daß, «ist sie einmal nach Hause zurückgekehrt, man ihr (dem Mädchen, das Frau geworden ist) auch die größte Summe Geldes anbieten kann, man aber nichts mehr bei ihr erreichen wird», was schon allein für sich aussagt, daß dabei «Ausschweifung» und «Prostitution» keine Rolle spielten.

[12] Nach Statistiken schon aus dem Jahre 1950, die auch auf medizinischer Grundlage durchgeführt waren (C.FREED und W.S. KROGER) sollen 75% der nordamerikanischen Mädchen «sexuell gefühllos» sein, und ihre «libido» (um den Freud'schen Terminus zu verwenden) soll sich in die Richtung eines exhibitionistischen Narzismus verlagert haben. Bei den angelsächsischen Frauen waren neurotische Hemmungen des sexuellen und eigentlich weiblichen Lebens allgemein charakteristisch, da sie Opfer eines falschen Ideals von «Würde» waren, wozu noch die Vorurteile des puritanischen Moralismus kamen. Die darauffolgende Reaktion der sogenannten «sexuellen Revolution» führte nur zu einer faden Herrschaft kleinkarierter Verderbtheit und zur Sexualität als laufenden Konsumartikel.

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Niedergang der traditionstragenden Völker

Die moderne Welt ist sicherlich weit davon entfernt, einer Gefahr zu unterliegen, die sich aus dem Rückgang der Geburten und der Zunahme der Todesfälle ergeben könnte, und der Alarm, den vor einiger Zeit politische Häupter ausgestoßen haben, wozu sie noch den absurden Spruch: «Die Zahl ist Macht» ausgegraben hatten, ist völlig sinnlos. Die Gefahr, die tatsächlich besteht, ist genau entgegengesetzt, daß sich nämlich die Völkerschaften unaufhörlich und ungebremst in nur rein mengenmäßiger Weise vermehren. Der Rückgang betrifft einzig die Völkerstämme, die wir als Träger der Kräfte ansehen müssen, die über dem reinen demos und der Massenwelt stehen und die jede wahre menschliche Größe bedingen. Als wir den rassistischen Standpunkt kritisierten, sprachen wir schon von jener geheimen Kraft, die, wenn sie gegenwärtig, lebendig und tätig ist, das Prinzip einer Zeugung im höheren Sinn ist, das gegen die Massenwelt reagiert, indem es ihr Form und Qualität eingibt. Und in diesem Zusammenhang kann man sagen, daß die traditionstragenden abendländischen Völker schon seit Jahrhunderten im Todeskampf liegen und die steigende Vermehrung der Völker der Erde genau den gleichen Sinn hat wie das Gewimmel der Würmer, das sich bei der Zersetzung von Organismen bildet, oder der Krebs: Auch der Krebs ist das ungebremste, übermäßige Wachstum eines Gewebes, das die normalen, unterschiedlichen Strukturen eines Organismus zerstört, da es sich dessen Regulierungsgesetz entzogen hat. Das ist das Bild, das die moderne Welt darbietet. Dem Rückgang und Abstieg der im höheren Sinn befruchtenden und formgebenden Kräfte steht ein unbegrenztes Wuchern der «Materie», des Formlosen, des Massenmenschen gegenüber.

Diese Erscheinung kann nicht unabhängig sein von dem, was wir im vorhergehenden Kapitel über die Sexualität und die Beziehungen zwischen Mann und Frau in der Letztzeit vorgebracht haben, denn damit wird auch das Problem der Fortpflanzung und ihr Sinngehalt angesprochen. Wenn es wahr ist, daß die moderne Welt dazu bestimmt erscheint, nicht mehr die absolute Frau und den absoluten Mann zu kennen, und wenn in ihr die Geschlechtsunterscheidung der Wesen unvollständig ist – und man will ja im Namen des «Geistes», daß sie unvollständig ist, d.h. nur auf die körperliche Ebene beschränkt bleibt –, muß es natürlich erscheinen, daß dem Sexus selbst jene höheren und sogar transzendenten Dimensionen verlorengegangen sind, die die traditionale Welt in vielfacher Form kannte. Das kann ebenfalls nicht ohne Folgen für das Wesen der geschlechtlichen Vereinigung und die Möglichkeiten bleiben, die sie mit sich brachten, sei es als rein erotische Erfahrungen an sich oder – und es ist dieser zweite Aspekt, von dem hier eigentlich die Rede ist – sei es im Hinblick auf eine Fortpflanzung, die sich nicht in einer einfachen, undurchsichtigen biologischen Tatsache erschöpft.

Die Welt der Tradition kannte tatsächlich ein sexuelles sacrum und eine Magie des Sexus. Aus zahllosen Symbolen und Gebräuchen aus den verschiedensten Gebieten scheint ständig die Anerkennung des Sexus als einer überindividuellen, uranfänglichen Schöpferkraft durch.

In der Frau wurden abgründige Mächte des Feuers und des Lichtes wachgerufen, aber auch solche der Gefahr und der Zerstörung. In ihr wurde die chthonische Kraft, die Erde, und im Mann der Himmel erlebt. Was der gewöhnliche Mensch – heute mehr denn je – nur in der Form peripherer Empfindungen leidenschaftlicher Triebe und des Fleisches erfährt, das alles erlebte man organisch und bewußt. Die Zeugung wurde gleichsam verfügt, und im Gezeugten sah man, wie erwähnt, zuerst den «Sohn der Pflicht», der das übernatürliche Element des Familiengeschlechtes und die Befreiung des Ahnen wieder aufnehmen und nähren und «die Kraft, das Leben, die Beständigkeit» empfangen und weitergeben sollte. Nie zuvor wurde das alles wie in der modernen Welt zu einem abgeschmackten Spiel der Phantasie, in dem die Menschen, statt die Sexualität im Griff zu haben, von der Sexualität im Griff gehalten werden und sich wie Betrunkene da und dort hinwerfen, ohne auch nur das geringste von dem wissen zu können, was sich in ihren Umarmungen entzündet, und ohne den Dämon zu sehen, der durch ihre Suche nach Lust und ihre Leidenschaftlichkeit sein erbärmliches Spiel mit ihnen treibt. So geschieht es, daß, ohne ihr Wissen und oft gegen ihren Willen, zufällig hier und da aus einer ihrer Nächte ein neues Wesen entspringt, das oft wie ein Eindringling kommt, ohne eine geistige Kontinuität aufzuweisen, und das bei den letzten Generationen nicht einmal mehr einen blassen Rest wenigstens von im bourgeoisen Sinn gefühlsmäßiger Bindung an die Eltern aufweist.

Wenn die Dinge so stehen, ist es nicht zu verwundern, daß die traditionstragenden Völker sterben, denn darin mündet die unabänderliche Logik des Individualismus, der besonders bei den sogenannten «höheren Schichten» von heute das Interesse an der Zeugung von Nachkommenschaft nur schwinden lassen kann; dabei wollen wir von allen anderen Faktoren des Niederganges schweigen, die mit der Art des sozialen, mechanisierten und verstädterten Lebens und vor allem mit einer Kultur verbunden sind, die nichts von den gesunden und schöpferischen Grenzen mehr weiß, wie sie die Kasten und die Tradition des Blutes mit sich brachten. Der Kinderreichtum konzentriert sich daher auf die untersten sozialen Schichten und auf tief erstehende Völker, wo der tierische Impuls stärker ist als jede logische Berechnung und Überlegung. Das unausweichliche Resultat ist eine Auslese im umgekehrten Sinn, der Aufstieg und das Überhandnehmen tieferstehender Elemente, gegen die die «Rasse» der höheren Klassen und Völker, die als geistig dominierendes Element kraftlos und am Boden zerstört ist, wenig oder nichts ausrichten kann.

Wenn man heute im Hinblick auf die katastrophalen Auswirkungen der von uns mit dem Krebs verglichenen demographischen Erscheinungen immer mehr von einer «Geburtenkontrolle» spricht, wird damit sicherlich nicht das wesentliche Problem berührt, denn in keiner Art und Weise kommt ein Kriterium der Differenziertheit, des Qualitativen zum Tragen. Aber die Stumpfsinnigkeit ist noch größer bei denen, die auf Grund traditionalistischer und moralisierender Vorstellungen, die nunmehr wirklich nur noch Vorurteile sind, gegen diese Kontrolle auftreten. Wenn einem die Größe und die Macht eines Volkes am Herzen liegen, ist es sinnlos, sich mit der materiellen Eigenschaft des Vaterseins zu beschäftigen, wenn sie nicht von der spirituellen Tugend der Vaterschaft begleitet wird im Sinne von höheren Interessen, der richtigen Beziehung zwischen den Geschlechtern und vor allen Dingen dem, was wirklich Männlichkeit heißt, also dem, was sie auf einer anderen als der naturhaften Ebene bedeutet.

Wenn wir die moderne Frau des Niedergangs angeklagt haben, darf man keinesfalls vergessen, daß der Mann der erste Verantwortliche dieses Niedergangs ist. Wie die Masse nie in alle Bereiche des sozialen Lebens und der Gesellschaft hätte einbrechen können, wenn es echte Könige und echte Aristokraten gegeben hätte, so hätte in einer von wahren Männern aufrechterhaltenen Gesellschaft die Frau nie den Weg, den sie heute beschreitet, einschlagen wollen und können. Die Epochen, in denen die Frau eine Autonomie und eine Vorherrschaft erreicht hatte, waren fast immer mit Zeiträumen eines deutlichen Niedergangs älterer Kulturen zusammengefallen. Daher müßte sich die echte Reaktion gegen den Feminismus und gegen jede andere weibliche Entgleisung nicht gegen die Frau, sondern gegen den Mann wenden. Man kann von der Frau nicht verlangen, daß sie wieder eine solche wird, um die nötigen inneren und äußeren Bedingungen zu schaffen, damit ein Volk mit Blick auf das Höhere entstehen kann, solange der Mann nur von einem Zerrbild der Männlichkeit weiß.

Wenn es nicht gelingt, den Sexus in seiner spirituellen Bedeutung wieder erwachen zu lassen, und wenn sich vor allem nicht von neuem aus der formlos und unterschiedslos gewordenen, geistigen Substanz hart eine männliche Form herauskristallisiert, dann ist alles nutzlos. Die körperliche, phallische, tierische und muskulöse Männlichkeit ist stumpfsinnig und enthält keinen schöpferischen Keim im höheren Sinn. Der phallische Mann bildet sich ein zu besitzen, aber in Wirklichkeit ist er passiv, er unterliegt immer der feineren Kraft, wie sie der Frau, dem weiblichen Prinzip, eigen ist. Der Sexus ist nur im Geistigen wahr und absolut.

In jeder Tradition höherer Art ist der Mann immer als Träger des uranisch-solaren Elementes für die Nachkommenschaft angesehen worden, eines Elementes, das das einfache «Bluts»-Prinzip transzendiert und das sich sofort verliert, wenn es in die weibliche Linie hinüberwechselt. Die Entwicklung dieses Elementes wird natürlich von einem geeigneten Boden begünstigt, wie ihn eine kastenmäßig reine Frau darstellt, aber in jedem Fall ist es immer das Prinzip, das die Form gibt und die schöpferische weibliche Substanz ordnet. Dieses Prinzip steht im Zusammenhang mit dem übernatürlichen Element, mit der Kraft, die «den Strom nach oben fließen» lassen kann und von der der «Sieg», das «Glück» und das Wohlergehen eines Familiengeschlechtes normalerweise abhängen. Deshalb hatte die symbolische, bei antiken traditionalen Formen auftauchende Verbindung des männlichen Glieds mit den Gedanken der Auferstehung, der Askese und die höchste Macht verleihenden Energien keinen obszönen, sondern einen realen und tiefen Bedeutungsinhalt. Und als letzter Widerhall höherer Bedeutungsinhalte findet sich sogar bei vielen wilden Völkern in ganz klarer Form der Gedanke wieder, daß nur der Eingeweihte wirklich Mann ist, daß es die Einweihung ist, die im besonderen den Übergang zur Männlichkeit kennzeichnet, so daß die Stammesmitglieder vor der Einweihung den Tieren ähnlich und noch nicht «Männer geworden sind», sondern, mögen sie auch alt sein, zu den Kindern und Frauen gehören und an den Vorrechten der männlichen Eliten in den Clans nicht teilhaben. Wenn man den Sinn dafür verloren hat, daß das überbiologische Element der Mittelpunkt und der Maßstab der echten Männlichkeit ist, kann man sich zwar noch weiter Mann nennen, aber in Wahrheit ist man nur noch Eunuch, und die Vaterschaft bedeutet nicht mehr als dieselbe Eigenschaft unter Tieren, die, vom Lustempfinden getrieben, blind andere Tiere zeugen, schattenhafte Existenzen wie sie selbst.

Man kann wohl den Leichnam stützen, um ihm den Anschein von Leben zu geben; man kann wohl mit einer dementsprechenden, verstandesmäßigen Erklärung der Sexualität die Menschen wie Kaninchen oder Hengste behandeln, denn sie verdienen nichts anderes, aber man täusche sich nicht: Entweder entsteht daraus eine Kultur sehr braver Arbeitstiere oder, wenn das individualistische und auf den Nutzen bedachte Element vorherrscht, wird ein stärkeres Gesetz die Völker zum Rückgang oder zum Aussterben bringen, und zwar mit der gleichen Unbeugsamkeit, mit der die physikalischen Gesetze der Entropie und des Energieabfalls wirken. Und das ist einer unter vielen Aspekten, die heute auch materiell den «Untergang des Abendlandes» sichtbar machen.

Als Übergang zum zweiten Teil dieses Werkes eine letzte Bemerkung, die sich unmittelbar auf das bezieht, was wir schon über die Beziehungen zwischen geistiger Männlichkeit und demutsvoller Religiosität angedeutet haben.

Aus den letzten Betrachtungen geht hervor, daß das, was wir im Abendland gewöhnlich «Religion» nennen, einer im wesentlichen «weiblichen» Ausrichtung entspricht. Die Beziehung mit der als Person aufgefaßten Übernatur (Theismus) in Hingabe, Andacht und bei innerstem Verzicht auf den eigenen Willen gegenüber dieser Personifizierung zeigt auf der jeweiligen Ebene die Merkmale für genau den Weg, auf dem sich eine weibliche Natur verwirklichen kann.

Wenn übrigens im allgemeinen das weibliche Element der Naturgebundenheit entspricht, kann man sich vorstellen, daß in der traditionalen Welt die niedrigeren Kasten und Völker, wo der naturgebundene Faktor größere Wirkkraft hatte als in den anderen, die doch durch die Kraft der aristokratischen Riten und durch das göttliche Erbe aufrechterhalten wurden, eben durch solche Beziehungen «religiöser» Art an einer höheren Ordnung teilhaben konnten. Auch die «Religion» konnte daher in der Gesamthierarchie eine Stellung und eine Funktion einnehmen, wenn auch von relativer und untergeordneter Art, verglichen mit jenen bereits erwähnten höheren Formen der spirituellen Verwirklichung: der Initiation und den verschiedenen Arten der hohen Askese.

Mit der Zerstörung der Kasten oder analoger sozialer Gemeinschaften, mit der Machtergreifung durch niedrigere Schichten und Völker konnte es nicht ausbleiben, daß der ihnen eigene Geist auch in dieser Hinsicht triumphierte: daß jede Beziehung mit dem Übernatürlichen ausschließlich in der Erscheinungsform der «Religion» aufgefaßt wurde und jede andere höhere Form mit Mißtrauen, wenn nicht gar als Gotteslästerung und Dämonie betrachtet wurde. Diese Verweiblichung der Spiritualität zeigt sich schon in den ältesten Zeiten. Sie bestimmte die erste Veränderung der Urtradition bei den Völkern, bei denen sie bestand.

Dieser Verfallsprozeß, gemeinsam mit allen anderen, die zum Zusammenbruch des ersten Menschentums geführt haben, ist Gegenstand der Betrachtungen, die wir im zweiten Teil des vorliegenden Werkes anstellen wollen. Dadurch sollen die Entwicklungen und das Antlitz der «modernen Welt» klar erkennbar werden.

(Aus: Julius Evola. Revolte gegen die moderne Welt)

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Die indoeuropäisch-solare Tradition

Den Adlern der römischen Legionen fliegen die Raben Odin-Wodans entgegen.

Wir haben von einer urnordischen Tradition gesprochen. Sie ist kein Mythos, sie ist unsere Wahrheit. Schon in der ältesten Vorgeschichte, dort, wo der positivistische Aberglaube bis gestern den affenhaften Höhlenbewohner vermutete, hat es eine einheitliche und mächtige Urkultur gegeben, von der noch ein Echo nachtönt in allem, was uns die Vergangenheit an Größtem zu bieten hat als ewiges Symbol.

Die Iranier sprechen von airyanem vaejo, im äußerten Norden gelegen, und sehen darin die erste Schöpfung des »Gottes des Lichtes«, den Ursprung ihres Geschlechtes und ebenso den Sitz des »Glanzes« – hvareno –, jener mystischen Kraft, die den indoeuropäischen Rassen und vor allem ihren göttlichen Königen eignet; sie erblicken darin – symbolisch – den 'Ort', wo sich die kriegerische Religion Zarathustras zum ersten Male geoffenbart haben soll. Die Tradition der indischen Arier kennt dementsprechend die sweta-dvipa, die »Insel des Glanzes«, ebenfalls im äußersten Norden gelegen, wo Narayana seinen Sitz hat, der »das Licht ist« und »der, welcher über den Wassern steht«, d. h. über dem Zufall des Geschehens. Sie spricht auch von den uttarakura, einer nordischen Urrasse; unter nordisch versteht sie den solaren Weg der Götter – devayana –, und in der Bezeichnung uttara interferiert der Begriff alles dessen, was erhaben, erhöht, hochgelegen ist – was im übertragenen Sinn arya, arisch genannt werden kann – mit dem Begriff des Nordischen. Erben der achäisch-dorischen Stämme sind wiederum die sagenhaften nordischen Hyperboräer; von dort soll der für dieses Geschlecht bezeichnende Gott oder Held gekommen sein, der solare Apollon, der Vernichter des Python; von dort soll Herakles – der Verbündete der olympischen Götter gegen die Riesen, der Vernichter der Amazonen und der Elementarwesen, der »schöne Sieger«, als dessen avatara sich später gleichsam viele griechischen wie römischen Könige betrachteten – den Ölbaum gebracht haben, mit dessen Laub man die Sieger bekränzt (Pindar) [Griechischer Dichter, 522-518 v.d.Z. In seinen Gedichten thematisierte insbesondere das Leben von Göttern und Helden des griechischen Mythos. Bereits der römische Dichter Horaz sah in ihm einen epochalen Lyriker, Friedrich Hölderlin, als Schriftsteller und Philologe ein Verehrer der griechischen Antike, gab 1799 seine gesammelten Werke heraus.]

Aber dieses nordische Thema in Hellas interferiert auch mit jenem von Thule, des geheimnisvollen nördlichen Landes, das manchmal zur »Insel der Helden« und zum »Land der Unsterblichen« wird, wo der blonde Radamantys regiert, zur »Sonneninsel«, Thule ultima a sole nomen habens, woran die Erinnerung wach blieb so sehr, daß, im Glauben, sie in Britannien wiederzuerkennen, Constanz Clorus [Flavius Valerius Constantius, römischer Kaiser der Tetrarchie, um 250 – 306 n.d.Z, erzielte mehrere Siege über Alamannen und Franken und sicherte die Nordgrenze des Imperiums. Als Anhänger verschiedener Sonnengottheiten war er verantwortlich für zahlreiche Christenverfolgungen.] mit seinen Legionen dorthin aufbrach, weniger des militärischen Ruhmes halber, sondern gleichsam um seine Cäsaren-Apotheose vorwegzunehmen, um sich dem Orte zu nähern, »der dem Himmel am nächsten und heiliger ist als jede andere Gegend«. In den nordisch-germanischen Traditionen steht oft Asgard, der Sitz der Asen und der verwandelten Helden, für einen anderen, gleichartigen Göttersitz, und die nordischen Könige, die als Halbgötter und Asen angesehen wurden – se mideos id est ansis – und ihren Völkern den Sieg durch ihre mystische Macht des »Glückes« verschafften, verlegten in jenes »göttliche« Land den Ursprung ihrer Dynastie. Nordisch oder nordisch-westlich ist in den gälischen Traditionen Avallon, dem das gleichfalls göttliche Geschlecht der Thuata de Danann entstammte, heldische Eroberer des vorgeschichtlichen Irlands, unter denen der Held Ogma genau dem dorischen Herakles entspricht – Avallon, das andererseits mit Tir na mbeo verschmilzt, dem »Land der Lebendigen«, welches das Reich des Boadog, des »Siegers« ist. Auch die Azteken haben ihre ursprüngliche Heimat im Norden – im Aztla, das auch die »weiße Erde« oder das »Land des Lichtes« heißt, von dem sie unter Führung eines Krieger-Gottes, Huitzilopochtli, auszogen: ebenso wie die Tolteken als Ursprungssitz Tlalocan, Tollan oder Tula für sich in Anspruch nehmen, das wie das griechische Thule auch das »Sonnenland« ist und mit dem »Paradies« der Könige und der auf dem Schlachtfeld gefallenen Helden verschmilzt.

Das sind nur einige übereinstimmende Bezüge, wie sie in den verschiedensten Traditionen auffindbar werden als Erinnerung an eine nordische Urkultur und Heimat, worin sich eine transzendente, außermenschliche Geistigkeit aufs engste verband mit einem heldischen, königlichen und triumphalen Element: zur sieghaften Form über das Chaos; zum sieghaften Übermenschentum über alles, was menschlich und tellurisch ist; zur »Solarität« als Hauptsymbol einer transzendenten Männlichkeit, als Ideal einer Würde, die in der Ordnung der geistigen Kräfte dem entspricht, was auf der materiellen Ebene der Herrscher, der Held sind. Und während uns die Spuren der Überlieferung auf einen Weg vom Norden nach dem Süden, vom Abendland nach dem Morgenland verweisen, den die solchen Geist bewahrenden Rassen gegangen sind, zeugen in neuerer Zeit die größten indoeuropäischen Völkergebilde im Typus ihrer reinsten Werte und Kulte, ihrer bezeichnendsten Gottheiten und Einrichtungen gerade von dieser Kraft und dieser Kultur.

Andererseits aber – und schon die obigen Hinweise zeigen es auf – wurde das, was Geschichte war, zur Übergeschichte: Während das »Land der Lebendigen«, die »Burg der Helden«, die »Sonneninsel« auf der einen Seite das Geheimnis des Ursprungs umschlossen, enthüllten sie auf der anderen das Geheimnis des Weges zur Wiedergeburt, zur Unsterblichkeit und zur übermenschlichen Macht: des Weges, der in hervorragendem Maße zur traditionellen Königswürde zu führen vermag. Die geschichtlichen Faktoren wurden somit zu geistigen Faktoren, die reale Tradition wurde zur Tradition im transzendenten Sinn und darum zu etwas, das über der Zeit stehend von beständiger Gegenwärtigkeit ist. Symbole, Zeichen und Sagen berichten uns so auf unterirdischen Wegen von ein und derselben Tradition, um uns ein und dieselbe 'Orthodoxie' zu bezeugen, wo immer die entsprechenden Höhepunkte erreicht worden sind, wo immer die »solare« Geistigkeit über den inferioren Kräften gethront hat.

Dementsprechend wurde in späterer Zeit, die schon gebunden war an das Schicksal der Verdunkelung des »Göttlichen« – ragna-rökkr –, bei den in ihren Kräften und Führern versprengten Stämmen das nordische Rassenelement, vom Geistes-Element sich lösend, zu dem es ursprünglich gehörte, zu einer Kategorie, einem allgemeinen Typus der Kultur und des Verhaltens gegenüber dem Übermenschlichen, der sich auch dort wiederfinden läßt, wo keine ethnische Wechselbeziehung im engeren Sinn erinnerlich ist; ein Typus, der folglich verschiedene Kulturen wieder miteinander zu verbinden vermag, sobald diese eine geistige Gestaltungskraft vertraten, wie sie innerhalb jener Urtradition auf die mannigfaltige Materie eingewirkt hat.

Derart betrachten wir das heidnische Römertum als die letzte große Schöpfungstat des nordischen Geistes, als den letzten universalen und während eines ganzen Zyklus zum Großteil geglückten Versuch, die Kräfte der Welt in den Formen einer heldischen, solaren Kultur wiedererstehen zu lassen: einer Kultur, die versperrt war für jede mystische Flucht; die festhielt am aristokratisch-indoeuropäischen Typus der patres, der Herren des Speers und des Opfers; die geheimnisvoll bestätigt wurde durch die nordischen Zeichen des Wolfes, des Adlers und der Axt; die lebendig war vor allem im olympischen Kult eines Zeus und eines Herakles, eines Apoll und eines Mars; im Gefühl, dem Göttlichen ihre Größe und ihre aeternitas zu verdanken; in der Tat als Ritus und im Ritus als Tat; im klaren und doch mächtigen Erlebnis des Übernatürlichen, das im Imperium selbst erkannt wurde und im Symbol des Cäsaren als numen kulminierte. Der Zusammenbruch des heidnischen Roms ist der Zusammenbruch des größten traditionellen und solaren Bollwerks, und in den Kräften, die vorwiegend zu diesem Sturz beigetragen haben, ist unschwer das zu erkennen, was den Weg zu allen darauf folgenden Abirrungen und Verstrickungen freigelegt hat, bis auf den Zustand des heutigen Europas.

