Hans F. K. Günther
Ein Querschnitt durch das Indogermanentum von Benares bis Reykjavik
7. Auflage, 1989, Verlag Hohe Warte • Franz von Bebenburg • KG
Hans F.K. Günther zeigt zunächst einmal, was nordische Frömmigkeit nicht ist, beispielsweise die Herabwürdigung des Leibes, die Abhängigkeit der Frömmigkeit von dem Tode, die Wertung des diesseitigen Lebens als Jammertal. Er zeigt darüber hinaus die übergreifenden religiösen Auffassungen eines nordisch geprägten Indogermanentums. Die 7. Auflage enthält wichtige Ergänzungen und Erweiterungen, die der große Kenner der nordischen Seele noch kurz vor seinem Tode hinzugefügt hatte. [Mars Ultor 2010]
Vorwort zur siebenten Auflage
Kaum war die Drucklegung der 6. Auflage beendet, so fielen mir bei weiterem Durchdenken des Stoffes außer einigen kleinen Änderungen eine größere Anzahl von Zusätzen ein, die das Vorgetragene verdeutlichend erweitern könnten. Auch habe ich aus der fortgesetzten Beschäftigung mit den Religionen der Indogermanen wieder Einsichten gewonnen, die ich für die 7. Auflage verwerten wollte.
In der 7. Auflage habe ich eingehender erörtert, warum ich die fragwürdige Gestalt des Gottes Odin (altniederdeutsch Wodan, althochdeutsch Wuotan) nicht zur Kennzeichnung einer indogermanischen Frömmigkeit verwenden konnte. Wodan war ein Sondergott, dessen ständisch ausgeprägte Verehrung sich von Westnorwegen aus in der spätesten Zeit des vorchristlichen Germanentums ausgebreitet hat, reicht also nicht wie Zeus oder Jupiter zurück in die Vorzeit der indogermanischen „Himmelsgötter“ (S. 13 f). In der 7. Auflage mußte ich auch erklären, warum ich aus Glauben und Frömmigkeit der indogermanischen Kelten und Slawen nur wenig angeführt habe (S. 15). Hingegen habe ich die Belege aus Indien und Iran vermehrt und die bedeutsamen Zeugnisse des Parthenon-Frieses, der „ars pacis" und des von Horatius verfaßten „Carmen saeculare“ erläutert (S. 18, 44 f).
Ich habe mehr Beispiele für die „Naturfrömmigkeit“ der Indogermanen angeführt (S. 79 ff) und daher auch das große Lehrgedicht des Römers Lucretius eingehender behandelt (S. 76). Die Sittengebote der Indogermanen, die nicht von den Geboten eines außerweltlichen Gottes ausgehen, sondern von der Würde des Menschen, habe ich in ihrer Eigenart zu kennzeichnen versucht (S. 89 ff).
Die längsten Zusätze haben sich mir zum Beschluß des Buches ergeben: Für den schon von Goethe geahnten „Untergang des Abendlandes“, also der Reste des Indogermanentums, habe ich in der Philosophie und in den Künsten die Anzeichen verfolgt (S. 94 f), und für den drohenden Untergang der indogermanischen Freiheit und Menschenwürde durch die Verstaatlichung des Menschen in den verämterten Staaten eines Massenzeitalters habe ich die Voraussagen von Staatsmännern und Denkern seit Alexis de Tocqueville (1805-1859) angeführt (S. 101 ff).
Diese Änderungen und Zusätze konnte vor Veröffentlichung der 7. Auflage schon der Übersetzer dieser Schrift seiner englischen Ausgabe zu Grunde legen.
Klosterreichenbach, im Mai 1964
Hans F. K. Günther
Vorwort zur sechsten Auflage
Nach der Verbombung der fünften Auflage dieser Schrift, die wie alle von mir verfaßten Arbeiten gegen Ende des Krieges in den Lagerräumen der Verlage das gleiche Schicksal erfahren hatte, habe ich immer wieder Anfragen nach einem Neudruck erhalten. Ich habe mich aber erst der verbessernden Umarbeitung anderer Bücher und Schriften widmen wollen, die inzwischen erschienen und auch in andere Sprachen übersetzt worden sind, ehe ich mich dieser kleinen Schrift wieder zuwenden konnte. Als jedoch der Verleger Freiherr Karg von Bebenburg dieser erst bei Eugen Diederichs in Jena, dann bei B. G. Teubner in Leipzig erschienenen Arbeit seine besondere Aufmerksamkeit zugewandt hatte, entschloß ich mich zu einer überprüfenden Durchsicht und Ergänzung. Dabei haben sich mir aber nur wenige Änderungen und nicht viele verdeutlichende Zusätze ergeben, dazu eine geringe Vermehrung der beigegebenen Schrifttumsangaben.
Möge das Wiedererscheinen der Schrift nach fast dreißig Jahren dazu beitragen, daß Jüngere sich den Fragen einer Glaubensgeschichte des gesamten Indogermanentums mehr als bisher zuwenden, denn die bessere Erkenntnis der indogermanischen Welt wird für das Abendland, zu dem Nordamerika gehört, immer wieder zu einer Selbsterkenntnis werden. Herakleitos hat, wie Aristoteles (Von den Teilen der Tiere 1,5,645) berichtet, ihn besuchende, doch auf seiner Schwelle zögernde Fremdlinge näherzutreten eingeladen mit den Worten: „Tretet ein, denn auch hier wohnen Götter!“ Eine solche Einladung möchte diese Schrift auch in der sechsten Auflage aussprechen.
Wenn in unserem Zeitalter, also im „Untergang des Abendlandes“, die Reste auch des westlichen Indogermanentums aus Mangel an „geborenen“ Indogermanen, also echten Abendländern, versinken werden, so wird doch aus der angeborenen und überlieferten indogermanischen Frömmigkeit diesen letzten Indogermanen und Abendländern diejenige Gesinnung bleiben, die uns die „letzten Römer“ (Romanorum ultimi) beim Übergang der Adelsrepublik in das „entrömerte“ Kaiserreich vorgelebt haben, die Gesinnung der Unbeugsamkeit vor dem Schicksal, welche in dieser Schrift als indogermanisch und vor allem germanisch gekennzeichnet werden soll, eine Gesinnung, die noch Horatius gefordert hat:
Quocirca vivite fortes, fortiaque adversis
opponite pectora rebus!
(Sermones II, 2, 135/36)
Bad Heilbrunn, zum Frühlingsbeginn 1963
Vorwort zur ersten Auflage
Die vorliegende Schrift ist aus meiner rassenkundlichen, in diesem Falle rassenseelenkundlichen Beschäftigung mit Wesen und Geschichte des Indogermanentums hervorgegangen und als Vortrag ausgearbeitet worden. Besonders die Arbeit an meinem Buche „Die Nordische Rasse bei den Indogermanen Asiens“ (1934) hat mich wieder zur Glaubenswelt des Indogermanentums hingeleitet; dann aber hat auch das Ringen um neue Glaubenswerte im deutschen Volke manche Gedanken dieser Schrift aufgerufen. Immer von neuem wird das deutsche Volk und wird der einzelne Deutsche gar nicht anders können, als auf die Frage nach dem Glauben eine Antwort aus nordisch-indogermanischem Geiste geben — ob er nun dieser oder jener Glaubensgemeinschaft oder auch keiner bestimmten Kirche oder Glaubensgemeinschaft angehöre. Zur Besinnung darauf, welcher Glaubensgeist uns Deutsche — und darüber hinaus uns Germanen alle — im Innersten immer wieder einigen wird, ob wir einander im wörtlichen „Bekenntnis“ auch noch so ferne zu stehen vermeinen, möchte diese Schrift ihren Teil beitragen.
Jena, im April 1934
Da ist Freiheit, wo du leben darfst, wie es dem tapfern Herzen gefällt; wo du in den Sitten und Gesetzen deiner Vater leben darfst; wo dich beglücket, was schon deinen Urältervater beglückte. E.M.Arndt, Katechismus für den teutschen Kriegs- und Wehrmann, 1813
Das Wahre war schon längst gefunden, hat edle Geisterschaft verbunden: Das alte Wahre, faß es an! Goethe, Vermächtnis, 1929
Im folgenden möchte ich einige Gedanken vortragen über die Frömmigkeit (Religiosität) der Indogermanen, d.h. der Völker indogermanischer Sprache, die sich jeweils ableiten lassen von einem bronzezeitlichen Volkskerne, einer staatlich und geistig führenden Schicht überwiegend nordischer Rasse.1 Genauso wie wir durch Sprachvergleichung, durch Vergleichen der sprachlichen Züge des Indischen, Persischen, Sakischen, Armenischen, Slawischen und Baltischen, ferner des Griechischen und der italischen Mundarten, des Keltischen und des Germanischen zurückschließen dürfen auf eine gemeinindogermanische oder urindogermanische Sprache etwa der späteren Jungsteinzeit, so können wir, wie Paul D e u s s e n2 gezeigt hat, beim Vergleich der Lehren des Vedanta, Platons und Kants einen Urquell entdecken, aus dem das Denken indischer, hellenischer und deutscher Philosophen entsprungen ist, damit aber das Denken indogermanischer Artung überhaupt. In gleicher Weise können wir aus den Rechtsaufzeichnungen und Rechtsgebräuchen der einzelnen Völker indogermanischer Sprache auf ein urindogermanisches Rechtsempfinden schließen3, und so können wir durch Vergleichen der Glaubensformen dieser Völker auf eine besondere Frömmigkeit (Religiosität) aus indogermanischem Wesen schließen, d.h. auf ein bestimmtes Verhalten der indogermanischen Völker und Menschen gegenüber göttlichen Mächten.
Die Grundzüge des Frommseins, die ursprünglich allen Völkern indogermanischer Sprache eigentümlich waren, ergeben zusammen die Besonderheit einer Frömmigkeit aus nordischem Wesen, aus dem seelischen Wesen der nordischen Rasse.4
Wir müssen froh sein, daß wir zur Erkenntnis einer Frömmigkeit aus nordischem Wesen nicht allein angewiesen sind auf die Glaubensformen der Germanen5, von denen wir leider nur ungenügende Kunde und Kunde leider erst aus einem Zeitabschnitt besitzen, in welchem germanische Glaubensformen schon mehr oder weniger beeinflußt waren von Vorstellungen aus der Glaubenswelt Vorderasiens, der Mittelmeerländer und des keltischen Westeuropas, desjenigen keltischen Westeuropas, das mit dem Druidentum schon so weit abgewichen war von der indogermanischen Frömmigkeit rein nordischer Prägung.
In die germanische Götterwelt der Asen (vgl. Oslo, Osnabrück; hochdeutsch: Ansen, vgl. Anshelm, Ansbach) waren schon die aus Südosteuropa vorgedrungenen Wanen6 aufgenommen worden, die nicht alle aus germanischem Geist umgedeutet worden sind. So war aus Südosteuropa und Vorderasien der Gott Dionysos unter die olympischen Götter aufgenommen worden, den hellenischer Geist nicht völlig umgedeutet hat, der auch bei Homer noch zurücktritt und erst später aus einem fremden, dunkelhaarigen zu einem einheimischen, blonden Gotte geworden war. Man hat mit Recht die vorchristlichen Germanen mit den Achaiern als ihren nächsten Verwandten verglichen, und es ließe sich zeigen, daß vieles von dem, was die Hellenen in nachhomerischer Zeit in ihren Glauben und ihre Frömmigkeit aufgenommen haben, dem Geist des Indogermanentums mehr oder minder fremd war, so auch die orphischen Mysterien. So ist von den Germanen in der Spätzeit ihres Heidentums schon manches übernommen worden, was indogermanischem Wesen widerspricht.
Wie vieles am germanischen Gotte Odin (Wodan, Wuotan) berührt schon als nichtindogermanisch oder nicht mehr kennzeichnend germanisch! Mindestens ist Odin mit seiner „undurchschaubaren Mischung von Erhabenheit und Trug“ 7 nicht mehr ein indogermanischer und nicht mehr ein germanischer Vorbild-Gott, und seine Verehrung ist nicht mehr ganz durch die Züge indogermanischen und ursprünglich-germanischen Frommseins gekennzeichnet.
Wie vieles an Odin ist aus germanischem Volksglauben zu erklären, wie vieles ist späte dichterische Ausschmückung? Wie vieles reicht wie bei Zeus oder Jupiter zurück in die Vorzeit der indogermanischen „Himmelsväter“? — Es darf nicht vergessen werden, was Andreas H e u s l e r8 betont hat: „Die Eddamythologie ist in der Hauptsache norwegisch-isländisches Dichterwerk der Wikingsjahre", also des Wikingszeitalters und der Dichter (Skalden) an den Höfen norwegischer Gaufürsten, dieses spätheidnischen und frühchristlichen Zeitalters, das für manchen Germanen außer der Aufnahme fremden Geistes eine Entwurzelung aus dem Heimatboden brachte. Nach Heusler ist Odin eine „Neuschöpfung der germanischen religiösen Phantasie“, vor allem ein Kriegsgott, ein Gott der Fürsten, Wikingskrieger und Skalden. Als Kriegsgott aber ist Odin schon unberechenbar, des „Truges" fähig, ein Beschirmer und Fäller von Helden, wie R. L. M. Derolez9 ausführt. Nach Erik Therman10 gehören viele Göttersagen der Edda und gehört auch Odin nicht dem Volksglauben der Germanen an; sie sind vielmehr ein Ausdruck der Lebensauffassung des Wikingeradels und der nordgermanischen Gaufürsten.
Die Verehrung Odins oder Wodans oder (hochdeutsch) Wuotans hat sich von Westskandinavien in der kriegerischen Völkerwanderungs- und Wikingszeit verbreitet, so auch zu den Wandalen und Langobarden, zu den Sachsen in Niedersachsen und in England, aber vorwiegend als eine Verehrung durch Gaufürsten und deren Gefolge und durch die Skalden der Fürstenhöfe, denen der Kriegsgott auch zum Gotte der dichterischen Eingebung wurde. Vielleicht ist das einzige, was von Wodan in die indogermanische Vorzeit zurückreicht, der Name, der von dem indogermanischen Wortstamme uat („geistig angeregt sein") abzuleiten ist, einem Stamme, der auch im Sanskrit und im Altiranischen erhalten ist und der dem lateinischen vates (Seher, Dichter) entspricht. Odin-Wodan tritt vor allem in der großartigen „Eddamythologie“ vom Weltuntergang (ragnarök) hervor, die aber mehr Dichtung als Glauben ist. Den Freisassen auf ihren Erbhöfen, die im germanischen Bereich den Hauptteil der Bevölkerung ausmachten, war Odin oder Wodan niemals vertraut.11
Vor allem gegenüber der Odinsgestalt muß bedacht werden, was Jan d e V r i e s12 geschrieben hat: „Allein von den Quellen zur germanischen Religionsgeschichte aus wird die Forschung niemals zu abschließenden Ergebnissen über das Wesen der germanischen Religion kommen können; die Forschung wird zur Erhellung germanischen Glaubens und germanischer Frömmigkeit immer wieder auf indogermanische Religion und Mythologie" zurückgehen müssen. Diese Mahnung ist auch von George Dumezil beachtet worden.
Zwar erinnert, wie Rudolf Otto13 gezeigt hat, Odin-Wuotan durch einige Züge an den indischen Gott Rudra, durch einige andere, wie Georges Dumezil14 gezeigt hat, an den indischen Gott Waruna; aber diese Ähnlichkeiten reichen nicht aus, Odin-Wuotan in die indogermanische Vorzeit zurückzuversetzen.
Wodan ist keine Gestalt der indogermanischen Glaubensgeschichte; er ist als der Sondergott eines wurzellocker werdenden Wikingstums eine Teilerscheinung aus der Spätzeit des germanischen Heidentums, also zur Erhellung indogermanischer Frömmigkeit nicht geeignet.
Zur Erhellung einer solchen Frömmigkeit läßt sich auch aus den Berichten über die Religionen der Kelten und der Slawen nur wenig gewinnen. Die Kelten haben in den weiten Gebieten ihres Herrschaftsbereiches — die Galater sind bis nach Kleinasien vorgedrungen — nur eine dünne Oberschicht über vorindogermanischen Bevölkerungen mit mutterrechtlichen Familienformen gebildet, deren Sprachgeist die keltischen Mundarten tief beeinflußt, deren Glaubensgeist die ursprüngliche keltische Frömmigkeit abgewandelt hat. So sind in der Religion der Kelten15 gottesdienstliche Gebräuche und sittliche Anschauungen mutterrechtlicher Herkunft von den Unterschichten her eingedrungen, Gebräuche und Anschauungen, die sowohl von Marie-Louise Sjöstedt16 wie von Jan de Vries17 mit den Religionen und Sitten „primitiver“ außereuropäischer Stämme verglichen werden konnten, damit aber auch Anschauungen und Gebräuche, die, vom Indogermanentum aus betrachtet, als abstoßend bezeichnet werden müßten. Nicht-indogermanisch wie die Stellung des späteren Brahmanentums in Indien ist auch die Stellung des keltischen Druidentums als einer Hierarchie, eines herrschsüchtigen Priesterstandes.
Die Berichte über die vorchristlichen Religionen slawischer S t ä m m e18, im 6. Jahrhundert von den christlichen Geschichtsschreibern Prokopios und Jordanes verfaßt, sind durch mißverständliche Vermutungen und durch Abneigung gegen die heidnischen Slawen zu Entstellungen geworden, aus denen kaum verwertbare Einsichten zu gewinnen sind. Aus arabischen und germanischen Berichten ist nicht viel zu erschließen, mehr hingegen durch Sitten und Gebräuche, Sagen und Lieder, die in christlicher Umdeutung erhalten geblieben sind. Aus diesen ist doch die kennzeichnende Frömmigkeit indogermanischer Frühzeiten zu erkennen, eine Frömmigkeit der Ahnenverehrung, der Schutzgeister des Hauses, des Landbesitzes und des Viehs, also Züge, die vor allem auch im frühen Latinertum hervortreten.
Wir müssen froh sein, in den Glaubensformen der anderen Völker indogermanischer Sprache Züge zu finden, die uns in manchen Einzelheiten tiefer zurückleiten und höher hinaufführen in das Wesen einer ursprünglichen Frömmigkeit indogermanischer Artung. Besonders im Glauben des frühen Indertums, des frühen Persertums19 und des frühen Hellenentums möchte ich Wesentlich-Indogermanisches finden, dessen wir bedürfen, um zu einer hinreichenden Anschauung vom Wesen indogermanischer Frömmigkeit zu gelangen. Erst alle diese Glaubensformen — die der Italiker nicht zu vergessen —, erst sie alle zusammen mit den germanischen Glaubensformen vermitteln uns ein deutlichers Bild nordisch-indogermanischen Frommseins. Wenn ich also im folgenden versuche, Einzelzüge dieses Bildes in Worte zu fassen, so möchte ich wagen, nach Möglichkeit und nach meinen leider begrenzten Kenntnissen — denn ich bin ja nicht Religionswissenschafter —, in allen uns bekannt gewordenen Glaubensformen der Völker indogermanischer Sprache das Ursprüngliche zufassen, zugleich aber das Ursprüngliche in seiner reinsten und reichsten Entfaltung. Es kommt mir also nicht darauf an, das sogenannte „Primitive“ in diesen Glaubensformen aufzuspüren, etwa zu ermitteln, ob diese oder jene „höhere“ Vorstellung abzuleiten sei von irgendeiner „niedrigeren“ Stufe altsteinzeitlichen Zauberglaubens oder mittelsteinzeitlichen Geisterglaubens (Animismus). Es kommt mir allein darauf an, die Höhen indogermanischen Frommseins zu überblicken, dieses indogermanische Frommsein in seinen vollkommensten und kennzeichnendsten, in seinen reinsten und reichsten Äußerungen zu erfassen — in derjenigen freiesten Entfaltung also, in der sich ursprünglich-indogermanisches Wesen — und das heißt rassenkundlich gefaßt: nordisches Wesen — noch in möglichster Reinheit ausdrückt. Spreche ich von reichster Entfaltung, so kann ich damit doch nicht etwa die Zeitalter verwirrender Fülle der Glaubensvorstellungen meinen, die bei den Indogermanenvölkern jeweils dann hereingebrochen sind, wenn bei ihnen Ursprünglich-Nordisches sich schon untrennbar mit Artfremdem durchsetzt hat. Ich vermute, daß sich das Rein-Indogermanische im Glaubensleben bei den einzelnen Indogermanenstämmen jeweils schon in der Bronzezeit reichhaltig entfaltet hat, daß wenigstens der Weg zu den Höhen indogermanischer Frömmigkeit jeweils schon in der Bronzezeit eingeschlagen worden ist. Dann hat es jedesmal eine Reihe von Jahrhunderten, manchmal wohl bis zu einem Jahrtausend gedauert, bis artfremder Geist — etwa entsprechend dem Schwinden des nordischen Rasseneinschlags — die ursprünglichen Glaubensvorstellungen der Indogermanen durchsetzt hat und bis dann in indogermanischer Sprache Glaubensvorstellungen ausgedrückt wurden, die nicht mehr rein- und nicht einmal mehr halb-indogermanisch waren.
In reiner Entfaltung zwar, aber auch in möglichst reiner Entfaltung versuche ich also indogermanisches Frommsein zu erfassen. Wesentlich indogermanische Frömmigkeit in reicher Entfaltung läßt sich zum Beispiel in Hellas von Homeros bis Pindaros und Aischylos verfolgen, wenn man diese Frömmigkeit in der hellenischen Dichtung verfolgen will; streng genommen vielleicht nur bis Pindaros, allgemeiner gesagt bis ins 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung20. Auch später, so besonders bei Sophokles und dann bei dem in vielem sich rückbesinnenden Platon herrscht wieder indogermanische Frömmigkeit vor, nun aber als Frömmigkeit einzelner Menschen, nicht mehr als die Frömmigkeit eines ganzen Kreises der Besten in ihrem Volke.
Nur das Ursprünglich-Indogermanische in der Glaubenshaltung versuche ich als Frömmigkeit der Indogermanen zu beschreiben, nicht also alle diejenige Frömmigkeit, die gemeinhin nach den Frühzeiten und Mittelaltern dieser Völker sich in einer dieser Sprachen oder in der Kunst oder im menschlichen Leben ausgedrückt hat. Wollte man alles das als indogermanische Frömmigkeit bezeichnen, was innerhalb aller Zeitabschnitte indogermanischer Geschichte sich im Glaubensleben ausgedrückt hat, so würde man nahezu alle Züge des Frommseins, die sich überhaupt bei den Völkern der Erde finden lassen, auch bei den Indogermanen finden. Es wird daher leicht sein, für diejenigen Ausdrucksweisen des Frommseins, die ich im folgenden als nicht-indogermanisch bezeichne, irgendwelche Beispiele aufzuzählen aus dem Glaubensleben indogermanischer Völker, besonders aber aus dem Glaubensleben der Spätzeiten, rassenkundlich ausgedrückt: der entnordeten Zeitabschnitte. Man hat ja in irreführender Weise sogar von einer „ christlichen Antike" gesprochen21. Was ich als indogermanische Frömmigkeit bezeichne, ist also zumeist Frömmigkeit aus denjenigen Zeitabschnitten der Geschichte indogermanischer Völker, in denen sich die Seele der nordischen Rasse noch hinreichend kraftvoll ausdrücken konnte. Doch übersehe ich nicht, daß in manchen Fällen indogermanische Frömmigkeit in reiner und reicher Entfaltung sich auch in späteren Zeitabschnitten, ja in eigentlichen Spätzeiten erhalten hat. Beispiele hierfür, auf die ich noch eingehen will, sind die edle Kunst des Panathenaienfestzuges vom Fries des Parthenons auf der Akropolis von Athen22 oder die edle Kunst der ara pacis Augustae, des im Jahre 9. v. Chr. unter Oktavianus Augustus in Rom geweihten Friedensaltars23, und ebenso das Carmen saeculare des römischen Dichters Horatius (carmina 3, 25).
Ich möchte auch nicht alles das als indogermanische Glaubensvorstellung ansehen, was sich etwa an Zaubervorstellungen oder an Vorstellungen von Geisterspuk bei einzelnen indogermanischen Völkern nachweisen läßt. Alle diese Völker und Stämme waren rassisch geschichtet, und zwar in der Weise, daß die staatlich und geistig führende Schicht aus ausgelesenen Geschlechtern überwiegend nordischer Rasse bestand. Darum ist wahrscheinlich vieles, was uns als indogermanische Glaubensvorstellung geschildert wird, in Wirklichkeit ein Ausdruck der Frömmigkeit untergeschichteter, sprachlich indogermani-sierter Unterworfener. Man spricht bei verschiedenen Völkern gerne von einer „niederen Mythologie“, die andere Züge zeige als die „höhere Mythologie“ des gleichen Volkes. Oft wird es so sein, daß die niedere Mythologie gar nichts Verwandtes hat mit der höheren, sondern daß sich in der einen die geführte Schicht, in der anderen die führende Schicht des betreffenden Volkes ausgedrückt hat. Indogermanische Frömmigkeit kann entsprechend der Entstehung indogermanischer Völker aus Überschichtungen adelsbäuerlicher vaterrechtlicher Indogermanen vorwiegend nordischer Rasse über nichtnordische Bevölkerungen immer nur in den Glaubensvorstellungen der Oberschichten gesucht werden. Das zeigt sich auch darin, daß indogermanische Frömmigkeit immer unmittelbar verbunden ist mit der Überzeugung vom Werte der Abstammung, von der Unveränderlichkeit des ererbten Wesens der Menschen und von der Gewißheit, daß angeborener Adel verpflichte — wie das gerade bei dem so echt hellenisch-frommen Pindaros hervortritt.24
Es gilt also, innerhalb der Glaubensgeschichte aller Völker indogermanischer Sprache gleichsam jeweils die Oberschicht der überlieferten Glaubensvorstellungen zu erfassen, wenn man das Wesen ursprünglich-indogermanischen Frommseins erkennen will. Darum kann zum Beispiel die Darstellung „Die urindogermanische Religion“ in der „Religionsgeschichte Europas“ von Carl Clemen (Bd. I, 1926, S. 162 ff.) fast nichts bieten für die Erkenntnis indogermanischer Frömmigkeit. Es geht nicht an, unbesehen die vorgeschichtlichen Funde und geschichtlichen Berichte aus dem ganzen Gebiete der Völker indogermanischer Sprache als nahezu gleichwertige Zeugnisse zu benutzen. Mehr als die Hälfte dessen, was Clemen als urindogermanische Glaubensvorstellungen anführt, halte ich für die Vorstellungen untergeschichteter, indogermanisierter Bevölkerungen nichtnordischer Rasse. So enthalten auch die Darstellungen der Glaubenswelt des Hellenentums durch den hervorragenden schwedischen Gelehrten Martin P. Nilsson, Darstellungen, von denen ich hier nur das Buch „Griechischer Glaube“ (1950) nennen will, manches oder vieles, was den Glaubensvorstellungen der indogermanischen Unterschichten entstammt, daher entsprechend weniger von dem, was Glauben und Frömmigkeit der aus dem jungsteinzeitlichen und bronzezeitlichen Mitteleuropa eingewanderten Hellenen ausmacht, und dasselbe gilt für die meisten Darstellungen der römischen Glaubenswelt.
Hingegen könnte manches, was im islamischen Persien und im christlichen Europa im Glaubensleben sich geäußert hat, als ein Ausdruck nordisch-indogermanischer Frömmigkeit gewertet werden, wie das besonders im christlichen Abendlande gar nicht anders zu erwarten ist, da ererbtes Wesen sich auch innerhalb übernommener Glaubensformen immer wieder regen wird. So ist die Mystik der islamisch gewordenen Perser, der Sufismus, als ein Durchbruch indogermanischer Frömmigkeit durch einen fremden und aufgezwungenen Glauben zu verstehen, als Ausdruck einer rassenseelischen Veranlagung, als ein racial endowment, wie es R. A. Nicholson25 beschrieben hat. Als ein solcher Durchbruch ist vieles in der Mystik des christlich gewordenen Abendlandes anzusehen. Auch bei großen Kirchenlehrern beider christlichen Bekenntnisse spricht sich Frömmigkeit indogermanischer Artung aus, wo immer sie undogmatisch das innerste Wesen ihrer Frömmigkeit in sich vorwalten lassen. Manchen Zug indogermanischen Frommseins werde ich mit Worten neuzeitlicher deutscher Dichter bezeichnen können. Bei Shakespeare, bei Winckelmann, Goethe, Schiller, Hölderlin, bei Shelley und Keats, bei Hebbel, Gottfried Keller und Storm und bei vielen anderen im Schrifttum der abendländischen Völker und in deren Philosophie und Bildender Kunst ließen sich Beispiele einer Frömmigkeit indogermanischer Artung finden26. Gustav Frenssen hat in seiner Schrift „Der Glaube der Nordmark“ (1936), die viele Auflagen erlebt hat, die eigentliche Frömmigkeit seiner Landsleute, in die er als Pfarrer tiefe Einblicke gewonnen hatte, so beschrieben, daß aus dieser Schrift ohne Absicht des Verfassers eine Darstellung indogermanischen Frommseins in der ländlichen Umwelt eines norddeutschen Stammes geworden ist.
H. A. Korff hat mit seinem Buche „Faustischer Glaube“ (1938) versucht, denjenigen Glauben zu kennzeichnen, zu dem sich Goethe mit seiner Faustdichtung bekannt habe: „Es ist Lebensglaube trotz alledem: trotz der Erkenntnis von dem tragischen Grundcharakter des Lebens.“27 Ein solcher „Lebensglaube“ ist aber wieder zu begreifen als eine Möglichkeit indogermanischen Frommseins.
In seiner Schrift „Weltfrömmigkeit“ (1941) hat Eduard Spranger die hochgemute Frömmigkeit der Großen des deutschen Geisteslebens vom Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts beschrieben, eine im Grunde durchaus indogermanische Frömmigkeit, die Spranger indessen mit einem den Kirchenlehren (Dogmen) entwundenen Christentum zu verbinden suchte. Er hat solche „Frömmigkeitsmotive“ durch die große deutsche Dichtung und die deutsche idealistische Philosophie „hindurchklingen“ gehört und täuscht sich nur (S. 4) — die beschleunigt zunehmende Verödung des Seelenlebens in Europa und Nordamerika übersehend — in der Annahme, daß diese „Motive“ für die gegenwärtigen Deutschen, Europäer und Nordamerikaner „noch viel bedeuten“. In Nordamerika war Ralph Waldo Emerson (1803-82) einer der letzten Bekenner indogermanischer Frömmigkeit.
