Karl Dönitz
In den Tagen vom 16. bis 19. August 1942 gingen vier große Boote vom Typ IX c und ein U-Tanker unter bewährten Kommandanten von den Biscaya-Häfen aus zu der seit langer Zeit geplanten Unternehmung nach Kapstadt in See. Es waren U 68 (Korvettenkapitän Merten), U 504 (Korvettenkapitän Poske), U 172 (Kapitänleutnant Emmermann), U 156 (Kapitänleutnant Hartenstein) und der U-Tanker U 459 (Korvettenkapitän von Wilamowitz-Moellendorff.) Sie marschierten gemeinsam nach Süden. Bis zu 5 Grad südlicher Breite hatten sie volle Angriffserlaubnis, weiter südlich nur auf wertvollste Ziele, um das Überraschungsmoment für dieses erste Operieren vor Kapstadt nicht zu gefährden. Ziemlich genau auf dieser Grenze versenkte am 12. September U 156 den britischen Passagierdampfer „Laconia“ von 19 695 BRT, der von der englischen Admiralität als Truppentransporter verwandt wurde und nach dem britischen Handbuch der bewaffneten Schiffe mit 14 Geschützen armiert war. Die spätere Aussage des Artillerieoffiziers der „Laconia“ ergab eine Bewaffnung von acht Geschützen, darunter zwei 15-cm-Geschützen zur Verwendung gegen Schiffsziele und außerdem von Flak-Waffen, sowie Wasserbomben und Asdicgeräten.
Als das Schiff gesunken war, hörte der Kommandant von U 156 italienische Hilferufe und stellte bei Rettung der Schiffbrüchigen fest, daß italienische Kriegsgefangene auf der „Laconia“ gewesen waren. Nach späterer englischer Angabe befanden sich 436 Mann britische Besatzung und 268 britische Urlauber mit 80 Frauen und Kindern, 1800 italienische Kriegsgefangene mit 160 polnischen Kriegsgefangenen aus Rußland als Gefangenenwärter an Bord.
Von dieser Versenkung erhielt ich durch Funkspruch vom 13. September 0012 Uhr Kenntnis: „Versenkt von Hartenstein Brite „Laconia“ Marinequadrat FT 7721, 310 Grad. Leider mit 1500 italienischen Kriegsgefangenen. Bisher 90 gefischt, 157 cbm, 19 Torpedos, Passat 3, erbitte Befehle.“
Auf diesen Funkspruch hin traf ich eine Entscheidung, die den Grundsätzen des Seekrieges bei allen Nationen, wonach Kriegführung vor Retten geht, widersprach. Gerettet wird nur, wenn die Kampfaufgaben eines Kriegsschiffes dadurch nicht beeinträchtigt werden. Mir ist kein Fall bekannt, in dem die englische oder die amerikanische Marine nicht in gleicher Weise verfahren wären. Flottenadmiral Nimitz, U. S. Navy, erklärte dazu als Zeuge im Nürnberger Prozeß: „Nach allgemeinem Grundsatz retteten die U-Boote der Vereinigten Staaten nicht, wenn unnötige und zusätzliche Gefahr für das U-Boot daraus entstand oder das U-Boot dadurch verhindert wurde, einen weiteren Auftrag durchzuführen.
In diesem Fall entschied ich jedoch anders und leitete dadurch eine sofortige Operation ein, bei der von den 811 an Bord befindlichen Engländern etwa 800, von den 1800 Italienern 450 gerettet wurden. Ich brach die Operation der nach Kapstadt bestimmten Boote ab und schickte sie mit hoher Fahrt zur Versenkungsstelle der „Laconia“, um beim Retten der Schiffbrüchigen zu helfen. Der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine ließ mir am 13. September durch den Chef des Stabes der Seekriegsleitung sagen, daß er meinen Entschluß billige, daß aber die U-Boote bei der Rettungsaktion nicht gefährdet werden dürften. Aus dem Führerhauptquartier teilte mir der Kapitän zur See von Puttkamer mit, Hitler wünsche, daß die Operation der Kapstadt-Boote nicht beeinträchtigt würde und U-Boote bei dem Retten keinesfalls in Gefahr gerieten.