Die finstere jüdisch-christliche Woge, die Feindin ihrer selbst und der Welt, die mit ihrer wütenden Zertrümmerung einer jeden Hierarchie, mit ihrer Verherrlichung der Schwachen, Enterbten, Herkunfts- und Traditionslosen, mit ihrem Groll gegen alles, was Kraft, Zulänglichkeit, Weisheit und Aristokratie ist, mit ihrem exklusiven und proselytenmacherischen Fanatismus wahrhaft Gift war für die Größe Roms und die Hauptursache ist für den Untergang des Abendlandes. Die Religion Israels, die schon das Kollektivgefühl der »Schuld« und der »Sühne« bestimmte, aber vor allem nach der Niederlage und der Knechtschaft des »auserwählten Volkes« hervortrat und mit dem Prophetentum die Reste des aristokratischen Geistes der Pharisäer begrub, ruft die nämlichen negativen Kräfte des ägäisch-pelasgischen Tellurismus auf, welchen die achäischen Stämme unterjocht hatten; jene der Kaste der çudra, der sogenannten »dunklen« Kaste – krshna – und dämonischen Kaste – asurya —, auf der sich in Indien, als Form über dem Chaos, die Hierarchien der drei höheren Kasten der Wiedergeborenen – dwija – erhoben, bis zum Typus des brahmana und des als »großer Gott in Menschengestalt« begriffenen Königs; endlich die Kräfte dessen, was uns der Mythos in Gestalt der nordischen rinthursi oder der Scharen von Gog und Magog überliefert, denen Alexander der Große den Weg durch eine symbolische eiserne Mauer versperrt hatte. [Alexanders Zug nach Asien (334) ist ein gutes Beispiel für eine Unternehmung, die neben machtpolitischen Gesichtspunkten (Niederwerfung des persischen Erbfeindes, Legitimierung des Königreiches Makedonien als hellenische Führungsmacht) auch spirituelle Hintergründe hatten, die in der Persönlichkeit des Makedonen zu suchen sind. Alexander betrachtete seine Unternehmung als göttlich inspirierte Anknüpfung an den griechischen Mythos und Imitatio der Helden Achilles und Herakles. In der Oase Siwa ließ er 332/331 seine Abkunft als Sohn des Gottes Zeus-Amon (die ägyptische Gottheit Amon wurde als Erscheinungsform des Gottes Zeus betrachtet) bestätigen. Die von Evola erwähnte Episode geht auf die spätere mittelalterliche europäische Alexanderdichtung zurück, Pfaffe Lamprecht: Alexanderlied, 1150]

Alexander der Große mit dem Kopfschmuck des Zeus-Amon

Alexander der Große mit dem Kopfschmuck des Zeus-Amon

Diese Kräfte, die sich im frühen Christentum geistig auswirkten, zerstörten den Geist. Während sie dann auf der einen Seite, sich mildernd, in der katholischen Kirche die Formen einer lunaren Geistigkeit bestimmten, d. h. einer Geistigkeit, deren Typus nicht mehr der sakrale König, der solare Initiat oder der »Held« ist, sondern der Heilige, der vor Gott sich neigende Priester, und deren Ideal nicht mehr die kriegerisch-sakrale Hierarchie und der »Ruhm« ist, sondern die brüderliche Gemeinschaft und die Caritas – sehen wir auf der anderen Seite, in der Reformation und im Humanismus, die anarchische, zersetzende antitraditionelle Urnatur eben dieser Kräfte. Und längs der politischen Revolutionen, im Liberalismus, im Anbruch des Kollektiven erzeugt eine Ursache die andere, folgt Sturz auf Sturz. In allen Formen der modernen Gesellschaft – bis zur Wissenschaft, zum Recht, zu den Illusionen der Technik und der Macht der Maschine – offenbart sich, wie paradox das auch klingen mag, der nämliche Geist; triumphiert der nämliche nivellierende Wille, der Wille zur Zahl, der Haß gegen die Hierarchie, die Qualität und die Differenzierung; festigt sich die kollektive, unpersönliche Fessel, aus gegenseitiger Unzulänglichkeit gefertigt, die einem aufrührerischen Sklavengeschlecht eignet.

Und weiter: Wie der jüdisch-christliche Mystizismus sich in jenem orphisch-dionysischen Pathos begegnet, das schon für das dorisch-nordische Griechenland eine Entstellung des antiken olympischen Kultes bedeutete, und in dem volkstümlichen Isis-Mystizismus, aus dem Verfall der solaren ägyptischen Tradition erstanden, so ist jenes Element der »Passion«, das mit dem Messianismus und Chiliasmus das Gemisch der kaiserlichen Plebs bestimmte – gegenüber der überlegenen Ruhe der cäsarischen Führer, der schlichten Größe des homerischen Helden, der geläuterten Geistigkeit und dem autarkischen Ideal des heidnischen 'Philosophen' und Initiaten – auch die Wurzel jeder modernen Verirrung im romantischen, infinitistischen und irrationalistischen Sinne. Nach seiner Säkularisierung führt uns dieser Mystizismus bis zu den Mythen des »Aktivismus« und des zeitgenössischen Fortschrittsaberglaubens, bis zur semitischen Mystik des Instinkts und des »elan vital«, bis zur Verherrlichung des »Geschehens« und des »Lebens«, kurz, bis zur Vergötterung des wilden, unterpersönlichen, kollektiven Elementes des Menschen, das heute mehr als je entfesselt zu sein scheint – so sehr, daß es Individuen und Völker in eine von ihnen selbst nicht gewollte Richtung hineintreibt.

Vor dem Sturz erhob sich, der jüdisch-christlichen Flut gegenüber, noch einmal die andere Kraft, gleichsam um eine entscheidende Alternative aufzustellen für den ferneren Verlauf der abendländischen Geistesgeschichte. Es war die Tradition der Arier Irans, die in Form des kriegerischen Kultes des Mithra erstand, des avatara des antiken arischen Gottes des leuchtenden Himmels, des »Beherrschers der Sonne«, des »Töters des Stieres«, des Helden mit der Fackel und der Axt, des Symbols der Wiedergeborenen »durch die Macht«, den ein synkretistischer, aber darum nicht weniger bedeutungsvoller Mythos dem hyperboräischen Gotte des Goldenen Zeitalters angleicht. Aber stärkere Kräfte drosselten auch diese »solare« Möglichkeit ab.

Darauf die letzte große Abwehr: das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. In den sogenannten »Barbaren« treten uns in Wirklichkeit Rassen entgegen, die eng verwandt sind mit den achäischen, paleo-iranischen, paleo-römischen und im allgemeinen mit den nordischen, und die sich sozusagen im Zustand vorgeschichtlicher Reinheit erhalten haben. Und wenn ihr Auftauchen in Bezug auf die materielle Seite des schon jüdisch christianisierten Imperiums zerstörerisch erscheinen konnte, so kam es, von einem höheren Standpunkt aus, doch einem belebenden Zufluß heroischen Geistes gleich, einem Kontakt, der mit einer Kraft galvanisierte, die jener geistesverwandt ist, welcher die heidnische romanitas ursprünglich ihre solare Größe verdankte. So aufersteht in der Welt das alte römische Symbol, unmittelbar von den Kräften des Nordens verteidigt.

Die ökumenische Kultur des kaiserlichen und feudalen Mittelalters, jenseits ihres nur nominellen christlichen Glaubensbekenntnisses, müssen wir vor allem unter diesem Gesichtspunkt bewerten. Aus ihr spricht eine nordisch-römische Geistigkeit, deren Miliz das Rittertum war; deren überpolitisches Zentrum das ghibellinische Kaiserideal war; deren heimliche Seele, sich dem Christentum widersetzend und einer älteren und höherstehenden Tradition getreu, alles das war, was verborgen in Legenden, Mythen, kämpferischen und ritterlichen Weihen fortlebte, von den Templern und den Gralsrittern bis zu den fedeli d'amore.

Büste Friedrich II. von Hohenstaufen nach antikem römischem Vorbild.

Büste Friedrich II. von Hohenstaufen (1194-1250) nach antikem römischem Vorbild.
Der Stauferkaiser, Mann aus Apulien und stupor mundi (Staunen der Welt),
den Evola besonders verehrte, galt bei ihm und anderen als Verkörperung
des ghibellinischen Kaiserideals.

Nach dem Untergang der mittelalterlichen Kultur, nach der Vernichtung dieses strahlenden europäischen Frühlings in seiner ersten Blüte, nach der Entfesselung jener Kräfte, die zu einer Verweltlichung, einem Partikularismus und einem zersetzenden Humanitarismus geführt haben, sind die Wege zum letzten Sturz frei. Die Kraft der Tradition wechselt vom Sichtbaren zum Unsichtbaren hinüber, wird ein Erbe, das sich in einer geheimen Kette von Wenigen zu Wenigen überträgt. Und heute erahnen sie Einige in noch verworrenen, noch ans Menschliche und ans Materielle gebundenen Versuchen. Es sind Menschen, oft unbekannte, oft aber aufblitzende wie tragische Meteore – Nietzsche –, die zusammengebrochen sind unter dem Gewicht einer Wahrheit, welche, zu groß für sie, nun auf andere wartet, die sie wieder zu erfassen und sich so für sie einzusetzen wissen, daß sie von neuem, hart, kalt vor ihren Feinden ersteht in der großen Erhebung: derjenigen, von der es noch einmal abhängen wird, ob sich das Abendland in seinen Untergang findet oder eine neue Morgenröte er lebt.

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Der blutdurstige Baron

Ferdinand Ossendowskis Buch Tiere, Menschen und Götter wurde unmittelbar nach seinem Erscheinen im Jahre 1924 zu einem durchschlagenden Erfolg [Ossendowski war Schriftsteller, Journalist und Universitätsprofessor in Omsk. Neben erwähntem Buch erlangte er Berühmtheit durch seine Novellen über Lenin und den russischen Bürgerkrieg, an dem er aktiv teilnahm]. Aufsehen erregten daran zunächst die Schilderung einer abenteuerlichen Reise durch Zentralasien, die Ossendowski 1921/22 unternahm, um den Bolschewiki zu entkommen, jedoch auch seine Beschreibung einer ungewöhnlichen Persönlichkeit, mit dem sich seine Pfade kreuzten – des Barons Ungern von Sternberg –, sowie schließlich das, was man darin über den sogenannten „König der Welt" erfuhr. Wir möchten hier auf die beiden letztgenannten Punkte eingehen.

Um Ungern von Sternberg [Obwohl als Nicolaus Robert von Ungern Sternberg geboren, nannte sich der Baron selbst Nikolai Roman Fjodorowitsch Ungern von Sternberg und wurde zu Lebzeiten auch unter diesem Namen bekannt] rankte sich in Asien selbst beinahe schon ein Mythos; es hieß, er sei in einigen Tempeln der Mongolei als Verkörperung des Kriegsgottes verehrt worden. Unter dem Titel Ich befehle [Krauthoff, Bernd: Ich befehle. Kampf und Tragödie des Barons Ungern von Sternberg. Bremen (Carl Schünemann) 1938. Die Biographie basiert auf den Zeugenberichten des Jessaul Mekejew: Bog vojni, Baron Ungern (Der Kriegsgott Baron Ungern). Shanghai 1926] erschien über ihn eine romantisierte Biographie in deutscher Sprache, und die französische Zeitschrift Etudes Traditionelles publizierte interessante Informationen über seine Person, die vom Artilleriekommandanten seines Heeres stammten. Wir selbst haben von dem Baron von dessen Bruder erfahren, dem ein tragisches Los beschieden sein sollte: Nachdem er den Bolschewiki entronnen war und sich nach allerlei romanhaft anmutenden Abenteuern von Asien nach Europa durchgeschlagen hatte, wurden er und seine Frau bei der Besetzung Wiens anno 1945 von einem geistig umnachteten Pförtner getötet [Anmerkung der VS-Redaktion: Evola hielt sich zur selben Zeit zu Studienzwecken in Wien auf und wurde bei einem Bombenangriff schwer verletzt].

Ungern von Sternberg entstammte einer alten baltischen Familie wikingischen Ursprungs. Als russischer Offizier befehligte er beim Ausbruch der bolschewistischen Revolution in Asien Kavallerietruppen, die nach und nach anschwollen, bis aus ihnen eine regelrechte Armee geworden war. Mit dieser gedachte Ungern von Sternberg die rote Subversion bis zum letzten zu bekämpfen. Seine Operationsbasis war dabei Tibet; von hier vertrieb er die Chinesen, die bereits damals einen Teil besetzt hatten, und knüpfte enge Beziehungen zum Dalai-Lama, den er selbst befreit hatte.

Ungern von Sternbergs Reiterabteilung

Weiße Reiterabteilung (Datum unbekannt). Ungern von Sternbergs Reiterabteilungen
führten auf ihren Fahnen ein schwarzes „U“ auf goldenem Grund.

Diese Entwicklung erfüllte die Bolschewiki mit ernsthafter Sorge. Nachdem sie sich mehrmals blutige Köpfe geholt hatten, sahen sie sich gezwungen, einen Feldzug großen Stils durchzuführen, bei dem der sogenannte „Rote Napoleon", General Blücher, das Kommando innehatte.

Der Kampf tobte hin und her, endete aber mit von Sternbergs Niederlage, wobei die verräterische Desertion einiger tschechoslowakischer Regimenter den Umschwung einleitete. Über das Ende des Barons kursieren widersprüchliche Versionen; man weiß nichts Genaues. Jedenfalls heißt es, er habe präzise vorausgeahnt, wann er sterben werde; auch über gewisse Einzelheiten seines Lebens habe er im voraus Bescheid gewußt, beispielsweise über seine Verwundung beim Angriff auf Durga, was dann auch tatsächlich eintrat.

Tempelanlage des Lebenden Buddhas in Urga

Tempelanlage des Lebenden Buddhas in Urga, nördliche Mongolei
(chinesische Aufnahme von 1920)

Uns interessieren hier bei von Sternberg zwei Aspekte. Der erste betrifft seine Persönlichkeit, in der sich einzigartige Züge vermengten. Er war ein Mann von außergewöhnlichem Ansehen und grenzenloser Kühnheit, doch zugleich von mitleidloser Grausamkeit; gegenüber seinen Todfeinden, den Bolschewiki, war er unerbittlich. Daher nannte man ihn den „blutrünstigen Baron".

Man erzählt sich, eine große Leidenschaft habe in ihm jede menschliche Regung „verbrannt" und nur noch eine vollkommene Todesverachtung übriggelassen. Gleichzeitig soll er quasi-mystische Eigenschaften besessen haben. Schon bevor er sich nach Asien begab, hing er dem Buddhismus an (der sich durchaus nicht auf eine humanitäre moralische Doktrin reduzieren läßt), und seine Beziehungen zu Vertretern der tibetanischen Tradition beschränkten sich keineswegs auf den äußerlichen, politischen und militärischen Bereich im Rahmen der bereits erwähnten Ereignisse. Er verfügte über gewisse übernatürliche Fähigkeiten; beispielsweise schrieb man ihm eine Art Hellsichtigkeit zu, die es ihm ermöglichte, die Gedanken anderer Menschen zu lesen, da er diese so klar wie die physischen Dinge erfaßte.

Baron Ungern von Sternberg

Baron Ungern von Sternberg in einer Uniform,
die zaristische und mongolische Elemente vereint

Der zweite Aspekt betrifft das Ideal, dem Ungern von Sternberg huldigte. Der Kampf gegen den Bolschewismus sollte lediglich den Auftakt zu einem weit umfangreicheren Unterfangen bilden. Laut von Sternberg war der Bolschewismus kein isoliertes Phänomen, sondern die zwangsläufige Folge rückläufiger Prozesse, die sich seit geraumer Zeit in der gesamten abendländischen Zivilisation abspielten. Wie schon Metternich glaubte auch er – zu Recht – an eine Kontinuität der verschiedenen Phasen und Formen der weltweiten Subversion seit der Französischen Revolution. Für Ungern von Sternberg mußte die Reaktion aus dem Osten erfolgen, einem Osten, der seinen eigenen spirituellen Traditionen treu war und geschlossen gegen die drohende Gefahr antrat, gemeinsam mit jenen, welche zu einer Revolte gegen die moderne Welt fähig waren. Die erste Aufgabe sollte in der Ausmerzung des Bolschewismus und der Befreiung Rußlands bestehen.

Faszinierend ist folgende, von durchaus glaubwürdigen Quellen verzeichnete Tatsache: Nachdem Ungern von Sternberg zum Befreier und Beschützer Tibets geworden war, soll er im Rahmen des erwähnten Plans geheime Beziehungen zu Vertretern der traditionellen Kräfte nicht nur Indiens, sondern auch Japans und der islamischen Welt hergestellt haben. Nach und nach hätten sich diese der sowohl defensiven als auch offensiven Solidarität einer Welt anschließen sollen, die dem Materialismus und der Subversion noch nicht erlegen war. Kommen wir nun zum zweiten Punkt, dem des sogenannten „Königs der Welt".

Ossendowski berichtet, was die Lamas und Herrscher Zentralasiens über die Existenz eines geheimnisvollen Kräftezentrums namens Agartha [Dieses Kräftezentrum gehört zum festen Bestand des tibetischen Mythos, vgl. Andreas Gruschke: Die heiligen Stätten der Tibeter –Mythen und Legenden von Kailash bis Shambhala. München 1997] zu berichten hatten, bei dem es sich um den Sitz des „Königs der Welt" handelte. Dieses lag dem Vernehmen nach im Inneren der Erde und verkehrte über „unterirdische Kanäle", die unterhalb der Kontinente und auch der Ozeane verliefen, mit allen Gegenden der Welt.

In der von Ossendowski aufgeschnappten Version wirken diese Behauptungen phantastisch. Es ist das Verdienst René Guénons [Der Traditionalist, Esoteriker und Schriftsteller René Guénon, 1886-1951, gilt als einer der großen Ideengeber Evolas], in seinem Buch Le Roi du Monde [Der König der Welt, hg. Von O. W. Barth, Planegg 1956; Aurum-Verlag, Freiburg 1987] den wahren Inhalt dieser Erzählungen enthüllt zu haben, wobei er auch die bezeichnende Tatsache hervorhob, daß in dem 1910 posthum erschienenen Buch La mission des Indes von Saint-Yves d'Alveydre, das Ossendowski sicherlich nicht kannte, von demselben geheimnisvollen Zentrum die Rede ist. Guénon stellt vor allem klar, daß man dieses unterirdische Reich (das man sich, sofern es nicht von lauter Geistern bevölkert ist, schon wegen der Unterbringungs- und Versorgungsprobleme nur schwer vorstellen kann) in Wahrheit als „unsichtbares Zentrum" zu deuten hat. Was den dort herrschenden „König der Welt" betrifft, so steht dieser für die allgemeine Vorstellung einer unsichtbaren Regierung oder Kontrolle der Welt oder der Geschichte, und der phantastisch anmutende Hinweis auf „unterirdische Kanäle", welche diesen Sitz mit verschiedenen Ländern der Erde verbinden, ist ebenfalls nicht materialistisch, sondern als Sinnbild für den Einfluß aufzufassen, den dieses Zentrum gewissermaßen hinter den Kulissen ausübt.

Faßt man alles in dieser konkreteren Form auf, so ergeben sich freilich verschiedene Probleme, deren Aktualität einem kaum entgehen wird. Dazu gehört, daß das Schauspiel, das unser Planet immer unverkennbarer bietet, sich nur sehr schwer mit der Idee von der Existenz dieses einflußreichen „Königs der Welt" in Übereinklang bringen läßt, wenn dessen Einflüsse als positiv und heilsam zu betrachten sind.

Zu Ossendowski sollen die Lamas gesagt haben: „Der König der Welt wird künftig all jenen Menschen erscheinen, wenn für ihn der Augenblick gekommen sein wird, alle Guten in den Krieg gegen die Bösen zu führen. Doch diese Zeit ist noch nicht gekommen. Die bösesten Vertreter der Menschheit sind noch nicht geboren." Dies ist nun die Wiederholung eines traditionellen Themas, das auch im Abendland seit dem Mittelalter bekannt ist.

Interessant ist, daß die Lamas und die Landesführer gegenüber Ossendowski in Tibet einen ganz ähnlichen Gedankengang zum Ausdruck brachten, wobei sie sich auf eine esoterische Lehre beriefen. Die eher primitive Art, wie Ossendowski das Gehörte wiedergibt und in seine Reiseschilderung einbaut, legt den Schluß nahe, daß es sich keinesfalls um eine Erfindung von ihm handelt.

(Roma, 9. Februar 1973)

Der Artikel stammt aus der Zeitschrift Junges Forum 7/2007 des Regin-Verlages, die sich unter dem Titel Der letzte Kriegsgott mit dem Baron beschäftigt (Inhalt u.a. Claudio Mutti:Der Eurasist zu Pferd; Baron Ungern von Sternberg: Befehl Nr. 15, 1921).

Regin-Verlag | Der letzte Kriegsgott

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Rußland und Amerika

Rußland

Schon die bolschewistische Revolution wies typische Züge auf, die es wert sind, hervorgehoben zu werden. Die romantischen, stürmischen, chaotischen und irrationalen Wesenszüge, wie sie für andere Revolutionen und besonders die französische charakteristisch waren, nahmen in ihr nur einen sehr bescheidenen Raum ein. Deutlich erkennt man jedoch, daß in ihr Intelligenz, ein wohldurchdachter Plan und eine Technik am Werke waren. Lenin studierte von Anfang an das Problem der proletarischen Revolution genau so, wie ein Mathematiker an eine höhere Rechenaufgabe herangeht, und analysierte es kühl und in Ruhe, selbst in den kleinsten Details. Seine Worte dazu: «Märtyrer und Helden sind für die Sache der Revolution nicht notwendig. Sie hat vielmehr eine Logik und eine eiserne Hand vonnöten. Unsere Aufgabe ist es nicht, die Revolution auf das Niveau des Dilettanten zu senken, sondern den Dilettanten auf das Niveau der Revolution zu erheben.» Die Ergänzung dazu war die Tätigkeit Trotzkys, der aus der Frage des Aufstandes und des Staatsstreiches nicht so sehr eine Frage der Massen und des Volkes, sondern vielmehr diejenige einer speziellen Technik werden ließ, die den Einsatz von geschulten und gut geführten Kampftrupps verlangte.

Bei den Führern läßt sich in den Leitideen und deren Ausführung eine erbarmungslose Konsequenz feststellen. Sie bleiben gleichgültig gegenüber den praktischen Folgen und dem namenlosen Unglück, das sich aus der Anwendung abstrakter Prinzipien ergab. Der Mensch existiert für sie nicht. Mit dem Bolschewismus gelangen gleichsam Elementarkräfte in einer Gruppe von Menschen zur Verkörperung, die die grausame Kräfteballung des Fanatikers mit exakter Logik und Methode verbinden, wobei der Blick nur auf das für den Zweck geeignete Mittel gerichtet wird, genau wie das für den Techniker charakteristisch ist. Erst in einer zweiten, von ihnen hervorgerufenen und größtenteils innerhalb vorbestimmter Grenzen gehaltenen Phase kam es zur Entfesselung des Untergrundes des alten russischen Reichs, zur Terrorherrschaft der Masse, die versuchte, alles, was mit den vorher regierenden Klassen und der russisch-bojarischen Kultur im allgemeinen in Zusammenhang stand, zu zerstören und in Raserei auszurotten.

Ein weiterer charakteristischer Zug dabei ist, daß, während die vorhergehenden Revolutionen in ihrer Dämonie fast immer den Händen derer entglitten, die sie entfacht hatten, so daß die Revolutionen ihre eigenen Kinder fraßen, das in Rußland nur in einem geringen Ausmaß geschah. Eine Beständigkeit der Macht und des Terrors hat sich gebildet. Wenn auch die unerbittliche Logik der roten Revolution nicht gezögert hat, diejenigen Bolschewiken zu eliminieren und auszulöschen, die von der orthodoxen Richtung abweichen wollten – ohne daß man dabei auf die Personen Rücksicht nahm und ohne Skrupel bei der Wahl der Mittel –, so gab es doch im Zentrum weder Krisen noch erhebliche Schwankungen. Und das ist ein ebenso charakteristischer wie unheimlicher Wesenszug. Hier kündigt sich die Epoche an, in der die dunklen Kräfte aufhören, wie in der Vergangenheit nur hinter den Kulissen zu wirken und mit der Menschenwelt eine Einheit zu bilden beginnen, da sie die ihnen passende Verkörperung in Menschen gefunden haben, in denen die Dämonie mit der größtmöglichen Geistesschärfe, mit einer methodischen Konsequenz und einem präzisen Machtstreben einhergeht. Eine derartige Erscheinung ist eines der hervorstechendsten Merkmale des Endpunktes eines jeden Zyklus.

