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Der Krug geht so lange zum Brunnen bis… der Henkel bricht


Dr. Böttiger

Spatz


"Die wollen doch nur das Öl klauen". So einfach sieht es der simple Neidhammel, den Umerziehung und Bildungsreform aus den Deutschen gemacht haben. Die Frage, wo es etwas zu holen gebe, hat sein Denken so in Beschlag genommen, daß er alles, was geschieht, danach einordnet. Gehört er zu den Gebildeteren, dann fällt ihm zur Rechtfertigung vielleicht die Rede des US-Vizepräsidenten in London ein. Im September 1999, kurz vor den Wahlen in den USA sagte Cheney, damals noch CEO bei Halliburton: "Nach gewissen Einschätzungen wird es in den nächsten Jahren weltweit bei der Öl-Nachfrage ein durchschnittliches Wachstum von 2% geben. Es geht einher mit einem konservativ geschätzten 3-prozentigen Sinken der Produktion aus den vorhandenen Reserven. Das bedeutet, im Jahr 2010 brauchen wir größenordnungsmäßig etwa 50 Mio. Faß Öl täglich zusätzlich. Wo sollen die herkommen? Offensichtlich kontrollieren Regierungen und nationale Ölgesellschaften etwa 90% der Vorräte. Öl bleibt grundsätzlich Regierungssache. Auch wenn viele Regionen der Welt viel Öl anbieten, der Nahe Osten ist mit seinen zwei Drittel an Weltölreserven und den niedrigsten Kosten noch immer der Ort, wo letztendlich die Preise gemacht werden".

Cheneys Bemerkungen haben nichts mit den "Peak Oil" Theorien zu tun, nach denen die Erdölvorräte bald zur Neige gehen. Dazu wurden auf Sachalin, im Eismeer vor Sibirien, in Brasilien und anderswo in letzter Zeit zu große, neue Reserven entdeckt. Doch schätzte Cheney in seiner Rede den Ölbedarf der neu aufstrebenden Industrieländer Indien und China erstaunlich gering ein. Es dauert in der Regel über sieben Jahre, um ein neu entdecktes Ölfeld für die Produktion voll zu erschließen - wenn man es darauf anlegt. Es kann länger dauern, wenn man sich bei Investitionen zurückhält, um die Preise hochzutreiben. Darauf deutet der letzte Satz in Cheneys Zitat hin. Die Öl-Produktion im Nahen-Osten unterlag damals noch weitgehend staatlicher Kontrolle und konnte nicht von Cheneys Halliburton und seinen Freunden bei Exxon, Condi Rices Chevron oder Shell auf Absprache "marktgerecht" manipuliert werden.

Das war wohl auch der Grund für den Bericht, den Cheney zusammen mit Rumsfeld, Wolfowitz und anderen während des ersten Bush-Wahlkampfs im Herbst 2000 für die künftige Regierung erstellte: "Rebuilding Americas Defenses". Darin wird sie recht unverfroren aufgefordert unter jedem möglichen Vorwand, den Irak zu erobern, um Kontrolle über dessen enorme Ölreserven zu bekommen und diese für die US-Ölkonzerne zu "privatisieren". Cheney selbst legte mit seinem Memorandum "American Force Presence in the Gulf" noch eins drauf. 2003 war es dann so weit. Warum dann noch Iran und Nordkorea? Nun, sagen die immer Neidischen, im Iran gibt es auch Öl. Doch was wäre in Nordkorea zu holen?

Kürzlich schrieb der altgediente Karrierediplomat des indischen Außenministeriums, Bhadrakumar, in der Zeitung Asia Times (Text liegt mir vor, aber kein Datum): "Drei Angriffe auf den Kreml innerhalb eines Monats, das wäre selbst in Zeiten des Kalten Kriegs außergewöhnlich und veranlaßte Anatol Lieven, den prominenten akademischen Rußlandkenner der USA zu der rhetorischen Frage: "Warum wollen wir unbedingt wieder den Kalten Krieg anheizen?" Den hatte die einflußreiche Denkfabrik Council on Foreign Relations mit ihrem 94-seitige Bericht "Rußlands falsche Richtung: Was die Vereinigten Staaten tun können und sollten" am 5. März 2006 erklärt.