Außerdem hatte ich noch die U-Boote, die bei Freetown eingesetzt waren, U 506 (Kapitänleutnant Würdemann) und U 507 (Korvettenkapitän Schacht), zur Versenkungsstelle gesandt und den italienischen Führer der U-Boote in Bordeaux gebeten, das italienische U-Boot „Cipellini“, das im gleichen Seeraum operierte, ebenfalls zu Hilfe zu schicken, was auch geschah. Da eine Übernahme aller Überlebenden unmöglich war, kam – soweit ich es übersah – nur in Frage, die U-Bote mit den Schiffbrüchigen die französische Elfenbeinküste ansteuern zu lassen und die Geretteten dort abzusetzen. Die Seekriegsleitung teilte mir jedoch mit, daß die französische Regierung in Vichy gebeten worden wäre, französische Kriegsschiffe zur Übernahme der Geretteten aus Dakar auslaufen zu lassen.
Zunächst stand U 156 allein am Versenkungsort. Das Boot nahm in der ersten Nacht 193 Schiffbrüchige, Engländer und Italiener, an Bord und fischte am Morgen des 13.9. weitere 200 Überlebende auf, die es auf Rettungsboote verteilte, welche noch nicht überfüllt waren.
Die „Laconia“ hatte nach ihrer Torpedierung am Abend des 12.9. um 22.22 Uhr auf der 600 m Dampferwelle einen offenen englischen SSS-Funkspruch mit ihrem Standort abgegeben und gemeldet, daß sie torpediert sei. Eine verschlüsselte Mitteilung, abermals mit dem offenen Zusatz, daß sie einen Torpedotreffer habe, wurde von dem sinkenden Schiff auf der 25 m Welle um 22.26 Uhr gesendet. Am Morgen des 13. September um 0600 Uhr gab dann sogar der deutsche Kommandant von U 156 folgenden offenen Funkspruch auf der 25 m Welle ab:
„If any ship will assist the ship-wrecked „Laconia“-crew, I will not attack her providing I am not being attacked by ship or airforces. I picked up 193 men, 4° 52’, South 11° 26’ West, German submarine.“ („Wenn irgend ein Schiff der schiffbrüchigen Besatzung der „Laconia“ helfen will, werde ich es nicht angreifen, vorausgesetzt, daß ich nicht von Schiffen oder Flugzeugen angegriffen werde; ich rettete 193 Mann, 4° 52’ Süd, 11 ° 26’ West, Deutsches U-Boot.“)
Dieser Funkspruch wurde auf der internationalen 600 m Welle 0610 wiederholt. Es konnte also nach diesen Funksprüchen kein Zweifel darüber bestehen, daß die englischen Stellen von der Torpedierung der „Laconia“ und der Rettungsaktion des deutschen U-Bootes Kenntnis erhalten hatten. Die Meldung von Hartenstein, daß er 193 Schiffbrüchige an Bord habe, erhöhte meine Sorge um die Sicherheit der für die Rettungsaktion eingesetzten Boote. Nachdem ich mich entschlossen hatte, die Bergung der Schiffbrüchigen zu versuchen, wollte ich sie auch trotz des Hinweises aus dem Führerhauptquartier und der Warnung des Oberbefehlshabers der Kriegsmarine, daß U-Boote dabei nicht gefährdet werden dürften, zu Ende führen. Die Verantwortung glaubte ich übernehmen zu können.