Was die Idee des Kommunismus betrifft, wird jeder getäuscht, der vergißt, daß es im Kommunismus zwei Wahrheiten gibt. Die eine, die sozusagen esoterische, hat dogmatischen und unabänderlichen Charakter entsprechend den Grundprinzipien der Revolution und kommt in den Schriften und Anweisungen der ersten bolschewistischen Periode zum Ausdruck. Die zweite ist eine wandelbare, «realistische» Wahrheit, die von Fall zu Fall angefertigt wird und oft sogar im scheinbaren Gegensatz zur ersten Wahrheit steht, wobei auch Kompromisse mit den Vorstellungen der «bourgeoisen» Welt möglich sind (Vaterlandsgedanke, Abschwächungen des Kollektiveigentums, Mythos des Slawentums etc.). Die Spielarten dieser zweiten Wahrheit werden auf die Seite geschoben, sobald sie ihre taktische Aufgabe erfüllt haben; sie sind bloße Werkzeuge im Dienste der ersten Wahrheit, und diejenigen, die sich durch sie einnehmen lassen und irgendwann einmal glauben, daß der Bolschewismus nun «überwunden» sei, daß er sich «weiterentwickelt» hätte und sich normalen Staatsformen und üblichen internationalen Beziehungen annähere, sind nur naiv.

Aber auch hinsichtlich der ersten Wahrheit soll man sich nicht täuschen: Der marxistische Wirtschaftsmythos ist dabei nicht das Hauptelement. Das Hauptelement ist die Leugnung jedes Wertes im spirituellen und transzendenten Bereich: die Philosophie und die Soziologie des historischen Materialismus sind bloßer Ausdruck einer derartigen Leugnung, sie sind eine ihrer Folgen und nicht umgekehrt, genauso wie die entsprechende kommunistische Praxis nur eine der Methoden ist, um sie systematisch zu verwirklichen. Wichtig ist dabei die Konsequenz, zu der man gelangt, wenn man diesen Weg bis zu Ende geht, nämlich zur Einfügung, d.h. Auflösung des Einzelmenschen im sogenannten «Kollektiv», dessen Recht die Alleinherrschaft ausübt. Eben die Ausmerzung von allem, was im Menschen den Wert einer autonomen Persönlichkeit ausmacht, und von allem, was für ihn ein vom Kollektiv losgelöstes Interesse bilden kann, ist das Ziel in der kommunistischen Welt. Insbesondere gehören die auf allen Ebenen stattfindende Mechanisierung, Entgeistigung und Rationalisierung jeder Tätigkeit zu den für diesen Zweck eingesetzten Mitteln. Damit sind diese Vorgänge auch nicht mehr wie in der alten europäischen Kultur die erlittenen und bejammerten Folgen fataler Prozesse. Nachdem jedweder Horizont auf das Wirtschaftliche beschränkt ist, wird die Maschine zum Mittel einer neuen messianischen Versprechung, und auch die Rationalisierung erweist sich als einer der Wege, um den «Überresten» und «individualistischen Planlosigkeiten» der «bourgeoisen Ära» ein Ende zu bereiten.

Die Abschaffung des Privateigentums und des privaten Unternehmertums, die als Grundidee der inneren Lehre des Kommunismus unabhängig von zufälligen nützlichen Anpassungen bestehen bleibt, stellt somit in der UdSSR nur eine Episode und ein zielgerichtetes Mittel dar. Das Ziel ist, wie gesagt, die Verwirklichung des Massenmenschen und des totalen Materialismus in jedem Bereich, was in einem offenbaren Mißverhältnis zu allem steht, was man von irgendeinem bloß wirtschaftlichen Mythos ableiten könnte. Dieses System betrachtet das «Ich», die «Seele» und den Begriff des «Mein» als bourgeoise Illusionen und Vorurteile, als fixe Ideen, Ursprung aller Übel und Mißstände, von denen eine darauf abgestimmte, realistische Kultur und eine dementsprechende Erziehung den Menschen der neuen marxistisch-leninistischen Kultur werden befreien müssen. So geht man daran, alle individualistischen, anarchistischen und humanistisch-romantischen Übergriffe aus der Zeit, die wir als abendländischen Irrealismus bezeichnet haben, en bloc auszulöschen. Der Ausspruch von Zinovieff: «In jedem Intellektuellen entdecke ich einen Feind der Sowjetmacht» ist bekannt, wie auch die Absicht bekannt ist, aus der Kunst eine Kunst für die Masse werden zu lassen. Sie soll aufhören, sich mit «Psychologie» und persönlichen Fragen einzelner Menschen zu befassen, sie soll nicht dem Genuß parasitärer Oberschichten dienen und auch keine individuelle Schöpfung sein, sondern unpersönlich werden und sich in einen «mächtigen Hammer» verwandeln, «der die Arbeiterklasse zum Handeln aufruft». Daß wenigstens die Wissenschaft von der Politik, d.h. vom kommunistischen Leitbild als formender Kraft, absehen und «objektiv» sein könnte, wird geleugnet, und man sieht darin eine gefährliche «konterrevolutionäre» Abweichung. Charakteristisch dafür war der Fall von Vasilyeff und anderen Biologen, die nach Sibirien verbannt wurden, weil die von ihnen unterstützte Vererbungstheorie den Faktor «Vererbung» und «angeborene Verhaltensweise» anerkannte und den Menschen nicht als amorphe Substanz darstellte, die erst durch den bestimmenden Einfluß der Umweltbedingungen Form annimmt, so wie es der Marxismus will, und daher mit der zentralen Idee des Kommunismus in Widerspruch stand. Was es auf dem Gebiet des evolutionistischen Materialismus und der soziologischen «Wissenschaft» an extremen Theorien im westlichen Denken gibt, wird in Form eines Dogmas und eines «Staatsdenkens» einbezogen, damit sich in den neuen Generationen eine Gehirnwäsche vollziehe und eine dementsprechende, zutiefst entwurzelte Geisteshaltung bilde. Über den antireligiösen Feldzug, der hier nicht den Charakter eines einfachen Atheismus, sondern einer echten und wirklichen Gegenreligion hat, weiß man genügend Bescheid. In ihm verrät sich das vorhin erwähnte, innerste Wesen des Bolschewismus, der auf diesem Wege die geeignetsten Mittel organisiert, um die große Krankheit des westlichen Menschen auszumerzen, nämlich jenen «Glauben», jenes Bedürfnis zu «glauben», das zum Ersatz wurde, als die Möglichkeit echter Kontakte mit der Überwelt verlorenging. In eine ähnliche Richtung gehend, denkt man auch daran, eine «Gefühlserziehung» einzuführen, damit die Probleme des «bourgeoisen Menschen», die Sentimentalität, die erotische Besessenheit und die Leidenschaft beseitigt würden. Nach der Einebnung der Klassen, wobei nur noch die Gliederungen anerkannt werden, die von der Technokratie und dem totalitären Apparat aufgezwungen werden, kommt es zur Gleichmacherei der Geschlechter. Die völlige Gleichschaltung der Frau gegenüber dem Mann wird auf allen Gebieten gesetzlich festgelegt, und das Ideal besteht darin, daß sich nicht Frauen und Männer gegenüberstehen, sondern «Genossen» und «Genossinnen». So wird auch der Familienstand ungern gesehen, und zwar nicht nur in der Form, wie sie in der «Ära des heroischen Rechts» bestand, sondern auch in seinen Überresten aus der traditionalistischen und häuslichen bourgeoisen Zeit mit ihren Sentimentalitäten und Konventionen. Der sogenannte Zags bedeutete schon eine typische Umkehr in diesem Sinn; in jedem Fall sind die vielfältigen Aktionen bekannt, die in der UdSSR stattfinden, damit die Erziehung im wesentlichen Sache des Staates würde und das Kind das «kollektive» Leben dem Familienleben vorziehe.

Nach der ersten sowjetischen Verfassung war strenggenommen jeder Ausländer automatisch Mitglied der Sowjetunion, wenn er proletarischer Arbeiter war, wohingegen ein Russe, der nicht proletarischer Arbeiter war, davon ausgeschlossen und sozusagen ausgebürgert war und zu einem Paria ohne juristische Persönlichkeit wurde. Nach der strikten kommunistischen Orthodoxie galt Rußland einfach als das Land, worin die Weltrevolution des vierten Standes bereits gesiegt und sich organisiert hatte, um sich weiterhin auszubreiten. Das russische Volk hatte neben der Mystik der Gemeinschaft immer schon einen nicht ganz klaren messianischen Impuls in sich getragen: es hatte sich als das gottbringende Volk gesehen, dazu bestimmt, das Werk der universalen Erlösung zu vollbringen. Dies alles ist in umgekehrter Gestalt wiederaufgenommen und mit marxistischen Begriffen auf den heutigen Stand gebracht worden. Gott hat sich in den irdisch gewordenen und kollektivisierten Menschen verwandelt, und das «gottbringende» Volk ist das Volk, das seine Kultur mit allen Mitteln auf der gesamten Erde zum Sieg führen wird. Die darauffolgende Abschwächung der Extremform dieses Leitsatzes durch die Verurteilung des Trotzkismus ändert nichts daran, daß sich die UdSSR noch immer, nicht nur rechtens, sondern sogar verpflichtet fühlt, überall auf der Welt einzuschreiten, wo es den Kommunismus zu unterstützen gilt.

Vom historischen Gesichtspunkt aus scheint mit der Machtergreifung Stalins der Mythos der «Revolution» im alten Sinne, die immer mit Chaos und Unordnung einherging, schon in weite Entfernung gerückt zu sein: man strebt statt dessen mit dem Totalitarismus eine neue Form von Ordnung und Einheit an. Die Gesellschaft wird zu einer Maschine, in der es einen einzigen Motor gibt, nämlich den kommunistischen Staat. Der Mensch ist nur ein Hebel oder ein Rad in dieser Maschine, und wenn er sich widersetzt, wird er sofort vom Getriebe erfaßt und zermalmt, denn der Wert des Menschenlebens gilt darin nichts, und jede Schandtat ist erlaubt. Stoff und Geist sind in diesem einzigen Unternehmen zusammengefaßt, so daß die UdSSR sich als ein Block erweist, dem sich nichts zu entziehen vermag, der gleichzeitig Staat, Wirtschaftsimperium und Kirche ist und somit ein sowohl politischideologisches als auch wirtschaftlich-industrielles System darstellt. Hier haben wir das Ideal des Überstaates als grausige Umkehrung des traditionalen, organischen Ideals.

Von höchster, allgemeiner Wichtigkeit erweisen sich für uns im sowjetischkommunistischen Ideal diejenigen Aspekte, in denen etwas wie eine ganz eigene Askese oder Läuterung im großen versucht hat oder noch versucht, ganz radikal das individuelle und humanistische Element zu überwinden und zum Prinzip der absoluten Realität und Unpersönlichkeit zurückzukehren, wobei dieses jedoch auf den Kopf gestellt wird und nicht nach oben, sondern nach unten ausgerichtet ist, nicht auf das über dem Menschen Liegende, sondern auf das Unterpersönliche, nicht auf einen Organismus, sondern auf einen Mechanismus und schließlich nicht auf eine geistige Befreiung, sondern auf eine vollkommene, gesellschaftliche Verknechtung zielt.

Daß in der Praxis der primitive Status der großen, so verschiedenartigen Masse, aus der sich die UdSSR zusammensetzt und aus der durch die Massaker beinahe alle höherstehenden Elemente verschwunden sind, die tatsächliche Bildung des «neuen Menschen», des «Sowjetmenschen» noch in eine ferne Zukunft verschiebt, ist nicht so sehr wesentlich. Die Richtung ist gegeben. Der Endmythos der Welt des vierten Standes hat eine genau umrissene Gestalt angenommen, und eine der größten Machtkonzentrationen der Welt steht ihm zur Verfügung – eine Macht, die gleichzeitig Zentrale ist für eine organisierte, unterirdische oder auch offene Aufwiegelungstätigkeit bei den internationalen Volksmassen und farbigen Völkern.

Amerika

Wenn der Bolschewismus nach den Worten Lenins in der römisch-germanischen Welt «das größte Hindernis für die Heraufkunft des neuen Menschen» sah und es ihm dadurch, daß er aus der Blindheit der sich in einem «Kreuzzug» befindlichen demokratischen Staaten seinen Vorteil zog, gelungen ist, diese Welt praktisch auszulöschen – zumindest soweit sie auf die Richtung des Schicksals von Europa hätte Einfluß nehmen können –, so erblickte der Bolschewismus in Amerika (USA) eine Art verheißenes Land. Nachdem die alten Götter verschwunden waren, mußte die Lobpreisung des technisch-mechanischen Ideals zu so etwas wie «Amerika als Religion» führen. «Der revolutionäre Sturm Sowjetrußlands muß sich mit dem Rhythmus des amerikanischen Lebens verbinden.» «Die in Amerika schon bestehende Mechanisierung zu stärken und auf alle Gebiete auszudehnen, ist die Aufgabe des neuen proletarischen Rußland» –, das sind beinahe offizielle Anweisungen. So hatte Gasteff einen «Superamerikanismus» verkündet, und der Dichter Majakowskij widmet Chikago, der «elektro-dynamo-mechanischen Metropole», seinen kollektivistischen Hymnus. Hier tritt offensichtlich Amerika als die verhaßte Hochburg des «kapitalistischen Imperialismus» hinter das Amerika zurück, das sich als Kultur der Maschine, der Masse und der Technokratie zeigt. Die Hinweise auf eine Geistesverwandtschaft, weit davon entfernt, nur rein äußerlich zu sein, finden in Elementen aus vielen anderen Gebieten ihre Bestätigung.

Welche und wie vielschichtig die Unterschiede zwischen Rußland und Nordamerika auf ethnischem, historischem und charakterlichem Gebiet sind, ist jedem bekannt und bedarf keiner sonderlichen Betonung. Diese Unterschiede können jedoch einer grundlegenden Tatsache nichts anhaben: Teile eines «Ideals», das im Bolschewismus als solches noch nicht existiert oder erst mit rohen Maßnahmen aufgezwungen werden muß, fanden auf Grund einer quasi spontanen Entwicklung in Amerika ihre Verwirklichung, als ob sie natürlich und selbstverständlich wären. So bewahrheitete sich in einem viel größeren Ausmaß, als Engels dachte, seine schon erwähnte Prophezeiung, daß es eben die kapitalistische Welt sein werde, die der Welt des vierten Standes den Weg ebnen würde.

Auch Amerika hat durch seine ihm eigene Lebens- und Weltanschauung eine «Kultur» begründet, die der genaue Gegensatz der alten europäischen Tradition ist. Denn es hat endgültig der Religion des Praktischen und der Leistung zum Durchbruch verholfen, und es hat das Hauptaugenmerk auf den Gewinn, auf die große industrielle Produktion und auf die mechanische, sichtbare und mengenmäßig erfaßbare Leistung gerichtet, so daß alles andere daneben unwesentlich geworden ist. Es hat eine Großartigkeit geschaffen, die ohne Seele und rein technisch-kollektiver Natur ist, bar jedes transzendenten Hintergrundes, bar jedes Lichtes der Innerlichkeit und bar jeder wahren Geistigkeit. Amerika hat auch der Auffassung, die den Menschen als Qualität und Persönlichkeit in einem organischen Gefüge sieht, seine eigene gegenübergestellt, die ihn zu einem bloßen Werkzeug der Produktion und materiellen Leistung in einem zusammengewürfelten Gesellschaftshaufen macht.

Während beim Gestaltungsprozeß der sowjetisch-kommunistischen Geisteshaltung jener Massenmensch, der schon seit altersher mystisch im Untergrund der slawischen Seele lebte, einen wesentlichen Einfluß darstellt und nur die Ebene seiner rationellen Verkörperung in einer allmächtigen politischen Struktur modern ist, leitet sich in Amerika dieses Phänomen von einer unbeugsamen Notwendigkeit her, derzufolge der Mensch, sobald er sich vom Spirituellen löst und dem Willen einer weltlichen Größe hingibt, abgesehen von irgendwelchen individualistischen Illusionen tatsächlich aufhört, sich selbst zu gehören, und abhängiger Teil einer Wesenheit wird, die er am Ende nicht mehr zu beherrschen vermag und ihn in mannigfaltiger Weise einschränkt. Gerade das Ideal der materiellen Eroberung, das sich rasch mit demjenigen des körperlichen Wohlbefindens und der «prosperity» (Wohlstand) verband, hat die Veränderung und Verkehrung bewirkt, die Amerika aufweist. Mit Recht ist gesagt worden, daß «Amerika auf seiner Jagd nach Reichtum und Macht die Bahn der Freiheit verlassen hat, um jene des Gewinns einzuschlagen ... Alle Energien, die ideellen und sogar die religiösen miteingeschlossen, führen zu ein und demselben produktiven Ziele hin: Wir befinden uns in einer Rentabilitätsgesellschaft, quasi in einer Theokratie der Rentabilität, die mehr dazu neigt, Dinge hervorzubringen als Menschen», oder Menschen, nur soweit sie bessere Produzenten von Dingen sind. «Eine Art Mystik stellt in den USA die Rechte der Gesellschaft über alles. Der Mensch, mehr zum Mittel als zum Zweck geworden, gibt sich mit seiner Rolle, ein Rädchen in der riesigen Maschine zu sein, zufrieden, ohne einen Augenblick daran zu denken, daß ihn dies schmälern könnte», «daher der tatsächliche Kollektivismus, der von den Eliten gewollt und von den Massen gedankenlos hingenommen wird und damit in heimtückischer Weise die Selbständigkeit der Menschen untergräbt und ihre Tätigkeit in so enge Bahnen zwängt, daß sie, ohne darunter zu leiden, ja, sogar ohne es zu wissen, ihre eigene Abdankung festlegen». Doch gibt es «keinen Protest, keine Reaktion der großen amerikanischen Masse gegen die kollektive Tyrannei; sie nimmt sie aus freien Stücken hin, wie etwas Selbstverständliches, beinahe als ob es etwas ihr Gemäßes wäre».

Damit zeigen sich wiederum die gleichen Themenkreise, insofern sich auch auf dem allgemeineren Gebiet der Kultur notwendigerweise und spontanerweise eine Übereinstimmung mit den Leitprinzipien der neuen sowjetischen Welt ergibt.

Wenn auch Amerika nicht daran denkt, alles Intellektuelle einfach zu verbieten, ist es doch gewiß, daß es ihm gegenüber eine instinktive Interesselosigkeit hegt, sofern es sich nicht als Werkzeug für etwas Praktisches erweist, beinahe als ob es ein Luxus wäre, dem sich nicht zu sehr hingeben darf, wer ernste Dinge im Sinne hat, wie z. Β. das get rich quick (schnell reich werden), eine Dienstleistung oder eine Kampagne im Namen der einen oder anderen sozialen Wahnidee usw. Im allgemeinen sind es, da die Männer arbeiten, in Amerika die Frauen, die sich mit «geistigen Dingen» beschäftigen. Daher ihr großer Anteil an den tausend Sekten und Gesellschaften, in denen sich Spiritismus, Psychoanalyse und falsche orientalische Lehren mit Humanitarismus, Feminismus und Sentimentalität vermengen. Das ist einfach, abgesehen vom gesellschaftlichen Puritanismus und der Wissenschaftsgläubigkeit, das amerikanische Niveau der «Spiritualität». Und wenn man auch sieht, wie Amerika mit seinen Dollars Vertreter und Werke der alten europäischen Kultur ergattert und diese dann mit Wohlgefallen zur Entspannung der Herrschaften des dritten Standes verwendet, so liegt das wahre Lebens-Zentrum doch immer woanders. Man kann nun einmal an der Tatsache nicht vorbeigehen, daß in Amerika der Erfinder oder Entdecker irgendeiner neuen Maschine, die die Rentabilität vervielfacht, immer ein größeres Ansehen genießen wird als der althergekommene Typus des Intellektuellen; daß alles, was Gewinn, Wirklichkeit und Aktivität im materiellen Sinn ist, auf der Waage der Werte immer schwerer wiegen wird als das, was von einer Haltung aristokratischer Würde stammt. Hat also Amerika nicht wie der Kommunismus einfach die alte Philosophie offiziell verboten, so hat es etwas viel Besseres zu tun gewußt: es hat durch den Mund von William James verkündet, daß der Nutzen der Prüfstein für das Wahre sei und daß der Wert einer jeden, sogar einer metaphysischen Lehre, an ihrer praktischen Effizienz zu bemessen sei, was dann im Rahmen der amerikanischen Mentalität schließlich fast immer wirtschaftlich-soziale Effizienz heißt. Der sogenannte Pragmatismus ist eines der typischsten Merkmale der gesamten amerikanischen Zivilisation; weiter gehört noch zu diesen Wesensmerkmalen die Theorie von Dewey und der sogenannte Behaviourismus. Dieser ist die genaue Entsprechung der Theorien, die in der UdSSR aus den Ansichten Pawlows über die bedingten Reflexe abgeleitet wurden, und er schließt genau wie diese Theorien das Ich und das Bewußtsein als Wesensprinzipien aus. Die Schlußfolgerung aus dieser typisch «demokratischen» Theorie ist, daß alle alles werden können, unter der Bedingung, daß sie einer gewissen Schulung und Erziehung unterliegen. Das heißt also, daß der Mensch an sich eine gestaltlose, formbare Substanz darstellt, genau wie es sich der Kommunismus vorstellt, wenn er in der Biologie die Theorie der angeborenen Verhaltensweisen als antirevolutionär und antimarxistisch ansieht. Die Macht, die in Amerika die Werbung, das «advertising», hat, erklärt sich übrigens gerade aus der inneren Haltlosigkeit und Passivität der amerikanischen Seele, die in vieler Hinsicht die zweidimensionalen Wesenszüge nicht der Jugend, sondern geradezu der Infantilität aufweist.

Der sowjetische Kommunismus verkündet offiziell den Atheismus. Amerika macht das nicht, aber, ohne es zu bemerken, ja oftmals vom Gegenteil überzeugt, eilt es einen Abhang hinunter, wo nichts mehr von dem geblieben ist, was im Rahmen des Katholizismus religiösen Wert aufwies. Wir haben schon gesehen, wie stark die Religiosität mit dem Protestantismus beschnitten wird. Nach Ablehnung jeglichen Autoritäts- und Hierarchieprinzips, frei von jedem metaphysischen Interesse, ohne Dogmen, Riten, Symbole und Sakramente, ist sie zu einem bloßen Moralismus verarmt, der in den puritanischen, angelsächsischen Ländern und vor allem in Amerika in den Dienst einer konformistischen Masse getreten ist.

Mit Recht unterstreicht Siegfried, daß «die einzig wahre amerikanische Religion der Calvinismus ist, da er jene Lehre darstellt, in der die wirkliche Zelle des gesellschaftlichen Organismus nicht das Individuum, sondern die Gruppe ist», und wo der Reichtum, der in den eigenen Augen wie auch in denen der anderen als Zeichen der göttlichen Auserwähltheit gilt, «es schwer macht, zwischen dem religiösen Streben und der Jagd nach dem Vermögen zu unterscheiden ... Man läßt es als moralisch und wünschenswert zu, daß der religiöse Geist zu einem Faktor sozialen Fortschritts und wirtschaftlicher Entwicklung wird.» Die für übernatürliche Ziele notwendigen Tugenden erscheinen daher als unnütz und sogar schädlich. In den Augen eines echten Amerikaners ist der Asket nur ein Zeitverschwender, ein Schmarotzer der Gesellschaft; der Held im antiken Sinne nur eine Art gefährlicher Narr, der durch geeignete pazifistische und humanitaristische Vorkehrungen zu besiegen ist, während der fanatische, puritanische Moralist von einem strahlenden Heiligenschein umflossen ist.

Ist vielleicht das alles so fern vom Grundsatz eines Lenin, der besagt, «jede übernatürliche und irgendwie den Klasseninteressen fremde Anschauung» sei auszurotten, und jeder Überrest unabhängiger Geistigkeit sei als ansteckendes Übel zu zerstören? Ist das vielleicht nicht derselbe Weg des allmächtigen, verirdischten Menschen, über den in Amerika und in Rußland die technokratische Ideologie Gestalt annimmt?