Die Arbeit, indogermanisches Wesen im Glaubensleben in wissenschaftlicher Weise zu erfassen, ist — soviel ich sehe — noch nicht so geleistet worden, wie es Walter F. Otto für die hellenische Frömmigkeit getan hat28. Es gibt gute und minder gute Darstellungen der Glaubensformen der einzelnen Völker indogermanischer Sprache; es gibt aber keine befriedigende Darstellung indogermanischer Frömmigkeit (Religiosität), und wo einmal der Versuch unternommen worden ist, diese Frömmigkeit zu schildern, da ist indogermanische Frömmigkeit meistens bewußt oder unbewußt mit den Maßstäben gemessen worden, die bei der Erörterung der jüdisch-christlichen Glaubenswelt gewonnen worden waren. Wir sind es aber uns selbst als Deutsche, als Germanen, als Indogermanen, schuldig, endlich auch einmal indogermanische Frömmigkeit aus sich selbst heraus begreifen zu wollen. Der Versuch zu solchem Begreifen muß gewagt werden. Ich bilde mir jedoch nicht ein, die Erforschung des Eigentümlichen der indogermanischen Frömmigkeit mit meinen Ausführungen entscheidend beginnen zu können. Es mag vermessen sein, wenn ich als Nichtfachmann wage, von diesem Gegenstande zu reden. Mehr als Anregungen kann ich nicht versprechen. Aber auch dazu mußte ich einleitend angeben, wo ich Äußerungen indogermanischer Frömmigkeit in zugleich reicher und reiner Entfaltung zu finden hoffe, wo nicht. Im folgenden möchte ich mehr erzählend vorgehen als wissenschaftlich Einzelheiten belegend und mich mit anderen Auffassungen im Einzelnen auseinandersetzend.
Ich möchte nur darlegen, was ich in den berührten Fragen, die mich von Jugend auf beschäftigt haben, sehen zu dürfen glaube und wie ich dieses sehe. Es kommt also alles auf einen ersten Entwurf hinaus nach mich bestimmenden Eindrücken aus meiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit der Welt des Indo-germanentums.
Wir werden am besten davon ausgehen, uns an einigen Gegenbeispielen deutlich zu machen, wie indogermanische Frömmigkeit sich nicht äußert, um später zu erkennen, wie sie sich am reinsten und freiesten zu äußern liebt. Ich versuche also nach Möglichkeit, abzusehen vom Inhalt des Glaubens der einzelnen indogermanischen Völker und nur zu schildern, mit welchen kennzeichnenden Empfindungen die Indogermanen dem Göttlichen gegenüberstehen, gleichviel, in welcher Gestaltung sie dieses Göttliche sich vorstellen mögen. Wenn es mit Fremdwörtern bezeichnet werden sollte, so könnte ich sagen: nicht die Religion oder die Religionen, sondern die Religiosität der Indogermanen möchte ich zu kennzeichnen versuchen.
Zunächst zeigt sich unverkennbar, daß indogermanische Frömmigkeit nicht in irgendeiner Furcht wurzelt, weder in Furcht vor der Gottheit noch in Furcht vor dem Tode. Der Satz des spätrömischen Dichters, menschliche Furcht habe die Götter geschaffen (S t a t i u s, Thebais III, 663: primus in orbe fecit deos timor), kann auf die höchsten Erhebungen indogermanischer Frömmigkeit nicht angewandt werden. Die „Furcht des Herrn“ (Sprüche Salomos 9, 10; Psalm 333, 30) ist weder des Glaubens noch der Weisheit Anfang, wo immer sich indogermanische Frömmigkeit frei entfaltet hat.
Eine solche Furcht konnte auch deshalb nicht aufkommen, weil der Indogermane sich nicht als Geschöpf einer Gottheit empfand, als „Kreatur“, und weil er die Welt nicht begriff als eine Schöpfung, als das Werk eines Schöpfergottes mit einem Anfang in der Zeit. Ihm war die Welt viel eher eine zeitlose Ordnung, innerhalb deren sowohl Götter wie Menschen ihren Ort, ihre Zeit und ihr Amt haben. Der Schöpfungsgedanke ist morgenländisch, vor allem babylonisch, wie der — aus Iran, aber nicht aus indoiranischem Geiste kommende — Gedanke eines Weltendes durch ein Gericht und eines hereinbrechenden Reiches Gottes, in dem alles sich gänzlich verwandelt finden werde. Nachdem der alternde Platon im „Timaios“ Einzelheiten morgenländischer Schöpfungssagen zur Erklärung einer Weltentstehung übernommen hatte, stellte sein Schüler Aristoteles29 die indogermanische Anschauung wieder her: Das Weltganze sei „ungeworden und unvergänglich“, sei „ewig, ohne Veränderung, ohne Wachsen und Schwinden“. — Die Indogermanen glaubten — gleichsam in einer Vorahnung von Erkenntnissen und Annahmen der Physik und Astronomie unserer Tage — an eine anfangs- und endelose Folge von Weltentstehungen und -untergängen, an wiederholte Götterdämmerungen und Erneuerungen der Welt und ihrer Götter, wie auch die Edda in der „Völuspa“ es in großartiger Schau schildert. Sie glaubten an wiederholte Kataklysmen, wie die Hellenen es nannten, denen neue Welten mit neuen Göttern folgen sollten30. Eine Folge von Weltentstehungen und -untergängen lehren Anaximandros, Herakleitos, Empedokles und andere hellenische Denker; nach ihnen später der römische Dichter und Denker Lucretius (de rerum natura V, 95 ff) hat einen solchen Untergang erwartet:
„Und doch schlägt ein einziger Tag dies alles in Trümmer,
hinstürzt, was Jahrtausende hielt, die Masse des Welthaus.“
(Übersetzt von Hermann Diels)
Den Germanen war nach Andreas Heusler31 „die Vernichtung des Bestehenden eine feste Erwartung, die Neubelebung ein unbestimmtes Ahnen". Ihnen war, wie Erik Therm an32 sich ausgedrückt hat, die Welt „ein schicksalsgebundener und übermächtiger Ursachzusammenhang“. Für die Edda lastet nach Erik Therman auf dem Leben eine Schuld von Urbeginn an — ein Gedanke, der in Hellas von Anaximandros (610-547) schon ausgesprochen worden war.
Den Endglauben, die Eschatologie des Ostiraners Spitama Zaratuschtra, die sich mit dem Glauben an einen kommenden Weltheiland verband, hat H. S. Nyberg33 geschildert. Dieser iranische Endglauben ist nicht lange vor Jesu Zeit in das Spätjudentum eingedrungen und hat die Botschaft Jesu völlig bestimmt34. In Iran war aus vorderasiatischem Glaubensgeiste die Vorstellung von den sich wiederholenden Entstehungen und Untergängen zum Glauben an ein herannahendes Weltende zusammengezogen worden, an ein Weltende, dem ein Heiland (saoschjant) vorhergehen und dem ein Weltgericht folgen sollte. Wo — wie bei den Indogermanen — der Mensch in der Welt nicht eine Schöpfung sah und in Gott nicht einen Schöpfer, da konnte das Empfinden, Geschöpf, gar ein durch einen Schöpferwillen gefesseltes Geschöpf — „Kreatur“ — zu sein, sich nicht regen, mindestens nicht zu einem wesentlichen Ausdruck frommer Haltung werden.
Noch weniger war hier eine Frömmigkeit möglich, die im Menschen einen Sklaven sah unter einem Gewaltherrn Gott. Das Untertanen- und Knechtsverhältnis des Menschen zu Gott ist besonders bezeichnend für die Frömmigkeit der Völker semitischer Sprache. Die Bezeichnungen Baal, Adon, Melech, Rabbat und andere betonen alle den Gewaltherrn Gott über den auf ihr Angesicht niedergekauerten Sklavenmenschen, seinen Geschöpfen. Für den Indogermanen war Gott verehren, eine Gottheit „anbeten“ ein Hegen und Pflegen aller verehrenden Antriebe, ein colere wie bei den Römern, ein therapeuein wie bei den Hellenen. In den semitischen Sprachen geht das Wort „anbeten“ auf eine Wurzel abad zurück, die soviel bedeutet wie „Sklave sein“. Hanna bittet (1. Samuel 1,11) Jahwe, den hebräischen Stammesgott, ihr, seiner Sklavin, einen Sohn zu schenken; David nennt sich (2. Samuel 7,18) einen Knecht seines Gottes, ebenso Salomo (2. Könige 3, 6). „Schrecken“ macht das Wesen Jahwes aus (2. Mose 23,27; Jesaja 8,13). So haben die Indogermanen ihre Götter nie empfunden35. Der Zeushymnos des Stoikers Kleanthes von Assos (331-233), aus der Paulus (Apg. 17, 28), um sich der hellenischen Frömmigkeit anzupassen, Worte entnommen hat, widerspricht gänzlich der Frömmigkeit z.B. des 90. Psalmes.
Auch im Christentum wurde die Haltung des Gläubigen vor Gott gerne durch die Kennzeichnung humilis angegeben, und somit Demut, wörtlich Knechtssinn (zum Stamme „dienen“), als Kern der Frömmigkeit gefordert. Das ist unindogermanisch, eine Nachwirkung morgenländischer Frömmigkeit. Weil er nicht Knecht ist vor einem Gewaltherrn Gott, betet der Indogermane zumeist auch nicht kniend oder zur Erde gesenkt, sondern stehend mit dem Blick gegen oben und die Arme aufwärtsgestreckt.
Als der ganze Mensch mit seiner unversehrten Ehre steht der rechtschaffene Indogermane vor Gott oder vor den Göttern. Jede Frömmigkeit, die dem Menschen etwas abzieht, um ihn kleiner erscheinen zu lassen vor der ins Übermächtige und Erdrückende gesteigerten Gottheit, ist unindogermanisch. Jede Frömmigkeit, die Teile der Welt und des Menschen für wertlos, niedrig, beschmutzend erklärt und nun den Menschen herauslösen möchte zu überirdischen oder außermenschlich-heiligen Gütern, ist nicht echte indogermanische Frömmigkeit. Wo „diese Welt“ herabgesetzt und dafür „jene Welt“ zum ewigen Gute gesteigert wird, da ist der Bereich indogermanischen Frommseins verlassen. Indogermanische Frömmigkeit ist Diesseitsfrömmigkeit: das bestimmt ihre wesentlichen Ausdrucksformen.
Es fällt uns deshalb so schwer, die Größe der indogermanischen Frömmigkeit zu begreifen, weil wir gewohnt sind, Frömmigkeit zu messen an Werten und Ausdrucksformen, die wesentlich unindogermanisch sind. Die meisten unserer Maßstäbe für Frömmigkeit sind ausgesprochen nichtindogermanischem Glaubensleben entnommen, vor allem morgenländischem Glaubensleben und besonders dem Christentum in mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Prägung. Darunter muß unsere Einschätzung indogermanischer Frömmigkeit etwa so leiden, wie wenn wir versuchen würden, den Sprachbau der indogermanischen Sprachen nach denjenigen Gesichtspunkten zu klären, die sich für die Sprachlehre des Semitischen richtig erwiesen haben. Wir sind gewohnt, nur in einer Jenseitsfrömmigkeit wahre Frömmigkeit zu suchen und in einer Diesseitsfrömmigkeit — wenn wir das Wesen einer solchen überhaupt zu begreifen wissen — etwas Mangelhaftes oder Unentwickeltes oder nur eine Vorstufe zu etwas Wertvollerem zu erblicken. So hindern uns die uns übermittelten jüdisch-christlichen Glaubensvorstellungen daran, die Größe indogermanischer Frömmigkeit zu erkennen, und das geht so weit, daß auch in dem Schrifttum der vergleichenden Religionswissenschaft immer wieder indogermanische Glaubenswerte „rein wissenschaftlich“ als Glaubenswerte geringerer Bedeutung dargestellt werden, nachdem die Darsteller sich am Beispiel, mehr noch: am Vorbild morgenländischer seelischer Werte einen Maßstab für jeglichen Glaubenswert zurechtgemacht haben. Das gilt auch für Rudolf Ottos Darstellung „Das Heilige“ (1948). So aber wird die Größe und Fülle der indogermanischen Welt nie erkannt werden.
Wer Frömmigkeit daran messen will, wie entwertet sich der Mensch erscheint gegenüber der Gottheit; wer Frömmigkeit daran messen will, wie fragwürdig oder wertlos oder gar wie befleckend dem Menschen „diese“ Welt erscheint gegenüber „jener“; wer Frömmigkeit daran messen will, ob und wie einschneidend der Mensch einen Zwiespalt empfindet zwischen einem vergänglichen Leibe und einer unvergänglichen Seele, zwischen Fleisch (sarx) und Geist (pneuma) — der wird bei den Indogermanen eine recht dürftige Frömmigkeit feststellen müssen.
Götter einerseits und Menschen andererseits sind bei den Indogermanen nicht unvergleichbare, einander ferngerückte Wesenheiten, am wenigsten bei den Hellenen: Die Götter erscheinen als unsterbliche, großbeseelte Menschen (vgl. Aristoteles, Metaphysik, III, 2, 997 b), und die Menschen können als wohlgeartete Sprossen edler Geschlechter etwas Göttliches haben und können als solche den Anspruch erheben, mit ihrer Sippe etwas Göttliches darzustellen: „der göttergleiche Agamemnon“. Im Wesen des Menschen selbst, so wie die Gottheit es will, liegen Möglichkeiten, als diógenes, gottentstammt, zu erscheinen, und daher gerade die Aufgabe, die jedes indogermanische Volkstum lebhaft empfunden hat: die Verleiblichung aller edlen völkischen Werte in menschlichen Geschlechtern, die kalog'agathia36.
Indogermanische Frömmigkeit ist nicht Knechtschaft, nicht das Flehen des zertretenen Sklaven zu seinem Gewaltherrn, sondern die vertrauende Erfülltheit von einer Götter und Menschen umschließenden Gemeinschaft. P l a t o n spricht in seinem „Gastmahl“ (188 c) von einer „wechselseitigen Gemeinschaft (philia) zwischen Göttern und Menschen“. Der Germane war einer Freundschaft zu seinem Gotte gewiß, zu dem astvin oder fulltrui, dem er voll vertraute, und bei den Hellenen in der Odysee (24, 514) findet sich die gleiche Gewißheit mit dem Worte „Freunde-Götter“ (theói philoi) ausgedrückt.
Der Name des indischen Gottes Mitra, dem im Iran Mithra entsprach, bedeutet „Freund“. Der Mazdaismus, begründet von Zarathuschtra, nannte den sittlich handelnden Menschen einen Freund Ahura Mazdas, des Eingottes und Allgottes, der im Zeitalter der Achaimeniden zum persischen Reichsgott wurde. Nach Platon (Gesetze IV, 716) ist vor allem der Mensch des Maßes und der Selbstbeherrschung ein „Freund Gottes“.
In der Bhagavadgita der Inder (IV, 3) nennt der Gott Krischna den Menschen Ardschuna seinen Freund. Oder aber die höchste Gottheit wird wie Zeus als „Vater der Götter und Menschen“ verehrt — als Vater nach dem Bild eines großbäuerlichen Hausvaters, des Zeus Herkeios, nicht also als Gewaltherr. Das spricht sich auch in den Götternamen Djaus pitar bei den Indern und Juppiter bei den Römern aus.
Dem Glauben an die Freund-Götter entspricht auch die indogermanische Vorstellung von einer Verwandtschaft der hochgemuten und sittlich handelnden Menschen mit den Göttern, einer Verwandtschaft, die sich schon in der 9. Nemeischen Ode des Thebaners Pindaros ausgesprochen findet. Diese Verwandtschaft beruht vor allem darauf, daß Götter und Menschen durch die gleichen Werte verbunden sind, durch die Wahrheit und die Tugenden (Platon, Gesetze X, 899). So verkündet es auch der erwähnte Zeushymnos des Kleanthos von Assos, in welchem Zeus „vielnamig“ genannt wird, nämlich auch Logos (Vernunft), Physis (Natur), Schicksal (heimarmene) und Urquell alles Werdens. Diesen Gedanken hat als Schüler hellenischer Weisheit auch Marcus Tullius Cicero (de legibus 1,25) übernommen. Aus dem gleichen Gedanken hatte sich für Platon (7. Brief 344 A) schon die Einsicht ergeben: „Wer sich nicht innerlich verwandt fühlt mit dem Gerechten und dem Sittlich-Schönender wird... niemals den höchsten Grad der Erkenntnis vom wahren Wesen der Tugend und des Lasters erreichen.“
Im indogermanischen Bereich ist Gott immer wieder als die durch die Welterscheinung herrschende Vernunft angesehen worden, so vor Kleanthes von Assos schon von Euripides (Troaden 884), der in Hekabes Gebet Zeus dem Naturgesetz und der Vernunft gleichsetzt. Die Stoiker waren überzeugt, daß ein gleiches Schicksalsgesetz, die Verflechtung von Ursache und Wirkung, die Götter und Menschen verbinde, daß deshalb Freiheit für die Menschen nur als die sittliche Freiheit des Weisen möglich sei, der durch vernunftvolle Einsicht seine Begierden überwunden habe. Damit haben die Stoiker wieder ausgesprochen, was in Indien Jahrhunderte vorher Buddha gelehrt hatte. Solche Vernunft (sapientia) war auch für Cicero (de legibus 1,58) wieder das Verbindende zwischen den Göttern und den Menschen, sie war ihm die „Mutter alles Guten“, das köstlichste Geschenk der Unsterblichen an die Sterblichen. Eine Gleichsetzung Gottes und der Vernunft hat Goethe gegen Ende seines Lebens ausgesprochen, so in einem Gespräch mit Eckermann vom 23. Februar 1831, in welchem er „das höchste Wesen“ als „die Vernunft selber“ bezeichnete.
Paulus unterscheidet die Frömmigkeit der Indogermanen von der der Semiten, wenn er (1. Kor. 1, 22/23) ausspricht, die Hellenen trachteten nach Erkenntnis (sophia), die Juden begehrten Offenbarungen (semaia), und Aurelius Augustinus, der Bischof von Hippo (Nordafrika)37, bemüht sich unter Anführung von Bibelstellen, die ihn als Christen befremdende Weisheit (sapientia) der Hellenen als eine Torheit vor Gott herabzusetzen und höchste Weisheit allein in der gehorsamen Demut (humilitas oboediential) des Gläubigen zu finden.
Die indogermanische Anschauung von der Begegnung und Verwandschaft Gottes und der Menschen in der beiden gemeinsamen Vernunft kann man in abschätziger Weise Rationalismus nennen, aber die Indogermanen haben immer zum logos und zur ratio geneigt, jedoch zu einem logos und einer ratio, die sich durch Fülle der Erkenntnis weit über den Bereich einer dürren Verständigkeit oder flachen Vernünftelei erhoben. Indogermanisches Denken hat einen „Primat der praktischen Vernunft“ (Kant) erkannt und anerkannt, den schon Marcus Tullius Cicero (de legibus I, 45), durch Poseidonius in die hellenische Philosophie eingeführt, angedeutet hat mit den Worten: „Die Vollendung der Vernunft ist die Tugend“ (est enim virtus perfecta ratio, quod certe in natura est). Indogermanische Denker haben seit Platon gelehrt, der Mensch könne durch Teilhabe (methexis) am Wahren, Guten und Schönen des Göttlichen teilhaftig werden. Indogermanische Denker (Duns Scotus, Schelling, Schopenhauer, Eduard v. Hartmann) sind, jeder in seiner Weise, durch einen Voluntarismus über jeden Rationalismus hinausgedrungen.
Den Indogermanen ist aber, obschon sie sich als Verwandte und Freunde der Götter fühlten, immer die Unbegrenztheit der Gottheit und die Begrenztheit des Menschen gewiß gewesen, und gerade die Hellenen haben eine Abhängigkeit von den Göttern tief empfunden. Mit der Mahnung „Erkenne dich selbst!“, die zu Delphoi in der Vorhalle des Apollontempels als Inschrift stand, sollten die Menschen eben an ihre Begrenztheit gegenüber der Gottheit erinnert werden. P i n d a r o s hat in der 5. Isthmischen Ode (16) gewarnt: „Strebe nicht danach, Zeus zu werden!“ Die gleiche Lebens- und Glaubenserfahrung findet sich wieder bei Goethe:
„Denn mit Göttern
soll sich nicht messen
irgendein Mensch.“
(Grenzen der Menschheit)
Die Verlockung und Gefahr menschlicher Selbstüberhebung ist anscheinend besonders den Indogermanen bewußt geworden, vielleicht eben deshalb, weil sie gegenüber andersrassigen Menschen ihre Überlegenheit, ihre durch Auslese — die strenge Auslese nacheiszeitlicher Jahrtausende in Mitteleuropa — erworbene Erbtüchtigkeit, ihr ererbtes Edelingstum, empfanden. Das Erschrecken vor menschlicher Hybris, Selbstübersteigerung, kommt aus der Tiefe des Hellenentums, und aller Hybris gegenüber wird der begrenzte Mensch an seine sich fügende Einreihung in die zeitlose Ordnung der Welt gemahnt, in die auch die Götter sich eingefügt hatten. Es ist ein Verhängnis, bei starkem Wollen und edlem Freiheitsdrang doch immer als der begrenzte Mensch gegenüberzustehen der Unbegrenztheit der Götter — und dieses Verhängnis hat kein Menschenschlag tiefer und erschütterter empfunden als die Indogermanen: das große Trauerspiel in der Dichtung der indogermanischen Völker erwächst aus der Erschütterung durch dieses Verhängnis.
Es ist aber ganz unmöglich, aus der Schau der Indogermanen auf das Schicksal, ,,welches den Menschen erhebt, wenn es den Menschen zermalmt“ (Schiller, Shakespeares Schatten), etwa wie W. B a e t k e gegenüber den Germanen, zu schließen, die „Schicksalstragik“ habe für diese Menschen einen „Bann“ bedeutet und eine „Schicksalsangst“ bewirkt, die sie reif gemacht hätten für eine „Erlösung“. Nicht der Schicksalsgott, sondern der Erlösergott habe den Germanen „die Erfüllung ihrer religiösen Sehnsucht gebracht“38. So kann man über Germanentum und Indogermanentum nur urteilen von außen her, niemals von innen heraus. Es mag sein, daß Menschen weicheren Gemütes den Blick aus dem Auge eines gnadenlosen Schicksals nicht aushielten und — gegen alle Wirklichkeit des die Schicksale in den Ketten von Ursachen und Wirkungen mit sich reißenden anfangs- und endelosen Weltlaufs — ihre Zuflucht zum Wunschbilde gnädiger Götter oder eines gnädigen Gottes nahmen. Die Menschen strafferen Gemütes im indogermanischen Bereich sind immer wie Friedrich der Große „geborene“ Stoiker gewesen und haben aufrecht wie der fromme Vergilius ein unerbittliches Schicksal (inexorabile fatum) anerkannt.
Es gehört zur Seelenstärke des Indogermanen — und eben dies bezeugt die große Dichtung dieser Völker, vor allem ihr Trauerspiel —, eine tiefe Lust zu empfinden am Verhängnis, an der Spannung zwischen dem Begrenzten der Menschen und dem Unbegrenzten der Götter. Nietzsche hat diese Lust einmal amor fati genannt. Gerade die reich beseelten Menschen der indogermanischen Völker — und sie gerade mitten in Schicksalsschlägen — fühlen, daß ihnen die Gottheit ein g r o ß e s Schicksal beschieden habe, in dem sie sich bewähren sollen. Es ist echt indogermanisch gedacht, wenn Goethe in einem Briefe an die Gräfin Auguste zu Stolberg vom 17. Juli 1777 schreibt:
„Alles geben die Götter, die unendlichen,
ihren Lieblingen ganz:
alle Freuden, die unendlichen,
alle Schmerzen, die unendlichen, ganz.“
Niemals ist diese indogermanische Lust am Schicksal zu einer Schicksalsergebung (Fatalismus) geworden, und zwar deshalb nicht, weil auch gegenüber der Gewißheit des Untergangs der Indogermane sich dessen bewußt blieb, daß seine ererbte Artung die Artung des Kämpfers sei. Das drückt in der indischen Bhagavadgita (II, 38) der Gott Krischna aus, wenn er zu Ardschuna sagt: „Freude und Schmerz, Gewinn und Verlust, Sieg und Niederlage für gleich erachtend, rüste dich also zum Kampf, so wirst du keinen Makel auf dich laden.“ Und später kennzeichnet der Gott indogermanisches Wesen noch sicherer, wenn er (XVIII, 59) sagt: „Wenn du . . . denkst: ,Ich will nicht kämpfen’, so ist dieser dein Entschluß eitel; deine Edelingsart wird dich dazu treiben.“
Das ist indogermanische Schau des Schicksals, indogermanische Lust am Verhängnis, und für den Indogermanen wäre das Leben und wäre auch sein Glaube matt entspannt, wenn ihm diese Schau durch einen „Erlösergott“ entzogen würde.
Vorstellungen von einer „Erlösung“ und von Erlösern haben sich bei den Völkern indogermanischer Sprache erst in den Spätzeiten und von den indogermanisierten Unterschichten aus verbreiten können. Wenn man eine Bezeichnung wie „Erlösung“ auf das Indogermanentum ursprünglicher Art anwenden will, kann man höchstens von einer „Selbsterlösung“ sprechen, niemals aber von einer Erlösung durch einen Gottmenschen, einen Halbgott oder Gott. Doch sollte die indogermanische „Selbsterlösung“ richtiger als Selbstbefreiung bezeichnet werden, als die Befreiung der sich sittlich läuternden und sich in ihre eigenen Seinsgründe versenkenden Seele durch sich selbst, eine Befreiung in das Zeit- und Raumlose und aus dem Daseinmüssen und Soseinmüssen. Eine solche Selbstbefreiung durch eine Selbstüberwindung zur Begierdelosigkeit (Pali: kilesanibbana oder tanhakkaja), zur apátheia der Stoiker, hat der indische Fürstensohn Siddhartha gelehrt, der Weise mit „Augen von der Farbe der Flachsblüte“, wie es in den Quellen39 heißt, Siddhartha, welcher später der Buddha, der Erleuchtete, genannt worden ist.
Eine solche Befreiung aus Zeit und Raum erfährt im indogermanischen Bereich der Mystiker als das „Nirwana bei Lebzeiten“ 40, als die „Abgeschiedenheit“ der sich in sich selbst versenkenden Einzelseele, die sich auf ihrem tiefsten Grunde als Allseele oder als Teil der Allseele erlebt. Daher darf auch die Mystik des Abendlandes nicht mit einer „Erlösung“ verwechselt werden.
Die Indogermanen haben immer dazu geneigt, eine Schicksalsmacht noch über die Götter zu erhöhen, am meisten wohl die Inder, die Hellenen und die Germanen (vgl. Ilias 15,117; 17, 198 ff; 22, 213; Odyssee 3, 236 ff; Hesiodos, Theogonia 220, Aischylos, Prometheus 515 ff; Herodotos 1,91). Der Moira oder Aisa der Hellenen, die schon bei Homeros und Herakleites auftritt, entspricht die Wurd (skandinavisch „ Urd“) der Germanen; den Parzen (Parcae) bei den Römern oder den in Mehrzahl gedachten Moiren bei den Hellenen entsprechen die Nornen bei den Germanen, Schicksalsgottheiten, die auch bei den Slawen in ähnlicher Gestalt auftreten41. Die Schicksalsgöttin der Letten, dieses baltischen Stammes der Indogermanen, hieß Leima. Piaton (Gesetze V, 1741 A) hat noch in der Spätzeit seines Volkes betont, die Gottheit stehe unter dem Schicksal, und ein angelsächsischer Spruch des 11. Jahrhunderts, verfaßt von einem christlichen Dichter, hält an der vorchristlichen Auffassung fest: „Christus ist mächtig, mächtiger aber das Schicksal“ (wyrd) 42. Ahura Mazda, der Himmelsgott der Iraner, „teilt das Schicksal aus“ wie Zeus, der Himmelsgott der Hellenen43; beide vermögen aber nichts gegen das Schicksal.
Dieser indogermanische Blick auf das Schicksal hat mit Schicksalsergebung (Fatalismus) nichts zu tun, sondern deutet vielmehr an, aus welchem wirklichkeitsverwandten und wirklichkeitsharten Lebensgefühl sich indogermanische Frömmigkeit gottwärts erhebt. Nach seiner ganzen Artung kann der Indogermane gar nicht gewünscht haben, aus dieser Spannung seines schicksalsverbundenen Lebens heraus „erlöst“ zu werden. Die Lösung dieser Spannung hätte ihm eine Entstraffung bedeutet und damit letzten Endes auch eine Lähmung seiner Frömmigkeit. Schicksalsverbundenheit hat von jeher die Größe indogermanischen Daseins ausgemacht. „Des Herzens Woge schäumte nicht so schön empor und würde Geist, wenn nicht der alte stumme Fels, das Schicksal, ihr entgegenstände.“ Diese Gewißheit, so von Hölderlin in seinem „Hyperion“ ausgesprochen, verkünden die Trauerspiele eines Sophokles und so jedes großen Dichters indogermanischer Art. Es ist die gleiche Gewißheit, die Schopenhauer in harter Weise so gefaßt hat: „Ein glückliches Leben ist unmöglich; das Höchste, was der Mensch erlangen kann, ist ein heroischer Lebenslauf“ (Parerga und Paralipomena, Bd. II, Kapitel 14).
Es leuchtet ein, daß eine Frömmigkeit aus solchem Lebensgefühl niemals zur Frömmigkeit für jedermann werden kann. Indogermanische Seelenhaltung kann nicht auf jeden beliebigen Menschenschlag übertragen werden. Zu ihr gehört die Artung des mahatma (indisch), megalethor (Ilias 16,257, Odyssee 11,85) des megalophron oder megalopsychos (hellenisch)44 (vgl. Aristoteles, Nikomadische Ethik II, 7,7, IV, 3,1-34), des magnanismus (römisch), des Menschen der magnitudo animi45, der altnordischen mikilmenska oder stormenska, der hochgemüete, wie es im deutschen Mittelalter hieß — alles dies Bezeichnungen, von denen jede die Übersetzung der anderen sein könnte. Frömmigkeit ist hier das Reif werden des Helden zum Anblicke des Schicksals, in dem er mit seinen Göttern steht. Das ist auch der Sinn jener Shakespeareschen Worte „Bereitschaft ist alles“ (Hamlet V, 2, 233: the readiness is all) und „Reifsein ist alles“ (König Lear, V, 2, 11: ripeness is all). —
Man hat davon gesprochen, daß die Lebensauffassung der Germanen ein „ Pantragismus“ sei, „eine Haltung, die alles Sein und Geschehen der Welt als von einem letzten tragischen Urgrundgetragen auffaßt“ 46. Aber ein solcher „Pantragismus", wie er bei dem echten Germanen Hebbel fast überbewußt zutage tritt, ist nicht allein germanisch, sondern allen Indogermanen ursprünglich eigen47. Er durchwirkt auch die indogermanische Frömmigkeit. Der Indogermane wird zum reifen Menschen erst durch sein Leben in der Spannung des Schicksals. Der germanische Held, wie ihn vor allem die Isländergeschichten kennzeichnen, begreift in seinen höchsten Augenblicken das ihm begegnende Geschick hochgemut als „sein Schicksal“, bleibt darin aufrecht und so sich selber treu. Aischylos (Der gefesselte Prometheus, 936) hat ausgesprochen: „Weise sind, die Adrasteia ehren.“ Adrasteia war eine hellenische Schicksalsgöttin.