Ich gab daher am 13. 9. um 0027 Uhr folgenden Funkbefehl:
„Hartenstein Nähe Untergangsstelle bleiben. Taucherklarheit sicherstellen. Abgeteilte U-Boote nur soviel übernehmen, daß Boote tauchklar bleiben.“
Am 14. 9. um 0740 Uhr wiederholte ich:
„Alle Boote, auch Hartenstein, nur soviel Leute ins Boot hineinnehmen, daß Boot getaucht voll verwendungsbereit.“
Die Vichy-Regierung hatte mittlerweile zugesagt, französische Kriegsschiffe zum Versenkungsort zu schicken. Hierdurch bekam ich – wie auch von Hitler angeordnet – die für Kapstadt vorgesehenen U-Boote, außer U 156, für ihre Operationen wieder frei. Es wurde ihnen am 14. 9. um 0740 Uhr befohlen, „soweit sie noch keine Geretteten an Bord haben, den Südmarsch fortzusetzen.“ U 506 und U 507, die beiden Boote aus dem Freetown-Raum, wurden jedoch weiterhin mit U 156 zur Rettung eingesetzt. Sie trafen am 14. und 15. September am Versenkungsort ein und beteiligten sich sofort an den Rettungsarbeiten und am Zusammenschleppen der Rettungsboote und Flöße auf einen Sammelplatz, an dem später die Übergabe an die französischen Schiffe erfolgen sollte.
U 156 hatte inzwischen 260 (!) Schiffbrüchige an Bord, die es etwa zur Hälfte an U 506 abgab, so daß es noch 55 Italiener und 55 Briten, darunter 5 Frauen, behielt. Auch U 507 war mit Schiffbrüchigen überfüllt.
Da spielte sich am 16. September mittags ein Ereignis ab, das der Kommandant von U 156 in seinem Kriegstagebuch folgendermaßen schildert:
„1125 Uhr kurz vor Erreichen der beiden übrigen Boote aus rw 70° viermotoriges Flugzeug mit amerikanischen Abzeichen. Zum Zeigen meiner friedlichen Absichten große Rotkreuzflagge 2x2 m auf Brücke quer zur Anflugrichtung gezeigt. Flugzeug überfliegt uns einmal und kreist längere Zeit in der Nähe. Morseverkehr mit „Woher?“ und ob Dampfer in der Nähe gesehen, mißlingt. Fliegt nach SW ab und kommt nach halber Stunde kurz wieder.“
„1232 Anflug von Maschine gleichen Typs. Passiert in 80 m Höhe kurz vor Bug, wirft zwei Bomben mit etwa 3 sec. Verzögerung. Während noch achtere Schleppleine mit vier Booten losgeworfen wird, wirft Flugzeug eine Bombe mitten in die Boote. Ein Boot kentert. Flugzeug kreist in der Nähe und, wirft nach einiger Zeit seine vierte Bombe 2000—3000 m weit ab. Erkenne Bombenschacht leer. Erneuter Anflug, 2 Bomben, eine detoniert mit Sekunden Verzögerung direkt unter Zentrale. Turm verschwindet in schwarzer Wasserglocke. Zentrale und Bugraum melden Wassereinbruch. Klar bei Schwimmwesten. Befehl: Alle Briten von Bord. Danach, als Batteriebig le gast: Italiener ebenfalls von Bord. (Habe keine Tauchretter für sie.)“
„1311 Uhr Kriegsnotmeldung auf 4 verschiedenen Wellen, je dreimal abgesetzt. Zu den Booten zurückgelaufen. Dort alles von Bord gegeben. (Die letzten mit sanfter Gewalt.) Meldung über Wassereinbruch wird widerrufen. Kein Leck.“
„1345 Uhr getaucht. Boot ausgetrimmt. Mit Kurs 270 Grad abgelaufen.“
„1600 Uhr Schäden, soweit möglich, beseitigt.