Auch der folgende Punkt soll in Betracht gezogen werden. Mit der NEP (russ.: Neues Ökonomisches Programm Lenins 1921-1928) hatte man den privaten Kapitalismus nur abgeschafft, um einen Staatskapitalismus an seine Stelle zu setzen: man findet einen zentralisierten Kapitalismus ohne sichtbare Kapitalisten, der sich in einem gigantischen Unternehmen austobt, ohne daß dieses je den Kapital-Einsatz zurückerstatten müßte. In der Theorie ist jeder Sowjetbürger gleichzeitig Arbeiter und Aktionär des allmächtigen und allumfassenden Universalkonzerns des sozialistischen Staates. In der Praxis ist er jedoch ein Aktionär, der keine Dividenden bekommt. Abgesehen von dem, was man ihm zum Leben gibt, fließt der Erlös seiner Arbeit in die Partei, die ihn wiederum in anderen Arbeits- und Industrieunternehmen einsetzt, ohne zu gestatten, daß er bei einem einzelnen bleibt und sich dort ansammelt. Im Gegenteil, die Partei richtet es so ein, daß das Ergebnis zu einer immer größeren Macht des Kollektivmenschen führt, wobei ein deutlicher Zusammenhang mit den Plänen der Weltrevolution und des Weltumsturzes besteht. Man denke nun an das, was wir über die Askese des Kapitalismus als vorwiegend amerikanische Erscheinung sagten, daß also der Reichtum in Amerika, statt Endzweck der Arbeit oder Mittel zu einer außerwirtschaftlichen Größe zu sein oder auch nur zum reinen Vergnügen des einzelnen betrieben zu werden, wiederum zur Schöpfung neuer Arbeit, neuen Gewinns usw. in einer Art Kette verwendet wird, die immer weiter und weiter läuft und keinen Halt mehr gestattet. Bedenkt man dies, muß man von neuem feststellen, daß sich in Amerika hier und da auf freiwilliger Basis und unter einer Herrschaft der «Freiheit» genau das zu verwirklichen beginnt, was die zentralistischen Strukturen des kommunistischen Staates auf gewaltsame Art ebenfalls zu erreichen versuchen. In der verwirrenden Größe der amerikanischen Großstadt also, wo der einzelne – der «Asphaltcowboy» – seine Nichtigkeit gegenüber dem ungeheuren Reich der Masse, gegenüber den allmächtigen Gruppen und Konzernen, aber auch gegenüber den herrschenden Lebensmaßstäben und den ausgreifenden Wäldern von Wolkenkratzern und Fabriken erkennen muß; ja wo selbst die Herrschenden sklavisch an die Dinge gekettet sind, die sie eigentlich beherrschen sollten – genau dort offenbart sich das Kollektive noch mehr und in einer noch gesichtsloseren Form als in der Tyrannei, die das Sowjetregime auf häufig einfache und willenlose Elemente ausübt.

Die intellektuelle Gleichschaltung, der Konformismus, die aufgezwungene und organisierte Normalisierung im großen sind typisch amerikanische Erscheinungen, stimmen aber trotzdem mit dem sowjetischen Ideal des kollektiv geltenden «Staatsdenkens» überein. Es ist mit Recht behauptet worden, daß jeder Amerikaner, mag er Wilson oder Roosevelt, Bryan oder Rockefeller heißen, ein Prediger ist, der seine Mitmenschen nicht in Ruhe lassen kann, der sich ständig verpflichtet fühlt, zu predigen und sich zu bemühen, jedermann umzustimmen, zu verbessern und auf das Niveau der amerikanischen Standardmoral zu heben, von dem er mit größter Gewißheit annimmt, daß es das höchste ist. Das hat mit dem Abolitionismus (Vereinigung zur Abschaffung bestimmter Mißstände wie Prostitution, Alkoholmißbrauch usw.) in den Sezessionskriegen begonnen und mit dem doppelten demokratischen «Kreuzzug» von Wilson und Roosevelt in Europa geendet. Aber auch im kleinen, mag es sich um das Alkoholverbot, feministische oder pazifistische Propaganda, um eine natürliche Lebensweise oder auch um die Forderung der Erbhygiene handeln, finden sich immer derselbe Geist und derselbe Wille, alles zu standardisieren, und immer wieder das anmaßende Eindringen des Kollektivs und der Gesellschaft in die persönliche Lebenssphäre. Nichts ist falscher als anzunehmen, die amerikanische Seele sei «offen», vorurteilslos: im Gegenteil, es gibt keine andere, die so viele Tabus kennt. Aber sie hat sie sich so zu eigen gemacht, daß sie diese gar nicht mehr bemerkt.

Wir haben schon darauf hingewiesen, daß einer der Gründe für das Interesse der bolschewistischen Ideologie an Amerika daher kommt, daß sie erkannt hat, wie sehr die übergroße Technisierung in der amerikanischen Kultur zum Ideal der Entpersönlichung beiträgt. Die moralische Norm ist auf die praktische des Amerikaners ausgerichtet. Der Komfort für alle und die Überproduktion in der Konsumgesellschaft, die für Amerika typisch sind, wurden um den Preis von Millionen Menschenleben erkauft, die durch den Automatismus in der Arbeit erniedrigt und zu übertriebenen Spezialisten ausgebildet werden, was wiederum ihren geistigen Horizont beschränkt und jede Feinfühligkeit abstumpft. Anstelle des alten Handwerkers, für den das Gewerbe eine Kunst war, so daß jeder Gegenstand ein persönliches Gepräge trug und, da er von des Handwerkers eigenen Händen angefertigt war, in jedem Falle eine persönliche, unmittelbare und qualitative Kenntnis jenes Gewerbes voraussetzte, sehen wir eine Herde von Parias, die stumpfsinnig mit automatischen und gleichförmigen Gesten, die sich von den Bewegungen ihrer Maschinen kaum noch unterscheiden, Mechanismen beistehen, deren Geheimnisse nur einer kennt, nämlich der, der sie repariert. Hier können sich Stalin und Ford die Hände reichen, und auf natürlichem Wege ist damit ein Kreis geschlossen: die jedem mechanischen und massengefertigten Produkt zugrundeliegende Standardisierung bestimmt und zwingt dieselbe Standardisierung auch demjenigen auf, der dieses Produkt konsumiert. Das führt zur Gleichförmigkeit der Geschmäcker, zu einer allmählichen Reduzierung auf wenige Typen, die derjenigen entgegenkommt, die sich unmittelbar im Geistesleben offenbart. Und alles in Amerika strebt diesem Ziele zu: Gleichschaltung im Rahmen eines matter offact (Tatsächlichkeit) und einer like-mindedness (Gleichgesinntheit); das sind dann auch die Losungsworte auf allen Gebieten. Wenn also die Dämme nicht im Treiben des organisierten Verbrechens und anderer wilder Formen der «Überkompensation» (wir haben schon auf die beat generation hingewiesen) brechen, wird die amerikanische Seele, die ja mit allen Mitteln von der Last eines eigenen Lebens befreit werden muß, im Fühlen und Denken auf die schon eingefahrenen, klaren und sicheren Geleise der geschäftstüchtigen Moralhelden wie Babbitt (Romanfigur von S.Lewis) gebracht und damit wieder einfach und schlicht, wie es nur ein Küchengewächs sein kann, und bleibt zudem, fest behütet von den Schutzwällen des «tierischen Ideals des Wohlbefindens» und der optimistisch-sportlichen Weltanschauung, völlig gefeit vor jeder transzendenten Versuchung.

So könnte man bei der Masse der Amerikaner sehr wohl von einer Widerlegung im großen des Descartes'schen Prinzips «Cogito, ergo sum» (ich denke, also bin ich) sprechen. Sie «denken nicht und sind trotzdem», ja nicht selten erweisen sie sich als gefährlich und in manch einem Fall übersteigt ihre Einfachheit die der Slawen bei weitem, da diese doch noch nicht völlig zu «Sowjetbürgern» umgebildet sind.

Die Gleichmacherei erstreckt sich natürlich auch auf die Geschlechter. Die sowjetische Emanzipation der Frau stimmt mit dem überein, was in Amerika die feministische Dummheit – dadurch daß sie aus der «Demokratie» alle logischen Folgerungen zog – in Verbindung mit der materialistischen und rein praxisorientierten Degradierung des Mannes schon seit langer Zeit erreicht hat. Mit den dauernden und wiederholten Scheidungen hat die Auflösung der Familie in Amerika dazu ein Tempo angenommen, wie man es eigentlich in einer Gesellschaft erwartet, die nur «Genossen» und «Genossinnen» kennt. Frauen, die darauf verzichtet haben, solche zu sein, glauben aufzusteigen, wenn sie die eine oder andere männliche Tätigkeit aufnehmen oder ausüben; Frauen, die sogar in ihrem aufreizendsten Gehabe keusch und in den gewagtesten geschlechtlichen Verirrungen banal zu sein scheinen, und solche, die im Alkohol den Weg finden, sich der verdrängten und verschobenen Energien ihrer eigenen Naturen zu entladen; Burschen und Mädchen schließlich, die auf Grund der kameradschaftlichen und sportlichen Vermischung nur noch sehr wenig von der Polarität und dem elementaren Magnetismus der Geschlechter wissen: das sind Erscheinungen rein amerikanischer Natur, auch wenn heute ihre seuchenartige Verbreitung in beinahe der gesamten Welt kaum noch deren Ursprung erkennen läßt. Wenn es im gegenwärtigen Zustand diesbezüglich noch einen nennenswerten Unterschied zur totalen Vermischung gibt, wie sie der Kommunismus anstrebt, fällt er im negativen Sinne aus: er besteht nämlich im Umstand der Frauenherrschaft, auf Grund der in Amerika und allgemein in den angelsächsischen Ländern alle Frauen und Mädchen es als völlig selbstverständlich ansehen, daß man ihnen das Recht einer Art Vorherrschaft und moralischer Unantastbarkeit zubilligt.

In den Anfängen des Bolschewismus gab es Leute, die das Ideal einer Musik auf kollektiv-lärmiger Basis formulierten, um auch diesen Bereich von den gefühlshaften, bürgerlichen Vorstellungen zu reinigen. Genau das hat Amerika im großen Stile verwirklicht und über ein äußerst bedeutungsvolles Phänomen, nämlich den Jazz, auf der gesamten Welt verbreitet. In den großen Tanzsälen der amerikanischen Städte, wo sich gleichzeitig einige hundert Paare wie epileptische und automatenhafte Puppen zu schwarzen Klängen schütteln, finden wir im wahrhaftigen Sinn einen «Massenzustand»: hier regt sich unterschwellig das Leben einer mechanistischen kollektiven Wesenheit. Wahrscheinlich gibt es wenige Phänomene, die für die allgemeine Struktur der Welt in ihrer letzten Phase so ausdrucksreich sind wie dieses. Denn für diese Struktur ist die Gemeinsamkeit eines mechanischen, seelenlosen, im wesentlichen aus Bewegung bestehenden Elements mit einem primitivistischen und unterpersönlichen Faktor kennzeichnend, der den Menschen in eine Stimmung wirrer Sinnesempfindungen hineintreibt («ein versteinerter Wald, gegen den das Chaos aufsteht» – H.Miller). Was darüber hinaus im Bolschewismus geplant war und da und dort im Rahmen «theatralischer» Darstellungen des Erwachens der proletarischen Welt realisiert wurde, um eine systematische Aufputschung der Massen zu erreichen, hat in Amerika schon seit langer Zeit in viel größerem Maßstab sein Gegenstück gefunden, und zwar wiederum in spontaner Form: wir sprechen vom hirnlosen Wahn der Sportveranstaltungen, die auf eine plebejische und materialistische Herabwürdigung des Kultes der Tat hinauslaufen; hier finden sich Erscheinungen des Einbrechens des Kollektiven und des Rückfalls in das Kollektive, die übrigens, wie bekannt, schon seit einiger Zeit auch den Ozean überquert haben.

Schon der Amerikaner Walt Whitman, Dichter und Mystiker der Demokratie, kann als Vorläufer jener «kollektiven Poesie» angesehen werden, die zum Handeln anspornt und, wie gesagt, zu den kommunistischen Idealen und Programmen gehört. Eine solche poetische Begeisterung durchdringt jedoch viele Aspekte des amerikanischen Lebens: Sport, Tätigkeitsdrang, Produktion, Dienstleistung. Wie man in der UdSSR annehmen darf, daß entsprechende Entwicklungen die primitivistischen und chaotischen Überreste der slawischen Seele auflösen werden, so ist auch in den Vereinigten Staaten zu erwarten, daß die individualistischen Reste des Geistes der Ranger, der Pioniere des Wilden Westens, sowie aller anderen, die sich noch auslassen und in Gangstertaten, Akten anarchistischen Existenzialistentums oder ähnlichen Unternehmungen einen Ausgleich suchen, zurechtgestutzt und dann vom zentralen Strom aufgesogen werden.

Wenn hier der Ort dafür wäre, würde es ein leichtes sein, mit der Aufzählung analoger Berührungspunkte fortzufahren. In jedem Fall lassen sie schon jetzt in Rußland und Amerika die zwei Seiten einer einzigen Sache erkennen, zwei Richtungen, die sich entsprechend den zwei großen Machtzentren der Welt in ihren Zerstörungen treffen. Die eine ist erst im Begriff, sich unter der eisernen Faust einer Diktatur, durch eine alles unter sich begrabende Verstaatlichung und Rationalisierung als Wirklichkeit voll zu gestalten. Die andere stellt die spontane, aus sich selbst entstandene (und deshalb noch viel erschreckendere) Entwicklung einer Menschheit dar, die das, was sie ist, freiwillig ist und so sein will, die sich gesund, frei und stark fühlt und aus sich heraus zu denselben Zielpunkten wie die erste Richtung gelangt, ohne den fast schon personifizierten Schatten des «Kollektivmenschen», der aber doch im Hintergrund steht, aufzuweisen und ohne die fanatisch-fatalistische Hingabe des kommunistischen Slawen zu haben. Aber der, der sehen kann, erblickt hinter der einen wie hinter der anderen «Kultur», hinter der einen wie hinter der anderen Großartigkeit die gleichen Vorboten der Heraufkunft der «Bestie ohne Namen».

Und trotzdem gibt es noch Menschen, die sich der Vorstellung hingeben, die amerikanische «Demokratie» sei das Gegengift gegen den sowjetischen Kommunismus und die Alternative der sogenannten «freien Welt». Allgemein erkennt man eben eine Gefahr sofort, wenn sie sich in Form eines brutalen, körperlichen, von außen kommenden Angriffs zeigt, und man erkennt sie nicht, wenn sie von innen her kommt. Europa erliegt nunmehr seit geraumer Zeit dem Einfluß Amerikas, d.h. der Verkehrung der Werte und Ideale, wie sie der nordamerikanischen Welt zugrunde liegt. Das ist auf eine Art zwangsläufigen Gegenschlag zurückzuführen. Tatsächlich stellt Amerika nämlich, wie jemand richtigerweise gesagt hat, nichts anderes als einen «extremen Westen» dar, also die bis zum Absurden weitergehende Entwicklung derjenigen Grundtendenzen, die sich die moderne westliche Kultur auserkoren hatte. Deshalb ist ein echter Widerstand auch gar nicht möglich, solange man an den Grundsätzen einer solchen Kultur und vor allem an der technischen und produktiven Scheinwelt festhält. Und bei der Ausbreitung dieses immer schneller um sich greifenden Einflusses kann es geschehen, daß beim Zusammenschnappen der Zange von Ost und West um ein Europa, das nach dem Zweiten Weltkrieg, nunmehr ohne wahre Idee, auch politisch aufgehört hat, den Rang einer sich selbst bestimmenden und herrschenden Weltmacht einzunehmen, nicht einmal das Gefühl einer Kapitulation aufkommt. Der endgültige Zusammenbruch wird damit nicht einmal mehr die Größe eines Trauerspieles aufweisen.

Die kommunistische Welt und Amerika, die beide von ihrer universalen Sendung überzeugt sind, drücken eine einzige Realität aus. Wie wir gesagt haben, wird selbst ein möglicher Konflikt zwischen ihnen, im Programm des Weltumsturzes, nur als ein letzter gewaltsamer Schritt zu gelten haben, der das bestialische Opfer von Millionen Menschenleben einschließt, auf daß die letzte Phase des Niedergangs und Machtabstiegs von der einen zur anderen der antiken Kasten bis zur tiefsten hin und bis zur Heraufkunft der kollektivisierten Gesamtmenschheit zur vollen Wirklichkeit werde. Und auch, wenn sich die von vielen im Zusammenhang mit der Verwendung der Atomwaffen befürchtete Katastrophe nicht ereignen sollte, wird, wenn das skizzierte Schicksal eintritt, diese Kultur der Titanen, der Metropolen aus Stahl, Glas und Zement, der wimmelnden Massen, der Algebra und der die Kräfte der Materie fesselnden Maschinen, der Beherrscher der Himmel und der Meere, eine Welt darstellen, die in ihrer Bahn schwankt und sich daraus zu lösen beginnen wird, um fortzutreiben und sich endgültig in jenen Räumen zu verlieren, wo es kein Licht mehr gibt außer dem unheilvollen Leuchten, das durch ihren eigenen, immer schneller werdenden Fall aufglüht.

(Aus: Julius Evola. Revolte gegen die moderne Welt)

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Über die geistigen Voraussetzungen einer europäischen Einheit

Nur wenige können ernsthaft die Tatsache bestreiten, daß bei dem allgemeinen, die gesamte europäische Gesellschaft von heute beängstigenden Gefühl von Krise und Unbehagen von den besten Geistern das Ideal einer höheren ökumenischen Kultur heraufbeschworen wird – einer Kultur, in der sich ein neues Prinzip die in ihren Kräften und Trägern zerstreuten europäischen Überlieferungen wieder zur Einheit erheben soll.

Gleichfalls ist es eine Tatsache, daß gewisse negative Kräfte, die früher nur in vereinzelten Erscheinungen und sozusagen nur im formlosen Zustand auftraten, sich heute zu organisieren beginnen. Sie werden zu Mächten im besonderen Sinne dieses Ausdrucks. In ihrem Herrschaftsanspruch und antithetischen Charakter all dem gegenüber, was uns als europäische Überlieferung gelten kann, bilden jedoch solche Kräfte eine bestimmte Drohung, die uns zu einer notwendigen Alternative aufruft. - Auch von diesem Standpunkt aus behauptet sich also die Forderung nach einer europäischen Einheit – wenigstens als Verteidigungs- und Widerstandseinheit.

In dieser Hinsicht hat Graf R. N. Coudenhove-Kalergi [Der Freimaurer Richard Nicolas Coudenhove-Kalergi (1894-1972) ist vor allem durch seine Schrift „Paneuropa“ von 1932 bekannt geworden, in der er das Wahn- und Schauerbild einer „eurasisch-negroiden Zukunftsrasse, äußerlich der altägyptischen vielleicht ähnlich“, deren Herren die Juden „Führernation der Zukunft“ und als „neue Adelsrasse von Geistes Gnaden“ sein sollten, entworfen. Anläßlich der Wahl Barack Obamas hat der NPD-Abgeordnete Jürgen Gansel in einer viel beachteten Pressemitteilung auf Coudenhove-Kalergis Schrift hingewiesen. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Gansel] in seiner Broschüre „Stalin und Co.“ in klaren Zügen auf die Gefahr hingewiesen, die das neue sowjetische Rußland für das künftige Europa bedeutet. Diese barbarische Macht strebt gegenwärtig in der Richtung der absoluten Organisierung jeder Kraft, der Rationalisierung und planmäßigen Ausbeutung seiner unermeßlichen natürlichen Möglichkeiten. Der Fünfjahresplan steht vor uns als die erste Erscheinung dieses Willens, der sich überdies zu bewußten internationalen Absichten rüstet. Wenn Rußland aber an dieser Richtung und diesem Machtwillen festhält, werden wir einen Block erleben, dem kein einzelnes europäisches Volk, nur ein vereinigtes Europa Widerstand leisten könnte.

Unseres Erachtens bleibt aber die russische Gefahr nicht die einzige, der gegenüber dem traditionsgebundenen Europa eine entscheidende Alternative auferlegt wird, bevor es zu spät ist. Der russischen entspricht im Westen die amerikanische Gefahr. Es ist wahr, daß es sich dabei noch nicht um eine unmittelbare – materielle oder politische – Gefahr handelt, obwohl schon der Einfluß der amerikanischen Finanzwelt auf die europäische Politik eine bedenkliche Tatsache darstellt. Es bleibt aber die Gefahr einer materialistischen Weltanschauung bestehen, die in demselben zerstörenden, antieuropäischen Sinne wie das bolschewistische Ferment auf uns wirken kann [Die Finanz- und Bankkrisen von 1929 und 2008, die eigentlich Wallstreet-Krisen waren bzw. sind, dokumentieren anschaulich den zerstörerischen Einfluß der US-Finanzwelt in Europa].

Rußland ist selbstverständlich nicht den Vereinigten Staaten gleichzustellen. Die beiden Völker weisen vielfach in Hinsicht der Menschen, des Temperaments, der Rasse und politischen Verfassung unverkennbare Unterschiede auf. Die eine wie die andere Kultur beweist uns die Dämonie des Kollektivums; die Anonymität der Macht; die bewußte oder instinktive Herabsetzung jedes transzendenten Interesses unter die Interessen der Gruppe und ihre stofflichen Verwirklichungen; das mechanische Ideal und den technischen Messianismus; die Gleichgültigkeit (Amerika) oder den Haß (Rußland) gegen die autonome Persönlichkeit und jede Art uninteressierter Tätigkeit – gegen alles, was uns noch als „Tat“ oder „Kontemplation“ im traditionsgebundenen Sinne galt. In diesem Zusammenhange sei darauf hingewiesen, daß die sowjetischen Ideologen, Techniker und sogar Dichter sich bewußt nach dem amerikanischen Ideal richten und ihm fast eine mystische Aureole verleihen.

Hier kann nur der eine oder andere Hinweis Platz finden. Hier können wir nicht – wie wir es anderswo getan haben – die zahlreichen Punkte hervorheben, worin die beiden Kulturen tatsächlich zusammentreffen. Sogar vom wirtschaftlichen Standpunkt aus besteht kein grundsätzlicher Gegensatz zwischen dem sowjetischen Staatstrust, wo das proletarische Kapital nie bei einzelnen verweilen darf, und dem System der stetigen Investitionen, der großen amerikanischen Produktion, wo der Kapitalist zu einer Art asketischem Werkzeug für die Vermehrung und die fortdauernde produktive Unterbringung jeden Gewinnes herabsinkt. Letzten Endes läßt sich alles auf den folgenden Unterschied zurückführen: Die Formen, welche im Sowjetismus durch eine Spannung, die in sich etwas Tragisches und Wildes bewahrt, durch eine tatsächliche Diktatur und ein Terrorsystem zur Verwirklichung streben – tauchen in Amerika bei einem Schein von Demokratie und Freiheit wieder auf, indem sich diese Formen als das spontane Ergebnis erweisen, zu welchem das bloße Produktionsinteresse, das Sichlosreißen von jedem traditionellen Element, das „tierische Ideal“ der stofflichen Welteroberung geführt hat.

Aus diesem Grunde eben birgt Amerika eine lauernde Gefahr: nicht, wie Rußland, als eine feindliche Kraft und ein sauber formulierter Gedanke. Es trägt vielmehr in sich das Samenkorn eben jener Verkehrung der Werte, jener Materialisierung und „Sozialisierung“, für die der sowjetische Mythus als äußerstes Resultat steht. Indem sich Europa sorgenlos amerikanisieren läßt, führt es in seinen Bereich das Trojanische Pferd herein; ein Prinzip, das in den Völkern jeden traditionsgebundenen Rest auflösen wird. Den äußeren, praktischen, mechanischen, sportlich amerikanisierten Lebensformen ist unvermeidlich eine neue Weltauffassung verhaftet, auf Grund deren sich Europa – fast ohne es zu merken – eben in die Richtung einstellt, wo die Gefahr des allmächtigen sowjetischen Masse-Menschen droht.

Das Symbol, welches Europa zur Einheit für die Verteidigung seines Lebens und die Bewahrung seiner alten Überlieferung anrufen kann, ist also unseres Erachtens unvollendet, wenn man Rußland nicht Amerika an die Seite stellt, wenn man im einen und im anderen nicht die beiden Klauen einer einzigen Zange erkennt, die von Osten und Westen her sich um uns zusammenzieht.

Zerstörung des Persönlichen; Aufstieg des Kollektivums; Allmächtigkeit des Mechanischen über das Organische, des Vermischten und Standardisierten über das Gegliederte; „trahison des clercs“ im großen Stil – das heißt Versklavung jeder intellektuellen und geistigen Möglichkeit zugunsten bloß materieller und „sozialer“ Verwirklichungen – dies sind für uns die Kennzeichen des von Amerika und Rußland behaupteten universalen „Ideals“ für ein neues und höheres Menschentum.