Weil das Schicksal gerade den frömmsten Indogermanen so viel bedeutet hat, finden sich in ihren Sprachen dafür so viele Benennungen: der moira der Hellenen entspricht das fatum der Römer, der ananke und heimarmene der Hellenen die necessitas und fatalitas der Römer. Die Germanen benannten das Schicksal je nach der Seite, von der sie es betrachteten, als örlog, metod, wurd, skuld und giskapu48. Bei den Indern war der Gedanke des Schicksals zur Karmavorstellung49, zur Vorstellung von einer Seelenwanderung geworden, die je nach der sittlichen Leistung während eines Lebenslaufes zu einem folgenden besseren Lebenslauf hinauf- oder zu einem folgenden schlechteren hinabführte. Der Gedanke eines Kreislaufes der Geburten, nach der Bezeichnung der Hellenen eines kyklos tes genéseoos, war ursprünglich wahrscheinlich allen Indogermanen eigen und ist auch von den Kelten und den Germanen bezeugt. Vielleicht ist er auch aus der aufmerksamen Beobachtung der Vererbung leiblicher und seelischer Züge in den Sippen zu erklären, die den Indern wie den Iranern, den Hellenen wie den Römern und den Germanen eigen war — denn auch Vererbung, also Soseinmüssen, ist Schicksal.
Mitten im christlichen Mittelalter hat das Nibelungenlied, über dessen Unchristlichkeit schon Goethe erstaunt war, die germanische Unerschütterlichkeit gegenüber dem unerbittlichen Schicksal in männlichen und weiblichen Gestalten besungen. Erik Thormann50 hat für die Edda und manche Gestalten der Isländergeschichten einen „höhnischen Trotz“ gegenüber dem Schicksal kennzeichnend gefunden, einen Kampf gegen dieses Schicksal bei aller Anerkennung seiner Übermacht. Ein solcher Trotz spricht auch noch aus dem mittelalterlichen Nibelungenliede, damit aber die indogermanische Unerschütterlichkeit, die Vergilius und die noch der milde Horatius gefeiert hat:
Felix qui potuit rerum cognoscere causas atque
metus omnis et inexorabile fatum subiecit pedibus
strepitumque Acherontis avari.
(Georgica II, 490-492)
Si fractus illabatur orbis,
impavidum ferient ruinae.50a
(Carmina III, 3, 7/8)
Den gleichen Gedanken hat Geibel in seiner „Brunhild" (II, 2) so ausgedrückt:
„Wenn's etwas gibt, gewalt'ger als das Schicksal,
so ist's der Mut, der's unerschüttert trägt.“
Oben (S. 29) habe ich erwähnt, daß der Schicksalsgedanke auch von der hellenischen Philosophie, von Herakleitos, Platon und anderen, schon durchdacht worden ist. Die Stoiker, vor allem Poseidonios, haben hellenische Lehren von einem Schicksalsgesetz (heimarmene) den Römern übermittelt, so vor allem in der Fassung des Epikuros (Titus Lucretius Carus, Vergilius, Horatius). In der neueren Philosophie ist die Schicksalsfrage besonders seit Hegel wieder erörtert worden, der die Geschichtlichkeit der Gattung Mensch und des Einzelmenschen betont hat, eine Geschichtlichkeit, die von Martin Heidegger als „Geworfenheit“ aus der Endlichkeit des Menschen erklärt wird.
Die Kirche hat versucht, den indogermanischen Schicksalsgedanken durch die Vorstellung von einer „Vorsehung“ (Providentia) zu verdrängen. Bei den denkenden Menschen der indogermanischen Völker gelang ihr das nicht, denn diese vermochten nicht, eine „Vorsehung“, die ein Übermaß von grimmen „Schicksalsschlägen“ blindlings austeilt, zugleich als die Liebe und die Barmherzigkeit anzusehen. Bei Kant im Opus Postumum findet sich der Satz: „Wollten wir uns aus der Erfahrung einen Begriff von Gott machen, so würde alle Moralität desselben wegfallen und nur Despotie übrig bleiben.“ Darum, so folgerte Kant, müsse man von einem Weltschöpfer annehmen, er habe auf Glückseligkeit seiner Geschöpfe keine Rücksicht genommen.
Wer wie W. Baetke51 oder H. Rückert vermeint, solche Anschauungen bedeuteten „keine befriedigende Lösung der Schicksalsfrage“ oder deuteten an, diese Menschen seien „mit der Schicksalsfrage religiös nicht fertig geworden“ 52, der versteht hier — als ein von außen Betrachtender — unter „Schicksalsfrage“ etwas ganz anderes als die Entschlossenheit zum Schicksal“, in der zu leben und aus der zu wirken sich das Indogermanentum berufen sah. Nicht durch ein Auflösen der „Schicksalsfrage“ im Erlösungsgedanken kann der Indogermane seine Artung vollenden — solche Erlösung würde ihm wahrscheinlich wie ein Ausweichen erscheinen; seine Artung vollendet sich allein durch Bewährung im Schicksal. „Dies über alles: sei dir selber treu!“ (Hamlet I, 3, 78: This above all: to thine own self be true!) Aus dem Sittengebote, sich selber treu zu bleiben, ergibt sich aber wieder, daß indogermanische Frömmigkeit eine Frömmigkeit edler Artung ist: dem Niederträchtigen wird man nicht raten dürfen, sich selber treu zu bleiben.
Es ist hier — ebenso wie überhaupt bei allen diesen Erörterungen — nicht etwa die Frage, ob das Schicksal von den Indogermanen so „richtig“ verstanden worden sei — „richtig“ in irgendeiner wissenschaftlich-philosophischen Weise, oder ob vom religionswissenschaftlichen Gesichtspunkte aus sich andere, uns Heutigen vielleicht einleuchtender erscheinende „Lösungen der Schicksalsfrage“ ergeben; hier wird nur dargelegt, wie der Indo-germane in seinem Schicksal und zu seinem Reifwerden gelebt hat.
Die Gewißheit eines Verhängnisses hat den echten Indogermanen nicht erlösungsbedürftig gemacht und hat ihn, auch wenn ihn das Verhängnis tief erbeben ließ, niemals zu einem Zerknirschten gemacht oder ihn in eine Sündenangst gejagt. Der von hellenischer Frömmigkeit und von der Macht der Götter ganz erfüllte Aischylos steht doch wie jeder echte Indogermane aufrecht vor den unsterblichen Göttern und bei aller Erschütterung ohne Sündengefühl.
So ist indogermanische Frömmigkeit keine Frömmigkeit der Angst, der Selbstverdammung, der Zerknirschung (contritio), sondern die Frömmigkeit dessen, der die Gottheit ehren möchte, indem er sich mitten im Verhängnis des Menschenlebens zu Ehren seiner Gottheit aufrechterhält.
Das deutsche Wort „fromm“ bedeutet seinem Wortstamme nach soviel wie „tüchtig“; es gehört zu gotisch fruma („Erste“) und griechisch promos („Vorderster“,) zum Stamme pro („vor“). Für den Indogermanen gehörte zur Frömmigkeit der Wille, mitten in allem Verhängnis vor den Freund-Göttern die Tüchtigkeit der Wohlgearteten zu erweisen, und d.h. desto aufrechter fromm und gotterfüllt zu sein, je erschütternder ein Verhängnis hereinbricht. Bewährung im Schicksal fordern die Götter gerade von den Besten.
Die trotzige Frömmigkeit des Indogermanen im Jünglingsalter, das zur Prüfung seiner Seelenstärke Verhängnis geradezu herausfordert, hat Goethe gekennzeichnet in seinem Gedichte „Prometheus“. Dann hat Hebbel nordisch-indogermanische Frömmigkeit des Jünglingsalters treffend gekennzeichnet in dem Gedicht „An die Jünglinge“. Von solcher Jugendfrömmigkeit aus bis hinüber zur stilleren, ergebeneren und erfüllten Frömmigkeit des Goetheschen Gedichtes „Grenzen der Menschheit“ reicht indogermanisches Wesen.
Nie haben Indogermanen gewähnt, frömmer zu werden, wenn sie von ihrem Diesseits ein Jenseits ablösten und dann das Diesseits entwerteten zu einem Schauplatz des Jammers, der Heimsuchungen und der erlösungsbedürftigen Gebrechlichkeit, dafür dann aber dem Jenseits alle Seelenwonnen zuschrieben, zu denen eine diesseitsflüchtige Seele sich ein Menschenleben lang hinübersehnen müsse. Der amerikanische Religionswissenschaftler William James hat einander gegenübergestellt ein „Frommsein der seelischen Gesundheit“ (religion of healthy mindedness) und ein „Frommsein der kranken Seele“ (religion of the sick soul53). Abendländische Beispiele für die Frömmigkeit der kranken Seele haben Blaise Pascal und Sören Kierkegaard gegeben. Indogermanische Frömmigkeit ist Frömmigkeit der leiblich-seelischen Gesundheit — nicht jedoch in dem Sinne, daß nur der leiblich und seelisch gesunde Mensch sie erfahren könnte, sondern in dem Sinne, daß die gotterfüllte Seele nach einer Erhebung zum Göttlichen strebt von einem Gleichgewicht aus, dem Gleichgewicht aller leiblich-seelischen Kräfte des Menschen.
Wahrend nicht-indogermanische Frömmigkeit, nichtnordische Frömmigkeit oft gerade desto erregter ausbricht, je mehr der Fromme aus seinem Gleichgewicht geraten ist, je mehr er in ekstasis, also „außer sich“ ist, strebt indogermanische, nordische Frömmigkeit gerade nach Gleichgewicht, Fassung, Haltung. Der Indogermane gewinnt Vertrauen nur zu denjenigen seelischen Mächten, deren Lebendigkeit sich auch im Gleichgewicht, im Ebenmaß, in der Besonnenheit noch kundgibt. Er mißtraut auch im Bereiche des Heiligen allen denjenigen Einsichten, Erkenntnissen und Erfahrungen, die dem Gläubigen nur in irgendeiner Erregung zuteil werden. Es ist außerordentlich bezeichnend für indogermanisches Wesen, daß bei den Hellenen eusebeia (Frömmigkeit) oft geradezu sinngleich gebraucht wird mit sophrosyne (Besonnenheit) und umgekehrt. Hierin tritt das nordische Wesen der echten hellenischen Frömmigkeit deutlich zutage, die immer zugleich aidoos ist, d.h. Scheu, Zurückhaltung der Verehrenden. Frömmigkeit drückt sich bei diesen kraftvollentschlossenen Menschen aus in besonnener Haltung, und besonnener Haltung, edler Scheu allein wird die Fülle des Göttlichen zuteil. Hier zeigt sich dem völkerkundlich-rassenkundlichen Blick die Wurzel der indogermanischen Frömmigkeit: sie ist die Frömmigkeit eines Adelsbauerntums nordischer Rasse54, die Frömmigkeit rechtschaffener Geschlechter, denen ein sicheres Selbstbewußtstein und eine ebenso sichere Zurückhaltung, ein zur leidenschaftslosen Erkenntnis befähigender Abstand gegenüber allen Erscheinungen eigen war und die auch dem Göttlichen gegenüber Gemessenheit und Würde bewahrten. Aus den Äußerungen indogermanischen Frommseins spricht die ganze Vornehmheit adelsbäuerlich-nordischen We s e n s, alle jene fides, virtus, pietas und gravitas, die, als eine der hellenischen aidoos (Scheu) entsprechende religio zusammengefaßt, auch das Wesen des echten, d.h. von indogermanischen Ahnen stammenden Römers ausmachten. Hiermit ist aber zugleich eine Grenze angegeben, auf die oben wiederholt hingewiesen worden ist: indogermanische Frömmigkeit kann ihrer Herkunft und ihrem Wesen nach niemals zur Frömmigkeit für jedermann werden.
Was Nietzsche, der Kranke, die „Große Gesundheit“ genannt hat und was ihm als ein so hoher Wert erschienen ist, die Vornehmheit: beides durchdringt auch das Glaubensleben des Indogermanen. Wer Frömmigkeit an der sichtbaren Erregung des Frommen messen will, der muß den Indogermanen unfromm finden. Die höchsten Erhebungen indogermanischen Frommseins sind nur demjenigen zugänglich, der seine seelischen Kräfte zum Gleichmaß zu beherrschen gelernt hat, und sind ihm nur in denjenigen Stunden zugänglich, in denen ihm solches Gleichmaß zuteil wird. Daher mahnt Horatius (Carmina II, 3, 1/2) im Einklang mit hellenischen Weisheitslehren:
Aequam memento rebus in arduis
servare mentem!54a
Platon hatte, wie oben (S. 28f) berichtet worden ist, den Menschen des Maßhaltens einen Freund der Gottheit genannt. Als der ganze Mensch mit allen seinen Kräften und im Gleichmaß dieser Kräfte will der Indogermane vor der Gottheit stehen, und die Gottheit fordert von ihm die ganze Gemessenheit seiner Art.
Eine edle Gemessenheit, also die constantia und gravitas, welche die Römer vor allem von ihren Senatoren und hohen Beamten forderten, hat einer der besten gelehrten Kenner des vorchristlichen Germanentums, der Schweizer Andreas Heusler55, auch im seelischen Ausdruck derjenigen — an Zahl nicht geringen — römischen Bildwerke56 gefunden, die Germanen und Germaninnen darstellen: „Was an diesen großen, edel geformten Zügen am meisten auffällt, ist eine beherrschte Ruhe, eine gehaltene Vornehmheit, ja eine nachdenkliche Milde.“ — Solche seelischen Züge lassen aber auch die Zeugnisse über die „Altgermanische Sittenlehre und Lebensweisheit“ erkennen, die Andreas Heusler im gleichen Zusammenhang anführt. Diese Zeugnisse widersprechen also den auch heute noch ab und zu wiederholten Verleumdungen der Germanen als roher Barbaren, die erst durch die mittelalterliche Kirche zu gesitteten Menschen erzogen worden seien. Die von Heusler erwähnte „beherrschte Ruhe“ und „gehaltene Vornehmheit“ sind aber Kennzeichen des Indogermanentums überhaupt, Ausdrücke von Erbanlagen, die zeitlich hinter das Germanentum in die indogermanische Urzeit zurückweisen, zurück also in die Jungsteinzeit Mitteleuropas. Diese vornehme Gemessenheit ist aber auch der Grund der Frömmigkeit nordischer Artung: auch der Gottheit gegenüber will der Fromme das seelische Gleichgewicht bewahren, die aequanimitas der Römer, die metriotes und sophrosyne der Hellenen, die upekscha der Inder.
Die „gehaltene Vornehmheit“ alles Indogermanentums, die edle Gemessenheit gerade in der Frömmigkeit, hat sich auch in Werken der Bildenden Künste und der Dichtkunst ausgedrückt: ich habe (S. 18) den Festzug der Panathenaien, die ara pacis und das carmen saeculare des Horatius als Beispiele angeführt. In Athen bewegte sich zur Feier der Stadtgöttin Athene alle vier Jahre der allathenische (panathenaische) Festzug auf die Akropolis hinauf. Ihn stellt das Bildwerk des Parthenonfrieses dar, eine der schönsten Gestaltungen der edlen Gemessenheit hellenischer und indogermanischer Frömmigkeit. Ernst L a n g l o t z, der diesen Fries unter dem Titel „Schönheit und Hoheit“(1948) beschrieben hat, kennzeichnet (S. 14) die lange Reihe dieser Bildwerke so, daß durch deren vornehme Selbstbeherrschung hindurch auch die indogermanische Schicksalstragik des Hellenentums erkennbar wird: diese Gestalten seien „ erfüllt von den gefährlichen geistigen Spannungen der Macht ihres Lebens, das, der Tragödie gleich, den Menschen erhebt, wenn es den Menschen zermalmt“. — Seelenadel und Gelassenheit, eine Gelassenheit, die sich vor allem im Parthenon ausdrücke, hat auch Josef Strzygowski57 als Kennzeichen hellenischen wie überhaupt indogermanischen Wesens bezeichnet.
Die ara pacis, ein im Jahre 9. v. Chr. in Rom geweihter Altar, wahrscheinlich nach hellenischen Vorbildern, vermutlich auch nach dem des Parthenonfrieses gestaltet, stellt einen Opfergang edler Römer dar, an dem Augustus selbst und seine Familie teilnehmen, begleitet von hohen Beamten und Liktoren. Das Bauwerk und seine Bildwerke sprechen die hellenisch-römische Frömmigkeit der religio, der aidóos (Scheu) in dieser Spätzeit noch in reiner und reifer Gestaltung aus.
Reine und reife Frömmigkeit indogermanischer Art hat in einer seelisch verwirrten und sittlich verwahrlosten Spätzeit der römische Dichter Quintus Horatius Flaccus in einem gottesdienstlichen Festgedicht, dem Carmen saeculare ausgesprochen (carmina 3, 25). Der indogermanische Gedanke der Weltordnung, in die der sittlich strebende Mensch sich einzufügen habe, ist hier wieder ausgesprochen: Ehre, Mannhaftigkeit, Treue, Schamhaftigkeit und Friede werden betont (Vers 57/58). Von den Göttern wird die Förderung alles Wachstums erfleht, das Gedeihen des Viehs und der Ackerfrüchte; sie möchten dem Römervolke „Gedeihen und Kinder und alles Schöne“ (Vers 45) schenken. Gleiche Gesinnung spricht aus dem Grußwort der skandinavischen Germanen, die einander ein fruchtbares Jahr und Frieden (ár ok fridr) wünschten oder auch ein fruchtbares Jahr und Gedeihen des Viehs (ár ok fésaela).
Hermann Oldenberg58 hat die Eigenart buddhistischer Frömmigkeit so gekennzeichnet: „Das Gleichgewicht der Kräfte, das innere Ebenmaß ist es, dem nachzustreben Buddha empfiehlt.“ Damit aber hat Oldenberg die Eigenart indogermanischer Frömmigkeit überhaupt bezeichnet. Buddha selbst hat die seelischen Regungen des frommen Menschen einmal mit einer Laute verglichen, deren Seiten am schönsten klingen, wenn sie nicht zu lose und nicht zu straff gespannt sind (Maharagga V, 1,15/16). Dies und nicht etwa eine mattherzige Mittelmäßigkeit ist auch der Sinn der aurea mediocrita des Horatius, die von der „Nikomachischen Ethik“ des Aristoteles aus zu erklären ist.
Nichts in seinem Wesen soll der Rechtschaffene als vor der Gottheit geringer an Wert ansehen: darum gibt es für den Indogermanen keinen Leib-Seele-Zwiespalt. Das geht ja schon aus dem Willen zur Bewahrung eines Gleichgewichts aller menschlichen Kräfte hervor. Der Indogermane lebt auch im Gleichgewicht des Leibes und der Seele, wenn er schon Leib und Seele als zweierlei und als wesensverschieden auffaßt. Im ganzen hat das Indogermanentum immer eher in einer Leib-Seele-Einheit gelebt; die Germanen neigten eher dazu, den Leib als einen Ausdruck der Seele zu begreifen59. Jedenfalls haben die Indogermanen auch da, wo Nachsinnen sie von einem ausgedehnten stofflichen Leibe und einer ausdehnungslosen unstofflichen Seele überzeugt hatte, diesen Leib und diese Seele nicht im gegenseitigen Widerstreit erblickt. Ein erkenntnistheoretischer Dualismus, in welchem dem Subjekt ein Objekt gegenübersteht, dem Erkennenden ein „Gegenstand der Erkenntnis“ (H. Rickert), wird dem seiner Artung treu bleibenden indogermanischen Geiste nicht mehr sein als eine Methode, als ein zur Erkenntnis notwendiges Verfahren des Denkens, wird jedenfalls nicht einen Leib-Seele-Gegensatz bestärken und wird auch nicht (wie Ludwig Klages) den sich in der Subjekt-Objekt-Spannung entzündenden „Geist“ als einen „Widersacher der Seele“ verkennen. Für die Indogermanen ist die Leib-Seele-Frage nicht erregend, auch nicht zur Frömmigkeit.
Diese Frage ist für sie nicht bedrückend geworden, und nie haben sie den Leib entwertet, um die Seele desto höher werten zu können. Ganz fernliegt ihnen die Vorstellung, der Leib, einem Diesseits verhaftet, sei ein schmutziges Gefängnis für eine aus ihm hinaus, einem Jenseits zustrebende Seele. Wo einmal Äußeres und Inneres am Menschen geschieden betrachtet werden, da verbinden sie sich gerade in der Stimmung des Frommen wieder zu ausgleichender Wechselwirkung. Dafür mag das Gebet zeugen, das Platon zum Beschluß seines „Phaidros“ den Sokrates zu den Göttern beten läßt: „Verleihet mir, in meinem Innern schön zu werden, und daß all mein äußerer Besitz dem Innern nicht widerstreite!“ —
Ehrung des Leibes als eines sichtbaren Ausdrucks ausgelesener Artung kennzeichnet den Indogermanen. Darum liegt diesem Menschenschlage auch jeder Gedanke der Sinnenabtötung (Askese) fern und wäre ihm als eine Verkrüppelung seines menschlichen Wesens erschienen. Es gibt eine Frömmigkeit der in der Welt und in ihrem Leibe sich nicht wohl fühlenden Seele. Sie ist besonders der vorderasiatischen Rasse eigen60, in anderer Weise auch der ostbaltischen Rasse61. Indogermanische Frömmigkeit ist Frömmigkeit der in der Welt und in ihrem Leibe sich wohl fühlenden Seele. Für den frommen Menschen der vorderasiatischen Rasse und für den vom vorderasiatischen Rassengeiste bestimmten Abendländer müssen die Indogermanen als „Weltkinder“ erscheinen, weil nichtindogermanischer Geist das Wesen indogermanischer Frömmigkeit meist gar nicht fassen kann und daher hier einen Mangel an Frömmigkeit feststellen will. Hermann Lemmel62 gebraucht das Wort „Weltfrömmigkeit“ zur Kennzeichnung der iranischen (persischen) Religion: den Iranern habe das Weltleben „unbegrenzte Möglichkeiten der Gottesverehrung“ geboten, Goethe habe in seinem Gedichte „Vermächtnis altpersischen Glaubens“ die Frömmigkeit der Iraner treffend bezeichnet:
„Schwerer Dienste tägliche Bewahrung,
sonst bedarf es keiner Offenbarung.“
Tatsächlich sind die Indogermanen „Weltkinder" in dem Sinne, daß „diese“ Welt schon den ganzen Reichtum ihrer verehrenden und vertrauenden Hingebung an das Göttliche entfalten kann. Eine verehrende Durchdringung aller Dinge der Umwelt und des Menschenlebens durch ein alles umfassendes hochsinniges Gemüt: von solchen Regungen geht immer wieder indogermanische Frömmigkeit aus in Weite, Tiefe und Höhe. Das Göttliche ist allgegenwärtig, wie Schiller („Die Götter Griechenlands“) es gezeichnet hat:
„Alles wies den eingeweihten Blicken,
alles eines Gottes Spur.“
Darum haben sich die Glaubensformen der Indogermanen so leicht in reicher Vielgötterei entfaltet, immer zugleich mit einer Ahnung oder mit der Gewißheit vieler Gläubigen, daß letztlich die vielen Götter doch nur Benennungen für die verschiedenen Anblicke des Göttlichen seien. In der Verehrung von Gebirgshöhen, von Flüssen, von Bäumen, der Verehrung der Sonne, des Frühlingsbeginns, der Morgenröte (indisch Uschas, iranisch Uscha, griechisch Eós aus Ausós, lateinisch Aurora aus Ausosa; zu germanisch Ostara), des Ackerlandes und einzelner zu Halbgöttern erhobenen überragenden Menschen der Vorzeit — in allem dem äußert sich die Diesseitsfrömmigkeit der Indogermanen als ein Ausdruck der „Weltgeborgenheit“, die diese Völker empfanden. Als „Weltgeborgenheit“ hat W. Hauer63 den Urgrund indogermanischer Frömmigkeit bezeichnet. Man könnte auch mit Eduard Spranger (vgl. S. 17) von „Weltfrömmigkeit“ sprechen, in der solche „Weltgeborgenheit“ sich ausgedrückt habe.
Weil Weltgeborgenheit den Urgrund ausmacht, wird diese Frömmigkeit, sobald sie sich mit philosophischer Besinnung tränkt, so leicht zur Allvergöttlichung (Pantheismus) oder andererseits zu bestimmten pantheistischen und zugleich besonnenen, nicht rauschartigen und drängenden Ausprägungen der Mystik. Die streng theistischen Religionen der Semiten verkündeten „persönliche“ Götter. T. H. Robinson64 hat ausgeführt: „Im jüdischen oder christlichen Glauben ist kein Raum offen gelassen für irgend eine Art des Pantheismus“; beide Religionen sähen Gott „als eine Person“ (as a person).
Arthur Drews65 hatte den Theismus die „Grundkategorie“ der semitischen Frömmigkeit genannt, den Pantheismus die „Grundkategorie“ der indogermanischen („arischen“).
Hermann G ü n t e r t66 hat die Neigung zur Mystik der „indogermanischen Sinnesart“ entsprechend gefunden, eine solche Neigung beruhe bei diesen Völkern auf ursprünglicher „Rassengleichheit“.
Das ursprüngliche Indogermanentum hat bezeichnenderweise keine Tempel als Wohnstätten für Gottheiten gekannt. Die ältesten Inder kannten keine Tempel. Bei den Römern der Frühzeit gab es wie wahrscheinlich bei allen Italikern weder Tempel noch Götterbilder. Tacitus (Germania, 9) berichtet von den Germanen, es entspreche nicht ihrer Auffassung von der Größe der Himmlischen, Götter in Wände einzuschließen. Aus eben dieser Überzeugung soll der Perserkönig Chschajarscha (Xerxes) die Tempel in Griechenland haben verbrennen lassen (Cicero, de legibus II, 26: quod parietibus includerent deos). Die Hellenen waren von der urindogermanischen Auffassung damals schon abgewichen. Sie hatten den Tempelbau im 7. vorchristlichen Jahrhundert begonnen, zuerst als einen Holzbau, der unverkennbar vom mitteleuropäischen, jungsteinzeitlichen und bronzezeitlichen Rechteckhaus abgeleitet war. Daß die Indogermanen ursprünglich keine Götterbilder besaßen, mag einer Frömmigkeit der Weltgeborgenheit weiträumig denkender Menschen entsprechen, einer Frömmigkeit, die von Beginn an zur Allvergöttlichung geneigt hat.
Das weiträumige Denken der Indogermanen, ein Weitblick des zur geistigen Freiheit, zur theoria, zum Schauen berufenen Menschen, wie ihn die „klassische“ Kunst der Hellenen vollendet dargestellt hat — ein solcher Weitblick begreift die Welt und in ihr alles göttliche Walten und alles tüchtige Menschenleben als den großen Zusammenhang einer göttlichen Ordnung: einer Ordnung, die bei den Indern als rita erscheint, über die Mitra und Waruna (griechisch Uranos) wachen, „die Güter des rita“ 67, bei den Persern als ascha oder urto (Heil, Recht, Ordnung), bei den Hellenen als kosmos, bei den Italikern als ratio, bei den Germanen als örlog oder Midgard.
Hermann Lommel68 spricht von einer „Rechtsordnung des Weltgeschehens“, welche die Iraner anerkannt hätten. Eine solche Vorstellung, die Vorstellung von einem Weltgesetz, in das sich Götter und Menschen eingeordnet finden, durchzieht die Lehren der Stoiker, und wenn Cicero (de legibus 1,45) die vollkommene Tugend (virtus) als die Vollendung der Vernunft (ratio) ansieht, die in der ganzen Welt (natura) herrsche, wenn er (de finibus IV, 34) die Tugend (virtus) als die vollendete Vernunft preist, so hat er mit solchen hellenischen, zumeist stoischen Weisheitslehren wieder den Gedanken einer sinnvollen Weltordnung ausgesprochen. Diese allen Indogermanen eigene Vorstellung hat zuerst der Jenaer Rechtswissenschafter Burkhart Wilhelm Leist (1819-1906) erkannt und dargestellt in seinen Werken „Altarisches Jus gentium“ (1889) und „Altarisches Iuscivile“ (1892-1896). Dann hat Julius v. Negelein69 den auch im Jahreslauf sich ausdrückenden Ordnungsgedanken bei Indern und Iranern verfolgt, einen Gedanken, dem in den Sittenlehren die Pflicht zur Einordnung des einsichtigen und hochgemuten Menschen in die Ordnung der Welt entsprach. Später hat Wolfgang S c h u l t z („Zeitrechnung und Weltordnung“, 1929) betont, daß dieser Gedanke der sinnvollen Ordnung sich im Völkerleben der Erde nur bei den Indogermanen finde. Als ein Bruchstück hat sich ein hellenisches Gebet erhalten, das die Götter für die Sterblichen um Ordnung (eunomia) bittet70.
In Indien entsprach auch die Kastenordnung der umfassenden Weltordnung71. Durch diese Ordnung wollten die drei obersten Kasten als Nachkommen der im zweiten vorchristlichen Jahrtausend vom südöstlichen Mitteleuropa her eingewanderten Stämme72, die sich wie die Iraner Arier nannten, ihre Rasse rein erhalten. Das Kastengesetz war eine Entsprechung des Gesetzes der Weltordnung (dharma), des ius divinum, wie die Römer diese Ordnung bezeichneten. Teilhabe an der überlegenen geistigen Welt der Weden, Brahmanas und Upanischaden bestimmten ursprünglich die Höhe der Kaste. Je höher die Kaste, desto strenger die Verpflichtung zu einer der Weltordnung entsprechenden Lebensführung.
Dschawaharlal Nehru (1889-1964), nach Gestalt, Kopfform und Gesichtszügen noch als vorwiegend nordisch zu bezeichnen, wie die meisten führungsbegabten Inder unserer Zeit heller als der Durchschnitt auch der nordindischen Bevölkerungen, teilt in seiner Lebensbeschreibung mit, er stamme von väterlicher wie mütterlicher Seite aus Brahmanenfamilien Kaschmirs — also des gebirgigen Nordwestens Indiens, über den die arischen Inder eingewandert waren — wo es noch viele blonde Kinder gebe; eine seiner Tanten sei wegen ihrer hellen Haut, ihrem blonden Haar und ihren blauen Augen für eine Engländerin gehalten worden.
Alle großen Gedanken der indischen Religion und Philosophie sind vom Gebiete des oberen Ganges ausgegangen. Daß diese Gedanken, die in Umdeutung und Entstellung auch noch im Hinduismus fortwirken, sich zu einander widersprechenden Lehren frei entfalten konnten, ist der Geistesfreiheit und Duldsamkeit zuzuschreiben, die alles Indogermanentum ausgezeichnet haben und die in Indien auch von dem übermächtig werdenden Brahmanentum nicht unterdrückt worden sind.