Ausfälle: Luftsehrohr fest, Standsehrohr nicht zu schwenken, sieben Batteriezellen ausgelaufen, weitere unsicher. Kühlwasserflansch Diesel gerissen. Funkpeiler gerissen. Lot- und Horchanlage unklar. Vorzügliches umsichtiges Arbeiten des technischen Personals.“ Hartenstein meldete diesen Vorfall durch Funkspruch am 16. 9. um
2304 Uhr:
„von Hartenstein. Amerikanische Liberator beim Schleppen von vier vollen Booten trotz 4 qm großer Rotkreuzflagge auf Brücke bei guter Sicht im Tiefflug fünfmal gebombt. Beide Sehrohre vorläufig unklar. Breche Hilfe ab, alles von Bord, absetze nach West. Repariere. Hartenstein.“
Als ich die Meldung von Hartenstein erhielt, gab ich ihm sofort folgenden Befehl:
„0019 Uhr, 17.9. Sicherheit des Bootes darf unter keinen Umständen gefährdet werden. Alle Maßnahmen, auch Abbrechen der Bergungstätigkeit, rücksichtslos ergreifen. Annahme irgendwelcher Schonung durch den Gegner ist völlig abwegig ...“
Nach diesem Angriff auf U 156 wäre es militärisch richtig gewesen, von mir aus die gesamte Rettungsaktion einzustellen. Der Bombenangriff auf U 156 bewies eindeutig, in welcher Gefahr sich die U-Boote befanden, die zudem noch mit Schiffbrüchigen überfüllt waren.
Es kam zu einer sehr temperamentvollen Besprechung in meinem Stab, in der mit Recht auch die Meinung vertreten wurde, daß weitere Rettungsversuche unverantwortlich seien. Ich konnte mich jedoch zum Abbrechen nicht entschließen, nachdem einmal damit begonnen war, und beendete die Diskussion mit den Worten: „Ich kann die Leute jetzt nicht ins Wasser setzen, ich mache weiter.“
Ich war mir dabei selbstverständlich bewußt, daß ich die volle Verantwortung zu tragen haben würde, falls bei einem wiederholten Angriff ein U-Boot beschädigt würde oder verloren ginge.
Über einen Umstand gab es bei mir jedoch keinen Zweifel: Der Gegner hatte durch die SSS-Meldungen der „Laconia“ und den offenen Funkspruch von U 156 in englischer Sprache genaue Kenntnis von der Versenkung des Schiffes und der schwierigen Lage der Überlebenden. Er hatte trotzdem in den vier Tagen, die die Rettungsaktion bereits dauerte, nicht nur nichts getan, um den Schiffbrüchigen, unter denen sich ja auch etwa 1000 Briten und Polen befanden, zu helfen, sondern nur die Gelegenheit benutzt, die U-Boote zu bekämpfen.
Bei dieser an der Rettung der Schiffbrüchigen zumindest uninteressierten Haltung der englischen Stellen war es für mich nun selbstverständlich, wenn ich überhaupt die schwere Verantwortung auf mich nahm, die U-Boote weiter retten zu lassen, ihre mit großem Risiko verbundene Hilfe nur noch auf die Italiener als unsere Bundesgenossen zu beschränken.
Ich gab daher am 17.9. nachts um 0151 Uhr folgenden Befehl:
„An U 506 und U 507: Boote müssen jederzeit alarmtauchklar und unter Wasser voll verwendungsbereit sein. Gerettete, die an Bord sind, entsprechend an Rettungsboote abgeben. Nur italienische Menschen an Bord behalten. Zum Treffpunkt gehen und dort an Franzosen abgeben. Vorsicht vor feindlicher Einwirkung, Fliegern und U-Booten.“
In meiner Sorge, daß sich vielleicht auch die Kommandanten von U 506 und U 507 – wie vorher Hartenstein auf U 156 – leichtgläubig auf das Setzen einer Rotkreuzflagge verlassen würden, gab ich am 17.9. noch folgende Anweisung:
„Keine Rotkreuzflagge setzen, da ihr Zeigen 1.) international nicht vorgesehen, 2.) auf keinen Fall und am wenigsten beim Engländer Gewahr für Schonung bietet.“
Sehr bald bekam ich die Bestätigung dafür, daß es militärisch falsch war, weiter zu retten. Am 17.9. um 12.22 Uhr wurde U 506 mit 142 Schiffbrüchigen an Bord, darunter Frauen und Kindern, von einer schweren Seemaschine mit Bomben angegriffen. Nur dem guten Ausguck war es zu verdanken, daß das Boot nicht vernichtet wurde. Die drei Bomben explodierten, als es bereits auf 60 m Tiefe war.