Demgegenüber sollen wir unseren universalen europäischen Gedanken verteidigen. Mit Absicht haben wir die geistige Seite der antieuropäischen Gefahr betont: eben um der Bestimmung der wahren Voraussetzungen einer neuen europäischen Einheit näherzukommen.

Heute ist man in eine solche Lage geraten, daß die materiellen und politischen Gefahren auf der ganzen Linie Besorgnis und bereitwillige Gegenaktionen hervorrufen. Die materielle, vom Grafen Coudenhove mit suggestiven Worten gezeichnete Gefahr des neuen Rußland wird daher vielleicht in einer nicht fernen Zeit die europäischen Völker zu Interessen und Prinzipien zwingen, die schließlich über die beschränkten politischen Egoismen hinausgreifen. Trotzdem bleibt für uns bestehen, daß jedwelche Einheit, die sich in der Ebene des Stofflichen verwirklicht – und zu dieser Ebene gehört für uns all das, was wirtschaftlich und „politisch“ im engeren Sinne ist – nur eine vergängliche Einheit sein kann, eine Einheit, welche in jedem Augenblick von den verschiedensten, sei es auch irrationalen Kräften, wieder in Trümmer geschlagen werden kann. Überdies: Wenn es sich um eine organische Einheit, nicht um die Einheit eines bloßen Aggregats handeln soll, so ist nicht daran zu denken, sie auf äußerlichem Wege – durch eine Reihe von internationalen Verträgen ohne das Vorhandensein eines höheren Prinzips – zu erringen. Die Einheit in einem und demselben Geist, in einer einzigen Überlieferung – dies scheint uns die Voraussetzung, von der auszugehen ist, die wahre Grundlage, auf der man organisch zu einer auch materiellen Einheit zu einem politischen „Paneuropa“ gelangen kann. Gleichfalls scheint es uns, daß der wahre Beziehungspunkt nicht ein internationaler, sondern ein bestimmt übernationaler sein muß.

Wenn man von der Notwendigkeit einer „europäischen“ Reaktion redet, so darf der entscheidende Punkt nicht übersehen werden: In wessen Namen soll Widerstand geleistet werden? Nehmen wir an, um sich gegen Rußland als Bund der sowjetischen Republiken oder gegen die Vereinigten Staaten zu behaupten. Das Symbol, welches Europa zur Einheit für die Verteidigung seines Lebens und die Bewahrung seiner alten Überlieferung anrufen kann, ist also unseres Erachtens unvollendet, wenn man Rußland nicht Amerika an die Seite stellt, wenn man im einen und im anderen nicht die beiden Klauen einer einzigen Zange erkennt, die von Osten und Westen her sich um uns zusammenzieht.

Zerstörung des Persönlichen; Aufstieg des Kollektivums; Allmächtigkeit des Mechanischen über das Organische, des Vermischten und Standardisierten über das Gegliederte; „trahison des clercs“ im großen Stil – das heißt Versklavung jeder intellektuellen und geistigen Möglichkeit zugunsten bloß materieller und „sozialer“ Verwirklichungen – dies sind für uns die Kennzeichen des von Amerika und Rußland behaupteten universalen „Ideals“ für ein neues und höheres Menschentum. Demgegenüber sollen wir unseren universalen europäischen Gedanken verteidigen. Mit Absicht haben wir die geistige Seite der antieuropäischen Gefahr betont: eben um der Bestimmung der wahren Voraussetzungen einer neuen europäischen Einheit näherzukommen.

Wie Prinz K. A. Rohan in der Betrachtung einer ähnlichen Frage richtig gesehen hat, „so nützt es wenig, wenn mehrere Regimenter auf getrennter Straße in einen Abgrund marschieren, daß sie, ohne ihre Richtung zu ändern, sich vorher zu einer Armee vereinigen; dann wird eben die geeinte Armee in den Abgrund stürzen und der Untergang derselbe bleiben“. Es wäre frivol zu glauben, daß durch Schaffung irgendeiner europäischen Einheitsform der Niedergang dieser Kultur aufgehalten werden könnte, wenn die einzelnen Völker noch nicht eine innere Erneuerung durchgeführt haben, das heißt eine gleichgerichtete Reaktion, eine geistige Integration, wodurch all das, was in ihnen zum Russischen oder Amerikanischen neigt, ausgeschieden wird. Dann wäre ein einziger Geist anwesend und tätig und die Völker würden virtuell in die Lage gebracht, sich organisch in eine höhere, über jeder Einzelheit stehende Einheit zusammenzufassen. Es kann auch geschehen, daß die Ereignisse sich überstürzen, daß irgendeine ökonomische, politische oder militärische Einheitsform sich als sofortige Hilfsmethode aufdrängt, noch ehe die ihr entsprechende geistige Gegenseite, ein europäisches Gesamtbewußtsein, vorhanden ist. Nichtsdestoweniger muß anerkannt werden: Wo das Äußere nicht durch ein Inneres organisiert wird, wo keine Seele dem eigenen Körper die Einheit, das Leben und die Form gibt – da kann es sich nur um unvollendete Erscheinungen handeln, die nicht imstande sind, sich einem echten und dauernden Bestand zu wahren.

Das Problem heißt also: In welcher Richtung sollen die einzelnen europäischen Völker jene innere Erneuerung vollziehen, welche sie einerseits vor dem endgültigen Umsturz unserer Überlieferungen beschützen und befestigen kann – anderseits zur Überwindung alles dessen führt, was sie trennt und einander entgegensetzt?

Wir glauben, eben die westliche Geschichte bietet Elemente zur Lösung einer solchen Frage. Wenn die europäische Einheit Mythus einer besseren Zukunft ist, so ist sie auch die Wirklichkeit unserer besten Vergangenheit. In der mittelalterlichen Kultur herrschte ein einziger Geist über die verschiedensten Rassen und Traditionen; thronte, als ein den beschränkten Interessen der einzelnen politischen Einheiten überlegener Beziehungspunkt, die überpolitische, einheitliche, nicht internationale, sondern eben übernationale Autorität des Heiligen Römischen Reiches. Damit liefert uns gerade die mittelalterliche Kultur das Beispiel, welches uns angesichts der Krise und des Materialismus der modernen Welt not tut. Wir beabsichtigen freilich nicht, zu unzeitgemäßen und überholten Erscheinungen zurückzukehren: In anderen, geeigneten Formen kann aber ein und derselbe Geist immer wieder erweckt werden. Dies vorausgesetzt, sind die Vorgänge, welche zerstörend vom ökumenischen mittelalterlichen Europa bis zu jenen heutigen Tagen geführt haben, am lehrreichsten: Sie deuten den Weg an, der mutatis mutandis, wenn er in der entgegengesetzten Richtung durchlaufen wird, eben den Sinn jener Integration ausdrückt, von der wir früher gesprochen haben, und welche die Voraussetzung einer neuen, wahren europäischen Einheit bildet.

Wir können hier nur auf die allgemeinste und allbekannteste Bedeutung derartiger Vorgänge hinweisen. - Die europäische Einheit ist zugrunde gegangen, als an die Stelle des überpolitischen Reichsprinzips das politische Vaterlandsprinzip trat. Durch ein solches Prinzip hindurch ist Europa vom Universalen zum Besonderen, vom Sakralen zum Blutbedingten übergegangen, um zuletzt in das bloße Kollektivum und „Soziale“ (wofür eben Amerika und Rußland als „Spitzenleistung“ gelten dürfen) zu münden. Der Übergang hängt aufs innigste mit der Zerstörung jenes hierarchischen, traditionsgebundenen Ideals zusammen, welches früher innerhalb der einzelnen Staaten vorwaltete. Wie bekannt, war der Zement der feudalen Einheiten weder der plebejische Nationsgedanke, noch das wirtschaftlich-soziales Gesetz, auch nicht die Kraft einer zentralisierten „öffentlichen Gewalt“ – sondern die Treue – fides. Aus dem Gefühle der Treue heraus anerkannte der Bauern- und Gewerbestand die Autorität des Adels und der Adel die des Fürsten. Die Treue – eine schon überzeitliche Treue – machte den Fürsten fähig, die politische Einheit, deren Führer und lebendiger Mittelpunkt er war, der ökumenischen und überpolitischen Einheit des sakralen Imperiums unterzuordnen. Die gesellschaftliche Gliederung ließ jeden Stand eine ihm entsprechende Lebensart entfalten; die Hierarchie der Stände machte den körperlich-ökonomischen Teil des Gesamtlebens zu einer getrennten Schicht, jenseits deren die Verwirklichung höherer Lebens- und Tatweisen gemäß dem heroisch-aristokratischen wie auch dem asketischen Ideal (die oft – wie es bei den großen Ritterorden der Fall war – zusammentrafen) ungehindert sich vollziehen konnte. Diese Gliederung und Hierarchie ermöglichte die Vollendung getrennter und freier Persönlichkeitsformen – gleichermaßen führte sie jenseits des bloß Materiellen und Sozialen. Bei den Eliten – das heißt bei denjenigen, welche immer zur Treue im höheren Sinne fähig waren – schuf eine derartige Rangordnung die Herrschaftsmöglichkeit für einen überpolitischen und universalen Gedanken. Wenn der Bolschewismus durch den Mund Lenins wörtlich erklärt hat, daß das größte Hindernis für die Verwirklichung des proletarischen Ideals des Massenmenschen – in der römisch-germanischen Welt besteht, so haben wir in die Bestätigung dafür, daß das oben Angedeutete uns am ehesten als fester „europäisch“-traditioneller Standpunkt und als Grundlage der inneren Integration in gegensowjetischem und gegenamerikanischem Sinne gelten dürfen.

Als das hierarchische mittelalterliche Ideal unterging; als die ständische Gliederung sich auflöste; als das Werk der nationalen Zentralisation und der Einsetzung öffentlicher Gewalten seinen Anfang nahm und die Führer von den höheren aristokratischen Funktionen zur unmittelbaren absolutistischen Einmischung in Gebiete einer schon mit Wirtschaft und Nation als Kollektivum verflochtenen Politik herabstiegen – da setzte ein Materialismus ein, durch den der Weg völlig freigelegt wurde für einen zersetzenden Partikularismus. Freilich bereiteten die Fürsten, die sich zur staatlichen Zentralisation und zur Einsetzung nationaler „öffentlicher Gewalten“ hergaben, ihren eigenen Untergang vor. Sie schufen den Organismus, in welchem durch die Revolutionen die „Nation“ als bloßes Kollektivum einen Leib gewinnen sollte. Wenn es auch paradox scheinen mag, besteht doch tatsächlich zwischen der Ideologie der „Nation“, welche sich jedem ihrer Glieder gegenüber als höchster Wert präsentiert, und dem Mythus des allmächtigen vaterlandslosen Massenmenschen nur ein Gradunterschied. Es handelt sich um zwei aufeinanderfolgende Stufen eines gegenhierarchischen und gegenaristokratischen Rückganges, wodurch in letzter Instanz der Promiskuitätszustand der primitiven Völker zu neuem Leben erweckt wird: Das „Individuum“ ist hier nichts als ein antlitzloser Teil der Gruppe. - Dies ist eben das antieuropäische Ideal – vorausgesetzt, daß in der Kultur, in der Bildung der einzelnen vollendeten Personal werten, im freien organischen Sicheinordnen derselben in eine lebendige Hierarchie das bedeutendste Ideal für unsere europäische Tradition zu suchen sei.

Wenn auch in zusammenfassender Kürze, bringen solche Betrachtungen doch Klarheit in unseren Gegenstand. Was das stärkste Hindernis gegen jedwelche wahre europäische Einheit bildet, in dem sich auch dasselbe Übel verrät, dem der Kampf gilt, ist der europäische Nationalismus eben im plebejisch-kollektiven Sinne. Im Rahmen eines solchen Nationalismus maßt sich Rasse, Ökonomie, Politik im engeren Sinne dieses Ausdrucks – also das dem Körperlichen der alten sozialen Organismen Entsprechende – den Wert des Geistes an, es verkennt die Autorität jeder dem politisch oder völkisch bedingten überlegenen Tätigkeit; es entwürdigt den Standes-, Adels-, sogar den Staatsgedanken; es zerbricht also mit einer Reihe antagonistischer Schismen und Begriffe die Einheit des Geistes und der Überlieferung. So lange sich die Geistigkeit mit Politik vermischt und Adel mit Plutokratie oder den Leitern eines bloß ökonomischen oder militärischen Organismus, so lange der Staat eben nur „Nation“ – und nicht eine der Typen- und Wertenhierarchie entsprechende Rangabstufung ist – ebenso lange, meinen wir, werden Begierden, Egoismen, Hegemonismen der verschiedenen Völker, Kampf- und Wettpläne gefräßiger Monopoltruste usw. als treibende Mächte fortbestehen. Auf dem Niveau des keinem höheren Prinzip unterworfenen Materiellen ist eine wahre Einheit nicht möglich; hier ist nur Zersplitterung und Kampf oder der Einbruch des dem letzten Zeitalter eigenen kollektiv-materiell-technischen „Ideals“ zu erwarten. Im letzten Fall würde vielleicht der Zustand einer universalen „Brüderlichkeit“ herannahen, in der aber nicht die Abschaffung des „nationalen“ Geistes mit seinen Begierden und seinem weltlichen Stolz, sondern dessen äußerste Form zu erkennen wäre. Nach Bendas Wort: Dann wird die Nation „Mensch“ und der Feind „Gott“ heißen.

Unseres Erachtens sollte sich also die Integration, welche innerhalb der einzelnen Völker zur Vorbereitung der neuen europäischen Einheit durchzuführen wäre, im aristokratischen, beziehungsweise „klassischen“ Sinne entwickeln. Auf politischem und ökonomischem Niveau müßte sich eine geistige Oberschicht lostrennen, der alles Übrige untergeordnet würde. Dadurch könnte eine gegen-zentralistische Richtung einsetzen, zur Schaffung getrennter Wege, Funktionen und Tätigkeitsformen als Grundlage qualitativ verschiedener Verwirklichungen der menschlichen Persönlichkeit.

Wir können hier nicht die verschiedenen Seiten solcher Erneuerung betrachten. In materieller Hinsicht kann vielleicht der nicht syndikalistisch, sondern im antiken, den Gilden und Zünften entsprechenden Sinne aufgefaßte Korporationsgedanke dazu wirksam beitragen. Es handelt sich dabei um die Schaffung Genossenschaften und Ständen, die den Staat von seinem materiell-ökonomischen Teil entlasten und ihm so gestatten sollen, sich zu einer höheren, ausgleichenden und anordnenden, weiterhin rein geistigen und symbolischen Funken emporzuheben. Gegen die Einbrüche eines anarchischen Individualismus und die Erniedrigung zu Krämer- und Lohnarbeiterinteressen sollen die alten Grundsätze der Treue, der Ehre und des Dienststolzes, der Freude an einer dem eigenen Wesen und Stand gemäßen Tätigkeit wieder lebendig werden, um so die Verbindung zwischen der materiellen und der immateriellen Seite jedes einzelnen Staates wieder herzustellen. Die höhere hierarchische Schicht würde eben die geeignetste Lage darstellen für die Verwirklichung eines ökumenischen europäischen Bewußtseins, das die verschiedenen Völker im Geist, ohne ihre Körper zu vermischen, von oben her einigen könnte.

In dieser letzten Hinsicht ist es nicht unnütz, wieder des Gegensatzes zu gedenken zwischen kollektivistischem und universalistischem (übernationalistischen) Gedanken. Im ersteren sind die Unterschiede abgeschafft; im letzteren sie integriert. Im Bereiche des Stofflichen bestehen sie fort – sie sind nur aufgehoben durch ihre hierarchische Unterordnung unter den geistigen Teil jedes Gliedes. Die europäische Einheit wäre also ebensowenig wie die mittelalterliche Einheit genötigt, das Vaterlands- und Rassenprinzip zu verneinen, vorausgesetzt, daß dieses Prinzip an seiner richtigen Stelle bleibe und keinen Anspruch Kräfte an sich zu ziehen, deren geeignete, gesunde Entfaltung nur auf höherem Niveau stattfinden mag. Ein Organismus ist desto vollendeter, je gegliederter er ist – aber er ist auch desto vollendeter, je mehr die voneinander verschiedenen Teile harmonisch und unmittelbar einem einzigen, freien, vom instinktmäßigen und tierischen Element unabhängigen Willen gehorchen.

Eben eine derartige Einheit sollte als Voraussetzung für die Direktiven gelten, die von der Paneuropabewegung hinsichtlich auch der materiellen Belange zur Lösung der europäischen Krise und zur Bildung eines europäischen politischen Verteidigungsblockes herangezogen werden. In einigen Fällen könnte die geistige Einheit ruhig als ein erlebter, keiner äußeren Verordnung bedürftiger Zustand herrschen. In anderen Fällen müßte die Einheit aber imstande sein, dynamisch ihre tiefe Wirklichkeit in der Kraft zu beweisen, die mit den verschiedensten Rassen und Traditionen in einem einzigen unaufhaltsamen Schwung und Willen zur Vereinigung gebracht werden können. Handelt es sich auch um einen Verteidigungs- oder um einen Eroberungszug, so sollte darin immer ein den blinden Determinismen der politischen Leidenschaften überlegener Drang von obenher wirksam sein und darin der Dienst an einem idealen und universalen Prinzip walten. In einer zeitbedingten Erscheinungsform zeigen uns die Kreuzzüge, durch die Europa zum ersten- und letzten Mal eine vereinigende, universale, freie und zugleich organische, den Grenzen des Bodens und des Blutes überlegene Tat setzte, ein derartiges Ideal.

Das Sich-wieder-erheben des Geistes und ein neues Treuegefühl vorausgesetzt, scheint es uns, daß die Art einer der europäischen Überlieferung gemäße Einheitsform im Ethos der alten nordisch-arischen Verfassung wiederzufinden ist. Wir denken dabei an jene Genossenschaften der Freien, welche in Friedenszeit wie ein Parlament von Gleichen waren, von innerhalb des eigenen Mundiums unabhängigen Grundherren; in Kriegszeiten oder bei einem gemeinsamen Ziel und solange die Unternehmung dauerte, verwandelten sich aber die Grundherren mit ihren Mannen in unbedingt treue Gefolgsleute eines einzigen Führers.

Was das politische, übernationale Verfassungsprinzip betrifft, das heute praktisch ein solches Ethos, ein solches Regime von Freiheit und Gleichheit und zugleich von „europäischer“ Hierarchie vorbereiten, verordnen und festsetzen könnte – so bildet dies ein Problem, das außerhalb des Rahmens fällt, welchen wir den vorliegenden Betrachtungen gesetzt haben.

(Veröffentlichung in: Paneuropa, 1932)

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Der Blick in die Zukunft

Diejenigen, die nunmehr durch die Augenfälligkeit der Tatsachen dazu gezwungen worden sind, das festzustellen, was sie den «Untergang des Abendlandes» genannt haben, lassen ihren Betrachtungen normalerweise die verschiedensten Appelle folgen, die Abhilfe schaffen und eine Gegenwehr hervorrufen sollen.

Wir hingegen können weder uns selbst noch die anderen belügen und wegen der Tröstungen eines billigen Optimismus von dem abrücken, was sich aus einer objektiven Betrachtung der Wirklichkeit ergibt.

Hoffnungen kann nur noch haben, wer schon vorgeprägte Standpunkte einnimmt, die bereits von dem Übel zeugen, das es zu besiegen gilt. Wer aber als Bezugspunkt den Geist und die Formen gewählt hat, die jede wahre, traditionale Kultur kennzeichnen, wußte auch zu den Ursprüngen zurückzukehren und alle Phasen der allgemeinen Abwärtsbewegung mitzuverfolgen. Damit weiß er auch, welch gigantisches Werk vonnöten wäre, nicht nur, um zu einer normalen Ordnung zurückzukehren, sondern auch, um ihr nur näherzukommen. Für ihn kann also der Blick in die Zukunft nicht derselbe sein wie für die anderen.

Wer uns bis hierher gefolgt ist, sieht, daß die Veränderungen und Geschehnisse, durch die das Abendland zum heutigen Punkt gelangt ist, nicht willkürlich und zufällig sind, sondern daß sie einem genauen Ursachenzusammenhang unterliegen. Unser Standpunkt ist nicht deterministischer Natur. Wir glauben also nicht, daß darin ein anderes Schicksal wirkt als dasjenige, das sich die Menschen selbst geschaffen haben. Der Fluß der Geschichte folgt dem Flußbett, das er sich selbst gegraben hat. Aber glauben, daß man den Strom noch in seiner Richtung umlenken kann, nachdem er schon reißend und allumfassend geworden ist und knapp vor der Mündung steht, ist etwas, was sicherlich nicht leichtfallen kann. Wer aber eine Schicksalsbestimmung beim Prozeß des Niedergangs leugnet, kann auch keine Schicksalsbestimmung im entgegengesetzten Sinn annehmen, d.h., es muß unbestimmt bleiben, ob nach dem Ende eines Zyklus, in einer gewissen Kontinuität gegenüber den vorangegangenen, wiederum eine neue aufsteigende Phase ihren Anfang nimmt.

In jedem Falle könnte das Abendland nur gerettet werden, wenn es in einem neuen, einheitlichen europäischen Bewußtsein zum traditionalen Geist zurückkehrte. Was könnte aber heutzutage wirklich als Grundlage für eine solche Rückkehr dienen?

Wir sagten: In einem einheitlichen europäischen Bewußtsein. Hier liegt das wahre Problem. Es würde sich für das Abendland um eine Rückkehr zur Tradition im großen, universalen, einstimmigen, alle Licht- und Lebensformen umfassenden Sinn handeln müssen, also um Tradition im Sinne eines einheitlichen Geistes und einer einheitlichen Ordnung, die souverän über jeden Menschen, über jede Menschengruppe und in jedem Lebensbereich herrschen. Es geht nicht um Tradition im aristokratischen und verborgenen Sinn als ein von wenigen, eben von einer Elite, hinter den Kulissen der Geschichte bewahrtes Gut. In diesem verborgenen Sinn hat es die Tradition immer gegeben, und sie wird auch sicher nicht wegen irgendeines Zufalls im Schicksal der Menschen verlorengehen. Aber das Vorhandensein einer Tradition in diesem Sinne hat den Untergang der abendländischen Kultur nicht verhindert. Mit Recht ist gesagt worden, daß eine Elite eine Blutader ist, eine kostbare Ader vielleicht, aber doch immer nur eine Ader: es braucht noch andere Adern, und sie müssen alle in einem Punkt zusammenlaufen, wenn auch nur die zentrale, die am wenigsten sichtbare, da in der Tiefe verborgen, königlich herrscht. Wo es keine passende Umwelt gibt, gibt es auch keinen Widerhall: Wenn die inneren und äußeren Bedingungen fehlen, durch die alle menschlichen Tätigkeiten wieder einen Sinn erhielten, durch die alle Menschen alles vom Leben verlangen könnten und in deren Rahmen sie dieses Leben, indem sie es auf die Höhe eines Ritus und einer Opfergabe heben, um eine mehr als bloß menschliche Mittelachse ordnen könnten, bleibt jede Anstrengung wirkungslos, gibt es keinen Samen, der Früchte tragen könnte, und die Tatkraft einer Elite wird gelähmt.

Aber eben solche Vorbedingungen sind heute nicht vorhanden. Der Mensch hat heute, wie nie zuvor, jede Kontaktmöglichkeit mit der metaphysischen Wirklichkeit, mit dem, was vor ihm, und dem, was hinter ihm besteht, verloren. Es geht nicht um Glaubensbekenntnisse, um Philosophien und persönliche Stellungnahmen: das alles zählt nicht, das alles würde nichts bedeuten; würde das genügen, wäre die Sache im Grunde genommen einfach. Wie wir schon zu Beginn sagten, besteht im modernen Menschen ein Materialismus, der durch das Erbe von Jahrhunderten nunmehr beinahe zu einer inneren Struktur, zu einem tragenden Gerüst seines Wesens geworden ist. Er würgt, ohne daß es dem äußeren Bewußtsein bemerkbar wird, jede Möglichkeit ab, verkehrt jede Absicht, lähmt jeden Schwung und verdammt jede, auch in die richtige Richtung gehende Bemühung dazu, eine fruchtlose, unorganische «Konstruktion» zu werden. Dazu kommen die Art und die Gesamtheit der täglichen Lebensbedingungen, auf die in der heutigen Zivilisation beinahe keiner unserer Mitmenschen mehr verzichten kann; die herrschende Erziehungsmethode; alles, was man bewußt oder unbewußt an Suggestionen und Einflüssen von der Umwelt und der kollektiven Psyche aufnimmt; die Idole, die Vorurteile, die Formen des Urteilens und Fühlens, der falschen Erkenntnis und des falschen Tuns, die in den Seelen verwurzelt sind – das alles zieht die Kette sogar noch fester zusammen. Eine alles umfassende Reinigung, eine nichts verschonende, totale Entblößung wäre notwendig, um uns von den Verklebungen des letzten Menschen, von seinem «Ich», von seinem Stolz, von seinen Werken, von seinen Hoffnungen und seinen Ängsten zu befreien. Soweit hat es der «Fortschritt» gebracht, daß dies die Vorbedingung dafür ist, daß wiederum ein transzendenter Bezugspunkt anerkannt werden könnte und wieder eine fides im absoluten, traditionalen Sinne zu erstehen vermöchte, wodurch allen Dingen und im besonderen dem Menschen ein neuer Sinngehalt gegeben und alles, was entweiht und herabgewürdigt worden war, in neuer Reinheit erfaßt und freigelöst würde. Aber wenn ein derartiges inneres Befreiungswerk heute schon für Einzelmenschen schwer vorstellbar ist, wie kann man es dann für die große Masse erwarten? Wenn so etwas nicht einmal im Möglichkeitsbereich derjenigen steht, die weiterhin mit den Fetischen der Wissenschaft und Kunst, der Geschichte, des Glaubens und der Philosophie spielen, wie könnte es dann für die Massen möglich sein, die von der Dämonie des Kollektiven gefangengenommen, von der Allgewalt der wirtschaftlichen und technischen Scheinwelten überwältigt, von Handlungswut getrieben und von politischen Leidenschaften voll sind und von dem, was sonst noch auf ein ahrimanisches Machtideal und auf ein betrügerisches leeres Wohlleben hinarbeitet?