„Die Götter bestimmten jegliches Dinges Maß und Ziel den Menschen auf lebenschenkender Erde“ — so heißt es in der Odyssee (18, 592/93), und Pherekydes spricht im sechsten vorchristlichen Jahrhundert von dem „ordnenden Zeus“, wahrscheinlich von Anaximandros belehrt. Auch hier klingt der Gedanke der göttlichen Weltordnung an, so wie er anklingt in der Edda in „Der Seherin Gesicht“:
„Zum Richtstuhl gingen die Rater alle,
heilge Götter, und hielten Rat:
für Nacht und Neumond wählten sie Namen,
benannten Morgen und Mittag auch,
Zwielicht und Abend, die Zeit zu messen.“
(Die Edda, übertragen von H. Genzmer,
Volksausgabe, 1933, S. 33)
Familie, Stamm, Staat, Gottesdienst und Recht, Jahreslauf und Feste73, Sitten und Geistesleben, Ackerflur, Haus und Hof: alles bezogen auf eine Weltordnung, und in dieser Ordnung lebt der Mensch als Glied einer Sippe, die fortdauert in einer Ordnung der Zeugungen, die bei den Hellenen als der Hestiagedanke erscheint, bei allen Indogermanen versinnbildlicht wird durch die Verehrung des heiligen Herdfeuers (indisch Agni zu lateinisch ignis, iranisch Atar, keltisch Brigit). Innerhalb der umfassenden Weltordnung also die göttliche Ordnung der Zeugungen zur Bewahrung des Rassenerbes, des gottgegebenen Rassenerbes, in den ausgelesenen Geschlechtern: so wird Rassenpflege unmittelbar eine Folge und Forderung aus dem Ganzen der Weltordnung und eine unmittelbare Äußerung des indogermanisch-frommen Gemüts.
Noch im indischen „Gesetzbuche des Manu“ (X 61) ist die Vorstellung der Zeugungsordnung bewahrt.
Hätten wir in Deutschland einen Lehrstuhl für das Geistesleben der Indogermanen, so wie die Franzosen in Paris den Lehrstuhl für die civilisation indo-européenne, dessen Inhaber gegenwärtig der hervorragende, bei uns fast unbekannte Georges Dumezil ist, so wären diese Zusammenhänge der indogermanischen Weltdeutung und Geistesgestaltung, nachdem der heute vergessene B. W. Leist gegen Ende des 19. Jahrhunderts einen Anfang gewagt hatte, auch bei uns eifriger erforscht worden, damit aber auch der Gedanke der sinnvollen Weltordnung, in die sich einzuordnen auch für die Stoiker noch das Grundgebot der Sittlichkeit ausmachte. Wahrscheinlich ist auch der ordo-Gedanke des christlichen Mittelalters, der Gedanke einer Zuordnung alles Diesseitigen zu einem Jenseits, der von der Gliederung der Stände des diesseitigen Staates bis zur gegliederten Einbeziehung aller Menschen in einen ordo salutis, eine Heilsordnung, reicht, noch eine Auswirkung des indogermanischen Gedankens der sinnvollen Weltordnung auf das sich von der „Welt“ abkehrende paulinisch-augustinische Christentum. Ernst Theodor Sehrt74 hat gezeigt, daß der indogermanische Ordnungsgedanke, verbunden mit dem pythagoreischen und platonischen Gedanken der „Spährenharmonie“ und mit dem stoischen Lob der Vernunft, die als Einklang mit der Weltordnung begriffen wird, sich auch bei Shakespeare bewahrt findet.
„Das Königreich, in dem ungeordnete Zeugungen vorkommen, geht mit seinen Einwohnern rasch zugrunde.“ Daher die indogermanische Heiligung des Geschlechtslebens, die Ehrung der Hausherrin (déspoina, matrona) als Hüterin des Rassenerbes; daher die A h n e n v e r e h r u n g, die Verehrung der divi parentes; daher mußte sich indogermanische Frömmigkeit in menschlicher „Zuchtwahl“ ausdrücken, in der sorgsamen Gattenwahl, in einer eugéneia, in dem Streben der Geschlechter nach Wohlgeborenheit.
Durch den bezeichneten Kosmos- und Midgardgedanken der Indogermanen erscheint der Mensch hineingestellt — hineingestellt, nicht hineingekettet wie in morgenländischen Religionen mit Gestirndienst und priesterlicher Zukunfterspähung (Eingeweideschau, Vogelflug; Babylonier, Etrusker usw.) — hineingestellt in den großen Zusammenhang einer sinnvollen Ordnung; er erscheint im Vertrauensverhältnis zu seinem Gotte, dessen Wesen selbst im Zusammenhang der Weltordnung wirkt, und mit diesem Gotte in völkischer Aufgabe streitend gegen alle widergöttlichen Mächte, gegen das Chaos, gegen Utgard. Den Raum der Erde erkennt der Indogermane als das Feld seiner hegenden Tätigkeit bäuerlicher Art — cultura von colere —, und Pflanze, Tier und Mensch sieht er jedes zu Wachstum und Reifung berufen, zur kraftvollen Selbstbehauptung innerhalb der zeitlosen Ordnung. Schuld des Menschen — nicht „Sünde“ — entsteht überall da, wo ein Einzelmensch sich gegen die Ordnung in Trotz oder Übermut erhebt und einen kurzsichtigen Eigensinn oder wirren Leichtsinn durchsetzen will gegen göttlichen Sinn. Hierdurch, durch den Frevel einer solchen Hybris, wird der einzelne schuldig, und seinem Volk entsteht hierdurch die Gefahr des Zerfalls und der Entartung; der Weltordnung droht hierdurch Wirrnis und Entstellung.
„Wenn des Leichtsinns Rotte
die Natur entstellt, huldige du dem Gotte
durch die ganze Welt!“
(v. Platen, Parsenlied)
Immer ringen für die Indogermanen, am meisten für die Iraner, gegeneinander der göttliche Wille zur Gestaltung, zur völkischen Ordnung, zur Steigerung alles Lebendigen, und ein widergöttlicher Wille zur Zersetzung und Entfaltung, zur Verderbnis aller Keime, immer der Gott Ahura Mazda (Ormazd) gegen den Widergott Angro mainju (Ahriman). Midgard, die Welt der sinnvollen Ordnung, erhält und erneuert sich nur durch den ständigen mutigen Kampf der Menschen auf Gottes Seite gegen die widergöttlichen Mächte, gegen Utgard75. Midgard ist der Inbegriff des sinnvollen Zusammenwirkens aller göttlichen Gesetze und aller menschlichen Ehre76.
Gerade der rita- und ascha-Gedanke, der kosmos-, ratio- und Midgard-Gedanke des Indogermanentums zeigt, daß indogermanische Frömmigkeit eine Frömmigkeit war mit dem Willen zur Steigerung des Lebens, eine Frömmigkeit, zu deren höchsten Gütern alle Wachstumswerte zählten, eine Frömmigkeit, kraft deren der Mensch mit reif werdender „großer Seele“, als mahatma („Großseele“), als megalopsychos, mit der echt indogermanischen magnitudo animi, der stormenska, dem Hochsinn der Isländer, der hochgemüete der deutschen Ritter, vor der Gottheit stehen wollte. „Ein großes Herz und weiter Ausblick“ (rüm Hart, klar Kimming), wie ein friesisches Sprichwort sagt, kennzeichnen den nordischen Indogermanen auch in seiner Frömmigkeit, der vornehmen Frömmigkeit eines Adelsbauerntums.
Wenn wir so den ganzen Umkreis der verschiedenen Ausdrucksweisen indogermanischen Frommseins überblicken, so erscheint uns wieder deutlich, daß vieles von dem, was auch im Abendlande als Kennzeichen besonders frommen Sinnes gegolten hat und gilt, im Indogermanentum „fehlen“ wird — „fehlen“ für denjenigen, der indogermanische Frömmigkeit mit Maßstäben mißt, die er am Wesen andersgeprägter Frömmigkeit abgelesen hat. Der Tod kann innerhalb des Indogermanentums nicht eine zu Glauben und Frömmigkeit mahnende Erscheinung bedeuten. Man hat den Tod öfters schon als den Erwecker philosophischen Denkens und das memento mori zusammen mit der Drohung eines Weltendes und Totengerichts öfters schon als einen Beförderer und Bestärker von Glauben und Sittlichkeit bezeichnet. Alles dies trifft für das Indogermanentum nicht zu.
Ein Spruch der Edda besagt:
Munter und heiter
sei der Männer jeder,
bis der Tod ihn trifft!
(Edda, Bd. II, übersetzt von Felix Genzmer, 1924, S. 144)
Der Tod ist für den Indogermanen eine bedeutsame Erscheinung des Menschenlebens; seine Betrachtung aber nicht wirklich wesentlich für die Stärke oder Tiefe der indogermanischen Frömmigkeit. Der Tod gehört für den Indogermanen zur sinnvollen Ordnung der Welt; ihm steht der Indogermane etwa so gegenüber wie heute noch in unserem Volke die Besten unter den Bauern. Weil vollkommenes menschliches Leben für den Rechtschaffenen schon auf „dieser“ Erde möglich ist, wenn er in gemessener Selbstbehauptung sein tüchtiges Wesen entfaltet, weil zur Ordnung der Welt der Tod des einzelnen ebenso gehört wie die Pflicht zur Erhaltung der ausgelesenen Sippen, weil ein Jenseits im Glauben der Indogermanen keine wesentliche Bedeutung hat, weil mindestens der Ausblick auf ein Jenseits den Gläubigen nicht beunruhigen oder bedrücken kann, so kommt dem Tode nicht die Bedeutung eines Erregers zu Glauben und sittlicher Lebensführung zu.
Es ist auffällig, wie blaß und wie wenig erregend die ursprünglich-indogermanischen Vorstellungen von einem Leben nach dem Tode sind, Vorstellungen wie die vom Totenreiche des Hades bei den Hellenen oder der Hei bei den Germanen77. Die Walhallvorstellungen der Germanen zählen kaum hierher; sie sind eine späte, nicht ursprüngliche Sonderentwicklung und weniger eine aus gläubigem Gemüte als vielmehr aus dichterischer Schilderungsgabe, sind also „norwegisch-isländisches Dichterwerk“ (vgl. S. 13) des Wikingszeitalter. Es fällt auch auf, daß in den deutschen Sagen und Märchen keine Erinnerungen an Walhall bewahrt sind.
Im Grunde war für den Indogermanen der Tod ein Übergang zu einem Leben, das in seinen Einzelzügen dem Leben in der Welt der Lebendigen glich, nur stiller, ausgeglichener und schattenhaft. Der Abgestorbene blieb ein Teil der Sippenseele, von der er ja im Leben auch ein Teil gewesen war. Er war niemals ein losgelöster Einzelner gewesen, sondern immer ein Teil des geschlechterlangen Daseins einer Sippe auf ihren Erbhöfen. Als Teil der Sippenseele war für ihn der Einzeltod bedeutungsarm. Was ihn aber im Totenreiche anging, war das Gedeihen seiner Sippe, der Pferde und Rinder seiner Sippe, der Acker und Weiden seiner Sippe. Achilleus, der Abgestorbene, fragt den in die Unterwelt vorgedrungenen Odysseus: „Verkündige mir von meinem trefflichen Sohne!“ (Odyssee XI, 492) und geht „mit großen Schritten“ und „freudenvoll“ von dannen, als er von „des Sohnes Tugend“ erfahren hatte (XI, 539/40).
Paul Thieme78 hat gezeigt, daß die indogermanischen Vorstellungen von einem Reiche der Toten ursprünglich minder düster und heiterer waren als die hellenischen Vorstellungen vom Hades oder die germanischen von Hei. Im Rigweda der Inder wie im Awesta der Iraner und wie bei Homer sind Erinnerungen an das Totenreich als einer anmutigen Wiesenaue erhalten, einer Rinderweide (Rigweda) oder einer Fohlenweide (Homer), die ein Fluß vom Lande der Lebenden trennt. Auf solchen Auen finden sich die Verstorbenen mit ihren Ahnen zusammen. Nach Hans Hart mann79 entspricht die Toten- und Ahnenehrung wie auch die Verehrung des Feuers und der Sonne im keltischen Irland nordgermanischen, italischen, tocharischen und indoiranischen, hiermit aber wahrscheinlich indogermanischen Gebräuchen. Diesen entsprechen aber auch Wortgleichungen zwischen dem Keltischen und Italischen einerseits und dem Indoiranischen andererseits80.
Um den Tod des einzelnen hat indogermanische Frömmigkeit nie Kreise gezogen: die Weltordnung war zeitlos — auch durch Untergänge ganzer Zeitalter und ganzer durch Schuld zerrütteter Erden hindurch; es sollte nicht einen Weltuntergang geben oder den Anbruch eines alle Dinge verwandelnden „Reiches Gottes“, zu dessen Verwirklichung und Herbeirufung die Menschen heute schon Weltabkehr zu üben und ihre „letzte Stunde“ zu bedenken hätten.
Solange durch den Kampf der Menschen auf Seiten ihres Gottes gegen die widergöttlichen Mächte die sinnvolle Ordnung erhalten wird, ist dem Indogermanen der Gedanke einer Erlösung unfaßbar. Erlösung von welchem Übel und zu welchem anderen Dasein. — Midgard war kein Übel, Utgard galt es wirkend und kämpfend abzuwehren, und ein besseres Leben als das Leben der Gottesfreundschaft und der gemessenen Selbstbehauptung in der sinnvollen Ordnung konnte es nicht geben. Erlösung also wovon und wozu? — Für indogermanische Frömmigkeit blieb ein Erlösungsgedanke ohne Sinn.
Daher fehlen dem echten und ursprünglichen Indogermanentum die Erlösergestalten, die Heilbringer und Heilande, die für den ganzen Bezirk von Ägypten und Palästina-Syrien bis über Vorderasien nach Indien hin in allen Zeitabschnitten so bezeichnend sind. Die früheste Regung eines Erlösungsgedankens und die früheste Erlösergestalt, der Saoschjant, finden sich im Bereiche der Völker indogermanischer Sprache bei den Persern: sicherlich durch den Einschlag vorderasiatischer Rasse, die L. F. Clauß nach ihren seelischen Zügen geradezu als „Erlösungsmenschen“ bezeichnet hat. Auch die Gestalt des germanischen Gottes Balder gehört in den Kreis der Heilandgestalten Vorderasiens, am ehesten in den Kreis der babylonischen Ischtarsagen und der im Morgenlande weitverbreiteten Vorstellungen vom sterbenden und wieder auferstehenden Gottes81. Balder ist mit Recht schon öfters mit Christus verglichen worden; er ist eine Heilandgestalt, umgedeutet durch germanischen Geist, jedenfalls ebensowenig ein ursprünglich germanischer Gott, wie einige der aus Südosteuropa übernommenen Wanen mit ihren germanisch umgedeuteten vorderasiatischen Zügen ursprünglich germanische Götter und Göttinnen sind, am wenigsten die noch halb vorderasiatische Freya. Zur Entfaltung frommen Empfindens waren Heilbringer den Indogermanen nicht nötig.
Indogermanischer Frömmigkeit mußte auch der Erlöser als Mittler zwischen der Gottheit und dem Menschen fremd sein: der Indogermane sucht nach seinem angeborenen Wesen den ihm eigenen, den unmittelbaren Weg zu Gott. Aus diesem Grunde hat sich auch im ursprünglichen Indogermanentum ein P r i e s t e r t u m als ein vom übrigen Volke abgehobener, gar als heiligerer Stand nicht entwickeln können82. Auch Priester als Mittler zwischen Gottheit und Menschen hätten indogermanischer Frömmigkeit widersprochen, und gegen eine Priesterherrschaft stand bei den ursprünglichen Indogermanen das weitsichtige und entschlossene Staatsdenken nordisch-indogermanischer Art. Bei ihnen als Bauernkriegern ist das Staatsdenken ausgegangen von der Freiheit und Gleichheit der landbesitzenden Familienväter, der Freisassen auf ihren Erbhöfen (griechisch klaroi oder kleroi, lateinisch heredia), also ausgegangen von einer ländlichen Demokratie, die in den Spätzeiten dieser Völker meist durch eine städtisch-händlerische „Demokratie“ abgelöst worden ist. Die Demokratie aus dem ländlichen Geiste der Freisassen hat Gottfried Keller im „Fähnlein der sieben Aufrechten“ (1860) gefeiert, die Demokratie aus städtisch-händlerischem Geiste in „Martin Salander“ (1886) gebrandmarkt. Die Demokratie der Freisassen ließ ihrem Wesen nach eine Priesterherrschaft (Hierarchie) nicht zu.
Der Priester hingegen als Deuter und Vollender des überlieferten Volksgeistes, als Entfalter und Neuschöpfer der angestammten Frömmigkeit: das ist indogermanischem Wesen gemäß. Der Priester als ein sich in Glaubensglut hineinsteigernder Verkünder einer Sonderfrömmigkeit, als Verkünder mit dem Willen zur geistigen Beherrschung und Fesselung der gläubigen Gemeinde: ihn kann indogermanische Art nicht dulden, denn nordisch-indogermanische Frömmigkeit ist Frömmigkeit der vornehmen, gemessenen Haltung und der sicheren Einhaltung eines leiblichseelischen Abstandes zwischen den Menschen. Sichhineinsteigern, Rausch, die ekstasis, die heilige orgia, Außersichsein und Sichhineinwühlen in die seelischen Bezirke des anderen Menschen sind kennzeichnende Züge der vorderasiatischen Rassenseele. Maßhalten, Joga (zu lateinisch iugum, deutsch Joch), metron, temperantia, sind, wie oben (S. 42/43) gezeigt worden ist, kennzeichnende Züge der nordischen Rassenseele und der ursprünglichen indogermanischen Frömmigkeit: eusébeia sinngleich mit sophrosýne. Zur buddhistischen Frömmigkeit gehört der Gleichmut (Sanskrit upekscha, Pali upekha) ebenso wie zur Frömmigkeit der Stoiker (apátheia) und Epikureer (ataraxía).
Damit soll nicht gesagt sein, daß die Indogermanen den Rausch als einen Zustand überquellender Geistestätigkeit nicht gekannt hätten — abgesehen von den verschiedenen Formen eines Rausches durch Genießen eines Getränks, das wie der Nektar der Hellenen oder der Met der Germanen aus Honig zubereitet worden war, während die Indoiraner den Somatrank (indisch), den Haomatrank (persisch) kannten. Aus Herodotos (I, 33) und aus Tacitus (Germania 22) geht aber hervor, daß die Indogermanen auch die Beherrschung des Rauschzustandes forderten. Der Rausch des Geistesschöpfers im Finden und Gestalten seiner Erkenntnisse ist in allem Geistesleben der Völker indogermanischer Sprache spürbar, die mania musóon, der „Wahn der Musen“, ohne den es nach Platon keine Geistesschöpfung gibt. Ohne diesen „Wahn“ wären auch die Schöpfungen, Umschöpfungen und Neuschöpfungen indogermanischer Frömmigkeit nicht möglich gewesen, ohne eine trunkene Fülle in gesteigerten Augenblicken. Wenn man sich aber umsieht, wieviel von solcher Trunkenheit sich im indogermanischen Bereich in sichtbaren Gebärden und in Worten ausgedrückt hat, wird man wieder der indogermanischen Selbstzucht (Joga, enkráteia, disciplina, self-control) gewahr. Eine Trunkenheit hat den Geist sich zum Flug aufschwingen lassen, der Flug selbst aber gehorcht den Gesetzen einer nach Maß strebenden Rassenseele. Ein Hölderlin kannte die „ungebärdigen Geniuskräfte“, aber als Grundsatz des Gestaltens lehrte er die indogermanische Weisheit des reiferen Lebensalters: „Haßt den Rausch wie den Frost!“ und verbindet damit die Mahnung „Seid nur fromm, wie der Grieche war!“
Mit dieser Mahnung hat Hölderlin für die Erhebung des Menschen zum Göttlichen das Gleiche ausgesprochen, was Horatius (ars poetica 268/69) für die Erschütterung des Menschen durch Werke der hellenischen Dichtkunst ausgesagt hat:
vos exemplaria Graeca
nocturna versate manu, versate diurna!
Wenn wir uns fragen, was den Römern Horatius und was einem Winckelmann, einem Goethe, einem Wilhelm v. Humboldt, einem Hölderlin, einem Shelley hellenischer Geist und hellenische Kunst bedeutet haben, so muß es doch dieses sein: unter allen indogermanischen Völkern ist es dem hellenischen vergönnt gewesen, die bemessene Würde des Menschen in der unerschrockenen Freiheit des Geistes am schönsten darzustellen. Walter F. Otto83 hat den Eindruck beschrieben, der die — für indogermanisches Wesen ansprechbaren — Beschauer überwältigt, wenn sie in einem Museum alter Kunst aus den Sälen ägyptischer oder hinduistischer oder ostasiatischer Kunst in den Saal der hellenischen Kunst eintreten: „Das erste Gefühl“ sei das „einer wunderbaren Freiheit“. Mit solcher Freiheit steht in Hellas der Mensch des Maßes und der Würde auch der Gottheit gegenüber.
Was solche indogermanische Freiheit im staatlichen Bereich bedeutet, soll später untersucht werden. Schon hier aber kann angedeutet werden, was sich aus dem Werke des Römers Cornelius Tacitus ergibt: Freiheit (libertas) im indogermanischen Sinne ist nur dort möglich, wo ein Volk nach dem Werte der virtus strebt, also der Würde des kraftvollen, aufrechten Einzelmenschen. Setzt sich in einem Volke die „Freiheit“ der städtischen Massen durch, die vom Staate Versorgung („Brot und Spiele“) begehren, so wird in solchem Staate die Freiheit der Einzelmenschen und die der Minderheit zuerst durch die Mehrheit unterdrückt werden, bis schließlich nur noch dominatio möglich ist, also gleiche Untertanenschaft aller unter einem Gewalthaber.
Bei der ererbten Anlage zu der ihnen eigentümlichen Frömmigkeit konnten sich bei den Indogermanen nicht diejenigen Glaubensformen entwickeln, die man als Offenbarungsreligionen bezeichnet hat, und somit nicht diejenigen, die man Stifterreligionen genannt hat. Indogermanischer Frömmigkeit ist es eigen, mit dem Menschen selbst so zu wachsen und zu reifen, wie Anlage und Schicksal des Menschen diesen wachsen und reifen lassen. Bei den frömmsten Indogermanen wird so die Lebenserfahrung von dem Zusammenwirken einer Ordnung der Welt, eines Willens der Gottheit und einer Auseinandersetzung des bestimmt gearteten Menschen mit seinem eigenen unveränderlichen Wesen zu einer Erfülltheit, die, mit diesen Menschen wachsend, immer gehaltvoller wird. Bei solcher Frömmigkeit wird es kaum oder eben nur gegenüber einer plötzlich hereinbrechenden Fülle von Schicksal zu Zuständen der Erweckung, des inneren Umbruchs, der Bekehrung kommen und nie zu einem Bekehrungskrampf. Plötzliche Verwandlung des eigenen Wesens in einen gänzlich anderen Zustand, Umwandlung, die als Wiedergeburt empfunden wird, beklemmende und dann jäh sich vollziehende Offenbarung von etwas, das vorher gar nicht wirkend war — solche „inneren Erfahrungen“ gehören viel eher der orientalischen (wüstenländischen) Rassenseele an und ereignen sich leicht in dem Morgenlande, dessen Geist bestimmt wird durch die vorderasiatische und die orientalische Rasse84.
Der Offenbarung — L. F. Clauß nennt die orientalische (wüstenländische) Rasse nach ihren seelischen Zügen den „Offenbarungsmenschen“ — entspricht die Religionsstiftung durch einen Propheten und ferner die Ereiferung, das Getriebensein der Gläubigen für den geoffenbarten Glauben — alles Erscheinungen, die in dem Erdreich indogermanischer Frömmigkeit nicht gedeihen. Die Erhebung des „Glaubens“ an sich, gleichsam der Gläubigkeit um der Gläubigkeit willen, die Verdienstlichkeit des Glaubens als eines geradezu zauberkräftigen Mittels zur „Rechtfertigung“ vor Gott — Luthers sola fide — solche Frömmigkeit erscheint vom nordisch-indogermanischen Wesen aus als eine Verzerrung des menschlichen Wesens, desjenigen menschlichen Wesens, das von der Gottheit selbst als vollmenschlich gewollt wird. „Glaube“ an sich kann kein indogermanischer Wert sein, wohl aber ein Wert für den Menschen orientalischer (wüstenländischer) Rasse. Goethe hat in dem Einleitungsgedicht zum „Westöstlichen Divan“ die Übersteigerung und Ereiferung morgenländischen „Glaubens“ und die solcher Übersteigerung entsprechenden gedanklichen Mängel so gekennzeichnet: „Glaube weit, eng der Gedanke.“ Ereiferung für einen Glauben, Ereiferung als Drang des Bekehrenwollens, der Sendung zu den „Ungläubigen“, die Behauptung, der eigene Glaube allein könne „selig machen“, Ereiferung ferner, die sich als Haß gegen „andere Götter“ ausdrückt und als Verfolgungswille gegen deren Gläubige: solcher Geist der Eiferwut (Fanatismus) ist wiederum ausgegangen von Stämmen überwiegend orientalischer Rasse und vom Glaubensleben solcher Stämme.
Eduard Meyer hat in seiner „Geschichte des Altertums“ 85 sogar von einer „brutalen Grausamkeit“ gesprochen, die den Glaubensgeist von Völkern semitischer Sprache gekennzeichnet habe.
Alle diese Regungen sind den Indogermanen artfern wie das Sicheindrängen in fremden Seelenbezirk, das sich häufig bei den Menschen vorderasiatischer Rasse zeigt. Je überzeugter der Indogermane in seinem Glauben lebte, desto artwidriger muß ihm die Vorstellung gewesen sein, seinen Glauben als den einzig vor Gott gültigen einem Fremden darzustellen. Für indogermanische Frömmigkeit gibt es keine Verkündigung für Ungläubige, sondern allein dem Fragenden gegenüber ein Aufzeigen dessen, woraus die eigene Frömmigkeit quillt. Darum auch die Duldsamkeit aller Indogermanen in Glaubensdingen. In meinem Buche „Die Nordische Rasse bei den Indogermanen Asiens“ (1934/1982) habe ich (S. 112) geschrieben:
„Der Frömmigkeit allen Indogermanentums ist Bekehrungseifer und Unduldsamkeit immer fremd geblieben. Hierin äußert sich der nordische Sinn für den Abstand der Menschen voneinander, die Scheu vor dem Betreten seelischer Bezirke der anderen Menschen. Man kann sich keinen echten Hellenen vorstellen, der seine Glaubensvorstellungen einem Nichthellenen hätte verkündigen wollen, keinen Germanen, Römer, Perser oder arisch-brahmanischen Inder, der andere Menschen zu seinem Glauben hätte ,bekehren’ wollen. Der nordischen Rassenseele erscheint die Einmischung in das Seelenleben anderer Menschen als unvornehm und als Grenzverletzung.“
Für das Indogermanentum ist gegenseitige Duldsamkeit der Glaubensformen kennzeichnend. Die Denksteine im römischgermanischen Grenzgebiet zeigen durch Inschriften an, daß die römischen Grenztruppen und -siedler nicht nur ihre eigenen Götter ehrten, sondern mit ihnen die örtliche Gottheit der Germanen, den genius huius loci.
Im Perserreich der Achaimeniden wurde Ahura Mazda als Reichsgott86 verehrt, der aus einem iranischen Stammesgotte zu einem Gott über alle Völker der Erde geworden war. Nach seinem Vorbild ist der Jahwé Jehova) der Juden aus einem hebräischen Stammesgotte schließlich für viele — nicht für alle — Juden zu einem Gott aller Völker geworden. Die Perser aber haben als Indogermanen niemals Ahura Mazda den fremden Stämmen und Völkern ihres Reiches aufgezwungen. Die Könige Kurasch (Kyros) der Große und Darajawahusch (Dareios) erließen Verordnungen über die gegenseitige Duldsamkeit der Religionen ihres Reichs87. Der indische König Asoka, der sich zum Buddhismus bekannte, der einzigen Religion, die ohne Gewalt und Blutvergießen ausgebreitet wurde, ein König, der um die Mitte des dritten vorchristlichen Jahrhunderts über ein großes Reich herrschte, hat Gesetze über die gegenseitige Duldsamkeit der Religionen seines Reiches in Steintafeln eingraben lassen, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts wieder entdeckt worden sind. Solche Beispiele kann die Geschichtsschreibung nur aus indogermanischem Bereich anführen. Das parcere subiectis (die Besiegten schonen) des Vergilius wurde von den Römern nicht nur den unterworfenen Völkern gewährt, sondern auch deren Göttern und Gottesdiensten. Eine interpretatio Romana versuchte jeweils, die fremden Götter als Entsprechungen der eigenen zu begreifen.
Ammianus Marcellinus, ein Truppenführer im Heere des Kaisers Julianus, den die Christen den Abtrünnigen (apostata) nannten, wollte mit einem Geschichtswerke das des Tacitus fortsetzen. Bei Schilderung der Ereignisse in seiner Zeit, in der das Christentum schon Staatsreligion geworden war, berichtete Ammianus als Heide über die Umtriebe der Christen gegen Julianus vorurteilslos und ohne Schmähungen, wie es der hellenisch-römischen Duldsamkeit entsprach. In den Auseinandersetzungen heidnischer und christlicher Schriftsteller und Dichter haben glühende Verehrer des altrömischen Glaubens wie Quintus Aurelius Symmachus, Ambrosius Theodosius Macrobius und Claudius Rutilius Namatianus über Christentum und Christen in würdiger Weise geurteilt. Beschimpfungen, Hohn und Verachtung der Gegner finden sich in dieser Zeit erst und nur bei den christlichen Schriftstellern. Erst nach ihrer Bekehrung zum Christentum, dessen Gottesvorstellung den unduldsamen und Glaubenskriege befehlenden Göttern semitischer Stämme entsprach, haben indogermanische Völker ihren Glauben fremden Stämmen so aufgezwungen wie der Frankenkönig Karl das Christentum den blutig unterworfenen Sachsen. Der norwegische König Olav Tryggvesson (995-1000), der in England getauft worden war, hat sogar sein eigenes Volk durch List, Verrat und blutige Verfolgungen wie auch durch Belohnungen derer, die sich taufen ließen, zur Bekehrung gezwungen und verlockt. Andreas Heusler88 hat ausgesprochen, es habe unter den Nordgermanen genug Gewalttätigkeit gegeben, niemals aber Grausamkeit; erst nach der Einführung des Christentums seien bekehrte Eiferer gegen ihre Landsleute grausam vorgegangen: „Mit der Bekehrung des Nordens kommt eine fremde Welle der Grausamkeit ins Land. Bei den Foltermethoden des Bekehrerkönigs Olaf sagt man sich, das mußten die Nordländer erst vom Orient lernen.“
Nur in Island, wohin viele norwegische Freisassen vor den Verfolgungen durch bekehrte und bekehrende Könige ausgewichen und wo diese Freisassen einen Staat der freien und gleichen landbesitzenden Familienväter, eine kennzeichnend germanische Demokratie, gegründet hatten, wurde die angestammte Duldsamkeit wieder hergestellt und bewahrt. Daraus erklärt sich, daß dort die heidnischen Überlieferungen auch nach Annahme des Christentums bewahrt blieben: die Dichtungen der Edda und die lange Reihe der Isländergeschichten, der Sögur (Einzahl Saga)89. Die vom Frankenkönig Karl gesammelten Heldenlieder der germanischen Vorzeit hat dessen Sohn Ludwig, zubenannt der Fromme, als heidnisch verbrennen lassen.
Indogermanischer Glaube ist nicht denkbar ohne Duldsamkeit, und eine indogermanische Glaubensform, die „Rechtgläubigkeit“ forderte, ist nicht vorstellbar, ebensowenig wie eine indogermanische Glaubensform, die in einen Zwist geraten könnte mit der freien Forschung, dem selbständigen Denken.