Im Laufe des 17.9. erschien keinerlei englische Hilfe, um die Schiffbrüchigen zu übernehmen. Aber die beiden französischen Kriegsschiffe „Annamite“ und „Gloire“ trafen auf dem verabredeten Treffpunkt ein und übernahmen die Geretteten von den U-Booten.
Nach italienischen Aussagen hatten die Briten nach dem Torpedotreffer auf der „Laconia“ die Schotten zu den „Wohnräumen der Gefangenen geschlossen und den Versuch der Italiener, in die Boote zu gehen, mit der Waffe abgewehrt. Dies hatte zur Folge, daß die Zahl der geretteten Italiener so gering war.
Nachdem die Schiffbrüchigen an die französische Unterstützung abgegeben waren und nach der Beendigung dieser ganzen, mehrere Tage dauernden gefährlichen Hilfsaktion wußte ich, daß ich keinesfalls noch einmal U-Boote und ihre Besatzungen durch Rettungsmaßnahmen dieser Art riskieren durfte.
Überall und jederzeit mußte zu diesem Zeitpunkt des Seekrieges mit dem Erscheinen von Flugzeugen gerechnet werden und entsprechend mußten wir uns verhalten.
In den Tagen vom 2. bis zum 12. September 1942, also unmittelbar vor der Versenkung der „Laconia“, wurde im Kriegstagebuch des BdU eine Fülle von Eintragungen über das Sichten von Flugzeugen, ihre Angriffe auf U-Boote und Verluste von U-Booten durch Flugzeuge in allen Seegebieten gemacht. Immer wieder hatte ich die Kommandanten darauf hingewiesen, daß die Gefahr aus der Luft nicht ernst genug genommen werden könnte. Immer wieder hatten wir erlebt, daß sie trotzdem dazu neigten, die Gefahr von Flugzeugangriffen zu unterschätzen, was im wesentlichen am Überraschungsmoment beim Flugzeugangriff lag. Zu leicht hielt ein U-Bootkommandant, wenn kein Flugzeug in Sicht war, die Lage seines Bootes noch für vollkommen sicher, um im nächsten Augenblick, sobald ein Flugzeug erkannt wurde, erleben zu müssen, daß die Situation in Wirklichkeit bereits hoffnungslos geworden war. Denn das U-Boot brauchte, um die Brückenwache einsteigen zu lassen und unter Wasser zu kommen, eine Minute. In der gleichen Zeit durchflog das Flugzeug mindestens 6000 m. Das U-Boot mußte also das Flugzeug spätestens auf 6000 m Entfernung sehen, wenn Wegtauchen überhaupt noch einen Zweck haben sollte.
Das Verschwinden unter der Wasseroberfläche genügte jedoch nicht, sondern das Boot mußte auch auf eine ausreichende, vor den Bomben schützende Wassertiefe kommen.
Dies bedeutete praktisch, daß das Flugzeug bereits an der Grenze der Sichtweite erkannt sein mußte. Das Boot hatte also in Überwasserfahrt ständig in höchster Alarmbereitschaft zu sein. Dazu gehörte auch, daß es möglichst hohe Fahrt lief; denn je höher die Geschwindigkeit eines U-Bootes ist, desto geringer ist die Tauchzeit. Es gehörte ferner dazu, daß nur die Brückenwache sich auf dem Turm befinden durfte, damit das Einsteigen so schnell wie möglich vor sich ging.