Andererseits scheint dem Abendland in jeder Beziehung die höhere Idee zu fehlen, die Grundlage sein könnte, wenn schon nicht für die Verwirklichung des traditionalen Geistes, so doch wenigstens für eine Annäherung an ihn.

Unter denjenigen, die am deutlichsten die Krise der modernen Welt anzuklagen verstanden, gibt es auch manche, die an die Möglichkeiten des Katholizismus glauben. In der Meinung, daß, wenn das Abendland je eine traditionsgemäße Ordnung hatte, diese Ordnung auf die Kirche zurückzuführen gewesen sei, kamen sie zum Schluß, daß die Rückkehr Europas zu einem traditional wiederhergestellten Katholizismus auch der Weg zu einem Wiederaufbau des Abendlandes sein könnte. Aber auch das ist eine Täuschung.

Vor allen Dingen, wie soll man hoffen, daß der Katholizismus genau in der heutigen Zeit jene universale wiederherstellende Bekehrungskraft aufbringt, die ihm, im Grunde genommen, bei unendlich viel günstigeren materiellen, moralischen und geistigen Umständen bezeugtermaßen gefehlt hat? Sollte er gerade heute dazu fähig sein, jenen Körper wieder in den Griff zu bekommen, der ihm vor Jahrhunderten entglitten war und nunmehr ein eigenes Leben und einen eigenen Geist aufweist, und den die weltliche Wissenschaft und die laizistische Kultur in jeder Lebensphase entweiht haben? Mag diese Kultur auch der Form nach noch dem christlichen Glauben angehören, so bedeutet das nichts mehr Wesentliches und Bestimmendes im tatsächlichen Leben der einzelnen Menschen und Völker.

Nicht um Kompromisse und Anpassungen geht es. Das Spiel mit den Kompromissen und Anpassungen hat schon zu lange gedauert und nichts gegen den Untergang des Abendlandes vermocht. Entweder wird die Religion einheitlich, absolut und offenbart wieder die gegenwärtige und tatkräftige Macht des Transzendenten, oder sie ist nichts. Auch hier geht es nicht um eventuelle Randwiederherstellungen in der Person des einen oder anderen Ausnahme-Katholiken. Nur im Rahmen eines Gesamtblockes an Strenggläubigkeit vielleicht, der aber von einem ganz anderen Geist beseelt sein müßte, könnte der Katholizismus trotz seiner Ungewissen Natur einen Bezugspunkt für viele zerstreute und aufgesplitterte Kräfte darstellen. Scheint es möglich, daß der Katholizismus gerade jetzt den parteiischen und im Grunde genommen antitraditionalen Ausschließlichkeitsanspruch seiner Lehre überwindet und sich zu einem höheren, metaphysischen und esoterischen Standpunkt emporschwingt, der ihn von seinen Beschränkungen befreit? Ist im Gegenteil nicht deutlich erkennbar, daß die Kirche sich heute auf jede nur erdenkliche Weise mit dem modernen Gedankengut zu versöhnen trachtet und selbst das asketische und kontemplative Element in ihr immer mehr gegenüber dem moralistischen und sozialen ins Hintertreffen gerät? Daß die Kirche im politischen Bereich schon seit geraumer Zeit von der Hand in den Mund lebt, einmal mit dem, dann mit einem anderen System liebäugelt, ängstlich darum bemüht, sich ja nicht in einer einheitlichen und unbeugsamen Richtung festzulegen, und nur darauf bedacht ist, sich zu «modernisieren» und sich durch alle Schwierigkeiten hindurchzuwinden, so daß sie als letztes sogar mit dem Marxismus einen «Dialog» einging?

Geistig gesehen, kann eine Tradition, die nur noch ein Gefüge von Glauben und seminaristischer Theologie und von in ihrem tiefsten Sinne unverstandenen Symbolen und Riten ist, niemals in allesumfassender und lebensspendender Weise wirken. Dazu kommt die Frage, inwieweit der katholische Klerus überhaupt noch einige der Züge aufweist, die eine Körperschaft auszeichnen, die tatsächlich von einer Kraft von oben erfüllt ist. Praktisch gesehen wäre außerdem noch im Bereich des europäischen Christentums die protestantische und orthodoxe Spaltung zu überbrücken, was utopistisch erscheint, wenn man in strengster Weise zum ursprünglichen Ausgangspunkt zurückkehren wollte. Und eine eventuelle Verteidigungsgemeinschaft der christlichen Kirchen gegen die sich im Aufmarsch befindlichen Kräfte der Antireligion kann, abgesehen von den unvermeidlichen Unionszwistigkeiten, sicher nicht mit einem Wiederinkrafttreten einer universalen Idee gleichgesetzt werden. Auch das Machtproblem darf nicht vernachlässigt werden, wenn man die allgemeinen Gegebenheiten der letzten Zeit bedenkt; ein Machtblock – wirtschaftlicher, militärischer und industrieller Art – müßte zur Verfügung stehen, der denen, die vom Osten und vom Westen um die Weltherrschaft streiten, die Stirn bieten könnte, so daß auch materiell ein Damm und ein Schutzwall geschaffen wären.

Weiterhin kann die Vorstellung, daß dem Katholizismus zu verdanken sei, was das Abendland an Tradition aufwies, nicht ohne deutliche Vorbehalte akzeptiert werden. Der vielfältig zusammengesetzte Charakter des Katholizismus darf keinesfalls dabei vergessen werden. Wir haben schon gesehen, daß, wenn er sich als Kraft der Ordnung und Hierarchie offenbarte und dem europäischen Menschen eine Stütze war, vor allem Einflüsse der römischgermanischen Welt am Werke waren, daß hingegen dort, wo der eigentlich christliche Bestandteil die Oberhand gewann, er im Abendland eher in einem antitraditionalen als in einem traditionalen Sinne wirkte. Der lunar-priesterliche Geist, sein eigenartiger Dualismus und die verschiedenen Anschauungen hebräischen Ursprungs, die zu wesentlichen Bestandteilen des christlichen Geistes wurden, bildeten im Katholizismus eine Art Sperre, die es unmöglich machte, dem Körper Europas eine ihm gemäße Spiritualität zu geben, die also an das hätte anlehnen können, was wir das Licht des Nordens nannten. Nicht nur das: Der Katholizismus hat auch dazu geführt, daß sich die realsten Kräfte, eben weil sie den Weg nach oben versperrt fanden, im materiellen Bereich entluden, so daß sich nur darin die für die abendländische Seele charakteristischsten Werte verwirklichen konnten. Es ist bekannt, daß die Neuvergötterung des Menschen und des Lebens seit der Renaissance eben im Rahmen einer Reaktion gegen den Katholizismus begann: eine deutliche Verirrung, die aber in hohem Maße von den zuvor bezeichneten Umständen veranlaßt wurde.

Im gesamten kann man deshalb ohne weiteres sagen, daß, wer heute glaubt, ein Mann der Tradition zu sein und sich dabei einfach nur auf den Katholizismus beruft, auf halbem Wege stehengeblieben ist und die ersten Glieder der Ursachenkette und vor allem die Welt der Ursprünge und der absoluten Werte nicht versteht. Im abendländischen, männlich ausgerichteten Materialismus und im Vorhandensein einer Geistigkeit, die, wie die christliche, mit nicht-abendländischen, «südlichen» Elementen untrennbar verbunden und dazu noch ohne jegliche höhere, metaphysische und esoterische Dimension ist, wie sie jedes vollständige traditionale System ihr eigen nennt, muß man zwei gegensätzliche, aber doch zusammengehörende Aspekte einer einheitlichen Gesamtsituation sehen.

Ein solcher Dualismus im inneren Gefüge muß von vornherein jeden Versuch eines traditionalen Wiederaufbaus zum Scheitern verurteilen und in eine falsche Richtung ablenken.

In der heutigen Kultur liegen die Dinge so, daß jedes große Erwecken jener Geistigkeit der Urzeiten, die den Hemmfaktor durchbrechen, die Spaltung überwinden und die in der dunklen und barbarischen Welt der modernen Größe gefangenen Aktionskräfte mit sich reißen und auf einer lichtvollen Ebene zur Freiheit bringen könnte, mit Sicherheit problematisch verliefe und vielleicht noch schlechter ausginge als zur Zeit der Renaissance. Im modernen Menschen besteht nun einmal eine viel zu starke Neigung, Begriffe wie Männlichkeit, Persönlichkeit, Tat und Selbstbestimmung im nur materialistischen und menschlichen Sinne aufzufassen, so daß jede Lehre, die auf dem ursprünglichen Empfinden und Recht gegründet wäre, wie sie bei transzendenten und traditionalen Bezugspunkten bestanden, sofort in den heute üblichen, niedrigen Bereich herabgezogen würde und, statt das Profane in das Sakrale zu wandeln, das Sakrale ins Profane verkehren müßte. Wer könnte denn heute, spricht man vom Recht des souveränen Staates gegenüber der Kirche, etwas anderes darunter verstehen als die plebejischen und materialistischen Forderungen der weltlichen Macht gegen die geistige Autorität und die widerrechtlichen Totalansprüche, wie sie für die neuen «Superstaaten» und die nationalistische und kollektivistische Mystik typisch sind? Würde man heute wirklich, spricht man von der Überpersönlichkeit, an viel anderes denken, als an den «Übermenschen» des schlimmsten Nietzsche? Würde man heute sagen, daß die «Kultur der Aktion» als Möglichkeit genauso hoch einzustufen sei, wie die «Kultur der Kontemplation», würden dann vielleicht nicht alle sofort deren Triumph in der heutigen Zeit erblicken, die ihre Überlegenheit gegenüber allen vergangenen Epochen mit jener mechanischen, technologischen und militärischen Eroberung der Welt unwiderleglich beweisen könnte, die der europäische Mensch eben mit seinem Kultus der Aktion in weniger als einem Jahrhundert vollendet hat? Und verliefe nicht selbst die in jüngster Zeit erfolgte Beschwörung von Mythen – vor allem der römischen und nordisch-germanischen –, der Ideen der Rasse, des Ariertums usw. nicht in äußerstem Maße fragwürdig und im Rahmen von politischen Umstürzen, die in Europa den letzten Zusammenbruch beschleunigt haben?

So muß man feststellen, daß der Weg doppelt versperrt ist. Das Gefängnis des abendländischen Menschen gehört zu den furchterregendsten, weil es zu denen gehört, die keine Mauern haben. Es ist nicht leicht, sich wieder zu erheben, wenn man überhaupt keinen Punkt finden kann, der festbleibt, wenn man sich auf ihn stützen will, um Schwung zu nehmen. Mit der immer stärkeren Untergrabung des tatsächlichen Einflusses von Christentum und Katholizismus verliert das Abendland die letzten Bezugspunkte zu einer nicht eigenständigen Geistigkeit; aber andererseits ist es in seinen eigenständigen Formen ebenfalls nicht Geist und scheint auch unfähig, sich einen Geist zu schaffen.

Damit muß man wohl annehmen, daß sich das Schicksal unweigerlich erfüllen wird. Wir haben schon gesagt: es ist nicht wahrscheinlich, daß, nachdem die vorletzte Stufe schon erreicht ist und wir an der Schwelle zum allumfassenden Sieg der Wahrheit und Macht der letzten der antiken Kasten stehen, sich nicht auch das noch erfüllen wird, was noch fehlt, um den Tiefstpunkt des «Dunklen» oder «Eisernen Zeitalters» zu erreichen, das von den traditionalen Lehren vorangekündigt worden war und dessen allgemeine Wesensmerkmale in bedeutendem Ausmaß denjenigen der heutigen Kultur entsprechen.

Wie die Menschen, haben auch die Kulturen ihren Zyklus, d.h. einen Anfang, ein Entwicklungsstadium und ein Ende. Je mehr sie jetzt im Zufälligen wurzeln, um so unabwendbarer erfüllt sich dieses Gesetz. Wer hingegen in dem begründet ist, was über der Zeit steht, was durch nichts verändert zu werden vermag und was als ewige Gegenwärtigkeit bestehen bleibt, läßt sich natürlich von alledem nicht beeindrucken. Auch wenn sie völlig untergehen sollte, ist die moderne Kultur nicht die erste, die erloschen ist, und auch nicht diejenige, nach der es weitere nicht mehr geben könnte. Im Bereich des Zeit- und Raumbedingten erlöschen hier Lichter, um anderswo wieder neu entzündet zu werden. Zyklen enden, und Zyklen beginnen. Wie erwähnt, war die Lehre von den Zyklen dem traditionalen Menschen wohlbekannt, und nur die Torheit der modernen Menschheit ließ sie einen Augenblick lang glauben, daß ihre Kultur, die mehr als jede andere auf dem losen Sand des Zeitlichen und Zufälligen gebaut war, ein anderes und bevorzugtes Schicksal haben könnte.

Wer indessen über eine wirklichkeitsgetreue Gesamtschau verfügt, sieht die zentrale Frage viel eher im Ausmaß, in dem zwischen der sterbenden und der möglicherweise neu erstehenden Welt noch ein geschlossener Zusammenhang bestehen wird; also dessen, was von der einen Welt in der anderen noch wird fortdauern können. Die vorherrschende Auffassung der antiken traditionalen Lehre besagt, daß es in Wirklichkeit zu einer Art Bruch kommen wird, der dann den einen vom anderen Zyklus trennt. Nicht zu einem allmählichen Sich-Wiederfassen und Sich-Wiederaufrichten würde es kommen, sondern zu einem völlig neuen Anfang, zu einer plötzlichen, sprunghaften Änderung, die einem Impuls aus dem göttlichen und metaphysischen Bereich unterstünde. Genauso erwächst auch ein alter Baum nicht selbst zu neuem Leben, sondern stirbt ab, und das, was möglicherweise seinem Samen entsprießt, ist ein neuer Baum. Das läßt klar erkennen, daß die Zusammenhänge zwischen dem einen und dem anderen Zyklus nur relativ sein werden und keinesfalls die Massen und die großen Strukturen einer Kultur betreffen können. Sie beschränken sich nur auf lebensnotwendige Bestandteile, wie das eben auch bei einem Samen gegenüber der Pflanze der Fall ist.

Zu den vielen Illusionen, die es zu bekämpfen gilt, gehört auch die Illusion derjenigen, die sich bemühen, eine den Auflösungsprozessen übergeordnete Logik zu entdecken, und die glauben, daß die antike Welt in der einen oder anderen Weise untergehen mußte, um einer neuen Welt Raum zu schaffen, der wir nun trotz allem näherkommen. Wir haben schon dargelegt, welches die einzige Welt ist, der wir heute näherkommen: ganz einfach diejenige, die in extremer Gestalt das sammeln und zusammenfassen wird, was die Zerstörungsphase auslöste und vorantrieb. Und das kann für nichts Grundlage sein, ja nicht einmal eine Art Grundstoff liefern, worin, wenn auch in veränderter Form, wiederum traditionale Werte in Erscheinung treten könnten, denn für solche Werte stellt es nur die körpergewordene, organisierte Verneinung dar. Für die moderne Zivilisation im Sinne der Masse kann es keine positive Zukunft geben. Diejenigen, die an ein Ziel und an eine Zukunft glauben, die irgendwie das rechtfertigen, was der Mensch in sich und außer seiner selbst zerstört hat, unterliegen einem bloßen Wahngebilde.

Die Möglichkeiten, die in der Letztzeit noch offen stehen, betreffen nur eine Minderheit und können wie folgt unterschieden werden:

Am Rande der großen Weltströmungen gibt es noch Menschen, die in den «unbeweglichen Landen» verankert sind. Es handelt sich in der Regel um Unbekannte, die sich aus den Nichtigkeiten der Berühmtheit und der modernen Zivilisation heraushalten. Sie verteidigen die Gipfellinien und gehören nicht dieser Welt an. Wenn sie auch in der Welt verstreut leben und häufig nichts voneinander wissen, sind sie doch unsichtbar vereint und bilden eine unzerreißbare Kette im Geist der Tradition. Dieser innerste Kern handelt nicht: er hat nur die Aufgabe, der die Symbolik des «ewigen Feuers» entspricht. Dank ihm ist die Tradition trotz allem gegenwärtig, brennt die Flamme unsichtbar, und etwas verbindet diese Welt immer mit der Überwelt. Sie sind die «Wachenden», die έγρήγοροι.

In immer größerer Zahl finden sich Menschen, die, wenn sie auch nicht wissen, in wessen Namen, doch ein unklares, aber trotzdem wirkliches Verlangen nach Befreiung verspüren. Solchen Menschen den Weg zu weisen, ihnen vor den spirituellen Gefahren der jetzigen Welt Schutz zu bieten, sie zur Erkenntnis der Wahrheit zu führen und ihren Willen absolut werden zu lassen, damit einige von ihnen zur Schlachtordnung der «Wachenden» stoßen können, das ist noch das beste, was uns zu tun bleibt. Aber auch hier handelt es sich um etwas, was nur eine Minderheit berührt, und man soll sich nicht einbilden, daß auf diesem Weg eine erkennbare Änderung des Gesamtschicksals eintreten könnte. In jedem Fall ist das die einzige Rechtfertigung für eine greifbare Tätigkeit, die für einige Menschen der Tradition in der modernen Welt noch auszuüben bleibt, in einer Umgebung, mit der sie nichts mehr verbindet. Einer solchen wegweisenden Tätigkeit gereicht es zum Vorteil, daß solche «Zeugen» bestehen und daß die traditionalen Werte immer wieder aufgezeigt werden, und zwar um so deutlicher und härter, je mehr die gegenläufige Strömung an Kraft gewinnt. Auch wenn diese Werte heute nicht verwirklicht werden können, sind sie doch mehr als nur einfache «Ideen». Sie sind Maßstäbe. Sollte einmal auch die grundlegende Möglichkeit, Maß zu nehmen, völlig verloren gehen, dann würde sich tatsächlich die letzte Nacht auf die Erde senken. Lassen wir doch diesbezüglich die Menschen unserer Zeit mit größerer oder kleinerer Selbstgefälligkeit und Zudringlichkeit von Anachronismus und fehlendem Geschichtsbewußtsein reden. Wir wissen ja, daß dies nur Alibis für ihre Niederlage sind. Lassen wir sie doch bei ihren «Wahrheiten», und achten wir auf eine einzige Sache: daß wir in einer Welt der Ruinen aufrecht stehen bleiben. Wenn auch heute eine Tätigkeit in Richtung eines allgemein wirksamen Wiederaufbaues, wie wir sagten, nur äußerst geringe Erfolgsaussichten hat, so bleibt der vorhin erwähnten Menschengruppe doch immer die innere Verteidigung. In einem alten Text der Askese steht geschrieben, daß, wenn zu Anfang der Zeit das Gesetz von oben verwirklicht werden konnte und diejenigen, die danach kamen, wenigstens noch die Hälfte von dem ausrichten konnten, was schon gemacht worden war, so wird am Ende der Zeiten kaum mehr etwas an Werken getan werden können, aber für die Menschen dieses Zeitraumes wird die große Versuchung erstehen, und wenn sie in diesen Zeiten dann Widerstand leisten, werden sie größer sein als die Menschen, die seinerzeit viele Werke vollbrachten. Die Werte der Wahrheit, der Wirklichkeit und der Tradition denjenigen Menschen deutlich erkennbar machen, die «das alles» nicht wollen und unklar nach dem «anderen» suchen, heißt zu helfen, daß die große Versuchung nicht bei allen siegt, wenn auch schon die Materie stärker zu sein scheint als der Geist.

Am Schluß wollen wir eine dritte Möglichkeit ins Auge fassen. Für manche kann der Weg der Beschleunigung der beste Weg sein, um der Lösung näherzukommen, denn in gewisser Hinsicht kommen viele Gegenmaßnahmen den Verkrampfungen gleich, die nur den Todeskampf verlängern helfen und dadurch, daß sie das Ende hinausschieben, auch den Neubeginn verzögern. Man müßte, in einer ganz besonderen inneren Ausrichtung die am stärksten zerstörerischen Prozesse der modernen Zeit in sich aufnehmen, um sie für eine Befreiung zu verwenden – so, als ob man das Gift veranlaßte, sich gegen sich selbst zu richten, oder so, als ob man «den Tiger reiten» wollte.

Als wir den Verfallsprozeß des abendländischen Menschen untersuchten, erkannten wir, daß der Irrealismus seinen bedeutsamsten Aspekt darstellt. An einem bestimmten Punkt seiner Geschichte weiß also der Mensch nichts mehr von der Geistigkeit als Realität.

Sogar sich selbst erlebt er nur noch im Sinne eines Denkens und Erwägens, also eines Psychologismus. Das Denken und Erwägen schaffen ihm dann eine Welt von Wunderbildern, Scheingebilden und Idolen, die er an die Stelle der spirituellen Wirklichkeit setzt: das ist der humanistische Mythos der Kultur, die Höhle der Schatten. Gemeinsam mit der abstrakten Welt des Denkens entsteht die romantische der «Seele». Die verschiedensten Schöpfungen der Sentimentalität, des Glaubens, des individualistischen und humanitären Pathos, der rein auf Sinneswahrnehmung beruhenden Erkenntnis, des theatralischen Heldentums, der Demut und der Revolte treten damit in Erscheinung. Aber wir haben gesehen, daß auch diese irrealistische Welt nunmehr ihrem Ende entgegengeht, daß tiefere, elementare Kräfte sich anschicken, die Mythen des romantischen und individualistischen Menschen unter sich zu begraben und eine Welt herbeizuführen, in der die Wirklichkeit über jedweden Idealismus und Sentimentalismus herrscht und der «humanistische Seelenkult» überwunden ist. Wir haben die Strömungen aufgezeigt, die in der Zerstörung des «Ich» und in der Befreiung des Menschen vom «Geist» die Voraussetzungen für eine neue, alles umfassende Kultur sehen.

Nun, im Rahmen des eben erwähnten Weges muß man feststellen, inwieweit man aus derartigen zerstörerischen Umwälzungen Vorteile ziehen kann; inwieweit, dank einer inneren Unerschütterlichkeit und einer Ausrichtung nach dem Transzendenten hin, das Nicht-Menschliche der modernen realistischen und handlungsbesessenen Welt, statt ins Untermenschliche zu führen, wie es zum Großteil in der Letztzeit geschieht, Erfahrungen eines höheren Lebens und einer größeren Freiheit begünstigen kann.

Das ist alles, was man einer bestimmten Schicht von Menschen im Hinblick auf die Vollendung der Zeiten sagen kann: einer Schicht, die selbst wiederum nur eine Minderheit darstellen kann. Auch diesen gefährlichen Weg kann man versuchen. Er ist eine Prüfung. Und damit er vollständig und entschieden beschritten wird, sage man nur: die Brücken sind abgebrochen, es gibt keinen Halt und keine «Rückkehr» mehr, es bleibt nur ein Weg: Der nach vorwärts. Man muß schon eine heroische Berufung in sich tragen, wenn man dort gegen die Welle stürmt, wo sie am meisten Wirbel zeigt, wohl wissend, daß nur zwei Schicksale offenbleiben, die beide gleich weit entfernt sind: das der Menschen, die mit der Auflösung der modernen Welt enden werden, und das derjenigen, die sich in der zentralen und königlichen Linie des neuen Stromes wiederfinden werden.