Wo Glaubensereiferung die angeborene freie Wahrheitsliebe und die angeborene Vornehmheit des Freien verletzen würde, kann Rechtgläubigkeit als ein Frömmigkeitswert nicht aufkommen. Alle indogermanischen Glaubensformen sind, solange sie angestammt-nordischem Geiste treu waren, frei geblieben von einer Glaubens lehre, einem Dogma, und von der Verehrung eines geoffenbarten „Wortes“. Auch hiermit hängt es zusammen, daß sich bei den ursprünglichen Indogermanen eine Glaubenslehrerschaft, die „Theologen“, und ein vom übrigen Volke abgehobenes, heiligeres Priestertum nicht bilden konnten. Und hiermit — und mit anderen Zügen des Indogermanentums — hängt ferner zusammen, daß indogermanische Glaubensgemeinschaften nie zu K i r c h e n geworden sind. Verkirchlichung eines Glaubens ist wiederum eine Äußerung des Geistes der orientalischen (wüstenländischen) Rasse oder des Zusammenwirkens orientalischen und vorderasiatischen Rassengeistes.
Noch aus einem anderen Grunde konnte bei den Indogermanen eine Kirche nicht entstehen. Kirche als eine heilige und heiligende Einrichtung für eine unter Priesterherrschaft ihrer Sonderfrömmigkeit lebende Gemeinschaft von Menschen, die nach Rechtfertigung vor der Gottheit verlangen — eine solche Kirche kann sich nur bilden, wo in „ dieser“ Welt, die „ unheilig“ ist und die zur „Sünde“ lockt, ein abgesonderter heiliger Bezirk der Frommen geschaffen wird, wo eine Einrichtung geschaffen wird, die den erbsündigen Menschen aus der Umstrickung „dieser“ Welt durch ihre Gnadenmittel löst und ihnen einen „Heilsweg“ zur Erlösung weist.
Wo die Welt eine sinnvolle Ordnung ist und die Gottheit selbst Freude hat am rechtschaffenen Menschen, da hat Kirche keinen Sinn.
„Huldige du dem Gotte
durch die ganze Welt!“
Gemeinschaft im Glauben wird daher beim Indogermanen sich nicht ausgestalten zu einer „Gemeinde“ mit abgeschlossener Sonderfrömmigkeit. Der Gemeindebildung in diesem Sinne steht schon die Einzeltümlichkeit der nordischen Rassenseele entgegen, die in den einzelnen indogermanischen Volkstümern gewirkt hat. „Sie wohnen für sich und abgesondert“ (colunt discreti ac diversi) — so schildert Tacitus (Germania, 16) die Siedlungsweise der Germanen, diese Siedlungsweise, in der sich mehr als eine Gewohnheit, in der sich die seelische Artung des Germanentums ausdrückt, die Freude am gegenseitigen Abstandhalten zwischen den Menschen. Bei solcher Veranlagung ist eine wortkarge, vertrauende Gemeinschaft im Glauben möglich, nicht aber die Bildung einer Gemeinde, über die sich ein Geist senken kann, in dessen Spannung alles einzelmenschliche Wesen sich selbst verzehrt erscheint.
Auch das Brahmanentum der arischen Inder, das wie das Druidentum der Kelten als eine Ausnahme unter den Priesterschaften der indogermanischen Völker erscheint, war nur im Nordwesten und in einigen Gebieten Nordindiens im Laufe der Jahrhunderte ein geschlossener geistiger Stand geworden. Es hat jedoch bei all seinem Ansehen niemals vermocht, eine Kirche mit bestimmten Glaubensvorschriften zu gründen. Der Buddhismus hingegen, obschon erst in einer Spätzeit aufkommend, ist indogermanischer Art treu geblieben — sicherlich auch zu seinem Schaden; er bewahrte die Gleichordnung vieler einzelner Gemeinden, die auch die Lehre verschieden auslegen durften, und hat niemals eine maßgebende oberste Glaubensbehörde über die einzelnen Gemeinden gesetzt. Auch waren und sind die Laiengemeinden nicht zur Anerkennung bestimmter Glaubenslehren gezwungen, und aus den Orden konnten und können Mönche und Nonnen jederzeit austreten, ohne daß sie ein Vorwurf oder auch nur eine Geringachtung trifft — indogermanische Geistes- und Glaubensfreiheit noch in einer Spätzeit und gegen das mächtige Brahmanentum bewahrt.
Nicht in einer Gemeindekirche wird sich indogermanische Frömmigkeit rein entfalten können, wohl aber in einem artgemäß wirkenden Staate. Im Gau der Germanen, in der civitas der Römer, in der polis der Hellenen, d.h. in den Volksordnungen dieser so sicher staatlich denkenden Menschen einzeltümlicher Veranlagung, hat indogermanische Frömmigkeit sich von je am reinsten entfalten können. Der einzelne Indogermane entfernte sich abseits von den Menschen, wenn er beten wollte (vgl. Odyssee 12,333); daneben bestand das Gemeinschaftsgebet im Staate — beide Formen übrigens ohne das Kennzeichen der Verdienstlichkeit des Betens, die von den Völkern semitischer Sprache betont wird. In Xenophons Schrift Oikonomikós (11,8) ist ein Staatsgebet erwähnt, das „Gesundheit, Leibeskraft, Verträglichkeit mit Freunden, Heil im Kriege und Wohlstand“ von den Göttern erfleht. Hier erscheint die Glaubensgemeinschaft der staatlichen Gemeinschaft gleich, und in solchem Erdreich gedeiht indogermanische Frömmigkeit am schönsten.
Viel leichter als in einem Erlösungsglauben oder einem Offenbarungsglauben und leichter als in kirchentümlichen Formen wird sich die angeborene indogermanische Frömmigkeit entfalten können in bestimmten Ausprägungen der Mystik. Was den Indogermanen mystischen Anschauungen gegenüber aufhorchen läßt, ist die hier mögliche Unmittelbarkeit der Beziehungen zur Gottheit, die hier mögliche Vertiefung eines immer lebendigen Dranges zur „wechselseitigen Freundschaft zwischen Göttern und Menschen“ (Platon) und die hier mögliche Wendung zur Allvergöttlichung (Pantheismus). Dem Indogermanentum ist der Schöpfungsgedanke fremd, und gerade in der Mystik wird zumeist der Schöpfungsgedanke entfallen. Leicht sind aus dem Indogermanentum mystische Anschauungen erwachsen: bei den Indern in den Weden und Upanischaden, im Brahmanentum, im Buddhismus, bei den Hellenen in denjenigen Auslegungen des platonischen Denkens, die Platons anámnesis im mystischen Sinne auffaßten, und abgeschwächt und von morgenländischem Geiste durchfremdet im Denken des Plotinos und seiner neuplatonischen Nachfolger im Mittelalter. Wo Indogermanen artfremden Glauben angenommen haben, hat sich mystisches Denken später gegen diesen Glauben wieder durchgesetzt, so schon bei dem Christen Boethius (480-525) der in seiner Schrift „Von der Tröstung durch Philosophie“ viel weniger christliche Anschauungen vorträgt, viel mehr hingegen die Lehren, die er aus Platon, den Stoikern, den Neupythagoräern und aus Plotinos übernommen hatte, so auch in der zur Allvergöttlichung neigenden Mystik des persischen Islams, im Sufismus, so im abendländischen Christentum, in dem sich die Mystik alsbald zu regen begann, nachdem nordisch-germanischer Geist im angenommenen römisch-christlichen Glauben heimischer geworden war. Meister Eckhart, der Mystiker, mag wohl die stärkste Durchdringung des Christentums mit germanischem, indogermanischem Geiste andeuten.
Aber nicht in jeder Mystik wird indogermanische Frömmigkeit sich artgemäß entfalten können, so nicht etwa in der Mystik — wenn man das so nennen darf — der übersinnlich-sinnlich-geschlechtlichen Stimmungen und Weihen; nicht in der Mystik der rauschartigen Erregungen, in jenem enthusiasmós, in dem der Mensch sich den Schranken seines Leibes entquälen und sich hineinsteigern will in das Wesen der Gottheit; auch nicht in dem Verzückt sein oder Entrücktsein der islamischen „Mystik“, dieser Empfindung, von einem außerweltlichen Gotte hingerissen, überwältigt zu sein, endlich auch nicht in einer „Mystik“ der Auflösung aller Grenzen, des Versinkens und Verschwimmens im Gestaltlosen, im Entwerden. Allen solchen Stimmungen steht der indogermanische Wille zur Gestaltung gegenüber, die indogermanische Schau auf die gestaltete Ordnung der Welt und das indogermanische Pflichtgefühl zum Kampfe gegen alle entstaltenden Mächte, gegen Utgard. Darum ist auch die Mystik des Sichverschließens (Mystik von myein), der Abkehr von der Welt, der Tatlosigkeit und Willenlosigkeit oder gar der Empfindsamkeit und der schwelgenden Beschaulichkeit, die sogenannte quitistische Mystik, nicht Mystik des Indogermanen. Soviel dem Indogermanen Gelassenheit bedeutet, so tiefe Einsicht er im Sicherversenken immer wieder gewinnen wird oder in der reinen Anschauung der Dinge ohne Willenserregung: sich aufgeben kann der Indogermane nicht, und Selbstbehauptung ist tief in seinem Wesen verwurzelt. Darum ist indogermanische Mystik die Innenschau hochgemuter Menschen: durch Versenkung der sich sittlich läuternden Einzelseele (indisch atman) in sich selbst erfährt diese auf ihrem Grunde sich selbst als die Allseele (indisch brahman).
Deshalb wird indogermanische Mystik als Innenschau sich immer wieder verbinden können mit der weiträumigen Schau — nicht eines sich nach außen Verschließenden, sondern — eines Sich-erschließenden, eines Fernblickenden, wie er am schönsten durch den Apollon vom Belvedere dargestellt wird, durch den „Fernhinzielenden“, dessen Standbild Winckelmann so ergriffen und ergreifend beschrieben hat. In solcher „fernhinzielenden“ Schau hat der Indogermane das Göttliche erfahren.
„Vom Gebirg zum Gebirg
schwebet der ewige Geist
ewigen Lebens ahndevoll."
(Goethe, An Schwager Kronos)
In großen Augenblicken wird so indogermanisches Wesen einer Schau, einer theoria, teilhaftig auf ein „Eines und Alles“ (hen kai pan), auf das All-Eine, das schon die älteren Upanischaden in Indien lehren89 und dann — jeder in seiner Weise — die großen frühhellenischen Denker, ein Herakleitos, ein Xenophanes und ein Parmenides90. Eine Alleinheitslehre indogermanischer Artung hat zu Beginn des 9. nachchristlichen Jahrhunderts in Indien der brahmanische Denker Schankara verkündigt: die Wedantaphilosophie91, die seit ihrem Bekanntwerden in Europa und Nordamerika viele denkenden Menschen bewegt hat. Die gleiche Frömmigkeit durchbricht das christliche Dogma in der „nordisch-deutschen Wirklichkeitsmystik“, die H. Mandel beschrieben hat92.
Die weite Schau des Indogermanentums, die am schönsten durch den „fernhinzielenden“ Apollon dargestellt worden ist, kann zur Hingabe an ein anfangs- und endeloses All werden — nicht also zur Bewunderung einer Schöpfung durch ein Geschöpf —, kann auch zu einer denkmächtigen Durchdringung des anfangs- und endelosen Alls werden, wie Herakleitos sie verkündet hat, oder kann zu demjenigen Aufgehen im All werden, das man als Naturmystik bezeichnet hat. Josef Strzygowski93 hat die Bildende Kunst der Indogermanen aus dem „Gefühl des Einesseins mit dem Weltall und seiner Weite“ erklärt. In solcher Naturmystik verbinden sich indogermanische Weitenschau und Innenschau miteinander, wofür die abendländische Landschaftsmalerei, vor allem die der germanischen Völker und die landschaftliche Lyrik94 vor allem in England und Deutschland, wofür aber auch Hölderlins „Hyperion“ Zeugnis ablegen.
Aus dem indoiranischen Götterglauben (Polytheismus) der Vorzeit, hatte Spitama Zarathuschtra etwa im 9. vorchristlichen Jahrhundert einen Gottesglauben (Theismus) geschöpft, die erste Eingottlehre (Monotheismus) in der Geschichte der Religionen. Die Götter, die Indern und Iranern gemeinsam gewesen waren, traten jetzt in Iran hinter den einen Ahura Mazda zurück, nach welchem der Mazdaismus benannt ist. Diese anderen Götter, in Indien bewahrt, wurden in Iran zu den „Heiligen Unsterblichen“ (amescha spentas), zu Vertretern der sittlichen Tugenden. Sie wurden später als die „Boten“ (griechisch angeloi) Ahura Mazdas angesehen und gaben das Vorbild für die Erzengel der jüdischen und christlichen Schöpfungssagen ab. Spitama Zarathuschtra hatte seinen Eingottglauben in einseitiger Weise gänzlich auf das Sittliche ausgerichtet, widersprach aber damit der angestammten Frömmigkeit: Hermann Lommel95 hat aber nachgewiesen, wie im iranischen Volksglauben immer wieder eine „Naturfrömmigkeit“ den Mazdaismus durchbrochen habe.
Solche Naturfrömmigkeit hat sich auch darin ausgesprochen, daß die persischen Könige Parklandschaften und Gärten anlegen ließen, die weithin bekannt wurden. Einer dieser Gärten hieß pairidesa, und von ihm ist die alttestamentliche Vorstellung vom Paradies und vom Garten Eden abgeleitet96.
Naturfrömmigkeit hat auch den Perserkönig Chschajarscha (griechisch Xerxes) aus dem Geschlechte der Achaimeniden erfüllt, den König mit den „dunkelblau blitzenden Augen“ (Aischylos, Die Perser 81). Herodotos (VII, 31) berichtet: Als der König auf dem Marsche nach Lydien und zum Hellespontos eine schöne Platane erblickt habe, habe er diese mit goldenem Schmuck behängen und den Baum von einem Manne seiner Leibgarde bewachen lassen.
Dieser Bericht hat das gerühmte Largo Friedrich Händels hervorgerufen, das nicht, wie meist angenommen wird, ein kirchliches Tonstück ist, sondern ein weiteres Zeugnis indogermanischer Naturfrömmigkeit: der Perserkönig der Händelschen Oper „Serse“ (Xerxes) besingt in dem Largo „Ombra mai fu“ die schöne Platane: „mio platano amato!“
Im Jahre 1871 fand nach Kriegsende in Berlin zwischen Bismarck, Roon und Moltke ein Gespräch statt. Bismarck fragte die beiden Feldmarschälle, was wohl ihnen und auch ihm, dem Kanzler, nach solchen Ereignissen und Erfolgen noch des Erlebens wert erscheinen möge, was ihnen noch zur Lebensfreude gereichen könne. Nach einer Pause sprach Moltke mit schlichter Stimme: „Einen Baum wachsen zu sehen.“ — Baumverehrung war, wie auch Erik Therman97 gezeigt hat, eines der Kennzeichen germanischer Frömmigkeit.
Naturfrömmigkeit hat sich in der iranischen Dichtung und Bildenden Kunst ausgesprochen in den Schilderungen der vom „Glänze der Gottheit erfüllten Landschaft“ (chvarenah)98.
Naturfrömmigkeit, also adelsbäuerlich-indogermanische Frömmigkeit, durchwirkt auch die Georgica des Vergilius Maro, die Werke der Maler Claude Lorrain und William Turner, die Dichtung Gottfried Kellers und dessen Roman „Der grüne Heinrich“ und den „Nachsommer“ Adalbert Stifters.
Angeborene Naturmystik hat manchen christlichen Theologen und so auch den weimarischen Oberhofprediger Herder immer wieder weit von den Kirchenlehren entfernt. Der Nordamerikaner Ralph Waldo Emerson (1803-82) legte sein Pfarramt nieder, als er die mystische Verbindung mit der Weltseele, die sich ihm in der Erhabenheit der Landschaft und in der Forderung des Gewissens kundgab, nicht mehr mit den Kirchenlehren vereinigen konnte. Sein Bekenntnisbuch „Nature“ erschien im Jahre 1836.
Eine Hingabe an das All, das wegen seiner Anfangs- und Endelosigkeit nicht „Schöpfung“ sein kann, eine Hingabe bis zur Befreiung aus Zeit und Ort, also ein „Nirwana bei Lebezeiten“, hat Richard Jefferies (1848-1887) erlebt, ein englischer Mystiker, der aber mit seinem Buche „The Story of my Heart“ (1883) auch in seinem Heimatland nahezu unbekannt geblieben ist.
Eine — gegen die bewußte Absicht des im Anschluß an Epikuros materialistisch denkenden Verfassers — sich aus dem Reichtum eines dichterischen Gemütes durchsetzende Naturmystik könnte man in der großartigen Lehrdichtung De rerum natura des Römers Titus Lucretius Carus finden, denn schon die als Einleitung dienende Anrufung der Göttin Venus, an die doch Lucretius als Erbe eines vernunftvollen hellenischen Denkens nicht mehr glaubte, bedeutet mehr als eine „mythologische“ Ausschmückung: sie zeugt von einer geistigen Fülle der Dichtung, von einem hen kai pan, einer unio mystica des erkennenden Dichters und Denkers mit dem All als dem Gegenstande seiner Erkenntnis. Der „Abgeschiedenheit“ eines Mystikers entspricht auch das Ziel der Sittlichkeit und Frömmigkeit des römischen Dichters: „beruhigten Geistes alles erschauen zu können“ (V, 1203: pacata posse omnia mente tueri).
Otto Regenbogen99 hat gezeigt, daß der Denker und Epikureer Lucretius und der Dichter Lucretius in der Dichtung nicht eins geworden seien, De rerum natura gebe genug Beispiele dafür, daß Lucretius von dem Materialisten Epikuros und dessen Lehre von den Atombewegungen abgewichen sei — abgesehen davon, daß des Römers Dichtung aus stoischem Geiste herber und männlicher, ja gebieterischer ausgefallen sei als die Lehren des hellenistischen Denkers. Wenn Lucretius alle religio überhaupt abgelehnt habe, so erkläre sich dies daraus, daß in die bäuerliche Frömmigkeit, die ursprünglich die religio der latinisch-sabinischen Römer ausgemacht hatte, schon durch den Einfluß der benachbarten Etrusker viel düsterer Aberglauben und abstoßende Gebräuche eingedrungen waren. Doch spreche aus solcher Ablehnung jeglicher religio, wie Regenbogen sich ausgedrückt hat, „mehr Ehrfurcht vor den höchsten und letzten Dingen“ als aus allem „gläubigen Hinnehmen des religiösen Philisters“.
War auch der Dichter Lucretius Materialist? — Goethe, der Dichter und Denker einer Naturfrömmigkeit und auch als solcher nicht Materialist, wollte eine Schrift über Lukretius verfassen, in welchen er diesen „als Menschen und Römer, als Naturphilosophen und Dichter“100 darstellen wollte; er verfolgte mit großem Anteil die Übersetzungsarbeit seines Freundes Karl Ludwig v. Knebel, der De rerum natura meisterhaft verdeutscht hat. Karl Büchner101 hat ausgeführt, daß Lucretius der erste römische Denker war, der den Geist (mens) entdeckt habe, einen Geist, der durch Erkenntnis befreit: Lucretius habe „Sinn“ gefunden „nur in der Überlegenheit des erkennenden Geistes“, Befreiung allein im Glauben an die „Macht des Geistes und der Vernunft“; Befreiung „zum festen, dauernden Geist“ als einem zeitlosen Werte sei das Ziel der Frömmigkeit und Sittlichkeit des Dichters, genus infelix humanum (V, 1194), ein vom Unheil geschlagenes Geschlecht, sind dem Dichter diejenigen im Aberglauben verharrenden Menschen, die nicht fähig sind, sich zum Geiste zu befreien.
In dem Selbstgespräch Faustens im Auftritt „Wald und Höhle“ (Faust I, Vers 3217 ff) hat Goethe beides miteinander verbunden: die Betrachtung des Objekts „Natur“ im Sinne des Denkers Lucretius und die Gegenüberstellung eines empfindenden und erkennenden Bewußtseins als Subjekt, nämlich die sich dem Nachdenken eröffnenden „geheimen, tiefen Wunder in der eigenen Brust“ (Vers 3232 ff), ohne die ein Begriff wie „Natur“ und eine Empfindung wie „herrliche Natur“ (Vers 3220) nicht gefaßt werden könnten. Bei Goethe wird man also nicht, wie es bei Lucretius erlaubt ist, einen „Dichter“ von einem „Denker“ trennen können. Aber Goethe wie sein Freund v. Knebel sind durch die Naturfrömmigkeit des Römers Lucretius begeistert worden. Die gleiche Frömmigkeit hat Goethe in „Dichtung und Wahrheit“102 so ausgesprochen: „Gewiß, es ist keine schönere Gottesverehrung als die,... die bloß aus dem Wechselgespräch mit der Natur in dem Busen entspringt!“
Hatte der Denker Lucretius aber den „Geist“ (mens), also das Erkenntnisvermögen, für die Römer entdeckt, so muß der Dichter Lucretius im Gegensatze zu Epikuros, der in seiner Naturlehre von Demokritos ausgegangen war, geahnt oder begriffen haben, daß zwar Empfindung, Bewußtsein und Erkenntnistätigkeit des Menschen an die stofflichen Bedingungen der Gehirntätigkeit und damit letzten Endes, wie Demokritos und Epikuros gelehrt hatten, an Atombewegungen gebunden sind, daß sie aber nicht aus solchen Bewegungen abgeleitet, nicht aus ihnen erklärt werden können. „Geist“ entzündet sich nur in der Spannung zwischen einem erkennenden Bewußtsein als Subjet und einem diesem Bewußtsein gegenüber stehenden Objekt, einem „Gegenstande der Erkenntnis“ (H. Rickert). Mag der Epikureer Lucretius der materialistischen Atomenlehre des Hellenen Epikuros gefolgt sein, der Dichter Lucretius hatte einen „Geist“ entdeckt, der zur Naturfrömmigkeit befreit.
Ein hen kai pan in vollendeter Sprache hat in neuerer Zeit Algernon Swinburne (1837-1909) vorgetragen, so in seinem Gedicht Hertha. So hat ein „metaphysisches Bedürfnis“, wie Schopenhauer das nannte, immer wieder Dichtungen und halbphilosophische „Begriffsdichtungen“ (F. A. Lange) vom All-Einen hervorgerufen. Alleinheitslehren sind im Abendlande aber überzeugender oder wenigstens erhebender von Dichtern versucht worden, von einem Alexander Pope oder einem Hölderlin, Shelley oder Swinburne, weniger überzeugend von Denkern, z.B. von Schelling durch eine mißglückte „Identitätsphilosophie“, noch weniger überzeugend in neuerer Zeit durch einen Monismus verschiedener Prägung. Schelling wollte in der „Darstellung meines Systems der Philosophie“ (1801) nachweisen, das erkennende Bewußtsein und sein Gegenstand, die Natur, seien eines, und mit dieser Einsicht solle aller Dualismus auf immer vernichtet werden. Wer aber als Denker in begrifflicher Weise Stoff und Geist oder Leib und Seele oder Denken und Sein oder Subjekt und Objekt als ein und dasselbe, als „identisch“, nachweisen will, übersieht, daß schon solche Begriffe wie „Stoff (Materie) oder „Kraft“ (Energie) oder „Geist“ oder „Sein“ den Urteilen eines erkennenden Subjekts entsprechen, das einem Objekt, also einem „Gegenstande der Erkenntnis“ (H. Rickert) gegenüber gestanden hatte, und wäre dieser Gegenstand auch der eigene Leib oder die eigenen seelischen Regungen des Denkenden gewesen.
Vor allem für „das Eine“ oder „das All“ oder „das All-Eine" gilt: wie sollten sie, die ihrem Wesen nach unzerlegbar Eines sind, in zwei zerlegt werden, nämlich in ein erkennendes Subjekt und ein zu erkennendes Objekt? oder wie sollten sie es anstellen, sich von sich selbst so abzulösen, daß sie in Gegenüberstellung zu sich selbst denkend sich selbst begriffen und danach sich selbst benannten? Und dennoch haben Dichter und dichterisch begeisterte Denker im Indogermanentum immer wieder aus ihrer Artung heraus sich gedrungen gefühlt, in einer Bildersprache das auszudrücken, was in begrifflicher Sprache als allgemein verpflichtendes Urteil nicht mitgeteilt werden kann. So sind verschiedene Ausprägungen des Pantheismus und der Mystik zu verstehen. So ist auch Goethes „Gott-Natur“ zu verstehen, eine indogermanische Auslegung von Spinozas deus sive natura, die dadurch möglich wurde, daß Spinoza indogermanische Gedanken der Stoiker und des Pantheisten Giordano Bruno übernommen hatte. Bei Spinoza ein nüchterner „mathematischer Pantheismus" (W. Windelband), bei Goethe wie bei Giordano Bruno, bei Shelley oder bei Emerson ein begeisterter Naturpantheismus.
Wer als Denker Gott, Welt und menschliches Seelenleben in eines setzen will, wie es den Dichtern in begeisterten Augenblicken erlaubt ist, wird im indogermanischen Bereich — wie oben gezeigt worden ist — auf das Schicksal stoßen, und damit auf das Dasein der Menschen als Daseinmüssen und ihr Sosein als Soseinmüssen, wird so aber auf einen allzu harten „Gegenstand der Erkenntnis“ stoßen, als daß ein solches Schicksal noch in ein besänftigendes oder begeisterndes All-Eines aufgelöst werden könnte. Ein unumgänglicher erkenntnistheoretischer Dualismus verbietet jeden Monismus wie jede Identitäts- oder Alleinheitslehre für den denkenden Menschen. Das beschriebene „metaphysische Bedürfnis“ aber wird im Indogermanentum — wenn es über die Gegenwart hinaus bestehen bleiben wird — immer wieder dichterischen Überschwang das hen kai pan aussprechen lassen, im christlichen Bereich immer wieder gegen die Lehren der Kirchen von einem außerweltlichen Schöpfergotte.
Wie war es möglich, daß der Schicksals-Götter- und Gottesglaube der indogermanischen Völker zuerst bei den Indern, dann bei den anderen Völkern und schließlich auch bei den islamisch oder christlich gewordenen in Pantheismus und Mystik übergegangen ist? —
Hildebrecht Hommel103 hat gezeigt, daß die allen Indogermanen ursprünglich gemeinsame Gestalt eines „Himmelsvaters“, bei den Indern Djaus pitar, bei den Hellenen Zeus patér, bei den Römern Juppiter (aus Diopater), schon frühzeitig über die anderen Götter erhoben worden und als ein Gott des Alls, von den Germanen, wie der Isländer Snorre bezeugt, als ein „Allvater“ (altnordisch alfadir) begriffen worden war, den die indogermanische Mystik später auch in der Seele des frommen Menschen fand. In Oberbayern und in Tirol hat sich die Bezeichnung „Himmelsvater“ bei den Bauern erhalten und ist auf den christlichen Gott übertragen worden, also die Bezeichnung für einen Ordner und Hüter des anfangs- und endelosen Alls und damit, wie die Hellenen sagten, einen „Vater der Götter und Menschen“, auf den christlichen Gott als den Schöpfer eines Alls mit einem Anfang in der Zeit. Der Übergang von den Himmelsvätern etwa der Bronzezeit zu einem innerweltlichen und innerseelischen Gotte vollzog sich bei den Indogermanen in einem geschichtlichen Vorgang gegen Ende ihrer von den Göttersagen erfüllten Frühzeiten. In Indien vollzog sich dieser Übergang schon vom 9. vorchristlichen Jahrhundert an in den Upanischaden, denen die Welt nicht die Schöpfung eines Gottes war: das All war ein zeitlos Seiendes, das brahman, das allen Dingen und allen Seelen einwohnt.
Paul Deussen104 hat gezeigt, daß schon in den spätesten Gesängen des Rigwedas das Bestehen der überlieferten indoarischen Götterwelt bezweifelt wird, daß schon hier — wie später in Hellas — sich philosophisches Denken Bahn gebrochen habe, und zwar als Ahnung oder Gewißheit von einer Einheit alles Seienden. Im Rigweda (I, 164) heißt es: „Was nur das Eine ist, benennen die Redekundigen (Dichter) vielfach.“ 105
An diesem Übergang von den Göttern zu einem Gott des Alls, der schließlich pantheistisch und mystisch begriffen wurde, haben die einfachen Menschen abseits gelegener bäuerlicher Gebiete nicht oder nicht völlig teilgenommen. Die italischen Bauern abgelegener Gebiete haben ihre einheimischen Götter, die di indigetes der römischen Frühzeit, noch verehrt und in Festen gefeiert, als in der Hauptstadt Rom nach Angleichung der olympischen Götter des Hellenentums an die altrömischen Gottheiten (numina) schon eine innerweltliche Gottheit geahnt oder von den denkenden Menschen begriffen worden war. Der allgemein indogermanische Übergang von den Göttersagen zu Pantheismus und Mystik, der sich in den christlich und islamisch gewordenen Völkern innerhalb des übernommenen oder aufgezwungenen Glaubens gegen den Widerstand der Rechtgläubigkeit vollzog, läßt sich in vereinfachender Kürze so darstellen:
Nach ihren Frühzeiten und in ihren Mittelaltern — auf den Wegen „vom Mythos zum Logos“ (W. Nestle) — verblaßten in den indogermanischen Völkern, die ihren ererbten Anlagen nach auf Vernunft, auf vidja (indisch = Wissen), auf logos und idea (griechisch idea aus videsa zum Stamme vid-wissen), auf ratio (lateinisch) gerichtet sind, für die folgerichtig und unerschrocken denkenden Menschen nach und nach die Götter- und Gottesvorstellungen aus den bronzezeitlichen Jahrhunderten. Das befreite Denken erkannte die Kindlichkeit der Vorstellungen von irgendwo im Raume lebenden und von dorther in die Menschenwelt eingreifenden Göttern. Solche Vorstellungen konnten den denkenden Menschen um so mehr verblassen, als diese wie der Volksglaube von einem über den Göttern waltenden Schicksal überzeugt waren. So erwachte nach und nach die vernunftvolle Vorstellung von einer innerweltlichen und innerseelischen Gottheit (Pantheismus) und von einem in uns wirkenden Gotte (Mystik), von dominans ille in nobis deus, wie Marcus Tullius Cicero (Tusculanae disputations 1,74) diese Gottheit oder dieses Göttliche nannte. Dem so befreiten Denken erschloß sich außer dem Pantheismus somit auch eine vernunftvolle Mystik, die Erkenntnis und „innere Erfahrung“ nämlich, daß die sich in sich selbst versenkende Einzelseele sich auf ihrem tiefsten Grunde als die Allseele begreife, daß atman, die Einzelseele, auf ihrem Grunde brahman oder ein Teil von brahman sei, wie die Inder solche Mystik ausdrückten.