Diese Voraussetzungen waren nur unter günstigsten Wetterbedingungen, d. h. bei klarem, wolkenlosem Wetter, niemals bei geringer Sicht gegeben. Alle diese Bedingungen waren aber nicht erfüllt, wenn das U-Boot eine Rettungsaktion durchführte. Dann lag es gestoppt, und Angehörige der Besatzung befanden sich an Oberdeck, um den Schiffbrüchigen Hilfe zu bringen. Von Alarmbereitschaft war unter diesen Umständen keine Rede mehr. Jedem Fliegerangriff war das Boot hoffnungslos preisgegeben.
Bei der zunehmenden Allgegenwart der feindlichen Luftwaffe waren also Rettungsaktionen in Zukunft gleichbedeutend mit Selbstmord. Meine wiederholten Anweisungen, nur zu retten, wenn keine Gefährdung des Bootes bestünde, reichten nicht mehr aus; das hatte der „Laconia“-Fall deutlich gezeigt. Noch am 17.9. um 1903 Uhr erhielt ich von U 507, nachdem es mittags von einem Flugzeug gebombt worden war, folgenden Funkspruch:
„... 17.9. 1930 Uhr Italiener an „Annamite“ abgegeben. Navigationsoffizier „Laconia“ und weitere englische Offiziere an Bord. 7 Rettungsboote mit rund 330 Engländern und Polen, darunter 15 Frauen, 16 Kindern, Quadrat FE 9612 deponiert. Frauen und Kinder eine Nacht an Bord untergebracht. Alle Schiffbrüchigen warme Mahlzeit und Getränke, bekleidet und verbunden, soweit erforderlich. Weitere 4 Boote vor Treibanker Quadrat FE 9619. Beide Positionen an „Gloire“ gegeben, der sofort zur Suche abgefahren ist
Dieser Funkspruch zeigte die ganze Hilfsbereitschaft der in der seemännischen Tradition erzogenen deutschen Marineoffiziere. Ein solches Verhalten war aber nicht mehr zu verantworten. Es bedeutete, wie gesagt, die höchste Gefährdung des eigenen Bootes und der eigenen Besitzung. Ich hatte nach der Versenkung der „Laconia“ meine eigenen U-Boote aufs Spiel gesetzt, um Schiffbrüchige zu retten, während umgekehrt der Gegner das Leben seiner englischen Schiffbrüchigen riskiert hatte, um die deutschen U-Boote auch beim Rettungswerk zu vernichten. Ich mußte daher jetzt einen Befehl erlassen, der solche Fälle künftig ausschloß und der den Kommandanten die Ermessensfreiheit und die Entscheidung abnahmen, ob die Luftgefahr ein Retten erlaubte oder nicht. Die vermutliche oder tatsächliche Luftlage durfte also in dem zu erlassenden Befehl nicht mehr die Voraussetzung sein, ob gerettet werden durfte oder nicht.
Die Kommandanten erhielten aus diesen Gründen am 17.9. folgendes Verbot:
„Jegliche Rettungsversuche von Angehörigen versenkter Schiffe, also auch Auffischen von Schwimmenden und Anbordgabe auf Rettungsboote, Aufrichten gekenterter Rettungsboote, Abgabe von Nahrungsmitteln und Wasser haben zu unterbleiben, Rettung widerspricht den primitivsten Forderungen der Kriegführung nach Vernichtung feindlicher Schiffe und Besatzungen.“
Im Nürnberger Prozeß wurde mir dieses Verbot zu retten von der englischen Anklagebehörde als ein Mordbefehl ausgelegt, der die Kommandanten auffordere, Schiffbrüchige vorsätzlich zu töten. Selbst das Internationale Militärgericht, in dem die vier Kriegsgegner über den Besiegten zu Gericht saßen, konnte sich jedoch dieser Behauptung der englischen Anklage nicht anschließen. In Nürnberg wurden demgemäß weder die U-Bootwaffe noch meine Person wegen der Führung des Seekrieges verurteilt.