Angesichts der Schau des Eisernen Zeitalters rief Hesiod aus: «Wäre ich doch nie geboren worden!» Aber Hesiod war im Grunde genommen nur ein pelasgischer Geist, dem eine höhere Berufung unbekannt war. Für andere Naturen hat eine andere Wahrheit Gültigkeit, es gilt die auch im Osten bekannte, eben erwähnte Lehre, daß, mag auch das letzte Zeitalter, das kali-yuga, ein Zeitalter schrecklicher Zerstörungen sein, dafür diejenigen, die in ihm leben und trotz allem aufrecht bleiben, Früchte erlangen können, die für Menschen anderer Zeitalter kaum erreichbar waren.

Anhang

Über das «Dunkle Zeitalter»

Im Hinblick auf das, was wir über die Gegenwartsnähe des in den antiken Traditionen sogenannten «Dunklen Zeitalters» – kali-yuga – gesagt haben, ist es sicherlich von Interesse, einige typische Merkmale aufzuführen, die vom Vishnu-puräna für diese Zeit vorhergesagt worden sind. Wir werden dabei nur den Originaltext der Terminologie der Jetztzeit anpassen:

«Sklavengeschlechter, Kastenlose und Barbaren werden zu Herren der Ufer des Indus, des Därvika, des Candrabhägä und des Käshmir werden ... Die Führer (dieses Zeitalters), die (dann) als gewaltsame Herren über die Erde herrschen, ... werden sich der Güter ihrer Untertanen bemächtigen. Da sie ohne echte Macht sind, werden die meisten rasch aufsteigen und ebenso rasch wieder abstürzen. Kurz wird ihr Leben sein, unersättlich ihre Begierden, und gnadenlos werden sie selbst sein. Die Völker der anderen Länder werden sich mit ihnen vermischen und ihrem Beispiel folgen.»

«Die vorherrschende Kaste wird die der Knechte sein.» «Die Besitzenden (vaigya, die Händler) werden Ackerbau und Handel aufgeben und davon leben, daß sie zu Knechten werden oder mechanische Berufe ausüben (Proletarisierung und Industrialisierung).»

«Die Führer werden, statt ihre Untertanen zu beschützen, sie ausrauben und unter dem Vorwand von Steuern der Händlerkaste das Eigentum plündern. (Krise des Kapitalismus und des Privateigentums; Vergesellschaftung, Verstaatlichung und Kommunismus)»

«Die (innere) Gesundheit und das Gesetz (das der eigenen Natur entspricht: svadharma) werden von Tag zu Tag mehr geschmälert werden, bis die Welt vollkommen verdorben sein wird. Nur das Vermögen (die Anzahl der Dollars, die wirtschaftlichen Klassen) wird den Rang bestimmen. Die (körperliche) Gesundheit wird der einzige Beweggrund für Hingabe sein, die Lust das einzige Bindeglied zwischen den Geschlechtern, die Falschheit der einzige Erfolgsweg im Wettstreit.» «Die Erde wird nur wegen ihrer mineralischen Schätze als wertvoll erachtet (die übermäßige Ausbeutung des Bodens, Untergang einer sakralen Auffassung der Erde).» «Die priesterlichen Gewänder werden an die Stelle der priesterlichen Werte treten.» «Schwäche wird der einzige Grund für eine Abhängigkeit sein (Feigheit, Untergang der fides und der Ehre in den modernen politischen Formen).» «Eine einfache Waschung (ohne die Kraft des wahren Ritus) wird schon Reinigung und Läuterung bedeuten (beinhaltet heute der Anspruch der Sakramente, Heil zu bringen, wirklich noch anderes?)».

«Das Volk wird unfähig sein, göttliche Wesen zu gebären.»

«Von Ungläubigen irregeführt, werden die Menschen fragen: Welche Autorität besitzen die traditionalen Texte? Wer sind diese Götter, was ist das geistige Übermenschentum (brähmana)?» «Die Achtung vor den Kasten, vor der Ordnung und den (traditionalen) Einrichtungen wird im Dunklen Zeitalter verschwinden.» «Die Ehen in diesem Zeitalter werden aufhören, ein Ritus zu sein, und die Gesetze, die einen Schüler an einen geistigen Meister binden, werden keine Kraft mehr haben. Man wird glauben, daß jedermann auf jedem Weg den Zustand des Wiedergeborenen wird erreichen können (die Demokratie auf die Ebene der Spiritualität angewendet); die Glaubenshandlungen, die noch ausgeübt werden können, zeigen keine Ergebnisse mehr (das bezieht sich auf eine «vermenschlichte» und konformistische Religion, vgl. S.362).» «Die Lebensweise wird für alle unterschiedslos die gleiche sein.» «Wer am meisten Geld verteilt, wird die Menschen beherrschen, und die Herkunft der Familie wird keinen Vorrang mehr bedeuten (Ende des traditionalen Adels, Bürgertum und Herrschaft der Reichen).» «Die Menschen werden ihr gesamtes Interesse der Erlangung – auch auf unehrlichem Wege – von Reichtum zuwenden.» «Jede Art von Mensch wird sich einbilden, einem brähmana gleich zu sein (Selbstgerechtigkeit und Selbstüberschätzung der Intellektuellen und der modernen Kultur).» «Das Volk wird mehr als je zuvor Angst vor dem Tode haben und die Armut fürchten: nur deshalb wird es (dem Schein nach) den Himmel belassen (die religiösen Überreste bei den modernen Massen).»

«Die Frauen werden den Ehemännern und den Eltern nicht gehorchen. Sie werden eigensüchtig, verworfen, unbeständig und lügnerisch sein, und wenn sie sich an Männer binden, werden diese Frauenhelden sein.» «Sie werden zu einfachen Objekten sexueller Befriedigung werden.»

«Die Gottlosigkeit wird bei den von Irrlehren verführten Menschen den Sieg davontragen, und die Dauer ihres Lebens wird folglich kürzer sein.» [Diese letzte Prophezeiung scheint in Widerspruch zu den uns bekannten Tatsachen zu stehen, sofern man unter einem längeren Leben nicht das Leben versteht, das durch die Verbindung mit dem über der Zeit stehenden Sein gegeben wird, und es nicht deutlich von der «Konstruktion» unterscheidet, die mit den Mitteln der profanen Wissenschaft und der modernen Hygiene erreicht wird und die damit ohne inneren Sinn ist und eine echte Parodie auf das wahre Leben darstellt.]

Trotzdem weist das Vishnu-puräna auch auf Elemente des Ur- oder «Manu»-Geschlechtes hin, das selbst im Dunklen Zeitalter hier unten verblieben ist, um Same für neue Geschlechter zu sein: und es erscheint auch die bekannte Vorstellung einer neuen und letzten Offenbarung von oben.

«Wenn die von den traditionalen Texten gelehrten Riten und die Einrichtungen des Gesetzes zu bestehen aufhören werden und das Ende des Dunklen Zeitalters nahe ist, dann wird ein Teil des göttlichen Wesens, das aus seinem eigenen spirituellen Sein heraus besteht, gemäß der Eigenschaft des Brahman, das Anfang und Ende ist, zur Erde niedersteigen ... es wird die Gerechtigkeit auf Erden wiederherstellen: und die Geisteskräfte derer, die am Ende des Dunklen Zeitalters leben, werden erwachen und kristallene Klarsicht besitzen. Die so durch diese besondere Zeit gewandelten Menschen werden gleichsam der Same für (neue) Menschenwesen sein und ein Geschlecht gebären, das die Gesetze des Urzeitalters (krta-yuga) befolgen wird.»

Im selben Text und an gleicher Stelle heißt es, daß das Geschlecht, in dem dieses göttliche Prinzip «geboren» werden soll, ein Geschlecht von Shambala sein wird; aber Shambala – wir haben das schon früher gesehen – führt zur Metaphysik des «Zentrums» und des «Poles» zurück, zum hyperboräischen Mysterium und zu den Kräften der Urtradition.

(Aus: Julius Evola. Revolte gegen die moderne Welt. Schlußwort)

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Amerikanische "Zivilisation"

Der jüngst verstorbene John Dewey wurde von der amerikanischen Presse als repräsentativste Gestalt der amerikanischen Zivilisation gefeiert. Das ist allerdings richtig. Seine Theorien sind vollkommen repräsentativ für die Vision vom Menschen und vom Leben, die dem Amerikanismus und seiner "Demokratie" zugrunde liegt. Die Essenz dieser Theorien ist: jeder kann werden was er will, in den Grenzen der technologischen Mittel, die ihm zur Verfügung stehen. Genauso ist eine Person nicht von ihrer wirklichen Natur her bestimmt und gibt es keine wirklichen Unterschiede zwischen Menschen, nur unterschiedliche Qualifikationen. Nach dieser Theorie kann jeder der werden, der er sein will, wenn er nur weiß, wie er sich ausbilden soll. Das ist offensichtlich der Fall beim "self-made man"; in einer Gesellschaft, die jeden Sinn für Tradition verloren hat, wird die Idee des persönlichen Aufstiegs sich auf jeden Aspekt des menschlichen Lebens erstrecken und damit die gleichmacherische Lehre der reinen Demokratie verstärken. Wenn die Grundlage dieser Ideen akzeptiert wird, dann muß jede natürliche Verschiedenheit abgeschafft werden. Jede Person kann vorgeben, das Potential jedes anderen zu besitzen und die Begriffe "überlegen" und "unterlegen" verlieren ihren Sinn, jede Haltung von Distanz und Respekt ihre Bedeutung; alle Lebensstile stehen jedem offen. Allen organischen Konzeptionen vom Leben stellen Amerikaner eine mechanistische Konzeption entgegen. In einer Gesellschaft, die "ohne Vorgabe gestartet" ist, hat alles die Charakteristik, fabriziert zu sein. In der amerikanischen Gesellschaft ist das öffentliche Auftreten kein Gesicht, sondern eine Maske. Zur gleichen Zeit erweisen sich die Vertreter des American way of life als feindselig gegenüber der Persönlichkeit. Die "Unvoreingenommenheit" (Open-Mindness), die manchmal den Amerikanern zu Gute gehalten wird, ist die andere Seite ihrer inneren Formlosigkeit. Dasselbe gilt für ihren "Individualismus". Individualismus und Persönlichkeit sind nicht das gleiche: der eine gehört zur formlosen Welt der Quantität, die andere zur Welt der Qualität und Hierarchie. Die Amerikaner sind die lebende Widerlegung von Descartes Axiom "Ich denke, also bin ich": Amerikaner denken nicht, und dennoch sind sie. Der amerikanische "Geist", kindisch und primitiv, entbehrt charakteristischer Form und ist daher offen für jede Art von Standardisierung. In einer überlegenen Gesellschaft, wie zum Beispiel der der Indo-Arier, ist jene Existenz, die ohne eine charakteristische Form oder Kaste (in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes) ist, nicht einmal ein Diener oder Shudra, sondern erscheint als Pariah. In diesem Sinn ist Amerika eine Gesellschaft von Pariahs. Es gibt eine Rolle für Pariahs: unterworfen zu werden von denen, die eine genau bestimmte Form und innere Gesetze haben. Statt dessen versuchen die modernen Pariahs selber zu herrschen und ihre Herrschaft über die ganze Welt auszuüben. Es gibt ein populäres Vorurteil über die Vereinigten Staaten, nämlich daß sie eine "junge Nation" seien und eine "große Zukunft vor sich haben". Demnach werden die amerikanischen Defekte dann als "Fehler von Kindern" oder "Wachstumsschwierigkeiten" beschrieben. Es ist nicht schwer zu sehen, daß der Mythos des "Fortschritts" eine große Rolle in dieser Beurteilung spielt. Gemäß der Vorstellung, daß alles neue auch gut ist, hat Amerika eine privilegierte Rolle unter den zivilisierten Staaten gespielt. Im Ersten Weltkrieg intervenierten die Vereinigten Staaten in der Rolle der "zivilisierten Welt" schlechthin. Die am "meisten entwickelte" Nation hatte nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, in die Schicksale anderer Völker einzugreifen. Der Aufbau der Geschichte ist allerdings zyklisch und nicht linear. Weit entfernt davon, daß die jüngsten Zivilisation notwendigerweise "überlegen" sein müßten, können sie in der Tat senil und dekadent sein. Es gibt eine notwendige Übereinstimmung zwischen den fortgeschrittensten Stufen eines historischen Zyklus und den primitivsten. Amerika ist das Endstadium des modernen Europa. René Guénon nannte die Vereinigten Staaten "den Fernen Westen" in dem neuen Sinne, daß die Vereinigten Staaten die reductio ad absurdum der negativen und senilsten Bereiche der westlichen Zivilisation darstellen. Was in Europa in verdünnter Form vorkommt, wird in den Vereinigten Staaten vergrößert und konzentriert, wobei sich dies als Symptom der Auflösung und der kulturellen und menschlichen Rückbildung erweist. Die amerikanische Mentalität kann nur als ein Beispiel von Rückbildung interpretiert werden, die sich in der geistigen Verkümmerung gegenüber allen höheren Interessen und der Unverständnis für höhere Sensibilität zeigt. Der amerikanische Geist hat beschränkte Horizonte, eingeschränkt auf alles, was unmittelbar und einfach ist, mit der unausweichlichen Konsequenz, daß alles banalisiert, vereinfacht und herabgesetzt wird, bis es jeden geistigen und seelischen Lebens beraubt ist. Leben selbst ist in amerikanischen Begriffen vollkommen mechanistisch. Die Bedeutung des Wortes "Ich" beschränkt sich in Amerika völlig auf die physische Ebene der Existenz. Der typische Amerikaner kennt weder geistige Dilemmas oder Komplikationen: er ist ein "natürlicher" Konformist. Der primitive amerikanische Geist kann nur oberflächlich mit einem jungen Geist verglichen werden. Der amerikanische Geist ist der Grundzug einer regressiven Gesellschaft, wie ich sie zuvor beschrieben habe.

Amerikanische Moral

Der viel gerühmte "Sex Appeal" amerikanischer Frauen entspringt Filmen und Pin-Ups und ist im großen und ganzen fiktiv. Eine medizinische Untersuchung in den Vereinigten Staaten zeigte, daß 75 Prozent der jungen amerikanischen Frauen keine starken sexuellen Gefühle haben und, anstatt ihre Libido zu befriedigen, ihr Vergnügen narzisstisch in Exhibitionismus, Eitelkeit und einem sterilen Fitness- und Gesundheitskult suchen. Amerikanische Mädchen kennen keinen Aufschub bei Sex, sie sind bequeme Ziele für den Mann, der den ganzen Sexualprozeß als isoliertes und damit uninteressantes und sachliches Geschehen ansieht. Daher, nachdem sie ins Kino oder zum Tanz geführt wurde, ist es etwas wie ein Zeichen von guten Manieren, daß das Mädchen sich küssen läßt – das heißt gar nichts. Amerikanische Mädchen sind charakteristischerweise frigid und materialistisch. Der Mann, der mit dem amerikanischen Mädchen "umgeht", steht unter einer materiellen Verpflichtung für sie. Die Frau hat einen materiellen Vorteil erreicht. In Scheidungsfällen favorisiert das amerikanische Gesetz in einem überwältigenden Ausmaß die Frau. Amerikanische Frauen werden daher zur Scheidung bereit sein, wenn sie ein besseres Geschäft sehen. Es ist in Amerika häufig der Fall, daß eine Frau einen Mann heiratet und bereits in einer Verbindung mit einem zukünftigen Ehemann "engagiert" ist, den sie nach einer profitablen Scheidung zu heiraten beabsichtigt.

"Unsere" amerikanischen Medien

In Europa ist die Amerikanisierung weitverbreitet und offensichtlich. In Italien ist es in diesen Nachkriegsjahren ein rasch wachsendes Phänomen und es wird von den meisten Menschen, wenn schon nicht enthusiastisch, so doch als etwas natürliches angesehen. Vor einiger Zeit schrieb ich, daß von den beiden großen Gefahren, denen sich Europa gegenüber sieht Amerikanismus und Kommunismus – die erste heimtückischer ist. Kommunismus kann keine andere Gefahr als eine brutale und katastrophale Form einer direkten Machtergreifung durch Kommunisten sein. Auf der anderen Seite gewinnt die Amerikanisierung an Boden durch stufenweise Infiltration, durch die Veränderungen von Mentalitäten und Gebräuchen, die als solche nicht bedrohlich erscheinen, an deren Ende jedoch eine grundsätzliche Pervertierung und Erniedrigung steht, gegen die es unmöglich ist, anders zu kämpfen als gegen sich selbst. Es ist genau dieser Punkt der inneren Opposition in der die meisten Italiener schwach zu sein scheinen. Ihr eigenes kulturelles Erbe vergessend wenden sie sich bereitwillig zu den Vereinigten Staaten als gleichsam die elterlichen Führer der Welt. Wer modern sein will muß sich selbst dem amerikanischen Standard anpassen. Es ist beschämend, ein europäisches Land sich selbst so herabwürdigen zu sehen. Die Verehrung für Amerika hat nichts mit einem kultivierten Interesse an der Lebensweise anderer Völker zu tun. Im Gegenteil führt einem die Unterwürfigkeit gegenüber den Vereinigten Staaten zu dem Gedanken, daß es keine andere lebenswerte Weise als die amerikanische mehr gibt. Unser Radio ist amerikanisiert. Ohne jedem Bewertungskriterium folgt es einfach den augenblicklichen Modevorgaben und vermarktet, was "angenommen" wird – angenommen, und zwar vom am meisten amerikanisierten Teil der Öffentlichkeit, was gleichbedeutend mit dem verkommensten Teil ist. Der Rest von uns wird einfach mitgeschleift. Sogar der Stil der Präsentation im Radio wurde amerikanisiert. "Wer kann, nachdem er amerikanisches Radio gehört hat, einen Schauder unterdrücken, wenn er bedenkt, daß die einzige Möglichkeit dem Kommunismus zu entkommen, amerikanisiert zu werden ist?" Dies sind nicht die Wörter eines Außenseiters, sondern eines amerikanischen Soziologen, James Burnham, Professor an der Universität Princeton. Dieses Urteil eines Amerikaners sollte italienische Radiogestalter vor Scham erröten lassen. Die Konsequenz der "mach deine eigene Sache"-Demokratie ist die Vergiftung des größeren Teils der Bevölkerung, die nicht in der Lage ist zu unterscheiden, die, wenn sie nicht von einer Macht und einem Ideal geführt wird, all zu leicht jedes Gefühl für ihre eigene Identität verliert.

Die industrielle Ordnung in Amerika

In seiner klassischen Studie über den Kapitalismus hat Werner Sombart für die spätkapitalistische Epoche in das Merkwort gefaßt: Fiat producto, pareat homo. In seiner extremen Form ist der Kapitalismus ein System, in dem der Wert eines Menschen ausschließlich in Begriffen der Warenproduktion und der Entwicklung von Produktionsmitteln bewertet wird. Die sozialistischen Doktrinen entstanden als Reaktion auf den Mangel an menschlicher Überlegung in diesem System. Eine neue Phase begann in den Vereinigten Staaten, wo es ein Anwachsen an Interesse für sogenannte Arbeitsbeziehungen gab. Auf den ersten Blick erscheint dies als Anzeichen einer Verbesserung – in Wirklichkeit ist das ein verderbliches Phänomen. Die Unternehmer und Arbeitgeber haben die Bedeutung des "menschlichen Faktors" in einer produktiven Wirtschaft erkannt und daß es ein Fehler ist, das Individuum in der Arbeitswelt zu mißachten: seine Motive, seine Gefühle, seinen Arbeitstag. Daraus erwuchs eine ganze Schule der Untersuchung menschlicher Beziehungen in der Arbeitswelt, aufbauend auf Behaviorismus. Studien wie "Human Relations in Industry" von B. Gardner und G. Moore lieferten eine Detailanalyse des Verhaltens von Arbeitnehmern und ihrer Motivation mit dem genauen Ziel, alle Faktoren auszuschalten, die eine Maximierung der Produktion behindern können. Einige Studien kommen sicher aus dem Management, unterstützt von Spezialisten von verschiedenen Akademien. Die soziologischen Untersuchungen gehen so weit, daß sie auch das soziale Umfeld des Angestellten untersuchen. Diese Art von Studie hat ein praktisches Ziel: die Erhaltung der psychologischen Zufriedenheit ist so wichtig wie die der physischen. In Fällen, in denen ein Arbeiter an eine monotone Arbeit gekettet ist, die keine große Konzentration erfordert, weist die Studie auf die "Gefahr" hin, daß sein Bewußtsein geneigt sein wird, in einer Weise zu wandern, die sich auf seine Einstellung zum Job negativ auswirken könnte. Das Privatleben der Angestellten wird nicht vergessen – daher das Anwachsen der sogenannten persönlichen Beratung. Spezialisten werden gerufen, um Angst, psychologische Störungen und Anpassungsschwierigkeiten zu vertreiben, bis hin zum Punkt der Beratung in den persönlichsten Dingen. Eine offen psychoanalytische und oft angewandte Technik besteht darin, das Subjekt "frei sprechen" zu lassen, und die durch diese "Katharsis" erlangten Resultate hervortreten zu lassen. Nichts von all dem beschäftigt sich in diesem "Zeitalter der Ökonomie" mit der spirituellgeistigen Verbesserung der Menschen oder dem, was Europäer unter wirklichen menschlichen Problemen verstehen würden. Auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs wird der Mensch wie ein Arbeitstier behandelt und sein Gehorsam wird durch Terror und Hunger erzwungen. In den Vereinigten Staaten wird der Mensch genauso nur als Arbeitsfaktor und Konsument und jeder Bereich seiner Existenz nur daraufhin gesehen, und daher jeder Aspekt seines inneren Lebens verleugnet. Im "Land der Freien" wird durch alle Medien dem Menschen gesagt, er hätte einen Grad von Glück ("Happiness") erreicht, von dem er bisher nicht träumen konnte. Er vergißt, wer er ist, woher er kam und sonnt sich in der Gegenwart.

Amerikanische "Demokratie" in der Industrie

Es gibt eine bezeichnende und wachsende Diskrepanz wischen den Shibboleths der herrschenden politischen Ideologie in den USA und den tatsächlichen ökonomischen Strukturen der Nation. Ein großer Teil der Studien über diesen Gegenstand wird von der "Firmenmorphologie" gespielt. Studien erhärten den Eindruck, daß die amerikanische Geschäftswelt weit von der Organisationsform entfernt ist, wie sie dem demokratischen Ideal der U.S. Propaganda entsprechen würde. Amerikanische Firmen haben eine Pyramidenstruktur. Sie bilden an der Spitze eine ausgesprochene Hierarchie. Die großen Firmen werden auf die gleiche Weise geführt wie Regierungsministerien und sind ähnlich organisiert. Sie haben Koordinations- und Kontrollorgane, die die Geschäftsführer von der Masse der Angestellten trennen. Anstatt flexibler in einem sozialen Sinn zu werden, wird die "Managerelite" (Burnham) mehr und mehr autokratisch – etwas, das nicht ohne Bezug zur amerikanischen Außenpolitik ist. Damit endet eine weitere amerikanische Illusion. Amerika als "Land der Möglichkeiten", in dem alles möglich ist, für eine Person, die die Gelegenheit ergreift, ein Land, in dem jeder von Armut zu Reichtum aufsteigen kann. Zuerst gab es eine "offene Grenze", die von allen überschritten werden konnte. Die hat sich geschlossen und die neue "offene Grenze" war der Himmel, das unbegrenzte Potential von Industrie und Handel. Wie Gardner, Moore und viele andere gezeigt haben, verringern sich die Möglichkeiten ständig. Die ständig wachsende Arbeitsspezialisierung im Produktionsprozeß und die steigende Bedeutung von "Qualifikationen" macht das, was früher für Amerikaner selbstverständlich schien, gar nicht mehr so selbstverständlich: daß ihre Kinder "weiter kommen" würden als sie selbst. Die sogenannte politische Demokratie der Vereinigten Staaten, die Macht und Gewalt im Land, das ist die Industrie und die Ökonomie, werden offensichtlich immer undemokratischer. Das Problem lautet nun: soll die Realität an die Ideologie angepaßt werden oder umgekehrt? Bis vor kurzem gab es die überwältigende Forderung nach ersterem: der Ruf nach dem "wirklichen Amerika", dem ungezügelten Unternehmertum und dem von der Zentralregierung freiem Individuum. Doch es gibt auch jene, die es vorziehen würden, die Demokratie zu begrenzen um die politische Theorie der wirtschaftlichen Realität anzupassen. Wenn die Maske der amerikanischen "Demokratie" dabei entfernt würde, würde es offenbar werden, in welchem Ausmaß die "Demokratie" in Amerika (und anderswo) nur das Instrument einer Oligarchie, eine Methode der "indirekten Aktion" bildet, die die Möglichkeiten eines Mißbrauchs und der Irreführung durch jene ermöglicht, die ein hierarchisches System akzeptieren, weil sie es für gerechtfertigt halten. Dieses Dilemma der "Demokratie" in den Vereinigten Staaten wird vielleicht eines Tages den Weg für interessante Entwicklungen freigeben.