Pantheistische Weitenschau und mystische Innenschau der Indogermanen (vgl. S. 63) können ineinander übergehen — wenn auch nicht für das begriffliche Denken, so doch für die dichterische Stimmung. Die das All durchflutende „Macht“ und die von der Seele in ihrer Versenkung empfundene „Kraft“ der Allseele können in eines zusammenfließen. Goethe hat in den ersten Jahren seines Weimarer Aufenthalts freudig einem Satze zugestimmt, den er in Ciceros de divinatione (I, 49) gefunden hatte: es sei alles von göttlichem Geist erfüllt und daher würden die Seelen der Menschen durch die Gemeinschaft mit den göttlichen Seelen bewegt (cumque omnia completa et referta sint aeterno sensu et mente divina, necesse est contagione divinorum animorum animos humanos commoveri). Das ist wieder die Ahnung von einem Göttlichen, das sich dem Frommen im All ebenso ausspricht wie auf dem Seelengrund.
Die unerschrockenen Menschen unter den Germanen, vor allem unter den Nordgermanen, denen die Götterwelt der Asen und Wanen zu einer kindlichen Vorstellung geworden war, müssen schon vor dem Eindringen des Christentums ein innerweltliches und innerseelisches „Göttliches“ erkannt haben, ein brahman oder ein theion, wie es die Hellenen nannten, ein daimonion, wie es Sokrates in sich wirken fühlte. Es ist auffällig und bisher nicht genügend beachtet worden, daß das Wort „Gott“ in den germanischen Sprachen sächlichen Geschlechtes war: „das Gott“ (altnordisch gud) und daß erst durch die Fehldeutung christlicher Bekehrer das Wort männlichen Geschlechtes wurde: „der Gott“. So hatten die denkenden Inder schon frühzeitig nicht mehr von Göttern gesprochen, sondern von einer die Welt durchwaltenden „Gottheit“ (dewata), die auch „das brahman“ hieß. Das ist der deus in nobis der hellenischen und römischen Dichter und Denker.
Auf die Frage christlicher Bekehrer, an wen sie denn glaubten, antworteten manche Nordgermanen, was Jahrhunderte vorher auch die Südgermanen, die an „das Gott“ glaubten, hätten antworten können, sie glaubten an ihre „Macht" (matt) oder „Kraft“ (megin), also doch: an eine in ihnen wirkende „Macht“, ein den Frommen erfüllendes Göttliches, eine innerweltliche und innerseelische Gottheit. Eine solche Antwort muß den Bekehrern wie manchen heutigen Erklärern als ein einfältiges Kraftprotzentum oder eine frevelhafte Anmaßung erschienen sein, während es doch entsprechend dem dominans ille in nobis deus als ein sächliches, d.h. unpersönliches „das Gott“ verstanden werden muß. Es ist aber leicht zu begreifen, daß die Bekehrer, die mit dem Christentum die Vorstellungen der Völker semitischer Sprache von einem außerweltlichen (extramundanen, transzendenten) und „persönlichen“ Gotte übernommen hatten, dem Glauben an ein in uns waltendes Göttliches ratlos gegenüberstanden. Von ihren bekehrten Landsleuten, geistig einfacheren Menschen, welche die innerseelische „Macht“ oder „Kraft“ nicht begreifen konnten, wurden diese Bekenner eines Göttlichen im hochgemuten Menschen „gottlos“ genannt, gudlauss oder gudlausir menn.
Die einsichtigeren Menschen unter den Hellenen der hellenistischen Zeit hätten „das Gott“ der Germanen verstanden; es entsprach ihrem „to theion“. Die denkenden Hellenen hatten schon lange die Mehrzahl „die Götter“ durch die Einzahl „das Göttliche“ und später die Einzahl „das Mächtige“ (to kreitton) ersetzt. Der Redner Dion von Prusa, zubenannt Chrysostomos (40-120), und der Philosoph Plotinos (etwa 204-270) hätten die Isländer nicht mißverstanden: „Macht“ und „Kraft“ als Bezeichnungen für das Göttliche waren ihnen vertraut. Dion von Prusa (XXXI, 11) berichtet von tiefer besonnenen Menschen seiner Zeit: „Sie führen einfach alle Götter zusammen zu einer Macht (ischýs) und Kraft (dýnamis)", und Plotinos drückte sich in den Eneeaden (I, 6, 8) darüber so aus wie Goethe, der diese Stelle im Jahre 1805 gelesen hatte:
Lag' nicht in uns des Gottes eigne Kraft,
wie könnt' uns Göttliches entzücken?
(Zahme Xenien III, 725/26)
Die von Indogermanen geahnte, geschaute oder in der Erkenntnis der Denker begriffene „Macht“ oder „Kraft“, also „das brahman“ der Inder oder „das Gott“ der Germanen, diese Einheit des Göttlichen, zerlegte sich für die Denker im Bereiche des menschlichen Erlebens in die Dreiheit „Wahr, Schön und Gut“ — so aber, daß diese „Ideen“ oder Werte in Hellas einander eng benachbart blieben: leicht konnte dort und noch bei den späteren hellenisch-römischen Denkern das Wahre als das Gute und das Schöne begriffen werden, alétheia konnte sowohl die begriffliche Wahrheit wie die sittliche Wahrhaftigkeit bedeuten, und in der kalok'agathia, dem Vorbilde für Siebung und Auslese, für eugéneia oder menschliche „Zuchtwahl“, hatten sich Leibesschönheit und sittliche Tüchtigkeit, Tugend (areté), miteinander verbunden. Indogermanische Denker haben seit Platons „Gastmahl“ (Symposion) die Wahrheit, die Schönheit und die Tugend als Lebenswerte erkannt, die über den Bereich der Erfahrung hinaus auf ein Göttliches wiesen, auf „das brahman“ oder „das Gott“ — auf ein Göttliches, das den denkenden Menschen durch Wahrhaftigkeit zur Erkenntnis befähigt.
Aus den dem eigenen Innern entnommenen Regungen indogermanischen Empfindens, aus der ererbten Neigung zu Pantheismus und Mystik, erklärt es sich auch, daß immer wieder christliche Theologen wie auch Denker und Dichter des christlich gewordenen Abendlandes sich gegen die ihnen gepredigten Anschauungen von einem außerweltlichen und „persönlichen“ Gotte auflehnten, von einem Gotte, der die Welt aus dem Nichts geschaffen und nach seiner Vorsehung mit Geschöpfen bevölkert habe. Schon der französische Mystiker und Scholastiker Amalrich von Bena, der um 1206 in Paris verstorben war, ist nach seinem Tode von der Kirche verflucht worden, weil er in vernunftvoller Ablehnung der Lehren von einem Schöpfergotte ausgesprochen hatte, ein solcher Gott müsse für die Leiden aller Lebewesen und die Laster der so von ihm geschaffenen Menschen verantwortlich gemacht werden. Amalrich, der pantheistische Mystiker, hatte also aus seinem indogermanischen Gemüte begriffen, daß eine „ Theodicee“, eine Rechtfertigung des allmächtigen und allwissenden, dabei aber allbarmherzigen Gottes für die Übel seiner Schöpfung, unmöglich sei.
Die Anschauung Amalrichs von Bena war aber in dem von den indogermanischen Einwanderern durchdrungenen Nordindien schon in vorchristlichen Jahrhunderten und besonders von der Samkhja-Lehre, Dschainas und Buddhisten ausgesprochen worden, die sich gegen die aus Südindien vordringenden theistischen Religionen wehrten: man müsse einem Schöpfergotte außer allen Übeln des Erdenlebens auch vorwerfen, daß er Lügner, Diebe und Mörder geschaffen oder in seiner Schöpfung zugelassen habe.
Die — dem indogermanischen Schicksalsgedanken entsprechende — Entlastung der Götter von der Verantwortung für die Übel des Erdenlebens ging bei Epikuros106, der selbst nicht mehr an Götter, wohl aber — wie man nach den wenigen erhaltenen Aussprüchen vermuten darf — an ein Göttliches glaubte, so weit, daß er den Göttergläubigen unter den Hellenen seiner Zeit riet, sich die Götter als Wesen vorzustellen, die, in seliger Unbeschwertheit in den Räumen zwischen den Sternen lebend, sich um die Menschen nicht kümmerten, ihnen also weder nützen noch schaden könnten. Eine solche Vorstellung hatte sich Jahrhunderte vor Epikuros schon in der Ilias (24, 525) vorbereitet.
Dort versucht Achilleus den vom Leid niedergedrückten Priamos zu trösten:
„Es haben's die Götter den armen Menschen bestimmt,
kummervoll zu leben, sie selbst aber trifft kein Leid.“
Die gleiche Erfahrung läßt Shakespeare (König Lear IV, 1) den Grafen von Gloster in verbitterter Weise aussprechen:
„Was Fliegen sind
für böse Buben, sind wir für die Götter:
Sie töten uns zum Spaß.“
Weil er das Schicksal, diese anfangs- und endelose Verknüpfung vieler Ketten aus Ursachen und Wirkungen, nicht wie die Inder, Iraner, Hellenen, Römer und Germanen über die Götter erhöht, können dem Grafen von Gloster seine Götter nicht als die „Freund-Götter“ Platons erscheinen.
Die homerische und epikureische Vorstellung hat Hölderlin in „Hyperions Schicksalslied“ übernommen und Tennyson für sein Gedicht „The Lotos-Eaters“. Kant hat in seiner „Kritik der Urteilskraft“ (IL Teil, § 55) die Hellenen und Römer verteidigt: man könne es ihnen „ nicht so hoch zum Tadel anrechnen, wenn sie sich ihre Götter als . . . eingeschränkt dachten, denn wenn sie die Einrichtungen und den Gang der Natur betrachteten, so fanden sie zwar Grund genug, etwas mehr als Mechanisches zur Ursache derselben anzunehmen, . . . weil sie aber das Gute und Böse, das Zweckmäßige und Zweckwidrige in ihr... sehr gemischt antrafen . . ., so konnte ihr Urteil von der obersten Weltursache schwerlich anders ausfallen“.
Theodiceen waren für die Indogermanen nicht erforderlich, weil über den Göttern das unerbittliche Schicksal (Vergilius: inexorabile fatum) stand. Im Christentum versuchten aber immer wieder Pantheismus und Mystik sich gegen die Kirchenlehren vom allmächtigen, allwissenden, vorherbestimmenden und doch allgütigen Schöpfer durchzusetzen. Die Kirchen antworteten mit Verdammung bis zur Verbrennung (z.B. die Gnosis, Origenes, Scotus Eriugena, Hugo von St. Victor, Amalrich von Bena, David von Dinant, Meister Eckhart, Nicolaus von Kues, Sebastian Frank, Miguel Servedo (Servet), Vanini, Valentin Weigel, Jakob Böhme, Angelus Silesius, Fénélon, Herder, Fichte, Schelling, Schleiermacher, Shelley, Tegner, Kuno Fischer u.a.).
So wird die arteigene Frömmigkeit des Indogermanen, wenn sie sich selbst frei entfalten darf, sich immer nur in solcher Glaubensform regen, wie die Religionswissenschaft sie als „natürliche Religion“ bezeichnet hat. Damit ist aber gesagt, daß indogermanische Frömmigkeit im Abendlande auch immer wieder mißdeutet und verkannt werden wird, denn die Anschauung ist weit verbreitet, daß da um so mehr Glauben, um so mehr Frömmigkeit zu finden sei, wo Menschen sich auf „übernatürliche“ Werte bezogen fühlen. In weit innigerem Sinne, als die Bezeichnung „natürliche Religion“ gemeinhin gefaßt wird, sind Glauben und Frömmigkeit der Indogermanen „natürliche Religion“: sie sind die dem rechtschaffenen Menschen nordischen Wesens natürlich-angemessene Haltung aus verehrendem Gemüt und heldischer Kraft des Denkens. Kraftvolles ungebundenes Denken und sich einordnende Verehrung der Gottheit bestärken und vertiefen hier einander. Je reichhaltiger hier der Mensch wird, je vollkommener in seiner Menschlichkeit, desto frömmer wird er zugleich.
Kein Drängen zu Gott ist hier möglich, keine Verkrampfung des gläubigen Gemütes, keine Verstiegenheit der Glaubenspflichten, keine Angst, der Gottheit nicht genug zu tun; Freiheit und Würde und die Fassung des Edlen auch in der tiefen Erschütterung machen hier gerade die Kennzeichen der reinsten Frömmigkeit aus; ja, man kann geradezu sagen, daß indogermanische Frömmigkeit und Sittlichkeit, die nicht den Geboten und Verboten eines Strafe androhenden und Lohn verheißendes Gottes entsprechen, von der Würde des Menschen, der humanitas, ausgehen, von einer dignitas als Kennzeichen des Großgesinnten und Wohlgeborenen, nach Ciceros Worten (de officiis 1,72/73, /94/95,101,106,130, III, 23,24) von einem fortis animus et magnus, der das Ehrenhafte (honestum) will, weil in ihm die Vernunft über die Begierden herrsche. Aus solchen Bestimmungen des römischen Begriffes humanitas geht, wie Franz Beckmann107 ausführt, wieder hervor, daß diese Zielsetzung „die jahrhundertelange Züchtung eines aristokratischen Menschentums“ voraussetze. Somit kann auch die hellenisch-römische humanitas nicht zur Sittlichkeit für jedermann werden; sie war in Hellas die Sittlichkeit der eléutheroi, in Rom die der ingenui, also der Freigeborenen, und konnte nicht auf die Freigelassenen (liberti) übertragen werden. Im Mittelalter hat die Kirche das Wort humanitas zur Kennzeichnung der menschlichen Niedrigkeit (humilitas) gegenüber dem außerweltlichen Gotte gebraucht. Erst die Gelehrten des rinascimento in Florenz haben um 1400 humanitas wieder als Menschenwürde und diese Würde als Aufgabe begriffen.
Gegenüber den meistgepriesenen „Werken“ gegenwärtiger „Kunst“ mutet es wie eine verklingende Sage an, daß Friedrich Schiller, ein Spätgeborener des Germanentums wie Marcus Tullius Cicero einer des Italikertums, solche humanitas und dignitas vor allem von den Künstlern gefordert hat:
„Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben.
Bewahret sie!
Sie sinkt mit euch, mit euch wird sie sich heben!“
Für die reife Frömmigkeit des Indogermanentums entspringt die Sittlichkeit nicht wie die Sittlichkeit der Bibel einem Gebote Gottes, einem „Du sollst!“ (3. Mose 19,18, Mat.. 5,43; Lukas 6, 27). Indogermanische Sittlichkeit entspringt der Würde des hochgemuten Menschen, dem eine Menschlichkeit oder Menschenliebe eigen ist, die im indogermanischen Bereich am besten als Wohlwollen bezeichnet wird, als maitri (Sanskrit) oder mettá (Pali), als euméneia, philanthrophía oder sympátheia (griechisch), als benevolentia oder comitas (römisch). Biblische Sittlichkeit ist fremdgesetzlich (heteronom), indogermanische eigengesetzlich (autonom). Sie wird gegenüber der biblischen Nächstenliebe (agápe), die aber zunächst nur für den Stammesgenossen galt, besser als Wohlwollen bezeichnet, weil Liebe sich nicht befehlen läßt.
Burkhard Wilhelm L e i s t108 hat nachgewiesen, daß eine solche Menschlichkeit, ein solches Wohlwollen, schon in den ältesten Rechtsaufzeichnungen der Indogermanen vorgebildet war, daß die indogermanische Menschenwürde gefordert habe, im Menschen stets den Mitmenschen zu sehen, ihm mit aequitas zu begegnen, also mit dem Wohlwollen (maitri, mettá), das einen der höchsten Werte altindischer, vor allen buddhistischer Sittlichkeit ausmacht. Nach der Odysee (VI, 207; VII, 165; IX, 270) geleitet Zeus selbst der Achtung werte Hilfeflehende und ist der Rächer der verunglimpften Fremden und Schutzbedürftigen, ihm „sind alle befohlen, die Fremden und die Darbenden“. Dem Zeus xenios, der sich der Schutzbedürftigen annimmt, entsprechen bei den Römern die dii hospitales. Die Edda gebietet in den „Lehren an Loddfafnir“ (21, 23):
„Hohn und Spott
habe niemals
mit dem Fremdling und Fahrenden!
Nicht schilt den Fremdling,
treib ihn nicht fort ans Tor!
Sei hilfreich dem Hungernden!“
(Edda, II. Bd., übersetzt von Felix Genzmer, 1924, S. 137,138)
Auch den Germanen, nach Tacitus (Germania 21) den gastfreiesten unter allen Völkern, waren aber „die sittlichen Forderungen keine göttlichen Gebote“, für sie hatte die gute Tat keine Belohnung, die böse keine Strafe der Gottheit zu erwarten109 Die Absicht eines Menschen, sich durch Opfer bei Göttern einzuschmeicheln, wird von der Edda (Havamal 145) gerügt:
„Besser nichts erfleht als zu viel geopfert,
auf Vergeltung die Gabe schaut.“
(Edda, Bd. II, übersetzt von Felix Genzmer, 1924, S. 144)
Die Sittlichkeit der Menschenwürde wird nicht um eines jenseitigen Lohnes willen erstrebt, sondern um ihrer selbst willen: nihil praeter id quod honestum sit propter se esse expetendum. So hat Cicero die römische Frömmigkeit und Sittlichkeit begriffen (de officiis III, 33; Tusculanae disputations V, 1), die beide aus altitalischem und damit indogermanischem Wesen stammen. Darum sind solche Zielsetzungen wie die der hellenischen kalok'agathia (Schöntüchtigkeit) und die der römischen humanitas — so wie humanitas im Zeitalter der römischen Adelsrepublik gefaßt wurde, nämlich als eine Aufgabe, als ein zu erfüllendes Vorbild der „ Vollmenschlichkeit“, als „menschliche Ganzheit“ oder als „Edelingsart“ 110 — darum sind diese Zielsetzungen heldischer Vollendung gerade kennzeichnende Ausdrücke indogermanischer Frömmigkeit, die immer Verehrung ist aus einem gefaßten heldischen Gemüt.
Es ließe sich aber zeigen und sollte einmal bis in Einzelheiten nachgewiesen werden, daß in Europa und Nordamerika die edelsten Menschen, männliche wie weibliche, auch wenn sie sich mit den ihrem Wesen entsprechenden ehrlichen Worten zu einem ihnen überlieferten Kirchenglauben bekannten, in den entscheidenden Stunden ihres Lebens nach Gesinnungen und Handlungen der Frömmigkeit und Sittlichkeit des Indogermanentums angehört haben.
In die Geistesgeschichte sind die Indogermanen schon zu Beginn des ersten vorchristlichen Jahrtausends eingetreten, und zwar gleich mit hervorragenden Werken wie den Weden111 und den Upanischaden, die Schopenhauer (Parerga und Paralipomena, Kapitel XVI) den Trost seines Lebens genannt hat, der auch der Trost seines Sterbens sein werde. In die Weltgeschichte sind die Indogermanen eingetreten mit Kurasch II. (Kyros), dem von 559 bis 529 herrschenden Perserkönig aus dem Geschlechte der Hachamanisch (Achaimeniden), dem Begründer des persischen Großreiches, das von Indien bis Ägypten reichte112. Der hellenische Geschichtsschreiber Xenophon hat in seiner „Kyrupaideia“ über Kurasch den Großen berichtet. Die Perser im Zeitalter der Achaimeniden, mit den Hellenen „Geschwister aus gleichem Blute“ (Aischylos, Die Perser, Vers 185), werden noch vom Bundahischn (XIV), einem persischen Sagenbuche des 9. Jahrhunderts113, als „licht und strahlenäugig“ beschrieben. Sie lehrten nach Herodotos (1,136) ihre Söhne, „zu reiten, Bogen zu schießen und die Wahrheit zu sagen“. Der Frömmigkeit des Mazdaismus galt Lüge und Trug (drug) als das Grundübel, Wahrheit als die Grundtugend.
Seit dem 20. Jahrhundert haben die Indogermanen begonnen, aus der Geistesgeschichte und der Weltgeschichte auszuscheiden. Heute ist gerade das, was sich in der Tonkunst, den Bildenden Künsten und der Schriftstellerei des „Freien Westens“ als besonders „fortschrittlich“ bezeichnet, schon nicht mehr indogermanischer Geist.
Zwischen Indien aber und Germanien, zwischen Island und Benares, wo Buddha zu lehren begonnen hat, und nur bei diesen Völkern indogermanischer Sprache sind die großen Gedanken alle gedacht und ist die Frömmigkeit gelebt worden, welche die höchsten Erhebungen des mündig gewordenen menschlichen Geistes bedeuten. Als Goethe im Januar 1804 im Gespräch mit dem Philologen Riemer, seinem Mitarbeiter, aussprach, er finde es „merkwürdig, daß das ganze Christentum nicht einen Sophokles hervorgebracht“ habe, hatte er wieder die ihm bekannten Religionen mit einander verglichen. Er hatte aber auch mit Sicherheit als Künder einer indogermanischen Religion den Dichter Sophokles gewählt, also den „ Typus des frommen Atheners . . . in seiner höchsten geistigsten Form“ 114, einen Dichter zugleich, der noch eine Volksfrömmigkeit vertrat, bevor diese, als auch in Athen das Volk (demos) zu einer Masse (ochlos) verkommen war, einerseits zu flacher Aufklärung, andererseits durch Einsicht und Begeisterung vereinzelter, ja vereinsamter Dichter und Denker zu verschiedenen Formen des Pantheismus und der Mystik geworden war. — Wo aber außerhalb des Indo-germanentums hat je ein Frommer gelebt von der Seelengröße des Atheners Sophokles?
Wo außerhalb des Indogermanentums sind Religionen entstanden, die solche Seelengröße mit solcher Gedankentiefe verbunden haben und solche hohe Vernunft (logos, ratio) mit solcher weiten Schau (theoria)? Wo außerhalb des Indogermanentums haben Fromme in solcher geistigen Höhe gelebt wie Spitama Zarathuschtra, wie die Lehrer der Upanischaden, wie Homer, wie Buddha und noch wie Lucretius Carus, Wilhelm von Humboldt und Shelley? Goethe hat gewünscht, Homers Gesänge möchten uns zur Bibel geworden sein. Seit Lessing und Winckelmann, seit Heinrich Voß, dem Homerübersetzer, hatte sich in Deutschland — aber noch vor Entdeckung der seelischen Höhe und geistigen Kraft des vorchristlichen Germanentums — die indogermanische Geisteswelt erneuert, eine Geisteswelt, die durch unsere großen Dichter und Denker um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert vollendet worden ist.
Seit Goethes Tod (1832) und seit dem Tode Wilhelms v. Humboldt (1835), des Übersetzers der indogermanisch frommen Bhagavadgita, ist aber dieser indogermanische Geist, der auch im vorchristlichen Germanentum sich verwirklicht hatte, auch in Deutschland geschwunden. Goethe hat diesen „Untergang des Abendlandes“ geahnt: schon im Oktober 1801 vermerkte er im Gespräch mit der Gräfin v. Egloffstein, es breiteten sich „Geistesleere und Gemütlosigkeit" aus — als ob er das vorausgesehen hätte, was heute die meistgefeierte „Literatur des Freien Westens“ kennzeichnet. Es könnte sein, daß Goethe sogar in fernerer Zukunft ein Zeitalter heraufziehen gesehen hätte, in welchem die sich den Massen zuwendenden Schriftsteller von der Darstellung von „ sex and crime“, von geschlechtlicher Brunst und von Verbrechen, die größten Einnahmen versprechen würden.
Zu Eckermann sagte Goethe am 14. März 1830: „Die Darstellung edler Gesinnungen und Taten fängt man an, für langweilig zu erklären, und man versucht sich in Behandlung von allerlei Verruchtheiten.“ Schon lange vorher hatte Goethe in einem Briefe vom 9. August 1797 an Schiller eine der Ursachen des Zerfalls genannt: in den größeren Städten lebten die Menschen „in einem beständigen Taumel von Erwerben und Verzehren“ und seien daher zu derjenigen „Stimmung“ unfähig geworden, aus der das geistige Leben aufsteige. Dann „quälte und beängstigte“ ihn, obschon er doch nur dessen Anfänge beobachten konnte, das „überhandnehmende Maschinenwesen“, es werde „kommen und treffen“115. In einem Brief an seinen Altersfreund Zelter vom 6. Juni 1825 führte er aus, „die Gebildete Welt“ verharre in der Mittelmäßigkeit, ein Jahrhundert habe begonnen „für die fähigen Köpfe, für leichtfassende praktische Menschen, die... ihre Superiorität über die Menge fühlen, wenn sie gleich selbst nicht zum Höchsten begabt sind“; reine Einfalt sei nicht mehr zu finden, jedoch genug „einfältiges Zeug“; die jungen Menschen würden „viel zu früh aufgeregt und dann im Zeitstrudel mitgerissen“. Daher ermahnte Goethe die Jugend in seinem Gedichte „Vermächtnis“ vom Jahre 1829: „Geselle dich zur kleinsten Schar!“
Von der Pressefreiheit, die im Herzogtum Weimar durch die Verfassung vom Mai 1816 eingeführt worden war, vorher schon auch durch den oberflächlicher urteilenden Wieland, gefordert116, erwartete der bessere Menschenkenner Goethe nichts anderes als »tiefe Verachtung öffentlicher Meinung". In den „Annalen“ des Jahres 1816 vermerkte er, jeder „wohldenkende Weltkenner“ habe die „unmittelbaren und die nicht zu berechnenden weiteren Folgen mit Schrecken und Bedauern“ vorausgesehen. So muß Goethe bedacht haben, wie wenig Presseleute schon zu seiner Zeit fähig waren, Freiheit mit Menschenwürde zu verbinden.
In zunehmenden Masse haben Dichter und Schriftsteller wie Zeitungsschreiber seit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts aus der Not einer — später als Sachlichkeit ausgegebenen, von Goethe aber schon im Jahre 1801 befürchteten — Gemütlosigkeit eine Tugend gemacht. Mit Thomas Mann hat diese Gemütlosigkeit ihren ersten „Weltruhm“ gewonnen. Der Wortbastler und Menschendrechsler Mann hat seine Begabung dazu angewandt, seine seelische Ode unter Künsteleien zu vergeben, die von zeitgenössischen Bewunderern als unüberbietbar höchste Kunst ausgerufen worden sind. Die Begabung der Thomas Mann nachfolgenden Schriftsteller reichte aber schon nicht mehr aus, ihre seelische Öde zu verdecken. Doch haben viele ihrer Leser, selbst seelisch verarmt, das nicht gemerkt.
Als die Nachkommen dieser „fähigen Köpfe“ vom Beginn des 19. Jahrhunderts durch ihre Begabungen in die kinderarmen oberen Stände aufgestiegen und deren Familien schließlich ausgestorben waren, ergriff der ausmerzende „Soziale Aufstieg“ in Europa minder fähige Köpfe und riß sie im Zeitstrudel mit. Ihre „Kultur“ ist schon von Friedrich Nietzsche beschrieben worden, am schonungslosesten in den Vorträgen des Jahres 1871/72: „Von der Zukunft unserer Bildungsanstalten.“117 Nietzsche hatte dabei vor allem die damals berühmte Schriftstellerei beachtet, „die hastige und eitle Produktion, die schmähliche Buchmacherei, die vollendete Stillosigkeit, das Ungegorene und Charakterlose oder Kläglich-Gespreizte im Ausdruck, den Verlust jedes ästhetischen Kanons, die Wollust der Anarchie und das Chaos“ — als ob er den Zustand der meist gefeierten „Literatur des Freien Westens“ vorausgesehen hätte, dem Zustand einer Schriftstellerei, deren „bekannte“ Verfasser ihre eigenen Sprachen nicht mehr so beherrschen, wie es um 1900 noch von den Volksschullehrern gefordert worden war. Die lautesten Herolde des Bildungsbedürfnisses im Zeitalter der „Allgemeinen Bildung“ verwarf Nietzsche — hierin ein Erbe indogermanischer Anschauungen — als „fanatische Gegner der wahren Bildung d.h. derjenigen, welche an der aristokratischen Natur des Geistes festhält“. Wenn dann Nietzsche es als eine Aufgabe des Abendlandes bezeichnet, „die zu Beethoven gehörige Kultur zu finden“, so wird der ernsthafte Betrachter heute einem solchen Satze gegenüber nur noch das empfinden können, was Nietzsche einmal „ein Gelächter und eine schmerzliche Scham“ genannt hat.
Friedrich Schiller hat im Jahre 1797 ein Gedicht „Deutsche Größe" entworfen. Voll Vertrauen auf den deutschen Geist führt er darin aus, Niederlagen in Kriegen gegen übermächtige Feinde könnten die „Deutsche Würde“ nicht berühren, die eine „sittliche Größe“ sei; bewahrt bleiben werde auch „das köstliche Gut der deutschen Sprache“. Schiller (Das Siegesfest) wußte zwar, was die Völker von Kriegen zu erwarten haben:
„Denn Patroklos liegt begraben,
und Thersites kommt zurück“
aber er muß die Verluste durch den Fall der Besten für ersetzbar gehalten haben. Das Aussterben der Familien von „Würde“ und „sittlicher Größe“, also von megalopsychía und magnanimitas, hatte damals in Europa noch nicht begonnen.
Im Jahre 1929, also nach dem ersten Weltkriege, diesem „Peloponnesischen Kriege“ des Germanentums, der vor allem in England und Deutschland weit überdurchschnittliche Verluste an begabten Jugendlichen, an Offizieren und Adligen gebracht hatte, urteilte Oskar Walzel118, Professor der Deutschen Literaturgeschichte an der Universität Bonn, nach diesem Kriege sei die „Entgeistigung“ in Deutschland noch mehr hervorgetreten als vorher: „Ist in deutscher Geschichte überhaupt irgendwann gleiche Veräußerlichung des Menschen zu beobachten gewesen als eben jetzt?“ Für den Deutschen ist es aber ein schlechter Trost, daß die „Entgeistigung“ in anderen Ländern des Abendlandes nicht geringer sei, und wie würde Walzel nach dem zweiten Weltkriege geurteilt haben? Schon heute sind manche „berühmten“ Schriftsteller nicht mehr fähig, das „köstliche Gut der deutschen Sprache“ zu bewahren. Für die Deutschen ist es aber ein schlechter Trost, zu erfahren, daß auch die anderen abendländischen Sprachen durch Schriftsteller und Dichter immer mehr von ihrer Würde verlieren, ja mehr und mehr verkommen. Solche Verwahrlosung der Sprache erscheint manchen Schriftstellern heute als Kennzeichen und Gewinn ihrer „Freiheit“, einer „Befreiung“ aus allen überlieferten Anschauungen und Sprachregeln. Gegen eine solche Freiheitsvorstellung hatte schon Goethe119 eingewandt: „Alles, was unseren Geist befreit, ohne uns die Herrschaft über uns selbst zu geben, ist verderblich.“ So hat auch Goethe unter Freiheit die Würde der Freigeborenen verstanden, nicht Wesen und Lebensweise der Freigelassenen.
Quintus Horatius Flaccus (carmina 3, 25,17 ff) hat es einmal als die Aufgabe aller Kunst, besonders der Dichtung, bezeichnet, „nichts Kleines und nichts auf niedrige Weise“ (nil parvum aut humili modo) darzustellen. Die meistgefeierte Schriftstellerei des „Freien Westens“ und die „Kunst“ der Massenmedien steilen heute mit Vorliebe die belanglosen geschlechtlichen „Erlebnisse“ gehaltloser Menschen dar und oft nicht nur auf niedrige, sondern auf diejenige schmutzige Weise, die vielen Zeitungsschreibern als „Kunst“ erscheint, als die „Kunst“ für Massenauflagen. Auf solche Massenkunst haben sich heute schon die Kirchen eingelassen, die sich mit Negro Spirituals und mit einer Jazzfrömmigkeit den Zulauf der Jugend sichern wollen.