Vorwand des Berichts war die Aufregung über die Verhaftung des "Oligarchen" ("Gauner" wäre treffender) Chodorkowski in Rußland. Worum es eigentlich ging, zeigte sich auf dem Treffen der Energieminister in Petersburg im Vorfeld des G8 Gipfeltreffens in Moskau am 13./14. März. Dort hatte Rußland die "Sicherheit der Energieversorgung" als Punkt 1 auf die Tagesordnung gesetzt. Damit wurde den Anwesenden klar, daß Rußland seine Energiebestände als Garant der eigenen nationalen Sicherheit ansah. Und damit erklärte sich auch die Verhaftung Chodorkowski von Yokos Oil im Oktober 2003. Es ging dabei nicht um Steuerhinterziehung. Chodorkowski hatte nicht nur nach westlichem Vorbild versucht, die Hälfte der Duma-Abgeordneten zu kaufen, um das neu eingebrachte "Gesetz über die Bodenschätze" abzulehnen. Das Gesetz sollte verhindern, daß private Firmen wie Yokos Oil und andere die völlige Kontrolle über die Öl- und Gas-Förderung in Rußland und dazu noch über das Pipeline-Netz in die Hand bekamen. Chodorkowski hatte durch die Übernahme des russischen Konkurrenten Sibneft und die angebahnten Eigentumsverflechtungen von Yokos/Sibneft mit Exxon/Mobil und Chevron/Texaco die Übernahme der russischen Ölindustrie durch die eigentlichen Machthaber und Politikmacher im Westen vorzubereiten. Sein Auftrag war es, auch das Russische Öl und Erdgas aus dem Griff der Regierung zu befreien und zu "privatisieren".

Das hatte Putins Polizei im letzten Moment verhindert und damit den Aufschrei im Westen für den Gauner Chodorkowski ausgelöst. Dieser hatte als der IWF Rußland in der Finanzkrise von 1998 mit 8 Mrd. US$ beistand, davon 4,8 Mrd. auf undurchsichtige Weise an sich und seine Kumpels gebracht, und 2003 hat er unter anderem auch BP um 300 Mio. Dollar betrogen. Also selbst nach westlichen Maßstäben kein Engel! Doch im Aufsichtsrat seiner Open Russia Foundation saßen Henry Kissinger, Lord Jacob Rothschild und der frühere US-Botschafter Arthur Hartman, und er selbst hatte Stuart Eizenstat, den Schatzamtsminister, Vizeaußenminister und Vizehandelminister unter Clinton, zum Anwalt bekommen.

Der Fall Chodorkowski, der verlogene Überfall der USA auf den Irak und vor allem die einseitige Aufkündigung des ABM Vertrags (Anti Ballistic Missils) durch die Regierung Bush und schließlich die NATO-Ost-Erweiterung hatten dem russischen Establishment allmählich die Augen geöffnet. Bis zum Jahr 2004 waren Polen, die Tschechei, Ungarn, die drei baltischen Staaten, Bulgarien, Rumänien, die Slowakei und Slowenien in die NATO aufgenommen worden. Die USA gingen noch weiter. 2003 vertrieb die "Rosenrevolution" den schon pro-westlichen Schewardnadze und ersetzte ihn durch das NATO-Asset Saakaschwilli. Der holte US-Militärberater ins Land und trat für die Baku-Tiflis-Ceyan Pipeline an Rußland vorbei ein. Dafür bekam er Millionen Dollar und das Angebot, Georgien in die NATO aufzunehmen. 2004 finanzierten Woosley's Freedom House, das National Endowment for Democracy, Sorros Foudation und eine Reihe anderer NGOs von Washingstons Dollar-Gnaden die Orangen Revolution in der Ukraine, um auch dort ein NATO-Regime aufzubauen.

Die Ukraine hätte, wie Polen, die Pipeline-Verbindung zwischen Rußland und Europa unterbrechen und damit sowohl Rußland wie Europäische Länder unter Druck setzten können. "Schröders" russisches Pipeline-Projekt durch die Ostsee vom März 2006 war die logische Antwort auf diese Perspektive, die im letzten Winter schon einmal versuchsweise durchgespielt worden war. Ähnliches wurde in Kasachstan angeleiert, um eine geplante Pipeline nach China zu unterbinden. Dieser Versuch mißglückte, wie auch die Orange Revolution in der Ukraine inzwischen eher nach hinten los zu gehen scheint. So etwas geschieht zwangsläufig, wenn die Menschen erst eigene Erfahrungen mit "westlicher Freiheit" machen und nicht mehr nur die Medienpropaganda auflecken.