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Das Mißverständnis des neuen Heidentums

Es ist vielleicht angebracht, die Mißverständnisse aufzuzeigen, die einigen radikalen Kreisen im Augenblick unterlaufen sind, wo sie es im Sinne eines Neuheidentums zu lösen glaubten. Dieses Mißverständnis zeigt sich bereits in dem Gebrauch von Bezeichnungen wie "heidnisch" und "Heidentum". Wir selbst, die seinerseits diese Ausdrücke als Losungsworte in einem 1928 in Italien und 1934 in Deutschland erschienen Buch gebrauchten, haben es aufrichtig zu bedauern.

Bei einigen alten lateinischen Schriftstellern, wie z.B. bei Livius, kommt zwar das Wort "Heide", paganus, ohne besonders negative Färbung vor. Das hindert jedoch nicht, daß in dem mit dem Aufkommen des neuen Glaubens geläufig gewordenen Wortsinn paganus – heidnisch – ein hauptsächlich herabsetzender Ausdruck ist, der polemisch von der frühchristlichen Apologetik gebraucht wurde; er stammt von pagus, Dorf, Flecken, womit paganus sich auf eine Denkungsart eines Landbewohners , eines unkultivierten, primitiven und abergläubischen Menschen bezieht. Zur Durchsetzung und Verherrlichung des neuen Glaubens hat diese Apologetik sich der schlechten Gewohnheit bedient, andere herabzusetzen, um sich selbst zu erhöhen. So traf sie eine bewußte und oft systematische Herabsetzung und Entstellung fast aller früheren Überlieferungen, Lehren und Kulte, die sie unter der allgemeinen und geringschätzigen Bezeichnung paganesimus – Heidentum – zusammenfaßte. Zu diesem Zweck hat sie selbstverständlich mit Vorbedacht in den vorchristlichen Kulten und Traditionen die Aspekte hervorgehoben, die keinen normalen, ursprünglichen Charakter hatten, sondern offenbar in Verfall begriffene Formen waren. Ein solches polemisches Vorgehen führte überdies insbesondere dazu, allem, was dem Christentum vorangegangen und einfach nichtchristlich war, einen verbindlichen antichristlichen Charakter zu unterstellen. So soll man bedenken, daß es ein "Heidentum" gibt, welches im Wesen ein tendenziös "konstruierter" Begriff ist; es entspricht kaum der geschichtlichen Wirklichkeit, nämlich dem, was in allen ihren "normalen" Erscheinungsformen die vorchristliche Welt immer war, abgesehen von einigen dekadenten Seiten oder von Aspekten, die von degenerierten Überresten älterer Kulturen herrührten.

Wer sich einmal darüber klar ist, kommt heute zu folgender paradoxer Feststellung: ausgerechnet dieses nie dagewesene, von der christlichen Apologetik erdachte Heidentum gilt heute einigen "heidnisch" bestimmten Kreisen als Ausgangspunkt und droht somit heute erstmalig in der Geschichte Wirklichkeit zu werden. Nicht mehr und nicht weniger.

Welche sind nun die Hauptzüge der heidnischen Lebensauffassung, wie sie von der Apologetik vermutet und verbreitet wurden? Vor allem das Naturverhaftetsein. Der heidnischen Lebensauffassung sei jede Transzendenz völlig unbekannt. Sie sei in einer Vermischung von Geist und Natur, in einer zweideutigen Einheit von Körper und Seele steckengeblieben. Ihre Religion erschöpfe sich in einer abergläubischen Vergötterung von Naturerscheinungen oder der zu ebenso vielen Götzen erhobenen Stammeskräfte. Daraus erstände in erster Linie ein boden- und blutbedingter Partikularismus. Ferner die Abwesenheit der Werte von Persönlichkeit und Freiheit, ein Unschuldszustand, der lediglich der von Naturmenschen sei, die noch zu keiner wirklichen übernatürlichen Berufung erwacht sind. Außer dieser Unschuld bliebe nur die Zügellosigkeit, die "Sünde", die Sinnenfreude. Auf anderen Gebieten entweder Aberglauben oder rein "profane", stoffliche und fatalistische Kultur. Erst mit dem Christentum sei – abgesehen von gewissen, für unwesentlich gehaltenen Vorwegnahmen – zum erstenmal die Welt der übernatürlichen Freiheit, nämlich der Gnade und der Persönlichkeit im Gegensatz zum "heidnischen" Schicksalsglauben und Naturbefangensein zum Durchbruch gekommen, ein "katholisches" – d.h. etymologisch universelles – Ideal, ein gesunder Dualismus, der die Unterordnung der Natur unter ein höheres Gesetz von oben und den Sieg des "Geistes" über das Gesetz des Fleisches, des Blutes und der falschen Götter ermöglicht.

Dies sind die Hauptzüge der vorherrschenden Auffassung vom Heidentum, d.h. von allem, was nicht spezifisch christliche Weltanschauung bedeuten soll. Was sie an Unrichtigem und Einseitigem darlegt, leuchtet jedem ein, der sich eine – sei es nur elementare – direkte Kenntnis auf dem Gebiet der Kultur- und Religionsgeschichte zu eigen gemacht hat. Übrigens finden sich schon in der Frühpatristik oft Zeichen höheren Verständnisses für die Symbole, Lehren und Kulte der vorangegangenen Kulturen. Hier sei nur einiges hervorgehoben.

Vor allem war die vorchristliche Welt in allen ihren normalen Formen nicht durch die abergläubische Vergötterung der Natur, sondern durch eine symbolische Auffassung dieser gekennzeichnet, kraft derer – wie wir oft hervorgehoben haben – jede Erscheinung und jede Handlung als die sinnliche Offenbarung einer übersinnlichen Welt erschien: die "heidnische" Welt- und Menschenauffassung hatte wesentlich symbolisch-sakrale Züge.

Des weiteren war die "heidnische" Lebensart durchaus nicht die einer albernen "Unschuld" oder einer naturhaften Zügellosigkeit, es sei denn in einigen Formen offensichtlicher Entartung. Sie kannte schon einen gesunden Dualismus, der sich auch in allgemeinen religiösen oder metaphysischen Auffassungen widerspiegelt. Es sei hier die schon angedeutete und allen bekannte dualistisch-kämpferische Religion der Arier des alten Irans, der hellenische Gegensatz zwischen den "beiden Naturen", zwischen "Welt" und "Überwelt" oder der nordische zwischen dem Geschlecht der Asen und den Elementarwesen und schließlich der indoarische Gegensatz zwischen samsâra, dem "Strom der Formen", und mûkthi, "Befreiung" und "Vollendung" erwähnt.

Auf dieser Grundlage war das Streben nach einer übernatürlichen Freiheit, d.h. nach der metaphysischen Vollendung der Persönlichkeit allen großen vorchristlichen Kulturen gemeinsam, die auch alle Mysterienwesen und "Initiationen" kannten. Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß die "Mysterien" oft die Wiedereroberung des "Urzustandes", der Geistigkeit der sonnenhaften, hyperboreischen Rassen auf Grund einer Überlieferung und eines Wissens bedeuteten, die durch das Geheimnis und die Ausschließlichkeit vor den Verunreinigungen einer schon verdorbenen Umwelt behütet wurden. Man hat ferner gesehen, daß im Morgenlande bereits das Arische sich mit einer durch die Initiation bewirkten "zweiten Geburt" verknüpfte.

Was nun die naturhafte Unschuld als "heidnischer" Kult des Leibes anbetrifft, so ist sie ein Märchen und nicht einmal bei den Wilden feststellbar, da bei diesen, trotz der schon angedeuteten inneren Undifferenziertheit der "naturverhafteten" Rassen, das Leben durch zahllose Tabus oft strenger gehemmt und gebändigt ist als je durch die Moral der sogenannten positiven Religionen. Und was für eine oberflächliche Betrachtung den Prototyp einer solchen "Unschuld" verkörpern würde, nämlich das klassische Ideal, war gar nicht der Kult des Körpers, lag nicht diesseits, sondern jenseits des Dualismus zwischen Körper und Geist. Wie schon angeführt, ist das Klassische das Ideal eines so weit beherrschenden Geistes, daß er unter gewissen günstigen geschichtlichen Bedingungen Körper und Seele zu seinem Abbild gestaltete und damit eine vollkommene Übereinstimmung zwischen Innerem und Äußerem bewirkte. Schließlich ist ein überpartikularistisches Bestreben überall in der "heidnischen" Welt festzustellen, wo in der aufsteigenden Phase der Rassen nordischen Ursprungs eine Berufung zum Imperium zum Durchbruch kam. Eine solche Berufung wurde oft auch metaphysisch gesteigert und gerechtfertigt und erschien als natürliche Folge der Erweiterung des alten sakralen Staatsgedankens und als die Form, in welcher sich die sieghafte Gegenwärtigkeit der "Überwelt" und des väterlichen-olympischen Prinzips in der Welt des Werdens zu offenbaren suchte. In dieser Hinsicht könnten wir an die alte iranische Auffassung des Reiches und des "Königs der Könige" mit der entsprechenden Lehre des hvarenô (des von den arischen Herrschern getragenen "himmlischen Ruhmes"), an die indoarische Überlieferung des "Weltkönigs" oder cakravartî usw. erinnern, bis zum Widerschein solcher Bedeutungsgehalte, wie sie in den "olympischen" Voraussetzungen des altrömischen Staats- und Reichsgedankens vorhanden waren. Auch das altrömische Reich hatte nämlich einen sakralen Gehalt, der systematisch nicht nur vom Christentum, sondern auch von der "positiven" Geschichtsschreibung verkannt oder gering geschätzt wurde. Sogar der Kaiserkult hatte den Sinn der hierarchischen und einenden Spitze eines Pantheons, d.h. einer Reihe einzelner boden- und blutbedingter Kulte der nichtrömischen Völker, Kulte, die ohne weiters geachtet wurden, wo immer sie sich innerhalb ihrer normalen Grenzen hielten. Was letztlich die "heidnische" Einheit der beiden Gewalten, der geistigen und der weltlichen, anbetrifft, so war sie weit davon entfernt, deren Vermengung zu bedeuten, die drückte das höchste Recht aus, das nach Auffassung einer "sonnenhaften" Rasse der geistigen Autorität im Mittelpunkt jedes normalen Staates zukommen muß: also etwas ganz anderes als Emanzipation und "Oberhoheit" eines nur säkularen Staates. Wollten wir ähnliche Berichtigungen im Sinne einer reinen Sachlichkeit treffen, so bliebe nur die Qual der Auswahl.

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Hitler und die Geheimgesellschaften

Es ist bemerkenswert, daß in Frankreich einige Autoren die Beziehungen des deutschen Nationalsozialismus zu Geheimgesellschaften und initiatischen Organisationen untersucht haben. Anlaß hierfür waren die vermuteten okkulten Hintergründe der Hitlerbewegung. Dies findet sich in dem bekannten, sehr weit ausholenden Buch von Pauwels und Bergier "Le Matin des Magiciens" (dt.: Aufbruch ins dritte Jahrtausend), das als erstes diese These verbreitet hat. In diesem Buch wurde der Nationalsozialismus als "magischer Gedanke" im Verein mit technischer Wissenschaft definiert, so daß dafür die Formel "Panzerdivisionen plus René Guénon" aufgestellt wurde. Eine Formel, die wohl zur Folge gehabt haben wird, daß sich dieser hervorragende Vertreter des traditionalen Denkens und der esoterischen Disziplinen aus Entrüstung im Grab umgedreht hat.

Hier ergibt sich schon ein erstes Mißverständnis: das magische Element wird mit dem mythischen verwechselt, obwohl beide miteinander nichts zu tun haben. Unwiderlegbar ist die Rolle der Mythen im Nationalsozialismus, wie z.B. der Reichsgedanke, der charismatische Führer, die Rasse, das Blut usw.; aber dafür sollte man statt "Mythos" Sorels Begriff von der "bewegenden Kraftidee" – was im allgemeinen alle von Demagogen gebrauchten Suggestivideen sind – benutzen, jedoch ohne jede magische Komponente. So wird vernünftigerweise bei den vom Faschismus benutzten Mythen – wie z.B. denen von Rom oder vom Duce – niemand an Magie denken; ebensowenig bei denen der Französischen Revolution und des Kommunismus.

Anders verliefe die Untersuchung, wenn man von den nicht nur menschlichen Einflüssen ausgingen, denen bestimmte Bewegungen, ohne sich dessen bewußt zu sein, unterworfen waren. Doch bei den französischen Autoren geht es nicht darum. Man denkt nicht an Einflüsse dieser Art, sondern an solche konkreter Natur, ausgeübt durch tatsächlich bestehende Organisationen, darunter auch solche, die in verschiedenen Abstufungen "geheim" sind. So hat man auch von "unbekannten Oberen" gesprochen, welche die nationalsozialistische Bewegung hervorgerufen und sich Hitler als eines Mediums bedient hätten. Es ist nicht klar, zu welchem Zweck sie dies hätten tun sollen. Wenn man von den Ergebnissen, von den katastrophalen Folgen ausgeht, die der Nationalsozialismus – wenn auch indirekt – gezeitigt hat, müßte man an obskure und destruktive Ziele denken; man müßte für diese Bewegung die "okkulte Seite" als das bezeichnen, was Guénon die "Gegen-Initiation" genannt hat. Doch die französischen Autoren haben auch die These aufgestellt, daß das "Medium" Hitler sich zu einem bestimmten Zeitpunkt von den "Unbekannten Oberen" emanzipiert habe, fast wie ein Golem, und dann habe die Bewegung eine fatale Richtung eingeschlagen. In diesem Fall aber müßte man sagen, daß diese "geheimen Oberen" keine Vorsehungskraft und nur sehr beschränkte Macht gehabt hätten, um ihrem angeblichen Medium Hitler nicht Einhalt gebieten zu können. Auf konkreter Ebene wurde viel über den Ursprung der Themen und Symbole des Nationalsozialismus phantasiert, und man bezog sich auch auf Vorläuferorganisationen, denen aber nur unter Schwierigkeiten ein echter und tatsächlicher initiatischer Charakter zugewiesen werden konnte. Zweifellose wurde die germanische Rassenlehre, das Symbol des Hakenkreuzes und der arische Antisemitismus nicht von Hitler erfunden. Dies alles bestand seit langem in Deutschland. Ein Buch mit dem Titel "Der Mann, der Hitler die Ideen gab" berichtet über Jörg Lanz von Liebenfels (den Adelstitel legte er sich selbst zu), der früher Zisterziensermönch gewesen war und einen Orden, welcher bereits das Hakenkreuz verwendete, gegründet hatte, und der ab 1905 die Zeitschrift "Ostara" herausgab, die Hitler sicherlich kannte, in der die arischen und antisemitischen Rassenthesen schon deutlich herausgearbeitet sind.

Doch viel erheblicher für den "okkulten Hintergrund" des Nationalsozialismus ist die Rolle der Thule-Gesellschaft. Hier liegen die Dinge komplexer. Diese Gesellschaft ging aus dem 1912 gegründeten Germanenorden hervor und wurde von Rudolf von Sebottendorf geleitet, der im Orient gewesen war und eine seltsame Broschüre über "Die Praxis der alten türkischen Freimaurerei" veröffentlicht hatte. Dort wurden Übungen beschrieben, die auf der Wiederholung von Silben, Gesten und Schritten beruhten und deren Ziel, die initiatische Wandlung des Menschen war, wie es auch die Alchemie bezweckt hatte. Unklar ist, mit welchen türkischen Freimaurerorganisationen Sebottendorf in Kontakt stand, und auch, ob er die Übungen – außer daß er sie beschrieb – selbst praktizierte. Es ist weiterhin nicht feststellbar, ob diese Übungen in der von ihm geleiteten Thule-Gesellschaft angewandt wurden: Das zu wissen, wäre aber sehr wichtig, weil viele Persönlichkeiten aus der ersten Reihe des Nationalsozialismus – von Hitler bis Heß – in dieser Gesellschaft verkehrten. In gewisser Weise wurde Hitler von Heß auf jeden Fall bereits während der gemeinsamen Festungshaft nach dem fehlgeschlagenen Putsch von München in die Gedankenwelt der Thule-Gesellschaft eingeführt.

Jedenfalls muß hervorgehoben werden, daß die Thule-Gesellschaft weniger eine initiatische Organisation als eine Geheimgesellschaft war, die schon das Hakenkreuz führte und von einem entschiedenen Antisemitismus und germanischem Rassedenken geprägt war. Vorsicht ist bei der These geboten, der Name Thule deute auf einen ernsthaften und bewußten nordisch-polaren Bezug hin, auf das Bestreben, eine Verbindung zu den hyperboreischen Ursprüngen der Indogermanen herzustellen, da Thule in der Urtradition als heiliges Zentrum oder die heilige Insel im äußersten Norden galt. Thule kann jedoch auch die Verballhornung von "Thale" sein, eines im Harz gelegenen Ortes, wo der Germanenorden 1914 eine Tagung abgehalten hatte, bei der die Bildung eines völkischen Geheimbundes zum Kampf gegen die angenommene jüdische Internationale beschlossen wurde. Vor allem diese Ideen wurden von Sebottendorf in seinem 1933 in München veröffentlichten Buch "Bevor Hitler kam" hervorgehoben, in dem er aufzeigte, was es vor Hitler an Mythen und völkischer Weltanschauung gab.

So führt eine ernsthafte Untersuchung über initiatische Verbindungen Hitlers mit Geheimgesellschaften nicht weit. In Bezug auf Hitler als "Medium" und seine anziehenden Kraft sind einige Erläuterungen notwendig: Daß er diese Kraft initiatischen Praktiken verdankte, erscheint uns als Phantasie. Andernfalls müßte man absurderweise dasselbe hinsichtlich der psychischen Macht anderer Führer wie Mussolini oder Napoleon auch annehmen. Vielmehr muß man davon ausgehen, daß bei Massenbewegungen ein psychischer Strudel entsteht, der sich in demjenigen zusammenstaut, der im Zentrum steht und der diesem eine gewisse Ausstrahlung verleiht, die vor allem von beeinflußbaren Menschen gespürt wird.

Die Eigenschaft als Medium (was, deutlich gesagt, im Gegensatz zu einer initiatischen Qualifikation steht) kann Hitler mit einigen Vorbehalten zuerkannt werden, da er in bestimmter Hinsicht als ein Besessener erscheint (was ihn z.B. von Mussolini unterscheidet). Wenn er die Massen fanatisierte, hatte man den Eindruck, als ob ihn eine andere Macht wie ein Medium führte, auch wenn er von einer ganz besonderen Art und außerordentlich begabt war. Wer Hitlers Ansprachen an begeisterte Massen gehört hat, konnte keinen anderen Eindruck gewinnen. Da wir unseren Vorbehalt gegenüber der Vermutung des Vorhandenseins "unbekannter Oberer" angemeldet haben, ist es nicht leicht, das Wesen dieser überpersönlichen Macht festzulegen.

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A. Rosenberg. Adolf Hitler

Hinsichtlich der nationalsozialistischen Gotteserkenntnis, d.h. der angenommenen mystischen und metaphysischen Dimension, muß man das einzigartige Nebeneinander von mythischen, aufklärerischen und sogar wissenschaftlichen Aspekten in dieser Bewegung und im Dritten Reich feststellen. Bei Hitler konnte man viele Bezüge einer ausgeprägt "modernen" Weltanschauung" finden, die im Grunde profan, naturalistisch und materialistisch war, während er gleichzeitig an die Vorsehung glaubte, deren Werkzeug er besonders bezüglich des Schicksals der deutschen Nation zu sein meinte (so sah er z.B. in seiner Rettung bei dem Attentat in seinem Hauptquartier in Ostpreußen ein Zeichen der Vorsehung). Alfred Rosenberg, der Ideologe der Bewegung, verkündete den Mythos des Blutes, wobei er vom "Mysterium" des nordischen Blutes sprach, das einen sakramentalen Wert darstellen würde, doch gleichzeitig griff er beim Katholizismus alle Riten und Sakramente wie ein Aufklärer als Täuschungen an. Er wandte sich gegen die "Dunkelmänner unserer Zeit" und schrieb dem arischen Menschen das Verdienst zu, die moderne Wissenschaft geschaffen zu haben. Die Beschäftigung des Nationalsozialismus mit den Runen, den alten nordisch-germanischen Zeichen, muß daher als rein sinnbildlich betrachtet werden, etwa wie es der Faschismus mit bestimmten römischen Symbolen tat, ohne jeden esoterischen Bezug. Das Programm des Nationalsozialismus einen höheren Menschen zu schaffen, hat etwas von der "Mystik der Biologie", ist also wiederum eine wissenschaftliche Ausrichtung. Es konnte sich höchstens um den "Übermenschen" im Sinne Nietzsches, jedoch niemals um einen im initiatischen Sinne höheren Menschen handeln. Der Plan der "Schaffung eines neuen rassischen, religiösen und militärischen Ordens von Initierten, die um einen vergöttlichten Führer geschart sind", kann nicht als die offizielle Politik des Nationalsozialismus angesehen werden, wie René Alleau schreibt, der eine solche Beziehung herstellt und unter anderem sogar auf die islamischen Ismaeliten zurückgreift. Nur im Rahmen der SS wurden einige Elemente einer höheren Ebene sichtbar. Vor allem war bei Reichsführer-SS Heinrich Himmler die Absicht deutlich erkennbar, einen Orden zu schaffen, bei dem Elemente der preußischen Ethik mit derjenigen der alten Ritterorden, insbesondere mit jener des Deutschen Ordens, vereinigt werden sollten. Für eine derartige Organisation suchte er eine Legitimation, die er jedoch nicht herleiten konnte, da diese alten Orden des Katholizismus vom radikalen Flügel des Nationalsozialismus offen bekämpft wurden. Auch ohne die Möglichkeit irgendeiner traditionalen Verbindung suchte Himmler einen Bezug zum nordisch-hyperboreischen Erbe und dessen Symbolik (Thule), ohne daß jedoch jene "Geheimgesellschaften", von denen schon die Rede war, Einfluß darauf gehabt hätten, und richtete dagegen – wie auch Rosenberg – die Aufmerksamkeit auf die Forschungen des Holländers Herman Wirth über die nordisch-atlantische Tradition. Mit Wirth begründete Himmler dann die spätere Forschungs- und Lehrgemeinschaft "Ahnenerbe". Dies ist nicht bar des Interesses, doch gab es keinerlei "okkulte Hintergründe".

So ist die Gesamtbilanz negativ. Den Höhepunkt der Phantastereien französischer Autoren bildet das Buch "Hitler et la tradition cathare" von Jean-Michel Angebert (erschienen 1971 in Paris). Hier geht es um die Katharer – auch Albigenser genannt –, eine Häretikersekte, die zwischen dem 11. und 12. Jahrhundert vor allem in Südfrankreich Verbreitung fand und ihr Zentrum in der Festung Montségur hatte. Dieses wurde durch einen "Kreuzzug gegen den Gral" – so Otto Rahn (dies ist auch der Titel eines seiner Bücher) – zerstört. Was der Gral und seine Gralsritter mit jener Sekte zu tun haben sollen, die durch eine Art fanatischen Manichäismus gekennzeichnet war und bisweilen die eigenen Gläubigen – zum Zeichen ihrer Weltabgewandtheit und ihrer Feindschaft gegenüber der irdischen Existenz in Fleisch und Materie – durch Verhungern sterben ließ oder auf andere Weise ins Grab brachte, liegt völlig im Dunkeln. Nun nimmt man an, daß Rahn, mit dem wir seinerzeit in Briefwechsel standen und dem wir die Unhaltbarkeit seiner Thesen beweisen wollten, ein SS-Mann gewesen sei und daß eine Expedition auf den Weg geschickt worden sei, um den legendären Gegenstand wiederzuerlangen, der, so nimmt man an, im Moment der Zerstörung der Katharerfestung Montségur in Sicherheit gebracht worden war. Nach dem Fall Berlin sei eine Einheit ins Zillertal gelangt und hätte diesen Gegenstand in Erwartung eines neuen Zeitalters am Fuße eines Gletschers versteckt.

In Wirklichkeit sprach man von einem Kommando, das jedoch eine weniger mystische Aufgabe gehabt haben muß, nämlich die Rettung und das Verstecken des Reichsschatzes. Zwei weitere Beispiele zeigen, zu welchen Folgerungen die Phantasie gelangen kann, wenn man ihr freien Lauf läßt: Die SS (die nicht nur Kampfformationen, sondern auch Forscher und wissenschaftliche Experten umfaßte) unternahm eine Expedition nach Tibet zur Gewinnung alpinistischer und ethnologischer Erkenntnisse und eine weitere in die Arktis, wie es scheint zu Forschungsarbeiten und auch zum Zweck der möglichen Errichtung einer deutschen Militärbasis. Nach diesen phantasievollen Deutungen hätte die erste Expedition eine Verbindung zu einem Geheimzentrum der Tradition gesucht, die andere Kontakte mit dem verborgenen hyperboreischen Thule...

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