Wie sich das nil parvum aut humili modo des Horatius auch im Bereiche des Geschlechtlichen durchführen läßt, dafür gibt immer noch der echt indogermanische Homer die besten Beispiele. C. F. v. Nägelsbach120 hat ausgesprochen, Homer habe das Sinnliche immer „ohne Lüsternheit und ohne Prüderie“ dargestellt, niemals „lockend und verführerisch“ und niemals „auf sinnliche Erregung“ bedacht. Homer sei „einer der unschuldigsten Dichter aller Zeiten“ und habe auch bei Schilderung geschlechtlicher Vorgänge niemals ein Wort gebraucht, das „über die künstlerische Notwendigkeit der Darstellung“ hinausgehe. Auch hier also die indogermanische Verbindung von Freiheit mit Würde.
Nachdem in Europa und Nordamerika aus Völkern, die noch einer eigenen Frömmigkeit fähig waren — auch das Commonplace Book des überragenden Thomas Jefferson (1743-1826), des dritten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, ist ein Zeugnis für solche Frömmigkeit —, Massen geworden sind, die unter „Frömmigkeit“ nur noch den Anschluß an ein ihnen zum „Fortkommen“ nützliches „Bekenntnis“ verstehen, ist keine Hoffnung mehr erlaubt, daß unter den Bevölkerungen der Erde, die auch außerhalb Europas und Nordamerikas immer mehr aus Völkern zu Massen herabsinken werden, Erhebungen des Geistes und der Frömmigkeit möglich sein werden, wie sie sich zwischen Germanien und Indien und von der Bronzezeit bis ins 19. Jahrhundert ereignet haben. Von einer „Weltkultur“, wie fortschrittsgläubige Schwärmer sie erwarten, ist eine Hebung des Geistes über die Unterhaltungsbedürfnisse, über Jazz und Negro Spirituals hinaus nicht zu erhoffen, denn was Europäer und Nordamerikaner den „unterentwickelten“ Völkern — die aber zu ihrer „Entwicklung“ die seit dem Ende der Altsteinzeit verstrichenen 10 000 bis 20 000 Jahre doch auch hätten nützen können — heute zu bringen haben, ist nicht mehr als die seelisch entleerte „Kultur“ eines durch hundert Behörden geistlos verwalteten Fürsorgestaates, in welchem die „Massenmedien“ (Presse, Schriftstellerei, Rundfunk, Fernsehen, Film) den — zu diesem oder jenem Glauben oder Unglauben gleichgeschalteten — Untertanen eine gelenkte „Spannung“ im berechnendem Wechsel mit einer gelenkten „Entspannung“ liefern werden. Bei weiterem Aussterben der zur geistigen Führung befähigten Bevölkerungen Nordamerikas und Europas wird eine andere Zukunft nach Schwinden der letzten Bestände auch des westlichen Indogermanentums nicht zu erwarten sein.
Thomas Jefferson (1742-1826), einer der Gründer des Freistaates Virginien, Verfasser der Unabhängigkeitserklärung (1776), Gouverneur von Virginien, Gesandter in Paris, Außenminister unter George Washington, von 1801 bis 1809 Präsident der Vereinigten Staaten, wünschte sich sein Volk als ein Volk germanischer Freisassen (yeomen) und mißtraute dem Handel und der aufkommenden Industrie der Städte, die er als Feinde der Freiheit ansah, die aber sein Gegenspieler im Ministerium Washingtons, Alexander Hamilton, gefördert sehen wollte. Jefferson wollte die Freiheit und die Würde des Einzelmenschen vor dem Staate schützen, dem er deshalb nur ein Mindestmaß an Macht zugestehen wollte, wie er auch um dieser — adelsbäuerlich-indogermanischen — Freiheit122 willen nicht einen vereinheitlichten Bundesstaat, sondern einen lockeren Staatenbund der vorher englischen Kolonien wünschte. Nach der „agricultural era“ haben aber Verstädterung und Industrialisierung der „industriell era“ auch in Nordamerika das Aufkommen städtischer Massen bewirkt, deren Sicherheitsbedürfnis größer wurde als ihr wirklicher oder vorgegebener Freiheitsdrang. Sicherheit gegen das (indogermanisch begriffene) Schicksal, also mutlose Versicherung gegen alle schwierigen Lebenslagen, läßt sich aber nur von einem durch Verämterung übermächtig und damit „unmenschlich“ werdenden Staat erwarten. Die Überzahl der bevormundenden Ämter und drohenden Gesetze wie die Überzahl der dafür erforderlichen Beamten in abhängigen Stellungen, die selbst wieder Sicherungen verlangen, erstickt aber nach und nach auch die Freiheit derjenigen Menschen, die einer würdigen und tapferen Lebensführung fähig sind.
Im Winter 1791/92 hatte Wilhelm v. Humboldt, der Freund Schillers und wie dieser einer der letzten großen Indogermanen, eine Schrift verfaßt: „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen.“ Mit dieser Schrift wollte er die humanitas und dignitas, die Würde der Menschheit, retten vor der Bevormundung durch obrigkeitliche Wohlfahrtsstaaten. Seit dem 20. Jahrhundert sind aber in Europa und Nordamerika immer mehr Staaten, zuletzt das vorher so freiheitliche Britische Reich und ihm folgend heute auch Nordamerika, zu „sozial“ veränderten Wohlfahrtsstaaten geworden, deren Massen als von hundert Ämtern und „Organisationen“ umstellte und so ringsum bevormundete Untertanen über den ihnen gebotenen „Entspannungen“ begonnen haben, Freiheit und Würde zu vergessen. Wird aber bei solchen Verlusten im staatlichen und menschlichen Bereich auch nur die Bewahrung überlieferter geistiger Werte noch möglich sein?
Der Erste, der erkannt hat, daß ein Zeitalter der zur Selbstbestimmung fähigen freien Einzelmenschen zu Ende gehen und mit der Verdrängung dieser freien Einzelmenschen aus dem öffentlichen Leben die Menschenwürde schwinden werde, war der normannische Graf Alexis de Tocqueville (1805-1859), der Freund des Grafen Arthur Gobineau (1816-1882). Sein Werk „L'Ancien Régime et la Revolution" (7. Auflage 1866) und die „Souvenirs de A. de Tocqueville" (1893), die aber erst 34 Jahre nach dem Tode des Verfassers veröffentlicht wurden, sind in Deutschland erst beachtet worden, als es zur Rettung der Freiheit des Einzelmenschen zu spät geworden war. Alexis de Tocqueville hatte das Wesen der im Abendlande sich durchsetzenden Demokratien in deren Ursprungslande, in Nordamerika, erforscht und danach sein Werk „De la Démoeratie en Amerique" (1835) geschrieben, eine warmherzige und kenntnisreiche Schilderung des nordamerikanischen Freistaats, in der er aber auch schon die Gefahren derjenigen Demokratien beschrieben hat, die dem Geiste der Vermassung verfallen könnten. Er fürchtete, daß ein heraufziehendes Massenzeitalter mit Staatskapitalismus und verstaatlichten Unternehmen die Demokratien zu Unterdrückern der von ihm als höchstes Menschengut geschätzten Freiheit der zur Würde befähigten Einzelmenschen, also zu Unterdrückern der Freiheit im indogermanischen Sinne, verirren lassen werde, derjenigen Freiheit, die eben noch von Jefferson und von Wilhelm v. Humboldt gefordert worden war.
Die Letzten, die — ohne deren Ursprünge zu erörtern — die indogermanische Freiheit, nämlich die Demokratie der freien und untereinander gleichen landbesitzenden Familienväter, um die erfolglos noch in den deutschen Bauernkriegen und erfolgreich in dem biblisch verbrämten Kriege des rohen Cromwell gegen die Alleinherrschaft der Stuartkönige gerungen worden war — die Letzten, die in Europa diese Freiheit gefordert und verteidigt haben, waren die englischen Philosophen J. St. Mill und H. Spencer; John Stuart Mill, so mit seinem Buch „On Liberty“ vom Jahre 1859. Mit einem fast unbegreiflichen Weitblick hatte der englische Philosoph schon damals die Gefahren erkannt, die der würdigen Freiheit selbständig und unabhängig urteilender Einzelmenschen von der „Freiheit“ der sich in den Städten sammelnden Massen drohte. Schon damals fürchtete Mill die „Tyrannei der Mehrheiten“ in den Volksvertretungen, die Bedrückung der Urteilsfähigen durch die wechselnden Öffentlichen Meinungen. Er fürchtete das „chinesische Ideal der Gleichartigkeit aller Menschen“ und sah — wie Goethe in dem Trauerspiel „Die natürliche Tochter“ (1,5) — alle „politischen Umgestaltungen des Zeitalters“ dahin zielen, „die Niederen zu erhöhen und die Hohen zu erniedrigen“. Wenn erst die Menschen durch Gesetze „gleich“ gemacht seien, würden alle Abweichungen von dieser „Gleichheit“ als „ruchlos, unsittlich, ungeheuerlich und naturwidrig“ beurteilt werden123. Damit war im Jahre 1859 und in dem damals noch so freiheitlichen England schon der „Konformismus“ vorausgesagt, unter dem heute sogar die Zeitungsschreiber und Literaten einer ungehemmten Massenfreiheit stöhnen. Dem englischen Philosophen war die Freiheit des Einzelmenschen das höchste Gut. Er war von Adam Smith und David Ricardo ausgegangen und neigte dem Sozialismus zu, fürchtete aber, daß der Mißbrauch der Freiheit durch Parteien und Mehrheiten zur Herrschaft der Massen werden könne, zu einer Aufhebung des Wettbewerbs und einer Abschaffung des Einzelbesitzes, die nur den Dummen und Faulen begünstigen, den Klugen und Fleißigen aber ausbeuten würden. Mill bekannte sich auch deshalb zum Malthusianismus, also zur Empfängnisverhütung, weil der Kinderreichtum wirtschaftlich unfähiger Familien den Staat gefährden würde.
Herbert Spencer hatte den höchsten Grad einer innerstaatlichen Freiheit in dem England der Mitte des 19. Jahrhundert verwirklicht gefunden, den höchsten Grad der Freiheit für Menschen selbständigen Urteils und Gewissens. Als er im Jahre 1896 seine „Principles of Sociology“ schrieb, sah er diese Freiheit schon bedroht durch den Sozialismus. Dieser Sozialismus werde sich zwar in allen „Industriegesellschaften“ (industrial societies) durchsetzen, der werde aber eben so sicherlich jegliche Freiheit unterdrücken. Sozialismus werde nur eine andere Form der Untertanenschaft werden, „simply another form oft the hureaucratic régime“, und so werde er zum größten Unheil werden, das die Welt je erlebt habe; niemand dürfe mehr tun, was ihm gefalle, jeder werde tun müssen, was ihm befohlen wird. Die Folge werde ein gänzlicher Verlust der Freiheit sein: „an entire loss of freedom“ 124. Tatsächlich hat eine sozialistische Regierung mit der im ganzen Abendlande wie in Nordamerika drohenden Verstaatlichung des Menschen bei den englischen Ärzten begonnen, allerdings auch mit der Folge, daß die freiheitlicher gesinnten und tüchtigeren Ärzte aus England auswandern. Herbert Spencer hat jedoch bei seiner Vorhersage übersehen, daß nur die an Zahl immer kleiner werdenden Minderheiten in den betroffenen Staaten, die Minderheiten der zu selbständigem Urteil und Gewissen fähigen Menschen den Verlust der Freiheit im verämterten Bevormundungsstaate empfinden werden, nicht aber die „kompakten Majoritäten“ (Ibsen, „Ein Volksfeind“), denen mehr an Staatsfürsorge liegt als an Freiheit und die daher weder die Freiheit Jeffersons noch die Wilhelms v. Humboldt, weder die Mills noch die Spencers begreifen können.
In zwei Beiträgen seiner Essays125 hat der Liberale Herbert Spencer zusammengefaßt, in welcher Weise der Sozialismus — der ja schließlich alle Parteien, somit auch die liberalen Parteien der abendländischen Staaten durchdrungen hat — die Freiheit der selbstständig urteilenden Einzelmenschen unterdrücken werde: durch eine Gesetzesüberschwemmung (overlegislation) werde bei dem blinden Glauben sozialistischer Massen an Verordnungen (enactments), dem blindem Glauben an das Ämtergetriebe (government machinery), eine dumme (stupid) und schwerfällige (slow) Verämterung des Staates (officialism) entstehen, welche schließlich die Gesetzgebung zum Feinde der Staatsbürger machen werde; der Staat werde seine Bürger entmutigen, sich selbst zu helfen; den verstaatlichten Unternehmen werde sich niemand so wie den privaten entziehen können, wenn sie versagen, schlecht und teuer arbeiten. Der blinde Glaube an den veränderten Staat (blind faith in officialism) hat den Sozialismus vor allem in der faschistischen und nationalsozialistischen Form, wie Spencer es befürchtet hatte, zu einer gläubigen Anbetung der Regierung (blind faith of government) verführt, zu einer Vergötzung des Staates (political fetichism), zu demjenigen „Etatismus“, vor dem einsichtigere Nationalsozialisten gewarnt hatten, denen das Volk gegenüber dem Staate der höhere Wert war. Wo aber sozialistische Regierungen durch Jahrzehnte hindurch unangefochten herrschen können, werden Verämterung, Verstaatlichung und Staatsvergötzung sich durchsetzen, damit aber die weitere Unterdrückung der Freiheit des Einzelmenschen, jener indogermanischen und vor allem germanischen Freiheit aus dem Geiste der untereinander gleichen landbesitzenden Familienhäupter, auf die es Spencer und den damaligen Liberalen ankam, auch wenn sie die geschichtliche Herkunft dieser indogermanischen Freiheit nicht beachtet hatten.
Die Germanen kann man als die „geborenen Demokraten“ bezeichnen, wenn unter Demokratie das Freiheits- und Gleichheitsbewußtsein bäuerlicher Freisassen verstanden wird. Eine solche Demokratie wird immer einer Weisung folgen, die in der Edda126 ausgesprochen ist: „Führe selber dich selbst!“ — Diese Freiheit, eine würdige Freiheit aus dem Wesen des zur Selbstbestimmung fähigen Menschen, konnte auf Island, wohin norwegische Freisassen vor dem Zwange bekehrter und bekehrender norwegischer Könige ausgewichen waren, mit solcher Entschlossenheit durchgeführt werden, daß der heutige Betrachter zweifeln kann, ob der isländische Freistaat überhaupt noch ein Staat genannt werden darf.
Auch Eduard Meyer127 hat auf den die Indogermanen kennzeichnenden „Individualismus“ hingewiesen, auf die Einzeltümlichkeit der sich selbst bestimmenden, jeglichem Geführtwerden abholden Menschen, die so oft den Stämmen und Staaten der Indogermanen gefährlich geworden ist. Diese Einzeltümlichkeit hat auch Bismarck von sich selbst bezeugt mit dem Worte, es komme ihm weniger auf Befehlen an als auf Nichtgehorchen. Solche Gesinnung spricht auch aus der früher in Deutschland geltenden Weisung „Selbst ist der Mann“, und diese Gesinnung wird jede Beihilfe anderer, auch des Staates ablehnen; sie entspricht einem echt indogermanischen Worte des Kaisers Marcus Aurelius Antoninus (Selbstbetrachtungen III, 5): „Du sollst aufrecht stehen, nicht von anderen gestützt werden!“ Im „Agamemnon“ (755) des Aischylos spricht der hellenische Heerkönig, ein Erster unter Gleichen, aus, er habe seine eigene Überzeugung, eine andere als andere seines Volkes. Bei Sophokles (Aias 481) bestätigt der Chor dem zum Freitod entschlossenen Aias, er habe nie ein Wort gesprochen, das nicht unmittelbar aus seinem eigenen Wesen stammte.
Solche Gesinnungen sind aber in den Spätzeiten der Völker indogermanischer Sprache jeweils dahingeschwunden — entsprechend dem Aussterben der zu selbständigem Gewissen und Urteil erblich befähigten Menschen, der eigentlichen Freigeborenen. In den Spätzeiten sind jeweils durch Ansammlung unselbstständig denkender Menschen städtische Massen entstanden, die geführt werden wollten: nicht mehr „Führe selber dich selbst!“ sondern „Führer befiehl, wir folgen dir!“ In solchen Spätzeiten schwindet jeweils die eigentlich indogermanische Freiheit. Marcus Tullius Cicero (de officiis I, 112/13), der überlieferten Freiheit einer Adelsrepublik zugetan, durch Panaitios über die Freiheitslehren hellenischer Denker unterrichtet, hat noch zur Zeit der Alleinherrschaft Julius Cäsars dessen toten Gegner Cato Uticensis zu loben gewagt: viele Römer hätten sich nach der Schlacht von Thapsos dem siegenden Führer der — überwiegend aus Freigelassenen bestehenden — städtischen Massen, dem dictator perpetuus Julius Cäsar ergeben, nicht aber Cato Uticensis, einer der letzten Freigeborenen der Adelsrepublik: Cato habe nach seiner freien Veranlagung eher den Tod wählen müssen, als daß er das Gesicht des Tyrannen ertragen hätte.
Das Geschichtswerk des Römers Tacitus, das schon (S. 91) erwähnt worden ist, kann zeigen: Indogermanische Freiheit (libertas) ist nur möglich in einem Staate der zu selbstständigem Urteil befähigten Einzelnen, die aus eigener Kraft stehen und nicht gestützt werden wollen. Herbert Spencer hat aber schon gegen Ende des 19. Jahrhundert eingesehen, daß solche Freiheit sich in den „industriellen Gesellschaften“ nicht mehr verwirklichen lasse.
Am schönsten sind indogermanische Geistesfreiheit und Menschenwürde von der „klassischen" Kunst der Hellenen dargestellt worden. Überwältigend spricht diese würdevolle Freiheit aus den Bildwerken, die hellenische Denker und Dichter darstellen128, aus Bildwerken, zu deren Größe die Künstler nicht befähigt gewesen wären, wenn sie nicht aus ihrem eigenem Wesen vermocht hätten, diese Freiheit und Würde zu begreifen. Ein großer Teil der heute meistgepriesenen „Kunst des Freien Westens“ spricht in Wort und Bild einen — heute vielleicht schon verzeihlichen — Ekel an der Gattung Mensch aus, öfters sogar einen Ekel des „Künstlers“ an sich selbst, womit aber ausgesprochen ist, daß solche „Kunst“ schon nicht mehr dem Geiste des Abendlandes angehört, der zum ersten Mal im Hellenentum sich selbst begriffen hatte. Für die Lyrik von Beaudelaire bis zur Gegenwart, eine Lyrik nach dem „Untergang des Abendlandes“, hat Hugo Friedrich129 die eindringlichsten Beispiele gegeben — allerdings in einer Kennzeichnung ohne Wertung der künstlerischen Höhe und ohne Erörterung der Frage, ob solche Lyrik noch als „abendländisch“ angesehen werden kann.
Das heutige Abendland, so weit es durch „berühmte“ Künstler vertreten wird, ist nicht mehr fähig, die Ganzheit der Welterscheinung oder des Menschenbildes zu erfassen. Es begnügt und vergnügt sich mit der verzerrenden Ausmalung von Teilstücken, die dann von den Presseleuten als Aussagen über „ Wesentliches“ bestaunt werden. Schriftsteller schildern — nach ihrem Bilde? — „Lemuren“. Zeichner, Maler, Bildhauer stellen — nach ihrem Bilde? — „Lemuren“ dar, nämlich „aus Bändern, Sehnen und Gebein geflickte Halbnaturen“ (Goethe, Faust II. 5. Aufzug, Großer Vorhof des Palasts), oft „Halbnaturen“, deren Kleinköpfigkeit (Mikrokephalie) oder gar Kopflosigkeit vielleicht andeuten soll, daß das „Kunstwerk der Zukunft“ sich von der Vernunft, dem Logos, der ratio abgewandt habe und abwenden werde.
Den Untergang der abendländischen Menschenwürde und Freiheit durch einen Sozialismus, der „so viel Staat wie möglich" fordern würde, hat auch Friedrich Nietzsche gefürchtet, der wie Jefferson und Wilhelm v. Humboldt „so wenig Staat wie möglich“ empfahl und der schließlich den Staat das „ kälteste aller kalten Ungeheuer“ genannt hat. Ein solches Urteil würde heute einen Nietzsche nicht nur in osteuropäischen Staaten mindestens in ein „Disziplinarverfahren“ verwickeln. Der Sozialismus „begehrt“ nach Nietzsche130 „eine Fülle der Staatsgewalt, wie sie nur je der Despotismus gehabt hat; ja er überbietet alles Vergangene dadurch, daß er die förmliche Vernichtung des Individuums anstrebt“. Von einem „Weltstaate“ oder einer „Weltrepublik“, die auch heute noch oder heute wieder von Fortschrittsgläubigen als das erwünschte Ziel einer „Entwicklung“ angesehen werden, hat Nietzsche nichts anderes erwartet als den völligen Untergang aller Reste von Freiheit und Menschenwürde: „Haben wir erst jene unvermeidlich bevorstehende Wirtschafts-Gesamt-Verwaltung der Erde, dann kann die Menschheit als Maschinerie in deren Diensten ihren besten Sinn finden: — als ein ungeheures Räderwerk von immer kleineren, immer feiner, anzupassenden Rädern.“130
Den Untergang der Freiheit und Menschenwürde hat auch Gustave Le Bon vom Sozialismus erwartet, so in seinen Büchern „Psychologie des Foules“ (1895) und „Les Lois psychologiques de l'Evolution des Peuples“ (1894). Le Bon hat befürchtet, die Massen (les foules), die zu jeder Unterwürfigkeit unter willensstarke Führer bereit seien, würden die „altgewordenen Kulturen“ Europas auflösen und in ihrem Wahn, Freiheit und Gleichheit könnten durch eine Vermehrung der Gesetze verwirklicht werden, mit gesetzlichen Mitteln eine zunehmende Unfreiheit erzwingen, zumal sie allerlei „äußerliche Ungebundenheit" als „Freiheit" ansähen. Vom Cäsarismus, der Gewaltherrschaft von Führern, versprächen sich die Massen nicht so sehr „Freiheit", nach der sie gar nicht wirklich strebten, sondern gleiche Untertanenschaft für alle: „Une égalité très grande dans la servitude.“ Der Sozialismus unserer Zeit (1895) werde nichts anderes bewirken als einen Staatsabsolutismus, zumal ein solcher Sozialismus der Massen als ein „neuer Glaube“ (religion nouvelle) auftrete, der Gleichschaltung erzwingen werde. Im Kreis alternder Völker werde der Staat zum „Allmächtigen Gotte“. Die „Rassenseele“ der Völker stelle den „Kulturzustand“ dar, die „Massenseele“ der Bevölkerungen den Zustand der Barbarei und des Zerfalls.
Theobald Z i e g l e r, Professor der Philosophie an der Universität Straßburg, hat in seiner Schrift „Die soziale Frage“ (1891) bei Betrachtung der sozialistischen Gedanken seiner Zeit ausgeführt, die gleiche Untertanenschaft aller in staatlicher Bevormundung sei „eine vorherrschende Neigung der Deutschen“. Ernst Troeltsch, Professor der Philosophie an der Universität Berlin131, schrieb im Jahre 1925, der „Druck der Staatsallmacht“ lege sich „in zunehmenden Maße über die Völker“. Das galt und gilt ohne Zweifel auch für diejenigen Völker, die in Demokratien leben, denn wie Eduard Schwartz132 als Geschichtskenner ausgesagt hat, der „bürgerliche Mut der eigenen Meinung“, also der Mut zu selbstständigem Urteil, sei „in Demokratien eine weder selbstverständliche noch überflüssige Tugend“. — Die Freiheit unabhängig denkender Einzelmenschen wird im Zeitalter „befreiter“ Massen immer mehr eingeschränkt durch Gesetze, Verordnungen und Öffentliche Meinungen.
In welche Würdelosigkeit und Unfreiheit, in welche Niederungen des staatlichen, geistigen und sittlichen Lebens sozialistische Regierungen ein vorher edles und freies Volk „führen“ können, erhellt heute am besten aus dem Beispiel Schwedens. Dafür ist Zeuge der schwedische Sozialist Tage Lindbom, als Leiter des Stockholmer „Archivs für die Geschichte der Arbeiterbewegung“ der berufenste Sachkenner, mit seinem Buche „Sancho Panzas Vädekvarnar“ (1963).
Der Mißbrauch einer Freiheit aus bäuerlichem Geiste durch städtische Massen hat in Hellas wie in Rom den Zerfall eingeleitet und den Untergang beschleunigt. Für Platon (Theaitetos 172/73) war Freiheit die würdevolle Unabhängigkeit des Edlen. Davon unterschied er in seinem Werke „Der Staat“ (Politeia VIII, 550, 565/58, 562-64) eine „Freiheit“ als Schlagwort für städtische Massen: ein Übermaß solcher Freiheit liefere den Staat wie den Einzelmenschen einem Übermaß an Knechtschaft aus; je besser es den Menschen in einem solchen Staate gehe, desto mehr schwinde die Tugend seiner Untertanen dahin. Den Menschen einer würdigen Freiheit kommt es nach Platons „Theaitetos“ (172/73) allein auf die Wahrheit an, die immer einfach ist; den Menschen einer unwürdigen Freiheit hingegen auf Geschwätz, Schlauheit, Schmeichelei und auf Überredung durch wirre Scheinbeweise.
In solcher Weise schwand gegen Ende der Adelsrepublik bei Aussterben der Freigeborenen (ingenui) die Freiheit dahin; unter den Kaisern breitet sich die „Freiheit“ der Freigelassenen (liberti), eine bloße Zuchtlosigkeit, von der Hauptstadt her zu den Städten des ganzen Reiches aus, eine „Freiheit“, vor der die letzten Freigeborenen sich nur noch ohne Teilnahme am Staatsleben in die Vereinzelung zurückziehen konnten. Der Weise — so hatte schon Cicero (de legibus 1,61) geschrieben — hält für ein Nichts, was die Masse höchlich anpreist. Horatius (carmina 1,1; 2,;6,39, 40), der den Übergang von der Adelsrepublik in den die Massen begünstigenden „Cäsarismus“ der Kaiser erlebt hatte, sprach von einer „böswilligen Menge“ (malignum volgus). Das Treiben der den Kaisern schmeichelnden Freigelassenen hat der aus einer Familie der nobilitas, des Amtsadels, stammende Petronius geschildert in seiner Cena Trimalchionis. In dieser Satire spricht einer der letzten freigeborenen Römer seinen Ekel mit der überlegenen Gelassenheit desjenigen aus, der ohne Hoffnung einem Untergang entgegenblickt. Nero hat im Jahre 66 den vorher an seinem Hofe beliebten Petronius zum Selbstmord verurteilt.
Die von den Zeitungsschreibern heute am meisten gefeierte „Literatur des Freien Westens“ würde Petronius wahrscheinlich als eine „Literatur“ von Freigelassenen für Freigelassene halten. Gerade die meist gefeierten Schriftsteller betreiben heute in langweiligen Wiederholungen nichts anderes als die weitere Zersetzung der geistigen und sittlichen Werte des Indogermanentums. Die Zeitungsschreiber verteidigen die „Freiheiten“ dieser „Künstler“ gegen die „ästhetische Rückständigkeit“ vereinzelter Bezweifler. Als „ästhetisch rückständig“ gilt auch die Mahnung der Horatius: „Nichts Kleines und nichts auf niedrige Weise!“
Nach Beendung der Kolonialherrschaften muß befürchtet werden, daß die Bevölkerungen weiter Gebiete der Erde sich — in gehorsamer Nachahmung von großen Teilen der Jugend in den „Kulturvölkern“ — wie Freigelassene benehmen werden, und dies um so mehr, als die Kolonialherrschaft die angestammten Sittenordnungen dieser Bevölkerungen aufgelöst hat.
Bei jeder Verfassungsänderung und durch jeden Umsturz haben nach der Mitte des 19. Jahrhunderts die Völker des Abendlandes mehr von der ihnen ursprünglich arteigenen Freiheit des Einzelmenschen verloren und dafür mehr Untertanenschaft, mehr „Übermut der Ämter“ (Shakespeare, Hamlet III, 1) ertragen müssen. Da dieser Vorgang sich nach und nach vollzog, ist der Verlust der Freiheit aus dem Geiste indogermanischer Freisassen, der — abgeschwächt und entstellt — noch im politischen Liberalismus des 19. Jahrhunderts wirksam war, den fügsameren Menschen nicht bewußt geworden, während berechnend sich anpassende Menschen verstanden haben, sich zu Nutznießern der Verämterung zu machen oder selbst in den bevormundenden Ämtern aufzurücken: daher das nach und nach überall mächtig werdende Bonzentum in Staaten und Parteien, die in allen Staaten und Parteien offen oder verhüllt wirkenden Geldleute.
Der Dichter Paul Ernst (1866-1937) hat in seinen ergreifenden „Jugenderinnerungen“ (beendet 1929, erschienen 1959) den Übergang seiner Heimat vom bäuerlich-handwerklichen Zeitalter zum Industriezeitalter geschildert mit den furchtbaren Verlusten an Rechtschaffenheit, Gediegenheit, gegenseitiger Achtung und gegenseitigen Vertrauens der Menschen, den Übergang zu einem Zeitalter zunehmender Unfreiheit — die aber uns Jüngeren, den schon mehr oder weniger fügsam in Unfreiheiten Verstrickten, nicht so wie dem Dichter bewußt werden konnte. Der Vater des Dichters hatte schon im Alter von neun Jahren in einem Bergwerk des Harzes als Pochjunge arbeiten müssen — bei einem Wochenlohn von (umgerechnet) 60 Pfennigen. Mit 22 Jahren verdiente der Vater in der Woche 2,40 M, seit 1856, seit seinem 23. Jahre, einen Taler. Der Dichter sein Sohn, erlag aber ebenso wenig wie sein Vater den Verheißungen des zu seiner Zeit aufkommenden Marxismus, vielmehr warnte er vor der allgemeinen Untertanenschaft in „sozialen“ oder „sozialistischen“ Staaten, warnte ebenso wie J. St. Mill und H. Spencer. Der Dichter sah im Marxismus einen „Weg zu einer Sklaverei, wie sie so schlimm in der Welt noch nie gewesen ist“ (S. 289/90). Er führte aus, daß heute ein Mensch, der nicht Sklave sein will, seine äußeren Lebensverhältnisse so einrichten müsse, daß er von den anderen möglichst unbehelligt bleiben könne; also müsse ein solcher Mensch „im Wesentlichen ganz einsam bleiben“.
Die Einsamkeit des einzeltümlich (individualistisch) veranlagten Menschen wurde in Deutschland von dem massentümlich (ochlokratisch) gewordenen „nationalen“ Sozialismus als „private Sphäre“ verworfen zu Gunsten einer „Volksgemeinschaft“ städtischer Massenmenschen. Auch hiermit war in Deutschland das Ende des indogermanischen Zeitalters angezeigt. Der Verständige aber wird wie Herbert Spencer einsehen, daß der Verlust der Freiheit des Einzelmenschen in allen „industriellen Gesellschaften“ unvermeidlich ist. Nur ein Tor könnte sich solchen Notwendigkeiten widersetzen.