Es geht nicht um Öl. Dieses ist nur eine der strategischen Waffen in diesem Spiel, wie die NATO- oder EU-Mitgliedschaften. Die Energieversorgung läßt sich für Länder wie der Brotkorb für einzelne Menschen als Disziplinierungsmittel handhaben. Die von den USA gewünschte Mitgliedschaft der Türkei in der EU soll ja nur den Weg zur Anbindung Israels und der zwangsdemokratisierten und -privatisierten Nahost-Staaten öffnen. Rußland erkannte das und bot daher im November 2005 der Türkei Erdgaslieferungen über die neu zu bauende, 1.213 km lange Pipeline Blauer Strom an. Ebenso verhandelt Rußland über Gaslieferungen an Südeuropäische Staaten.

Der Grund, weshalb die Russen so verzweifelt mit ihrer Energie hausieren gehen, ist nicht, was unseren Neidhammeln einzig dazu einfällt: Geld verdienen. Rußland hofft dadurch die strategische Abhängigkeit der Länder von den USA zu lockern und sie so vom neuen Kalten Krieg abzuhalten. Daß das nötig ist, zeigt der Artikel "The Rise of US Nuclear Primacy" eines Kier Lieber und Daryl Press in der Märzausgabe von Foreign Affairs 2006. Darin wird die erfolgreiche Demontage der russischen strategischen Nuklearstreitmacht betont und gesagt: "Heute steht die USA zum ersten Mal seit fast 50 Jahren wieder kurz davor, den atomaren Primat zu erringen. Den USA wird es bald möglich sein, die weitreichenden Atomraketen Rußlands und Chinas mit dem Erstschlag zu vernichten. Diese dramatische Verschiebung im atomaren Gleichgewicht rührt aus einer Reihe von Verbesserungen des atomaren Systems der USA, dem jähen Absturz der russischen Arsenale und der gletscherartigen Geschwindigkeit in der China seine Atomstreitmacht modernisiert. Wenn sich Washingtons Politik nicht ändert oder Moskau und Peking nicht Schritte unternehmen, den Umfang und die Bereitschaft ihrer Streitkräfte zu erhöhen, wird Rußland, China und der Rest der Welt für viele Jahre im Schatten der nuklearen US-Suprematie leben müssen".

Daß das kein bloßes Gedankenspiel ist, zeigen zum Beispiel jüngste Verlautbarungen zum US-Raumfahrtprogramm, bei dem im Unterschied zu früher, die Zusammenarbeit mit Ausländern nicht mehr geduldet wird. Das heißt, es handelt sich um ein rein militärisches Programm. Auch der Wunsch in Polen und in den anderen neuen NATO-Ländern modernste Raketenabwehrsysteme zu installieren, hat nichts mit einem Krieg gegen den Terrorismus oder Irankrieg zu tun. Allerdings blieb Rußland nicht untätig und stellte neuentwickelte Interkontinentalraketen in Dienst.

Das alles ist nicht die Idee eines Präsidenten, der gekonnt das fromme Dummerchen spielt. Es ist auch nicht die Idee einer wildgewordenen Clique, die sich gerade mal des Weißen Hauses bemächtigen konnte. Es handelt sich um die langfristige Strategie des US-Establishments beider Parteien. Sie geht auf Roosevelts Geopolitiker Isaiah Bowman zurück (Vgl. dazu Neil Smith Amercan Empire, Roosevelts Geographer and the Prelude to Globalisation University of California Press 2003) und wurde seit dem Schritt für Schritt der neuesten machtpolitischen Konstellation angepaßt. Die Ziele der Strategie werden natürlich nicht offen angesprochen, sondern diskret hinter allerlei Demokratiespielchen nach dem Prinzip des "hardcop - softcop" und mit Hilfe allerlei nebelkerzenwerfender Politsekten verschleiert. Nachdem inzwischen alle Welt gemerkt hat, worauf diese Strategie hinaus will, kann man auf die netten Verbrämungen verzichten.

Partnerschaft hin, Verbündete her, das Ziel heißt "neues Amerikanisches Jahrhundert", Öl, Terrorismus, Demokratie in den arabischen Staaten, Irak, Iran oder Nordkorea sind nur Bauern an "The Grand Chessboard" (der deutsche Titel dieses Buches Brzezinski's heißt "Die Einzige Weltmacht, Amerikas Strategie der Vorherrschaft" Beltz Quadriga 1997). Das alle Vermögen vereinnahmende private westliche Finanzsystem gerät aus allen Fugen und läßt sich nur noch durch direkte Zwangsgewalt aufrechterhalten. Seine privaten Eigentümer sind dazu fest entschlossen und sollten dabei Hunderte von Millionen Menschen - in ihren Augen uninteressante Habenichtse - ins Gras beißen. Vergeßt das Öl, Weltkrieg ist angesagt - auch wenn Ihr das nicht glauben wollt.

29.10.2006

Quelle: Der Spatz im Gebälk


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