Unter mehreren tausend Gefechtshandlungen deutscher U-Boote ist nur ein einziger Fall vorgekommen, bei dem ein U-Boot-Kommandant gegen Schiffbrüchige vorgegangen ist. In diesem Fall hatte der Kommandant, Kapitänleutnant Eck auf U 852, nach der Versenkung eines Dampfers versucht, die an der Oberfläche schwimmenden Trümmer des Schiffes durch Artilleriebeschuß zu beseitigen, weil sie andernfalls von der gegnerischen Luftüberwachung festgestellt worden wären und zur Entdeckung des U-Bootes hätten führen müssen. Die Sorge um das eigene Boot also ließ den Kommandanten zu weit gehen, indem er bei der Beschießung der Trümmer keine Rücksicht auf Schiffbrüchige nahm.
Noch auf derselben Unternehmung ging U 852 durch Fliegerbomben verloren. Die in Gummibooten schwimmende Besatzung, unter deren Angehörigen sich bereits Verwundete befanden, wurde von einem Flugzeug aus der Luft mit Maschinenwaffen beschossen.
Kapitänleutnant Eck und die beteiligten Offiziere wurden von einem englischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt und am 30. November 1945 erschossen.
Ich hörte von der Beschießung von Schiffstrümmern durch Eck, sowie von den Umständen beim Verlust seines Bootes erst nach Beendigung des Krieges in Nürnberg. Ich konnte das Verhalten des Kommandanten nicht billigen, weil der Soldat von den sittlichen Grundsätzen der Kampfführung nicht abgehen darf. Ich setzte jedoch bei meiner Vernehmung in Nürnberg hinzu: „Ich mochte aber doch sagen, daß der Kapitänleutnant Eck vor einer ganz schweren Entscheidung stand. Er hatte die Verantwortung für sein Boot und für seine Besatzung und diese Verantwortung wiegt im Kriege schwer. – Wenn er also aus dem Grund, d. h. weil er glaubte, sonst entdeckt und vernichtet zu werden – diese Annahme war nicht unbegründet, denn im selben Seeraum wurden in der gleichen Zeit, wie ich glaube, 4 U-Boote gebombt –, wenn er also aus diesem Grunde zu diesem Entschluß kam, so würde ein deutsches Kriegsgericht das zweifelsohne berücksichtigt haben. – Man sieht, glaube ich, nach dem Kriege die Dinge doch anders, und man ist nicht erfüllt von der großen Verantwortung, die so ein armer Kommandant hat.“
Daß die Luftgefahr so groß war und daß der Befehl, nicht zu retten, um eine Gefährdung der eigenen U-Boote dabei auszuschließen, zu dieser Zeit notwendig war, geht endlich auch daraus hervor, daß alle drei U-Boote, die sich am Rettungswerk bei der „Laconia“ beteiligt hatten, bereits auf ihren nächsten Unternehmungen mit ihren gesamten Besatzungen leider durch Fliegerbomben vernichtet wurden.
Die englische Anklage und die feindliche Propaganda haben die Behauptung, ich hätte mit dem „Laconia“-Befehl einen Mordbefehl erlassen, in der ganzen Welt in großer Aufmachung verbreitet. Daß sich jedoch das Internationale Militärgericht, das sich aus Amerikanern, Engländern, Franzosen und Russen zusammensetzte, dieser Behauptung in seinem Urteil nicht anschloß, und daß die deutsche U-Bootwaffe und ihre Führung im Nürnberger Prozeß wegen des U-Bootkrieges nicht verurteilt werden konnten und auch nicht verurteilt wurden, wird bis zum heutigen Tag der Weltöffentlichkeit möglichst verschwiegen.
(Aus dem Buch: Karl Dönitz. Zehn Jahre und zwanzig Tage)