Ein solcher Tor würde auch übersehen, daß in den Bevölkerungen des Abendlandes die Anzahl der Menschen, welche die Freiheit einem „hohen Lebensstandard“ vorziehen, sehr gering geworden ist, daß daher nur Menschen von der Artung des Freigeborenen (eléutheros, ingenuus), wie Paul Ernst einer war, unter der zunehmenden Bevormundung leiden werden. In seinen „Jugenderinnerungen“ (S. 312) schreibt Paul Ernst, sein Vater sei in seinen geringen Verhältnissen immer ein freier Mann gewesen und seine Mutter eine Frau, „wie die Frau eines solchen Mannes sein mußte“.
Es bedarf also der Artung eines Paul Ernst, der Artung eines heute beschleunigt aussterbenden Menschenschlags, damit der Verlust der Freiheit überhaupt bemerkt werde. Das hat auch Walter Muschg, Professor der Universität Basel, ausgesprochen, so in einer Rede zur Schillerfeier der Universität Basel, betitelt „Schiller: Die Tragödie der Freiheit“ (1959). Muschg hat dort ausgeführt, Freiheit sei „nicht nur in den Diktaturen verschwunden, sondern auch in den sogenannten freien Ländern. Es haben sich überall neue Machtfaktoren gebildet, die das Dasein der Menschen beherrschen und undurchsichtige Formen der Sklaverei erzeugen, vor denen sich unsere liberalen Vorfahren bekreuzigt hätten. . . Wir sind umstellt von Geßlerhüten, an denen niemand Anstoß nimmt. Die heutige Menschheit weiß nicht mehr, was Freiheit ist, und will sie auch nicht mehr. Sie will die Bequemlichkeit, den mühelosen Lebensgenuß um den Preis des bürokratischen Zwangs, den sie willig zahlt. Der Wille zur Freiheit ist durch die Sehnsucht nach Unfreiheit, nach Erlösung von der Selbstbestimmung abgelöst worden. Aus dieser Sehnsucht . . . entstehen die offenen und verschleierten Formen der Diktatur.“
In Deutschland hatte schon der Bundestagspräsident Gerstenmaier vor den Gefahren eines „Versorgungsstaates" gewarnt, der die Jugend den Bewährungsproben entheben werde. In seiner Neujahrsansprache 1965 hat der Bundespräsident Lübke betont, heute frage niemand mehr, was er für den Staat, viele hingegen nur noch, was der Staat für sie tun könne; manche forderten behördliche Beihilfen auch dann, wenn sie in selbstverschuldete Not geraten seien.
In veränderten „Versorgungsstaaten“ gilt das „Selbst ist der Mann“, also das Selbstbewußtsein des tüchtigen und freiheitlichen Menschenschlags, als eine veraltete Absonderlichkeit. Diejenigen Menschen sind zu einer belächelten Minderheit geworden, denen wie dem Schweizer Muschg Freiheit mehr bedeutet als Beihilfe und die demnach an allen Wegen amtliche Geßlerhüte aufgerichtet finden. So wird „Versorgung“ immer durch den Verlust der Freiheit erkauft werden müssen, der Freiheit im indogermanischen Sinne. Dem Verlust dieser Freiheit (libertas) wird aber, wie Tacitus erkannt hat, irgend eine Zwangsobrigkeit (dominatio) folgen. Im gleichen Maße, wie aus dem römischen Kaiserreich mit alimenta und annonae ein Versorgungsstaat wurde, wurden dort die Bürger (cives) zu Untertanen (servi)133.
Niemals ist so viel von „Humanität“ gesprochen worden wie in der Gegenwart, die humanitas nicht mehr als — das aus der Menschenwürde des zur Selbstbestimmung fähigen Einzelmenschen strömende — Wohlwollen übersetzt, sondern als „Staatsbeihilfe“ oder als „mildernde Umstände“ für alle. So ist aus der Humanität als Verpflichtung und Aufgabe für Einzelmenschen ein gesetzlich gesicherter Anspruch für alle geworden, damit aber auch für diejenigen, welche die „Würde des Menschen“ (Schiller), die Forderung der megalopsychía, als ein lästig gewordenes Hirngespinst abweisen.
M. T. Vaerting, die vor dem „totalitär“ werdenden Staate des Nationalsozialismus — der schließlich sogar der „privaten Sphäre“ der einzeltümlich veranlagten, daher zum massentümlichen Dasein unfähigen Menschen mißtraute — nach Nordamerika, einem Lande angeblicher Freiheit, ausgewichen war, hat dort erkannt und in zwei Büchern134 dargestellt, daß in Europa und Nordamerika nach und nach alle Staaten, dem Beispiele Sowjetrußlands folgend, den Weg zum „ totalitären“ Massenstaat eingeschlagen haben, zu einem „Überstaate“, der Freiheit und Menschenwürde bedrückt, daß also überall ein „Machtzuwachs des Staates“ den „Untergang des Menschen“ bewirken werde. Ein solcher „Untergang des Menschen“, bewirkt durch des Menschen zunehmende Verstaatlichung, wird aber dem Schlage der Sicherheit fordernden Massenmenschen nicht fühlbar werden, denn er wird sich als das weitere Aussterben der einzeltümlich und auch deshalb freiheitlich gesinnten Reste des Indogermanentums, als das weitere Aussterben freigeborener Familien vollziehen, als die von Walther Rathenau135 beschriebene und vorausgesagte „Tragödie des arischen [indogermanischen] Stammes“, die Rathenau als die größte Tragödie der gesamten „Menschheitsgeschichte“ angesehen hat. Der aussterbende Menschenschlag war und ist aber nach seinen ererbten Anlagen der eines Herakleitos und Sophokles, der eines Titus Lucretius Carus, der desjenigen Cato Uticensis, der den Tod einem Leben unter dem dictator perpetuus Julius Cäsar vorzog, wie auch der Menschenschlag eines Giordano Bruno, Thomas Jefferson und Wilhelm v. Humboldt, eben der Menschenschlag also, der nach seiner ererbten Veranlagung eines tapferen, ungesicherten Lebens — „Selbst ist der Mann!“ — in würdevoller Freiheit fähig war und ist. Ein Geistesleben wie das vergangene und vergehende zwischen Benares und Reykjavik, angewiesen und hinzielend auf Freiheit und Würde des Menschen, wird es in den zu diesem oder jenem „Konformismus“ zwingenden „totalitären“ Staaten nicht mehr geben, und wie wird die von Fortschrittschwärmern erhoffte „Weltkultur“ beschaffen sein, zu der alle Völker und Rassen der Erde beitragen sollen?
Als Sokrates einmal auf dem Markte zu Athen die Menge der feilgebotenen Waren überblickte, die zum „Lebensstandard“ der damaligen — seelisch schon verwahrlosten — Athener gehörten, wandte er sich zu seinen Freunden mit den Worten: „Wie viele Dinge gibt es doch, die ich entbehren kann!“ — Was die zutreffend so benannten „Massenmedien“ unserer Zeit den entferntesten Bevölkerungen der Erde bei Entstellung ihrer Heimatlandschaften durch eine seelisch verödende Technik als „Weltkultur“ anbieten und anbieten werden — auf diesen Geistes- und Bildungsmarkt werden die letzten indogermanisch empfindenden Menschen der Erde ebenso verzichten wie Sokrates auf die Waren des Marktes zu Athen.
Auf das Indogermanentum aber von Benares bis Reykjavik läßt sich ein Wort Hamlets anwenden: „Ihr werdet nimmer seinesgleichen seh'n!“
Schrifttumsnachweise
1 Hans F. R. Günther, Rassenkunde Europas, 1929; Derselbe, Die Nordische Rasse bei den Indogermanen Asiens, 1934; Derselbe, Herkunft und Rassengeschichte der Germanen, 1935; Derselbe, Lebensgeschichte des hellenischen Volkes, 1965; Derselbe, Lebensgeschichte des römischen Volkes, 1966; Franz Rolf Schröder, Germanentum und Alteuropa, Germanisch-Romanische Monatsschrift, XXII Jg., 1934, S. 157 ff; Karl J. Narr, Vorderasien, Nordafrika, Europa, in: Abriß der Vorgeschichte, 1957, S. 60 ff; Derselbe, Deutschland in vor- und frühgeschichtlicher Zeit, in: Handbuch der Geschichte, Bd. 1,1957, Abschnitt I, S. 41 ff, 48 ff; Giacomo Devoto, Origini indeuropee, 1962
2 Paul Deussen, Vedanta und Piatonismus im Lichte der Kantischen Philosophie, Comenius-Schriften zur Geistesgeschichte, Zweites Heft, 1922, S. 41
3 Burkhard Wilhelm Leist, Alt-arisches Ius gentium, 1889; Derselbe, Altarisches Ius civile, 1892-96; vgl. Derselbe, Graeco-italische Rechtsgeschichte, 1884
4 Hans F. K. Günther, Kleine Rassenkunde des deutschen Volkes, 1933; Derselbe, Rassenkunde des deutschen Volkes, 1934; Wilhelm Hauer, Die vergleichende Religionsgeschichte und das Indogermanenproblem, in: Germanen und Indogermanen, Festschrift für Herman Hirt, herausgeg. von Helmut Arntz, Erster Band, 1936, S. 177 ff; D e r s e l b e, Glaubensgeschichte der Indogermanen, Teil 1, 1937; F. Herter, Die Götter der Griechen, Kriegsvorträge der Universität Bonn, Heft 57, 1941; V. Basanoff, Les Dieux des Romains, 1942; Walther Wüst, Indogermanisches Bekenntnis 1942; Georges Dumézil, Jupiter-Mars-Quirinus, 1948; Derselbe, Les dieux des Indo-Européens à Rome, 1954; Derselbe, Déesses latines et mythes védiques, 1956; Derselbe, L'Ideologie tripartie des Indo-Européens, 1958; Derselbe, Les Dieux des Germains, 1959; Franz Altheim, Römische Religionsgeschichte, 1951-53; Helmuth v. Glasenapp, Die Religionen Indiens, 1956.
5 Andreas Heusler, Germanische Religion, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. II, 1928, Sp. 1041 ff; Franz Rolf Schröder, Die Germanen, Religionsgeschichtliches Lesebuch, Bd. XII, 1929; Bernhard Kummer, Midgards Untergang, 1938 (vergl. hierzu jedoch: Felix Genzmer, Hessische Blätter für Volkskunde, Bd. 27, 1928, S. 217 ff; Andreas Heusler, Deutsche Literaturzeitung, Bd. 49,1,1928, Sp 33 ff); Wilhelm Grönbech, Kultur und Religion der Germanen, 1937; Hermann Schneider, Die Götter der Germanen, 1938; Erik Therman, Eddan och dess Odestragik, 1938; Müller-Trathnigg, Religionen der Griechen, Römer und Germanen, 1954; Jan de Vrie s, Altgermanische Religionsgeschichte, 1956/7; R. L. M. Derolez, De Godsdienst der Germanen, 1959
6 F. R. Schröder, wie 1, S. 187 ff; vgl. auch Erik Therman wie 5, 1938, S. 105/6, 165
7 Andreas Heusler, wie 5, Sp. 1068
8 Andreas Heusler, Germanentum, 1934, S. 95, 106 ff
9 R. L. M. Derolez wie 5, S. 79 ff
10 Erik Thermann, wie 5, 1938, S. 23, 77, 106
11 Karl Helm, Wodan: Ausbreitung und Wanderung seines Kultes, Gießener Beiträge zur dt. Philologie, Bd. 85, 1946; R. L. M. Derolez wie 5, S. 79 ff
12 Jan de Vries, Der heutige Stand der germanischen Religionsforschung, Germanisch-Romanische Monatsschrift, Bd. XXIII, 1951, S. 1 ff
13 Rudolf Otto, Gottheit und Gottheiten der Arier, 1938, S. 56, 58 ff
14 wie 4, 1959, S. 62
15 Wolf gang Krause, Die Kelten, Religionsgeschichtliches Lesebuch, Bd. XIII, 1929
16 Marie-Louise Sjöstedt, Deux et Heros des Celtes, 1940, S. 126 Jan de Vries, 17 Keltische Religion, 1961, S. 224
18 A. Brückner, Die Sklaven in: Religionsgeschichtliches Lesebuch, Bd. III, 1926; Karl H. Meyer, Die slawische Religion in: Carl Clemen, Die Religionen der Erde, 1927, S. 237 ff
19 Julius v. Negelein, Die Weltanschauungen des indogermanischen Asiens, Veröffentlichungen des indogermanischen Seminars der Universität Erlangen, Bd. I, 1924; K. F. Geldner, Die zoroastrische Religion, Religionsgeschichtliches Lesebuch, Bd. I, 1926; Hermann Lommel, Zarathustra und seine Lehre, Universitas, Jg. XII, 1927, S. 267 ff; Derselbe, Die Religion Zarathustras nach den Quellen dargestellt, 1930; Otto v. We s e n d o n k, Das Weltbild der Iraner, 1936; Hermann Lommel, Von arischer Religion, Geistige Arbeit, Jg. 1,1934, Nr. 23, S. 5/6; D e r s e 1 b e, Die Alten Arier, Von Art und Adel ihrer Götter, 1935; H. S. Nyberg, Die Religionen des Alten Irans, Mitteilungen der Vorderasiatisch-ägyptischen Gesellschaft, Bd. XXXIV, 1938, Geo Widengren, Iranische Geisteswelt, 1961
20 Wilhelm Nestle, Griechische Religiosität von Homer bis Pindar und Äschylos, 1930, S. 113
21 Siegfried Lau ff er, Die Antike in der Geschichtsphilosophie, Die Welt als Geschichte, XVI, Ig., Heft 3/4,1956, S. 175 ff; Hans F. K. Günther, wie 1, 1957, S. 307
22 Maxime Coliignon, Le Parthenon, Bd. III, 1912, Tafel 78 ff; Ernst Langlotz, Phidiasprobleme, 1947, S. 27 ff, Tafel 8 ff; Derselbe, Schönheit und Hoheit, 1948, Reinhard Lullies, Griechische Plastik, 1956, S. 22, Tafel 147 ff
23 Giuseppe Moretti, Die Ära Pacis Augustae, 1948; Robert Heidenreich, Die Bilder der Ära Pacis Augustae, Neue Jahrbücher für Antike und deutsche Bildung, 1. Jg., 1938, S. 31 ff.
24 Hans F. K. Günther wie 1, 1965, S. 157, 195/96
25 R. A. Nicholson, Studies in Islamic Mysticism, 1921, S. 162,180/81,184; D e r s e l b e, A Literary History of the Arabs, 1930, S. 383 ff, 393/94; vgl. auch Eduard Meyer, Geschichte des Altertums, Bd. I., 2, 1909, S. 385/86
26 vgl. Wilhelm Hauer, Urkunden und Gestalten der Germanisch-Deutschen Glaubensgeschichte, 1940ff; Ellisworth Barnard, Shelley's Religion, 1936, Fritz Buri, Gottfried Kellers Glaube, 1944
27 H. A. Korff, Faustischer Glaube: Versuch über das Problem humaner Lebenshaltung, 1938, S. 155
28 Walter F. Otto, Die Götter Griechenlands, 1947; Derselbe, Theophania: Der Geist der altgriechischen Religion, 1956; Derselbe, Das Wort der Antike 1962, S. 334 ff
29 Über den Himmel, herausgegeben von Paul Gohlke, 1958, S. 26, 67; Fragmente, herausgegeben von demselben, 1960, S. 29/30
30 Axel Olrik, Ragnarök, 1922; Stig Wikander, Sur le fond commun indoiranien des épopées de la Perse et de P'nde, La Nouvelle Clio, Bd. VII, 1949/50, S. 310 ff; Derselbe, Germanische und indoiranische Eschatologie, Kairos, Bd. XII, 1960, S. 78/88; Georges Dumézil, wie 4,1959, S. 85, 92, 103
31 wie 8, S. 113
32 wie 5, S. 64, 218
33 H. S. Nyberg wie 19, S. 220 ff, 231 ff
34 Heinrich Ackermann, Jesus — Seine Botschaft und deren Aufnahme im Abendland, 1967, S. 47 ff; Derselbe, Entstellung und Klärung der Botschaft Jesu, 1961, S. 255 ff
35 Max Pohlenz, Die Stoa, 1948, S. 108 ff; G. Verbeke, Kleanthos van Assos, Verhandelingen van de Koninklijke Vlaamse Academie vor Wetenscapen, Letteren en Schone Künsten van Belgie, Klasse der Letteren, Jg. XI, Nr. 9,1949, S. 235
36 Hans F. K. Günther, Piaton als Hüter des Lebens, 1966
37 Patrologiae cursus completus, Bd. XXXVII, herausgegeben von J. P. M i g ne, 1845, Sp. 1566; gleiches Werk, Bd. XXXVIII, 1845, Sp. 1132
38 Walther B a e t k e, Arteigene germanische Religion und Christentum, 1933, S. 40; Hanns Rückert, Die Christianisierung der Germanen, 1934, S. 20
39 Asvaghosha Boddhisattva, A Life of Buddha, Sacred Books of the East, Bd. XIX, 1883, Vers 1,52, S. 9, Vers V, 1856, S. 270; Mahapadana Suttanta, Sacred Books of the Buddhists, Dialogues of Buddha, Bd. III, Part 2,1910, S. 16; Lakkhana Suttanta, gleiche Reihe, Bd. IV, Part 3,1921, S. 138
40 Pali: Samditthikam nibbana oder Saupadisasa-nibbana
41 Albert Carnoy, Les Indo-europeens, 1921, S. 221
42 Friedrich Kluge, Angelsächsisches Lesebuch, 1915, S. 144
43 Geo Widengren, Hochgottglaube im Alten Iran, Uppsala Universitetes Arsskrift, 1938: 6, S. 253 ff
44 vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik II, 7, 7, IV, 3, 1-34
45 Ulrich Knoche, Magnitudo animi, Philologus, Supplementband XXVII, 3, 1935
46 Max Deutschbein, Individuum und Kosmos in Shakespeares Werken, Shakespeare-Jahrbuch, Bd. 69, 1933, S. 25; vgl. auch Erik Therman wie 5 1938
47 Wilhelm Engel, Die Schicksalsidee im Altertum, Veröffentlichungen des Indogermanischen Seminars der Universität Erlangen, Bd. II, 1926, S. 45-70, 95-114; Johannes Mewaldt, Die Tragische Weltanschauung der hellenischen Hochkultur, Forschungen und Fortschritte, 10. Jg. Nr. 14, 1934, S. 177 ff; Hans Naumann, Germanischer Schicksalsglaube, 1934; Walther Gehl, Der germanische Schicksalsglaube, 1939
48 vgl. auch Eduard Neumann, Das Schicksal in der Edda, Beiträge zur deutschen Philologie, Heft VII, 1955
49 vgl. Julius v. Negelein, wie 19, S. 165 ff
50 wie 5, S. 90
52 „Wenn das Weltall zusammenstürzt, die Trümmer werden auf einen Unerschrockenen fallen.“
51 W. Baetkewie38, S. 33
52 wie 38, 1934
53 William James, The Varieties of Religious Experience, 1907, S. 78 ff, 127 ff
54 Gustav Neckel, Altgermanische Kultur, 1925, S. 32/33; Hans F. K. Günther, wie 1, 1934, S. 26 32, 111, 232
54a „Vergiß nicht, im Unglück standhaften Sinn zu bewahren.“
55 Andreas Heusler, Altgermanische Sittenlehre und Lebensweisheit, in: Hermann Nollau, Germanische Wiedererstehung, 1926, S. 161
56 Kurt Schumacher, Germanendarstellungen, bearbeitet von Hans Klumbach, 1935
57 Josef Strzygowski, Spuren indogermanischen Glaubens in der Bildenden Kunst, 1936, S. 279 ff
58 Hermann Oldenberg, Buddha, herausgegeben von Helmuth v. Glasenapp,1959, S. 185
59 Wilhelm Grönbech, Die Germanen, in: Chantepie de la Saussaye, Lehrbuch der Religionsgeschichte, Bd. II, 1925, S. 563; vgl. auch Kurt Leese, Die Krisis und Wende des christlichen Geistes, 1932, S. 405 ff
60 Hans F. K. Günther, Rassenkunde des jüdischen Volkes, 1930, S. 26 ff, L. F. Clauß, Rasse und Seele, 1940, S. 146
61 Hans F. K. Günther, wie 4,1934, S. 236 ff; Derselbe, wie 1,1929, S. 82 ff
62 Hermann Lommel, Iranische Religion in Carl Clemens, Die Religionen der Erde, 1927, S. 146
63 Wilhelm Hauer, wie 4, 1936, S. 191
64 T. H. Robinson, Old Testament in the Modern World, in H. H. Rowley, The Old Testament and Modern Study, 1951, S. 348
65 Arthur Drews, Die Religionen als Selbstbewußtsein Gottes, 1906, S. 114/15
66 Hermann Güntert, Der arische Weltkönig und Heiland, 1923, S. 413 ff
67 Chantepie de la Saussaye, wie 59, 1925, S. 18/19
68 wie 62
69 J. v. Negelein, wie 19, S. 100 ff, 104 ff, 118 ff
70 Anthologia Graeca, Bd. II, herausgegeben von Diehl, S. 159
71 Gustav Mensching, Kastenordnung und Führertum in Indien, Kriegsvorträge der Universität Bonn a. Rh., Heft 93, 1942, S. 8 ff
72 R. V. Heine-Geldern, Die Wanderungen der Arier nach Indien in archäologischer Betrachtung, Forschungen und Fortschritte, Jg. 13, Nr. 26/27, S. 308; Richard Hauschild, Die frühesten Arier im Alten Orient, gleiche Zeitschrift, Jg. 35, Heft 8, 1961, S. 246; Karl J. Narr, Urgeschichte, 1962
73 vgl. auch Johannes Hertel, Die swestischen Jahreszeitenfeste, Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse, 85. Bd., Heft 2, 1933; Derselbe, Das indogermanische Neujahrsopfer, gleiche Schriftenreihe, 90. Bd. Heft 1, 1938
74 Ernst Theodor Sehrt, Shakespeare und die Ordnung, Veröffentlichung der Schleswig-Holsteinischen Universitätsgesellschaft, N.F., Nr. 12,1955, S. 7ff, 12 ff, 17 ff
75 vgl. auch J. v. Negelein, wie 19, S. 116
76 Vilhelm Grönbech, in: Johannes Edvard Lehmann, Illustrerad Religionshistoria, 1924, S. 488/89; vgl. auch Derselbe, wie 4, 1937; vgl. auch Bernhard Kummer wie 5, 1938
77 wie 41, 1921, S. 228 ff; Kurt Schrötter und Walther Wüst, Tod und Unsterblichkeit im Weltbild indogermanischer Denker, 1942; Paul Thieme, Studien zur indogermanischen Wortkunde und Religionsgeschichte, Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, phil.-hist. Klasse, Bd. 98, Heft 5, 1952, S. 35 ff, 55 ff
78 Paul Thieme, wie 77, S. 46 ff
79 Hans Hartmann, Der Totenkult in Irland, 1952, S. 207/08
80 Paul Kretschmer, Einleitung und die Geschichte der griechischen Sprache 1896, S. 125 ff; J. Vendryès, Les Correspondances de Vocabulaire entre l'Indo-Aries et l'Italo-Celtique, Memoires de la Société de Linguistique, Bd. XX., S. 268 ff, 285
81 Gustav Neckel, Die Überlieferungen vom Gotte Balder, 1920; Rudolf Much, Balder, Zeitschrift für Deutsches Altertum, Bd. 61,1924; S. 93 ff; vgl. auch Johannes Leipoldt, Sterbende und auferstehende Götter, 1923
82 wie 1, 1934, S. 40, 120
83 Walter F. Otto, Das Wort der Antike, 1962, S. 345
84 Hans F. K. Günther, wie 60, 1930, S. 68 ff; L. F. Clauß, wie 60, S. 117
85 Eduard Mey e r, wie 25, S. 385
86 wie 43, S. 259 ff
87 wie 43, S. 245 ff
88 wie 19, S. 47/48,119, 122
89 A. H e u s 1 e r, wie 19, S. 94; Hans Kuhn, Das nordgermanische Heidentum in den ersten christlichen Jahrhunderten, Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, 70. Bd., 1942, S. 166
89a Hermann Oldenberg, Die Lehre der Upanishaden, 1915, S. 39 ff, 44 ff; vgl. Paul Deussen, Die Philosophie der Upanischaden, 1919
90 Christian August Lobeck, Aglaophamus, Bd. I, 1828, S. 412; Herman Diels, Die Fragmente der Vorsokratiker, Bd. 1,1951, S. 113ff, 129ff, 217ff.
91 Paul Deussen, Das System des Vedanta, 1883; Helmuth v. Glasenapp, Der Stufenweg zum Göttlichen, 1948
92 Hermann Mandel, Deutscher Gottglaube von der deutschen Mystik bis zur Gegenwart, 1934, S. 19 ff; vgl. auch Derselbe, Wirklichkeitsreligion, 1933
93 Josef Strzygowski, wie 57, S. 256
94 Vgl. auch Alfred Biese, Die Entwicklung des Naturgefühls bei den Griechen und Römern, 1882; Derselbe, Die Entwicklung des Naturgefühls im Mittelalter und in der Neuzeit, 1892; Otto Körner, Das Naturgefühl in der homerischen Dichtung, Das humanistische Gymnasium, 45. Jg., 1934, S. 119 ff, vgl. auch Josef Strzygowski, Die Landschaft in der nordischen Kunst, 1922
95 H. Lommel, wie 8, S. 5/6
96 J. Strzygowski, wie 57, S. 113 ff; A. T. Olmstaed, History of the Persian Empire, 1952, S. 20,62,170, 315,434; A. J. Arberry, The Legacy of Persis, 1953, S. 5, 36, 260/61, 271
97 Erik Therman, wie 10, S. 124 ff
98 wie 57, S. 143 ff, 261 ff
99 Otto Regenbogen, Lukrez: Seine Gestalt in seinem Gedicht, Neue Wege zur Antike, Heft 1, 1932, S. 47, 54, 61, 75 ff, 81 ff, 85 ff
100 J. W. G o e t h e, Von Knebels Übersetzung des Lucrez, Cottasche Jubiläumsausgabe, Bd. 37, S. 218
101 Karl Büchner, Römische Literaturgeschichte, 1962, S. 236, 246, 249
102 J. W. Goethe, Dichtung und Wahrheit, 2. Teil, Sechstes Buch, Sämtl. Werke, Cottasche Jubiläumsausgabe, Bd. 23, S. 10
103 Hildebrecht H o m m e l, Der Himmelsvater, Forschungen und Fortschritte, Jg. 19, 1943, Sp. 94 ff; vgl. auch Giacomo Devoto, wie 1, S. 251/52
104 Paul Deussen, wie 2, S. 19/20
105 K. F. Geldner, Der Rig-Veda aus dem Sanskrit ins Deutsche übersetzt, 1. Teil, 1951, S. 236
106 Eduard Schwartz, Charakterköpfe aus der Antike, 1943, S. 147; Epikur: Philosophie der Freude, übersetzt von Johannes Mewaldt, 1956
107 Franz Beckmann, Humanitas: Ursprung und Idee, 1952, S. 7
108 Burkhard Wilhelm Leist, wie 2
109 Hans Kuhn, Sitte und Sittlichkeit, in: Germanische Altertumskunde, herausgegeben von Hermann Schneider, 1938, S. 177
110 Max Schneidewin, Die antike Humanität, 1897: „Humanitas“, Realencyklopädie der klassischen Altertumswissenschaften, Supplementband V, 1931, Sp. 282 ff; Hans F. K. Günther, Humanitas, in: Führeradel durch Sippenpflege, 1941, S. 158 ff
111 vgl. K. F. G e l d n e r, Vedismus und Brahmanismus, Religionsgeschichtliches Lesebuch, Bd. IX, 1928
112 vgl. A. T. Olmstead, A History of the Persian Empire, 1948, S. 34 ff
113 Geo Widengren, Iranische Geisteswelt, 1961, S. 75
114 Wilhelm Nestle, Griechische Religiosität vom Zeitalter des Perikles bis auf Aristoteles, 1930, S. 85.
115 J. W. Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre, Drittes Buch, Kapitel 13, Cottasche Jubiläumsausgabe, Bd. 20, S. 190
116 J. W. Goethe, Zahme Xenien, Cottasche Jubiläumsausgabe, Bd. 4, S. 47; Annalen 1816, gleiche Ausgabe, Bd. 30, S. 298
117 Taschenausgabe, Bd. 1, 1906, S. 314, 332/33, 396
118 Oscar Walzel, Die Geistesströmungen des 19. Jahrhunderts, 1929, S. 43
119 J. W. G o e t h e, Maximen und Reflexionen, Cottasche Jub. Ausgabe, Bd. 4, S. 229
120 C. F. v. Nagelsbach, Homerische Theologie, 3. Aufl., bearbeitet von G. Authenrieth, 1884, S. 229
121 Bertrand Aus seil, The Conquest of Happiness, 1951, S. 113; Ludwig Winter, Der Begabungsschwund in Europa, 1959
122 Claudius Frhr. v. Schwerin, Freiheit und Gebundenheit im germanischen Staat, Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, Heft 99, 1933
123 John Stuart Mill, Die Freiheit, 1859, übersetzt von Else Wentscher, Philosophische Bibliothek, Bd. 202, 1928, S. 7 ff, 28 ff, 106 ff
124 Herbert Spencer, Principles of Sociology, Bd. III, 1897, S. 585, 595 ff
125 Herbert Spencer, Esays, Scientific, Political and Speculative, Bd. II, 1883, S. 48 ff, 56 ff, 66 ff, 94 ff, 100 ff; Bd. III, 1878, S. 181 ff, 186 ff
126 Grogaldr 6: Der Zaubergesang der Groa, Edda, Bd. II, 1920, S. 178; Bernhardt Rehfeldt, König, Volk und Gefolgschaft im nordischen Altertum, Kriegsvorträge der Universität Bonn a. Rh., Heft 91, 1942
127 Eduard Meyer, wie 22, S. 777
128 K. Schef old, Die Bildnisse der antiken Dichter, Redner und Denker, 1943
129 Hugo Friedrich, Die Struktur der modernen Lyrik, 1961
130 Nietzsches Gesammelte Werke, Musarion-Ausgabe, Bd. XIX, 1926, S. 266; vgl. auch Charles Andler, Nietzsche: Sa Vie et sa Pensee, Bd. III, 1958, 2.201 ff
131 Ernst Troeltsch, Das 19. Jahrhundert, Gesammelte Schriften, Bd. IV, 1925, S. 640
132 wie 106, S. 55
133 Hans F. K. Günther, Lebensgeschichte des römischen Volkes, 2. Aufl. 1966, S. 236, 249, 271, 279, 281
134 M. R. Vaerting, Europa und Amerika: Der Entwicklungsweg des Staates zum Überstaat, 1951; D i e s e l b e, Machtzuwachs des Staates — Untergang des Menschen, 1952
135 Harry Graf Keßler, Walther Rathenau, 1928, S. 43